Adolf Muschg Sax - Neue Zürcher Zeitung

Transcrição

Adolf Muschg Sax - Neue Zürcher Zeitung
Nr. 7 | 29. August 2010
Adolf Muschg Sax | Norbert Gstrein Die ganze Wahrheit | Eveline Hasler
Interview | Rolf Lappert, David Foster Wallace Plädoyer für Vegetarismus |
Max Frisch Die neue Biografie | Timothy Garton Ash Jahrhundertwende |
Weitere Rezensionen zu Alberto Moravia, Marie Curie, Nouriel Roubini,
Sigmund Freud und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
Panorama der Schweizer Geschichte
Neue Bücher bei NZZ Libro
«Unser Land darf sich in wirtschaftlicher
Hinsicht sehen lassen, ja es wird nicht
selten mit einem gewissen Neid beurteilt,
wenn wir feststellen, dass wir uns auch im
vergangenen Jahr geordnete Finanzen und
eine der besten und stabilsten Währungen
erhalten konnten.» Jean Hotz, 1949
Hans Peter Treichler
Ein Seidenhändler
in New York
Das Tagebuch des Emil Streuli
(1858–1861)
Die bewegende Geschichte über die wilden New Yorker Lehrjahre des
Zürcher Seidenhändlers Emil Streuli basiert auf den 2000 Seiten seiner
täglichen Notizen. Ein einzigartiges kulturgeschichtliches Dokument
und ein wahrer Glücksfall dazu: Der heutige Hausherr des Herner Guts
hat die Aufzeichnungen zufällig gefunden, nachdem sie während Jahrzehnten unbeachtet im Haus gelegen haben.
René Bondt
Der Minister aus dem Bauernhaus
Handelsdiplomat Jean Hotz und seine
turbulente Zeit
«Treichler gelingt es, aus den Tagebüchern ein lesenswertes Stadtporträt zu gestalten. Dank den Illustrationen und Treichlers Beschreibungen wird die dynamische Handelsmetropole mehr als lebendig.»
Zürichsee-Zeitung
Hotz legte in den 40er Jahren die Basis für die bis heute dauernde wirtschaftliche Prosperität der Schweiz und zählte zu ihren profiliertesten Handelsdiplomaten. Das Land verdankt
ihm in den Kriegsjahren das wirtschaftliche Überleben. Diese Biografie würdigt die Leistung
von Hotz im Kontext der damaligen Schweiz.
304 Seiten / gebunden / Fr. 44.–* / € 34.–
320 Seiten / gebunden / Fr. 39.–* / € 30.–
«Die assoziationsreichen Essays lesen sich
leicht und lehrreich und bieten eine pointierte
Einführung in die Eigenheiten schweizerischer
Kultur und Geschichte. Selbst wer diese gut zu
kennen glaubt, erfährt Neues.»
Neue Zürcher Zeitung
Daniel Furrer
Ignaz Paul Vital Troxler
(1780–1866)
Der Mann mit Eigenschaften
Georg Kreis
Schweizer Erinnerungsorte
Aus dem Speicher der Swissness
Begriffe wie Rütli, Toblerone, Soldatenmesser, Wilhelm Tell oder Henri Guisan wecken in uns das
Gefühl von Heimat. Sie sind Mythen, historische Gemeinplätze, Referenzorte. Georg Kreis erkundet
die schweizerische Erinnerungslandschaft und präsentiert eine Auswahl solcher «Orte». Er erzählt
dazu ihre Geschichten und reflektiert, wie sie funktionieren. Die Sammlung stärkt das Bewusstsein
für das Phänomen der gesellschaftlichen Verständigung und des kollektiven Gedächtnisses.
Troxler sass als Arzt am Krankenbett
Krankenbet Beethovens. Als Philosoph war er
einer der Geburtshelfer der modernen Schweiz. Als Citoyen war er ein
eifriger Befürworter der Pressefreiheit. Furrers vielschichtiges Zeitpanorama stellt eine der schillerndsten und faszinierendsten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts vor, ohne die die heutige Schweiz ganz
anders aussähe. Daniel Furrer zeichnet nicht bloss das stürmische
Leben Troxlers nach, er liefert auch tiefe Einblicke in seine Aktivitäten
als Arzt, Journalist, Lehrer und Philosoph.
606 Seiten / gebunden / Fr. 58.–* / € 45.–
350 Seiten / Klappenbroschur / Fr. 44.–* / € 34.–
BESTELLUNG Bitte senden Sie mir mit Rechnung:
Ab Fr. 100.– erfolgt die Lieferung in der Schweiz portofrei
Ein Seidenhändler in New York
Fr. 44.–* / € 34.– / ISBN 978-3-03823-596-5
Der Minister aus dem Bauernhaus
Bondt / Fr. 39.–* / € 30.– / ISBN 978-3-03823-636-8
Schweizer Erinnerungsorte
Kreis / Fr. 44.–* / € 34.– / ISBN 978-3-03823-591-0
Ignaz Paul Vital Troxler
Furrer / Fr. 58.–* / € 45.– / ISBN 978-3-03823-603-0
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Inhalt
Schreibstube
Tessin – im Herbst
wie im Sommer
Adolf Muschg
(Seite 6).
Illustration von
André Carrilho
Durchquert man im Tessiner Onsernone­Tal den winzigen Friedhof
von Berzona – vom rostigen Eingangstor bis zur Umrandung vis­à­vis
sind es knapp ein Dutzend Schritte –, erblickt man direkt unter der
südlichen Stützmauer das Rustico von Max Frisch. Den legendären
Steintisch, die Bocciabahn, das leere Schwimmbecken: Heute wirkt das
sehr verlassen. Sieben Jahre hat Frisch hier an seiner Erzählung «Der
Mensch erscheint im Holozän» (1979) geschrieben. Vom tagelangen
Novemberregen, der auf das Blech «klöppelt» und das Tal im Matsch
versinken lässt. Vom verwitweten Herrn Geiser, seinem Alter Ego, der
durch den dichten Nebel stapft und sich ins Haus und ins Alleinsein
zurückzieht. Knapp zwanzig Jahre nach Frischs Tod erscheint nun eine
Biografie, die Leben und Werk des grossen Erzählers bildhaft miteinan­
der verknüpft und in die Aktualität holt (Seite 16).
Schweizer Autoren sind gut vertreten in dieser Nummer: Adolf Muschg,
Rolf Lappert, Hansjörg Schneider und Eveline Hasler. Letztere wohnt
ebenfalls im Tessin, nicht allzu weit von Frischs Refugium entfernt.
«BamS»­Redaktorin Geneviève Lüscher hat sie in Ronco sopra Ascona,
hoch über dem Lago Maggiore, besucht und mit ihr bei prächtigem
Wetter über ihr neues Werk gesprochen. Und die Frage gestellt, wie sie
es schafft, aus historischen Stoffen Bücher zu kreieren, die immer
wieder auf der Bestsellerliste landen (Seite 12). Urs Rauber
Belletristik
Kolumne
4
15 Charles Lewinsky
6
7
8
9
Rolf Lappert: Auf den Inseln des letzten Lichts
Jonathan Safran Foer: Tiere essen
David Foster Wallace: Am Beispiel des
Hummers
Karen Duve: Anständig essen. Ein
Selbstversuch
Von Regula Freuler
Adolf Muschg: Sax
Von Sandra Leis
Das Zitat von Jean Cocteau
Kurzkritiken Sachbuch
15 Jürgen Schefzyk, Wolfgang Zwickel: Judäa
und Jerusalem
Von Geneviève Lüscher
Karl Lüönd: Macht und Ehrlichkeit
Ian Buruma: Die drei Leben der Ri Koran
Von Urs Rauber
Hansjörg Schneider: Hunkeler und die Augen
des Ödipus
Von Kathrin Meier­Rust
Maile Meloy: Tochter einer Familie
Von Urs Rauber
Von Marli Feldvoss
Von Sacha Verna
Von Simone von Büren
Bernhard von Arx: Konfrontation
Fritz Schwarz: Wenn ich an meine Jugend
denke
DOMINIC BÜTTNER
Nr. 7 | 29. August 2010
Adolf Muschg Sax | Norbert Gstrein Die ganze Wahrheit | Eveline Hasler
Interview | Rolf Lappert, David Foster Wallace Plädoyer für Vegetarismus |
Max Frisch Die neue Biografie | Timothy Garton Ash Jahrhundertwende |
Weitere Rezensionen zu Alberto Moravia, Marie Curie, Nouriel Roubini,
Sigmund Freud und anderen | Charles Lewinsky Zitatenlese
Heinrich Kühn: Die vollkommene Fotografie
Sachbuch
Von Stefana Sabin
Doron Rabinovici: Andernorts
16 IngeborgGleichauf:Jetztnicht dieWut
verlieren
Schweizer Erfolgsautorin Eveline Hasler (Seiten 12–14).
Von Thomas David
18 Susanne Schmidt: Markt ohne Moral
24 Barbara Goldsmith: Marie Curie
Von Monika Burri
19 Timothy Garton Ash: Jahrhundertwende
25 Christopher Isherwood: Löwen und Schatten
Von Gerhard Mack
10 Norbert Gstrein: Die ganze Wahrheit
11 Alberto Moravia: Der Ungehorsam
Kurzkritiken Belletristik
11 Bänz Friedli: Ich pendle, also bin ich
Von Manfred Papst
Daniel Kehlmann: Lob. Über Literatur
Von Regula Freuler
Richard Yates: Ruhestörung
Von Regula Freuler
Dieter Forte: Tetralogie der Erinnerung
Von Manfred Papst
Interview
12 Eveline Hasler, Schriftstellerin
«Ich schreibe doch keine Romane!»
Von Geneviève Lüscher
Von Claudio Habicht
Von Gerd Kolbe
Von Urs Rauber
20 Nouriel Roubini, Stephen Mihm: Das Ende der
Weltwirtschaft und ihre Zukunft
Von Charlotte Jacquemart
21 Anna Seghers: Tage wie Staubsand
Von Manfred Koch
Max Kerner, Klaus Herbers: Die Päpstin
Johanna
Von Geneviève Lüscher
22 Gabriele Katz: Käthe Kruse
Von Irmgard Matthes
Eric Karpeles: Marcel Proust und die Gemälde
aus der Verlorenen Zeit
Von Kathrin Meier­Rust
Von Stefan Howald
Stefanie Bisping: Sygma. Die Macht der Bilder
Von Kathrin Meier­Rust
26 Kati Marton: Die Flucht der Genies
Von Zsuzsanna Kovacs
Das amerikanische Buch
S. C. Gwynne: Empire of the Summer Moon
Von Andreas Mink
Agenda
27 Orlando Vazau: Museo Fantastico
Von Manfred Papst
Von Gerhard Mack
Bestseller August 2010
Von Sabine Richebächer
Veranstaltungshinweise
23 Sigmund Freud: Unterdess halten wir
zusammen
Belletristik und Sachbuch
Agenda September 2010
Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier­Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.)
Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath,
Stefan Zweifel Produktion Eveline Roth, Hans Peter Hösli (Art­Director), Urs Schilliger (Bildredaktion), Monika Werth (Layout), Bettina Keller, Rita Pescatore, Benno Ziegler (Korrektorat)
Adresse NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich. Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E­Mail: [email protected]
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3
Belletristik
Ethik Gegner der Fleischindustrie erhalten illustre
Unterstützung: Namhafte Schriftsteller machen sich schreibend
für Tierschutz via Essverhalten stark
Das vegetarische
Manifest
Rolf Lappert: Auf den Inseln des
letzten Lichts. Roman. Hanser,
München 2010. 542 Seiten, Fr. 39.90.
Jonathan Safran Foer: Tiere essen.
Aus dem Amerikanischen von I. Bogdan,
I. Herzke, B. Jakobeit. Kiepenheuer &
Witsch, Köln 2010. 384 Seiten, Fr. 33.50.
David Foster Wallace: Am Beispiel des
Hummers. Essay. Aus dem
Amerikanischen von Marcus Ingendaay.
Ab November als TB bei Kiepenheuer &
Witsch, 64 Seiten, Fr. 12.50.
Karen Duve: Anständig essen.
Ein Selbstversuch. Galiani, Berlin. Ca.
280 Seiten, Fr. 31.90. Erscheint: Januar 2011.
heutzutage, unter vernünftigen Zeitge­
nossen nicht zuerst die Moral und erst
dann das Fressen kommen?
Dieser Frage gehen im Bücherherbst
gleich drei weitere Romanciers nach:
David Foster Wallace («Unendlicher
Spass»), mit dessen Freitod am 12. Sep­
tember 2008 die zeitgenössische ameri­
kanische Literatur eine ihrer interessan­
testen Stimmen verloren hat; der New
Yorker Jonathan Safran Foer, dessen
Débutroman «Alles ist erleuchtet»
(2002) überall gefeiert wurde; sowie
Rolf Lappert, der für «Nach Hause
schwimmen» 2008 den ersten Schwei­
zer Buchpreis erhalten hat.
Von Regula Freuler
Lebend ins Kochwasser
«Lebt es noch, oder isst du es schon?»
Die Frage, mit der Karen Duves neues
Buch angekündigt wird, lehnt sich an
den Werbeslogan des schwedischen
Einrichtungsriesen an. Das ergibt Sinn:
Bei beiden geht es um Massenproduk­
tion, bei Duve um jene von Lebensmit­
teln, bei Ikea um jene von Möbeln.
Die 1961 geborene deutsche Schrift­
stellerin und Tierfreundin Duve, deren
letztes Buch «Taxi» auf der Longlist des
Deutschen Buchpreises stand, hat sich
mit lakonischen Romanen und Erzäh­
lungen eine Fangemeinde geschaffen.
Jetzt schreibt sie ein Sachbuch, basie­
rend auf einem Selbstversuch: Jeweils
zwei Monate lang ernährt sich die Auto­
rin mit moralisch hohem Anspruch, das
heisst biologisch­organisch, vegetarisch,
vegan und zuletzt frutarisch. Das Ergeb­
nis werden wir erst im kommenden
Januar überprüfen können, wenn das
Buch erscheint. Doch ist bereits klar: Es
geht um Ethik. Um die Umkehr des
berühmten Brechtschen Zitats: Sollte
4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
Foster Wallace stellt im Kleinformat
jene Fragen, denen Foer als Rechercheur
in einem Sachbuch und Rolf Lappert in
einem faktenunterfütterten Roman
wortreicher nachgehen. Der Intellek­
tuelle besuchte vor einigen Jahren im
Auftrag der Zeitschrift «Gourmet» das
Maine Lobster Festival. Sein daraus ent­
standener Essay, «Am Beispiel des
Hummers», liest sich als Erkenntnis­
bericht wider Willen: Wallace ass gerne
Fleisch und auch Hummer. Doch als er
sah, wie am Festival während dreier
Tage Tausende Lobsters lebend in den
weltgrössten Hummerkessel wanderten,
begann er zu recherchieren.
Unterm Strich bleiben zwei Dinge,
die den Autor am meisten beschäftigen:
die Massenabfertigung beim Töten und
die Grausamkeit der Methode. Ist es
nicht «feige», das Tier einfach in einen
Topf zu werfen und Deckel drauf? Fos­
ter Wallace zog zwar naturwissenschaft­
liche Bücher bei, um etwas über das
Nervensystem der Hummer zu erfahren,
doch seine Argumentation ist eine phi­
losophische. Er kommt zum Schluss,
dass Hummer leiden und dass die Festi­
valbesucher nicht besser sind, als es die
Zirkusbesucher im antiken Rom waren.
Essen und Moral: Wer die Produktions­
umstände tierischer Lebensmittel kennt
und trotzdem weiterisst, kann kein guter
Mensch sein.
Ein Teller Sushi
Wie Foster Wallace gehört der 1975
geborene Jonathan Safran Foer zur geis­
teswissenschaftlichen Bildungselite der
USA, und der Erfolg seines Erstlings hat
ihm einen millionenschweren Buchver­
trag beschert.
Das sollte man sich vor Augen halten
bei der Lektüre seines persönlich mo­
tivierten Rechercheberichts «Tiere
essen», der mit vielen Zahlen ausgestat­
tet, trotzdem aber leicht lesbar ist. Denn
auch wenn Foer behauptet, dass Vegeta­
rismus die günstigste und dazu vollkom­
Mit vergleichbarer Leidenschaft, aber
anderen Mitteln schrieb der 1958 ge­
borene, in Irland lebende Schweizer
Schriftsteller
und
Drehbuchautor
(«Mannezimmer») Rolf Lappert sein
vegetarisches Manifest nieder: in bellet­
ristischer Prosa. Sein soeben erschiene­
ner neuer Roman «Auf den Inseln des
letzten Lichts» handelt vom irischen
Geschwisterpaar Megan und Tobey
O Flynn, das auf einem Bauernhof aufge­
wachsen ist. Megan wurde Tierschutz­
aktivistin, Tobey erfolgloser Musiker.
Das Buch spielt in drei Teilen: Zuerst
kommt die Suche Tobeys nach Megan,
deren Spur sich auf einer philippini­
schen Insel verloren hat; dann Tobeys
Kindheit und Jugend in Irland; am
Schluss Megans letzte Wochen auf der
Insel, die sie wegen einer Stiftung für
Primatenforschung aufgesucht hat.
KARL THOMAS / ALLOVER/SUPERBILD
Moral unter Klarsichthülle
men ausreichende Ernährungsweise sei,
stimmt dies nur, wenn man die Ökobi­
lanz ausser Acht lässt.
Foer geht es vor allem um die Grau­
samkeit der Massentierhaltung. Wes­
halb er in den USA keine andere Alter­
native zum Fleischkonsum sieht als den
Vegetarismus. Denn 99 Prozent aller
Landtiere, die in den USA gegessen wer­
den oder Milch und Eier produzieren, so
habe er ausgerechnet, würden auf diese
Weise gezüchtet. «Warum sollte sich
Essen von anderen ethischen Bereichen
unseres Lebens unterscheiden?», fragt
er im ersten Kapitel. Wie Foster Wallace
argumentiert Foer auch mit dem
Schmerz: Wer solchen bewusst zufüge,
sei es einem Menschen oder einem Tier,
handle unethisch.
Foer schreibt als Mensch, der daran
glaubt, mit Aufklärung und Vernunft
etwas zu bewirken. Und er schreibt
anschaulich: «Stellen Sie sich vor, man
serviert Ihnen einen Teller Sushi. Und
auf diesem Teller sind auch all die Tiere,
die für Ihre Portion Sushi getötet wur­
den. Der Teller müsste einen Durchmes­
ser von 1,50 Meter haben.» Wer noch nie
von «Beifang» gehört hat, wird nach der
Lektüre dieses Buches kaum mehr ohne
einen Anflug von schlechtem Gewissen
Sushi essen können.
«Tiere essen» hat in den USA bei
Erscheinen im vergangenen November
und jetzt auch bei uns ein grosses Echo
ausgelöst. Einem halbwegs gebildeten
Europäer von Foers Generation, die
bereits die ersten Umwelt­ und Tier­
schutzaktivisten als Lehrer hatte, erzählt
der Autor allerdings nicht viel Neues.
Weiss die Mehrheit der Europäer, um­
zingelt von Bio­Labeln im Supermarkt,
tatsächlich nicht, wie Massentierhal­
tung aussieht? Dass wir ihre Bilder
erfolgreich verdrängen, steht auf einem
anderen Blatt.
Der Anblick der
Massenabfertigung im
Geflügelschlachthaus
kann einem die Lust
aufs «Güggeli im
Chörbli» verderben.
Lappert selbst ist seit bald 20 Jahren
Vegetarier. Den Mut seiner Hauptfigur
Megan habe er zwar nicht, aber ähnliche
Ideen hätten ihm in seiner Jugend vorge­
schwebt, zum Beispiel Walfangschiffe
zu versenken. Megans Haltung wird vor
allem in den Briefen dargelegt, die sich
im ersten Teil des Buches kapitelweise
mit Tobeys Suche abwechseln. Es
kommt auch eine lange Passage vor, die
sich um die Umweltkatastrophe von
Bophal dreht. Des weiteren geht es um
die «böse» Pharmaindustrie, und Isla­
misten spielen auch eine Rolle.
Nun gibt es unzählige Autoren, die
ihren Lesern mehr oder weniger deut­
lich eine Moral vermitteln wollen. Doch
kommt es darauf an, wie die Moral ver­
packt ist. Bei Lappert ist die Verpackung
eine Klarsichthülle. Die Geschichte
selbst muss über weite Strecken als
Vehikel für die Wertvorstellungen des
Autors herhalten. Zwischendurch gelin­
gen Lappert poetische Sätze, etwa jener,
in dem nach einem Konzert Tobeys «die
Nacht dämmerungsgrau und bierwarm
auf einer Parkbank in den Tag gekippt
[war], dekoriert mit Tauben und Pen­
nern». Doch weitgehend vermisst man
das rasche Vorantreiben der Handlung,
die Lapperts letzten Roman auszeichne­
te. So wirkt «Auf den Inseln des letzten
Lichts» mit seinen seitenlangen Land­
schaftsbeschreibungen in erster Linie
langatmig. Die Briefe von Megan, einer
Vegetarierin, wie sie im Bilderbuch
steht, sind geprägt von Pathos und juve­
nilem Hang zum Absoluten, kombiniert
mit suizidaler Neigung.
Auch Tobey ist eine überzeichnete
Figur. Nur ein Beispiel: Er darf nicht ein­
fach trauern, sondern sein Autor lässt
ihn dazu in die Nacht brüllen, kreischen,
singen, beten, sich nackt ausziehen, sich
auf der Friedhofserde herumwälzen und
sich eingraben.
Immerhin verwickelt Lappert seine
Leser nicht in klassische Vegetarismus­
Dispute. Er arbeitet mit Abschreckung,
indem er Megan von grausamer Massen­
tierhaltung erzählen lässt. Ob er einem
damit die Lust aufs Fleischessen ver­
dirbt, sei dahingestellt. Sicher aber ver­
dirbt er einem die Lust aufs Lesen. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5
Belletristik
Roman In seinem neuen Opus erzählt Adolf Muschg die Geschichte eines Zürcher Geisterhauses
Verwirrende Einfälle – bis zum
bitteren Ende durchexerziert
Frau des Hauses aufsteigt, dieses zum
Schluss in Schutt und Asche legt und
dabei selbst umkommt. Die Anwälte
und ihre Entourage – dazu gehört auch
Sidonie, eine ehemalige Schauspiel­
schülerin, die als Tote das Amt einer
Bundesrätin anstrebt – werden allmäh­
lich zu Wiedergängern des Freiherrn
und seiner Zeitgenossen. Die Grenze
zwischen den Lebenden und den Toten
wird zusehends verwischt. Ja, es wird
sogar möglich, dass man den eigenen
Tod «jahrelang überlebt, ohne es zu
merken».
Eine schreckliche Vorstellung, doch
Muschg findet Gefallen daran und exer­
ziert sie durch bis zum bitteren Ende.
Auch will er, oh Pein, witzig sein – ins­
besondere in den Passagen rund um die
Bundesratswahl und in der Parodie auf
Christoph Blocher –, doch es fehlen dem
Autor Leichtigkeit und Esprit, um in der
politischen Satire Thomas Hürlimann
oder Urs Widmer das Wasser reichen zu
können. Muschgs Roman verkommt zur
Klamotte.
Adolf Muschg: Sax.
C. H. Beck, München 2010.
459 Seiten, Fr. 39.50.
Von Sandra Leis
Ein entspanntes Alter ist Adolf Muschg
genauso fremd wie dem Nichtschwim­
mer ein Sprung ins kühle Nass. Mit
«Kinderhochzeit», dem ebenso sprach­
mächtigen wie vor Erzähllust strot­
zenden, manchmal an der Stofffülle fast
erstickenden Roman von 2008, glaubte
manch einer, des Dichters spätes Opus
magnum in Händen zu halten. Doch
weit gefehlt: Muschg, heute 76 Jahre alt,
legt erneut nach und liefert nur zwei
Jahre später den nächsten Wälzer. Die
Zeit drängt, er will zum Schluss unbe­
dingt noch einen literarischen Triumph
und hat sogar den Verlag gewechselt.
Nach 35 Jahren Suhrkamp ist er jetzt bei
C. H. Beck – Gründe dafür gab es mehre­
re, das Fass zum Überlaufen gebracht
haben dürfte der Umstand, dass Suhr­
kamp in den Augen Muschgs zu wenig
für «Kinderhochzeit» getan hat.
Jetzt also soll alles gut werden, nur
taugt «Sax» leider so gar nicht zum Lob­
preisen. War «Kinderhochzeit» stofflich
zwar überorchestriert, stilistisch aber
von geschliffener Eleganz, so ist «Sax»
selbst bei mehrfacher Lektüre inhaltlich
verworren und sprachlich oft gestelzt
und seltsam spröd.
Deftige Sexszenen
Worum geht’s? Im Kern erzählt Muschg
die Geschichte des Hauses «Zum
Eisernen Zeit» in Münsterburg, und
zwar von 1970 bis 2013, angereichert mit
Rückblenden bis tief ins Mittelalter
zurück, wo das Haus dem titelgebenden
Johann Philipp Freiherr von Hohensax
gehört hat. Dieser Schweizer Adels­
mann lebte von 1550 bis 1596; seine
Mumie ist bis heute erhalten und zu
besichtigen in der reformierten Kirche
Sennwald (SG).
Wer ein wenig recherchiert, stösst
auch in Zürich auf ein Haus «Zum Ei­
sernen Zeit» samt schmiedeeiserner
Sonnenuhr an der Fassade, erfährt dann,
dass die Liegenschaft 1930 abgerissen
wurde und anders als im Roman nicht in
der Altstadt, sondern in Zürich­Unter­
strass zu finden war. Also Dichtung und
Wahrheit, wie es sich für den Gelehrten
Adolf Muschg gehört. Und dass mit
Münsterburg Zürich gemeint sein muss,
wird spätestens dann überdeutlich,
wenn im Roman von «Wasserfeld» und
«Herrenmünster» die Rede ist.
Vielversprechend ist Muschgs Ein­
stieg: 1970 erzählt der Besitzer des
Hauses, ein Briefmarkenhändler in
Geldnöten, seinem Rotarier­Freund,
6 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
PLAINPICTURE
Dichtung und Wahrheit
einem Privatbankier, die Gespenster­
geschichte seines Domizils. Anschau­
lich berichtet er vom Spuk, der die Fami­
lie regelrecht knebelte, von der Angst
und auch von der Scham, die seine
Eltern überkam. «Wie konnte man über
Unmögliches reden, ohne sich selbst un­
möglich zu machen?» Schliesslich rät
der Privatbankier zu sogenannten «Tro­
ckenwohnern», also Menschen, die das
Haus zu einem günstigen Mietzins
«ordentlich ausnüchtern». Wer das sein
könnte, weiss der schlaue Fuchs eben­
falls und empfiehlt seinen eigenen Sohn
mitsamt zwei Kollegen, die eine An­
waltskanzlei eröffnen.
Ob der Bankier gepetzt hat oder nicht
– die jungen Advokaten kommen der
Altlast des Hauses schnell auf die
Schliche und vertiefen sich in die Le­
bensgeschichte des Philipp von Hohen­
sax. Tatkräftige Hilfe leistet Marybel,
eine Stewardess, die als Sekretärin zur
Gestelzt und ambitiös:
In Adolf Muschgs
neuem Roman, der
in Münsterburg alias
Zürich spielt, geistern
viele Schatten herum.
Historisch verbürgt ist die Tatsache,
dass der Freiherr Philipp von Hohensax
im Besitz der berühmten Manessischen
Liederhandschrift war: Ob erworben
oder als Kriegsbeute ergattert, in seinem
Nachlass befand sich der umfang­
reichste Codex mittelalterlichen Minne­
sangs. Muschg wäre nicht Muschg,
würde ihn dieser Umstand nicht unge­
mein befeuern. Und so setzt er in sei­
nem Roman an zu einem munteren Lie­
besreigen, dass einem darob geradezu
schwindlig werden kann. Wer kopuliert
wie und wie oft mit wem? Die Mutter
mit dem Sohn, der Sohn mit der Gelieb­
ten des Vaters und der Vater mit der
Freundin des Sohnes, der Stiefvater mit
der Adoptivtochter, die Lehrtochter mit
dem Lehrmeister und so weiter und so
fort. Der Phantasie sind keinerlei Gren­
zen gesetzt, trotzdem ist Muschgs Spra­
che seltsam gespreizt. Da heisst es zum
Beispiel: «Die junge Frau war noch
keine Woche im Geschäft, da hielt sie
nach Dienstschluss (…) den Liliensten­
gel ihres Chefs in der Hand.» Oder: Die
Filipinas «waren so umfassend fromm,
dass sie zwischen einem Dildo und
einem Kruzifix nicht unterschieden».
Wer’s glaubt, wird selig, möchte man
entnervt ausrufen – die Krux dieses
Werks ist etwas anderes: Stofffülle und
Personenzahl sind derart immens, dass
sie dem Autor entgleiten. Es fehlt den
Figuren an Kontur und Charakter, und
die vielen kleinen, oft kruden Ge­
schichten zersplittern in ihre Bestand­
teile, anstatt sich zu einem Roman­
ganzen, ja vielleicht sogar zu einem Sinn
zu fügen. l
Roman Ian Buruma verknüpft die Biografie der Filmdiva
Ri Koran mit der Geschichte Japans
Ian Buruma: Die drei Leben der Ri Koran.
Aus dem Englischen von Barbara
Schaden. Hanser, München 2010.
382 Seiten, Fr. 43.70.
Von Marli Feldvoss
1940. Auf dem Höhepunkt des Japanisch­
Chinesischen Krieges eroberte ein Film
mit dem Titel «Chinesische Nächte» die
Herzen der japanischen Zuschauer,
während er die Chinesen verprellte.
«Chinesische Nächte» war eigentlich als
ein Geniestreich des japanischen Propa­
gandaapparats gedacht, der mit der sin­
genden Schauspielerin Ri Koran – auf
Chinesisch Li Xianglan – ein Talent ent­
deckt hatte, das flüssig Japanisch sowie
Mandarin sprach und dazu auserkoren
war, den Vormarsch der japanischen
Aggressoren ins chinesische Kernland
mit einer künstlerischen Identifikations­
figur zu versüssen.
Doch dann klatschte in «Chinesische
Nächte» die folgenreiche Ohrfeige ins
zarte Gesicht der «Chinesin», verab­
reicht von einem «Japaner». Ein grober
Fauxpas der Regie, der in China nie ver­
gessen wurde. Dennoch sollte die japa­
nische Nachtigall, die lange für eine Chi­
nesin gehalten wurde, zum grössten Star
Asiens aufsteigen. Doch das Spiel mit
den Identitäten sollte ihr Markenzei­
chen bleiben. Dass sie mit dem Namen
Yamaguchi Yoshiko und als Japanerin in
der Mandschurei auf die Welt gekom­
men war, war nur der Auftakt.
In der Nachkriegszeit kehrte sie in
Japan zu ihrem Mädchennamen zurück,
um sich in Amerika in eine Shirley
Yamaguchi und in Hongkong zurück in
Li Xianglan zu verwandeln. Aufsehen
erregte sie mit ihrem dritten Leben als
TV­Journalistin und mit Interviews mit
Kim Il Sung oder Leila Khaled, der
TWA­Flugzeugentführerin. Sie trat auch
als Fürsprecherin der Palästinenser auf.
Der kürzliche 90. Geburtstag der japa­
nischen Diva war in Asien ein Medien­
ereignis.
Der als China­ und Japankenner aus­
gewiesene holländische Publizist Ian
Buruma hat diese abenteuerliche Figur
ohne Zweifel als eine Herausforderung
begriffen und deren Biografie als Aus­
gangspunkt für einen gross angelegten
Epochenroman genutzt. Den turbu­
lenten Lebenslauf der Protagonistin hat
er deshalb auf drei sehr unterschied­
liche Erzähler verteilt, die noch ihre ei­
genen Biografien mit ins Spiel bringen.
Das postmoderne Puzzle sieht dann so
aus: Der Japaner Sato Daisuke ist Kultur­
agent im japanischen Satellitenstaat
Mandschukuo und Ri Korans Mentor
von Kindesbeinen an; der bei der Film­
zensur MacArthurs beschäftigte Ameri­
kaner Sidney Vanoven lernt den Star in
der Nachkriegszeit in Tokio kennen und
begleitet ihre Karriere in Amerika; der
Japaner Saro Kenkichi (später Mitglied
der Japanischen Roten Armee) erinnert
sich – aus einem libanesischen Gefäng­
nis heraus – an seine Mitarbeit bei der
TV­Sendung Yoshikos, die ihm später
Briefe ins Gefängnis schreibt.
«Die drei Leben der Ri Koran» ist ein
waghalsiges Erzählgebilde, das sich in
die unterschiedlichsten Lebenswege
KOBAL COLLECTION
Spiel mit asiatischen
Identitäten
Die drei Leben der
Ri Koran – hier als
Schauspielerin
Shirley Yamaguchi
in Hollywood – sind
Metaphern auf die
Entwicklung Japans
im 20. Jahrhundert.
und Geschichtsstränge einklinkt, dabei
einen Zeitraum von über siebzig Jahren
mit vorwiegend japanischer Geschichte
und Filmgeschichte bespielt, so dass die
Rückkehr zum roten Faden Ri Koran ge­
legentlich nur mit akrobatischem Ge­
schick zu bewältigen ist. Durch all die
Wechselbäder behält Ian Buruma je­
doch ein wichtiges Ziel vor Augen, das
man vielleicht «die japanische Seele»
nennen könnte. Er spielt virtuos und
kenntnisreich den Vermittler zu einem
Phänomen, das wir gern unter «Japa­
nisch» abhaken und womit wir unter
den Tisch kehren, was so ganz anders
und unerklärbar erscheint. Die «Chine­
sischen Nächte» und der japanische Ex­
pansionsdrang sind nur eine Facette
dieses Wesens, das sich nach Hiroshima
in eine vom Westen geprägte demokra­
tische Welt verabschieden musste. Und
trotzdem immer japanisch geblieben ist.
Der Roman «Die drei Leben der Ri
Koran» und seine exotische Protagonis­
tin sind deshalb nicht zuletzt als Meta­
pher auf die Entwicklung Japans im
20. Jahrhundert zu lesen. l
Kriminalroman Hansjörg Schneiders Basler Kommissär Hunkeler ermittelt wieder
Theaterdirektor verschwindet nach Skandal
Hansjörg Schneider: Hunkeler und die
Augen des Ödipus. Diogenes, Zürich 2010.
240 Seiten, Fr. 35.90.
Von Sacha Verna
Hunkeler ist selten so viel herumge­
hockt. Allerdings hat er dafür jetzt ja
auch offiziell Zeit. Kaum ist nämlich das
Verbrechen in Hansjörg Schneiders
achtem Krimi mit dem Basler Kommis­
sär geschehen, wird Hunkeler pensio­
niert. Nun könnte er sich getrost ohne
investigative Hintergedanken in der Rio
Bar oder dem Milchhüsli verlustieren.
Doch wie zu erwarten, gelingt ihm das
nicht. Der umstrittene Direktor des
Stadttheaters ist verschwunden, und
sein havariertes Hausboot wurde mit
Blutflecken auf dem Deck im Hafen
gefunden. Eine skandalöse Inszenierung
von Sophokles’ «König Ödipus» scheint
irgendetwas damit zu tun zu haben.
Ebenso plausibel ist aber ein Zusam­
menhang mit dem teilweise dubiosen
Milieu am Hafen, in dem sich der Mann
ausserhalb des Theaters bewegte.
Schneider erweist sich einmal mehr
als Meister der atmosphärischen De­
tails. Das ist entscheidend, zumal Hun­
kelers Ermittlungsmethode im Mittrin­
ken, Mitessen und Mithören besteht.
Schneider kreiert Roman für Roman
kleine Welten, zu denen er seinen Kom­
missär Zugang finden lässt. Es ist viel
interessanter, Hunkeler auf eine Brat­
wurst mit Rösti in die Aeschenstube
oder auf ein mitternächtliches Schnäps­
chen in die Wirtschaft zum Kiel zu be­
gleiten, als zu erfahren, wer der Böse­
wicht ist. Dies umso mehr, als die Unter­
schiede zwischen guten und bösen
Wichten in Krimis längst nicht mehr
klar erkennbar sind.
Natürlich ist Hunkeler eng verwandt
mit Georges Simenons Commissaire
Maigret und vor allem mit Friedrich
Glausers Wachtmeister Studer. Doch
hat Hansjörg Schneider mit seinem le­
bensfreudigen Pessimisten, mit diesem
Eigenbrötler, der von der Gesellschaft
nicht lassen kann, eine eigenständige
Figur geschaffen. Bleibt nur zu hoffen,
dass Hunkeler die investigativen Hinter­
gedanken beim Herumhocken im Ruhe­
stand auch weiterhin nicht loswird
loswird.. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 7
Belletristik
Roman Die US­Schriftstellerin Maile Meloy hat vor allem Kurzgeschichten geschrieben. Auch der
Roman «Tochter einer Familie» reiht skizzenhaft Figuren und Situationen aneinander
Wie eine gute Fernsehserie
Maile Meloy: Tochter einer Familie.
Aus dem Amerikanischen von
Ursula­Maria Mössner. Kein & Aber,
Zürich 2010. 384 Seiten, Fr. 34.90.
Von Simone von Büren
«Wenn ein Schriftsteller in eine Familie
hineingeboren wird, ist das das Ende der
Familie», zitiert die Amerikanerin Maile
Meloy in ihrem zweiten Roman den
polnischen Literatur­Nobelpreisträger
Czeslaw Milosz. Ihre junge Protagonis­
tin Abby bringt in «Tochter einer Fami­
lie» die kalifornische Verwandtschaft
ganz schön ins Schwitzen mit einem
Roman, in dem sie brisante Begebenhei­
ten aus deren Vergangenheit verwendet,
aber auch einiges dazuerfindet.
Abby schreibt ihren Roman während
ihres Anglistikstudiums, nachdem sie
ihren Vater durch einen Unfall verloren
und mit ihrem attraktiven jungen Onkel
Jamie heimlich eine sexuelle Beziehung
begonnen hat. Sie versucht ausserdem,
ihrer chaotisch narzisstischen Mutter
und einem verliebten älteren Dozenten
aus dem Weg zu gehen.
Teilweise autobiografisch
Während sie in ihrem schon bald ge­
feierten Roman mit Jamie, der sich dort
als ihr Cousin entpuppt, einen Sohn
namens T. J. bekommt und an Krebs
stirbt, lässt sie sich im echten Leben
doch auf eine Beziehung mit dem älte­
ren Dozenten ein, während Jamie sich
mit einer Ungarin liiert und ihren Sohn
T. J. adoptiert.
Wenn man nur das zweite Buch liest,
beschränkt sich die von der amerikani­
schen Kritik gelobte metafiktive Ebene
auf die banale Einsicht, dass Fiktion
Erste Farbfotografie Augenblicke für die Ewigkeit
nicht automatisch autobiografisch sein
muss. Die Figuren in Meloys Buch schei­
nen das allerdings erst gerade zu verste­
hen: Abbys Grossmutter fragt sich ent­
setzt, ob die Leser des Romans nicht
davon ausgehen, «dass alles real» war,
hat aber gleichzeitig Mühe mit der Lek­
türe, «weil ich immer wieder denke: So
war es nicht».
Wenn man Meloys noch nicht auf
Deutsch vorliegendes Début «Liars and
Saints» kennt, versteht man schnell,
dass dies eben der Roman ist, den Abby
in «Tochter einer Familie» schreibt.
Meloy knöpft sich also dieselben Figu­
ren in leicht veränderten Konstellatio­
nen und Entwicklungen erneut vor und
bewegt sich damit im Spannungsfeld
von Fiktion und Realität. Sie erweist
sich als scharfe Beobachterin der
menschlichen Vorliebe für kleine Fiktio­
nen, die den Umgang mit sich selbst und
der chaotischen Welt erleichtern.
Solche Fiktionen gibt es in der Fami­
lie, lange bevor Abby ihren folgen­
reichen Roman zu schreiben beginnt.
Die ichbezogenen, orientierungslosen
Santerres haben sich seit Jahrzehnten in
Lügen, Schuldgefühlen und Geheimnis­
sen verstrickt. Einige davon sind in
Therapien und Beichten aufgedeckt
worden, andere haben in ungesunder
Weise um sich gegriffen wie die Viren,
welche die Familie am Anfang und
Schluss des Romans heimsuchen. Wie­
der andere kommen durch Abbys Roman
ans Licht.
Sparsame Prosa
Hans flüstert seiner Schwester etwas ins Ohr, und
Edeltrude will nichts verpassen. Ein Schnappschuss,
denken wir, wie er jedes Familienalbum ziert. Heinrich Kühn hat die Aufnahme aus den Jahren 1912/13
jedoch bis zur Kleidung vorgeplant. Seine Kinder
waren in vielen Sitzungen zu geübten Schauspielern
geworden, die wussten, was der Vater erwartete. Die
frühen Farbaufnahmen sind Autochrome. Die schwierige Technik erforderte lange Belichtungszeiten. Bis
zu einer Stunde mussten die Modelle stillhalten. Der
impressionistische Effekt schafft eine Atmosphäre
des Schwebens, die der Dichter Hugo von Hofmannsthal als Merkmal der Epoche um 1900 bezeichnet
hat. Heinrich Kühn wollte damit die Fotografie der
8 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
Malerei annähern und wurde zwischen 1895 und
1915 zu einem Hauptvertreter des Piktorialismus.
Der Autodidakt aus gutbürgerlichem Hause hatte
Kontakt zu Gustav Klimt, stand mit Alfred Stieglitz in
regem Austausch und wurde international hochgeschätzt. Bald darauf dominierte die Neue Sachlichkeit, sein Werk galt als reaktionär und geriet in
Vergessenheit. Nach der Öffnung des Archivs gibt die
Monografie erstmals einen detaillierten Überblick
über diesen zentralen Vermittler zwischen 19. Jahrhundert und Moderne. Eine Entdeckung und ein
Augenschmaus zugleich. Gerhard Mack
Heinrich Kühn: Die vollkommene Fotografie. Hatje
Cantz, Ostfildern 2010. 280 Seiten, 281 Abb., Fr. 78.–.
Meloy hat vor allem mit ihren Kurzge­
schichtensammlungen «Half in Love»
(2002) und «Both Ways Is the Only Way
I Want It» (2009) auf sich aufmerksam
gemacht. Dem Roman «Tochter einer
Familie» merkt man ihre Erfahrung mit
der kurzen Form an: Die 37­jährige
Autorin versteht es, Figuren und Situa­
tionen mit wenigen entschiedenen Stri­
chen in zurückhaltend sparsamer Prosa
zu erfassen und grosse Themen wie
Homosexualität, Drogen, Adoption und
Inzest in wenigen Sätzen und mit küh­
lem Understatement einzuflechten. In
jedem Kapitel rückt sie eine andere
Figur ins Zentrum, wobei viele der
gegen dreissig Figuren – etwa ein schlau­
er französischer Anwalt oder der dro­
gensüchtige Ex­Jesuit und Geliebte von
Abbys Schwester – nur zwei, drei wir­
kungsvolle Auftritte haben.
Dadurch wirkt «Tochter einer Fami­
lie» ein wenig wie eine gut geschriebene
TV­Serie, welche durchaus amüsiert
und die Aufmerksamkeit des Lesers von
einer intensiven Episode zur andern zu
halten vermag.
Zu einem geschlossenen Ganzen fügt
sich der Roman dabei ebenso wenig wie
die Biografien seiner Protagonisten.
Und die realitätsverändernde literari­
sche Sprengkraft, die Abbys Buch zuge­
schrieben wird, sucht man in Meloys
unverfänglichen Skizzen vergeblich. l
Roman Zwischen Wien und Tel Aviv entfaltet sich eine rasante jüdische Familiengeschichte
Wenn ein Rabbiner
den Messias klonen will
Doron Rabinovici: Andernorts. Suhrkamp,
Berlin 2010. 286 Seiten, Fr. 30.50.
«Rabbi, sind Sie total meschugge?», fragt
Ethan Rosen einen ultraorthodoxen
Rabbiner. Die beiden unterhalten sich in
der Cafeteria des Spitals, in dem Ethans
kranker Vater liegt. Ethan, dessen Eltern
die Schoah überlebt haben, ist mit eigen­
willigen Theorien über die Schoah, über
die Notwendigkeit des Vergessens und
die Pflicht zur Erinnerung berühmt­
berüchtigt geworden und lehrt am
Soziologischen Institut in Wien. Der
Rabbiner behauptet, dass der Messias
gezeugt und in der Schoah umgebracht
wurde, und führt eine Bewegung an, die
gemäss neuester Gentechnologie den
ermordeten Messias wiedererschaffen
will. «Sie wollen den Messias klonen?
Wie Dolly, das Schaf?», fragt Ethan ver­
wundert. «Der Rabbiner frohlockte:
‹Sehen Sie, jetzt haben Sie es endlich
verstanden.›»
Tatsächlich findet der Rabbi, der den
Messias klonen will, in Ethan einen Ver­
bündeten wider Willen. Denn Ethans
Vater, so will der Rabbi mit kabbalisti­
schen Berechnungen festgestellt haben,
ist der einzige noch lebende Verwandte
des angeblichen Messias und damit die
genetische Quelle für das Klon­Projekt.
Um ihn am Leben zu halten und das
Klonen durchführen zu können, ver­
spricht der Rabbiner, für den alten
Rosen eine Spenderniere zu besorgen.
Lauter Überraschungen
So treffen der atheistisch­zynische
Soziologe und der ultraorthodoxe Rab­
biner eine verrückte Abmachung, die
nicht etwa das Happy End einer Kran­
kengeschichte oder die Auflösung einer
religiösen Sci­Fi­Geschichte ist, sondern
der Höhepunkt eines Familienromans.
Denn weil bei dem Gentest, dem sich
Ethan unterziehen muss, etwas anderes
herauskommt als erwartet, müssen Ver­
wandtschaftsverhältnisse neu geordnet
und Geheimnisse gelüftet werden.
Es stellt sich heraus, dass die Ehe sei­
ner Eltern anders verlaufen ist, als Ethan
zu wissen meinte; dass der väterliche
Freund, um den er trauert, ihm noch
näher stand, als er angenommen hatte;
dass die schöne Unbekannte, die er auf
dem Flug von Tel Aviv nach Wien ken­
nengelernt hat, nicht so unbekannt ist,
wie sie vorgetäuscht hat; dass sein Kon­
trahent am Wiener Institut sein Halb­
bruder ist; dass dieser Halbbruder viel­
mehr kein Halbbruder ist – und dann
wieder doch, aber ihr beider Vater ist
ein anderer, als es zuerst schien … Die
Familien­ und Beziehungsgefechte spit­
zen sich zu, ehe sie sich auflösen, denn
ALAMY
Von Stefana Sabin
Orthodoxe Juden in
Wien (1995), wo auch
der skurrile Roman
von Doron Rabinovici
spielt.
der Schriftsteller Doron Rabinovici
behält die Fäden in der Hand und zeich­
net seine Figuren alle mit gleicher Sorg­
falt. Die konsequent ironische Erzähl­
haltung erlaubt ihm, mit Eleganz erzäh­
lerisch zwischen Liebes­ und Familien­
geschichte und stilistisch zwischen
Tragikomik und Satire zu wechseln.
Rabinovici, der 1961 in Tel Aviv gebo­
ren wurde und seit 1964 in Wien lebt, ist
im deutschsprachigen Raum als Histori­
ker und Essayist ebenso renommiert wie
als Romancier. Wie in seinen früheren
Romanen kombiniert er auch im neuen
Werk «Andernorts» Kolportage und
Satire, Alltags­ und Schoahliteratur. So
wechselt der Ort des Geschehens zwi­
schen Europa und Israel, genauer: zwi­
schen Wien und Tel Aviv; Ethan Rosen,
die Hauptfigur, laviert zwischen der
israelischen Herkunft und einer west­
europäischen Erziehung einerseits und
zwischen dem Schoah­Trauma der
Eltern und der politisch korrekten Hal­
tung seiner Universitätskollegen ande­
rerseits.
Auch in diesem Buch macht Rabino­
vici die komplexe transkulturelle jüdi­
sche Identität zum Anker der Handlung.
Ethan ist ein postmoderner «Luft­
mensch», der sich intellektuell überall
zurechtfindet, immer gegen den Strom
schwimmt und emotional nirgends hei­
misch ist – der stets «andernorts» ist,
wie der Titel des Romans suggeriert:
«Überall und immer dagegen», hält ihm
einmal die Mutter vor. «In Paris die
Arbeit über Kolonialfilme, in Jerusalem
die Studie über Palästinenser in der
Literatur. In Tel Aviv die Vorträge über
diese muslimischen Ruinen. Den Öster­
reichern redest du vom Antisemitis­
mus, und in Chicago wolltest du unbe­
dingt den Kommunismus einführen.
Aber als Vater dich in die DDR mit­
nahm, musstest du ausgerechnet sowje­
tische Literatur einpacken.» Und der
Vater beschreibt seinen Sohn als ein
«verkehrtes Chamäleon», das sich sei­
ner Umgebung nicht anpasst, sondern
sich von ihr abhebt.
Satirische Vignetten
Tatsächlich ist es nicht die archetypi­
sche «jiddische Mamme», die Ethan
zusetzt, sondern der Vater, der nun, auf
dem Sterbebett, zum genetischen Vor­
fahren des Messias werden soll. Dass
dann das Klon­Projekt doch nicht
zustande kommt, versteht sich. Aber die
Diskussionen zwischen dem Rabbiner
und Ethan sind satirische Vignetten von
grossem Unterhaltungswert. Überhaupt
gelingen Rabinovici witzige Dialoge
genauso gut wie reflexive Passagen, ein­
fache Liebesszenen so gut wie surrealis­
tisch­komische Familienszenen. Und
dann lässt er doch noch alle sich mitein­
ander versöhnen und beendet seinen
Roman mit souveräner Leichtigkeit. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 9
Belletristik
Roman Norbert Gstrein entwirft das faszinierende Porträt einer Verlegerwitwe
Sie feiert den sterbenden Gatten
Norbert Gstrein: Die ganze Wahrheit.
Hanser, München 2010.
304 Seiten, Fr. 33.90.
Als Dagmar den Verlag zum ersten Mal
besucht, kann sie ihre Enttäuschung und
ihren Ekel kaum verbergen. Dagmars
Hochzeit mit dem Verleger Heinrich
Glück liegt inzwischen mehrere Monate
zurück; Glück hat bereits neue Zähne,
ein Trimmrad steht im Keller, sein Haar­
wuchs scheint wieder einzusetzen.
Nach der Umgestaltung der im noblen
Wiener Gemeindebezirk Hietzing gele­
genen Villa und der kaum weniger auf­
wendigen Renovierung Heinrich Glücks,
den sie zweimal die Woche zum
Schwimmen schickt, misst Dagmars
prüfender Blick auch die Unzulänglich­
keiten seines kleinen Verlags an ihren
hochgeschraubten Erwartungen.
Dagmar ist die Hauptfigur von Nor­
bert Gstreins neuem Roman. Der Ich­
Erzähler, der von Dagmar nur Wilfredo
genannte Lektor des bedeutungslosen,
in Österreich jedoch als nationale Insti­
tution geltenden Verlags, zeichnet das
faszinierende Porträt einer Frau, die
sich die Welt nach eigenen Vorstel­
lungen erschafft und die Realität einer
«inneren», von esoterischer Autosug­
gestion, von Ignoranz und Lüge verblen­
deten Wahrheit unterwirft. Der Mief
von altem Papier und verbrauchten Ge­
danken liegt in der Luft.
Hintergründiger Humor
Erst als Dagmars Blick auf ein Bild Ana­
bel Falkners fällt, sieht sie das Zeichen
vergangener und kommender Grösse
von Glücks Verlag: Falkner war die
Selbstmörderin unter den mädchen­
haften Lyrikerinnen, mit denen Glücks
längst von drittklassigen amerika­
nischen Bestsellern herabgewirtschaf­
teter Verlag seine frühen Erfolge feierte.
Dieses Zeichen verleiht Glücks trau­
riger Firma in Dagmars Augen den ge­
bührenden Glanz. Der glückselige Aus­
druck Falkners, die mit ausgebreiteten
Armen einen Hügel hinunterrennt, die
«mystische Verzückung ihres Gesichts»,
das starke «Leuchten der inneren Wahr­
heit», in dem Dagmar eine Seelen­
verwandte zu erkennen meint, bewirk­
ten in ihr eine bedeutungsschwere In­
itiation.
«Hauch mich an/ Ich bin ein Golem/
Ein Golem bin ich/ Kann nicht leben/
Kann nicht sterben/ Bin ein Engel/
Hauch mich an»: Die Figur der toten,
kaum in der Erinnerung präsenten Ana­
bel Falkner ist ein heimliches Zentrum
des Romans. Der Kitsch ihrer Gedichte
offenbart nicht nur Gstreins hintergrün­
digen Humor, der immer wieder aus der
Deckung eines zurückhaltenden Erzähl­
tones hervorschnellt. Er demaskiert
auch das hohle Pathos von Dagmars Be­
10 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
ISOLDE OHLBAUM
Von Thomas David
Vorlage für Gstreins
Roman: SuhrkampVerleger Siegfried
Unseld (2. v. l.) und
Gattin Ulla Berkéwicz
empfangen Kritiker
zu Hause in Frankfurt,
Oktober 1992.
wunderung für die Lyrikerin. Deren To­
dessehnsucht festigt in Dagmar den
Glauben, dass der Tod der Höhepunkt
des Lebens sei, und bewirkt schliesslich
auch den Schwulst, mit dem Dagmar
Heinrich Glücks Sterben feiert. «Die
Sterbe hat begonnen, Wilfredo», so Dag­
mar eines Tages zu Gstreins verblüfftem
Erzähler, der mit Glück eben noch
Tischtennis gespielt hat.
Dagmar hat trotz ihres mondänen
Auftretens «etwas Heimatfilmhaftes in
ihrem Aussehen», sie hat eine Vorliebe
für «zwielichtige Lokale» und mischt
unter den hohen Ton ihrer Privatkabba­
la gern den deftigen Jargon einer durch­
zechten Nacht. Sie verkündet: «Der En­
rique ist ein Jenseitsrabe.» Sie sagt:
«Der grosse Eulengott hat seinen Flug in
die Dunkelheit aufgenommen.» Die Ge­
schichte, die «Wilfredo» – der seinem
Chef treu ergebene Lektor – in Gstreins
Roman erzählt, setzt er dem als obszön
empfundenen, vom Irrlicht der «inne­
ren Wahrheit» beleuchteten Totenbuch
entgegen, das Dagmar nach Heinrich
Glücks Tod über das Sterben ihres
Mannes schreibt.
In seinem Roman erzählt Norbert
Gstrein mitreissend und raffiniert von
einem im Namen der «Wahrheit» ausge­
fochtenen literarischen Kampf, in dem
sich das wahre Leben des Heinrich
Glück letzten Endes jedoch dem Abso­
lutheitsanspruch und der Deutungs­
hoheit beider Kontrahenten entzieht.
«Wem gehört eine Geschichte?»,
könnte man fragen: In «Die ganze Wahr­
heit» schreibt der 1961 im österrei­
chischen Mils (Tirol) geborene Gstrein
jene Poetik der Skepsis fort, die bereits
in seiner 1988 erschienenen Erstlings­
erzählung «Einer» angelegt ist. Und er
treibt sein Vexierspiel konkurrierender
Wirklichkeiten, das er in den grossen
Romanen «Die englischen Jahre» (1999)
und «Das Handwerk des Tötens» (2003)
noch mit trockenem Ernst vollzogen hat,
auf die Spitze.
Ulla Berkéwicz im Visier
Gstrein inszeniert Heinrich Glücks Be­
erdigung als eine unvergessliche Szene,
in die sich die zur Arglist neigenden
Feuilletonisten, die das Buch des ehema­
ligen Suhrkamp­Autors Gstrein bereits
vor der Veröffentlichung als rachsüch­
tigen Schlüsselroman über die Verleger­
witwe Ulla Berkéwicz zu skandalisieren
versuchten, nahtlos neben die skurrilen,
teilweise lodenbemäntelten und mit
breitkrempigen Schlapphüten verse­
henen Trauergäste einfügen liessen. Er
zeigt Dagmar nach einem Besuch am
verschneiten Grab Anabel Falkners als
laszive Verführerin, die am Kotflügel
des Wagens lehnt und im Scheinwerfer­
licht des Gegenverkehrs eine Zigarette
raucht: Dagmar im Rauch und Nebel
ihrer exotischen Esoterik auf der gros­
sen Bühne ihres Illusionstheaters. Sol­
che und andere Posen entlarvt der Autor
mit Genuss.
«Man hat mir abgeraten, darüber zu
schreiben, und natürlich kenne ich Dag­
mar lange genug, um zu wissen, was
mich erwartet, wenn nur etwas von
dem, was ich über sie in die Welt setze,
anfechtbar ist»: Siegfried Unseld, an den
Norbert Gstreins Erzähler am Ende des
Romans erinnert, hätte den geistreichen
literarischen Witz, in dem «Die ganze
Wahrheit» erstrahlt, gewiss zu schätzen
gewusst. l
Novelle Alberto Moravia über den
Gefühlshaushalt eines Jugendlichen
Mütterliche
Verführerinen
Kurzkritiken Belletristik
Bänz Friedli: Ich pendle, also bin ich.
Kolumnen. Fotografien Alexander Egger.
Huber, Frauenfeld 2010. 264 Seiten, Fr. 29.90.
Daniel Kehlmann: Lob. Über Literatur.
Reden, Essays, Rezensionen. Rowohlt,
Hamburg 2010. 191 Seiten, Fr. 31.90.
Bevor der Berner und Wahlzürcher
Bänz Friedli mit seiner Kolumne für das
«Migros­Magazin» zum Hausmann der
Nation wurde, stellte er in der Gratiszei­
tung «20 Minuten» von 2000 bis 2004
jeden Donnerstag eine neue Pendler­
regel auf. 2009 kam es zu einem Revival.
Nun liegen alle Pendlertexte Friedlis in
einem querformatigen und deshalb in
kein Gestell, wohl aber in den Zeitungs­
ständer im kleinsten Raum der Woh­
nung passenden Band vor. Die mit Foto­
grafien illustrierten Texte haben sich
gut gehalten. Sie sind mit Witz und Biss,
aber auch Selbstironie geschrieben. Wer
immer hierzulande mit dem «Övau» un­
terwegs ist, wird viele Situationen wie­
dererkennen. Bänz Friedli, der die «NZZ
am Sonntag» mit fundierten Beiträgen
zu Blues, Pop und Rock bereichert, be­
herrscht die Kunst, für den Tag und
doch nicht nur für ihn zu schreiben.
Manfred Papst
Der 1975 geborene Daniel Kehlmann ist,
was man ein Wunderkind nennt. Im
Alter von 22 Jahren veröffentlichte er
den ersten Roman, mit «Die Vermes­
sung der Welt» gelang ihm 2005 ein
Bestseller: allein 1,5 Millionen verkaufte
deutsche Exemplare. Selbst wenn man
zur Minderheit der weniger begeisterten
Leser vom Romancier Kehlmann gehört,
windet man ihm als Autor von luziden
und stets griffig formulierten Essays
und Rezensionen gern ein Kränzchen.
«Lob» versammelt solche Texte, alle be­
reits in Publikationen wie «FAZ», «Zeit»
und anderen erschienen. Von Thomas
Bernhard über Stephen King bis Ham­
sun und Shakespeare – Kehlmanns Ge­
danken zu den Autoren sind ein Genuss.
Höhepunkt ist die Dankesrede zur Ver­
leihung des Kleist­Preises – keinen bes­
seren Beleg gäbe es dafür, wie sehr Kehl­
mann diesen verdient hatte.
Regula Freuler
Richard Yates: Ruhestörung. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube.
DVA, München 2010. 316 Seiten, Fr. 34.90.
Dieter Forte: Tetralogie der Erinnerung.
Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2010.
4 Bände in Kassette, 975 Seiten, Fr. 62.9o.
Alle paar Jahre gibt es sie: die Offenba­
rung in der Bücherflut. «Revolutionary
Road» von Richard Yates (1926–1992)
war so ein Buch – ein Meisterwerk der
60er Jahre, in der deutschen Literatur­
landschaft noch unbekannt. Seit der
Übersetzung 2002 bemüht sich der Ver­
lag, Yates’ Ruhm bei uns zu mehren.
Nach zwei Erzählbänden und zwei wei­
teren Romanen folgt nun ein wenig
empfehlenswertes Buch. Trinken, strei­
ten, weinen – das sind die Koordinaten
des amerikanischen Albtraums, dessen
Chronist Yates war. Sie sind es auch in
«Ruhestörung», das (wie fast alles von
Yates) nahe an der Autobiografie vor­
beischrammt. Zu nahe. Protagonist John
Wilder ist Werber, Trinker, verzweifelt.
Landet in der psychiatrischen Anstalt.
Versucht ein neues Leben ausserhalb
der Vorstadthölle, ohne Familie. Schei­
tert. Was sonst unerbittlich beobachtet
ist, wirkt hier larmoyant und langweilig.
Regula Freuler
Bis heute hat der 1935 in Düsseldorf ge­
borene Autor Dieter Forte, der seit lan­
gem in Basel lebt, als Erzähler nicht das
Echo gefunden, das er als Dramatiker
mit dem Welterfolg «Martin Luther und
Thomas Münzer…» (1970) hatte. Dass er
ein glänzender Prosaist ist, hat er indes
mit den Romanen «Das Muster» (1992),
«Tagundnachtgleiche» (1995), «In der
Erinnerung» (1998) und «Auf der ande­
ren Seite der Welt» (2004) bewiesen, die
nun erstmals als «Tetralogie der Erinne­
rung» im Taschenbuch vorliegen. Sie
bilden ein Familienepos, das vom Mit­
telalter bis in die 1950er Jahre reicht.
Forte hat ein Sensorium für historische
Entwicklungen und Widersprüche der
Zeit. Er kennt die Fabriken wie die Sana­
torien, die Parolen der Tüchtigen wie
die Zweifel der Untüchtigen und die
Sehnsüchte der Verliebten. Sein auto­
biografisch gefärbtes Epochen­Panora­
ma ist ein magistrales Werk.
Manfred Papst
Alberto Moravia: Der Ungehorsam. Aus
dem Italienischen von Lidia Winiewicz.
Wagenbach, Berlin 2010. 144 S., Fr. 17.50.
LOUIS MONIER / RUE DES ARCHIVES / SÜDDEUTSCHE ZEITUNG
Von Monika Burri
Nach der Rückkehr aus den Sommer­
ferien ist in der Welt des 15­jährigen
Luca nichts mehr wie zuvor. Plötzliche
Wutanfälle erschüttern ihn, ein finsteres
Unbehagen hat sich zwischen ihn und
seine Umgebung geschoben. Insbeson­
dere seine gutbürgerlichen Eltern, deren
Fürsorge ihn bis anhin so selbstver­
ständlich umhüllte, sind zu befremd­
lichen und besitzgierigen Existenzen
verblasst. Lucas Reizbarkeit schlägt um
in Resignation, und schliesslich macht
sich der zunehmend isolierte Knabe ein
Spiel daraus, seinen Ennui als gezielte
Gehorsamsverweigerung zu kultivieren.
Die existenzielle Langeweile gehört
zu den wiederkehrenden Themen in
Alberto Moravias (1907–1990) umfang­
reichem Werk, ebenso wie die Macht
und Machenschaften von Geld und Ero­
tik. Die Adoleszenz­Novelle «Der Unge­
horsam» aus dem Jahre 1947, nun in
einer überarbeiteten deutschen Aus­
gabe im Wagenbach­Verlag erschienen,
variiert diese Motivpalette und zeigt
den römischen Literaten auf der Höhe
seines Könnens: als eleganten und poin­
tensicheren Erzähler, als beharrlichen
Meister in der Sezierkunst subjektiver
Empfindungen.
Es sind mütterliche Verführerinnen,
die dem kranken und todessehnsüch­
tigen Luca zu neuer Lebenslust verhel­
fen. Eine Erzieherin, die mit einer lär­
menden Kinderschar vorübergehend ins
Haus einzieht, versprüht unbeküm­
mertes Lachen und frivole Sinnlichkeit.
Lucas Begehren entfacht sich gegen
seinen Willen, der erste Kuss
schmeckt wohlig und widrig
zugleich. Die Gabe der Liebes­
fähigkeit erreicht ihn dann in
den Händen einer Pflegerin,
einer reifen, vom Schicksal ge­
zeichneten Dame. Das klas­
sischkomponiertePsycho­
gramm einer jugend­
lichen Selbstfindung
lässt mitunter augen­
zwinkernden Situa­
tionswitz aufblitzen.
Leider kommt die
als Schlussbou­
quet montierte
Erweckung aus
Tunnelfahrt
und Gipfel­
verzückung
dann allzu
humorfrei
daher. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 11
Interview
Eveline Hasler hat viele historische Romane geschrieben. Dabei ist ihr
Faktentreue wichtig. Sie erfinde nur dort, wo Zeugnisse fehlen oder wo
sie den Zeitgeist wiedergebe. Interview: Geneviève Lüscher
«Ich schreibe doch
keine Romane!»
Bücher am Sonntag: Eveline Hasler, Sie schreiben
«historische Romane» und wehren sich gleichzeitig gegen diesen Begriff. Was stört Sie daran?
Eveline Hasler: Der historische Roman gilt als
trivial, was so einfältig ist, wie wenn man
Gedichte bloss als sentimentale Herzensergüs­
se bezeichnen würde. Natürlich gibt es triviale
historische Romane, aber man kann doch nicht
alle über den gleichen Leisten schlagen. Dieses
Genre ist sehr weit gefächert und hat sich
zudem in letzter Zeit stark verändert.
Inwiefern?
Die Veränderung zielt auf mehr Faktentreue,
sie wird immer wichtiger. Und das ist auch
genau das, was mich am historischen Roman
am meisten interessiert: die Wirklichkeit.
Die Fakten sind Ihnen wichtiger als die Fiktion?
Ja, unbedingt. Und deshalb habe ich mich auch
vehement dagegen gewehrt, dass auf dem Buch­
cover meines neuesten Werks wieder «Histori­
scher Roman» steht. Ich schreibe doch keine
Romane! Romane sind fiktiv von A bis Z. Und
wenn ich als Autorin drei Jahre lang Fakten
sammle, recherchiere, Archive besuche, Doku­
mente und Originalakten studiere, dann ist es
einfach nicht richtig, wenn auf dem Buch steht,
Eveline Hasler
Eveline Hasler (* 1933)
wächst in Glarus auf.
Nach dem Geschichtsund Psychologiestudium
und einigen Jahren als
Sekundarlehrerin zieht
sie mit Mann und
Kindern nach St. Gallen.
Es entstehen erste
literarische Texte. 1982
schafft sie mit der Hexe
Anna Göldin den Durchbruch. Heute sind zehn
historische Romane auf dem Markt, sie wurden
in viele Sprachen übersetzt und zum Teil verfilmt. Im Juli 2010 erschien bei Nagel & Kimche
«Und werde immer Ihr Freund sein» (221 Seiten,
Fr. 26.90), eine biografische Annäherung an die
Freundschaft zwischen Hermann Hesse, Emmy
Hennings und Hugo Ball. Eveline Hasler erhielt
für ihre Bücher mehrere Preise und Ehrungen.
Seit siebzehn Jahren lebt sie mit ihrem Mann im
Tessin, wo auch das neueste Buch spielt.
12 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
«Bei einem Buch, das im
18. Jahrhundert spielt, wo fast
keine Zeugnisse existieren,
gibt es nur wenige faktische
Inseln und viel Wasser, also
viel zu interpolieren.»
es sei ein Roman! Es war ein zäher Kampf gegen
den Verleger, aber ich habe ihn gewonnen.
Welches waren die Argumente des Verlegers?
Er befürchtet, dass meine Bücher ohne diese
Bezeichnung ins Regal für Sachbücher einge­
reiht werden und damit ihr Stammpublikum
verlieren. Sachbücher sind nun aber wieder
etwas ganz anderes.
Nun steht kein Genre auf dem Buchcover, man
müsste eine neue Bezeichnung für diese Art
Bücher finden.
Die alten Genrebezeichnungen sind heute ein­
fach nicht mehr zeitgemäss. Es gibt so viele
Überschneidungen, wieso muss man ein Buch
unbedingt in ein Korsett zwängen?
Tatsache ist aber, dass Sie auch «erfinden». Wo
nehmen Sie die Fiktion zu Hilfe?
Das kommt drauf an. Bei einem Buch, das im
18. Jahrhundert spielt, wo also fast keine Zeug­
nisse mehr existieren, da gibt es nur wenige
faktische Inseln und viel Wasser dazwischen,
also viel zu interpolieren. Im 20. Jahrhundert
hingegen, das äusserst gut dokumentiert ist,
braucht es nur wenig Fiktion, da kämpft man als
Schriftstellerin mehr mit der Fülle der Fakten.
Fiktion findet hauptsächlich dort statt, wo ich
versuche, dem Leser, der Leserin das Ambiente
einer Zeit näherzubringen, mit ihren Vibratio­
nen und Unterströmungen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
In meinem neuen Buch «Und werde immer Ihr
Freund sein» ist das der Beginn der Psycho­
analyse, die Anfang des 20. Jahrhunderts unter
Intellektuellen und Künstlern sehr wichtig war.
Das ist eine Tatsache. Ich weiss auch ziemlich
genau, was meine beiden Protagonisten, Her­
mann Hesse und Hugo Ball, über die Psycho­
analyse dachten, da gibt es genug Briefe dazu –
auch das sind Tatsachen. Nun kann ich die bei­
den ein fiktives Gespräch über die Psycho­
analyse führen lassen, das zwar erfunden ist,
aber meiner Meinung nach gut hätte stattfinden
können. Ich würde hingegen nie einen Lebens­
lauf verändern, nur damit er spektakulärer
würde oder besser in die Geschichte passte. Die
Wirklichkeit ist faszinierend genug!
Könnten Sie einen historischen Roman mit völlig
fiktivem Personal schreiben, also zum Beispiel
aus pharaonischer Zeit in Ägypten?
Nein, da hätte ich Mühe. Das grenzt für mich an
Fantasy­Literatur, «Harry Potter» und so …
Erfinden Sie für Ihre Geschichte auch fiktive
Figuren, oder sind immer alle Personen real? Zum
Beispiel in Ihrem neuen Buch?
Die dort aufgeführten Personen haben alle exis­
tiert. Auch im Umkreis von Dada war mir die
Nähe zu den Fakten sehr wichtig, das Zürich
von 1915 mit dem Armenarzt Fritz Brupbacher,
mit dem aus dem Val Vigezzo stammenden
Franz Jelmoli, seinem Warenhaus nach Pariser
Vorbild und seiner Freundschaft mit dem Sozi­
alreformer August Bebel. Im Buch über die Ber­
ner Patriziertochter Julie Bondeli, «Tells Toch­
ter», hingegen habe ich die Magd Ernestine
kreiert. Sicher hat das Kind eine Magd gehabt,
aber dass sie Ernestine hiess und Julies Lehrer
Henzi bewunderte, stand auf keinem Blatt;
diese Geschichte spielt aber im 18. Jahrhundert.
Haben Sie nie Angst, Ihre realen Figuren mit
Ihren eigenen Gedanken zu manipulieren?
Meine Annäherungen sind immer sehr vorsich­
tig. Heikel war zum Beispiel die Beschreibung
des Verhältnisses von Hermann Hesse zu sei­
ner zweiten Frau Ruth Wenger. Da wird jeder
Brief, jede Aussage gewendet und abgeklopft.
Ich untertreibe eher, als dass ich etwas aufbau­
schen würde. Hesse konnte ja Nähe nicht ertra­
gen. Die vom Delsberger Messerfabrikanten
Wenger, dem zukünftigen Schwiegervater, for­
cierte Eheschliessung wird zum Desaster. Das
mag am Lack von Hesse kratzen. Doch er hat im
«Steppenwolf» und in seinen Krisis­Gedichten
keinen Hehl aus seinen Untugenden gemacht.
Schwierige Aspekte sind Teil einer ganzheitli­
chen Sicht auf eine Figur. Schatten und Licht,
das gehört zu jedem Menschen.
Originalzitate sind in Ihren Büchern kursiv
gedruckt. Sind denn alle anderen Aussagen, welche die Personen machen, fiktiv?
Ja, Originalton zum Beispiel aus Briefen ist
jeweils kursiv. Wenn ich aber einen Satz aus
einem Brief umformulieren muss, ist er zwar
DOMINIC BÜTTNER
«Fiktion findet dort statt, wo ich versuche, dem Leser das Ambiente einer Zeit näherzubringen»: Autorin Eveline Hasler, 2010.
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 13
Interview
inhaltlich immer noch original, aber im Buch
erscheint das dann nicht kursiv.
Ende bedeutet nicht, dass das Leben sinnlos
war. Wir sterben alle einmal, und insofern gibt
es für niemanden ein Happy End. Auch ein ober­
flächlich gesehen «gescheitertes» Leben hat
einen Sinn, hinterlässt Spuren, die für andere
Menschen wichtig sind. Übrigens habe ich auch
über Frauen geschrieben, die nicht gescheitert
sind, zum Beispiel über Aline Valangin, die
friedlich mit 97 gestorben ist!
Warum boomen historische Romane?
Weil sie im besten Fall durch einen neuen Blick­
winkel, solide Recherchen und eine angepasste
Sprache eine Wirklichkeit erschliessen. Beim
Lesen hat man das Gefühl, etwas Wahres aus
einer Zeit zu erfahren, die längst vergangen ist.
Dennoch sind es keine langweiligen Sachbü­
cher oder unverständlichen Fachbücher. So hat
mein Buch über die erste Juristin Europas, die
Zürcherin Emily Kempin­Spyri grosse Aha­
Erlebnisse erzeugt, vor allem bei Männern.
Dabei wollte ich keineswegs ein feministisches
Buch schreiben. Diese Frau hatte Schwierigkei­
ten in einer männerdominierten Welt, von der
die Männer keine Ahnung haben. Mein Buch
lieferte ihnen reale Fakten eines Frauenlebens
und gleichzeitig die Spannung einer fiktiven
Geschichte – wird sie es schaffen oder nicht?
Bei einem fiktiven Roman würden die Leser
sagen: Alles erfunden, das stimmt doch nicht!
Als studierte Historikerin bürgen Sie für die Richtigkeit der dargestellten Fakten?
Ja, und ich bin stolz, dass mir von historischer
Seite noch nie ein fachlicher Vorwurf gemacht
wurde. Das bedeutet gründliche Recherchier­
arbeit, die im Übrigen von niemandem bezahlt
wird!
NACHLASS EMMY HENNINGS IM SLA, BERN
Was hat ein Leser davon, wenn er Ihr Buch liest?
Er könnte einfach die publizierten Briefwechsel
lesen und hätte alles im Originalton.
Ich liefere eine Einbettung in einen Gesamtzu­
sammenhang, eine Atmosphäre der Zeit, den
Hintergrund: Warum sagt oder schreibt ein
Protagonist dieses oder jenes? Was sind die
Zeitumstände, die persönliche Stimmung? Wo
und wie lebt er, was ist ihm gerade vorher
widerfahren? Der Leser, der ins Heute eingebet­
tet ist, kann sich von früheren Zeiten kaum eine
Vorstellung machen. Wir sind ja alle Gefangene
unserer Zeit. Meine Bücher erlauben es, in eine
vergangene Epoche hineinzuwachsen.
Protagonisten von Eveline Haslers neuem Buch: Emmy
Hennings und Hugo Ball, 1921 in Agnuzzo (TI).
«Ein schlechtes Lebensende
bedeutet nicht, dass alles
sinnlos war. Wir sterben
schliesslich alle einmal,
und insofern gibt es für
niemanden ein Happy End.»
drin in unserem Leben, haben aber nicht den
Überblick, können die Muster nicht sehen.
Haben Sie einen didaktischen Anspruch?
Eher nicht, nein. Das Wort didaktisch gefällt
mir nicht besonders, das klingt so systematisch.
Ich will niemanden belehren.
Sie schreiben mit Vorliebe über Frauen?
Nicht nur! Aber es ist interessanter, über das
Leben von Frauen zu recherchieren und zu
schreiben, weil ihnen eine starke, verborgene
Dynamik innewohnt. Zudem sind Frauenleben
noch wenig auf diese Weise schriftstellerisch
«verarbeitet» worden, als eigenständige Perso­
nen. Sie wurden dargestellt in Bezug auf Män­
ner, in ihrem sozialen Bezug als Geliebte, Müt­
ter, Gattinnen.
Dann ist vielleicht Unterhaltung das Wichtigste?
Nein, auch nicht. Das Wichtigste ist das Faszi­
nosum Mensch. Es sind Bücher über Menschen,
über das Leben. Menschen wollen über Men­
schen lesen. Das Leben anderer Menschen,
auch aus der Vergangenheit, kann uns etwas
über uns selbst sagen. Wir stehen zwar mitten
Oft scheitern Ihre Heldinnen. Warum?
Das gehört halt zum Leben. In Amerika zum
Beispiel, da ist die Übersetzung des Buchs «Die
Wachsflügelfrau» über Emily Kempin­Spyri
nicht gut aufgenommen worden, weil es kein
Happy End hat. Die Juristin endet bekanntlich
in der Nervenheilanstalt. Aber ein «schlechtes»
Sie haben auch Psychologie studiert. Hilft Ihnen
das beim Schreiben?
Ja, der psychologische Blickwinkel ist sehr
wichtig. Geschichte wird für mich erst span­
nend, wenn ich die psychologischen Hinter­
gründe erkennen kann. Der äussere Aufriss der
Geschichte, die blossen Fakten, das interessiert
mich nicht.
Wie kommen Sie zu Ihren Stoffen?
Diese Frage kann ich gar nicht richtig beant­
worten. Golo Mann hat bei einer Zürcher Buch­
händlerweihnacht einmal gesagt: «Nicht der
Autor kommt zum Stoff, sondern der Stoff
kommt zum Autor», und genau so denke ich
auch. Es hat etwas mit Resonanz zu tun. Man
muss irgendwie reif sein.
Haben Sie schon einmal mit einem Stoff angefangen und ihn dann wieder verworfen?
Nein, nie. Es hat mich jedes Mal so gepackt,
dass es mich durch alle Engpässe, die es natür­
lich gibt, getragen hat.
Haben die Orte in Ihren Büchern eine besondere
Bedeutung?
Ja, Orte sind aufgeladen mit Mythologie, mit
ihrer Geschichte. Ich bin überzeugt, dass gewis­
se Geschichten nur an gewissen Orten passie­
ren können.
Sie haben Ihre schriftstellerische Tätigkeit mit
Kinderbüchern begonnen. Wie sind Sie dann zum
historischen Roman gekommen?
Mit dem Stoff der Hexe Anna Göldin. Beim
Recherchieren wurde mir bewusst: Das ist eine
Geschichte, die ich Kindern nicht zumuten
kann, obwohl Hexengeschichten für Kinder fas­
zinierend sind. Das muss ich für Erwachsene
schreiben. Aber ich wollte nicht einfach eine
historische Geschichte erzählen, sondern eine
Brücke zur Gegenwart schlagen.
Wie nahe kommen Sie der Wirklichkeit?
So nahe wie möglich. Doch jedes Buch bleibt
immer nur eine Annäherung, mit diesem Wis­
sen schreibe ich. Personen müssen etwas von
ihrem Geheimnis behalten, so wie wir selber
immer nur einen Teil von uns kennen. l
Hunkelers neuer Fall:
Ein havariertes Hausboot auf dem Rhein.
Ein Theaterskandal.
Und ein paar alte Rechnungen.
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Kolumne
Charles Lewinskys Zitatenlese
GAËTAN BALLY / KEYSTONE
Stil ist die einfache
Art, komplizierte
Dinge auszudrücken.
Charles Lewinsky,
64, ist Schriftsteller,
Radio- und TV-Autor
und lebt in Frankreich.
Sein letztes Buch
«Doppelpass» ist
2009 bei Nagel &
Kimche erschienen.
Kurzkritiken Sachbuch
Jürgen Schefzyk, Wolfgang Zwickel
(Hrsg.): Judäa und Jerusalem. Bibelhaus,
Stuttgart 2010. 254 Seiten, Fr. 37.90.
Karl Lüönd: Macht und Ehrlichkeit.
Kolumnen aus dem Medienzirkus.
Rüegger, Zürich 2010. 229 Seiten, Fr. 28.–.
«Leben in römischer Zeit» heisst der
Untertitel des Buches. Gemeint sind die
Jahre zwischen der Priesterdynastie der
Hasmonäer in den letzten zwei Jahrhun­
derten v. Chr. und der Zerstörung Jeru­
salems im jüdischen Krieg durch die
Römer 70 n. Chr. Wie lebten damals die
Menschen im Land der Bibel, was tru­
gen sie am Leib, wie ernährten sie sich,
und wie wurden sie begraben? Das Buch
präsentiert anhand des reichen archäo­
logischen Fundus, hauptsächlich der bi­
blischen Orte Jerusalem, Judäa und
Masada, einen Einblick ins Alltagsleben
der zahlreichen religiösen Gruppierun­
gen, darunter auch der ersten Christen.
Von etlichen Fundorten wird sachlich
der neueste archäologische Forschungs­
stand referiert. Obwohl ursprünglich
ein Ausstellungskatalog, eignet sich das
reich mit Fotos, Grafiken und Karten il­
lustrierte Überblickswerk als Einstieg in
die reale Welt der Zeit Jesu.
Geneviève Lüscher
Lange Jahre sah man in ihm eine Art
Wildschwein des Boulevards: Blattma­
cher des «Blicks» und zwei Jahrzehnte
Chef der «Züri Woche» – spezialisiert
auf Busen, Büsi und Skandale. Dazu war
er ein Feindbild des Medienmainstreams
und der politischen Linken. Dann, 1999,
machte sich Karl Lüönd selbständig,
schrieb reihum für renommierte Blätter
und erhielt 2007 – wohlverdient – den
Zürcher Journalistenpreis für sein publi­
zistisches Lebenswerk. Der Vollblut­
schreiber mit dem träfen Witz und den
trockenen Pointen gilt heute als eine In­
stanz des unabhängigen Journalismus.
Der vorliegende Band enthält rund 60
wochenaktuelle, teils immer noch le­
senswerte Kommentare Lüönds aus den
letzten zehn Jahren. Das angehängte
Porträt aus der Feder des TA­Journalis­
ten Constantin Seibt hingegen, wiewohl
inhaltlich zutreffend, kommt etwas an­
biedernd daher.
Urs Rauber
Bernhard von Arx: Konfrontation.
Die Wahrheit über die Bourbaki-Legende.
NZZ Libro, Zürich 2010. 238 Seiten, Fr. 38.–.
Fritz Schwarz: Wenn ich an meine Jugend
denke. Erinnerungen. Synergia, Darmstadt
2010 (Neuauflage). 144 Seiten, Fr. 20.50.
Das Panorama in Luzern verankert die
Szene bis heute im helvetischen Kollek­
tivgedächtnis: der Übertritt von über
80 000 zerlumpten und halberfrorenen
französischen Soldaten der Bourbaki­
Armee in die Schweiz in den ersten, eis­
kalten Tagen des Februars 1871. Bern­
hard von Arx erzählt nun den politi­
schen Hintergrund zu diesem Ereignis,
insbesondere den Machtkampf zwi­
schen dem grosssprecherischen Bun­
desrat Emil Welti und dem redlichen
General Hans Herzog, beide Aargauer.
Im Stile sogenannter Faction – einer
ganz auf historischen Fakten basieren­
den Fiktion – gelingt es dem Autor vor­
züglich, aus dem spröden Material der
Bundesratssitzungen, Depeschen und
Rücktrittsgesuche, der fehlenden Kom­
panien und verspäteten Züge eine in
jeder Hinsicht «echte» Geschichte zu
schmieden.
Kathrin Meier-Rust
Vom Lehrer, Politiker und Publizisten
Fritz Schwarz (1887–1958) sind kurz nach
seinem Tod Lebenserinnerungen er­
schienen, die von seinen Nachkommen
nun neu aufgelegt werden. Sie führen
uns zurück ins Emmental am Ende des
19. Jahrhunderts. Fritz kommt als 15. Kind
einer bibeltreuen Bauernfamilie zur
Welt. Der aufgeweckte Bub geht gerne
zur Schule, liest alles, was ihm in die
Hände kommt. Der Autor schildert eine
Welt, die noch von Petroleumlampen er­
hellt wird, kein Radio und erst wenige
Autos kennt. Eine Zeit, in der man zu
Fuss vom Bernbiet an den Bodensee
wandert und Velozipedisten auf dem
Hochrad fahren. Vor dem Ersten Welt­
krieg schliesst sich Fritz den Absti­
nenzlern an, wird Sozialist. Bekannt
wurde er später als Freiwirtschaftler,
seine Schriften zur Zinsknechtschaft
indes sind kaum noch aktuell.
Urs Rauber
Jean Cocteau
Vielleicht werde ich es eines Tages
furchtbar bereuen. Vielleicht werde ich
mich jeden Tag ohrfeigen, weil ich
nicht mitgemacht habe. Vielleicht habe
ich gerade die Chance meines Lebens
verpasst. Und das nur, weil ich nicht
richtig Deutsch kann.
Denn es könnte ja sein, dass das
Buch, an dem ich mitarbeiten sollte, ein
riesiger Erfolg wird. Vielleicht schlägt
es alle Verkaufsrekorde von Zauber­
lehrlings­ und Vampirsagas. Obwohl
darin weder Zauberlehrlinge noch
Vampire vorkommen. Vermute ich. Das
ist ja eben mein Problem: Ich habe
nicht begriffen, um was es in diesem
Buch geht.
Es war so: Eine nette Professorin von
einer netten kanadischen Universität
lud mich per E­Mail dazu ein, einen
Text für eine Anthologie zu verfassen.
«Transkulturelle Begegnungen in den
Schweizer Literaturen des 21. Jahrhun­
derts» sollte sie heissen. Ein fetziger
Titel, zugegeben. Wer ihn liest, stürmt
zweifellos die Bücherregale und kauft
auch gleich noch ein Geschenkexem­
plar für die Erbtante. Nur ich werde
nichts davon haben. Weil ich zu blöd
war, diesen Titel zu verstehen. Ich gebe
es zu: Ich weiss nicht, was eine trans­
kulturelle Begegnung ist. Mea maxima
culpa.
Die nette Briefschreiberin hatte diese
konstitutive Blödheit wohl vorausge­
sehen und erklärte mir deshalb das
Thema der geplanten Anthologie noch
einmal in simplen Worten. Solchen,
die auch ein akademisch ungebildeter
Schriftsteller verstehen kann. «Die
Thematik», schrieb sie, «ist der Para­
digmawechsel von der multikulturellen
zur kulturell hybriden Schweizer Lite­
ratur.» Und schon wieder verstand ich
nur Bahnhof.
Bis mir dann klar wurde, dass ich das
Opfer einer Intrige geworden sein muss.
Dass ich ein kompletter Aussenseiter
bin. Das schwarze Schaf der Schweizer
Literatur. Denn ganz offensichtlich
haben alle anderen Autoren die Ein­
ladung verstanden. Schauen sich schon
mal nach Villen an der Goldküste um, die
sie mit den Tantiemen aus dieser Antho­
logie finanzieren werden. Haben sich
heimlich irgendwo getroffen (in Olten,
vermute ich) und beschlossen, ab sofort
ihr Paradigma zu wechseln. Nur mir hat
keiner was gesagt. Beim Nachtisch
haben sie dann noch in gemeinsamer
Arbeit die Literatur hybridisiert. Und ich
war nicht eingeladen. Kollegen können
ja so gemein sein!
PS: Unterdessen ist mir doch noch
klar geworden, was eine transkulturelle
Begegnung ist. Sie findet dann statt,
wenn jemand mit aku­
ter Fremdwortitis
einem noch nicht
Befallenen eine E­Mail
schickt.
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 15
Sachbuch
Klassiker Im Mai 2011 würde Max Frisch 100 Jahre alt. Eine neue
Biografie verknüpft romanhaft das Werk mit seinem Leben
Ingeborg Gleichauf: Jetzt nicht die Wut
verlieren. Max Frisch – eine Biografie.
Nagel & Kimche, Zürich 2010 (erhältlich
ab 6. September). 272 Seiten, Fr. 29.90.
Von Claudio Habicht
Max Frisch. Bei diesem Namen kommen
Erinnerungen und Emotionen hoch.
Denn Max Frisch, das ist Schullektüre.
Auf harten Stühlen brüten Jugendliche
über «Stiller» oder «Biedermann und
die Brandstifter», schauen sich viel­
leicht Volker Schlöndorffs Verfilmung
von «Homo faber» an. Danach ist oft
Schluss. Frisch hat Staub angesetzt,
seine Bücher interessieren nur noch
wenige. Wenn der Autor von Weltruf
heute Schlagzeilen macht, dann meist,
weil aus seinem Nachlass unveröffent­
lichte Manuskripte publiziert werden.
Jüngstes Beispiel: die intimen «Entwür­
fe zu einem dritten Tagebuch». Gegner
und Befürworter der Publikation haben
sich wochenlang zerfleischt – mit Lite­
ratur hat die Debatte wenig zu tun.
Max Frisch hat dasselbe Schicksal
erlitten wie so mancher Klassiker der
Moderne: Freiwillig lesen ihn nur noch
Liebhaber. Das könnte sich ändern – zu­
mindest vorübergehend. Nächstes Jahr
am 11. Mai wird Frischs hundertster Ge­
burtstag gefeiert. Bereits am 4. April
jährt sich zum zwanzigsten Mal sein To­
destag. Eine Flut von Publikationen ist
zu erwarten. In diesen Tagen erscheint
das erste Jubiläumswerk: eine Biografie
aus der Feder der deutschen Germanis­
tin Ingeborg Gleichauf.
Die Messlatte ist hoch angesetzt.
Frisch­Experten warten seit Jahren auf
ein biografisches Standardwerk. Diesen
Anspruch kann Gleichauf nicht einlö­
sen. Das will sie aber auch nicht. Sie hat
eine solide, einfach verständliche Bio­
grafie für Interessierte und Laien ver­
fasst. Also keine neu entdeckten Werke
16 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
oder bislang unbekannte Frauenge­
schichten. Die Wissenschaftlichkeit lei­
det nicht darunter: Fleissig hat die Auto­
rin Frischs Werk gelesen, Sekundärlite­
ratur konsultiert, lebende Bekannte von
Frisch getroffen. Was ihr Buch so lesens­
wert macht, ist die romanhafte Schreibe,
mit der sie den trockenen Fakten Leben
einhaucht. Gleichauf berichtet von Max
Frisch (den sie persönlich nie getroffen
hat) wie von einem alten Freund, ver­
webt sein Leben zu einer spannenden
Erzählung – das umfangreiche Werkre­
gister erlaubt es zudem, in den Origi­
nalen nachzublättern und so Frisch neu
zu entdecken. Einziger Wermutstropfen:
Gleichaufs Ausführungen sind manch­
mal ein wenig zu plauderhaft.
Die Existenz als Bürger lockt
Geboren wird der kleine Max, Maxli
oder Mägi am 15. Mai 1911 in Zürich. «Ein
Kind wie jedes andere», schreibt Gleich­
auf. Im Gymnasium lernt er das Theater
kennen und ist fasziniert, weil auf der
Bühne immer wieder neu beginnen
kann, was im Leben unwiederholbar ist.
In Frischs jugendlichem Theaterinteres­
se macht Gleichauf bereits die grossen
Themen des künftigen Schriftstellers
aus: Aufbruch und Neuanfang. 1932
stirbt sein Vater, Frisch muss sich wäh­
rend des Germanistikstudiums als Jour­
nalist über Wasser halten. Nebenbei ver­
sucht er sich als Schriftsteller. Nach
einigen Jahren intensiven Schreibens
verbrennt Frisch jedoch alles bisher
Verfasste, aus Furcht vor der Bodenlo­
sigkeit des Literatendaseins.
Den jungen Frisch lockt die bürger­
liche Existenz. Vor dem Ausbruch des
Zweiten Weltkriegs beginnt er ein Ar­
chitekturstudium an der ETH Zürich.
«Er möchte ein Bürger unter Bürgern
sein, ein Mensch unter Mitmenschen»,
schreibt Gleichauf. 1942 – nach Aktiv­
dienst und Studienabschluss – heiratet
er Constanze von Meyenburg und grün­
FERNAND RAUSSER / KEYSTONE
Max Frisch
neues Leben
eingehaucht
det eine Familie. Er hofft, dass ihn dieser
Schritt von seiner «unfruchtbaren Ego­
zentrik» löst. Das Schreiben gibt er je­
doch nie ganz auf. Die Folge: «Er lebt
bürgerlich und unangepasst, gehört
dazu und ist Aussenseiter.» Diese Dop­
pelrolle birgt Zündstoff. 1954 verlässt
Frisch Frau und Kinder und wendet sich
ganz dem Schreiben zu.
Der Drang nach Geborgenheit beglei­
tet Frisch auch nach der Lossagung vom
geordneten Leben. 1958 lernt er die
Schriftstellerin Ingeborg Bachmann
kennen und zieht mit ihr zusammen;
seinen Heiratsantrag lehnt sie allerdings
ab. Gleichauf resümiert, dass sich
Frischs Widersprüche nirgends so deut­
lich zeigen wie in der Beziehung zu
Bachmann. «Der Unbehauste, der
immer auf der Suche ist nach einem
Haus, der Häusliche, der die Unbehaust­
heit braucht.» Nach einigen Jahren tren­
nen sie sich. Auf Bachmann folgt die
junge Studentin Marianne Oellers. Sie
heiraten, bleiben viele Jahre zusammen;
1979 lassen sie sich scheiden. Alice
Locke­Carey heisst seine nächste Part­
nerin – auch diese Beziehung hält nicht.
Die letzte Frau an seiner Seite ist Karin
Pilliod, sie bleibt bis zu seinem Tod am
4. April 1991 bei ihm. Frischs Bezie­
hungen zeigen exemplarisch die Zerris­
senheit und Rastlosigkeit, die auch seine
Werke prägen. Immer geht es um exis­
tenzielle Fragen, den Kampf zwischen
Alltäglichem und Freiheitsdurst, die Ge­
schlechterthematik.
Nerv der Zeit getroffen
Der Durchbruch zum anerkannten
Autor gelingt Frisch mit dem Kriegs­
stück «Nun singen sie wieder», das 1945
Premiere hat. In den 50er Jahren avan­
ciert Frisch zu einem der wichtigsten
Romanautoren der Zeit: Mit «Stiller»
(1954) trifft er den Nerv der Zeit – die
Max Frisch, 69-jährig,
in seinem Haus in
Berzona im Tessin, wo
er sein Bedürfnis nach
einem Zuhause eine
Zeitlang befriedigen
konnte (1980).
Geschichte des Künstlers Anatol Stiller,
der seine Identität verleugnet und noch
einmal von vorne anfangen will, ver­
deutlicht die Rollenhaftigkeit des Da­
seins. Auch in «Homo faber» (1957) und
«Mein Name sei Gantenbein» (1964)
fragt sich Frisch, wie man der Unaus­
weichlichkeit des eigenen Ichs entgehen
kann. Frisch «probiert Geschichten an»,
die sein Leben sein könnten, schreibt
Gleichauf. Auch seine drei Tagebücher,
die viel Persönliches offenbaren, und
«Montauk» (1975), eine Mischung von
Autobiografie und Biografie, schreibt
Frisch unter der Maxime «Schreiben
heisst: sich selber lesen».
Frisch vergisst dabei die Welt um sich
herum nicht. Mit dem Alter äussert er
sich verstärkt politisch und gesellschaft­
lich. Seine Hauptkritik gilt dabei der
Schweiz. Frisch, der «patriotische Welt­
bürger», schreibt gegen Überfremdungs­
ängste an, die Armee, die Abschottung
nach aussen, die Verklärung der eigenen
Geschichte, den träge machenden Wohl­
stand – und nicht zuletzt gegen die Uto­
pielosigkeit der Schweizer Gesellschaft.
Schreiben ist für ihn auch Gegenposi­
tion zur Macht. 1971 erscheint sein sub­
versiver «Willhelm Tell für die Schule»
und provoziert heftige Reaktionen. Es
folgt das «Dienstbüchlein» (1974), in
dem er seine Aktivdienstzeit kritisch
hinterfragt. Die Armee begleitet ihn bis
kurz vor seinem Tod: 1989 – die Schweiz
begeht die Diamantfeier und stimmt
über die Abschaffung der Armee ab – er­
scheint der Dialog «Schweiz ohne
Armee? Ein Palaver». Dann der Schock:
Bereits schwer erkrankt erfährt Frisch
1990, dass er jahrzehntelang fichiert
wurde. «Die Primitivität dessen, was
Frischs Heimatland sich hier geleistet
hat, ist nicht zu überbieten», schreibt
Gleichauf. Kurze Zeit später stirbt Max
Frisch in seiner Wohnung in Zürich. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 17
Sachbuch
Weltwirtschaft Helmut Schmidts Tochter Susanne
arbeitete 20 Jahre in Londoner Geschäftsbanken. Nun
liefert sie einen profunden Einblick in die Finanzelite
Susanne Schmidt: Markt ohne Moral.
Das Versagen der internationalen
Finanzelite. Droemer, München 2010.
208 Seiten, Fr. 33.50.
Von Gerd Kolbe
Altbundeskanzler Helmut Schmidts
Tochter Susanne ist ihrem Vater gefolgt
und unter die Buchautoren gegangen. 30
Jahre Londoner City, davon 20 Jahre bei
verschiedenen Banken, 10 Jahre als Fern­
sehmoderatorin beim deutschsprachi­
gen Fernsehkanal des Finanzdienstleis­
ters Bloomberg, sind an ihr nicht spur­
los vorübergegangen. Sie kennt den
Bankensektor in­ und auswendig. Ihre
Schilderung der Vorgänge, die 2008 zur
weltweiten Finanzkrise führten, basie­
ren auf eigenem Erleben und sind gera­
de deshalb für jedermann verständlich.
Nach London war die 1947 geborene
Ökonomin unfreiwillig gekommen.
Deutschland litt unter dem Terror der
Rote­Armee­Fraktion. Auch Susanne
Schmidt konnte nicht ohne Personen­
schutz über die Strasse. Deutsche Kre­
ditinstitute wollten sie allenfalls im
Backoffice beschäftigen. Sie aber dräng­
te ins Kundengeschäft. Dies ging aber
nur in London. Margaret Thatcher war
gerade erst ins Amt gekommen. Noch
war die gute alte Bankenwelt heil. Die
Männer – und nur sie zählten in der
City – spazierten noch mit Bowler und
Regenschirm umher. Der ausgedehnte
Lunch war ein gepflegtes Statussymbol.
Doch dann traten an die Stelle der Ban­
kiers aus traditionsreicher Familie stark
gewinnorientierte Investmentbanker.
Die Mittagspause wurde durch
abendliche Alkohol­ und Drogenexzesse
ersetzt. So Susanne Schmidt zur Einfüh­
rung. Wer undifferenzierte Kritik erwar­
tet, wird enttäuscht.
So nimmt Schmidt die in Deutschland
als
Heuschrecken
verunglimpften
Hedgefonds in Schutz. Nicht sie hätten
die Katastrophe zu verantworten, son­
dern regulierte Banken und auch Versi­
cherungen, die sich die desaströsen Ge­
schäftsmodelle mit ihren Derivaten und
Verbriefungen ausdachten. Die wahren
Heuschrecken seien die Private­Equity­
Gesellschaften.
Als einen der Hauptschuldigen be­
nennt Schmidt den langjährigen US­
Notenbankpräsidenten Alan Greenspan,
weil dieser doch die hohe Liquidität für
die waghalsigen Geschäfte der Banker
erst schuf.
Das Versagen der Aufsichtsbehörden
kommt zur Sprache und die Interessen­
konflikte der Ratingagenturen. Die Wur­
zel allen Übels sieht Schmidt in den
Unternehmen, die zu gross zum Schei­
tern sind. Ihnen habe der Staat und mit
ihm der Steuerzahler bisher jegliches
Risiko abgenommen. Immer nach dem
Motto: «Gewinne werden privatwirt­
schaftlich vereinnahmt, Verluste auf die
Gesellschaft als Ganzes verteilt.» Die
Manager kassierten ihre Boni, lange
bevor erwiesen sei, dass sich das üppig
honorierte Geschäft für die Bank auch
gelohnt habe.
Damit einher gehen laut Susanne
Schmidt der moralische Verfall des
Bankgewerbes, die Spielermentalität be­
gabter Mathematiker, der tägliche Exis­
tenzkampf und das Herdenverhalten.
Die Autorin schildert, wie ihre Kollegen
sich als Hacker betätigten, um Analysen
aus ihrem Computer zu klauen. Oft
waren gewissenhafte Recherchen bei
FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG / J.H. DARCHINGER
Als aus Bankiers
Banker wurden
Susanne Schmidt mit
ihrem Vater Helmut
am Flughafen Köln/
Bonn, Juli 1973.
Die Biografie einer unkonventionellen Frau, deren
wohlgeordnetes Leben im Luzerner hinterland der
1940er Jahre aus den Fugen gerät.
den Chefs gar nicht gefragt. Als ihre Pro­
gnose von der bevorstehenden Zah­
lungsunfähigkeit Russlands tatsächlich
eintrat, stand Susanne Schmidt schon
seit zwei Wochen auf der Strasse.
Niemand braucht sich bei der Lektüre
des Buches vor unverständlichen Fach­
ausdrücken zu fürchten. Sie werden in
einem Glossar sachkundig erläutert.
Fast ist der Autorin ein Nachschlage­
werk gelungen.
Jedenfalls bietet es profunde Einbli­
cke in die Finanzwelt. Die Banker ohne
Moral und ethische Orientierung aller­
dings werden sich vermutlich wie so oft
in letzter Zeit gar nicht erst angespro­
chen fühlen. Schade. l
Andrea Blunschi
Die Frau des Dorfarztes
und der Wehrmachtoffizier
Eine Spurensuche
Chronos
seit 25 Jahren
Bücher
zur Zeit
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Andrea Blunschi
Die Frau des Dorfarztes
und der Wehrmachtoffizier
Eine Spurensuche
2010. 224 S. 70 Abb. Geb. CHF 32
18 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
Chronos Verlag
Eisengasse 9
8008 Zürich
www.chronos-verlag.ch
[email protected]
Zeitgeschichte Der englische Historiker Timothy Garton Ash legt brillante Essays zum ersten
Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vor – ein Stück ästhetische Geschichtsschreibung
Mit dem Notizblock vor Ort
Timothy Garton Ash: Jahrhundertwende.
Weltpolitische Betrachtungen 2000–
2010. Hanser, München 2010 (erhältlich
ab 6. September). 496 Seiten, Fr. 38.90.
Timothy Garton Ash (55) gehört zu den
Geisteswissenschaftern, die solides
Handwerk mit einer brillanten Sprache
verbinden. Der britische Historiker lei­
tet das European Studies Centre am
St Antony’s College in Oxford und ist
Senior Fellow an der Hoover Institution
der Stanford University (Kalifornien).
Der Chronist der Revolutionen von 1989
– auf Deutsch sind von ihm u. a. erschie­
nen «Ein Jahrhundert wird abgewählt»
(1990) und «Zeit der Freiheit» (1999) –
kombiniert analytischen Scharfsinn mit
gestalterischer Kraft zur packenden
Geschichtsdarstellung.
Auch sein neuestes Werk ist Storytel­
ling in diesem typisch angelsächsischen
Sinne: eine Sammlung von 50 Aufsätzen,
Vorlesungen und Essays aus den Jahren
1999 bis 2010, die meisten erstmals in
der «New York Review of Books» oder
im englischen «Guardian» erschienen.
Natürlich kommt es bei einer solchen
Kompilation zu Überschneidungen und
Wiederholungen. Manche aus der Aktu­
alität heraus entstandenen Texte wer­
den mit nachträglichen Korrekturen
versehen, ab und zu wird ein Irrtum ein­
geräumt oder ein Akzent verschoben.
Das verleiht den Texten Authentizität:
Man blickt dem Autor gleichsam über
die Schultern und verfolgt das allmähli­
che Entstehen der Erkenntnisse.
Stringente Methodik
Die erste Dekade des 21. Jahrhunderts
beginnt für Ash mit dem 11. September
2001, als George W. Bush eine neue Ära
verkündet, den «globalen Krieg gegen
den Terror», und endet mit der Weltfi­
nanzkrise und Barack Obamas Wahlsieg
am 4. November 2008. Die Wahlnacht
erlebt der Autor live in Washington DC.
Damit ist auch ein wesentliches Merk­
mal von Ashs Geschichtsmethodik an­
gesprochen. Seine Arbeiten entstehen
in einem dreiteiligen Zyklus von Recher­
che, Lokaltermin und Reflexion.
«In der Anfangsphase zapfe ich die
Quellen meiner beiden Universitäten
Oxford und Stanford an: ihre ausserge­
wöhnlichen Bibliotheken, ihre Spezia­
listen auf allen Gebieten und Studenten
aus allen Weltgegenden. So verfüge ich,
noch bevor ich einen Fuss vor die Tür
setze, über ein Konvolut von Notizen,
kommentiertem Material und Einfüh­
rungen zum Thema.» In der zweiten
Phase mutiert der Historiker zum Jour­
nalisten, reist an den Ort des Gesche­
hens und arbeitet mit geöffnetem Notiz­
buch, indem er alle möglichen Leute
befragt. Die letzte Phase zu Hause im
DOUG MILLS / AP
Von Urs Rauber
Arbeitszimmer ist der Reflexion und
dem Schreiben gewidmet. Nur so könne
Geschichte der Gegenwart betrieben
werden, schreibt Timothy Garton Ash,
dieses «Zwittergewerbe zwischen Wis­
senschaft und Journalismus».
Die Texte sind aus liberaler britischer
und zugleich europäischer Position
geschrieben. Ash sieht die EU als einen
«Baustein für die freie Welt», nicht als
Selbstzweck. Klug beschreibt er das
politische Potenzial Kanadas, das ein
«perfektes EU­Mitglied» wäre. Atmo­
sphärisch dicht und ironisch dagegen
schildert er einen Besuch im «Pseudo­
staat» Transnistrien. Fesselnd erzählt er
von seiner Begegnung mit George W.
Bush, der ihn mit weiteren Experten zu
einem Briefing für seine erste Europa­
reise ins Weisse Haus eingeladen hat.
Aufschlussreich sind die Reportagen
über Länder wie Iran, Brasilien, Ägyp­
ten oder Burma («Die Schöne und das
Biest»). Sie stellen eine Mischung aus
anschaulich geschriebenen Features
und kenntnisreichen Analysen dar.
Ein publizistisches Meisterstück ist
Timothy Garton Ashs Essay über den
Antieuropäismus in den USA. Gleich­
sam als Spiegelbild des Antiamerikanis­
mus, der seit 1967 in der europäischen
Linken grassiert, entwickelte sich in den
1980er Jahren und dann verstärkt ab
2002 in der amerikanischen Rechten
eine ausgeprägte Europafeindlichkeit:
Die Europäer, die sich nach anfänglicher
verbaler Solidarität aus dem Krieg gegen
den Terror heraushielten, seien «Weich­
eier». Der konservative Publizist Jonah
George W. Bush auf
dem Gelände des
World Trade Centers
in New York, am
14. September 2001:
ein Wendepunkt
der amerikanischen
Geschichte.
Goldberg spricht von «Euro­Weenies»
(«Würstchen»), die ihren moralischen
Kompass und ihr Rückgrat verloren hät­
ten. «Sie geben ihre Euros für Wein,
Ferienvergnügen und einen aufgeblase­
nen Wohlfahrtsstaat aus, statt sie in die
Verteidigung zu stecken. Sie höhnen aus
den Kulissen, während Amerika die
harte und schmutzige Aufgabe über­
nimmt, für die Europäer die Welt zu
befrieden.»
Geschichte unterhaltsam
Dieses Europa­Bashing trifft die Briten
unter Tony Blair etwas weniger. Die
schlimmsten Schmähungen gelten den
Franzosen und den Deutschen, deren
Kanzler Gerhard Schröder seine Wie­
derwahl dem Zücken der antiamerikani­
schen Karte verdanke. Robert Kagan
resümierte: «Amerikaner kommen vom
Mars und Europäer von der Venus.»
Erhellend sind auch verschiedene
Porträts, so über Günter Grass, Isaiah
Berlin und George Orwell. Letzteren
nennt der britische Historiker «den
John F. Kennedy der englischen Litera­
tur». An seinen Büchern – vor allem
«1984» und «Farm der Tiere» – komme
niemand vorbei, der das 20. Jahrhundert
verstehen wolle. Diese und manch ande­
re lesenswerte Beiträge im fast 500 Sei­
ten starken Sammelband verdeutlichen,
dass Timothy Garton Ashs «weltpoliti­
sche Betrachtungen» nicht allein hoch­
interessante Beiträge zur Zeitgeschichte
darstellen, sondern auch ein gutes Stück
ästhetischer, ja unterhaltsamer Ge­
schichtsschreibung. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 19
TED S. WARREN / AP
Sachbuch
Marktwirtschaft Krisen gehören zum Kapitalismus. Nur wer sich dumm verhält, geht mit ihnen unter.
Das jedenfalls ist Starökonom Nouriel Roubinis Sicht der Finanzkrise
Dr. Doom wäre lieber Dr. Realist
Nouriel Roubini, Stephen Mihm: Das Ende
der Weltwirtschaft und ihre Zukunft.
Campus, Frankfurt a. M. 2010.
470 Seiten, Fr. 37.90.
Von Charlotte Jacquemart
Der amerikanische Wirtschaftsprofes­
sor Nouriel Roubini war nicht der einzi­
ge, der die Finanzkrise voraussah. Der
an der Stern School of Business der New
York University unterrichtende Öko­
nom war aber einer der wenigen, die
regelmässig, penetrant und schon sehr
früh (ab 2006) vor dem Kollaps des ame­
rikanischen Immobilienmarktes warn­
ten und die Folgen daraus ziemlich
genau skizzierten. Das brachte dem ehe­
maligen Wirtschaftsberater von Bill
Clinton den Spitznamen Dr. Doom (Dr.
Untergang) ein. Diesen Übernamen möge
er zwar nicht mehr, gestand Roubini der
«Financial Times» im Mai 2010. Lieber
nenne er sich heute Dr. Realist.
Offensichtlich ist: Roubini hat genug
davon, primär als jener gesehen zu wer­
den, der das Desaster vorhersagt. Viel­
mehr möchte er konstruktive Ratschlä­
ge erteilen, seine «Weisheit anderen zur
Verfügung stellen». Mit den anderen
sind die Mächtigen dieser Welt gemeint:
Regierungen, Zentralbanken, Aufsichts­
behörden, internationale Organisatio­
nen. Diese kleben denn auch geradezu
an den Lippen des neuen «rising star»
unter den ökonomischen Wissenschaf­
tern. Was immer seine eigene Consul­
ting­Firma Roubini Global Economics
(www.roubini.com) gerade analysiert
oder wo immer der Professor als Redner
eingeladen ist: Die Einschaltquote ist
konstant hoch. Selbst Hollywood kann
sich dem Bann von Dr. Doom alias Dr.
Realist nicht entziehen: Gleich in zwei
Filmen macht Roubini zurzeit seine Auf­
wartung, so in «Wall Street» und in
«Inside Job», die sich beide dem Nieder­
20 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
gang der New Yorker Börse widmen. So
eindringlich der Professor vor den
Ungleichgewichten in den globalen
Finanzmärkten gewarnt hat, so clever
vermarktet er heute den damit gewon­
nenen Ruhm.
Was liegt näher, als solche Erkennt­
nisse in einem Buch auf den Markt zu
bringen. Co­Autor des gut 400­seitigen
Werkes ist der US­Journalist und Histo­
riker Stephen Mihm. Lautete der Titel
der englischen Version noch «Crisis
Economics», so deutet der deutsche
Titel «Das Ende der Weltwirtschaft und
ihre Zukunft» bereits auf die veränderte
Selbstwahrnehmung der Autoren hin. Es
gibt auch nach Krisen und Apokalypse
eine Zukunft. Im Gegensatz zu früheren
Werken Roubinis wie «Political Cycles
and Macroeconomy» oder «New Inter­
national Financial Architecture», die
kaum jemanden hinter dem Ofen her­
vorgelockt haben dürften, ist sein jüngs­
tes Buch ein Renner.
Wie ein Wirtschaftskrimi
Und dies zu Recht – egal, was man von
der PR­Maschinerie des Ökonomiepro­
fessors hält. Das Buch liest sich wie ein
Krimi und erklärt so fast alles, was Laien
im Zusammenhang mit der Finanzkrise
interessieren könnte: Wie konnte die
Blase entstehen, wieso platzte sie gera­
de 2007/2008, was hat versagt? Und,
vielleicht am wichtigsten: Wie müssen
die Finanzmärkte reguliert werden,
damit eine nächste Krise das System
nicht ganz aus dem Rahmen hebt?
Besonders verdienstvoll daran: Schön
säuberlich listen Roubini und Mihm alle
Finanzkrisen der letzten 400 Jahre auf,
erklären ihre Gründe und ziehen Paral­
lelen. Ein Fundus für Fans der Wirt­
schaftsgeschichte.
Klar wird bei der Lektüre, dass sich
seit John Maynard Keynes nicht allzu­
viel verändert hat, auch wenn sich die
spezifischen Ausprägungen der jewei­
Arbeitssuchende in
Tacoma (Washington)
stehen Schlange für
einen Job, 27. April
2010.
ligen Krisen voneinander unterschei­
den. Keynes sagte 1933 während der
damaligen, brutalen Weltwirtschafts­
krise: «Der dekadente internationale
und individualistische Kapitalismus, in
dessen Händen wir uns nach dem Ersten
Weltkrieg befanden, ist ein Misserfolg.
Er ist weder intelligent, noch schön,
noch gerecht, oder tugendhaft, und vor
allem hält er nicht, was er verspricht. Er
gefällt uns nicht, und wir fangen allmäh­
lich an, ihn zu hassen. Aber wenn wir
uns fragen, was an seine Stelle treten
soll, dann haben wir keine Antwort.»
Paradigmenwechsel
Mit Keynes feiern in der aktuellen Krise
auch andere Querdenker der Ökonomie
wie Joseph Schumpeter, Irving Fisher
oder gar Karl Marx wieder Urständ.
Roubini wertet dies als positives Signal
dafür, dass ein Paradigmenwechsel im
Gange ist. Endlich erkenne man, dass
die Hohepriester der Deregulierung, der
alle Probleme lösenden effizienten
Märkte und der modernen Finanzpro­
dukte falschgelegen hätten. Nicht die
Schrotthypotheken des amerikanischen
Immobilienmarktes seien schuld am
Fast­Kollaps des Finanzsystems, son­
dern das Schrottsystem per se.
Nicht Deregulierung und «finanzielle
Innovation» seien die Heilsbringer, son­
dern rigide, weltweit geltende Regeln
für die Entlöhnung der Banker, Verbrie­
fungen, Derivate, Ratingagenturen und
grosse Finanzinstitute. Letztlich macht
sich aber auch Roubini nichts vor,
schliesslich ist er Realist: Krisen an den
Märkten hat es in der Geschichte immer
gegeben. Auch die Zukunft wird uns
davor nicht verschonen. Nur wer sich
Krisen gegenüber nicht gleichzeitig
naiv, dumm und arrogant verhalte,
könne lernen, mit ihnen zu leben. Die
soeben verabschiedete Finanzmarkt­
reform in den USA dürfte ein Schritt in
Roubinis Richtung sein. l
DDR Die Schriftstellerin Anna Seghers erweist sich in
ihren Briefen als treue Parteigängerin des Sozialismus
Anna Seghers: Tage wie Staubsand. Briefe
1953–1983. Hrsg. Chrstiane Zehl Romero
und Almut Giesecke. Aufbau, Berlin
2010. 645 Seiten, Fr. 59.90.
Von Manfred Koch
Von 1949 an, dem Gründungsjahr des
zweiten deutschen Staates, war Anna
Seghers die Galionsfigur der DDR­Lite­
ratur, Trägerin des Stalin­Friedens­
preises und zahlreicher anderer «Vater­
ländischer Verdienstorden», von 1952
bis 1978 zudem Vorsitzende des DDR­
Schriftstellerverbands. Es ist bekannt,
dass sie das SED­Regime niemals öffent­
lich kritisiert hat. Nun ist ein Auswahl­
band mit Briefen aus ihrer Zeit in der
DDR erschienen, jenem Land, das
bereits sechs Jahre nach ihrem Tod
(1983) unterging. Hat sie sich wenigs­
tens in vertraulichen Mitteilungen ge­
gen die Parteilinie gestellt? Eine Autorin
– könnte man denken –, die in ihren Exil­
romanen so eindringlich den NS­Terror
und die Leiden der Verfolgten geschil­
dert hat, darf doch nicht derart blind
gegenüber der neuen, realsozialis­
tischen Diktatur gewesen sein.
Wer den Briefband in diesem Sinn
gutwillig aufschlägt, wird enttäuscht
werden. Ausgerechnet bei dieser politi­
schen Schriftstellerin gewinnt man den
Eindruck, ihr Leben habe sich jenseits
der Geschichte abgespielt: kein Wort
zum Mauerbau 1961, zum Einmarsch in
die CSSR 1968, zur Biermann­Ausbür­
gerung 1976! Anlässlich des Berliner
Arbeiteraufstands vom 17. Juni 1953
spricht sie in einem Brief an ihren russi­
schen Übersetzer nur von den «zwei,
drei verrückten Junitagen» und lobt die
Zurückhaltung der russischen Truppen.
Einige Monate zuvor hatte sie ihr Ver­
waisungsgefühl nach Stalins Tod be­
klagt.
Zweierlei muss man Seghers zugute­
halten. Während sie in offiziellen Stel­
lungnahmen stets die staatliche Gewalt
gegen die «konterrevolutionären» Um­
triebe rechtfertigte, sind ihre Briefe frei
von SED­Propagandadeutsch. Seghers’
Schweigen ist beredt und deutet tat­
sächlich auf ein wachsendes Unbehagen
angesichts der gewaltigen Kluft zwi­
schen heiliger Idee und deprimierender
Realität des Sozialismus. Zum zweiten
entkam auch die treue Genossin Seghers
keineswegs dem DDR­Überwachungs­
apparat. Ab 1956 wurde sie von der
Staatssicherheit observiert, hatte also
mit der Kontrolle ihrer Post zu rechnen.
So kann sie sich nur verschlüsselt
über jene Gewaltmassnahme äussern,
die sie vermutlich am meisten erschüt­
tert hat: die Niederschlagung der unga­
rischen Volkserhebung 1956. Viele ihrer
alten Freunde und Kampfgefährten
gerieten damals in Lebensgefahr oder
wurden zumindest inhaftiert. Sie berich­
tet ihrem Dichterkollegen Jorge Amado
darüber in der Bildlichkeit des Mär­
chens von den «Sieben Raben». Sie,
Anna, ist nun die Schwester, die in die­
sem Fall ihre in schwarze Vögel verwan­
ADN / ULLSTEIN
Schwarze Raben,
federlos
Die Schriftstellerin
Anna Seghers
(1900–1983) mit
Parteichef Erich
Honecker im trauten
Gespräch, 17. September 1976.
delten Brüder nicht mehr retten kann:
«Das fehlt mir sehr – die Möglichkeit,
meine Raben wiederzusehen, wann
immer ich es nötig habe. Wenn ich sie
wiedersehe, werden sie keine Federn
mehr haben.»
Seghers’ unerschütterlicher Glaube
an die Zukunft der sozialistischen Idee
hat etwas von einem «Credo quia
absurdum». Im nächsten Brief an Amado
schreibt sie, vielleicht müsse «ein Wun­
der» geschehen, hält anschliessend aber
fest: «Es ist viel kälter als früher.» Auf­
fällig häufig taucht nun die Erinnerung
an ihr Exilland Mexiko als wahre, verlo­
rengegangene Heimat auf. Glücklich
war Anna Seghers in der DDR gewiss
nicht. Sie glaubte jedoch, um der «Sache
des Sozialismus» willen diszipliniert
durchhalten zu müssen. Fatalerweise
hielt sie es für gerechtfertigt, im Sinn
dieser Disziplin ein ganzes Volk einzu­
sperren. l
Religion Ob es je eine Frau auf dem Papstthron gab, ist fraglich – doch der Mythos ist quicklebendig
Brauchen wir eine Päpstin?
Max Kerner, Klaus Herbers: Die Päpstin
Johanna. Biographie einer Legende.
Böhlau, Köln 2010. 174 Seiten, Fr. 30.50.
Von Geneviève Lüscher
Um es gleich vorwegzunehmen: Max
Kerner und Klaus Herbers, beides
gestandene Historiker, glauben nicht an
die Existenz einer Päpstin Johanna. Sie
stützen sich dabei auf einen Kirchenhis­
toriker aus dem 19. Jahrhundert, «nach
dessen Untersuchungen sich wohl kaum
noch jemand finden lassen dürfte, der
die Existenz der Päpstin ernsthaft
behauptet».
Es geht den Autoren aber nicht um
die Päpstin selber, sondern um die
Legende. Wie konnte sie überhaupt ent­
stehen? Der Mythos selber stellt seiner­
seits eine faszinierende Version von
Wirklichkeit dar, existiert also. Er liefert
seit Jahrhunderten Stoff für Streitschrif­
ten, historische Romane, Filme, der neu­
este kam letztes Jahr ins Kino.
Johanna wird angeblich zu Beginn des
9. Jahrhunderts in Ingelheim geboren.
Sie erhält Unterricht, flieht als Mann
verkleidet in ein Kloster, zieht nach
Rom, betätigt sich dort als Arzt und
wird Amtsträger der päpstlichen Kanz­
lei. Die Erhebung zum Papst gelingt ihr
um das Jahr 855. Ihr Pontifikat dauert
knapp zwei Jahre. Während einer Pro­
zession gebärt sie ein Kind und stirbt.
Die Legende um die Päpstin Johanna
entstand aber erst 400 Jahre später. Die
Autoren untersuchen, wie es dazu kam,
wann und warum sich später verschie­
dene Versionen entwickelten. Im Spät­
mittelalter dominierte die frauenfeindli­
che Variante, die der Päpstin Geilheit
und Blasphemie vorwarf. Selbst huma­
nistische Zeitgenossen wie Boccaccio
stimmten in dieses misogyne Lamento
ein. Eine löbliche Ausnahme bildete der
Zürcher Kirchenpolitiker Felix Hem­
merlin, der im 15. Jahrhundert Klugheit
und vorbildliche Lebensführung der
Päpstin lobte. In der Reformation wurde
Johanna zum Spielball kirchenpoliti­
scher Auseinandersetzungen, die Kurie
leugnete erstmals ihre Historizität: Eine
Päpstin Johanna hat nie existiert. Im
20. Jahrhundert schliesslich instrumen­
talisierten feministische Pseudohistori­
kerinnen die Päpstin für ihre Zwecke.
Braucht es heute die Päpstin Johanna?
Die Autoren sind der Meinung, dass es
den Mythos unbedingt brauche. In
Johanna bündeln sich «Vorstellungen
von weiblichen Fähigkeiten»; für die
einen sie ist ein Wunschbild, für die
anderen eine Horrorvision. «Wie ande­
re Mythen brauchen wir auch ihn.» l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 21
Sachbuch
Biografie Die Berliner Schneiderstochter Käthe Kruse
war Lebensreformerin auf dem Monte Verità
Puppenmutter wird
Geschäftsfrau
Gabriele Katz: Käthe Kruse.
Die Biografie. Osburg, Berlin 2010.
479 Seiten, Fr. 39.90.
Von Irmgard Matthes
«Sie war das überschäumende Mäd­
chen, die Kindfrau, die zarte Geliebte,
die liebevolle Mutter und die fürsorgli­
che Chefin (…) und schliesslich die Pup­
penmutter, der von grossen und kleinen
Kindern eine so leidenschaftliche Ver­
ehrung entgegengebracht wurde, dass
sie (…) direkt nach dem Christkind zu
rangieren schien.» Mit diesen Worten
skizziert die Historikerin Gabriele Katz
die Persönlichkeit der deutschen Pup­
penschöpferin Käthe Kruse.
Diese hat in ihrer 1951 herausgegebe­
nen Autobiografie ein stark idealisiertes
Bild von sich selbst entworfen. Katz gibt
nun nach Einsicht in das Familienarchiv
eine Lebensbeschreibung, die auch Un­
bekanntes und Widersprüchliches ins
Licht rückt und den sozialgeschichtli­
chen Hintergrund einbezieht.
Käthe Kruse wurde 1883 als uneheli­
che Tochter einer Näherin in Breslau ge­
boren und stieg mit 17 Jahren in die Ber­
liner Theaterszene ein, in der sie als
Talent gefeiert wurde. Ihre Liebesbezie­
hung zu dem 29 Jahre älteren Bildhauer
Max Kruse führte die 19­Jährige in die
Welt eines antibürgerlichen Künstlers,
der die Liebe als freie Gemeinschaft ver­
stand und mit der gesellschaftlich weit
unter ihm Stehenden nicht zusammen­
leben wollte. Vor der Geburt ihres zwei­
ten Kindes schickte er Käthe zu gleich­
gesinnten Lebensreformern auf den
Monte Verità bei Ascona, wo sie arm
und zurückgezogen mit ihren Töchtern
lebte. Maria, die Ältere, wünschte sich
1905 vom Vater «una bambina». So ent­
stand Käthes erste Stoffpuppe aus einem
mit Sand und einer Kartoffel gefüllten
Handtuch, denn der Künstler­Vater
hatte geantwortet: «Macht euch selber
welche!» Die im Handel erhältlichen
Puppen fand er «scheisslich». Seinen
Anspruch konnte nur eine Puppe erfül­
len, die «über die berührende Hand das
Herz» ansprach. Käthe versuchte fortan,
nach diesem Ideal einen lebensecht ge­
formten Puppenkörper zu schaffen.
1909 stellte sie auf der Weihnachts­
ausstellung im Berliner Kaufhaus Tietz
mit ihren Puppen alle anderen Exponate
in den Schatten: Sie waren 43 cm gross,
hatten einen mit Rehhaaren gestopften
Stoffkörper, einen individuellen Ge­
sichtsausdruck, gemalte Haare und ein­
fache Kleidchen. Sofort setzte die Nach­
frage von Spielzeughändlern ein. Käthe
eröffnete eine eigene Werkstatt und
legte so den Grundstein für die Produk­
tion, die ab 1912 in Bad Kösen (Sachsen­
Anhalt) anlief und 1947 nach Donau­
wörth verlegt wurde. Ende der fünfziger
Jahre übernahm die nächste Generation
die Firma, die Gründerin starb 1968.
Gabriele Katz zeigt in ihrer Darstel­
lung einfühlsam und kritisch, wie Käthe
Kruse zielstrebig und mit unerschöpfli­
cher Vitalität ihr Lebenswerk aufbaute.
Sie bildete ihre Mitarbeiter selber aus,
überprüfte bis ins Detail die Einhaltung
Wer möchte sie nicht
knuddeln? Stoffpuppe
von Käthe Kruse
(heutige Produktion).
der Qualitätsansprüche, passte ihre
Werbung zeitgeistigen Strömungen an,
kämpfte gegen Plagiate und hatte Erfolg
mit Schaufensterpuppen. Wirtschaft­
liche Not meisterte sie durch Material­
beschränkung, notfalls durch ideologi­
sche Zugeständnisse («Soldatenpup­
pen»). Daneben zog sie mit Hingabe
ihre sieben Kinder gross und suchte sie
in die Firma einzubinden. Ihrem Mann,
der sie als Künstler inspirierte, sie aber le­
benslang auf Distanz hielt und von ihren
Einkünften zehrte, fühlte sie sich bis zu
seinem Tod schicksalshaft verbunden.
«Wer viel vollenden will, darf wenig
träumen» – diesen Spruch aus ihrem Po­
esiealbum hat Käthe Kruse als wegwei­
sende Spielzeugherstellerin des 20. Jahr­
hunderts in der Tat erfüllt. l
Kunst Marcel Proust nutzte in seinem Hauptwerk Gemälde als Inspirationsquelle
Die «Verlorene Zeit» als Labyrinth aus Bildern
Eric Karpeles: Marcel Proust und die
Gemälde aus der Verlorenen Zeit.
Dumont, Köln 2010. 352 Seiten, Fr. 49.90.
Von Gerhard Mack
Marcel Proust ist der Claude Monet der
Literatur der Moderne. Wie der Maler
die Seerosen dem Wechsel des Lichts
aussetzte und die Veränderungen der
Wahrnehmung darstellte, so fügte der
Schriftsteller Erinnerungen und Erfin­
dungen zu einem Gewebe subjektiver
Geistesbewegungen, dessen Schimmer
sich dem Leser so schnell verflüchtigen
wie die Effekte der Farbe und des Lichts
dem Betrachter von Monets Bildern.
Marcel Proust hat die bildende Kunst
zu einem zentralen Element seiner Lite­
22 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
ratur gemacht. Diese lebt von der ästhe­
tischen Analogie, die wiederum in der
Kunst ein Zentrum hat. Lange bevor der
Schriftsteller sich in die Salons des Fau­
bourg Saint­Germain begab, durchwan­
derte er das Labyrinth des Louvre. Weit
über hundert Künstler von Giotto bis zu
den Futuristen kommen im Hauptwerk,
der «Suche nach der verlorenen Zeit»,
vor. Mantegna, Rembrandt, Tizian und
Chardin zählen zu seinen Lieblingen,
andere erfindet er samt ihren Werken.
Schon der knabenhafte Erzähler wird
von der Tante in den Ferien in Combray
in die Kunst eingeführt, die Landschaf­
ten und Bauwerke zu veredeln vermag.
Und kaum eine Figur ist ohne Kunst­
verweis charakterisiert und in einem
Bildraum verortet. Von den existenziel­
len Aussagen des Erzählers ganz zu
schweigen. Das berühmte warm leuch­
tende «kleine gelbe Mauerstück» auf
Vermeers «Ansicht von Delft» wird
Proust zur Chiffre für das eigene Selbst­
verständnis.
Gleichwohl hat die Proust­Forschung
diese Inspirationsquelle noch nicht un­
tersucht. Diese Aufgabe blieb dem ame­
rikanischen Maler und Kunstkritiker
Eric Karpeles vorbehalten. Er hat alle
Stellen im Text ausfindig gemacht, die
Gemälde und Grafiken hinzugezogen,
da, wo nur die Künstler erwähnt sind,
passende Werke ausgewählt und sie
kommentierend im Roman verortet. Ein
Register erleichtert die Benutzung. Ent­
standen ist eine vollständig und in bes­
ter Qualität bebilderte Fundgrube für
Kenner und Liebhaber sowohl des Ro­
mans wie der Kunst. Wunderbar! l
Psychoanalyse In den Briefen an seine Kinder zeigt sich Sigmund Freud als fürsorglicher Vater
«… und grüsse Dich herzlich»
Sigmund Freud: Unterdess halten wir
zusammen. Briefe an die Kinder.
Hrsg. Michael Schröter. Aufbau, Berlin
2010. 683 Seiten, Fr. 48.90.
Von Sabine Richebächer
Dass Sigmund Freud ein wunderbarer
Briefschreiber war, wissen wir aus zahl­
reichen Korrespondenzen zwischen
ihm und seinen bedeutenden Schülern
und Mitarbeitern wie C. G. Jung, Karl
Abraham und Max Eitingon, aber auch
aus Briefen an seine Schwägerin Minna
Bernays und seine jüngste Tochter Anna
Freud, die eine eigenständige Fortsetze­
rin des väterlichen Werkes war. Jetzt hat
der Berliner Soziologe und Freud­Spe­
zialist Michael Schröter wiederum eine
hervorragende Edition herausgegeben –
es sind die Briefe von Freud an seine
fünf älteren Kinder: Mathilde (1887–
1978), Martin (1889–1967), Oliver (1891–
1969), Ernst (1892–1970) und Sophie
(1893–1920), die hier erstmals nach den
Handschriften veröffentlicht werden.
Als Freud diese Briefe schreibt, ist er
über fünfzig. Er hat den Professorentitel,
nimmt gute Honorare von seinen priva­
ten Patienten, die häufig aus dem Aus­
land kommen; seine Werke erscheinen
in vielfacher Auflage. Die Psychoanalyse
ist eine internationale Bewegung gewor­
den; es existieren mehrere psychoanaly­
tische Zeitschriften; und die Erfolge bei
der Behandlung von Kriegsneurosen
bringen der neuen Wissenschaft endlich
die gesellschaftliche Anerkennung.
Freud ist ein vielbeschäftigter Mann
und muss hart arbeiten, denn er braucht
viel Geld: nicht nur für die eigene, viel­
köpfige Familie inklusive Schwägerin
Minna und Personal, sondern auch für
den Unterhalt seiner Mutter und deren
Schwestern. Mit Martha Bernays führte
Freud die zeitübliche arbeitsteilige Ehe,
wo die Frau im Alltag für die Kinder zu­
ständig ist, welche den Vater, ausser bei
den Mahlzeiten, kaum zu Gesicht be­
kommen. War aber Not, waren die Kin­
der in Sorge oder Bedrängnis, dann galt
das ungeschriebene Gesetz, dass man
sich an den Vater wenden durfte um
Aufmerksamkeit, um Rat, um finanzielle
Unterstützung.
Was die vorliegenden fünf Briefserien
von den bisher veröffentlichten Korres­
pondenzen unterscheidet, ist ihr rein
privater Charakter, der Freud als Vater
seiner erwachsenen Kinder zeigt – ohne
berufliche Beimengung. Die Briefserien
beginnen, als Freuds Söhne und Töchter
zwischen 19 und 26 Jahre alt sind – es
sind keine Kinder mehr, sondern junge
Menschen auf dem Weg zum Erwach­
senwerden und mit den Fragen dieser
Lebensphase beschäftigt: mit Berufs­
und Partnerwahl, mit Fragen um Ge­
sundheit und der Kinderfrage. Sexuelles
wird offen angesprochen, etwa wenn
ULLSTEIN
Ratschläge für die Kinder
Sigmund Freud (1856–
1939) kümmerte
sich um seine Kinder,
auch als sie schon
erwachsen waren;
hier mit seinen
Söhnen Ernst und
Martin, 1916.
Ernst, «das Lümpchen» – so der Vater –,
sich «eine kleine Gonorrhö» einfängt,
die in Wien «geheim abgemacht» wer­
den muss. Auch wenn Sophie sich sorgt,
nicht hübsch genug zu sein, ist der Vater
mit taktvollen Worten an ihrer Seite.
Freud schätzte und förderte Frauen in
der psychoanalytischen Bewegung – pri­
vat gelten andere Werte: Für seine
Töchter sieht er keine Berufsausbildung
vor, sie sollen Ehefrauen und Mütter
werden. Einzig Anna Freud, der Jüngs­
ten, wird der Ausbruch gelingen. Die
Ehekandidaten der Töchter sollen in
der Lage sein, ihre Familie zu ernähren,
sie sollen keine Erbkrankheiten haben
und – jüdisch sein. Ansonsten dürfen die
Töchter selber wählen.
Familie ist auch Vatersache
Auf Freuds ausdrücklichen Wunsch hin
wählen die Söhne Studiengänge fernab
des väterlichen Wirkungsfeldes. Martin
wird Jurist, Oliver macht ein Ingenieur­
studium, Ernst wird Architekt. Welches
Motiv Freud bei seinem Anliegen hatte,
bleibt im Verborgenen. Fürchtete er die
Rivalität, die ihm bei Schüler­Söhnen
wie C. G. Jung, Wilhelm Reich oder Otto
Rank manche schmerzliche Trennung
verursachte? Wollte er die Söhne schüt­
zen, ihnen das Antreten gegen den star­
ken Vater ersparen? Verfolgt man den
Lebensweg der Freud­Söhne entlang der
Briefserien, so drängt sich der Eindruck
auf, dass der Schatten des Vaters auf
ihnen ruht. Martin und Oliver bleiben
stets auf finanzielle Zuwendungen des
Vaters angewiesen, einzig Ernst Freud
wird wirklich selbständig, wobei auch in
seinem Falle in Berlin und später in Lon­
don zahlreiche Aufträge für Häuser und
Innenausstattungen aus den Kreisen der
Freudianer kommen.
Eindrücklich sind die Briefe aus der
Zeit des Ersten Weltkrieges. Freuds Pra­
xis bricht zeitweise zusammen; die psy­
choanalytische Bewegung kommt zum
Stillstand, da Redakteure und Autoren
im Feld sind – auf beiden Seiten der
Front. Freud schreibt an Max Halber­
stadt, Sophies Ehemann: «Zwei meiner
Söhne sind schon Feuerwerker, wie weit
es der dritte bei der Artillerie bringt,
wollen wir sehen.» Die Kriegsbriefe
sind von Schröter ergänzt worden mit
Auszügen aus den Gegenbriefen der
Söhne. Der Vater bewährt sich als Rat­
geber, als Helfer in Ausrüstungs­ und
Gesundheitsfragen, er schickt Geld.
In der Familie Freud war Beziehungs­
arbeit keine mütterliche Angelegenheit
oder Frauensache. Der Zusammenhalt –
die Absprache der Sommerferien, der
Austausch von Neuigkeiten ebenso wie
von Geschenken – wurde wesentlich mit­
getragen vom Vater, der mitwebt an
einem Familiennetz, das das Überleben
des Einzelnen und der Gemeinschaft si­
chert. Das kommt in einem der letzten
Briefe nochmals zum Ausdruck, den
Freud kurz vor seiner Emigration 1938
an seinen Sohn Ernst schreibt, der be­
reits im Londoner Exil eingetroffen ist:
«Zwei Aussichten erhalten sich in die­
sen trüben Zeiten, Euch Alle beisammen
zu sehen und – to die in freedom. Ich
vergleiche mich manchmal mit dem
alten Jakob, den seine Kinder auch im
hohen Alter nach Aegypten mitgenom­
men haben (…) Es ist Zeit, dass Ahasver
irgendwo zur Ruhe kommt.» l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 23
Sachbuch
Biografie Das Leben der Madame Curie, der zweifachen Nobelpreisträgerin und idealisierten
Lichtgestalt der Wissenschaft, war von Depressionen gezeichnet
Ihre Kleider und Papiere
strahlen bis heute
kommt also doch recht – sie war tatsäch­
lich eine Märtyrerin der zur Religion
erhobenen Wissenschaft.
Im Gegensatz zur Curie­Biografie der
Tochter Eve von 1937, welche Generatio­
nen von Gymnasiastinnen eine vollkom­
men heroisierte Madame Curie als Vor­
bild fürs Leben mitgab, folgt die Wissen­
schaftsautorin Goldsmith der ersten auf
dem Nachlass basierenden Lebensdar­
stellung von Susan Quinn (1996), indem
sie auch und vor allem die menschliche
Seite der Forscherin zeigt: die enorme
Überforderung, die sie sich und anderen
lebenslang zumutete, die nur schwer
heilenden Wunden, die ihr Schicksals­
schläge, Niederlagen und Zurücksetzun­
gen geschlagen haben. Insofern ist der
Originaltitel des Buches aussagekräfti­
ger als der deutsche: «Obsessive Genius
– the Inner World of Madame Curie».
Barbara Goldsmith: Marie Curie.
Die erste Frau der Wissenschaft. Piper,
München 2010. 256 Seiten, Fr. 33.90.
Von Kathrin Meier-Rust
Radium auf dem Nachttisch
Woher dieses irrationale Verhalten bei
so überaus rational denkenden Wissen­
schaftern? Dass echte Wissenschaft
Opfer verlange, hatte Curie schon ihr
ehrgeiziger Vater eingetrichtert, dem es
die politischen Umstände versagt hat­
ten, selbst wissenschaftlich tätig zu sein.
Bei der Tochter verband sich diese Lei­
densbereitschaft mit einem hochemoti­
onalen Verhältnis zu jenem Stoff, den sie
entdeckt hatte. Sie bewahrte ein Röhr­
chen mit Radiumsalz auf ihrem Nacht­
tisch auf, um sich beim Einschlafen an
seinem «hübschen Schimmer» zu er­
24 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
Unablässiges Lernen
AP
Als die Nachkommen von Marie Curie
in den neunziger Jahren die Tage­ und
Notizbücher der grossen Wissenschaf­
terin der Bibliothèque nationale über­
gaben, stellten sie den Archivaren auch
einen Geigerzähler zur Verfügung: Die
Papiere waren noch immer radioaktiv. Je
nach Stärke der Strahlung sortierte man
das Archivgut damals in drei Kategori­
en, die am stärksten strahlenden Materi­
alien wurden zwei Jahre lang dekonta­
miniert. Auch die langen dunklen Klei­
der, die zu Madame Curies ernster Ge­
stalt gehören wie ihre zwei Nobelpreise,
strahlen bis heute.
Die Haut von Marie Curies Fingern
war steinhart und rissig. Immer wieder
litt sie an Schwächeanfällen augrund von
Blutarmut. Als sie 1934 mit 67 Jahren
daran starb, litt sie an Leber­ und Nieren­
schäden, an einem Tinnitus und war fast
vollständig blind.
Doch den Verdacht, dass ihr geliebtes
Radium ihr geschadet haben könnte,
wies sie beharrlich von sich. Längst
wusste man zwar, dass radioaktive Sub–
stanzen gefährlich waren, längst auch
waren entsprechende Vorschriften in
den Labors eingeführt worden, auch am
Radium­ (dem späteren Curie­)Institut.
Nur die Direktorin selbst hielt sich nie
daran, ebenso wenig ihre ältere Tochter
und Nachfolgerin Irène Joliot­Curie:
Diese pflegte radioaktive Flüssigkeiten
zu pipetieren, das heisst, durch ein Glas­
röhrchen anzusaugen. Irène, ebenso be­
gabt, intelligent und unerbittlich fleissig
wie ihre Mutter und ebenfalls Nobel­
preisträgerin, erlag mit 59 Jahren einer
Leukämie, ihr jüngerer Mann Frédéric
Joliot starb kurz danach, ebenfalls an
«unserer Berufskrankheit», wie er es
nannte.
freuen. Den ruinösen Jahren, als sie in
einem armseligen, eiskalten Schuppen
über Tage und Wochen siedende Flüs­
sigkeiten umrührte, um aus Tonnen von
uranhaltigem Erz schliesslich einige
Mikrogramm reines Radium zu gewin­
nen, jener körperlichen Schwerarbeit
also, hat sie später immer nachgetrauert.
Nachts seien sie mit Pierre damals oft zu
Fuss ins Labor zurückgegangen und hät­
ten gerätselt: Wie wird ES wohl ausse­
hen? Gemeint war das Radium, Marie
hat es einmal «mein Kind» genannt. Das
wirkliche Kind, Irène, die damals zu
Hause schlief, war weniger präsent in
ihrem Leben.
Das verbrauchte Klischee, das Marie
Curie zur Ikone, zu einer heiligen
Johanna der Wissenschaft stilisiert, be­
Marie Curie und ihre
Tochter Irène JoliotCurie, 1931 vor dem
Eingang zu ihrem
Laboratorium in Paris.
Maria Sklodowskaja war das jüngste von
fünf Kindern, und sie war 10 Jahre alt, als
ihre Mutter nach jahrelangem Leiden an
Tuberkulose starb. Immer Klassenbeste,
immer angefeuert von einem die Natur­
wissenschaft verherrlichenden, über­
patriotischen Vater, zeigte sie schon als
Teenager depressive Erschöpfungszu­
stände. Als Frau überwand sie enorme
Hindernisse, um überhaupt studieren zu
können, natürlich schloss sie immer als
Beste ab. Sie war die erste weibliche
Professorin der Sorbonne, doch noch
1911 verweigerte die Academie française
der zweifachen Nobelpreisträgerin die
Aufnahme.
Es traf sie tief. Kein Wunder, fielen
Marie Curie die Jahre des Ruhms viel
schwerer als die Jahre des unablässigen
Lernens und Arbeitens: Nach dem frü­
hen Unfalltod ihres Mannes allein mit
zwei kleinen Töchtern, verstrickte sie
sich in eine Liebesaffäre mit einem ver­
heirateten Mitarbeiter, was ihr nebst
Schlagzeilen in der Boulevardpresse viel
fremdenfeindliche Häme verschaffte.
Selbst Professoren der Sorbonne forder­
ten sie auf, Frankreich zu verlassen! Und
das Nobelkomitee legte ihr nahe, den
bereits verliehenen (zweiten) Nobel­
preis nicht persönlich in Empfang zu
nehmen. Sie tat es trotzdem, stolz und
unnahbar, und verfiel nach der Rück­
kehr in ihre schlimmste Depression, die
über ein Jahr anhielt.
Überaus glänzend ist dieses Psycho­
drama einer begabten Frau weder ge­
schrieben noch übersetzt, doch das
Buch ist gut lesbar. Redlich bemüht sich
die Autorin auch darum, die Wissen­
schaft von Curies Forschung für Laien
verständlich zu machen, ein Ziel, das
sich aber als zu ambitiös erweist. l
Jugend Wie wird ein Mensch zum Schriftsteller? Die sentimentale Erziehung eines jungen
Engländers in den zwanziger Jahren
Pubertär, aber grandios
Christopher Isherwood: Löwen und
Schatten. Eine englische Jugend in den
zwanziger Jahren. Berenberg, Berlin
2010. 320 Seiten, Fr. 37.90.
Von Stefan Howald
Dieses Buch ist im englischen Original
bereits 1938 erschienen und wirkt doch
frisch. Es schildert die sentimentale Er­
ziehung eines jungen Engländers zum
Schriftsteller und betört durch die Kraft
von Sprache und Literatur.
Sein Autor Christopher Isherwood
(1904–1986) ist auf verwickeltem Weg in
die Populärkultur eingegangen. In den
1930er Jahren gehörte er zur neuen Lite­
raturszene in England; kurz nach dem
Zweiten Weltkrieg wurden zwei seiner
Bücher über Berlin, wo er 1929 bis 1933
gelebt hatte, zu einem Theaterstück und
einem Film umgeschrieben, später in ein
Musical verwandelt, das 1972 unter dem
Titel «Cabaret» wiederum verfilmt und
mit Liza Minelli zum weltweiten Erfolg
wurde. Bücher wie Film rührten –
anhand der fiebrigen 1930er Jahre in Ber­
lin während des Aufstiegs des Faschis­
mus – Kultur, Sex und Politik zu einer
potenten Mischung. Zeitlich zwischen
seinen beiden Berlin­Romanen veröf­
EVAN HURD / SYGMA / CORBIS
Bilder der Erinnerung Die letzten 50 Jahre
Fast im Himmel: Der 25-jährige amerikanische Tennisspieler Michael Chang 1997 beim Training. Nachdem er mit 17 Jahren in Paris als jüngster Spieler
aller Zeiten einen Grand-Slam-Titel gewann, erreichte
er noch drei weitere Grand-Slam-Endspiele und
wurde 1996 Zweiter auf der ATP-Weltrangliste. Nach
34 Turniersiegen trat er 2003 schliesslich zurück.
Aus 50 Millionen Bildern, die im Sygma-Archiv bei
Paris, von Bill Gates finanziert, sorgfältig konserviert
und archiviert für die Zukunft bewahrt werden, hat
Stefanie Bisping einen in jeder Hinsicht monumenta-
len Bildband zusammengestellt. Er dokumentiert die
letzten 50 Jahre des 20. Jahrhunderts in atemberaubenden, oft verstörenden, symbolisch aufgeladenen
Bildern. Die Stars, die Musiker und die Sportler. Die
Schicksalsmomente von Tschernobyl über den Mauerfall bis 9/11 . Die Unruhen und Kriegsschauplätze
von Paris im Jahr 1968 und Vietnam über die iranische Revolution bis zu den Völkermorden in Bosnien
und Rwanda. Kathrin Meier-Rust
Stefanie Bisping: Sygma. Close-up: Die Macht der
Bilder. Feymedia, Düsseldorf 2010. 300 S., Fr. 109.–.
fentlichte Isherwood das Buch «Löwen
und Schatten», das chronologisch das
Vorspiel zur Berliner Zeit darstellt.
Darin durchläuft der Ich­Erzähler
eine englische Public School, beginnt an
der Universität Cambridge zu studieren,
nimmt verschiedene Gelegenheitsjobs
an und bildet sich zum Schriftsteller.
Das Milieu, das er beschreibt, ist ideell
und emotional hoch gespannt. Man ist
clever und wortmächtig, selbstbewusst
und von Weltschmerz bedrückt, sarkas­
tisch und aufmüpfig. In einzelnen Port­
räts lassen sich Freunde und Schriftstel­
lerkollegen wie Edward Upward, W. H.
Auden und Stephen Spender erkennen.
Unterlegt bleibt der Erste Weltkrieg, in
dem die um 1900 Geborenen nicht mehr
kämpfen mussten, was sie mit Schuldge­
fühlen erfüllt, aber auch mit Aufleh­
nung, bis die verstörenden Depressio­
nen wirklicher Kriegsteilnehmer solche
Ersatzgefühle zurechtrücken.
Die behagliche soziale Lage der Mit­
telstandskinder erlaubt eine gewisse
Unschuld des Aufbegehrens. Diese
hochfliegende Distanzierung von der
Umgebung, der Eltern­ und Lehrergene­
ration: wie pubertär, aber grandios! Die­
ses Vertrauen in das Vermögen des
Schriftstellers, eine eigene Welt zu ent­
werfen: wie romantisch, aber eindring­
lich! Doch die Privilegien einer solchen
Jugend werden scharf gesehen, der Ich­
Erzähler gelangt vom Klassendünkel zur
vorerst ziellosen Absage an die eigene
Klasse.
Dabei gewinnt Isherwood durch die
Persiflagen, durch Grotesken und ironi­
sche Distanz hindurch allmählich eine
Schärfe der Beobachtung, eine Haltung
der unaufgeregten Präzision und eine
prägnante Eleganz der Sprache, die
offen und verbindlich zugleich ist.
Das Buch weist eine bemerkenswerte
Leerstelle auf. Zwar liegt über den Inter­
natsszenen ein Hauch pubertärer Homo­
erotik; doch für die folgenden intimen
Vergegenwärtigungen und anscheinend
autobiografischen Bekenntnisse fehlt
jeder Verweis darauf, dass die beschrie­
bene Szene stark homosexuell geprägt
war. Isherwood hat darüber erst im spä­
ten Werk «Christopher and His Kind»
von 1977 geschrieben. In den 1930er Jah­
ren war Homosexualität in England
noch strafbar. Macht diese Ausklamme­
rung die existenziellen und emotionalen
Porträts nicht ein wenig fragwürdig?
Nur, wenn man sie strikt autobiogra­
fisch und dokumentarisch liest. Aber
diese Beschreibungen sind eben mehr,
können als Fiktion Einsichten formulie­
ren, die über das reale Vorbild hinaus­
gehen. Die künstlerische Sensibilität
schafft Zugänge, in denen Geschlecht
und sexuelle Orientierung nur eine von
vielen individuellen Facetten sind und
eine Vielfalt anderer Züge scharf in
Sprache gefasst wird. Dies ist kein sozial
bahnbrechendes Werk, aber es ist ein
grosses Lesevergnügen. l
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 25
Sachbuch
Sammelbiografie Neun internationale Genies vereint durch ihre Generation und Herkunft
Von Budapest in die weite Welt
Kati Marton: Die Flucht der Genies.
Neun ungarische Juden verändern die
Welt. Die andere Bibliothek,
Frankfurt a. M. 2010. 381 Seiten, Fr. 50.90.
Von Zsuzsanna Kovacs
Auf dem Regiestuhl beim Dreh von
«Casablanca», auf den Schlachtfeldern
des Spanischen Bürgerkriegs oder bei der
Probezündung der Atombombe waren
die genialen Männer unter anderem
anzutreffen, von denen in diesem Buch
die Rede ist. Sie leisteten Bahnbrechen­
des in der Fotografie, Literatur, Physik
und Filmregie. Gemeinsam waren ihnen
Generation und Herkunft – die Kindheit
im Budapest der Jahrhundertwende,
einer weltoffenen, aufstrebenden Metro­
pole, sowie die Erfahrung des Exils.
Diese gemeinsame Konstellation ist
für Kati Marton Anlass, die Lebenswege
neun begabter ungarischer Juden zu ver­
arbeiten. Mit ihren Protagonisten ver­
bindet sie nicht nur Muttersprache und
jüdische Herkunft, auch sie erlebte 1957
die Flucht aus dem schon kommunisti­
schen Ungarn und wurde durch diese
Exilerfahrung geprägt. Daher die emoti­
onale Nähe zu den Porträtierten: Beim
Arbeiten am Buch schien es ihr, als hätte
sie die Männer selbst gekannt, lässt sie
uns zu Beginn wissen. Die Nähe wirkt
anziehend: Die Autorin schleudert uns
mitten in die Geschehnisse hinein zu
einem Treffen zwischen zwei ungari­
schen Physikern und Albert Einstein,
um gleich weiterzugehen zu anderen
Orten und Protagonisten. In das vor
Kreativität vibrierende Kaffeehaus New
York im Budapest der 1880er Jahre, das
einer der damaligen Gäste, Michael Cur­
tiz, später in seinem Film «Casablanca»
als Rick’s Cafe verewigt; und weiter zu
den ersten Kibbuzim nach Palästina, wo
Arthur Koestlers journalistische Rei­
fung beginnt, und weiter zum nächsten
Schauplatz auf dieser schnellen Reise
durch das Leben ihrer Figuren.
Zurückhaltend ist Marton da, wo es
um dunklere Seiten der Protagonisten
geht, die einige zu zweifelhaften Grös­
sen werden liessen – etwa bei Edward
Teller, dem Vater der Wasserstoffbombe
und vehementen Vorantreiber der ato­
maren Aufrüstung. Kritik ist jedoch
nicht Ziel dieser Sammelbiografie.
Es scheint, Marton halte es mit einem
der neun Genies – dem legendären Foto­
journalisten Robert Capa. Sie schreibt:
«Capa war parteilich und nahm Anteil.
Seine Berichterstattung war von starken
Gefühlen geprägt und nicht von techni­
scher Perfektion. Ihm war es gegeben,
mit dem Blick auf ein charakteristisches
Detail das Gesamtbild zu erfassen.» Ein
mitreissendes Buch ist der Autorin
dadurch allemal gelungen. l
Das amerikanische Buch Krieg und Cholera auf der Prärie
GRANGER COLLECTION / ULLSTEIN
Als um 1830 nach Westen drängende
weisse Siedler auf den Grassteppen des
heutigen Texas erstmals den Komant­
schen begegneten, erschienen ihnen
die mit Lanzen und Bogen bewaffneten
Reiternomaden als «beste leichte
Kavallerie der Welt» – aber auch als
Ausgeburten der Hölle. Kein anderer
Stamm war so aggressiv und militärisch
so effizient. Und kein anderer hat dem
Vormarsch der «Zivilisation» so viele
Hürden in den Weg gelegt. Selbst nach
dem amerikanischen Bürgerkrieg ge­
lang es den schwarz bemalten Kriegern
auf ihren Ponys noch einmal, die Sied­
lungsgrenze in Texas weit zurück nach
Osten zu werfen. Dazu trug ihre scho­
ckierende Grausamkeit bei, die selbst
in den Folterkammern der Inquisition
ihresgleichen suchen dürfte.
In seinem aktuellen Bestseller Empire
of the Summer Moon: Quanah Parker and
the Rise and Fall of the Comanches,
the Most Powerful Indian Tribe in American History (Scribner, New York 2010,
371 Seiten) erzählt der Journalist
S. C. Gwynne die Geschichte des in ein
Dutzend Untergruppen gegliederten
Stammes zwischen 1830 und 1910.
Dabei bringt er neben zeitgenössischen
Quellen auch anthropologische Er­
kenntnisse auf eine breite Leinwand.
Im Vordergrund steht mit Quanah
Parker der letzte grosse Kriegshäuptling
des Stammes. Parkers Mutter Cynthia
Ann war weiss und wurde 1836 als
Neunjährige in Texas von Komantschen
entführt, die fast ihre ganze Familie
brutal ermordeten. Sie wurde Frau eines
Clanführers und brachte 1848 Quanah
zur Welt, der als Kind erleben musste,
wie Weisse seine Sippe nahezu voll­
26 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 29. August 2010
Quanah Parker (1848–
1911), letzter Häuptling der Komantschen,
mit Tonasa, einer seiner
fünf Frauen. Autor
S. C. Gwynne (unten).
ner Umwelt über Generationen beein­
druckend gut zu nutzen verstand. Um
1600 aus Wyoming von stärkeren Stäm­
men nach Süden verdrängt, gebrauch­
ten die Komantschen von den Spaniern
nach New Mexico gebrachte Pferde, um
sich in Reiternomaden zu verwandeln.
Bisonjagd und Raubzüge wurden zur
Grundlage einer Machtposition, die
erst durch die Entwicklung von Revol­
vern und Repetiergewehren gebrochen
wurde. Gwynne unterstreicht jedoch,
dass der physische Untergang der Ko­
mantschen auf von den Weissen einge­
schleppte Epidemien zurückging, die
den Stamm zwischen 1830 und 1875 von
40 000 auf etwa 4000 Angehörige redu­
zierten. Auf diese Katastrophen konn­
ten selbst die adaptionsfähigen
Komantschen keine Antwort finden.
ständig auslöschten. Cynthia Ann
wurde gegen ihren Willen zurück zu
ihrer weissen Familie gebracht und
hungerte sich zu Tode. Intelligent und
von grosser Körperstärke, reagierte
Quanah auf den Verlust seiner Eltern
mit einem Hass auf die Weissen, der ihn
bis zum Sommer 1875 zur Geissel der
Grenzbewohner werden liess.
Dies macht Parkers Geschichte umso
erstaunlicher. Nachdem er als Letzter
das Kriegsbeil begraben hatte, brachte
er allein die Willenskraft auf, sich
den neuen Umständen im Reservat
der Weissen anzupassen. Parker wurde
wohlhabender Rancher und beein­
druckte selbst Präsident Theodore
Roosevelt, der sich auf seine Bitte hin
für die Reste des Komantschen­Stam­
mes einsetzte. Über die Details seiner
blutigen Rachezüge hat sich Parker
jedoch bis zu seinem Tod im Jahr 1911
ausgeschwiegen. Als Ergänzung zu
«Empire of the Summer Moon» ist The
Doch Parkers Vita weist über das be­
währte Muster von Aufstieg und Fall
hinaus: In «Empire of the Summer
Moon» wird hinter dem Schlachten­
getümmel die Tragödie eines Stammes
sichtbar, der die Veränderungen in sei­
fehlen, der noch einmal kompetent den
wesentlich bekannteren Niedergang
der Sioux­Indianer aufrollt. l
Von Andreas Mink
Last Stand: Custer, Sitting Bull, and the
Battle of the Little Bighorn von Nathaniel
Philbrick (Viking, 466 Seiten) zu emp­
Agenda
Museo Fantastico Der Traum vom Fliegen
Agenda September 10
Basel
Donnerstag, 9. September, 19 Uhr
Hansjörg Schertenleib: Cowboysommer.
Lesung, Fr. 15.–. Literaturhaus,
Barfüssergasse 3, Tel. o61 261 29 50.
Ay˛se Kulin: Der schmale
Pfad. Lesung, Fr. 15.–.
Literaturhaus (s. oben).
ÖMER AKCAY
Dienstag, 14. September,
19 Uhr
Mittwoch, 22. September, 19 Uhr
Unverhofftes Wiedersehen – ein Hebel­
Abend mit Annette Pehnt, Alissa Walser,
Martin Gülich, Markus Ramseier. Fr. 15.–.
Literaturhaus (s. oben).
Bern
Donnerstag, 2. September, 18.30 Uhr
Regula Tanner: Sammlerglück. Lesung,
inkl. Apéro. Buchhandlung Haupt,
Falkenplatz, Tel. o31 309 09 09.
Montag, 13. September, 20 Uhr
Lukas Hartmann: Finsteres Glück.
Lesung, Fr. 12.–. Thalia im Loeb, Spital­
gasse 47/52. Vorverkauf: Tel. 031 320 20 20.
Sind wir in New York, London, Tokio? Jedenfalls sehen
wir auf das Dach eines Gebäudekomplexes. Ringsum
ragen Wolkenkratzer in den Himmel. Gerade rast eine
Rakete ins Bild. Oder ist es nur ein Luftschiff, das am
Himmel schwebt? Wir wissen es nicht. Immerhin
machen uns die Menschen auf dem Dach die Grössenverhältnisse klar. Der 1958 in Zürich geborene
Künstler Orlando Vazau hat die Szenerie mit Liebe und
Witz nachgestellt. In seinem «Museo Fantastico»
variiert er den Menschheitstraum vom Fliegen. Bald
geht er von Alltagsgegenständen aus, bald von Werken
der Kunstgeschichte. Manfred Papst
Orlando Vazau: Museo Fantastico oder die Kunst des
Fliegens. WOA, Zürich 2010. 128 Seiten, Fr. 36.–.
Donnerstag, 23. September, 20 Uhr
William P. Young: Die Hütte – Ein
Wochenende mit Gott. Lesung, Fr. 20.–.
Theater National, Maulbeerstrasse 3,
Tel. 031 313 63 63.
Zürich
Mittwoch, 1. September, 20 Uhr
Adolf Muschg: Sax. Lesung, Fr. 28.–.
Kaufleuten, Pelikanplatz 1,
Tel. 044 225 33 77.
Belletristik
Sachbuch
1 Diogenes. 288 Seiten, Fr. 29.90.
2 Scherz. 303 Seiten, Fr. 19.90.
3 DTV. 340 Seiten, Fr. 21.90.
4 Diogenes. 344 Seiten, Fr. 32.90.
5 Diogenes. 272 Seiten, Fr. 32.90.
6
Krüger. 365 Seiten, Fr. 24.90.
7
Nagel & Kimche. 224 Seiten, Fr. 26.90.
8 Bastei Lübbe. 272 Seiten, Fr. 28.90.
9 Goldmann. 416 Seiten, Fr. 33.90.
10 Zsolnay. 592 Seiten, Fr. 34.90.
1 Fona. 144 Seiten, Fr. 29.90.
2 Kiepenheuer & Witsch. 256 Seiten, Fr. 23.50.
3 Econ. 256 Seiten, Fr. 29.90.
4
Kreuz-Verlag. 180 S., Fr. 28.90.
5 Koha. 192 Seiten, Fr. 15.90.
6 Herder. 208 Seiten, Fr. 23.50.
7 Nagel & Kimche. 240 Seiten, Fr. 29.90.
8
Brockhaus. 1216 Seiten, Fr. 50.50.
9 Bertelsmann. 640 Seiten, Fr. 46.90.
10
Nagel & Kimche. 160 S., Fr. 26.90.
Bernhard Schlink: Sommerlügen.
Tommy Jaud: Hummeldumm.
Laura Brodie: Ich weiss, du bist hier.
Donna Leon: Schöner Schein.
Martin Suter: Der Koch.
Cecelia Ahern: Ich schreib dir morgen
wieder.
Eveline Hasler: Und werde immer Ihr Freund
sein.
Andrea Camilleri: Die Spur des Fuchses.
Leonie Swann: Garou.
Henning Mankell: Der Feind im Schatten.
Thomas Renggli: Schwingen.
Michael Mittermeier: Achtung Baby!
Ulrich Detrois, Bad Boy Uli: Höllenritt.
Verena Kast: Was wirklich zählt, ist das
gelebte Leben.
Pierre Franckh: Wünsch dich schlank.
Kirsten Heisig: Das Ende der Geduld.
Jürg Wegelin: Mister Swatch.
Duden. Die deutsche Rechtschreibung,
25. Auflage.
Antony Beevor: D-Day.
Jürg Altwegg: Sind Schweizer die besseren
Deutschen?
Erhebung Media Control im Auftrag des SBVV; 17. 8. 2010. Preise laut Angaben von www.buch.ch.
Montag, 6. September, 20 Uhr
Ingeborg Gleichauf und Lukas Bärfuss.
Lesung und Gespräch über Max Frisch.
Buchhandlung am Hottingerplatz,
Hottingerstrasse 35, Tel. 044 251 15 84.
Mittwoch, 8. September, 18.30 Uhr
Dominique Strebel: Weggesperrt. Buch­
vernissage im Landesmuseum. Anmel­
dung: [email protected].
Donnerstag, 16. September, 19.30 Uhr
Daniel Mendelsohn: Die Verlorenen.
Lesung. Kulturhaus Helferei, Kirch­
gasse 13, Tel. 044 261 53 11.
Samstag, 18. September,
20 Uhr
John Irving: Letzte Nacht
in Twisted River. Lesung.
Schauspielhaus,Pfauen,
Rämistrasse 34.
Vorverkauf:
Tel. 044 258 77 77.
Bücher am Sonntag Nr. 8
erscheint am 26. 9. 2010
Weitere Exemplare der Literaturbeilage «Bücher am
Sonntag» können bestellt werden per Fax 044 258 13 60
oder E-Mail [email protected]. Oder sind – solange
Vorrat – beim Kundendienst der NZZ, Falkenstrasse 11,
8001 Zürich, erhältlich.
29. August 2010 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 27
KARIN HOFER
Bestseller August 2010
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