Nicht Chicago. Nicht hier.

Transcrição

Nicht Chicago. Nicht hier.
Uraufführung
Nicht Chicago.
Nicht hier.
Kirsten Boie
in einer Fassung von Michael Müller
11 +
B E G L E I T M AT E R I A L Z U M S T Ü C K
Nicht Chicago. Nicht hier.
Es spielen:
Lutz Dechant Polizist
Elisabeth Heckel Karin, Niklas‘ Mutter
Johannes Hendrik Langer
Niklas
Stefan Kowalski Thomas, Niklas‘ Vater
Franziska Krol Svenja, Niklas‘ Schwester
Florian Pabst Karl
Thomas Pasieka Jannis / Rocky
Elvira Schuster Frau Römer, Lehrerin
Regie: Kay Wuschek Bühne: Florent Martin Kostüme: Clemens Leander Musik + Komposition:
Katrin Vellrath Dramaturgie: Camilla Schlie Theaterpädagogik: Irina-Simona Barca / Frank
Röpke Licht: Rainer Pagel Ton: Max Berthold Regieassistenz: Laura Kallenbach, Chiara
Galesi Inspizienz: Anita Stenzel Soufflage: Jutta Rutz Technischer Direktor: Eddi Damer
Bühnenmeister: Henning Beckmann Maske: Karla Steudel Requisite: Jens Blau Ankleiderei:
Ute Seyer Dramaturgieassistenz: Marit Buchmeier Herstellung der Dekoration in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice unter der Leitung von Jörg Heinemann
Herstellung der Kostüme durch die Firma Gewänder Maren Fink-Wegner
Die Aufführungsrechte liegen beim Verlag für Kindertheater Uwe Weitendorf, Hamburg.
Premiere: 12. Juni 2012
Bühne 2
ca. 85 Minuten
Premierenklasse: 6c, BIP-Gymnasium / Berlin-Lichtenberg
Unterstützt mit Mitteln der
2
Nicht Chicago. Nicht hier.
Inhalt
Vorbemerkung4
Wie gemein muss ein Gemeinwesen sein?
Kriminalforscher Prof. Dr. Joachim Kersten über Strafen (2000)
6
6
Teil I Kein Mensch tut so etwas ohne Grund! 18
Eugen Sorg
20
Das Paradies auf Erden 20
Willige Vollstrecker
21
Gloria Beck
24
Einführung: Meisterschaft des Alltäglichen
24
Einschmeicheltechnik
26
Vorschlag für den Unterricht I
32
Bernd Rüthers
34
Was heißt „Gerechtigkeit“?
34
Moral, Ethik und Recht
35
Vorschlag für den Unterricht II
38
Teil II Die Symbolik der Bühne 40
Die Entstehung des Irrgartens in der Renaissance um 1500
40
Vorschlag für den Unterricht III
43
Teil III Wo ist Chicago? Was ist Chicago? Warum Chicago?
46
Die italienische Mafia
46
Al Capone
46
Literaturhinweise / Internetlinks 48
Bildnachweise49
Hinweise für den Theaterbesuch
50
Impressum51
3
Nicht Chicago. Nicht hier.
Vorbemerkung
Wir haben uns entschieden, das Buch „Nicht Chicago. Nicht hier.“ von Kirsten Boie auf die
Bühne zu bringen, weil es sich sowohl inhaltlich als auch strukturell besonders für eine Dramatisierung eignet. Der inhaltliche Schlüssel ist, die Innenperspektive des Opfers in Kombination mit der anachronistischen Zeit-Ordnung, die den Rezipienten auf der Bühne eine
Perspektivübernahme ermöglicht. Die Verwirrung, welche die Hauptfigur Niklas durch sein
Gegenüber Karl erfährt, wird in der Zeit-Ordnung gespiegelt. Das Springen in den Zeitebenen
und das Spiel mit dem Wissensvorsprung bietet dem Publikum eine Parallelerfahrung an. Es
geht mit Niklas mit, fragt sich, warum er und die Familie offenen Auges in die Falle tappen.
Auf der einen Seite reizt das Thrillerhafte, wodurch das Publikum die Überforderung Niklas‘
nachvollzieht. Auf der anderen Seite zeigt das Modellhafte der Geschichte, wie ein abstrakt
konstituiertes Böses die unterschiedlichen gesellschaftlichen Systeme; Familie, Schule, Exekutive/Judikative unterwandert. Wie beim Domino ist ein Einzelner in der Lage, ein ganzes
System Stein für Stein zu demontieren. Damit wird nicht nur der Einzelfall Niklas beleuchtet,
sondern der Blick auf übergeordnete Strukturen gelenkt.
Dieses Begleitmaterial richtet sich an Lehrerinnen und Lehrer, die mit Ihrer Klasse einen Vorstellungsbesuch planen und inhaltlich vorbereiten oder nachbereiten möchten. Die Texte
selbst richten sich eher an Erwachsene und sind nach Themen geordnet, so dass Sie entscheiden können, womit Sie sich im Einzelnen gerne befassen möchten.
Vorab finden Sie die Mitschrift eines Fernsehgesprächs zwischen Alexander Kluge (Filmemacher und Schriftsteller) und dem Kriminalforscher Prof. Dr. Joachim Kersten über Strafen,
das ich als Einstiegslektüre empfehle, weil es sehr gut in die unterschiedlichen Kontexte und
Perspektiven einführt, die mit der Inszenierung verknüpft sind. Von dort aus können Sie von
dem Material selektiv Gebrauch machen.
Teil I bietet Ihnen drei Themenschwerpunkte:
1. Das Böse – brauchen Menschen einen Grund, um böse zu sein? Dieser Frage widmen sich
zwei Texte von Eugen Sorg.
2. Mittel der Manipulation – Manipulation gehört zur alltäglichen Praxis und wird Menschen
gefährlich, wenn sie nicht als solche erkannt wird. Genauer beleuchtet Gloria Beck die Einschmeicheltechnik, die im Anschluss mit einer stückbezogenen Übung für den Unterricht
verbunden wird.
3. Die Differenz von Gerechtigkeit und Moral – worin bestehen die Unterschiede zwischen
legal und legitim? Weshalb finden wir es ungerecht, dass Karl nach dem Gesetz nicht bestraft werden kann? Zwei Texte von Bernd Rüthers erläutern die Herkunft und definieren
die Unterschiede unseres Rechtsempfindens. Daran schließ sich ein Vorschlag an, wie die
Schülerinnen und Schüler Recht und Moral differenzieren lernen können.
4
Nicht Chicago. Nicht hier.
Teil II bietet die Möglichkeit, über die Bühne als Bedeutungsträger zu sprechen und insbesondere in ein Denken in Symbolen und bildlichen Metaphern einzusteigen. Die Autoren beleuchten die unterschiedlichen Qualitäten von Irrgärten und Labyrinthen, so dass sich Parallelen
zur Inszenierung herstellen lassen. Angegliedert finden Sie einen Vorschlag, wie sich Schülerinnen und Schüler vom Buch oder der Inszenierung ausgehend dem Symbolgehalt des
Bühnenbildes nähern können.
Teil III enthält abschließend zwei kurze Texte zur Mafia bzw. zur Person Al Capone. Wie sich
herausgestellt hat, ist der Begriff „Chicago“ dem jungen Publikum nicht zwingend in Bezug
auf die US-amerikanische Mafia und die Zeiten des Scarface Al Capone bekannt.
Im Vorfeld haben wir Kontakt zu Berliner Schulpsychologen gesucht, die ich für konkrete Hilfestellungen und Nachfragen gerne weiterempfehlen möchte: Die Abteilung Gewaltprävention
in der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung, in Person Frau Ria Uhle
und Frau Kati Kommnick. Kontakt:
Telefon: 030 90227 6320 oder -6513,
E-Mail: [email protected].
Ich wünsche Ihnen und Ihren Schülerinnen und Schülern einen guten Vorstellungsbesuch. Bei
Nachfragen und / oder Anregungen kontaktieren Sie mich gerne!
Camilla Schlie / [email protected] / 030 557752 -48
Szenenfoto mit Paul Maresch und Johannes Hendrik Langer
5
Nicht Chicago. Nicht hier.
Wie gemein muss ein Gemeinwesen sein?
Alexander Kluge, geboren 1932 in Halberstadt, ist ein Filmemacher, Fernsehproduzent,
Schriftsteller sowie promovierter Rechtsanwalt. Er wurde als einer der einflussreichsten Vertreter des Neuen Deutschen Films bekannt, welchen er in Theorie und Praxis mitbegründet
und weiterentwickelt hat.
Als juristischer Berater des Frankfurter Instituts für Sozialforschung kam er in engen Kontakt
mit T.W. Adorno und der Kritischen Theorie. In der Schriftenreihe „Facts & Fakes“, woraus das
folgende Interview stammt, finden sich die transkribierten Interviews aus Alexander Kluges
Fernsehsendungen, die in Kombination mit weiteren Texten politisch-gesamtgesellschaftliche
Fragestellungen betrachten.
(vgl.: www.kluge-alexander.de; www.literaturkritik.de; http:de.wikipedia.org)
Kriminalforscher Prof. Dr. Joachim Kersten über Strafen (2000)
Kluge
Wie gemein muss ein Gemeinwesen sein?
Kersten
Nicht wie gemein darf ein Gemeinwesen sein, auch nicht wie gemein kann ein Gemeinwesen sein, sondern wie gemein muss ein Gemeinwesen sein – es spielt auf
mehrere Aspekte an. Es ist eine Sendereihe, die in verschiedenen Ländern zu Gast
war, u. a. in Süd-Afrika, wo der Umbruch jetzt ist, wo es eine Wahrheitskommission
gibt, ja, wo Wahrheit überhaupt erst einmal hergestellt werden muss …
Kluge
… und nicht die Strafe. [...] Da werden nur Straftaten bestraft, die während der
Apartheidspolitik begangen wurden ...
Kersten
In unserem Land ist das ein bisschen verlorengegangen. Durch die Zivilisierung der Strafe ist sie auch eigentlich immer weiter, wenn man so will, von der Öffentlichkeit entfernt.
Kluge
Überhaupt das Wort Strafe – es hat ja sehr viele Wandlungsprozesse durchgemacht. Was ist ihre ursprüngliche Form oder was steckt in diesen Strafen?
Kersten Die Strafe ist das Wiederherstellen des Gleichgewichts. Der Frevel ist begangen,
das Gleichgewicht ist gestört und die Strafe stellt es wieder her.
Kluge
D.h. zunächst einmal ist etwas Kultisches damit verbunden?
KerstenJa.
Kluge
Eigentlich etwas Religiöses?
Kersten
Ja, es ist eine Reinigung.
Kluge
Eine Reinigung. Ich könnte auch ein Gottesurteil nehmen, ich könnte den Zweikampf nehmen, ich könnte die Wüstung vollziehen. Wüstung ist im „Sachsenspiegel“ der Vorgang, dass, wenn in einem Haus ein Mord begangen wurde, das Haus
niedergerissen wird. Die Tat wird „ungesehen“ gemacht.
6
Nicht Chicago. Nicht hier.
Kersten Ja. Die Heiligkeit des Hauses ist gestört. Wir haben das heute alles auf die Person
und auf die Frage der persönlichen Schuld reduziert.
Kluge
Und das seit 300 Jahren.
Kersten
In früheren Zeiten hat man die Umwelt miteinbezogen …
Kluge
Die Tat musste beseitigt werden.
Kersten Die Tat musste beseitigt werden, und dass die Umwelt, in der die Tat geschehen
ist – Umwelt nicht im Sinne von Luft und Wasser usw., sondern die soziale Umwelt,
das Umfeld der Tat …
Kluge
Also, ursprünglich ist die Strafe eine rituelle Form, ein Talion.
KerstenJa.
Kluge
Es muss dem Täter geschehen, was seine Tat wert ist. Es muss die Tat aus der Welt
geräumt sein. Es muss Gottes Welt wiederhergestellt werden ohne das Verbrechen.
Ob da jetzt einer bestraft wird am Leib oder gefangengesetzt wird, das ist die zweitrangige Frage. Ist das richtig?
Kersten
Die erste Aufgabe ist, das Verbrechen aus der Welt zu schaffen.
Kluge
Wenn der Papst also nichts weiter verkündet als ein Urteil, er kann es nicht vollstrecken im Einzelnen, dann ist das dennoch Rechtspflege?
KerstenJa.
Kluge
Also, nochmals die Komponenten, die in der Strafe stecken: Das eine, ich lasse
jetzt mal das religiöse Element – man muss die Welt wieder reinigen vom Verbrechen – außen vor, weil es ja Mittelalter ist. Es gibt jetzt etwas anderes, nämlich die
Kennzeichnung, das ist rechtens, die öffentliche Darstellung, dies ist böse, dies ist
nicht böse, da ist eine Unschuldiger, hier ist Schuld – und dies möglichst markant.
Kersten Ja. Aber hier haben wir auch wieder die Schwierigkeit, wenn wir uns die neuere
Forschung dazu anschauen, dass der Gedanke weder der Generalprävention noch
der Individualprävention, den wir ja benötigen, um die Art dieser Strafen zu rechtfertigen – der funktioniert nicht. Die Forschung zeigt, speziell bei denen, die sehr
stark auffällig werden, also die jungen Männer, Jugendliche zwischen 15 und 25:
Der Gedanke an die Strafe schreckt die nicht ab. Die Erwartung, die sichere Erwartung der Strafe, schreckt sie nicht ab, außer bei Bagatelldelikten wie Eigentumsdelikten oder Schwarzfahren oder so etwas. Je schwerer die Straftat, also je mehr sie
andere in Mitleidenschaft zieht, umso weniger wirken diese beiden großen Säulen
…
Kluge
Individualprävention: Der Täter soll umerzogen werden, Generalprävention: Eine
unbekannte Zahl von Tätern soll abgeschreckt werden.
Kersten
Das funktioniert nicht.
Kluge
Beides funktioniert nicht.
Kersten
Nein. Also, die Forschung, auch in unserem Land jetzt, man muss da gar nicht nach
Amerika schauen. Karl Schumann hat eine Studie dazu gemacht in großem Rahmen und methodologisch sehr aufwendig und sehr sorgfältig, die zeigt, dass Ju7
Nicht Chicago. Nicht hier.
gendliche sich nicht abschrecken lassen. Er hat dann ein Jahr später geschaut, wie
viele von denen straffällig geworden sind usf.. Er hat diese ganzen Bedingungen
versucht zu isolieren. Was dabei herauskommt unterm Strich, ohne dass man es
jetzt ausführen kann, ist – und dies gilt für Jugendliche: Je schwerer die Straftat,
desto mehr wirken dynamische Faktoren; das was gerade passiert, was ansteht,
die Situation, die Kumpel, die dabei sind, die Situation des Opfers usf. – das wirkt.
Der Gedanke an eine Strafe, der kommt überhaupt nicht auf bei diesem Geschehen.
Kluge
Wirkt nicht in die Situation hinein.
Kersten Ja, wirkt nicht hinein. Der Gedanke ist gar nicht da, der spielt überhaupt keine
Rolle. Und die Wahrscheinlichkeit, jetzt erwischt oder hoch bestraft zu werden,
spielt auch keine verhaltensprägende Rolle. Schumann hat die Jugendlichen gefragt: Was glaubst du, was passiert, wenn du dieses oder jenes tust? – Und diejenigen, die sagen, dass dann etwas ganz Schreckliches passiert, tun es trotzdem.
Es ist etwas anderes, wenn wir hier sitzen und uns darüber unterhalten. Dann kann
ich mir rational klarmachen, was mich unter Umständen erwartet. In einer anderen
Wissenschaft, in der Medizin, würde man schwer ins Nachdenken geraten, oder
auch in der Körper-, der Teilchenphysik, wenn man sagt, zwei wesentliche Säulen
…
Kluge
… die die Theorie begründen …
Kersten … die sind leider gar nicht da, und das Ding schwebt irgendwie im Raum – und
zwar ziemlich steuerlos. Da würde man sehr ins Nachdenken kommen und wir
tun uns schwer damit, weil natürlich dieses Strafrecht nicht die Säule ist, die das
zweckrationale Handeln des Strafenden oder des Strafens begründet, sondern die
Säule unserer Zivilisation.
Kluge
Es gibt ja zwei Prozesse, die ganz deutlich in der Welt Platz greifen: Das eine ist die
Globalisierung und das andere ist die Zunahme an Raffinement des Verbrechens.
So etwa kann man doch sagen?
KerstenJa.
Kluge
Es sind moderne Mittel, die dem Verbrechen zur Verfügung stehen: Grenzüberschreitung ist möglich …
Kersten
Ja. Elektronik.
Kluge
… und umgekehrt ist in der Globalisierung die Gefährdung großer Besitzstände
sehr viel größer – also gewissermaßen der ganze Planet wird von Versicherungsbedürfnissen umfasst.
Kersten
Für diejenigen, die etwas besitzen, für die andern nicht.
Kluge
Aber der Einzelmensch, auch der Täter wird sehr viel kleiner, gesehen vom globalen Standpunkt eines großen Apparates, so dass auch die Distanz sich vergrößert
– das Bedürfnis, Sicherheit herzustellen, verlässt im Grunde genommen die Ebene
des Täters, die seiner Motive, seiner Beweggründe, auch seiner sozialen Beweggründe – wendet sich Räumlichkeiten, Situationen, Sicherungsmöglichkeiten zu.
8
Nicht Chicago. Nicht hier.
KlugeVerwertungstatbeständen.
Kersten
So etwas wie privater Sicherheitsdienst, in den USA weit verbreitet, brauche ich so
was? Wie kann ich alles sicherer machen?
Kluge
Findeisen spricht hier von einem Ausgrenzungsmechanismus, der immer mehr
Platz greift.
Kersten Wir haben also eine doppelte Triebkraft: Einmal sind es Ausgrenzungskräfte, die
einen größeren Teil der Bevölkerung in die Gefahr bringen, kriminell auffällig zu
werden; das sind Ausgrenzungskräfte, die haben mit Wirtschaft zu tun, mit Arbeitsmarkt, mit Wohnungsmarkt. Dann gibt es die Strafe selber. Wenn sie vollzogen
wird, dann hat sie einen stark ausgrenzenden Charakter in einer Zeit, in der ein
Strafgefangener nun wirklich keine Arbeit mehr kriegt und in der der Strafvollzug
unter diesen Bedingungen – zwei Drittel nicht in unserer Kultur geboren, überlastet,
übervoll, Drogenhandel – natürlich keine Berufsausbildung mehr bieten kann. Das
war vor 20 Jahren anders.
Kluge
Wenn wir jetzt die USA beobachten, kann man sagen, dass wir da unsere Zukunft auf kriminalpolitischem Gebiet sehen – etwa wenn es dort heißt: Einschließen,
Schlüssel wegwerfen als Lösung. Also die Verwahrung von Kriminellen, die Sicherheitsverwahrung als Prinzip?
Kersten
Im Moment ist das der Zustand.
Kluge
Das Einsperren eines Teils der Gesellschaft sichert die übrigen?
Kersten Wir haben einen großen Unterschied zu den USA. Die USA sind auf der Ebene der
praktizierenden Justiz einigermaßen ungebrochen davon überzeugt, dass das richtig ist. Das haben wir nicht. Wir haben im Moment eine Auseinandersetzung, dass
die Justiz beschimpft wird, weil sie zu lasch sei. Die Menschen, die sich mit Straffälligen befassen auf justizieller Ebene, wissen sehr genau, was die Hintergründe
sind, und dies macht sie sehr zögerlich in der Anwendung ihrer Maßnahmen. Das
ist ein großer Fortschritt, dass wir das erreicht haben. Es ist ein großer Fortschritt,
weil sich hier Juristen und Sozialwissenschaftler auf ein Gespräch geeinigt haben,
dessen Folge ist: Wir machen das nur noch, wenn es absolut notwendig ist, wenn
es der Schutz der anderen oder die betreffende Person erfordert, also wenn es um
eindeutige Schutzinteressen geht. Ich muss den schützen, ich muss die andern
vor dem schützen, dann muss ich das machen, dann bleibt mir da nichts anderes
übrig. Der hat das jetzt so oft gemacht, der hört damit nicht auf. Die Frage der
Vergeltung und die Frage des Schutzes sind zwei unterschiedliche Geschichten
und die Debatte, die wir im Moment haben, die Forderung nach schärferer Strafe,
nach mehr Gefängnis, nach früherem Gefängnis für Jüngere – da spielt ja nicht der
Schutz einzelner die Rolle, weil, den Schutz, das wissen wir, den haben wir nicht,
das haben Sie angesprochen. Die Globalisierung, die Prozesse produzieren das,
und da kann man nicht mit individuellen Strafen etwas ändern, indem man den Einzelnen herauszieht und an dem etwas macht – dadurch ändert man diese Dynamik
nicht. Diese Vergeltung, das wir wollen, dass etwas passiert. Im Grunde genommen
kommen wir hier wieder auf die religiöse Seite zurück, dieses Bedürfnis nach Reinigung, nach Wegsperren, Schlüssel wegschmeißen, Wüstung. Dieses Bedürfnis ist
9
Nicht Chicago. Nicht hier.
da und ist ungebrochen, das stärkt sich selber. Zunächst greifen es Leute auf, die
oft überhaupt nicht Opfer dieser Kriminalität sind, gar nichts damit zu tun haben –
die Opfer sind am allerwenigsten an Vergeltung interessiert.
Kluge
Ich brauche mehr Vergeltung und Vergeltungsstrafrecht, weil ich andere Probleme
in meinem Leben nicht lösen kann. Ist das richtig? Eine Umverlagerung?
Kersten Ja, so kann man es sagen, das ist eine Umverlagerung, eine Ohnmacht. Es gibt ja
kluge Leute in unserem Geschäft, die sagen … Wir hatten ja vor 25 Jahren wirklich
eine Zeit, wo uns sehr stark interessierte, warum tut der Frevler das und, gut, wir
wollten wissen, warum tut der das, und wir wollten aber auch wissen, wie wir den
da runterbringen. Das war eine Art Konsens, kann man sagen, in den Zeitungen,
in der Akademie, überall. Dann sind Prozesse eingetreten, die uns klar gemacht
haben, dass wir bestimmten Dingen gegenüber ohnmächtig sind, z. B. Umweltprozessen, Atomkraftwerken …
Kluge
Wir leiten das Gemeinwesen nicht wirklich …
Kersten
Wir leiten es nicht.
Kluge
Wir täuschen uns darüber. Wir können Wahlen veranstalten, aber in Wirklichkeit ist
man sehr weit entfernt von der Regelung der Weltverhältnisse.
Kersten Ein skandinavischer Kriminologe sagt deswegen: Weil uns allen klar wird, dass wir
Opfer sind von Prozessen, die wir nicht steuern können, wenden wir uns dem Opfer zu, entdecken das Opfer, entdecken die Viktimologie. Es gibt Lehrstühle dafür.
Natürlich ist das Opfer bisher auch betrachtet worden. Man muss es verstehen,
um die Dynamik zu verstehen. Nur, was wir hier an Jugendkriminalität haben, da
sind Täter und Opfer austauschbar. Der, der heute Täter ist, ist morgen Opfer und
umgekehrt. Das kann man sagen anhand der Zahlen, die wir haben. Das klassische
Opfer, das wir im Blick haben, ist das klassische Opfer der Hochkultur, der Literatur,
der Oper, des Theaters oder des Kriminalfilms, aber nicht das Opfer des Kriminalitätsalltags. Trotzdem, wir wenden uns dem Opfer zu, aber wir merken, wir sind alle
Opfer, und dieses schlägt um zunächst in einen Blick, der sagt: Wir wollen uns nicht
mehr so sehr auf den Täter konzentrieren, wir haben viel zu viel Energie in den gesteckt, wir müssen jetzt den Opfern helfen, wir wollen Gutes tun. Und dieses setzte
vor 20 Jahren ein und diese ist eine Haltung, wo uns eigentlich nur noch das Opfer
interessiert.
Kluge
Aber auch in dem Sinne, dass wir nicht konkret dem Opfer helfen – also wir geben
nicht eine Spende oder sammeln in Stiftungen oder helfen konkret, sondern es ist
so: Wir wollen eine Vergeltung.
Kersten
Es ist eher genau umgekehrt.
Kluge
Stellvertretend für die Opfer wollen wir Rache?
Kersten Wir haben gesagt, wenn wir uns für die Opfer interessieren, wollen wir auch mehr
über die wissen. Also haben wir Forschungen in Gang gesetzt und herausgefunden:
Die meisten Opfer werden Opfer im sozialen Nahraum. Frauen werden von Männern geschlagen, Kinder werden missbraucht von Familie, Freunden, Bekannten
der Familie, d.h. das meiste, was an Gewalt passiert, passiert in Räumen, die uns
10
Nicht Chicago. Nicht hier.
eigentlich heilig sind, und dagegen können wir unglaublich wenig tun. Also, umso
mehr interessieren wir uns für unsere Vergeltungsbedürfnisse: Die Täter, die möglichst fremd sind, die an möglichst öffentlichen Schauplätzen agieren.
Kluge
Daher ist Straßenkriminalität immer im Blickfeld?
Kersten
Straßenkriminalität eines bestimmten Typus nur, denn es gibt auch eine Straßenkriminalität, die in derselben randständischen Bevölkerung bleibt, in derselben Ethnie. Der Täter, der fremd ist – der uns bedroht, speziell dessen Verfolgung im Bereich von Sexualstraftaten –, ist am ehesten konsensfähig, und auf den können wir
unsere Vergeltungsbedürfnisse konzentrieren.
Kluge
Und wo entsteht, sozusagen auf der anderen Seite, die kriminelle Energie? Sie ist
ja den Menschen nicht angeboren.
Kersten
„Dangerous classes“ müssen von irgendetwas leben. Die Leute, die in den Ghettos
leben, müssen von irgendetwas leben, und das Verbrechen ist gewissermaßen die
Ökonomie der Schattenseite der Gesellschaft. In den Warschauer Ghettos hatten
wir auch kriminelle Kinderbanden. Wir hatten in jedem Konzentrationslager Formen
von Kriminalität, die sich auch gegen die anderen Insassen richtete, um hier eine
gewisse Ökonomie zu schaffen, um eine gewisse Soziabilität zu schaffen – so hart
sich das anhört, aber so ist das tatsächlich gewesen.
Kluge
Also begabte, wenn wir jetzt umgekehrt denken, begabte Kriminalität entsteht immer dort, wo eine Gegenwehr zwingend erforderlich ist? Keiner wird ohne Not kriminell, kann man das so sagen?
Kersten
So kann man das sagen.
Kluge
Keine Gesellschaftsschicht produziert intelligente Kriminalität ohne Grund?
Kersten
Man kann es umgekehrt sagen: Je eindeutiger ich Kriminalität mit einer bestimmten
Gesellschaftsschicht assoziieren kann und je größer der Konsens darüber ist, desto angenehmer ist das Leben oberhalb dieser Schicht. Ungebrochen. Die Begabtheit in Kriminalität ist ja das, was die großen Firmen, sobald sie sich nicht
ethischen Leitbildern verpflichten, am Laufen hält. Ich meine, die Untersuchungen
zeigen auch, dass in Unternehmen jüngere Manager von älteren planmäßig nicht
nur angelernt, sondern auch in diese Kriminalität sozialisiert werden, indem ihnen
die moralischen Skrupel, das Gewissen von Älteren, die ihre Vorbilder sein sollen,
ausgeredet wird. Das hat man sehr genau untersucht, es interessiert sich nur keiner
so stark dafür. Die russische oder die italienische Mafia sind da interessanter.
Kluge
Es gibt eine Wirtschaftskriminalität, die in gewisser Weise durch Schuldübernahme
funktioniert. Die oberen übernehmen die Schuldgefühle und die Unteren exekutieren die Straftaten?
Kersten Die Oberen übernehmen die Schuld, die tragen die Schuld, sagen, es ist für die
gute Sache. Sie sagen, wir müssen es tun, weil wir sonst die Konkurrenz nicht ausschalten können.
Kluge
So dass kleine Anti-Gemeinwesen entstehen, und zwar aus Not? Der Konkurrenzdruck in der Welt zwingt uns an der Grenze, in einer Grauzone des Legalen zu operieren?
11
Nicht Chicago. Nicht hier.
Kersten
„Not“ würde ich in diesem Kontext nur mit einem gewissen Lachen verwenden. Es
ist natürlich nicht Not, sondern es ist eine abstrakte Form von Not, Konkurrenz auf
dem Markt, während es natürlich, je weiter wir nach unten gehen, doch noch materielle Not gibt, auch wenn niemand mehr verhungert. Die Armen, die ehemaligen
Ureinwohner, alle die, die in diese Abteilungen der Gesellschaft gedrückt werden
und dort über Generationen bleiben – sie werden dick, sie haben keine Not des
Essens mehr, aber die Not drückt sich anders aus. Die Manager sind schlank.
Kluge
Wie entsteht so etwas? Wir erklärt man so etwas?
Kersten Kriminalität entsteht aus einem Austausch, wie wir ihn eben besprochen haben,
einem Austausch, der in diesem Fall aus Not erfolgen muss. Und man stellt sich
vor, es setzen sich Männer mit dunklen Anzügen zusammen, ziehen die Sonnenbrillen auf und beschließen, Rauschgift zu verkaufen. Aber die Quelle des organisierten Verbrechens im Mittelmeerraum ist eine ganz andere, nämlich die Konkurrenz
bzw. das Verhältnis zwischen landbesitzenden und landlosen Hirten. Die landlosen
Hirten können auf Grund von Unwettern, von Krankheiten der Schafe die Pacht
nicht bezahlen. Sie entführen ein Familienmitglied der landbesitzenden Familie, verschleppen dieses und bringen es in die Berge, z.B. in Sardinien, dann tauschen sie
die Geisel gegen Pachtbetrag aus. Das Wissen darüber, wie man das macht, die
Verantwortung, wer das machen muss, denn die sind dann ja kriminell, das wird von
Familie zu Familie und in großen Clan-Verbänden weitergegeben, und das wird auch
nicht als Kriminalität gesehen, sondern als eine Notmaßnahme. Daraus entwickelt
sich eine Organisationsform, ein Wissen, eine Technologie, wenn man so will.
Kluge
Die gegenüber jeder Zentralgewalt oder Polizeimaßnahme, auch der Gegenwehr
der Großgrundbesitzer, immun wird?
Kersten Wird immun, und zwar auch moralisch immun. In den Bergen von Sardinien, oberhalb von Argrossolo, ist die italienische Zentralmacht, die ja Sardinien kolonialisiert
hat, einmarschiert mit Verbänden und wollte diese Banditen-Nester ausräuchern,
das ist ihnen aber nicht gelungen. Diese Quellen der organisierten Kriminalität sitzen im südlichen Europa. Das, was jetzt „Ehrenwerte Gesellschaft“ heißt, wandert
von dort mit den Migrationsbewegungen aus, die wiederum aus Not geschehen
und nicht, weil die Auswanderer sagen: In New York ist es so schön oder da ist
mehr Kultur als in Sardinien oder in Sizilien. Aus Not wandern die mit und formieren
sich …
Kluge
Und hier können sie sich anders entfalten, weil die ursprüngliche Problematik – ich
muss sozusagen mein Hirtenleben und meinen Clan schützen – so nicht existiert.
Kersten
Es wird abstrakt. Es wird die Ehre, die Ehre der Familie …
Kluge …die sich verselbständigende kriminelle Existenz, kann man das sagen, die wie
eine Tiersorte in der Evolution …?
Kersten
… das wird dadurch begünstigt, dass in den USA alles ,was zunächst noch als moralische Barrieren durch Kirche, durch gemeinsame Zugehörigkeit, durch andere
Kulturen durch Traditionen feste Werte vermittelt, entfällt. Es gibt das italienische
Ghetto, so wie es das polnische Ghetto gibt, das jüdische und das deutsche, und
12
Nicht Chicago. Nicht hier.
in diesem italienischen Ghetto gibt es wiederum Besitzende und Habenichtse, und
die Habenichtse wachsen heran, das werden junge Männer, und es ist ein Widerstreit in ihnen; ein Weg, den sie wählen können, ist der, diese kriminellen Methoden
fortzusetzen.
Kluge
Da spricht man in der Sowjetunion, in dem verfallenden Imperium, auch von Mafiastrukturen oder Schurki, das heißt: Die aus dem Sumpf kommen, da kommt wohl
der Ausdruck Schurke her – und diese Gruppierung hat ja wohl nicht direkt mit der
Mafia zu tun, ist das richtig?
Kersten
Nicht mit der italienischen. Mafia ist nur ein Ausdruck.
Kluge
Und diese Struktur hat sich gebildet an der Nahtstelle zwischen den großen früheren
Kombinaten, Apparaten, dem staatlichen Vollzugs- und Polizeiregime und den Enteigneten, Leuten, die aus Afghanistan zurückkommen, und Leuten, die aus den
südlichen Republiken stammen, dem Kaukasus, ist das richtig?
Kersten
Die südlichen Republiken – Provinzen, hat man früher gesagt – sind für diese Struktur begabter, sagen wir es einmal so herum, weil sie …
Kluge
… organisationsfähiger sind?
Kersten Weil sie aus ihrer Agrarstruktur, aus ihrer Ökonomie offensichtlich Organisationsformen mitgebracht haben, die ihnen das erleichtern.
Kluge
Den Zusammenschluss erleichtern, sie sind nicht unbedingt krimineller.
Kersten
Nein, nein, den Zusammenschluss. Diese Form der Solidarität, die dazu notwendig
ist, und auch diese Art der Umformung von Moral – denn man darf sich ja nichts
vormachen, es sind Verbrechen, es wird ja jemand in Mitleidenschaft gezogen,
denn wenn jemand getötet wird, dann wird jemand getötet …
Kluge
Und das bildet sich heran, so wie bei Lebewesen, über Generationen hinweg?
Kersten
Kriminalität in Schichten ist eine vererbbare Angelegenheit.
Kluge
Und zwar nicht durch die Gene vererbbar.
Kersten
Nein, durch Wissen.
Kluge
Wissen, Organisationsfähigkeit, Raffinement, Methodik, Beziehung?
Kersten Alles, was wir über Kriminalität wissen in Industriegesellschaften, zum Teil auch
in Schwellenländern, ist, dass es sich um junge Männer handelt, die in Städten
leben, die ungebunden, also nicht verheiratet oder eingebunden sind und die in
Gegenden leben, in denen andere, die auch kriminell sind, zu Hause sind. Es geht
um Lernen, es geht um Wissen, das vermittelt wird.
Kluge
Wie kann man solche Lernprozesse unterbrechen? Indem man die Intelligenz, die
darin steckt, auf etwas anderes lenkt, oder wie?
Kersten Wenn man nicht an die Besitzverhältnisse herangeht, denke ich, wird man sich
schwer tun. Wenn wir gesehen haben, dass dieses aus Ungleichheit kommt: Im
Besitz, in der Verfügung über Mittel, in der Last des Elends – wenn man das nicht
abstellt, sondern im Gegenteil eher die Tendenz dahingeht, das zu verschärfen,
dann wird man sich keine Illusion darüber machen dürfen, dass man das am Indi13
Nicht Chicago. Nicht hier.
viduum kurieren kann oder an der kleinen Gruppe oder durch ein Jugendzentrum,
indem man ein Gebäude hinstellt.
Kluge
Durch Übergabe von Verantwortung – also wäre z.B. eine Mafia-Gruppe als Verwalter, Manager …
Kersten … die würden das bestimmt sehr gut machen …
Kluge
… eines Kombinats – wären sie die besten Verteidiger und würden sie ein Stück
betriebswirtschaftlichen Gemeinwesens gegen alles Übrige verteidigen?
Kersten
Ich würde mal sagen, in den frühen staatssozialistischen Systemen war das sicherlich so, dass ein Großteil der Bevölkerung an organisierter Kriminalität beteiligt war
im Rahmen dieser Ökonomie, ²/³ oder so war organisierte Kriminalität. Jetzt haben
wir den Zusammenbruch des Staatssozialismus, wir haben kapitalistische Besitzverhältnisse. Jetzt wird die Grenze markierbarer und es ergibt sich eine Umgruppierung, an deren unterem Rand Leute sind, speziell in diesem Fall auch Männer
und auch eher junge Männer als ältere, die sagen: So geht das nicht, wir nehmen
das jetzt in die Hand. Und da gibt es diese Zusammenschlüsse und die Felder sind
Glücksspiel, Prostitution, Grunderwerb usw. usf. Wenn das so geblieben wäre, wie
es in Sardinien und Sizilien jahrhundertelang geblieben ist, dann wäre es eigentlich
nicht so ein großes Problem. Aber indem wir beweglich werden, indem ganze Bevölkerungen sich austauschen zu anderen Kontinenten hin, zu anderen Gegenden,
wandert das mit.
Kluge
Man kann plötzlich Reno besetzen, kann Brüssel besetzen, kann amerikanische
Zentren aufgreifen, ist bündnisfähig?
Kersten
Kann sich in Berlin ausbreiten …
Kluge
Versetzen Sie sich einmal in einen luziferischen Betrachter, der aus dem Weltraum
die Statistiken auf der Erdkugel betrachtet und der findet eigentlich Verbrechen
evolutionär, einen positiven Tatbestand …
KerstenJa.
Kluge ... fände er, dass wir durchaus fortschrittlich sind?
Kersten Der sagt, das ist ein Zeichen dafür, erstens dass es das gibt, zweitens dass die
Gesellschaft sich darum kümmert und dieses nicht so von sich wegschließen kann,
dass sie es völlig von sich abtrennt, auf Inseln, durch Verlagerung auf andere Kontinente, durch Töten, Verschwindenlassen der Menschen. – In einem Kriminalroman,
den ich jetzt gelesen habe, gibt es das Straf-Koma.
Kluge
Was ist das?
Kersten Der Täter wird in ein Koma versetzt und es gibt zwei Formen des Koma, nämlich
das Koma, aus dem man jemanden wieder rausholen kann, das heißt „Das Wittgensteinprogramm“, und das andere ist das Straf-Koma, das nicht mehr zu beenden ist, d.h. er liegt im Koma und stirbt. Die werden aufbewahrt, da braucht man
keine Wärter mehr, keine Programme mehr, keine Bewährungshelfer mehr, nichts
mehr. Und diese zwei Formen der Reaktion auf schwere Kriminalität gibt es. Und
da sagt der luziferische Betrachter vom Mars jetzt: Wenn es gelingt, diese durch
14
Nicht Chicago. Nicht hier.
komplette Exklusion wegzumachen, so dass die Gesellschaft ihrer normalen Kriminalität nachgehen kann, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben – je besser
dieser Ausschluss gelingt, desto kränker ist die Gesellschaft. Je mehr die Gesellschaft beunruhigt ist, sich damit auseinandersetzen muss, indem es verschiedene
Stimmen gibt – die der Pädagogik von mir aus, die des Strafrechts, wie auch immer, die der Polizei, die der Menschen, die andern helfen wollen – , je mehr Aufruhr
es darüber gibt, desto ein besseres Zeichen ist das: Denn es wird gesehen, dass
hier zwischen dem Hauptkörper der Gesellschaft und diesem kleinen Körper ein
Wechselprozess stattfindet, dass die zusammengehören und dass man ihn nicht
wegmachen kann.
Kluge
Man führt ihn nur aus dem Blick heraus und die Gesellschaft selber würde verbrecherisch, wenn sie diesen Verbrechensimpuls völlig ausgrenzen könnte.
Kersten
Im Übrigen ist es natürlich kriminologisch völlig naiv anzunehmen, dass man durch
Ausgrenzung oder – wie man sagt – durch Exklusion, also das Ausschließen von
ganzen Bevölkerungsteilen oder gefährlichen Kindern oder gefährlichen Ausländerkindern gar, dass man durch Wegschieben dieses Problem beseitigt. Jede Forschung zeigt, dass der Versuch, dieses Problem am Individuum zu kurieren, zu
bestrafen, auszumerzen zu einer Brutalisierung der Gesellschaft führt. Das Paradebeispiel dazu ist das Dritte Reich, aber es gibt auch viele andere Gesellschaften. Je
perfekter dieser Ausschluss in so einem Reinigungsmodell funktioniert – die Gesellschaft soll hygienisch werden, sie soll sauber werden, wir wollen die weg haben – ,
desto brutaler wird sie.
Kluge
D. h. an der Generalprävention lernt die Gesellschaft die Brutalität schneller, als ein
Individuum überhaupt gestraft werden könnte?
Kersten Speziell durch die Todesstrafe. Mit ihr verbindet sich der Glaube, dass man damit
zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt: Der kann das nicht mehr wieder tun und sein
Beispiel schreckt ab. Man hat die Wirkung zu messen versucht, sie hält ungefähr
eine Woche bei Mord; also den Leuten, die wegen Mordes hingerichtet werden,
kann man sagen: Der Effekt, wenn es so einen generalpräventiven Effekt überhaupt
gibt, dann hält der eine Woche.
Kluge
Es erschreckt diejenigen, die sowieso nicht morden, eine Woche?
Kersten Ganz furchtbar erschreckt es die, aber sonst erschreckt es überhaupt niemanden,
weil der Mord nicht geplant wird.
Kluge
Und auf die Kapitalverhältnisse, d.h. auf den Täter, der als nächster einen Mord
im Affekt begeht, oder auf einen geplanten Mord oder einen professionellen Mord
wirkt es gar nicht?
Kersten Im Gegenteil. Ich habe dort, wo ich die Todesstrafe wieder einführe, einen Anstieg
der Raten des Problems, das ich durch Einführung der Todesstrafe eigentlich bekämpfen wollte, d.h. es ist ein Variation des alten Kraus’schen Themas: Die Todesstrafe ist das Problem, das sie zu heilen vorgibt.
Kluge
Gibt es Forschungen darüber, ob Kriminalität einen evolutionären Vorteil enthält.
Dass also Gesellschaften oder Gruppen sich leichter entwickeln, ihre Gene schnel15
Nicht Chicago. Nicht hier.
ler vermehren, wenn sie Kriminalität kennen, wenn sie sehr professionell darin sind,
wenn sie es oft und gezielt und intelligent anwenden, oder sind friedfertige Gesellschaften …
Kersten Im Moment muss man leider sagen, dass in den letzten 400 bis 500 Jahren die
Friedfertigen nicht die waren, die erfolgreich waren. Wenn man nach Südamerika
sieht …
Kluge
… in einem Land werden keine Fahrräder gestohlen, auch alles übrige kann man
liegen lassen, die Mordrate ist gering und die Geburtenrate geht zurück – richtig?
Wobei die Geburtenrate noch nicht das einzige Indiz ist für evolutionären Vorteil.
Kersten
Das ist eine sehr radikale Sicht, also da denke ich anders. Ich denke, wenn wir uns
Gesellschaften ansehen, die insgesamt kriminell geworden sind, wo im Namen des
Volkes enorme Verbrechen begangen worden sind, das kann man sagen, die sind
sehr erfolgreich gewesen in den letzten 50 Jahren – es betrifft die Japaner, es betrifft unsere Kultur. Wir werden nach außen ja immer nicht so wahrgenommen, deswegen gibt es ja auch diese Debatten. Auf der anderen Seite, wenn wir das Beispiel
von Ureinwohnern nehmen, da haben wir sehr friedfertige und sehr kriegerische.
Das hat denen eigentlich überhaupt nichts geholfen.
[...]
Kluge
Wenn Sie das Wort „gemein“, den Ausdruck „das ist gemein“, wenn Sie das in seinen Facetten analysieren würden?
Kersten
„Gemein“ ist die Zufügung eines Übels …
Kluge
Was ist Gemeinheit?
Kersten
… das Strafrecht dosiert das.
Kluge
„Heimtücke“ versteht man, das ist Hinterlist, das Opfer konnte nicht darauf reagieren …
Kersten Es geht um das Machtverhältnis. „Gemein“ erhebe ich mich über den anderen,
zusätzlich füge ich ihm Schaden zu und genieße noch einmal den Schaden. Und
wenn ich das alleine mache, als Täter, ist das schon schlimm genug, und wenn ich
das als Gruppe mache, ist das noch schlimmer, und wenn ich das als Stadtteil mache oder als Gesellschaft mache, dann ist es …
Kluge Wenn ich sage, mein Liebhaber war ein gemeiner Hund, ich liebte ihn dennoch.
Was würde das „gemein“ hier bedeuten?
Kersten
„Gemein“ heißt, dass ich durch ihn gequält wurde oder durch ihn Schlechtes erfahren habe oder dass er seine eigenen Interessen vorangestellt hat, wie auch immer.
Es gibt auch den Ausdruck „gemein gut“ , gut wird durch diesen extremen Gegensatz zu besonders gut.
Kluge
Gemeinwesen, Gemeingut, Gemeinplatz …
Kersten
Ich meine jetzt nicht Gemeingut, sondern die Sache war „gemein gut“. Der gemeine
Feldhase, der hat ja auch nichts Gemeines, der frisst die Möhren wie die anderen,
aber er ist der gemeine Feldhase, während der gemeine Liebhaber etwas anderes
ist.
16
Nicht Chicago. Nicht hier.
Kluge
Ein Mord voller Gemeinheit, was ist das?
Kersten Ein Mord, der über die Affekthandlung hinaus einen quälerischen Bestandteil hat,
der offensichtlich ist, wie dieses Beispiel hier, das ist eine Schädigung über dieses
sowieso schon schlimme Maß hinaus. Und dieser Ausdruck „gemein“, der ein Gemeinwesen, Gemeingut, aber auch in gemein gut, nämlich supergut, Klasse, „fast
schon geil“ enthalten, ist, zeigt, dass die Bestimmung dessen, was gemein ist,
immer nur aus der Situation geschehen kann. Das ist im Grunde genommen ein
Chamäleon, dieser Ausdruck gemein. Er kann beides sein, er kann das extrem
Schlimme sein, er kann aber auch das extrem Allgemeine sein, das, was alltäglich
ist.
Kluge Gemein, eigentlich gewöhnlich. „Gemein“ ist nämlich ein ständischer Ausdruck.
Zunächst: Das machen feine Leute nicht, Besitzende nicht, und arme Leute …
Kersten Das ist ein Ausdruck, der der Differenzierung dient, und dann wird das, was die unten tun, nämlich die gemeinen Leute, zum gemeinen Handeln, und das wird dann
zur gemeinen Charaktereigenschaft oder zum Zeichen für eine Beziehung, für ein
Verhältnis zwischen zwei Menschen oder mehreren …
Kluge
Das ist ein eigenartiges Wort, weil es in der Herkunft eine vollkommen verquere Betrachtungsweise hat, nämlich von oben nach unten, und dann, je nach Betonung und Zusammenhang, völlig verschiedene Bedeutungen haben kann. Ich
kenne kaum einen Ausdruck, der so lässig zu gebrauchen ist, also: „Einen Anblick
grässlich und gemein, deshalb zog ihn der Senat auch ein“, während, der Ausdruck
gemeiner Hund ja auch zärtlich gemeint sein kann.
Kersten
Das kann auch ein Kompliment sein.
Kluge Und dann gibt es Gemeinheit als Kernpunkt, als Steigerungsform des Verbrecherischen.
Kersten Man müsste einmal schauen, wie der Ausdruck ins Französische oder ins Englische übersetzt wird. Im Englischen ist es common, common wie Commonwealth,
wie in „der gemeine Mann“ …
Kluge
und da ist die Grundlage Commonwealth …
Kersten Hat aber keine negative Bedeutung.
aus: Alexander Kluge, Facts & Fakes 1: Fernseh-Nachschriften: Verbrechen,
Gespräche mit Dr. Ulrike Sprenger, Prof. Dr. Joachim Kersten und Manfred Pichota (2000)
17
Nicht Chicago. Nicht hier.
Teil I Kein Mensch tut so etwas ohne Grund!
Das Böse, die Mittel der Manipulation und die Differenz von Gerechtigkeit und Moral
„Solange gefährliches Wissen nur wenigen zugänglich ist, solange kann sich die Mehrheit
nicht schützen gegen die Anwendung dieses Wissens. Wenn aber die Techniken zur Manipulation von Menschen, wenn diese bisher verbotene Rhetorik allen zugänglich ist und jeder sie
ausprobieren kann, dann ist nur noch Opfer, wer sich nicht informiert hat.“
aus: Gloria Beck, Verbotene Rhetorik, Die Kunst der skrupellosen Manipulation (2005)
In diesem ersten Teil finden Sie zuerst zwei Texte von Eugen Sorg aus seinem Buch „Die
Lust am Bösen“. Er kritisiert ein Menschenbild, dass das Böse als etwas dem Menschen
Äußerliches definiert und damit sowohl den Menschen als auch „das Böse“ seiner Meinung
nach fälschlicherweise zu etwas Kontrollierbarem deklariert. Der erste Text „Das Paradies
auf Erden“ vollzieht die historische Entwicklung des Menschenbildes von der Aufklärung bis
heute und der zweite Text „Willige Vollstrecker“ befasst sich mit dem bekannten MilgramExperiment. Die Studie trifft seiner Meinung nach nicht nur Aussagen über die Autoritätshörigkeit von Menschen, sondern beweist die Existenz der menschlichen Lust am Bösen. Einige
Fragestellungen, die sich m.E. aus diesen Texten für „Nicht Chicago. Nicht hier.“ ergeben, sind
folgende: Wenn der Glaube an den Vernunftmenschen dazu führt, dass das Böse als etwas
Nichtmenschliches begriffen wird, führt das dazu, dass Menschen, die etwas Böses tun, aus
der Gesellschaft ausgeschlossen werden? Führt es außerdem dazu, dass eine Gesellschaft
naiver wird gegenüber den Möglichkeiten menschlichen Handelns, weil sie an eine uneingeschränkte Kontrollierbarkeit glaubt? Oder provokativ formuliert: Ist Karl ein Mensch? Niklas
wird getrieben, bis er bereit ist, außerhalb seiner Moral zu handeln – was muss geschehen,
bis Menschen „Böses“ tun?
Auf diese eher theoretischen Texte folgt eine Sequenz über Manipulation. Gloria Beck beschreibt in ihrem Buch „Verbotene Rhetorik“ rhetorische Techniken zur gezielten Beeinflussung. Hier ist ihre Argumentation zur Befürwortung manipulativer Techniken interessant. Sie
veranschaulicht zwei wichtige Punkte: Erstens manipuliert jeder Mensch andere Menschen,
um seine Ziele zu erreichen und zweitens rät sie nur zu manipulieren, wenn der „Täter“ keine
emotionale Bindung zur „Zielperson“ hat. Wo liegt also der Unterschied zwischen legitimer
und illegitimer Manipulation? Solange der Nachteil des Manipulierten nicht meine Vorteile
überschattet? Eine ihrer Techniken ist die „Einschmeicheltechnik“. Zum einen ist es spannend, eine alltägliche Technik, die Kinder geradezu perfekt beherrschen, aus Sicht der Rhetorik beschrieben zu sehen. Zum anderen hilft es herauszufinden, wo Karl Niklas rhetorisch
manipuliert. Im Anschluss finden Sie hier einen Anwendungsvorschlag für Ihren Unterricht.
Bernd Rüthers ist Rechtswissenschaftler und erläutert in seinem Kompendium die vielfältigen
Auslegungsmöglichkeiten von Gerechtigkeit und die feinen Unterschiede zwischen Moral,
Ethik und Recht. So finden Sie hier im dritten Abschnitt im Text „Was heißt ‚Gerechtigkeit‘?“
eine historische Herleitung des Rechts- und Gerechtigkeitsverständnisses und im zweiten
Text „Moral, Ethik und Recht“ eine Beschreibung der Differenz von legal und legitim. Die In18
Nicht Chicago. Nicht hier.
szenierung legt großen Wert darauf aufmerksam zu machen, wo wir als Zuschauer in Konflikt
geraten mit unseren moralischen Vorstellungen von Gerechtigkeit und ihren juristischen Definitionen. Wir machen spontan keinen Unterschied zwischen legal und legitim und agieren
mit unbewussten Erwartungshaltungen in familiären und freundschaftlichen Beziehungen. Der
Vorschlag für den Unterricht befasst sich mit den Definitionen von „Treue/Loyalität“, „Freundschaft“ und „Gerechtigkeit“, die jeder einzelne unhinterfragt voraussetzt.
19
Nicht Chicago. Nicht hier.
Eugen Sorg
Das Paradies auf Erden
Die Moderne ächtet die Gewalt und definiert sich als Gegenmodell zum Brutalismus des Mittelalters. Sie schaffte Faustrecht und Willkür ab zugunsten einer „gereinigten“, einer durch
den Staat monopolisierten, formalisierten, entkörperlichten Gewalt. Und sie stellte das kirchliche Dogma der Erbsünde und Erlösungsbedürftigkeit, welches die Privilegienherrschaft von
Adel und Klerus absegnete, fundamental in Frage. Die Humannatur sei primär gutartig und
unschuldig, verkündeten die radikalen Aufklärer des 18. Jahrhunderts und verwarfen mit der
theologischen Idee einer angeborenen Bösartigkeit überhaupt den Begriff des Bösen und damit der persönlichen Schuldfähigkeit und des freien Willens. Das Böse sei keine eigenständige
Kraft, sondern lediglich ein Irrtum, eine Folge von Vorurteilen, Aberglaube und Unwissen.
Dadurch luden die Denker Claude-Adrien Helvétius, Paul-Henri Thiry d’Holbach, Jean-Jaques
Rousseau oder Julien Offray de La Mettrie das historische Ausnüchterungsprojekt der neuzeitlichen Vernunft mit einem neuen, innerweltlichen und kryptoreligiösen Heilsversprechen auf
einen „ewigen Frieden“ (Immanuel Kant) auf, der bis dahin dem Jenseits vorbehalten war, nun
aber auf Erden aus dem Geist der Bildung erschaffen werden könne. Die Verheißung gewann
Schubkraft, als sie im 19. Jahrhundert von den Sozialisten aufgegriffen und über die pädagogischen und professoralen Enklaven hinaus in die Werkstätten und Fabriken der entstehenden
Industriestädte getragen wurde. Nicht nur die falschen Ideen stünden dem künftigen Arkadien
im Weg, lautete die zum politischen Aktionsprogramm beschleunigte Hoffnung, sondern das
falsche Sein, die falschen Besitzverhältnisse. Gäbe es kein Privateigentum mehr, gehörte alles
allen, dann verschwänden Verbrechen und Krieg, und der wahre Mensch richte sich auf aus
seiner verkrümmten Gestalt: Ein arbeitsfreudiges, vernünftiges, solidarisches Gruppentier.
Alle folgenden Versuche, den neuen Menschen zu erschaffen, endeten bekanntlich in den
Todeslagern der totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts, in Gewaltorgien und Verbrechen
ohnegleichen. Doch Schwärmereien lassen sich von keiner Realität beirren. Im selben Jahrhundert erhielt die Rousseausche Schäferidylle ihre vorläufig letzte Ausformung durch die
Seelenlehre der Tiefenpsychologie. Paradox stand an deren Anfang die Psychoanalyse, ein
sperriges, grüblerisches, hochspekulatives Theoriekonstrukt, das kaum Frohbotschaften zu
verkünden hatte. Sigmund Freud zeichnete das Bild eines unruhigen, von Illusionen genarrten
Menschen, ständig in Gefahr, zerrieben zu werden zwischen den unersättlichen Ansprüchen
sexueller und destruktiver Triebe und der Unbarmherzigkeit eines strafenden Gewissens. Das
Höchste, was Psychotherapie bewirken könne, sei die Umwandlung von „psychischem Elend
in gemeines Unglück“.
Freuds Nachfolger setzen sich über dessen anthropologischen Pessimismus hinweg und
legten die Grundlagen für einen Therapiekult, der in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die reichen westlichen Gesellschaften eroberte. War der Utopismus bis anhin durch
20
Nicht Chicago. Nicht hier.
skeptische, konservative, realistische Denktraditionen in Schranken gehalten, wurde er nun
erstmals zur dominanten geistig-kulturellen Strömung. Der Glaube an die Heilbarkeit des Bösen durch die magische Kraft der Sprechkur wuchs sich zur veritablen Weltanschauung aus
und sickerte mitsamt dem Psychojargon in alle Milieus, sozialwissenschaftliche Disziplinen
und Institutionen hinein. Nicht nur die individuellen, sondern auch die gesellschaftlichen und
geopolitischen Probleme könnten therapiert werden – würden doch schließlich alle Staaten
und Nationen und Religionen dasselbe Interesse an Wohlergehen und Frieden teilen wie die
einzelnen Menschen. Und so wie einer nur aus bösen Umständen heraus selber böse werde, griffen auch staatliche oder zivilgesellschaftliche Akteure lediglich aufgrund historischer
Traumata oder ökonomischer Benachteiligung zu Gewalt gegenüber anderen Staaten oder
Gruppen.
Die richtige politische Antwort auf Konflikte, in die man Kriege bevorzugt umbenannt hat, sei
die Diplomatie der ausgestreckten Hand, die Anerkennung aller Beteiligten als gleichwertige
Partner, der Verzicht auf den Begriff Feind, auf Ultimaten und Kriegsandrohungen, die Vertiefung des Dialogs an Versöhnungsstätten wie dem Menschenrechtsrat der Uno, verstärkte
Entwicklungshilfe. Die Menschheit sei eine einzige große, bunte Familie, und mit den diskursiven Mitteln der Gruppentherapie sollten zerstrittene Mitglieder an die Wurzeln ihres Problems,
an ihren verletzten Stolz, ihre Defizite, Kränkungen, verdrängten Ängste herangeführt und zur
pazifistischen Läuterung gebracht werden.
Nie zuvor hatte es das gegeben, dass eine ganze Kultur – zumindest eine Zeitlang – das Böse
als Irrtum, als fehlgeleitetes Gutes, als reaktive Verhaltensweise, als Glaube für Kinder, Wilde
oder Amerikaner, aber nicht als wesentlichen Faktor des menschlichen Seins beurteilt. In allen
bekannten bisherigen Gesellschaften wurde das Böse als eigenständige Realität begriffen.
Uralte Mythen erzählen davon, wie es in die Welt kam, die Legenden der Völker berichten von
seiner vielgestaltigen Erscheinung, Religionen warnen vor den verheerenden Folgen für diejenigen, die sich mit ihm einlassen, die Philosophie definiert sein Wesen, und der Mensch gibt
sich für den Alltag Regeln, um seine Zerstörungskraft zu kontrollieren.
Alle grundlegenden Erzählungen gehen vom selbstverständlichen Wissen aus, dass in der
Fähigkeit zum Bösen die menschliche Freiheit begründet liegt, die ihn vom Tier unterscheidet,
und dass das Böse letztlich ein Rätsel bleibt, eine „unbegreifliche Faktizität“ (Søren Kierkegaard), eben weil es der Unwägbarkeit menschlicher Entscheidungen unterworfen ist.
aus: Eugen Sorg, Die Lust am Bösen, Warum Gewalt nicht heilbar ist (2011)
Willige Vollstrecker
Anfang der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts führte der Universitätspsychologe Stanley Milgram in New Haven, Connecticut, ein weltberühmt gewordenes sozialpsychologisches
Experiment durch. Unter dem Vorwand, den Zusammenhang von Bestrafung und Lernerfolg
zu erforschen, wies Milgram seine „Lehrer“ an, per Inserat gefundene freiwillige Teilnehmer,
ihre erwachsenen „Schüler“ – vermeintliche ebenfalls freiwillige Probanden – mit Stromschlägen zu bestrafen, sollten diese die ihnen gestellten Fragen falsch beantworten. Bei jeder weiteren falschen Antwort würden die Stromschläge um jeweils fünfzehn Volt erhöht. Bei hundertzwanzig Volt begann der „Schüler“ zu schreien, bei hundertfünfzig Volt bat er, vom Stuhl
21
Nicht Chicago. Nicht hier.
losgebunden zu werden, weil er die Schmerzen nicht mehr ertrage, bei zweihundert Volt stieß
er Schreie aus, die das „Blut in den Adern gefrieren ließen“, ab dreihundertunddreißig Volt trat
Stille ein. Alle „Lehrer“ seien aufgewühlt gewesen, beobachtete Milgram, hätten Gewissensbisse gehabt, und ein Drittel habe beim Strafen ein „nervöses Lachen“ von sich gegeben. Der
ehemalige Versuchsleiter Steven Schwartz berichtete später in dem Buch „Wie Pawlow auf
den Hund kam“ von einem „Lehrer“, einem lächelnden, selbstsicheren Geschäftsmann, der
sich innerhalb von zwanzig Minuten in ein „zuckendes, stotterndes, händeringendes Wrack“
verwandelt habe. „An einem Punkt schlug er mit der Faust gegen die Stirn und murmelte: ‚O
Gott, lass uns aufhören‘ und doch reagierte er weiterhin auf jedes Wort des Versuchsleiters
und gehorchte bis zum Schluss.“
Es war den „Lehrern“ ausdrücklich erlaubt, den Test jederzeit abzubrechen, sollten sie Probleme damit bekommen. Die Versuchsleiter übten keinen Druck aus, sie forderten Widerstrebende lediglich in ruhigem Ton auf, fortzufahren und das Experiment nicht zu gefährden, der
Forscher übernehme die Verantwortung. Zwei Drittel der „Lehrer“, die für ihre Teilnahme vier
Dollar plus fünfzig Cents für die Fahrtkosten erhielten, verabreichten Schocks bis zur tödlichen Dosis von vierhundertfünfzig Volt.
Was die „Lehrer“ nicht wussten: Milgram hatte den Versuch wie ein Theaterstück inszeniert. Es
war kein Strom geflossen, die „Schüler“ waren eingeweihte Schauspieler und ihre Schreie gespielt. Milgram wollte herausfinden, ob durchschnittliche Amerikaner ebenso leicht Autoritäten
gehorchen würden wie die Deutschen. Damals galt noch allgemein die Ansicht, das mörderische Hitlersystem sei ein historischer Sonderfall gewesen, nur möglich dank der stark ausgeprägten Obrigkeitshörigkeit des deutschen Volkes. Milgram spielte sein Experiment in neunzehn leicht unterschiedlichen Varianten durch. Je abstrakter und anonymer der Schüler – weder
Sicht- noch Hörkontakt –, desto zahlreicher die Lehrerentscheide für den tödlichen Stromstoß;
war andererseits der Versuchsleiter abwesend, sank der Wille zur Bestrafung um zwei Drittel.
Frauen reagierten genauso wie Männer und spätere Experimente in anderen Ländern lieferten
die gleichen Resultate. Weder Milgram selbst noch seine Kollegen hatten ein solches Ergebnis
erwartet. Offenbar unabhängig von der Herkunft existiere eine „extreme Bereitschaft erwachsener Menschen, einer Autorität fast beliebig zu folgen“, bilanzierte Milgram erstaunt. [...]
Doch Milgrams Deutung des Versuchs ist unbefriedigend. Es überzeugt nicht, dass der „O
Gott“ stöhnende Geschäftsmann zerrissen gewesen sei zwischen seinem Eifer, dem wissenschaftlichen Leiter zu gehorchen, und dem moralischen Gebot, die Leiden eines Wehrlosen zu
beenden. Der „Lehrer“ tat freiwillig mit, er verdiente praktisch kein Geld dabei und er hatte bei
einem Abbruch des Experiments keinerlei Sanktionen zu befürchten. Eine näherliegende Erklärung ist, dass sein Konflikt ein anderer war: Der Geschäftsmann realisierte, dass er Gefallen
fand an seiner Tätigkeit, an seiner Position am Stromhebel, am Schreien des „Schülers“. Er
wusste, dass es verachtenswert war, aber er hörte trotzdem nicht auf. Nicht aus Angst vor der
Unzufriedenheit des Versuchsleiters, sondern weil die Lust, den „Schüler“ zu bestrafen und
zu dominieren, stärker war als seine Moral. Die Aufforderungen des Leiters weiterzumachen,
milderten ein wenig die Gewissensbisse, aber sie hoben sie nicht auf. Sie berührten nicht das
Zentrum des quälenden Unbehagens. Der Versuch hatte Fähigkeiten freigelegt, von denen
der Geschäftsmann eigentlich nichts wissen wollte und er konnte sie nicht mehr kontrollieren.
Dies war der eigentliche Konflikt: Sein moralisches Selbstbild, seine Integrität wurde durch die
in ihm geweckte Kraft des Bösen bedroht. [...]
22
Nicht Chicago. Nicht hier.
Beide, Milgram und Arendt [der Autor bezieht sich auf „Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht
von der Banalität des Bösen“ von Hannah Arendt, Anm. d. R.], gingen von einem zu passiven
Konzept des Menschen aus. Sie bewerteten die Macht des äußeren Einflusses, des Befehls
sehr hoch, und sie unterschätzten die aktive Rolle der Befehlsempfänger. Jeder Soldat, jeder
Untergebene kennt hundert Arten, einen Befehl scheinbar auszuführen, in Wirklichkeit aber zu
unterlaufen, zu vertrödeln, zu verwässern, unwirksam zu machen. Über dies ist ein Befehl oft
mehr als ein Mittel, den andern einem fremden Willen zu unterwerfen. Er kann für den Empfänger eine Befreiung sein, eine Erlaubnis zum Ausleben sadistischer Gelüste und Machtphantasien. Die Milgram-Freiwilligen waren darüber informiert worden, dass sie den an einem Stuhl
festgeschnallten „Schüler“ mit Stromschlägen traktieren müssten. Sie haben nicht trotzdem
mitgemacht, sondern deswegen. Warum sollten sie sonst an einem derart offensichtlich unmenschlichen Experiment teilnehmen?
aus: Eugen Sorg, Die Lust am Bösen, Warum Gewalt nicht heilbar ist (2011)
Szenenfoto mit Franziska Krol, Danielle Schneider, Johannes Hendrik Langer und Stefan Kowalski
23
Nicht Chicago. Nicht hier.
Gloria Beck
Einführung: Meisterschaft des Alltäglichen
Schon seit der griechischen Antike gibt es rhetorische Wettstreite. Da gibt es die öffentlich
ausgetragenen und die zahlreichen, die im Stillen stattfinden. Die leisen Wettbewerbe, die,
die als solche nicht gesehen werden, das sind die rhetorischen Wettstreite um die beste, geschickteste, raffinierteste Manipulation des anderen. Da kämpft eine Frau um den Mann der
besten Freundin, mobbt ein Kollege den anderen, sticht ein Unternehmer den anderen beim
Kunden aus. Das sind keine lautstarken Kämpfe, die am Rednerpult stattfinden, sondern subtile und leise Taktiken, die im täglichen Umgang mit Personen angewendet werden. So gesehen leben wir in einer Gesellschaft, die durchzogen ist von gezielten Manipulationen.
Häufig ärgern wir uns, dass wir etwas tun, was wir eigentlich gar nicht wollten: Wir haben
unserem Kollegen einen Gefallen erwiesen und Überstunden gemacht oder einen Urlaub getauscht, der eigentlich schon geplant war. Wenn so etwas geschieht, dann sind wir überrumpelt worden, auf die eine oder andere (hinterlistig-) freundliche Art und Weise. Auf der anderen
Seite aber versuchen auch wir selber, unsere Ziele durchzusetzen: Wir ziehen uns gut an, bevor wir ein Rendezvous haben (was steckt wohl dahinter?), wir sind freundlich zu jemandem,
von dem wir etwas wollen, wir stellen uns positiv dar, wenn wir uns um einen Job bewerben.
Mit anderen Worten: Wir versuchen ebenfalls, andere zu manipulieren! Und das tagtäglich,
beinahe jedes Mal, wenn wir mit jemandem kommunizieren.
Wenn nun feststeht, dass Manipulation bereits gängige Praxis im Alltag ist, dann stellt sich die
weitere Frage: Warum es nicht zur Meisterschaft darin bringen? Wieso nicht in diesem Pool
von Manipulierenden der Beste sein? Warum also nicht, statt unbewusst zu manipulieren,
bewusst und zielgerichtet vorgehen? Mit anderen Worten: Warum nicht rhetorisch vorgehen?
„Rhetorisch“ manipulieren bedeutet:
Ausgewählte Personen bewusst und zielgerichtet zu manipulieren unter Anwendung von Manipulationstechniken nach einem vorgefassten Plan.
Rhetorisch zu manipulieren erfordert, sich alltägliche Verhaltensweisen bewusst zu machen,
Formen des Umgangs miteinander zu hinterfragen, die Sie sonst gar nicht thematisieren. Machen Sie sich zum Beispiel Folgendes klar: Wenn Sie in einer langen Schlange an der Kasse
anstehen und vorgelassen werden möchten, dann lächeln Sie die dicke Frau vor Ihnen an und
bitten sie darum, vorgelassen zu werden. Hand aufs Herz: War Ihr Lächeln ehrlich gemeint?
Haben Sie diese dicke Frau nur so, aus purer Freundlichkeit anlächeln wollen? Oder taten Sie
es, damit sie Sie vorlässt? Die Antwort liegt auf der Hand und Sie sollten sich auch eingestehen: Nein, das Lächeln diente mir als Mittel meiner Zielrichtung. Und es hat auch funktioniert.
Da so etwas jeder schon einmal so oder so ähnlich getan hat, stellt sich die Frage, wieso
ein derartiges Verhalten nicht auch gezielt manipulierend im beruflichen und privaten Umfeld
24
Nicht Chicago. Nicht hier.
eingesetzt werden soll? Wieso behandeln Sie Ihren Ehepartner nicht ebenso trickreich? Und
warum nicht Ihre Kollegen, Ihre Vorgesetzten, Ihre Freunde und Bekannten? Denn diese, seien
Sie sich darüber im Klaren, beeinflussen Sie tagtäglich. Vielleicht möchten Sie Menschen
nicht nur als Mittel zum Zweck sehen, vielleicht möchten Sie sie nicht ausnutzen, um ihre
Vorteile zu haben. Aber wenn Sie nicht Vorteile im Leben haben wollen, was wollen Sie dann?
Der Wille Ziele unbedingt zu erreichen, den kann Ihnen keiner abnehmen. Das muss aus Ihnen
selbst kommen. Diesen Entschluss können nur Sie selber treffen.
Aber wer sich dazu bekennt, ab und an fies, gemein und böse sein zu wollen, der findet
hier eine Auflistung von Techniken, die systematisch aufzeigt, wie man Macht über andere
ausüben kann und wie man gekonnt manipuliert. Nicht alle Techniken sind von Grund auf
böse. Sie bündeln lediglich die alltäglichen Gemeinheiten, die kleinen Tricks, mit denen sich
andere durch das Leben schlängeln. Es ist schließlich nicht immer möglich, fair zu sein. Wer
mit unfairen Mitteln attackiert wird, der wird mit seiner fairen Vorgehensweise auf der Strecke
bleiben.
Aus diesem Grunde sollte sich jeder, der sich mit der verbotenen Rhetorik beschäftigt, auch
an Begrifflichkeiten gewöhnen, die auf den ersten Blick vielleicht abschrecken mögen. Da ist
von Opfern die Rede und von Zielerreichung, von Kampf und Gegnerschaft, von Hinterlist,
Täuschung, von rhetorischer Distanz und Ablegung jeglicher sozialer Nähe zu bestimmten
Personen. Das mag zunächst einmal hart und brutal klingen, aber das ist es aus demselben
Grunde, aus dem wir lieber ein Stück Steak mit dem Messer zerschneiden, als es roh aus dem
Kadaver zu reißen. Wir töten und zerfleischen Tiere – aber wir tun es auf vornehme Art und
Weise. Diese Vornehmheit will ich in diesem Lexikon zugunsten einer realistischen Ehrlichkeit
aufgeben.
Folgende Begrifflichkeiten werden daher ungeschminkt verwendet:
Manipulation
Der Begriff Manipulation stammt von dem lateinischen manus. Das bedeutet Hand und Manipulation schließlich handhaben.
Zielperson/Opfer
Person, die manipuliert wird. Aus Sicht der rhetorischen Manipulation ist der Mensch ein Mittel zur Zielerreichung. Die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers wird dabei bewusst zur eigenen
Zielerreichung ausgenutzt. Solange Sie die Technik anwenden, spricht man von Zielperson.
Haben Sei Ihre Ziele erreicht, ist aus der Zielperson ein Opfer geworden.
Rhetorik
Rhetorik wird hier verstanden als Wissensschatz, der seit der griechischen Antike einen Fundus von Tricks und Kniffen bereithält, um Menschen in manipulierender Absicht zu steuern.
Rhetorische Distanz
Um eine Person als Werkzeug zu Ihrer Zielerreichung einsetzen zu können, müssen Sie eine
soziale Distanz zu ihr einhalten. Je mehr Nähe Sie zulassen, desto mehr gefährdet das Ihre
Zielerreichung. Es muss stets ein hierarchischer Abstand zwischen Ihnen als Manipulie25
Nicht Chicago. Nicht hier.
rendem und Ihrem Opfer bzw. Ihrer Zielperson bestehen. Zur Meisterschaft haben Sie es dann
gebracht, wenn Sie das Opfer glauben machen können, dass eine soziale Nähe bestünde,
während in Wirklichkeit zu keinem Zeitpunkt die rhetorische Distanz von Ihnen durchbrochen
wurde.
Absicht/Ego-Absicht
Mit den Techniken können Sie einfache Absichten verfolgen, etwa jemandem nur schaden.
Wenn Sie einen darüber hinausgehenden Zweck verfolgen, der Ihnen Vorteile bringt, dann
handeln Sie mit Ego-Absicht (z.B. jemandem schaden, um diesen an seinem Arbeitsplatz zu
ersetzen).
Täter
Dann und wann wird auch der Begriff des Täters verwendet im Sinne des rhetorischen Täters.
Er soll auf die hierarchische Distanzbeziehung zwischen Ihnen als Täter und der Zielperson als
zukünftiges Opfer hindeuten.
Einschmeicheltechnik
Ziele
Jemanden an mich binden –
weil es nützlich ist, von ihm geschätzt zu werden
Jemanden dazu bringen, Sympathie zu empfinden –
weil dieser Vorteile verschaffen kann
Jemandem etwas Gutes tun –
damit auch ich zu gegebener Zeit ein bestimmtes Verhalten „einfordern“ kann
Diese Ziele erreichen Sie, weil Sie wissen, wie effektiv gutes „Schleimen“ ist.
[...]
Hintergrundwissen
Was ist Einschmeicheln?
Einschmeicheln ist eine alte rhetorische Technik, die vor allem in der antiken Gerichtsrede angewandt wurde. In rhetorischer Terminologie wird sie als Insinuatio bezeichnet, was von dem
lateinischen se insinuare stammt, also unbemerkt in das Innere eindringen, sich einschleichen.
Wenn zur Zeit der römischen Kaiser in einem Gerichtsverfahren ein Fall aussichtslos war und
der Angeklagte so unsympathisch, dass alles verloren schien, dann war die Insinuatio häufig
die letzte Möglichkeit, die Richter doch noch umzustimmen. Raffiniert wurde darauf hingewiesen, dass man aufgeregt sei, vor so angesehenen Richtern sprechen zu dürfen, dass man
fürchte, die Richter zu verärgern und deswegen so manches nicht angesprochen habe, dass
man es kaum wagen dürfe, noch weitere Aufmerksamkeit zu erwarten.
26
Nicht Chicago. Nicht hier.
Wenn man Einschmeicheln definieren will, dann am besten so: Äußerungen und Verhaltensweisen, die eine Wertschätzung des Anderen zum Ausdruck bringen, obwohl diese nicht oder
nicht im geäußerten Ausmaß vorhanden ist, in der Absicht, dadurch Vorteile zu erzielen.
Was bewirkt Einschmeicheln?
Die Effektivität des Einschmeichelns resultiert aus der Tatsache, dass eine Person, die meint,
dass eine andere Person sie mag, dazu tendiert, diese im Gegenzug ebenfalls zu mögen.
Psychologen behaupten, dass Sympathie wiederum Sympathie erzeugt. Denn Menschen bevorzugen stabile Gleichgewichtszustände. Ein solches Gleichgewicht bestünde aber nicht,
wenn eine Person eine andere mögen würde, ohne dass dieses Gefühl erwidert wird. Sie manipulieren eine Person also, indem Sie ihr durch Schmeicheleien vortäuschen, sie zu mögen.
Im Gegenzug, der ja in Wirklichkeit kein Gegenzug ist, weil Sie diese Person nicht ausstehen
können, wird sie Sie „auch“ mögen. Damit verschaffen Sie sich eine äußerst günstige Position:
Das Opfer mag Sie und wird aus diesem Grund geneigt sein, Ihnen den einen oder anderen
Gefallen zu erweisen. Ihnen dagegen ist Ihr Opfer vollkommen gleichgültig, solange es nur tut,
was Sie von ihm wollen. Das ist eine hervorragend verdeckt-hierarchische Ausgangsposition,
die Sie als Manipulator auszeichnet.
Wie funktioniert die Einschmeicheltechnik?
Die Einschmeicheltechnik arbeitet mit Schmeicheleien, Komplimenten und weiteren wirkungsvollen Schleimereien zur Beeinflussung und Steuerung von Zielpersonen. Vorsicht: Sie ist nur
für berechnende Rhetoriker geeignet. Achten Sie auf rhetorische Distanz. Sie ist nicht für diejenigen geeignet, die sich ehrlich einschmeicheln wollen. Denn Ehrlichkeit ist keine Kategorie
der verbotenen Rhetorik.
1. Schritt
2. Schritt
3. Schritt
4. Schritt
Auswahl der geeigneten Zielperson
Individuell einschmeicheln
Effektive Einschmeichelmethoden einsetzen
Wirkungskontrolle
1. Schritt: Auswahl der geeigneten Zielperson
Wirkungsvolles Einschmeicheln setzt einen hierarchischen Kontext voraus. Denn die Insinuatio gehört zu den wenigen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, um hierarchiehöhere
Personen (Vorgesetzte, Personalentscheider, Autoritätspersonen usw.) zu beeinflussen.
2. Schritt: Individuell einschmeicheln
Eines muss unter allen Umständen beim taktischen Einschmeicheln vermieden werden: Als
Schleimer aufzufallen und abgestempelt zu werden. Die Nachteile, die ihr soziales Umfeld
Sie spüren lässt, könnten sich für Ihr konsequentes Vorgehen störend auswirken. Jeder weiß
im Grunde, dass geschicktes Einschmeicheln eine erfolgreiche Beeinflussungsmethode darstellt. Aber sie ist anrüchig. Sie wird als anbiedernd oder als erniedrigend bewertet. Dass
sie in Wirklichkeit eine rhetorische Tradition hat und als politische Komplimentierkunst wahre
27
Nicht Chicago. Nicht hier.
Meister im Einschmeicheln hervorbrachte, ist kaum bekannt. Um aber weiterhin von den anderen akzeptiert zu sein, sollten Sie Schmeicheleien stets so vorbringen, dass Sie damit nicht
oder nur wenig auffallen. Dazu sollten Sie folgende Grundsätze befolgen: Nicht in Gegenwart
anderer schmeicheln. Das ist auch gar nicht nötig, denn eine Schmeichelei zeigt die gleiche
Wirkung, wenn Sie mit einer Person alleine sind. Denken Sie an die Hierarchie: Wenn jemand
von oben nach unten schmeichelt, das typische Beispiel ist Lob, dann schadet es nichts,
wenn andere zugegen sind. Niemals ist der Chef ein Schmeichler, nur weil er einen Mitarbeiter
für getane Arbeit lobt. Umgekehrt sieht das anders aus. Wenn Mitarbeiter Müller vor allen seinen Chef lobt, dann wird das entweder als Impertinenz oder als Schleimerei aufgefasst. Also
verschieben Sie Ihre Schmeichelei auf einen Moment, in dem Sie mit Ihrem Schmeichelopfer
unter vier Augen sind. Wenn Sie dann möglicherweise das rechte Maß nicht einhalten und
etwas übertreiben, dann schadet das nicht weiter. Garnieren Sie Ihr Schmeichelmenü sicherheitshalber mit etwas Schüchternheit und gehöriger Bewunderung. [...] Wenn doch, dann bloß
nicht übertreiben.
Es lässt sich nicht immer umgehen, dass manche Zielpersonen Ihnen eben nur in Gesellschaft
anderer Menschen begegnen. Hier heißt dann die Devise: Bloß nicht übertreiben. Nutzen Sie
die andern als Tarnung, indem Sie diese dazu animieren, in Ihre Schmeicheleien mit einzustimmen. […] Ein anderer Weg heißt: Andre loben, aber die Zielperson meinen. Dafür bedarf es
dann keiner Absicherung durch die anderen, weil das Lob objektiv gehalten ist. …] Schließlich
bleibt noch, die Leistungen der Zielperson für alle nachvollziehbar zu resümieren. […] Unauffällig schmeicheln Gestik und Mimik einsetzen.
Schmeicheleien müssen nicht immer ausgesprochen werden. Auch ein mit Kalkül eingesetzter
bewundernder Blick, die in Gegenwart der Zielperson gezeigte Nervosität oder Fahrigkeit und
vor Aufregung gerötete Wangen zeigen, wie sehr Sie die hierarchiehöhere Person respektieren. Das schmeichelt schon, wenn man das spürt! […] Die Kunst des guten Einschmeichelns
ist nicht zu vergleichen mit einem plumpen Kompliment. Einschmeicheln orientiert sich ausschließlich an den Rezeptoren Ihrer Zielperson. Das heißt: Es kommt nicht darauf an, etwas
Gefälliges zu sagen, sondern darauf, genau das zu sagen, was Ihre Zielperson als schmeichelhaft empfindet. […] Daher ist eine Planungsphase unvermeidlich, in der Sie die Zielperson
beobachten und daraus Ihre Schlüsse ziehen. Nehmen Sie sich dafür Zeit. Achten Sie auf jede
Kleinigkeit: Kleidung, Automarke, Gesprächsthemen, geäußerte Absichten. […] Solange die
Schmeichelei in einer Handlung besteht, tauchen wenig Schwierigkeiten auf. Delikater wird
es, wenn es an das verbale Einschmeicheln geht. Was sagen Sie Ihrer Zielperson, um zu gefallen? Wie vermeiden Sie lächerliche Situationen? Und wie vermeiden Sie es, als „Schleimer“
entlarvt zu werden?
3. Schritt: Effektive Einschmeichelmethoden einsetzen
Die vier effektivsten Einschmeichelmethoden sind:
1. Zielperson Wertschätzung vorspielen
2. Sich selber als nutzbringend verkaufen
3. Durch Dritte angepriesen werden
4. Meinungskonformität herstellen
28
Nicht Chicago. Nicht hier.
1. Ziel Person Wertschätzung vorspielen
Der klassische Weg des Einschmeichelns geht über eine Behauptung. Sie behaupten, dass
Ihrer Zielperson ein bestimmter Wert zukomme. Dieser wird von Ihnen überhöht dargestellt.
Das ist das, was man sich herkömmlich unter dem Begriff „Schmeichelei“ vorstellt: Loben,
Preisen und Komplimente machen. […] Machen Sie sich aber nichts vor: Die Zielperson wird
Ihnen solche Äußerungen nur dann abnehmen, wenn Sie Ihre Rolle gut spielen. Die meisten
Menschen spüren, wenn man Sie in Wirklichkeit nicht mag. Hier heißt es also, den Gegner
nicht zu unterschätzen. Dennoch ist die Gefahr nicht sehr groß, dass Schmeichelei als Schleimerei erkannt wird. Dafür hört man einfach zu gerne positive Dinge über sich selber. Selbst
wenn unvoreingenommene Zuhörer längst die Augen verdrehen, empfindet die Zielperson
die Überreibung nicht und fühlt sich doch geschmeichelt. Dieses Ergebnis wurde auch durch
Studien der Psychologen Postmann, Brunder und McGinnies bestätigt. Sie stellten bereits
1948 fest, dass es offensichtlich bestimmte Worte und Sätze gibt, die sogar dann noch gehört
werden, wenn andere zum Beispiel in einer lauten Geräuschkulisse bereits untergehen. Was
immer verstanden wird, das sind Schmeicheleien.
2. Sich selber als nutzbringend verkaufen
Schmeicheln muss nicht notwendigerweise etwas mit Komplimenten zu tun haben. Sie können sich auch auf andere Art und Weise „hinterrücks einschleichen“, indem Sie:
• Ihre eigenen positiven Qualitäten (für die Zielperson) betonen.
• Eigenschaften, die die Zielperson schätzen könnte, herausstellen.
• Absichten bekunden, die die Zielperson beeindrucken. […]
Vorsicht: Nicht immer ist es günstig, wenn Sie Ihre Stärken herausstellen. In bestimmten Situationen ist es erfolgversprechender, auf eine positive und übertriebene Selbstpräsentation
zu verzichten und stattdessen eine defensive Art der Selbstdarstellung zu betreiben: Zum
Beispiel Bescheidenheit und Ergebenheit zu demonstrieren. Die Psychologen Schlenker und
Leary haben 1982 eine Studie durchgeführt, um herauszufinden, ob es wirksamer ist, sich mit
seinen positiven Eigenschaften offensiv zu präsentieren oder aber die Tugend der Bescheidenheit zu demonstrieren. Es zeigte sich, dass sowohl das offensive Präsentieren der eigenen
Stärken als auch die defensive Bescheidenheitstaktik effektive Strategien sind, um die Gunst
der Zielperson zu gewinnen. Welche der beiden Formen nun gewählt werden soll, hängt von
der jeweiligen Situation ab. Entscheiden Sie sich nach diesen Kriterien:
• Die Zielperson kennt ihre tatsächlichen Leistungen: Wenn ihre Zielperson Ihre tatsächlichen Leistungen kennt, dann ist es wirkungsvoller, wenn Sie sich eher bescheiden oder
natürlich präsentieren. Sie fallen ihr dann dadurch besonders positiv auf. […]
• Die Zielperson kennt ihre tatsächlichen Leistungen nicht: Wenn Ihre Zielperson aber keine
Informationen über Ihren Leistungsstand hat und Ihre Stärken nicht kennt, dann ist eine
offensive Darstellung Ihrer Stärken besonders wirkungsvoll. […]
Tipp:
Wenn Sie offensiv auf ihre positiven Seiten hinweisen, besteht die Gefahr, dass Sie als Angeber, Prahler oder Übertreiber auffallen. Das ist kontraproduktiv und muss vermieden werden.
Mehr als andere Manipulationstechniken ist die Einschmeicheltechnik darauf angewiesen,
29
Nicht Chicago. Nicht hier.
vorsichtig und überlegt angewandt zu werden. Immer das Maß halten und sich auch im Eifer
des Gefechts zurückhalten. Weniger ist mehr, heißt hier die Devise.
3. Durch Dritte angepriesen werden
Eine weitere Variante des Einschmeichelns besteht darin, seine positiven Stärken von einer
dritten Person herausstellen zu lassen. Vorteil ist, dass diese Aussage meist stärkeres Gewicht hat.
4. Meinungskonformität herstellen
Schmeichelhaft ist es, wenn Ihre Werthaltungen, Einstellungen und Meinungen mit denen der
Zielperson übereinstimmen. Wenn das nicht sowieso der Fall ist, dann tun Sie so als ob. Diese Methode ist überaus wirksam. Verschiedene Studien belegen, dass Menschen solche
Personen mögen, die ihre eigenen Werthaltungen, Einstellungen und Meinungen teilen – oder
von denen sie annehmen, dass sie es tun. Für dieses Phänomen gibt es mehrere Erklärungen.
So wird vermutet, dass Meinungskonformität deshalb so erfolgreich ist, weil der Zielperson
die Bestätigung ihrer Auffassung als Beleg für die Richtigkeit dieser Ansicht dient. Eine andere These lautet, dass wir jemandem, der gleicher Meinung ist, überhaupt Ähnlichkeit mit uns
unterstellen; und ähnliche Menschen werden eher gemocht als nicht ähnliche. Aber egal, welcher Erklärung Sie sich anschließen, bedeutsam, aus rhetorischer Sicht, ist, dass Einschmeicheln durch Herstellen von Meinungskonformität erfolgen kann. Der einfachste Weg dorthin
besteht im Zustimmen. […]
Achtung:
Aber wie bei allen Schmeicheleien besteht auch hier die Gefahr, dass das Gesagte wie ein
Bumerang zurückkommt. Denn eine Person, die sich ständig nur der Meinung einer anderen
anpasst, wird bald als Konformist angesehen und abgelehnt. Psychologen haben dazu einen
Versuch durchgeführt. Sie wiesen Versuchspersonen an, entweder ständig oder nur gelegentlich den Meinungen einer anderen Person, die ihnen Belohnungen zuweisen konnte, zuzustimmen. Beobachter fanden die Testpersonen, die ständig den Meinungen und Absichten
der übergeordneten Person zustimmten, weniger sympathisch als jene, die nur gelegentlich
Meinungskonformität zeigten. Aus rhetorischer Sicht ergibt sich für die praktische Anwendung folgende Konsequenz:
Wenn Sie von der Zielperson sehr stark abhängig sind, dann ist Meinungskonformität nicht die
geeignete Schmeichelform. Denn dann werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Ihre Manipulationsabsichten und Hintergedanken durchschaut. Bedeutet das, dass Sie dann gar nicht mehr
schmeicheln sollten? Nein, es bedeutet nur, dass Sie es raffinierter tun sollten. Ein geschickter
Einschmeichler versucht, die Meinungen und Ansichten seiner Zielperson vorwegzunehmen
und auszudrücken, noch bevor diese selbst dazu die Gelegenheit hat. […] Eine weitere verdeckte Möglichkeit des Schmeichelns ist die gemischte Schmeichelei. Hier stimmen Sie der
Zielperson in zentralen Punkten zu, äußern sich aber kritisch oder autonom hinsichtlich unwichtiger Randbereiche. […] Auch ist es geschickt, wenn Sie sich erst durch eine zähe Diskussion von Ihrer Zielperson (angeblich) davon überzeugen lassen, dass deren Meinung die
letztendlich richtige darstellt. Ein solches Vorgehen suggeriert, dass Sie eine eigene Meinung
besitzen und sich keineswegs so ohne weiteres anpassen. Damit nimmt die Zielperson genau
das Gegenteil von dem an, was Sie tatsächlich tun: Sich absichtlich der Meinung anpassen
30
Nicht Chicago. Nicht hier.
und sich dadurch unentdeckt einschmeicheln. […] Manche Schmeicheleien wirken einfach zu
dick aufgetragen, wenn sie direkt gesagt werden. Sie können durchaus geschickter vorgehen
durch indirekte Schmeicheleien. Eine Schmeichelei wird verpackt und damit nur indirekt gesagt.
aus: Gloria Beck, Verbotene Rhetorik, Die Kunst der skrupellosen Manipulation (2005)
31
Nicht Chicago. Nicht hier.
Vorschlag für den Unterricht I
Einschmeicheln ist ein Verhaltensmuster, das Kindern und Jugendlichen wohl bekannt ist.
Der Rahmen, in den Gloria Beck es hier stellt, zeigt eine besondere Perspektive auf und legt
das Augenmerk auf den bewussten Umgang mit alltäglichem Verhalten. Als stückbezogenen
Zugang finden Sie hier zwei kurze Szenenausschnitte.
Szene 1 ist die erste Begegnung zwischen Karl und Niklas in der Schule. Karl versucht hier
Sympathien bei Niklas zu gewinnen und scheitert.
Der 2. Ausschnitt zeigt Karl bei Niklas zuhause, als sie zum zweiten Mal an ihrem Geschichtsprojekt arbeiten. Niklas macht Karl Komplimente, doch Karl geht nicht darauf ein, sondern nutzt
die Situation, um an den Laptop des Vaters zu kommen.
Niklas ist in beiden Szenen keine manipulative Absicht zu unterstellen, Karl jedoch schon. Um
die Klasse auf das Thema einzustimmen, tragen Sie unterschiedliche Situationen zusammen,
die den Schülerinnen und Schülern einfallen; wie, wozu und bei wem man sich einschmeicheln
kann. Lassen Sie dann die Schüler und Schülerinnen sich einen Partner suchen und teilen Sie
sie anschließend in zwei Gruppen. Der einen Gruppe geben Sie Szene 1, der anderen Szene 2.
Die Paare sollen sich in 10 Minuten überlegen, wie sie die kleine Szene spielen möchten. Jetzt
geben Sie „Geheimaufträge“. Der einen Hälfte der ersten Gruppe sagen Sie, dass Karl sich
einschleimen will und Erfolg hat, der anderen Hälfte sagen Sie, dass Karl mit dem Einschleimen scheitert. Der einen Hälfte der zweiten Gruppe sagen Sie, dass Niklas Karl toll findet und
Karl es schafft, Niklas zu überreden. Der anderen Hälfte der zweiten Gruppe sagen Sie, dass
Niklas versucht, sich bewusst bei Karl einzuschleimen und Karls Absicht durchschaut.
Zur Umsetzung sollen sich die Schüler und Schülerinnen Fragen stellen wie: Wie stehen Karl
und Niklas sich gegenüber? Wenden sie sich einander zu? Sitzen sie oder stehen sie – oder
sitzt nur einer? Schauen sie sich an? Benutzen sie bestimmte Mimik oder Gestik? Welche
Körperhaltung nehmen sie ein – stehen sie cool da oder eher ängstlich?
Nach 10 Minuten zeigen die Paare der ersten Gruppen die Szene 1 der zweiten Gruppe. Lassen Sie die Klasse erst beschreiben, was sie gesehen hat. Hüten Sie sich vor der Auswertung
einer Szene in der Phase der Beschreibung, das steht einer Analyse immer im Weg. Markieren Sie die Unterschiede, stellen Sie im Gespräch heraus, wie unterschiedlich die einzelnen
Umsetzungen gewesen sind. Lassen Sie nun die andere Gruppe die Szene 2 präsentieren
und von der ersten Gruppe beschreiben. Im Anschluss sprechen Sie mit der Klasse über die
Glaubhaftigkeit und Qualität der in den Szenen angewandten Einschmeicheltechnik und über
den Auftrag, mit dem die Szenen jeweils umgesetzt wurden. An diese qualitative Diskussion
können Sie eine Erörterung über die moralische Bedenklichkeit der jeweiligen Absicht von Karl
bzw. Niklas anschließen.
32
Nicht Chicago. Nicht hier.
Szene 1 Niklas und Karl treffen in der Schule zum ersten Mal aufeinander.
Karl
Scheiß Schule, eure Schule, oder? Voll bescheuert.
Niklas
Geht so. – Ich komm dann nachher zu dir. Müssen wir wohl.
Karl
Ich komm zu dir.
Szene 2 Karl ist bei Niklas zuhause. Sie haben ihr gemeinsames Geschichtsprojekt fertiggestellt.
Niklas
Du könntest glatt eine Eins haben. Echt. Du könntest überall der Beste sein. In Mathe, da steig ich gar nicht durch. Aber warum jemand, der so viel begreift wie
du, im Unterricht tut, als wäre er gar nicht da, dass kapiere ich nicht.
Karl
Wo steht dein Computer?
Niklas
Weihnachten krieg ich einen, ich darf den Laptop von meinem Vater mitbenutzen.
KarlWo?
Niklas
Hinten, in seinem Arbeitszimmer. Aber eigentlich …
Karl
Ich denk, du darfst das?
NiklasSchon.
Karl
Na, dann… Worauf wartest du?
33
Nicht Chicago. Nicht hier.
Bernd Rüthers
Was heißt „Gerechtigkeit“?
Für die römischen Juristen war die Verbindung des Rechts mit dem Guten und Gerechten
geradezu untrennbar:
„Das Recht ist die Kunst, das Gute und das Angemessene zu verwirklichen.“
(Celsus nach Ulpian, Dig. 1, 1,1).
„Die Rechtswissenschaft ist die Wissenschaft dessen, was gerecht und ungerecht ist.“
(Ulpian, Dig. 1, 1,10).
Folgerichtig sagte die Glosse zu 1.1. pr. Dig. 1,1: „Das Recht aber kommt von der Gerechtigkeit, gleichsam wie von seiner Mutter, also war die Gerechtigkeit vor dem Recht.“
Wie so oft, wird mit einem neuen Begriff das Problem noch nicht gelöst, sondern zunächst
nur verschoben. Wenn das Recht der Gerechtigkeit dienen soll, muss man klären, was die
Gerechtigkeit ist. Es ist dies zugleich die Frage: Welchen Inhalt soll das Recht haben? Schaut
man in die juristische Literatur, so finden sich im Laufe der Geschichte viele Versuche zu diesem Thema.
Am Anfang steht auch hier die Frage nach der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes. Auskunft
gibt Grimms Deutsches Wörterbuch: „Gerecht“ wird danach unter anderem in der Bedeutung
von „richtig“, „wahr“ oder auch „das rechte Maß oder Verhältnis habend“ sowie „Dem Recht,
Gesetz oder der Billigkeit entsprechend“ verstanden.
I. Gerechtigkeit als Tugend
Platon (427-347 v. Chr.) nennt in seinem „Staat“ eine Definition der Gerechtigkeit, die er damals bereits als überliefert bezeichnet: „Gerecht ist, wer das Seinige tut.“
Dieser Gedanke ist von Platon über Aristoteles, Cicero und Augustinus in das römische Recht
eingegangen und zum Grundbestand europäischen Rechts- und Staatsdenkens geworden.
Für die Römer war wichtig, dass der Wille, jedem das Seine zu geben, fest und dauerhaft war.
Zunächst geht es also um einen Appell an den Willen, jedem andern sein Recht zuzugestehen.
Diese Gerechtigkeit ist eine persönliche Tugend, in der philosophischen Tradition eine sog.
Kardinaltugend. Man spricht vom gerechten Richter, vom gerechten Lehrer und von gerechten
Eltern, Gerechtigkeit wird hier als sittliche Haltung des einzelnen verstanden. Von jedem wird
verlangt, dass er seine soziale Rolle und Aufgabe redlich im Sinne des sittlichen Guten und
Gebotenen erfüllt. Die subjektive Gerechtigkeit als Tugend lässt sich auch als Redlichkeit oder
Ehrbarkeit bezeichnen.
34
Nicht Chicago. Nicht hier.
II. Gerechtigkeit als Qualität von Regelungen
Das Wort Gerechtigkeit benutzt man auch im objektiven Sinn, dann soll eine Regelung zwischenmenschlicher Beziehungen als sittlich gut und deshalb billigenswert beurteilt werden.
Man spricht von einer gerechten Strafe, einer gerechten Teilung der Erbschaft, von einer gerechten Sozialordnung. Gerechtigkeit bedeutet hier das richtige sittliche Handeln.
Die klassische Formulierung Ulpians (170-223) „iustitia est constans et perpetua voluntas
ius suum cuique tribuendi“ (Gerechtigkeit ist der feste und stetige Wille, jedem sein Recht zu
gewähren) zeigt auch schon die Verbindung: Gerecht (subjektiv) ist derjenige, der sein Tun auf
objektive Gerechtigkeit hin ausrichtet. Das ist dasselbe Verhältnis wie zwischen (persönlicher)
Wahrhaftigkeit und (objektiver) Wahrheit.
Schon Aristoteles hat in seinem Buch „Politik“ versucht, das Verhältnis von Gerechtigkeit,
Staat und Recht so zu bestimmen: „Die Gerechtigkeit aber stammt erst vom Staat her, denn
das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft; das Recht ist aber die Entscheidung
darüber, was gerecht ist.“
Dieses Thema ist ein Leitmotiv aller rechtsphilosophischen Diskussionen bis heute geblieben.
Im Folgenden ist nur von der Gerechtigkeit im objektiven Sinn die Rede, von gerechten
Rechtssätzen also, nicht von gerechten Menschen, von dieser Gerechtigkeit sagt die europäische Rechtstradition seit Aristoteles und Augustinus, sie sei das Fundament aller rechtmäßigen Herrschaft („iustitia fundamentum regnorum“). Die Gerechtigkeit in diesem Sinne wird
zu einem Prüfungsmaßstab des staatlichen („positiven“) Rechts, also insbesondere zu einem
Maßstab für Gesetze.
Die Frage nach dem sicheren Inhalt, nach Kriterien der Gerechtigkeit ist so alt wie die Menschen selbst. Sie wird in den überschaubaren Jahrtausenden – z.B. schon im Alten Testament
– leidenschaftlich erörtert. Die Debatte ist nicht ohne Ergebnisse geblieben. Umstritten blieb
gleichwohl die genaue inhaltliche Definition der Gerechtigkeit. Das gilt sowohl für die allgemeinen Merkmale des Begriffes wie für seine konkrete Anwendung im Einzelfall.
Moral, Ethik und Recht
Eine Gesellschaft kann die moralische Einstellung eben so wenig ignorieren, wie die Frage
seiner [des Bürgers] Loyalität, sie gedeiht mit beiden und stirbt ohne sie.
(Lord Justice Patrick Devlin, the enforcement of morals)
A. Begriff und Verbindlichkeitsgrundlagen von Moralsystemen
Jede menschliche Gemeinschaft bildet bestimmte Normen und Wertvorstellungen aus, die
das Verhalten des Menschen zu seinen Mitmenschen und zu sich selbst regeln sollen. Sie
können auf kultureller Erfahrung, auf religiöser Überzeugung, auf philosophischen Thesen
oder auf pseudoreligiöser, transzendentaler Geschichtsdeutung beruhen. Man nennt solche
Regelsysteme mit schwankendem Sprachgebrauch „Moral“ oder oft in gleicher Bedeutung
„Ethik“. In der modernen Diskussion bezeichnet „Moral“ den Inbegriff der sittlichen Normen,
das Regelsystem der Werturteile, während die philosophischen Untersuchungen über die Moral unter dem Begriff „Ethik“ zusammengefasst werden.
35
Nicht Chicago. Nicht hier.
Beispiel: Die Brüder A und B erben von ihrem reichen Vater je zwei Millionen. A verarmt infolge
eines unverschuldeten Unfalls und langer Krankheit. Schuldet B, der ein sehr gutes Einkommen hat, A oder dessen Familie finanzielle Unterstützung?
Die Begründung und die Inhalte moralischer Regeln sind in freiheitlichen, also „pluralistischen“
Gesellschaften verschieden, stehen im Wettbewerb der politischen und weltanschaulichen
Gruppen. Das folgt aus den unterschiedlichen Auffassungen über Herkunft und Zweck der
Moralnormen, etwa aus göttlicher Offenbarung, aus der Philosophie der Aufklärung, aus der
Autonomie des Individuums, der Philosophie des Utilitarismus oder aus anderen weltanschaulichen Überzeugungen. Die jeweilige Moral soll, das ist ihr Ziel, allgemeine Richtlinien für das
Handeln der Menschen geben. Sie will bestimmen, welches Tun als gut oder schlecht, als
richtig oder falsch gelten soll.
Die Verbindlichkeit und Wirksamkeit („Geltung“) dieser Regelsysteme hängen davon ab, in
welchem Ausmaß die Menschen der in der jeweils herrschenden Moral ausgedrückten Sittlichkeit innerlich im Grundsatz zustimmen oder wie sehr sie die mit Moralverstößen verbundenen gesellschaftlichen (nicht staatlichen!) Sanktionen scheuen (z. B. Isolation, Ächtung).
Über die rationale Begründbarkeit moralischer Normen gibt es einen durch die Jahrtausende
gehende lebhafte theologische, philosophische und wissenschaftstheoretische Diskussionen,
ähnlich wie über die Gerechtigkeit.
In einem Staat, der sich als freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat versteht, keine „Staatsreligion“ kennt und die Pluralität unterschiedlicher religiöser und weltanschaulicher Überzeugungen voraussetzt, kommt der Forderung nach einer rational begründeten Moral als Grundlage der Rechtspolitik eine besondere Bedeutung zu. Als rational begründet wird eine Moral
bezeichnet, deren Normen und Normbegründungen so einleuchtend sind, dass sie in „rationaler Weise“ von jedem Menschen, unabhängig von seinen weltanschaulichen oder religiösen Vorverständnissen, bejaht werden können. Sie müssen also allgemein annehmbar und
zustimmungsfähig sein (sog. Universalisierungsgrundsatz). In der politischen Praxis hat sich
diese Chance einer generellen Übereinstimmung aller gutwilligen Teilnehmer am Diskussionsprozess über die „richtige“ Moral oder Gesetzgebung bei vielen Grundsatzfragen als Illusion
erwiesen, weil ein allgemeiner Konsens in solchen Fragen, die seltene Ausnahme bildet. Der
liberale Verfassungsstaat gewährleistet daher den Wettbewerb unterschiedlicher Moralen in
den Grenzen der verfassungsgesetzlich geschützten Grundrechte und Grundwerte. Theorien,
die absolute normative Wahrheitsansprüche erheben, sind mit diesem Konzept nur schwer
vereinbar.
Als mögliche Grundlage einer rational begründeten Moral hat sich der von Immanuel Kant
formulierte Kategorische Imperativ erwiesen: Handle stets so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit das Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung werden könnte. Der Kategorische
Imperativ ist der goldenen Regel des Neuen Testaments (Math. 7,12 [„Alles was Ihr wollt, dass
Euch die Menschen tun, das tut auch Ihr Ihnen ebenso.“]) nachgebildet. Beides kann als formaler Grundsatz einer vernunftbegründeten Moral verstanden werden. Seine inhaltliche Ausfüllung hängt davon ab, nach welchen Prinzipien die Gesetzgebung oder das Verhalten der
Menschen untereinander gestaltet werden sollen. Damit wird deutlich, dass die Frage nach
dem Inhalt der jeweiligen Moral in einem engen Zusammenhang zum Begriff Gerechtigkeit
steht.
36
Nicht Chicago. Nicht hier.
B. Zuordnungsverhältnis
Moral als Bedingung des Rechts
Recht und Moral sind nicht deckungsgleich. So schreibt etwa das Familienrecht für Geschwister keine Unterhaltspflicht vor. Gleichwohl werden viele Geschwister in Notfällen entsprechend der herkömmlichen Familienmoral einander helfen. Das wird vom Gesetz indirekt auch
anerkannt.
Aber: Zwischen Moralnorm und Rechtsnorm bestehen vielfältige Gemeinsamkeiten und Berührungspunkte. Beide sollen menschliches Verhalten steuern. Beide beruhen auf Wertvorstellungen. Jedes Gemeinwesen setzt einen Mindestbestand gemeinsamer Wertüberzeugungen voraus. Diese „Grundwerte“ sind nicht logisch beweisbar, sondern weltanschaulich,
man kann auch sagen, glaubensmäßig begründet. Staat und Recht sind also letztlich im Metaphysischen [nicht im Naturwissenschaftlichen; außerhalb der sinnlichen empirischen Erfahrung] verankert.
Rechts- und Moralnormen haben also eine gemeinsame Grundlage in den fundamentalen
Wertvorstellungen über das menschliche Zusammenleben, die Grundwerte genannt werden.
Oder anders: Eine funktionsfähige Rechtsordnung setzt ein Minimum als verbindlich anerkannter moralischer Normen voraus. Jede Rechtsordnung beruht auf einer moralischen Weltordnung.
Darauf wird in gesetzlichen Tatbeständen unmittelbar Bezug genommen (z. B. „Treu und Glauben“, §§ 157, 242 BGB, „Gute Sitten“, §§ 138, 826 BGB). In diesem Sinne ist eine als verbindlich anerkannte Sozialmoral eine notwendige, wenn auch keine hinreichende Grundlage und
Bedingung des Rechts.
aus: Bernd Rüthers, Rechtstheorie: Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts (2007)
37
Nicht Chicago. Nicht hier.
Vorschlag für den Unterricht II
„Nicht Chicago. Nicht hier.“ thematisiert viele Maximen des menschlichen Miteinanders, die
wir normalerweise unhinterfragt voraussetzen. Die Frage, die sich immer wieder auftut, ist:
Warum sollte sich jemand so verhalten? Welchen Grund gibt es dafür? Glaubt man eher dem
eigenen Sohn, oder dem Fremden? Ist Rocky ein Freund? Warum kann niemand Niklas helfen? Meist setzen wir im täglichen Miteinander bestimmte Erwartungen voraus: Freunde verhalten sich loyal, sie fallen einem nicht in den Rücken. Blut ist dicker als Wasser – die Familie
hält zu einem … Doch diese Normierungen erlernen wir in jungem Alter in der praktischen
Erfahrung und nicht in der reflektorischen Überlegung. So regen wir uns als Zuschauer über
das Verhalten innerhalb Niklas‘ Familie und über Rocky auf und wollen wie Svenja am Ende
nicht akzeptieren, dass Gerechtigkeit nicht unbedingt etwas mit Recht zu tun hat.
Teilen Sie die Klasse in drei Gruppen und darin jeweils in Kleingruppen von 2-4 Personen ein
und geben ihnen 15 Minuten, um ihre eigenen Definitionen von Loyalität/Treue (Gruppe 1),
Vertrauen (Gruppe 2) und Gerechtigkeit (Gruppe 3) aufzuschreiben: Was ist Loyalität/Treue?
Was ist Vertrauen? Was ist Gerechtigkeit? Bitten Sie sie außerdem um ein konkretes Beispiel,
das sie ohne Sprache mimisch und gestisch vorspielen können: Zum Beispiel: Treu/loyal sein
ist, wenn wir auf dem Schulweg auf das Nachbarkind treffen, das mich beleidigt und mein
Bruder zu mir hält. … Jemandem vertrauen ist, wenn … Gerecht ist, wenn …
So sammeln Sie zu den drei Begriffen kleine Situationen. Wenn die Schülerinnen und Schüler
sich die kleinen Szenen gegenseitig präsentieren, geben Sie nur den Oberbegriff preis und
lassen Sie sie erst beschreiben, was sie sehen und dann raten, welche Situation dargestellt
wurde und welche Figuren beteiligt waren. Nach der Beschreibung führen Sie in die Analyse
über – warum ist das ein Beispiel für Treue, wenn mein Bruder mich gegenüber dem Nachbarjungen verteidigt? So sprechen die Schülerinnen und Schüler über die Erwartungshaltungen,
die sie für selbstverständlich halten und als gegeben voraussetzen und entwickeln ein Verständnis für den Unterschied zwischen legitim und legal.
38
Nicht Chicago. Nicht hier.
Szenenfoto mit Thomas Pasieka und Stefan Kowalski
39
Nicht Chicago. Nicht hier.
Teil II Die Symbolik der Bühne
Vom Film und Fernsehen her erwarten wir gewohnheitsmäßig erst mal einen naturalistischen
Umgang mit der Bühne: Niklas‘ Familie sitzt Samstagabend im Wohnzimmer beisammen,
Niklas trifft Karl im Klassenzimmer, Rocky lockt Niklas zum Feuerwehrteich mit Büschen und
Parkbank. In der Inszenierung „Nicht Chicago. Nicht hier.“ findet sich der Zuschauer mit Rasenquadern konfrontiert; eine Bühne mit einem etwas unaufgeräumten Hecken-Garten. Auf
diesen grünen Hecken findet alles statt, sie sind je nach dem Wohn- oder Klassenzimmer,
Feuerwehrteich oder Polizeiwache. Das Bühnenbild hat dementsprechend einen großen symbolischen Wert und bietet sich geradezu an, interpretiert zu werden. Wie bei expressionistischer Lyrik stellt man sich die Frage – Was hat sich der Bühnenbildner dabei gedacht? Durch
die große Flächigkeit der Bühne stoßen Sie über eine Beschreibung der Elemente schnell auf
die Assoziationen „Labyrinth“ oder „Irrgarten“. Was haben Hecken mit der Geschichte zu tun?
Der untenstehende Text erläutert den Unterschied zwischen „Labyrinth“ und „Irrgarten“. Für
jeweils unterschiedliche Figuren in „Nicht Chicago. Nicht hier.“ lässt sich sagen: Das, was
diese Figur erlebt, ist wie die Suche nach einem Ausweg aus dem Irrgarten; oder: Diese Figur
macht eine persönliche Entwicklung durch, sie ist hinterher ein anderer Mensch, als wäre sie
durch ein Labyrinth gegangen. Die Bühne bietet also verschiedene Bilder für die unterschiedlichen Perspektiven der Geschichte, sowohl für die Figuren, als auch für den Gesamtkontext.
Im Anschluss an den Text finden Sie einen Anwendungsvorschlag für Ihren Unterricht.
Die Entstehung des Irrgartens in der Renaissance um 1500
In seiner über 4000jährigen Geschichte hat das Labyrinth nur zweimal eine gewisse Umwandlung erfahren, in der Antike zum römischen Stadtlabyrinth und im Mittelalter zum Kirchenlabyrinth als dem Höhepunkt seiner symbolischen und gestalterischen Entwicklung. Urplötzlich
entstand dann aber in der Renaissance um 1500 aus dem Labyrinth etwas bisher nicht Dagewesenes, völlig Neues: Der Irrgarten.
Um den Irrgarten zu verstehen, bedarf es der kurzen Rückbesinnung auf die Definition des
Labyrinths: Labyrinthe sind gegenüber ihrer Umgebung klar abgegrenzt, sie besitzen nur eine
Öffnung, Eingang und Ausgang zugleich, sie haben nur einen Weg, und sie haben eine Mitte.
Der Weg führt vom Eingang aus auf möglichst verwirrenden Umwegen auf langer Strecke
zur Mitte. Dort kehrt der Besucher um und geht denselben Weg zurück. So verwirrend die
tänzerisch pendelnde Wegführung auch immer sein mag, der Weg ist einbahnig und sein Verlauf unstrittig. Dagegen ist ein Irrgarten zur Umgebung hin oftmals nicht abgesetzt, hat meist
mehrere Eingänge, hat immer viele, durch Sichtblenden wie hohe Hecken oder Wände gegeneinander abgegrenzte Wege mit vielen verwirrenden Abzweigungen und Kreuzungen, und
täuschende Sackgassen erschweren zusätzlich die Orientierung. Die Zahl der vielwegigen
Möglichkeiten, zur Mitte zu gelangen und von dort wieder zurückzukehren, ist allenthalben
unvorstellbar groß.
40
Nicht Chicago. Nicht hier.
Ihren unterschiedlichen Bauprinzipien entsprechend stellen Labyrinth und Irrgarten völlig gegensätzliche Aufgaben. Entscheidet sich ein Besucher, im Labyrinth den Weg zu gehen, kommt
er absolut sicher zur Mitte und nach der Kehrtwende von dort genau so sicher zum Ausgang
zurück. Die Frage für ihn ist also nicht, wohin führt der Weg, sondern gehe ich den Weg oder
gehe ich ihn nicht, und es bedarf allein des Glaubens und der Bereitschaft. Entscheidet sich
der Besucher, im Irrgarten den Weg zu gehen, so ist er bei der Suche nach der Mitte und aus
dieser wiederum zurück völlig auf sich selbst gestellt, und es bedarf der autonomen, aktiven
und verantwortlichen Analyse des Wegesystems. So verdeutlichen gestalterisch und versinnbildlichen inhaltlich Labyrinth und Irrgarten zwei gegensätzliche Lebenshaltungen, zwei unterschiedliche Weltbilder.
Wie kam es nun, dass sich der religiös unterlegte Labyrinthgedanke plötzlich aufzulösen begann, und der Irrgarten entstand und seinen Siegeszug antrat? In der Renaissance ging die
festgefügte, mittelalterliche Weltordnung verloren, der Glaube an die unveränderliche, nach
dem Schöpferwillen geformte Natur wurde hinterfragt, die in das System der Kirche eingebundene, formierte Gesellschaft begann sich zu emanzipieren. [...] Die mathematisch ausgerichtete Betrachtung der Naturphänomene in Raum und Zeit erhielt Einzug. Schließlich entthronte
Kopernikus 1543 die bisher herrschende Erde und rückte die Sonne in den Mittelpunkt unseres Planetensystems.
So fand in der Renaissance ein umwälzender Paradigmenwechsel statt. Das christlich-abendländisch geprägte Menschenbild veränderte sich und das Bildungswesen, die Technik und
die Kunst nahmen einen dramatischen Aufschwung. Der Mensch trat aus dem formierten,
gläubigen Kollektiv heraus, streifte seine Sündigkeit ab und wurde zum kritischen und eigenverantwortlichen Individuum mit eigener Würde und eigenem Wert. Statt Gläubigkeit und Gehorsam, Spiritualität und Kontemplation, Meditation und Passivität, war nun Verstand und Logik, Analyse und Entscheidungskraft, Bewusstheit und Aktivität gefragt. Das selbstständige,
rational denkende, forschend-suchende, eigenverantwortliche Individuum hatte das Labyrinth
als heiligen Weg und Erlösungsort hinter sich gelassen, der möglichst verwirrend gestaltete
Irrgarten bildete nun die angemessene Herausforderung. Denn im Irrgarten entscheidet der
Besucher nicht nur schlicht rechts und links, sondern mit Blick auf das Ziel, die Mitte und
die Rückkehr, auch über richtig und falsch. Die Wahlmöglichkeit bedeutet für ihn zugleich
die Anerkennung seiner Befähigung und Berechtigung zur Wahl. So trägt der Besucher die
Gefahr des Scheiterns, besitzt aber zugleich die Chance des Erfolgs. Entscheidungsfreude
und bewusste Gestaltung des eigenen Wegs machen den Besucher zum Akteur und Herrn
über seinen Weg. Symbolisch wird der Lebensweg im Irrgarten nicht mehr wie im Labyrinth
als vorbestimmt akzeptiert, sondern bewusst als Risiko angegangen, als eine im Ergebnis
unvorhersehbare Herausforderung. Aus der Sicht der reformatorischen neuen Selbstverantwortung eines Christenmenschen wurde überspitzt das Labyrinth auch schon als katholisch,
der Irrgarten als protestantisch bezeichnet, und der Schritt des Renaissancemenschen vom
Mittelalter zur Neuzeit wird als von so entscheidender Bedeutung angesehen, als dass der
Mensch das zweite Mal von der Frucht vom Baum der Erkenntnis im Paradies gegessen habe.
Unter gartengestalterischen Gesichtspunkten würde man ein Labyrinth wohl einen Meditationsgarten, einen frühen Irrgarten einen Rätselgarten nennen.
Für das Verständnis der weiteren Entwicklung ist es wichtig, den Irrgarten und das Labyrinth als zwei grundlegend verschiedene Erscheinungsformen zu betrachten. Deshalb sei
41
Nicht Chicago. Nicht hier.
definitorisch erläuternd angefügt, dass bereits seit etwa 300 v. Chr. das Labyrinth auch als
Irrgarten bezeichnet wurde. Dies war aber nur literarisch so und ist auf die verwirrende, vermeintlich irreführende Wegeführung zurückzuführen, ungeachtet der Einbahnigkeit. Bildlich
als grafische Figur aber liegt der Entwurf eines echten, vielwegigen Irrgartens erstmals um
1420 vor und erst um 1600 wurde ein Irrgarten realiter angelegt. Der Unterschied zwischen
dem literarischen Motiv und der bildnerischen Gestaltung wird leider auch heute noch oftmals
nicht beachtet und führt vielfach zu Missverständnissen, weil Labyrinth und labyrinthisch im
übertragenen Sinn weiter als Metaphern für Unübersichtlichkeit und Undurchschaubarkeit,
also auch für den Irrgarten verwendet werden und solches, wohlgemerkt, auch umgekehrt.
Diese jahrhundertealte, mangelnde Begriffsschärfe sollte der Typenklarheit wegen aber strikt
vermieden und Labyrinth und Irrgarten gleicherweise bildlich und literarisch konsequent auseinandergehalten werden.
aus: U. Fellmeth und K. Quast (Hrg.), Faszination Labyrinth.
Eine Kulturgeschichte des Labyrinths und Labyrinth-Modelle von G. Angelika Wetzel (2004)
42
Nicht Chicago. Nicht hier.
Vorschlag für den Unterricht III
Als kleine geistige Vorbereitung können Sie, wenn Sie die Geschichte im Unterricht gelesen
haben, mit den Schülerinnen und Schülern überlegen, welches Bühnenbild sie sich für die
Umsetzung auf die Bühne vorstellen können. Entsprechend ihrer Sehgewohnheiten ist anzunehmen, dass sie, wenn sie die Geschichte Kapitel für Kapitel bzw. Szene für Szene durchgehen, eine naturalistische Umsetzung vor Augen haben (das Wohnzimmer, das Klassenzimmer,
der Feuerwehrteich, die Polizeiwache etc.). Doch welche Möglichkeiten gibt es noch?
Ob vor- oder nachbereitend stellt sich dann die Frage: Wie führt man die Klasse an einen
Transfer ins Symbolische heran? Wenn Sie die Geschichte kennen und vorbereiten wollen:
Gehen Sie von der Geschichte und den Figuren aus. Wenn Sie nachbereiten wollen, beginnen
Sie damit, die Bühne beschreiben zu lassen und Assoziationen zu sammeln.
Figuren: Gehen Sie am besten von Niklas, von Karl und ggf. von der Familie aus.
Fragen Sie die Klasse: Welche Erfahrung macht Niklas in dieser Geschichte? Was erlebt er?
Wie fühlt sich das an? Mit welchem Bild lässt sich das vergleichen? Ist das, wie einen Wasserfall herunterzustürzen, oder wie durch die Wüste zu gehen?
Niklas ist isoliert, allein. Niklas verrennt sich in seiner Beziehung zur Familie. Niklas sucht einen Ausweg. Niklas wird irregeleitet von Karl. Niklas denkt immer wieder, er hätte eine Lösung
gefunden und steht dann vor einem neuen Hindernis (etc.).
Was ist mit Karl?
Karls Entwicklung ist ziemlich geradlinig; er plant, bereitet vor, führt durch und erreicht sein
Ziel. Er wird nicht getäuscht, er täuscht. Mit ihm wird nicht gespielt, er spielt mit anderen. Er
kennt die Fluchtwege, die Winkel und die Hinterhalte (etc.).
Und die Familie?
Die Familie ist gefangen in einer unangenehmen Situation; alle Wege, die sie gehen (mit den
Eltern sprechen, zur Polizei gehen, mit der Lehrerin sprechen), enden in Sackgassen. Das
System, in dem sie leben, bietet ihnen scheinbar keinen Ausweg. Ihre Perspektive ist eingeschränkt, sie verstehen nicht, wie so etwas passieren konnte (etc.).
Sammeln Sie die Bilder/Beschreibungen für Niklas, Karl und die Familie und lassen Sie sich
überraschen, wenn Sie die Bühne sehen. Im Anschluss an den Vorstellungsbesuch können
Sie dann mit der Bühnenbeschreibung fortfahren.
Bühne: Wie der dunkle Wald im Märchen fungiert ein Bühnenbild als symbolträchtiger Teil der
Geschichte, bietet einen Interpretationszugang, eine assoziative Annäherung. Was erzählen
also grüne Quader? Bei der Beschreibung wird ihre Klasse schnell auf die Assoziation „Laby43
Nicht Chicago. Nicht hier.
rinth“ oder „Irrgarten“ kommen. Wie lässt sich eine Verbindung zwischen Irrgarten/Labyrinth
und „Nicht Chicago. Nicht hier.“ herstellen? Fragen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler, was
die Qualitäten eines Labyrinths sind. Welche Eigenschaften besitzt es? Wie fühlt man sich,
was geschieht einem, wenn man in einem Labyrinth ist? Was ist die Aufgabe, und worin liegen dabei die Schwierigkeiten (im Zweifelsfall hilft immer die Frage nach dem Labyrinth vom
trimagischen Turnier bei Harry Potter und der Feuerkelch)?
Wenn Sie noch keine Figurenanalyse vorgenommen haben, tun Sie das jetzt (s. oberer Abschnitt Figuren). Nun sollten Sie leicht die Parallelen zwischen der Bühne und den Erfahrungen der Figuren besprechen können.
Für ein Gedankenspiel – denn die Bühne erinnert ja nur an einen Irrgarten oder ein Labyrinth,
sie ist weder das eine noch das andere – erarbeiten Sie mit der Klasse die qualitativen Unterschiede von Labyrinth und Irrgarten am besten anhand der untenstehenden Bilder. Welches
Bild passt besser zu Niklas? Welches Bild passt besser zu Karl? Welches zur Familie? Lassen
Sie Argumente sammeln, ob Niklas‘/Karls‘ Erfahrung eher dem Labyrinth oder dem Irrgarten
entspricht.
Abbildung 1: Kretisches Labyrinth
Abbildung 2: Irrgarten
44
Nicht Chicago. Nicht hier.
Szenenfoto mit Stefan Kowalski, Franziska Krol, Danielle Schneider, Johannes Hendrik Langer
45
Nicht Chicago. Nicht hier.
Teil III Wo ist Chicago? Was ist Chicago?
Warum Chicago?
Wie sich herausgestellt hat, ist der Begriff „Chicago“ dem heutigen jungen Publikum nicht
zwingend in Bezug auf die US-amerikanische Mafia und die Zeiten des Scarface Al Capone
bekannt. Abschließend finden Sie hier also zwei kurze Texte zur Mafia und Al Capone, der als
Synonym für die Chicagoer Unterwelt steht. Chicago ist also der Gegenpart zur zivilisierten
Welt, in der Niklas‘ Eltern zu leben meinen. Nichts anderes ist damit gemeint, als dass Chicago ein Ort der Gesetzlosigkeit, des Chaos und der Willkür ist, an dem Verbrecher herrschen.
Die italienische Mafia
Paradigma oder Spezialfall organisierter Kriminalität?
Die Mafia: Was ist das eigentlich?
Seit der Begriff „Mafia“ durch Giuseppe Rizzottos 1863 uraufgeführte Komödie „I mafiusi de la
Vicaria“ populär wurde, hat er viele, zum Teil auch konträre Bedeutungen erhalten. So wurde
mit der Vereinigung Italiens durch Garibaldi im Jahre 1860 die Mafia Inhalt hitziger intellektueller und politischer Debatten. Für einige Zeitgenossen, speziell aus dem Süden Italiens, war die
Mafia lediglich eine Verhaltensweise mutiger Männer, die sich selbst zu helfen wussten (Pitré
1993). Für andere, nicht zuletzt für die meist norditalienischen Repräsentanten der Staatsgewalt war sie eine gemeingefährliche, fest organisierte kriminelle Vereinigung, welche mit
allen Mitteln bekämpft werden musste (Pezzino 1987). Heute, gut 100 Jahre später, lässt sich
zweifelsfrei feststellen: Ungeachtet der Vielzahl von Bedeutungen und Eigenschaften, die dem
Begriff der Mafia im Laufe der Jahrzehnte zugeordnet wurden, besteht das Phänomen Mafia
in seinem Kern aus zwei stabilen und strukturierten Organisationen – der Cosa Nostra in Sizilien und der ‘Ndrangheta im südlichen Kalabrien.
aus: Letizia Paoli, Die italienische Mafia: Paradigma oder Spezialfall organisierter Kriminalität? (1999)
Al Capone
Alphonse Gabriel „Al“ Capone (italienisch Alfonso Capone; * 17. Januar 1899 in Brooklyn,
New York, NY, USA; † 25. Januar 1947 in Palm Beach, Florida) war einer der berüchtigtsten
Verbrecher Amerikas in den 1920er und 1930er Jahren. Capone kontrollierte die Chicagoer
Unterwelt („Chicago Outfit“) und machte seine Geschäfte vor allem mit illegalem Glücksspiel,
Prostitution und während der Prohibitionszeit mit illegalem Alkoholhandel. Bis heute ist sein
Name auch mit der Bezeichnung Geldwäsche verbunden, da er als Erster illegale Einnahmen
in Waschsalons investierte und mit dieser Verschleierungsmethode Vorbild für viele Steuerhinterzieher und Betrüger wurde.
46
Nicht Chicago. Nicht hier.
Obwohl der Höhepunkt seiner Karriere nur von 1926 bis 1931 währte und Capone im Grunde nur bereits existierende kriminelle Strukturen nutzte, wurde er geradezu zum Archetyp
des US-amerikanischen Gangsterbosses, zu einem Symbol für die organisierte Kriminalität
schlechthin. Der „Mythos Capone“ geht im Wesentlichen auf seine Fähigkeiten als Selbstdarsteller und seinen geschickten Umgang mit der Presse zurück. Nach außen gab sich Capone
den Anschein des seriösen Geschäftsmanns, der im Branchenverzeichnis als Antiquitätenhändler geführt wurde und laut Visitenkarte Händler für gebrauchte Möbel war.
aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Al_Capone
47
Nicht Chicago. Nicht hier.
Literaturhinweise / Internetlinks
• Gloria Beck. Verbotene Rhetorik: Die Kunst der skrupellosen Manipulation. Frankfurt am
Main: Eichborn AG 2005
• http://de.wikipedia.org
• U. Fellmeth und K. Quast (Hrg.). Faszination Labyrinth: Eine Kulturgeschichte des Labyrinths und Labyrinth-Modelle von G. Angelika Wetzel. Stuttgart-Hohenheim: Archiv der
Universität Hohenheim 2004, S. 99-102
• Alexander Kluge. Facts & Fakes 1. Fernseh-Nachschriften: Verbrechen. Gespräche mit Dr.
Ulrike Sprenger, Prof. Dr. Joachim Kersten und Manfred Pichota. Hg.: Christian Schulte,
Reinald Gußmann. Berlin: Verlag Vorwerk 8 2000, S. 17 ff
• Landeskommission Berlin gegen Gewalt c/o Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und
Sport (Hrg). Berlin gegen Gewalt: Adressen gegen Gewalt. Berlin: AAD Trescom GmbH 2004
Internet: www.berlin-gegen-gewalt.de
• www.literaturkritik.de
• Laetizia Paoli. Die Italienische Mafia: Paradigma oder Speziallfall Organisierter Kriminalität? Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. Köln: Carl Heymanns-Verlag
1999, S. 425
• Gus Russo. The Outfit. The Role of Chicago’s Underworld in the Shaping of Modern America. New York and London: Bloomsbury 2001
• Bernd Rüthers. Rechtstheorie: Begriff, Geltung und Anwendung des Rechts. München:
Verlag C.H. Beck 2007, S. 215 ff., S. 247 ff.
• Eugen Sorg. Die Lust am Bösen: Warum Gewalt nicht heilbar ist. München: Carl Hanser
Verlag 2011, S. 26-31, S. 38-45
• Jan Stewart. Wut-Workout: Produktiver Umgang mit Wut. Mühlheim: Verlag an der Ruhr
2003
• Walter Taglieber. Berlin – Brandenburger Anti-Mobbing-Fibel: Was tun wenn. Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (LISUM) 2010
• www.kluge-alexander.de
• Gewaltprävention in der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
Ria Uhle und Kati Kommnick / Telefon 90227 6320 oder -6513 / Fax 90227 5012
eMail: [email protected]
internet: http://www.berlin.de/sen/bildung/hilfe_und_praevention/gewaltpraevention/
48
Nicht Chicago. Nicht hier.
Bildnachweise
• Abbildung 1:
Kretisches Labyrinth. Nordisk familjebok (1876–1899)
http://de.wikipedia.org
• Abbildung 2:
Hermann Kern. Labyrinthe – Erscheinungsformen und Deutungen: 5000 Jahre Gegenwart
eines Urbilds. München: Prestel Verlag 1982
http://www.hyperwriting.de/imagesdb/upload/yrrinthos.jpg
49
Nicht Chicago. Nicht hier.
Hinweise für den Theaterbesuch
Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,
viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater oder haben wenig
Erfahrung damit. Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit Ihrer Klasse die besondere
Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich Darsteller und Zuschauer konzentrieren können. Dafür braucht
es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht einhält,
beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen
Besucher.
Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines Theaterbesuchs bei:
1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass jeder in Ruhe den Mantel und seine
Tasche an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.
2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, stört sowohl die Darsteller als auch
die übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren
Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in der Vorstellung gibt.
3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen und zu trinken, Musik zu hören und
Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet
sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.
4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wem es gut
gefallen hat, der gibt mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger. Wichtig ist, erst nach
dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen.
Unser Einlasspersonal der ARTService GmbH steht den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung.
Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für
Gespräche stehen wir zur Verfügung. Unter www.parkaue.de können unsere Zuschauer einen
Kommentar zu den Inszenierungen abgeben.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Ihr THEATER AN DER PARKAUE
50
Nicht Chicago. Nicht hier.
Impressum
Spielzeit 2011/2012
THEATER AN DER PARKAUE
Junges Staatstheater Berlin
Parkaue 29
10367 Berlin
Tel. 030 – 55 77 52 -0
www.parkaue.de
Intendant: Kay Wuschek
Redaktion: Camilla Schlie
Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro
Heike Praetor
Fotos: Christian Brachwitz
Titelfoto mit Johannes Hendrik Langer
Abschlussfoto mit Paul Maresch
Kontakt Theaterpädagogik:
Irina-Simona Barca / Frank Röpke
Telefon: 030 – 55 77 52 -60
[email protected]
51

Documentos relacionados