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ITS magazine Fachmagazin der Straßenverkehrstechnik I 1/2008 Intelligent Traffic Systems S Gefühlte Mobilität An der Grenze der Vernunft: Wie Emotionen das Verkehrsgeschehen beeinflussen Editorial & Inhalt Editorial Inhalt 04 „Das Auto als Kostüm“ Trends & Events Im Fokus 4 „Das Auto als Kostüm“ Verkehrspsychologe Professor Dr. Bernhard Schlag über die Grenzen der Vernunft im Verhältnis zwischen Mensch und Auto 10 Rasende Richter Warum das Gefühl, im Recht zu sein, zu rücksichtslosem Verhalten im Straßenverkehr führt 12 Temperament im Sechserpack Auf Basis einer repräsentativen Befragung haben Marktforscher unter Deutschlands Autofahrern sechs typische Charaktere identifiziert 2 its magazine 1/2008 Liebe Leserin, lieber Leser, bei aller Liebe zur menschlichen Vernunft: Spätestens seit Immanuel Kant ist klar, dass sie immer wieder „durch Fragen belästigt wird, die sie … nicht beantworten kann.“ So schrieb der Königsberger Philosoph 1781 in der Vorrede zur ersten Auflage seiner berühmten „Kritik der reinen Vernunft“. Und so erleben wir es mehr als 225 Jahre später beinahe Tag für Tag. Auch wir Mobilitätsexperten haben es ganz aktuell mit einer Reihe von Rätseln zu tun, die sich rational kaum erklären lassen. Warum zum Beispiel stellen sich Abermillionen von Menschen werktäglich in notorisch wachsende Staus, obwohl 13 Invasion der Schwarzfahrer Farbwissenschaftler Werner Rudolf Cramer über die psychologischen Aspekte der Farbwahl beim Autokauf 14 Der homöopatische Weg Wie der Verkehrsforscher Werner Brög die Autoabhängigkeit der mobilen Gesellschaft therapieren will 16 Verkehrstechnik – just in time Zwischen High-Tech und Highspeed: Warum Siemens ITS bei der Fertigung und Konfiguration moderner Verkehrstechnik in Augsburg ordentlich aufs Tempo drückt 18 Messe- und Kongress-News Blick zurück nach vorn: Ein Review zur Gulf Traffic Dubai 2007 und ein Preview auf die Intertraffic Amsterdam 2008 19 In aller Offenheit Mit einer innovativen Netzwerkstruktur setzt das integrierte Parkraummanagementsystem Sipark PMA neue Maßstäbe in Sachen Effizienz und Flexibilität sie ihr Ziel mit öffentlichen Transportmitteln viel unaufgeregter und oft sogar schneller erreichen würden? Oder: Wie kann es sein, dass ansonsten absolut gesetzestreue Bürger ausgerechnet im Straßenverkehr zu Straftätern werden? Mit solch elementaren, aber auch mit scheinbar amüsanteren psychologischen Phänomenen wie etwa dem Trend zu geländegängigen Autos, der in Ermangelung entsprechender Einsatzgebiete auf den ersten Blick eher widersinnig wirkt, beschäftigt sich der Themenschwerpunkt in dieser Ausgabe des ITS magazines. Zu den hochkarätigen Spezialisten, die uns bei der Erarbeitung der einzelnen Beiträge unterstützten, gehören unter anderem der renommierte Verkehrspsychologe Professor Dr. Bernhard Schlag von der TU Dresden, der Aggressionsforscher Dr. Christian Maag von der Uni- versität Würzburg und der Münchner Mobilitätsforscher Werner Brög. Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre – und uns ein interessantes Feedback an [email protected]. Herzlichst Ihr Dr. Michael Ostertag 10 18 Rasende Richter Messe- und Kongress-News Partner & Projekte 20 Shortcuts Aktuelle Siemens-Projekte im Bereich Straßenverkehrstechnik aus Polen, Finnland und den Niederlanden Wissen & Forschung 22 Autonome Szene Utopie oder realistische Option: Sind selbstfahrende Autos tatsächlich schon auf dem Weg zur Serienreife? Mobilität & Lebensraum 24 Die Weisheit der Vielen Mit Hilfe der Positionsdaten von Millionen Vodafone-Handys will TomTom die mobile Navigation revolutionieren Rubriken 25 Im Seitenspiegel Nachdenkliches und Quergedachtes zum Dauerthema Stau: „Nach Hause, Robby!“ 26 Profil Uwe Strubbe, SiemensGesamtprojektleiter der Verkehrsinformationsagentur Bayern, über einen neuen Meilenstein auf dem Weg in die telematische Zukunft: „Phänomenal intermodal“ 28 Impressum 1/2008 its magazine 3 Im Fokus Psychogramm der Mobilität: Macht die Liebe zum Auto den Menschen blind für rationale Einsichten? „Das Auto als Kostüm“ 4 its magazine 1/2008 Interview ■ Professor Dr. Bernhard Schlag, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrspsychologie an der Technischen Universität Dresden, über die Grenzen der Vernunft im Verhältnis zwischen Mensch und Auto. 1/2008 its magazine 5 Im Fokus Stretch-Limo, Smart: „Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel der Mensch investiert, um sich Möglichkeiten zu schaffen, die er niemals nutzt“ Herr Professor Schlag, trotz Klimawandels, Dauerstaus und explodierender Kosten nimmt das automobile Getümmel auf den Straßen der Welt beinahe täglich zu. Macht die Liebe zum Auto den Menschen blind für rationale Einsichten? Völlig blind sicherlich nicht. Aber es stimmt schon: Gerade im Verkehrsbereich haben Wissen, Einstellungen und Verhalten generell sehr wenig miteinander zu tun. Das geht bei der Wahl des Fortbewegungsmittels los und drückt sich auch im individuellen Fahrstil aus. Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man zunächst einmal sehen, dass Autos für uns heute viel mehr sind als fahrbare Untersätze, die uns von A nach B bringen sollen. Immer wieder gern zitiert wird in diesem Kontext die Funktion als Statussymbol – oder ist das eher Küchenpsychologie? Nein, überhaupt nicht. Dieser Aspekt gehört in der Tat dazu: Das Auto wirkt als soziales Signal, als Symbol für Freiheit, Stärke und Kontrolle, auch als Mittel zur Erhöhung des Selbstwertgefühls. In einer aktuellen Arbeit habe ich darüber hinaus aber noch eine ganze Reihe weiterer Zusatzfunktionen identifiziert. Zum Beispiel? Besonders interessant finde ich, dass das Auto immer mehr zum persönlichen State6 its magazine 1/2008 ment wird. Es tritt gewissermaßen als Kostüm an die Seite der Kleidung. Es bietet die Möglichkeit, sich auszudrücken und sich positiv von seinen Mitmenschen zu unterscheiden. Und diese Höherwertigkeit kann man erwerben – es genügt, einfach das richtige Fahrzeug zu kaufen. „Gerade was faktisch nutzlos ist, macht psychologisch Sinn – zum Beispiel ein SUV“ Erklärt sich damit auch der irrationale Trend zu bulligen Geländewagen? Im SUV über die Autobahn zu fahren macht doch ähnlich viel Sinn, wie in Skistiefeln durch die Fußgängerzone zu stapfen? Faktisch mögen Sie Recht haben. Psychologisch liegen Sie voll daneben. Denn gerade weil es nutzlos ist, macht es Sinn. Wenn ich mir Nutzloses leisten kann, dann habe ich es geschafft. Die SUVs illustrieren das besonders anschaulich – vor allem auch mit ihrer erhöhten Sitzposition. Nicht zuletzt darum geht es nämlich. Aber keineswegs wegen des bequemeren Einstiegs oder der guten Übersicht, wie gern behauptet wird, sondern weil wir uns damit buchstäblich von den anderen abheben können. „Glauben Sie, dass die Motoren von Sportwagen tatsächlich aus technischen Gründen so auffällig röhren müssen?“ Professor Dr. Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe Besseres kann der Automobilindustrie gar nicht passieren. Denn offensichtlich lassen wir es uns einiges kosten, unsere Überlegenheit zu zeigen? Natürlich ist die Industrie an Gewinnbringern wie den SUVs hochgradig interessiert. Und natürlich sind sich die Hersteller bewusst, dass die Demonstration nicht nur der physischen, sondern auch der sozialen Potenz bei der Fahrzeugwahl eine entscheidende Rolle spielt. Die Werbung suggeriert, dass Autos „Körper“ haben und schafft so die Verknüpfung mit menschlicher Attraktivität und sexuellem Erfolg. Nach Kräften unterstützt wird das Ganze durch das FahrzeugDesign, das heute längst kein rein optisches Thema mehr ist. Inzwischen haben daran auch die Psycho-Akustiker ihren Anteil. Ich bin davon überzeugt, dass Autofahren eine eigene Sprache ist – und zwar eine, die vom jeweiligen sozialen Umfeld unmittelbar und problemlos verstanden und deshalb meist unreflektiert mit entsprechendem Verhalten beantwortet wird. Andererseits wird die Art, wie wir fahren, natürlich nicht nur von sozialen Interaktionen beeinflusst, sondern zum Beispiel auch von einer Verstärkungsautomatik, die verknüpft ist mit der stressbedingten Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin. Wenn wir heikle Fahrsituationen überwunden, sie „gemeistert“ haben, so führt dies oft zu einer unbewussten Verstärkung riskanten Verhaltens. Aber das sind natürlich nur zwei Aspekte unter vielen, die zur Ausprägung des individuellen Fahrstils führen. Psycho-Akustiker? Das sind die Kollegen, die dafür sorgen, dass ein Fahrzeug so klingt, wie es klingen soll. Oder glauben Sie, dass die Motoren von Sportwagen tatsächlich aus technischen Gründen so auffällig röhren müssen? Glauben Sie, es ist Zufall, dass das Geräusch beim Schließen der Tür beim BMW anders klingt als beim Mercedes? „Autofahren ist eine eigene Sprache, die sehr direkt und meist problemlos verstanden wird“ Kommt es bei der automobilen Selbstinszenierung nur darauf an, womit ich fahre – oder auch darauf, wie ich fahre? Dann sind Raser also nicht nur bedauernswerte Hormon-Junkies? Nein, keineswegs. Sehr bemerkenswert ist, dass die subjektive Wahrnehmung von Gefahren beim Autofahren individuell viel unterschiedlicher zu sein scheint als in den meisten anderen Alltagssituationen. Das liegt vor allem daran, dass wir Risiken grundsätzlich danach beurteilen, ob wir uns die Bewältigung einer bestimmten Situation noch zutrauen oder nicht. Und die realistische Einschätzung der eigenen fahrerischen Qualitäten gehört nicht unbedingt zu den Stärken der Autofahrer. Sehen Sie hier Ansätze für eine Optimierung der Fahrausbildung? Die Diskussion über deren Qualität ist sicherlich fast so alt wie der Führerschein selbst. Gerade jetzt blicken viele Europäer wieder verstärkt über den Atlantik auf die amerikanischen Learning-by-doing-Konzepte, die einen graduierten Zugang der Neulinge zum Straßenverkehr vorsehen. Die nackten Zahlen jedoch lassen kaum Vorteile gegenüber unserem Ansatz des „Erst lernen, dann fahren“ erkennen. Meiner Meinung nach wäre eine durchdachte Kombination beider Strategien wünschenswert. Das so genannte Begleitete Fahren ist ja bereits ein erster Schritt in diese Richtung. Noch hitziger als über den Führerschein mit 17 wird derzeit über den Führerschein mit 70 diskutiert. Ist die unbegrenzte Fahrerlaubnis noch zeitgemäß? Ehrlich gesagt: Ich möchte das nicht entscheiden müssen. Einerseits führt an der » 1/2008 its magazine 7 Im Fokus „Traurige Nachricht für Chauvis: Männer verursachen deutlich mehr Unfälle als Frauen“ Erkenntnis, dass altersbedingte körperliche Beeinträchtigungen die Fahrfähigkeiten beeinflussen, kein Weg vorbei. Andererseits sollten wir alles dafür tun, unsere Senioren mobil zu halten. Denn wie wir aus einschlägigen Untersuchungen wissen, erhöht ein kleiner werdender Aktionsradius die Gefahr des Sozialen Tods bei älteren Menschen – und damit in der Folge auch die tatsächliche Mortalitätsrate. Meines Erachtens ist da viel Fingerspitzengefühl gefragt. „Ressourcenkonflikte können Kriege auslösen – zwischen Völkern genauso wie auf der Straße“ Wagen Sie eine Prognose – kommt der Senioren-TÜV in Deutschland? Eben weil es ein so sensibles Thema ist, das ganz leicht in Richtung Diskriminierung abdriften kann, halte ich eine diplomatische Lösung für sehr wahrscheinlich: Ich vermute mal, die Verantwortlichen werden die Fahreignungsprüfung, die ja in einigen EULändern schon üblich ist, unter dem Deckmantel der europäischen Harmonisierung in einer abgestuften Form einführen. Wenn Senioren wegen körperlicher Handicaps oder Junioren mangels Erfahrung Unfälle verursachen, ist das 8 its magazine 1/2008 zumindest noch nachvollziehbar. Aber wie kommt es zu den Situationen, in denen Autofahrer regelrecht Krieg miteinander führen? Die Antwort haben Sie sich eigentlich schon selbst gegeben: In den meisten Fällen geht es hier um einen klassischen Ressourcenkonflikt, der, wenn er zwischen Völkern entsteht, in der Tat zu Kriegen führen kann. Der einzige Unterschied: Beim Autofahren streiten wir uns nicht um Erdöl, sondern um ein Stück Straße. Das Muster bleibt dasselbe. Es sind also nicht ausnahmslos Psychopathen, die im Straßenverkehr ausrasten? Nein. Das kann auch dem geduldigsten Familienvater passieren. Natürlich spielen dabei auch charakterliche Determinanten eine Rolle. Entscheidend aber ist die Situation, und die stellt sich im Verkehr nun einmal völlig anders dar als in den meisten anderen Bereichen des Lebens: Der Autofahrer verfügt über ein Machtpotenzial, das er sonst nicht hat. Zum Glück genügt es den meisten zu wissen, dass sie es haben – dass sie also könnten, wenn sie wollten. Auch das ist ein sehr bekanntes psychologisches Phänomen: Es ist für den Laien immer wieder erstaunlich zu sehen, wieviel der Greyhound-Kühlerfigur mit Sweater: „Das Auto bietet die Möglichkeit, sich auszudrücken, sich positiv von seinen Mitmenschen zu unterscheiden“ Mensch investiert, um sich Möglichkeiten zu schaffen, die er niemals nutzt. Ex-Rennprofi Christan Danner hat vor kurzem in einem Beitrag für das ITS magazine festgestellt, der größte Risikofaktor im Straßenverkehr sei nicht aus Blech, sondern aus Fleisch und Blut. Sehen Sie das auch so? Das unterschreibe ich sofort. Fast zwei Drittel aller Unfälle gehen eindeutig auf das Konto des Fahrers, und in einem nicht unerheblichen Teil der restlichen Fälle ist irgendetwas im Zusammenspiel zwischen Menschen, Maschine und Straße schief gegangen. Diese Erkenntnisse waren übrigens auch der Grund dafür, dass in der Unfallforschung ein Umdenkprozess eingesetzt hat: Früher waren in dieser Disziplin die Techniker fast unter sich, heute finden sich hier immer mehr Verkehrspsychologen. Die meisten Ihrer Kollegen jedoch tummeln sich im Bereich der MedizinischPsychologischen Untersuchungen … Stimmt, hauptsächlich ist es die Diagnostik, die ihren Mann ernährt. Wobei „Mann“ übrigens durchaus wörtlich zu nehmen ist, zumindest auf der Seite der untersuchten Personen: Rund 90 Prozent derer, die im Straßenverkehr so auffällig werden, dass sie zur MPU müssen, sind Männer. Das klingt ja nach einem frontalen Angriff auf beliebte Chauvi-Klischees. Für diese spezielle Zielgruppe habe ich gleich noch eine weitere traurige Nachricht. Die Auswertung von insgesamt 10.000 Schadensberichten, die wir zusammen mit dem Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft durchführten, brachte nämlich recht eindeutige Ergebnisse: Die Mehrzahl dieser Unfälle wurden von Männern verursacht. Daran änderte sich auch nichts, nachdem wir die unterschiedlichen Kilometerleistungen von Männern und Frauen herausgerechnet hatten. Als ein großes Problem im Straßenverkehr gilt seit Jahrzehnten die mangelnde Regelbeachtung. Hat sich daran etwas geändert? Ja und nein. Ja in Bezug auf „Alkohol am Steuer“: Das ist zwar nach wie vor der häufigste Grund für eine MPU, aber mit nachlassender Tendenz – ein schönes Beispiel dafür, dass man tatsächlich etwas tun kann. Was in den 80er Jahren noch eher als Kavaliersdelikt galt, wird heute mehr und mehr zum No-Go. Das Nein betrifft die Geschwindigkeitsübertretungen, die man in weiten Autofahrerkreisen nach wie vor als lässliche Sünde sieht. In den USA gab es vor Jahren die Diskussion, auf wen man sich im Zuge der Gesund- heitsoffensive nach den Rauchern konzentrieren soll: Die Dicken haben das Rennen gegen die Schnellfahrer gewonnen – oder verloren, wenn Sie so wollen. Gibt es ein psychologisches Patentrezept, mit dem sich Verkehrssünder zur Räson bringen lassen? Auch das ist unter Experten ein beliebtes Thema für dialektische Erörterungen. Die einen propagieren höhere Strafen samt schärferer Überwachung und verweisen zum Beispiel auf Frankreich, wo die Anzahl schwerer Unfälle auf diese Art um rund 20 Prozent gesenkt werden konnte. Die anderen setzen mehr auf das persönliche Verantwortungsbewusstsein und argumentieren mit der höheren Effizienz der internen Kontrolle im Gegensatz zur externen. Aus meiner Sicht verspricht hier die 4E-Strategie am meisten Erfolg: Education, Enforcement, Engineering, Economy – also eine geschickte Kombination von Aufklärung, Überwachung, straßenbaulichen Maßnahmen und Anreizsystemen. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, ein Patentrezept zur Veränderung menschlichen Verhaltens hat noch keiner gefunden. Herr Professor Schlag, wir danken Ihnen für das Gespräch. « 1/2008 its magazine 9 Im Fokus Rasende Richter Aggressionen im Straßenverkehr ■ Auf der Suche nach den Ursachen für rücksichtsloses Verhalten von Autofahrern stieß der Würzburger Psychologe Dr. Christian Maag auf ein überraschendes Motiv: das Gefühl, im Recht zu sein. Dr. Christian Maag 10 its magazine 1/2008 Das Zitat ist über 100 Jahre alt – und klingt doch bemerkenswert aktuell: „Nie in meinem Leben bin ich so viel verflucht worden wie während meiner Automobilreise“, erzählte der Dichter und Journalist Otto Julius Bierbaum seinen Freunden von einer Fahrt von Berlin nach Sorrent im Jahr 1902. „Alle deutschen Dialekte waren daran beteiligt und alle Mundarten des Italienischen – gar nicht zu rechnen die stummen Flüche, als da sind: Fäuste schütteln, Zunge herausstrecken, die Hinterfront zeigen und anderes mehr.“ Doch auch wenn Automobilität offenbar schon immer eine höchst emotionale Angelegenheit war: Auf unseren heutigen Straßen scheint es trotzdem noch um einiges härter zur Sache zu gehen. Jedenfalls haben sich rücksichtslose Autofahrer selbst in den Schlagzeilen jener Medien, die mehr Wert auf Inhalte als auf die Größe der Buchstaben legen, inzwischen einen traurigen Stammplatz gesichert. Von einem „Todesschuss aus Ungeduld“ berichtete SPIEGEL ONLINE beispielsweise in ziemlich reißerischer Manier. „In Amsterdam blockierte ein Autofahrer zu lange eine Straße. Dafür musste er mit dem Leben bezahlen.“ Ein wissenschaftlicher Beweis für wachsende Aggressivität im Straßenverkehr ist die veränderte Qualität und Quantität entsprechender Meldungen freilich längst noch nicht. Selbst die statistisch belegbare größere Anzahl einschlägiger Strafanzeigen dient bestenfalls als Indiz. Die Gründe dafür, so die akademische Argumentation, könnten ebenso gut in der höheren Sensibilität der Öffentlichkeit gegenüber rücksichtlosem Fahrverhalten liegen – und in der Tatsache, dass heute fast jeder ein Mobiltelefon hat und sich deshalb sofort an die Polizei wenden kann. Eine Ventilfunktion für den Frust aus anderen Lebensbereichen Einen großen Schritt vorwärts machte die Forschung dagegen in den letzten Jahren auf der Suche nach den Ursachen für „Aggressionen im Straßenverkehr“. Schon bevor der Diplompsychologe Dr. Christian Maag vom Interdisziplinären Zentrum für Verkehrswissenschaften der Universität Würzburg (www.izvw.de) seine gleichnamige Untersuchung vorlegte, hatte man sich auf einige unstrittige Thesen geeinigt. Zum Beispiel darauf, dass rücksichtsloses Fahren eine Ventilfunktion für die in anderen Lebensbereichen hervorgerufenen Frustrationen haben kann, weil Normbrüche im Straßenverkehr bis zu einem gewissen Grad gesellschaftlich toleriert werden. Deshalb wird der Normalbürger im Straßenverkehr in einem weit höheren Maß juristisch auffällig als in irgendeinem anderen Kriminalitätsbereich. Weitgehend einig ist sich die Wissenschaft auch darin, dass die eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten etwa auf der Autobahn eine große Rolle bei der Entstehung von Konflikten spielen. Herzstück der von der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) geförderten Arbeit von Dr. Maag, die darüber hinaus noch Befragungen von Polizeibeamten und Autofahrern sowie Analysen von tatsächlich erstatteten Anzeigen umfasste, waren mehrere Untersuchungen mit über 50 Testfahrern in einem Fahrsimulator. Um dem Entstehen von Aggressionen einerseits und den Auswirkungen aggressiven Verhaltens auf den gesamten Verkehrsablauf andererseits auf die Schliche zu kommen, definierte der Würzburger zunächst eine prototypische Situation aggressiven Fahrverhaltens. Geeignet dafür schien die so genannte „Kann weg“- Situation: Dabei nähert sich auf der linken Spur einer Autobahn ein Fahrzeug einem langsamer fahrenden Auto, das ebenfalls gerade einen Lkw überholen will. Um einen Auffahrunfall zu vermeiden, bleiben nur zwei Möglichkeiten: Entweder das hintere Fahrzeug bremst ab, oder das vordere wechselt die Fahrspur. Ob dabei ein Konflikt entsteht oder nicht, hängt von der subjektiven Situationsbeurteilung der beiden Fahrer ab. Je häufiger sich der Autofahrer ärgert, desto egoistischer wird er Objektiv beurteilen lässt sich die „Kann weg“-Situation über die TTC-Differenz (Time to Collision), über die unterschiedlichen Fahrzeiten also, die die beiden Überholer bei unveränderter Geschwindigkeit brauchen würden, bis sie auf Höhe des Lkws sind. Bei einer negativen TTC-Differenz wäre das vordere Fahrzeug früher dort, bei einem positiven Wert das hintere. Im ersten Fall dürfte der Vorausfahrende seinen Überholvorgang also durchaus beenden, im zweiten Fall müsste er dem Schnelleren eigentlich Platz machen. Weicht nun der Vordermann trotz relativ hoher TTC-Differenzwerte nicht aus, dann entsteht beim Hintermann Ärger – Crash-Fahrerin im VW-Fahrsimulator: Normbrüche werden im Straßenverkehr toleriert nach der einfachen Formel: je höher der TTC-Differenzwert, desto größer der Frust. Der klingt zwar relativ schnell wieder ab, wenn sich über einen gewissen Zeitraum keine ähnlichen Konflikte mehr ergeben. Aber, was sich bei den Tests im Fahrsimulator ebenfalls zeigte: Je häufiger der Autofahrer sich um sein Recht betrogen fühlt, desto egoistischer beurteilt er das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer in folgenden Situationen: Er nähert sich nun aggressiver an, fährt näher auf und wird zum Drängler. Dieses experimentell ermittelte Fahrermodell kombinierte Dr. Maag anschließend mit der Verkehrssimulation PELOPS, die am Institut für Kraftfahrwesen der RWTH Aachen zusammen mit BMW entwickelt wurde. Das Ergebnis war eindeutig: Bei Richtgeschwindigkeit 130 km/h führen wachsende Verkehrsstärken zwangsläufig zu einem dramatischen Anstieg der Häufigkeit aggressiver Episoden und damit des Unfallrisikos. Gleichzeitig testete der Würzburger gemeinsam mit dem Institut für Kraftfahrwesen auch mögliche Gegenmaßnahmen – und das mit durchschlagendem Erfolg. Schon mit einem Tempolimit auf beispielsweise 80 km/h lässt sich der allgemeine Aggressionspegel um mehr als 80 Prozent reduzieren. Zur Bekämpfung der Rücksichtslosigkeit auf der Straße kommen also nicht nur verstärkte Überwachung oder verbesserte Aufklärungs- und Ausbildungsprogramme in Frage, sondern auch die moderne dynamische Verkehrssteuerung. Dass aber auch dies nicht als Allheilmittel gegen Fahrkonflikte aller Art zu sehen ist, versteht sich von selbst: Dafür sind die Intentionen und Situationsbeurteilungen der beteiligten Fahrer oftmals einfach zu unterschiedlich. « Leitsystem auf der A2: Probates Mittel gegen Aggressionen 1/2008 its magazine 11 Im Fokus Temperament im Sechserpack Autofahrertypen ■ Die meisten sind gern unterwegs und fühlen sich ohne ihre vier Räder „wie ein halber Mensch“: Deutschlands Autofahrer haben viel gemeinsam – aber es gibt auch einiges, was sie trennt. Die Marktforschung hat sie in sechs Gruppen eingeteilt. Ganz egal, ob man einen von der milden oder von der wilden Sorte interviewt – auf eine Frage antworten fast alle Autofahrer gleich: Das größte Ärgernis sind die anderen. Weil sie zu schnell fahren oder zu langsam, zu rechthaberisch oder zu rabiat, zu unsicher oder zu risikofreudig. Und wie reagiert der gemeine Automobilist, wenn man ihn ärgert? Richtig: Er flucht – das zumindest haben 40 Prozent der 1608 Teilnehmer einer repräsentativen Befragung zugegeben, die das Marktforschungsinstitut psychonomics im Auftrag der AXA Konzern AG durchführte. Auch wenn man sich die beliebtesten Feindbilder auf deutschen Straßen genauer ansieht, zeigen sich mehrheitsfähige Stereo- typen: So sind sogar die meisten Männer der Meinung, dass ihre Geschlechtsgenossen aggressiver fahren als Frauen, und über zwei Drittel der unter 30-Jährigen räumen ein, dass ihresgleichen angriffslustiger unterwegs ist als ältere Semester. Selbst bestimmte Automarken müssen mit einem kollektiven Stigma leben: Während Porsche und Golf GTI das Aggressions-Ranking anführen, gelten Citroën, Fiat, Volvo und Mercedes eher als Trödler. Interessant ist auch ein Blick auf den Umgang mit Tempolimits: Nur 40 Prozent der Befragten fahren maximal so schnell wie erlaubt. Der große Rest sieht die Sache lockerer: Gut 40 Prozent fahren um höchstens 20 km/h zu schnell, Die sechs Autofahrertypen drei Prozent sporadisch um mehr als 40 Sachen. Was beim Versuch, einzelne Autofahrertypen empirisch zu erfassen (siehe Kasten) auffiel, sind vor allem auch die soziodemographisch bedingten Unterschiede in der Einstellung zum Auto und in den Fahrmentalitäten. So stimmten der Aussage „Ein wenig Nervenkitzel gehört für mich dazu“ immerhin 41 Prozent der 18- bis 34-Jährigen mit Hauptschulabschluss zu, aber nur 19 Prozent der gleichaltrigen Akademiker. Und während Besserverdienende eher zur Überschätzung des eigenen Könnens neigen, geraten Wenigverdiener vergleichsweise häufiger in Rage. « Welcher Typ sind Sie? Machen Sie den Selbsttest auf www.autofahrertypen.de! 1. Der Funktionalist (Anteil: 19 Prozent) ist der typische Durchschnittsfahrer. Er sieht Autofahren nicht als Selbstzweck und das Auto als Gebrauchsgegenstand. Sein Fahrstil zeigt keine Auffälligkeiten. Er gehört relativ häufig zu den Durchschnittsverdienern und Bewohnern mittelgroßer Städte (20.000 - 100.000 Einwohner). 2. Der Frustrierte (Anteil: 17 Prozent) kann seine fahrerischen Fähigkeiten nicht in dem Maß mit anderen messen wie er gern würde, weil er über zu geringe Ressourcen verfügt: Das führt oft zu Aggressionen. Der Frustrierte findet sich etwas häufiger bei unteren Bildungsgruppen. Rentner sind relativ gering vertreten, Hausfrauen relativ häufig. 3. Der Ängstliche (Anteil: 17 Prozent) repräsentiert den unsicheren Wenigfahrer. Er fährt sehr zurückhaltend, langsam und hält sich strikt an die Verkehrsregeln, weshalb er nicht selten als Hindernis erscheint. Der Ängstliche findet sich häufig bei den älteren Fahrern ab 60 und nur sehr selten bei Jüngeren unter 35. 4. Der Gelassene (Anteil: 16 Prozent) ist der Genießer unter den Fahrern: frei von Angst, Aggression oder Risikogelüsten. Auf Drängler wie auf Trödler reagiert er souverän und neigt nicht dazu, seine gute und sichere Fahrleistung zu überschätzen. Die Gelassenen sind in der Gruppe zwischen 40 und 60 Jahren deutlich überrepräsentiert. 5. Der Vorsichtige (Anteil: 16 Prozent) ist etwas älter und gebildeter als der Gelassene; er hat zwar gelegentlich Angst, fährt aber trotzdem sehr gerne Auto. Der Vorsichtige ärgert sich über andere Autofahrer, die – neben einer etwas unterdurchschnittlichen Fahrpraxis – die Hauptursache für seine Unsicherheiten sind. 6. Der Raser (Anteil: 15 Prozent) lebt seine Lust am Risiko aus, sucht Abenteuer, Anerkennung und Selbstbestätigung im schnellen, riskanten Fahren. Er testet seine Grenzen, misst seine Fähigkeiten mit anderen und neigt stark zur Selbstüberschätzung. Der typische Raser ist jung, männlich und gibt viel Geld fürs Auto aus. 12 its magazine 1/2008 Invasion der Schwarzfahrer Farbpsychologie bei Autos ■ Sagt es etwas über den Charakter des Fahrers, ob er unterm weißen, grauen oder blauen Blechdach sitzt? Der Münsteraner Farbwissenschaftler Werner Rudolf Cramer hat sich für das ITS magazine darüber Gedanken gemacht – allerdings ohne allzu großen akademischen Ernst. Lassen Sie mich mit einer besonders verwegenen Spekulation beginnen: Kann es sein, dass die Beliebtheit der Autofarben im Kontext steht zu den politischen Mehrheiten innerhalb einer Gesellschaft? Zumindest in Deutschland gibt es dafür durchaus Indizien: So startete Schwarz seinen noch immer anhaltenden Siegeszug ziemlich genau in der Zeit, als Helmut Kohl Bundeskanzler wurde, Rot setzte mit dem schlagzeilenträchtigen Rücktritt Björn Engholms zum Sturzflug in der Neuzulassungsstatistik an, Grün verzeichnete die größten Zugewinne, als die Ökopartei verstärkt von sich reden machte, und Grau mauserte sich zur Modefarbe, als der Anteil an Nichtwählern in bedenkliche Höhen stieg. Alles nur Zufall? Mag sein, aber dass die Vorliebe für eine bestimmte Farbe Rückschlüsse auf die Persönlichkeit erlaubt, das halten viele Fachleute unter Berufung auf die so genannte Colordiagnostik des Schweizer Psychologen Max Lüscher für durchaus möglich. Im Hinblick auf Autos sollte man dabei freilich mindestens doppelt vorsichtig sein. Zum einen spielen in diesem Bereich auch wirtschaftliche Erwägungen eine wichtige Rolle: Jemand, der sein Fahrzeug per Restwert-Leasing finanzieren will, wird sich kaum für eine ausgefallene PopArt-Farbe entscheiden. Zum anderen konnten bisher nicht einmal die Versicherungsunternehmen farbspezifische Auffälligkeiten in Unfallstatistiken entdecken. Doch auf dünnem Eis macht das Tanzen sowieso mehr Spaß – deshalb habe ich in der Tabelle auf dieser Seite den einzelnen Autofarben neben ihren Anteilen an den Neuzulassungen in verschiedenen Regionen der Welt auch ein kurzes Psychogramm des jeweiligen Fahrers zugeordnet. Sollten Sie sich zutreffend charakterisiert fühlen: wunderbar. Wenn nicht: Vielleicht können Sie die Liste ja wenigstens beim nächsten Smalltalk nutzen. Für etwas mehr als nur Party-Knowledge halte ich indes folgende Erkenntnis, die sich inzwischen mehrfach dokumentieren lässt: Sobald die Autokäufer anfangen, rationale Argumente für die gewählte Farbe zu suchen, geht es mit dem entsprechenden Ton bergab. Seit die Deutschen beispielsweise Rot verstärkt als die Farbe preisen, auf der Rost am wenigsten sichtbar ist, sank der Marktanteil von mehr als 27 Prozent in den frühen 90er-Jahren auf heute rund fünf Prozent. Wer weiß: Vielleicht droht Grau und Silber ein ähnliches Schicksal – oder haben Sie noch nicht gehört, dass man darauf den Schmutz kaum sieht? « Die Welt der Autofarben Farbton Marktanteil 2007 Europa* Marktanteil 2007 USA* Marktanteil 2007 Japan* 22 / 21 18 / 12 22 / 14 Schwarz 25 16 19 Introvertiert. Prestigeorientiert. Machtverliebt. Blau 12 12 5 Bedächtig. Zuverlässig. Vorausschauend. (Prototyp des Pfeifenrauchers) Weiß 8 19 24 Extrovertiert. Weltoffen. Jugendlich. Rot 6 13 1 Impulsiv. Mutig. Leidenschaftlich. Braun / Beige 2 5 1 Bodenständig. Unbeweglich. Intolerant. Grün 2 2 1 Naturverbunden. Unkompliziert. Heiter. Gelb / Gold 1 3 1 Optimistisch. Selbstbewusst. Mutig. Silber / Grau Psychogramm des Fahrers Unentschlossen. Penibel. Ängstlich. („Bloß kein Statement abgeben“) * Angaben in Prozent; Quelle: DuPont 1/2008 its magazine 13 Im Fokus Der homöopathische Weg Mobilitätsverhalten ■ Beim Versuch, die Autoabhängigkeit der mobilen Gesellschaft zu therapieren, stoßen die Verantwortlichen oft an ihre Grenzen: Für attraktivere Alternativen fehlt der Etat, für allzu unpopuläre Restriktionen die Akzeptanz. Der Münchner Verkehrsforscher Werner Brög hat mit seinem Institut Socialdata einen sanften Weg zur Änderung des Mobilitätsverhaltens entwickelt – und bereits höchst erfolgreich angewendet. Die Diskussion über die grassierende Autoabhängigkeit moderner Gesellschaften dreht sich seit Jahren im Kreis. Und zwar in einem, dessen Quadratur offenbar nicht so richtig gelingen mag. Die einen schlagen bessere Alternativangebote wie den Bau neuer U- oder S-Bahnen vor, werden aber selten fündig auf der Suche nach den entsprechenden finanziellen Mitteln. Die anderen würden viel lieber die Straßennutzung verteuern und das automobile Leben durch Verbote weiter erschweren, sind aber letztlich nicht sicher, inwieweit sich der Bürger tatsächlich zu seinem Glück zwingen lässt. Neben fraglichen Erfolgsaussichten haben die beiden Lager noch etwas gemeinsam: Sie gehen davon aus, dass man die Menschen „von außen“ beeinflussen müsse, weil sie freiwillig nicht zu einem nachhaltigen Mobilitätsverhalten bereit wären. Dabei zeigen einschlägige Forschungsergebnisse über Bestimmungsgründe der Verkehrsmittelwahl immer wieder, dass es große Potenziale für Verhaltensänderungen gibt, ohne die Rah14 its magazine 1/2008 menbedingungen zu verändern. Demnach wären kleine individuelle Verhaltensänderungen jederzeit möglich und hätten eine große Wirkung. Dazu müssen solche Verhaltensänderungen aber nicht nur möglich sein, sondern auch für möglich gehalten werden. Dem steht jedoch das autolastige öffentliche Meinungsklima entgegen. Die Verantwortlichen halten das Meinungsklima in der EU für autolastiger als es tatsächlich ist Oder – präziser formuliert: ein Meinungsklima, von dem die Verantwortlichen glauben, es sei weitaus autofreundlicher als es tatsächlich ist. Davon jedenfalls sind laut Eurobarometer ziemlich genau 50 Prozent der Bürger überzeugt. Dieselbe Erhebung gibt außerdem Aufschluss darüber, dass sich nur 15 Prozent der EU-Bevölkerung eine weiterhin autoorientierte Verkehrspolitik wünschen. Die überwiegende Mehrheit sähe viel lieber eine Planung, die den Umweltverbund in den Fokus rückt. Und noch in einem anderen wichtigen Punkt unterliegen die Entscheidungsträger einer gravierenden Fehleinschätzung, wie eine Umfrage des Münchner Instituts Socialdata belegt. Ganz im Gegensatz zu ihrer Vermutung, nach der es nur für rund 27 Prozent aller Pkw-Fahrten mindestens eine gleichwertige Alternative im Umweltverbund gibt, sind in Wahrheit mehr als die Hälfte aller Autofahrten schon mit den existierenden Angeboten ersetzbar. Die Erschließung dieser Potenziale erfordert mithin keine kostspieligen Investitionen oder unpopulären Restriktionen, sondern den konsequenten Einsatz so genannter „soft policies“ oder „weicher Maßnahmen“ wie Information und Motivation. Sie erfordert auch keinen Auto-Verzicht, sondern lediglich überlegteres Handeln bei der Wahl der Verkehrsmittel. Denn: Würde jeder Autofahrer in Deutschland nur zwei Fahrten pro Woche – einmal hin und zurück – auf ein umweltschonendes Verkehrsmittel verlagern, ergäbe sich bereits eine Reduzierung Berufspendler im Öffentlichen Nahverkehr, S-Bahn im New Yorker Stadtteil Manhattan: Mehr als die Hälfte aller Autofahrten sind schon mit den existierenden Angeboten des Umweltverbunds problemlos ersetzbar des Pkw-Verkehrs in einer Größenordnung von 15 bis 20 Prozent. Die Potenziale für weiche Maßnahmen sind deshalb so groß, weil die Verkehrsmittelwahl von erheblichen Informationslücken geprägt ist: So sind etwa die Hälfte aller Bundesbürger, die eine reale Alternative im ÖPNV haben, darüber entweder gar nicht informiert – oder sie überschätzen Reisezeit und Fahrkosten erheblich. Mit anderen Worten: Die subjektive Wahrnehmung der Alternativen zum Auto ist deutlich schlechter als die Alternativen tatsächlich sind. Da die subjektive Wahrnehmung aber das Verhalten steuert, liegt hier der Schlüssel zu einer wirksamen und nachhaltigen Beeinflussung. Mit geeignetem Marketing lässt sich die Anzahl der Autokilometer erheblich reduzieren Vergleichbare Probleme werden in der Wirtschaft durch differenzierte Marketingkon- zepte gelöst. Im hier vorliegenden Fall bietet sich der Einsatz eines DialogmarketingVerfahrens an. Damit kann auf quasi homöopathische Weise das Mobilitätsverhalten durch „Stärkung der eigenen Kräfte“ verändert werden. Die Bürger werden als aktive Partner bei der Lösung eines gemeinsamen Problems ernst genommen. Sie werden motiviert, einen eigenen Beitrag zu leisten und erhalten alle notwendigen Informationen und Hilfen. Dabei bedeutet Dialog, dass sie sich aktiv beteiligen, indem sie die Informationen, die sie benötigen, selber bestimmen – und dass sie individuell bedient und nicht als passive Rezipienten mit Werbematerial zugeschüttet werden. Auf Basis dieser Überlegungen hat Socialdata ein individualisiertes Marketingkonzept (IndiMark) entwickelt, das vom Internationalen Verband für Öffentliches Verkehrswesen (UITP) im Rahmen von 45 Projekten in 13 EU-Ländern sehr erfolgreich getestet wurde. Im Auftrag des westaustralischen Verkehrsministeriums führten Werner Brög und sein Team anschließend eine Pilotstudie in South Perth durch – im Bezirk einer Großstadt also, die für das Auto und um das Auto gebaut wurde. Allein mit IndiMark und ohne jede weitere Maßnahme ist es dabei gelungen, die Anzahl der Autofahrten um 14 Prozent und die der gefahrenen Kilometer um 17 Prozent zu senken. Unterdessen stieg der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege um ein Drittel, Fahrradfahrten um zwei Drittel und Fahrten mit dem ÖPNV um ein Sechstel. Eine Kosten-Nutzen-Analyse des westaustralischen Verkehrsministeriums ermittelte ein Verhältnis von 1:30. Angespornt von diesen Erfolgen wurden inzwischen viele weitere Pilotprojekte und Großanwendungen in diversen australischen, europäischen und amerikanischen Städten durchgeführt, die allesamt zeigten, dass South Perth kein Zufallstreffer war. Allein in Perth selbst sind es mittlerweile insgesamt 20 Projekte, bis 2009 werden es 500.000 Teilnehmer sein. Das bisher größte Einzelprojekt mit 170.000 Teilnehmern wurde in 2007 in Brisbane abgeschlossen. « 1/2008 its magazine 15 Trends & Events Verkehrstechnik – just in time Verbindungs-Mann: Stromversorgung und bestimmte Standardanschlüsse gehören zum Grundausbau Sonnen-Bank: Im Configuration Center werden auch die Solarpaneele für Parkscheinautomaten gefertigt Moderne Verkehrstechnik, das ist High Tech, Elektrotechnik vom Feinsten, IT-Knowhow – und vor allem Tempo. So ist die geräumige Industriehalle im Augsburger Sigma Technopark voller Leben: Akkuschrauber rattern, Gabelstapler rumpeln geschäftig durch die Gänge und Werkzeuge klappern. Hier entstehen Parkscheinautomaten und Streckenstationen, Signalgeber und Controller für Kunden in aller Welt. Innovative Technik mit langer Tradition, denn schon vor gut einem halben Jahrhundert begann Siemens, an diesem Standort erste Ampeln und einfache Steuergeräte zu produzieren. „Heute benutzen wir den Begriff Produktion ja nicht mehr, weil wir kein Manufacturing im strengen Sinne betreiben“, erklärt Reinhard Doll, Leiter der Fertigung im Siemens Configuration Center (I&S ITS CS&L CC). „Wir konfigurieren Systeme nach Kundenwunsch, indem wir Hardware-Komponenten und Software miteinander verbinden und ‚systemgeprüft’ betriebsfertig machen.“ All das in bemerkenswertem Tempo: „Komplette Neuanlagen haben Regellieferzeiten von höchstens 15 Tagen. Laufend optimierte Prozesse sorgen dafür, dass verkehrstech16 its magazine 1/2008 nisch kritische Produkte wie Controller oder Signalgeber sogar innerhalb von 24 Stunden beim Kunden ankommen.“ Und das ist deutschlandweit einmalig: Extra für diesen Schnelldienst bei Notfällen wurde ein „High-Speed-Logistik-Kanal“ etabliert, der Logistik und Service eng miteinander verzahnt. Ist beispielsweise bei einem Verkehrsunfall irgendwo zwischen Garmisch und Sylt ein Kreuzungssteuerungsgerät beschädigt worden, sendet der zuständige Servicetechniker eine Eilbestellung mit Schadensbeschreibung, Gerätenummern und anderen relevanten Daten nach Augsburg. Hier zeigt ein Abgleich mit dem Auftragsdaten-Archiv, welche Komponenten an jener Kreuzung eingesetzt werden, welche zu ersetzen sind und wie sie konfiguriert werden müssen. Dann geht alles ruck-zuck: Sogenannte Grundausbauten – das sind vorbereitete Schaltschränke mit bereits montierten Basiskomponenten wie Stromversorgung, Grundplatte sowie bestimmten Halterungen und Steckverbinderanschlüssen für die Baugruppen – stehen immer bereit. „In einen solchen Grundausbau setzen wir die benö- tigten Komponenten ein, versorgen sie mit ihrer Software und führen eine Systemprüfung durch“, zählt Reinhard Doll auf. Abnahmeprotokoll und der Vermerk im beigefügten Qualitätspass folgen – dann geht das fertig konfigurierte Gerät auf den Weg zum Kunden. Tags drauf an der Baustelle sind dann nur noch wenige Handgriffe nötig: Der Servicetechniker stellt den Schrank auf seinen Platz, stöpselt die Versorgungskabel ein und schaltet den Controller an. Voilà – schon läuft die Signalanlage wieder! Ohne kompetente Mitarbeiter funktioniert das nicht. Breites Wissen in Verkehrs- und Elektrotechnik ist gefordert, IT- und Netzwerk-Kenntnis. Deshalb legt Reinhard Doll großen Wert darauf, dass sich seine 34 Mitarbeiter – langjährige, qualifizierte Anlernkräfte ebenso wie junge Mechatroniker oder Industriemeister für Elektroanlagen – in unterschiedlichen Arbeitsbereichen auskennen und schnell dort eingreifen können, wo Not am Mann ist. „Die Flexibilität unserer Mitarbeiter insgesamt ist hervorragend“, lobt der Fertigungsleiter. Dass Doll auf ein „ausgeglichenes Verhältnis zwischen Neulingen und alten Hasen mit 20 und mehr Jahren Customer Service & Logistics ■ Ob Parkscheinautomaten für Kopenhagen, Streckenstationen für deutsche Autobahnen oder Ampeln für Dubai – gefertigt und konfiguriert werden sie alle beim Siemens ITS CS&L Configuration Center in Augsburg. Und immer steht der Kunde im Vordergrund. Erfahrung“ achtet, versteht sich von selbst. Es sei schließlich enorm wichtig, dass erworbenes Know-how rechtzeitig an die Jungen weitergegeben wird. Dabei spielt reine Montagearbeit nur eine kleine Rolle. Die Fertigstellung eines Controllers aus dem „High-Speed-Logistik-Kanal“ dauert kaum eine Stunde, eine durchschnittliche Ampel ist gar in 7 Minuten komplett. „Die wirkliche Herausforderung für uns liegt in der Logistik“, weiß Reinhard Doll. Dafür seien technologisch eher einfache Geräte wie Signalgeber sehr typisch: „Wir verbauen grüne, kieselgraue oder schwarze Gehäuse mit 200 oder 300 mm Durchmesser, die unterschiedlichste LEDTöpfe haben können. Dazu kommen zahlreiche Masken für Signalbilder wie Eurooder Ex-DDR-Männchen, Straßenbahnen, diverse Pfeile, Bus- und Tram-Signale. Insgesamt haben wir also rund 200 verschiedene Ampel-Varianten.“ Ohne Zeitdruck können dagegen bestimmte StandardKomponenten vormontiert werden – Solarpaneele für Parkscheinautomaten beispielsweise: Die lassen sich schon vorab separat fertigen, zwischenlagern und später einfach auf die bestellten Automaten montieren. „Ist nämlich ein Auftrag ‚scharfgeschaltet’, brauchen wir alle benötigten Komponenten sofort, sonst können wir unsere schnellen Liefertermine glatt vergessen“, sagt Doll. Deshalb sind schon bei der Beschaffung kurze Wege angesagt: High-Tech-Komponenten stammen meist von Siemens Traffic Controls im südenglischen Poole oder aus Münchener Siemens-Werken. Weniger kritische Bauteile jedoch, individuelle Gehäuse, hochwertige Kabel oder Schrauben bezieht man von lokalen und regionalen Firmen. Auch mit ihrem Lagerkonzept setzen die Augsburger auf kurze Zugriffszeiten. In der Fertigungshalle ist ein kompaktes, vom Materialverwaltungssystem geführtes Hochregallager mit rund 4000 Lagerpositionen aufgebaut: Das System „reserviert“ selbstständig das für eingehende Aufträge notwendige Material und meldet, wo Positionen nachbestellt werden müssen. Und die interne Organisation? Um die Produkte selbst kümmert sich während ihres gesamten Lebenszyklus ein Product Lifecycle Manager, außerdem erhielt der Bereich Fertigung ein eigenes Supply Chain Management: Kleine spezialisierte Einheiten besorgen die Beschaffung und Planung, die Stammdatenverwaltung und die Auftragsbearbeitung – eng miteinander verzahnt und sozusagen in Rufweite. „Das läuft so geräuschlos wie in einem gut geführten kleinen Mittelstandsbetrieb“, freut sich Reinhard Doll, denn in Sachen Termintreue versteht der Fertigungsleiter keinen Spaß: „Wir haben versprochen, kritische Anlagen innerhalb von 24 Stunden zu bedienen. Dieses Versprechen gilt – hundertprozentig!“ « Rush-hour: Ist ein Auftrag „scharfgeschaltet“, müssen Montage und Systemprüfung ruck-zuck gehen Kenner-Blick: Breites Wissen ist gefordert Daten und Fakten zum Configuration Center Das Siemens ITS Customer Service & Logistics Configuration Center im Sigma Technopark Augsburg nutzt rund 2450 m2 Hallenfläche für Fertigung, Konfiguration und Systemprüfung (Endkontrolle). Im Geschäftsjahr 2006/07 fertigte und lieferte das Configuration Center: • 20.769 Signalgeber mit einem, zwei oder drei Feldern bei rund 200 möglichen Konfigurationen: Das entspricht rund 37.800 einzelnen Signalfeldern, meist LED-Töpfen mit je drei integrierten LEDs • 2373 Controller zur Steuerung von Lichtsignalanlagen an Straßen und Kreuzungen • 150 komplette Streckenstationen (SST4) zur Auswertung von Verkehrsund Umweltdaten und Steuerung von Wechselsignalanlagen an Autobahnen • 150 Verkehrsdichtesensoren Traffic Eye Universal (TEU) • 3306 Parkscheinautomaten (PSA) verschiedener Bauarten • 55 Parkdaten-Erfassungsgeräte (PDG) für die Parkleit- und Zielführung Die 34 festen und in Spitzenzeiten drei bis vier zusätzlichen Mitarbeiter bewältigen jährlich rund 14.000 einzelne Bestellvorgänge im Gesamtwert von rund 30 Millionen Euro. 1/2008 its magazine 17 Trends & Events Messe- und Kongress-News Review – Gulf Traffic Dubai 2007 Preview – Intertraffic Amsterdam 2008 Dialog in Dubai: Abdullah Al Makri (l.) von der Abu Dhabi Police und Siemens ITS-Mann Mark Bonnor-Morris Willkommen in Amsterdam: Die Grachten-Metropole erwartet zur Intertraffic 700 Aussteller aus 40 Nationen Mit einem stattlichen Besucher-Plus von 22,5 Prozent gegenüber der vorherigen Auflage in 2005 unterstrich die Gulf Traffic am 10. und 11. Dezember 2007 in Dubai ihre herausragende Bedeutung nicht nur für die Vereinigten Arabischen Emirate, sondern für den gesamten Mittleren Osten und Nordafrika. Auf insgesamt über 8000 Quadratmetern präsentierten 264 Aussteller aus 35 Nationen ihre innovativen Lösungen für die verkehrliche Infrastruktur. Dass dabei nicht zuletzt die Siemens ITS-Themen Verkehrsmanagement, Parken, Verkehrsüberwachung und Tunneltechnik im Fokus des Interesses standen, hat gute Gründe: Denn gerade im Bereich moderner Straßenverkehrstechnik herrscht in der gesamten Region gigantische Nachfrage. So investiert allein Dubai derzeit insgesamt 2,5 Milliarden US-Dollar (umgerechnet rund 1,7 Milliarden Euro) in entsprechende Infrastruktur-Projekte. „Unser Ziel ist es, eine Transport-Infrastruktur auf Weltklasse-Niveau zu schaffen“, sagte Seine Exzellenz Mattar Al Tayer, der Vorstandsvorsitzende und Geschäftsführer der Road and Transport Authority (RTA), in seiner Eröffnungsansprache. „Und dazu orientieren wir uns natürlich am Besten, was die internationale Praxis zu bieten hat.“ « Sie ist ohne Zweifel die unbestrittene Nummer 1 unter den Fachmessen für die Verkehrs- und Transport-Industrie, und es wäre alles andere als ein Wunder, wenn der Veranstalter auch bei der insgesamt 19ten Intertraffic Amsterdam vom 1. bis 4. April 2008 wieder eine ganze Reihe neuer Rekorde vermelden könnte. Erwartet werden rund 700 Aussteller aus mehr als 40 Nationen, darunter bis zu 50 Weltkonzerne, die unter dem offiziellen Motto „Connecting Innovation to Infrastructure“ einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Trends und Entwicklungen der gesamten Branche bieten – nach dem neuen Intertraffic-Konzept erstmals in vier klar umrissenen Segmenten: Infrastruktur, Verkehrsmanagement, Sicherheit und Parken. Mittendrin im Zentrum der Zukunft präsentiert selbstverständlich auch Siemens ITS seine State-of-the-Art-Lösungen: von leistungsstarken Verkehrsmanagementzentralen und Innovationen zur Entlastung der Umwelt über Maut- und Tunneltechnik bis zu Signalgebern und Steuergeräten für den innerstädtischen Verkehr sowie integrierten Systemen für Onund Offstreet-Parking. Darüber hinaus können sich Besucher am Unternehmensstand (Nummer 01-312 in Halle 1) auch über effiziente neue Ansätze im Bereich Rotlichtüberwachung und über fortschrittliche Serviceangebote informieren. « 18 its magazine 1/2008 In aller Offenheit Integriertes Parkraummanagement ■ Die neue Formel für Effizienz und Flexibilität bei öffentlichen und privaten Parkhaus- und Parkplatzanwendungen heißt Sipark PMA: Dank seines modularen Aufbaus und der einzigartigen, offenen Netzwerkstruktur auf Ethernet-Basis ist das innovative System für Projekte beliebiger Dimension prädestiniert – von Mini bis Giga. Optimale Bewirtschaftung und effektive Kontrolle von Parkraum nehmen einen immer höheren Stellenwert ein – im öffentlichen Bereich genauso wie im privaten. Dabei ist es nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit der technischen Lösungen, die über die Rentabilität der jeweiligen Anwendung entscheidet. Mit Sipark PMA steht dafür jetzt ein integriertes Managementsystem zur Verfügung, das in vielerlei Hinsicht neue Maßstäbe setzt: zum Beispiel in Sachen Offenheit und Flexibilität. Zur Lösung für die Zufahrts- und Abrechnungskontrolle gehören Schranken, Einund Ausfahrtkontrollgeräte, Kassenautomaten sowie Server sowohl zur Überwachung und Steuerung der Geräte als auch zur Darstellung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen. Sipark PMA ist modular aufgebaut, unterstützt gängige Schnittstellenstandards und besitzt ein für derartige Anwendungen einmaliges und offenes Netzwerkkonzept auf Ethernet-Basis. Damit eignet sich das System für Projekte jeder beliebigen Dimension – ganz besonders auch für komplexere Anlagen, bei denen die einfache Anbindung zusätzlicher technischer Komponenten wie beispielsweise Zutrittskontrolle zu Gebäuden oder Videoüberwachung eine entscheidende Rolle spielt. Mit Sipark PMA können sowohl die bewährten Standard-Magnetstreifen als auch Karten mit PIN-Code oder neuester RFIDTranspondertechnik gelesen werden. Die Vorteile von Standards bei den Ticket- und Speichermedien liegen auf der Hand: So erhält beispielsweise der Besucher eines Gebäudes, das mit Zutrittskontrollen ausgestattet ist, aus dem Automaten bei der Tiefgarageneinfahrt einen Parkschein, der gleichzeitig als Zutrittsticket erlaubt, seinen Zielort im Gebäude durchgängig zu erreichen. Außerdem umfasst Sipark PMA Kontrollgeräte zur Ausgabe oder Überprüfung von magnetisch kodierten Kurzparkertickets und zur Annahme von Dauerparkerkarten, Kreditkarten, EC-Karten und Sondertickets. Die Tarifberechnung berücksichtigt auch Rabatte. Die Annahme von Standardtickets erfolgt dabei in weniger als 0,7 Sekunden. Automatische und manuelle Kassen, jeweils in kompakter Ausführung, verarbeiten alle im Parkhaus anfallenden Bezahlvorgänge wie die Tarifberechnung mit Rabattberücksichtigung, das Verlängern und Nachzahlen von Dauerparkerkarten sowie das Aufladen und Nachzahlen von Wertkarten. Die Münzund Banknotenverarbeitung und das Drucken von Quittungen kann landes- und kundenspezifisch eingestellt werden. Eine mikroprozessorgesteuerte Schranke öffnet und schließt in 1,5 Sekunden mit einem sanften, mechanikschonenden Bewegungsablauf. Sie kann mit Sperrbreiten von bis zu 3,2 Metern installiert werden. Die Datenbanklösung besitzt umfangreiche Verwaltungs- und Berichtsfunktionen und ist für den Parkhausbetreiber ein modernes, leistungsfähiges Mittel zum kompletten Parkraummanagement. Die Serverausstattung reicht von einem Einzelplatzsystem zur Anbindung von bis zu 25 Park-Geräten bis hin zu komplexen Netzwerkarchitekturen. Mit Sipark PMA und dem etablierten System Sipark SSD (Single Space Detection) bietet Siemens das komplette Portfolio für die Parkraumbewirtschaftung. Sipark SSD ermöglicht eine Einzelstellplatz-Überwachung mit Sensoren. Damit kann ein Fahrzeug gezielt zu einem Parkplatz gelenkt und so die Parkplatzbelegung optimiert werden. Das System ist weltweit bereits in vielen Parkhäusern im Einsatz – von München über Toulouse und Oslo bis Singapur. « Vorsprung durch Effzienz: Sipark PMA bietet alles, was für die optimale Bewirtschaftung von Parkraum nötig ist 1/2008 its magazine 19 Partner & Projekte Parkscheinautomaten-Kontrolle per Mausklick – Theo, wir parken in Lodz! Lodz ■ Ab sofort gehen die Uhren anders in der historischen Altstadt von Lodz. Zumindest die Parkuhren. Wobei es eigentlich frevelhaft ist, bei den 210 nagelneuen, frisch installierten, silbergrauen Sity5-Parkschein-Automaten von „Parkuhr“ zu sprechen. Handelt es sich hier doch eher um quasi autark agierende Parkraum-Manager, die nicht nur selbsttätig ihre Vermögensverhältnisse, sprich Kassenbestand, an die Zentrale vermelden, sondern auch erlittenes Ungemach umgehend übermitteln. Blockaden oder Fehlfunktionen werden ebenso prompt angezeigt wie Beschädigungen oder Betrugsversuche. Umgekehrt hat der Operator in der Lodzer Verkehrszentrale nun die Möglichkeit, jederzeit neue Tarife einzustellen – sei es selektiv am Einzelgerät, an ausgewählten Standortgruppen oder allen Geräten auf einmal. Und auch dem mit ziemlicher Sicherheit eintretenden technischen Fortschritt begegnet der Siemens Top-Seller mit der gebotenen Souveränität. Das gesamte System ist so ausgelegt, dass es sich an die nächst höheren Modifikationsstufen und Upgrades problemlos anpassen lässt. Alle Geräte sind bereits in Betrieb. Noch begnügt sich der Sity5 mit Münzgeld, bald soll jedoch auch die Bezahlung mit der Lodz City Card Realität werden. « Sity5 in Lodz: Neue Technik für die Altstadt Holländisches Nadelöhr in Rekordzeit verkehrstauglich gemacht Dordrecht ■ Im holländischen Dordrecht kommt verkehrstechnisch viel zusammen: Die Autobahn A 16 und die Nationalstraßen N 217 und N 3 treffen genau hier aufeinander und bilden zusammen einen verkehrstechnisch anspruchsvollen Knotenpunkt. Verschärft wurde die Situation bis September 2006 durch drei veraltete, nicht vernetzte Ampelanlagen und eine zu geringe Fahrbahnkapazität. Beides konnte mit dem wachsenden Verkehrsaufkommen Upgrade in Dordrecht: Optimierte Infrastruktur sorgt für mehr Verkehrsfluss 20 its magazine 1/2008 nicht mehr Schritt halten. Folge waren regelmäßige Staus zu den täglichen Rushhours. Das für die Streckenabschnitte zuständige Amt für Wasser- und Straßenverkehr, Rijkswaterstaat Süd, gab Siemens Niederland den Auftrag, erstens eine moderne Lichtsignalanlage zu installieren, zweitens die bisherige Standspur in den fließenden Verkehr zu integrieren, um so die Kapazität zu erhöhen und drittens, wenn man schon mal dabei war, auch gleich die Asphaltdecke der Auffahrt zur A 16 zu erneuern. An sich kein außergewöhnlicher Auftrag, wäre da nicht noch eine Kleinigkeit zu beachten gewesen. Wegen der immensen Verkehrsbedeutung des Knotenpunkts durfte unter der Woche keine Behinderung eintreten. Sämtliche den Verkehrsfluss störenden Arbeiten mussten an gerade mal zwei (!) Wochenenden erledigt werden. Mit anderen Worten: drei Lichtsignalanlagen austauschen, an drei Lichtsignalanlagen Kontaktschleifen und Detektoren einbauen und neu asphaltieren, eine komplettes Steuerungsnetzwerk mit zentraler Steuerungsanlage installieren, zur Integration der Standspuren am gesamten Knotenpunkt die alten Fahrbahnmarkierungen entfernen und neu aufspritzen, auf der Auffahrt die alte Asphaltdecke entfernen und erneuern – und das alles in exakt vier Tagen und 18 Stunden. Gearbeitet werden durfte nämlich nur von Freitag, 20 Uhr, bis Montag früh, 5 Uhr. Und, hat´s geklappt? Es hat. Abschließend kann man nur sagen: Hut ab vor allen Beteiligten, die diese planerische und organisatorische Herausforderung so souverän meisterten. Denn Montag morgens, pünktlich um 5 Uhr, floss der Verkehr wieder reibungslos. « Straßenbahn-Tunnel in Krakau: Moderne Technik erhöht die Sicherheit Siemens installiert Telematik-Großprojekt E 18 plus Hafen-Verkehrssteuerung Finnland ■ Timo Karhumäki ist der Telematik-Experte bei Finnra, der finnischen Straßenverwaltung, und Finnra ist verantwortlich für 78.000 Kilometer öffentliches Straßennetz. „Die Verkehrssituation in Finnland“ sagt Timo Karhumäki, „ist gekennzeichnet durch zwei Dinge: ein stark wachsendes Verkehrsaufkommen insbesondere im Großraum Helsinki und das Wetter während der sieben finnischen Wintermonate.“ Weil die Telematik in der Lage ist, problematische Wetterverhältnisse wie Schnee, Glatteis, Nebel oder Sturzregen, aber auch Staus und andere Verkehrsstörungen nicht nur zu erkennen, sondern auch als Information über entsprechende Steuerungs-, Signal- und Informationssysteme an die Autofahrer weiterzuleiten, hält Timo Karhumäki diese Technik für die richtige Lösung. Er begrüßt daher den Vertragsabschluss mit Siemens Osakeyhtiö über die Lieferung von Telematik, Stromversorgung sowie Sicherheits- und Automatisierungssystemen für den Muurla–Lohja-Abschnitt der E18. Die Strecke hat eine Länge von 51,3 Kilometern und ist das größte Telematik-Projekt, das je in Finnland ausgeführt wurde. Es wird das letzte fehlende Autobahnstück zwischen Turku und Helsinki ergänzen und im November 2008 für den Verkehr geöffnet werden. Siemens Osakeyhtiö wird auch das Verkehrsmanagementsystem für den zur Zeit im Bau befindlichen Vuosaari-Hafen in Schiffsanlegestelle in Helsinki: Verkehrsmanagement verbessert die Hafenlogistik Helsinki liefern. Der Vuosaari-Hafen, der im Jahr 2008 vollendet sein soll, wird der Haupthafen für Großgebinde und den finnischen Außenhandel sein. Die Hafenlogistik gehört zu den modernsten ihrer Art. Ziel ist, die Verweildauer der Güter im Hafen auf wenige Stunden zu reduzieren. Der Lieferumfang von Siemens schließt ein Überwachungskamerasystem, ein Lautsprechersystem, straßenseitige Wettersta- tionen, Verkehrsmessausrüstung, Wechselanzeigen für Geschwindigkeitsbegrenzungen und Warnungen, Lichtsignalanlagen und Wechselverkehrszeichen mit ein. Das System umfasst Schnittstellen, Steuersoftware, Datenbanken, Server und Steuerlogik. Ein Schlüsselelement der Lieferung war dabei die Ausrüstung des DoppelröhrenFelstunnels Porvarinlahti mit einem Verkehrsmanagementsystem. « Aktion sicherer Tunnel Krakau ■ Neue Straßenverkehrssysteme werden in Krakau unter dem Gesichtspunkt der zukünftigen dynamischen Wirtschaftsund Verkehrsentwicklung Polens konzipiert. Erfreulicherweise geschieht dies mit besonderem Augenmerk auf die Einbeziehung öffentlicher Verkehrsmittel. Hauptaufgaben dabei sind die Effizienzsteigerung und die Verkürzung der Fahrtzeiten, aber auch ein Mehr an Sicherheit. Dazu baut die ZUE S.A. Gruppe, eine Aktiengesellschaft für Energie und Straßenverkehr in Krakau, einen Tunnel für den Schnell-Straßenbahnverkehr, der das südliche und das nördliche Stadtgebiet Krakaus verbindet. ZUE er- teilte Siemens I&S (Industrial Solutions and Services) den Auftrag, den 1,5 Kilometer langen Tunnel mit einem Steuerungssystem und modernsten Sicherheitseinrichtungen auszurüsten. Bestandteil des Systems sind Brandschutzeinrichtungen, Alarmsysteme und eine aufwändige Kameraüberwachungstechnik auf CCTV- (ClosesCircuitTeleVision) Basis mit 60 Überwachungskameras. Außerdem steht ein Voice Messaging-Kommunikationssystem für Notfälle und Service-Maßnahmen im Ernstfall allen Tunnelbenutzern zur Verfügung. Neu ist auch ein Nachrichtensystem, das mit 60 Lautsprechern die Straßenbahnnutzer mit wichtigen Reiseinformationen versorgt, aber auch Musik und Werbung überträgt. Demnächst soll das Tunnelsteuerungssystem mit der Krakauer Hauptverkehrs-Managementzentrale verbunden werden. Das Projekt mit einem Auftragsvolumen von 2,5 Millionen € soll im September 2008 fertiggestellt sein. Es ist nacheinander das Dritte seiner Art in Krakau unter Beteiligung von Siemens. I&S richtete zuvor bereits eine Verkehrsleitzentrale und ein Verkehrssteuerungssystem im Straßenbahntunnel unter dem Krakauer Hauptbahnhof ein. « 1/2008 its magazine 21 Wissen & Forschung Der selbstfahrende VW Tuareg der Bundeswehr-Universität: Mit vergleichsweise bescheidenem finanziellen Aufwand in die Weltspitze der autonomen Bewegung „Harry, fahr’ schon mal den Wagen vor!“ Der viel zitierte Satz des legendären „Derrick“ gehört zu den berühmtesten der deutschen Fernsehgeschichte. Würde der Oberinspektor heute noch ermitteln, müsste er sich wohl demnächst einen neuen Spruch ausdenken. Denn falls die Entwicklung autonomer Autos so rasant weiter geht wie in den letzten Jahren, könnte sich sein DienstBMW den Weg durchs Münchner Straßenlabyrinth vielleicht bald ganz alleine bahnen. Wann genau dem armen Harry die Arbeitslosigkeit droht, wann genau der Autopilot den Sprung vom Flugzeug in den SerienPkw schafft, darüber wird viel spekuliert. Besonders optimistisch geraten die Prognosen immer dann, wenn die Technik im evolutionären Rennen Mensch gegen Maschine wieder mal einen publikumswirksamen Etappensieg erringt. Nachdem zum Beispiel im Sommer 2006 ein Golf GTI ohne Fahrer schneller durch einen Pylonenparcours driftete als ein identischer bemannter Konkurrent, schien der Erfolg für den Laien greifbar nah. Ausgerechnet Professor Dr. Hans-Joachim Wünsche, einer der führenden Köpfe der autonomen automobilen Szene, tritt da auf die Euphoriebremse. Und das, obwohl er mit seinem Team und einem mit Technik vollgestopften VW Tuareg beim europäischen 22 its magazine 1/2008 Gipfeltreffen selbstfahrender Roboter Mitte letzten Jahres in der Schweiz die Bestzeit markierte. Und obwohl er schon 1995 dabei war, als seinem Doktorvater Ernst-Dieter Dickmann eine Fahrt von München nach Dänemark gelang, bei der das Auto rund 95 Prozent der Zeit selbstständig steuerte, Spurwechsel vornahm, überholte und Geschwindigkeiten bis zu 180 km/h erreichte. „Allein zum Pizzaholen können Sie Ihr Auto noch nicht so bald schicken“ Dennoch versetzt der Leiter des Lehrstuhls „Technik autonomer Systeme“ der Bundeswehr-Universität in Neubiberg allzu kühnen Hoffnungen gerne einen pointierten Dämpfer: „Auf einer Autobahn mit ihrer klar strukturierten Umgebung ist das alles kein großes Problem. Aber allein zum Pizzaholen können Sie Ihr Auto in den nächsten 15 bis 20 Jahren vermutlich noch nicht schicken.“ So ohne weiteres lassen sich Augen nun einmal nicht durch Laserscanner oder Videokameras ersetzen, genauso wenig wie Nerven durch Kabel und das Gehirn durch einen Computer. „Die Fähigkeit, unbekannte Umgebungen vollständig wahrzunehmen, intelligente Schlüsse daraus zu ziehen und danach zu handeln“, sagt Professor Wünsche, „ist gewissermaßen die letzte Domäne der Menschheit. Wie weit wir diese Talente mit technischen Mitteln nachahmen können, muss sich erst noch zeigen.“ Aber genau das macht die Herausforderung für Forscher in aller Welt so faszinierend. Zur „Urban Challenge“ beispielsweise, die das US-Verteidigungsministerium im November 2007 in Kalifornien veranstaltete und mit 3,5 Millionen Dollar Preisgeld dotierte, reisten insgesamt 35 internationale Teams an – unter anderem auch eines von der Stanford University, dessen Chef Sebastian Thrun sich nach dem Sieg bei der Wüstenrallye „Grand Challenge“ zwei Jahre zuvor ganz besonders auf die erstmalige Herausforderung Stadtverkehr freute: „Wenn vier Autos an eine Kreuzung fahren, hat in Kalifornien derjenige Vorfahrt, der zuerst da war. Aber was passiert, wenn alle vier autonomen Fahrzeuge denken, sie seien als Zweite oder Dritte gekommen? Wir wissen es nicht – und das ist das Spannende.“ „Der Straßenverkehr hat mehr Opfer gefordert als alle Kriege zusammen“ Autonome Szene Selbstfahrende Autos ■ Auf den ersten Blick sind es „nur“ ein paar autonome Fahrzeuge, die sich unbemannt ihren Weg bahnen – so wie der VW Tuareg von Professor Dr. Hans-Joachim Wünsche von der Bundeswehr-Universität in Neubiberg. Die wahre Dimension offenbart sich erst beim zweiten Hinsehen: Hier geht es um das Eindringen der Technik in die letzte Domäne der Menschheit. Während für den Veranstalter der „Urban Challenge“ logischerweise die militärische Nutzung der AutonomieForschung im Vordergrund steht, speziell nachdem auf Geheiß des US-Senats bis 2015 jedes dritte Bodenfahrzeug ohne menschlichen Fahrer auskommen soll, hofft Thrun primär auf Verbesserungen im Bereich Verkehrssicherheit: „Allein in den Vereinigten Staaten gibt es jedes Jahr 42.000 Verkehrstote. Die Technik, die wir für unser Auto entwickelt haben, ist für Fahrassistenzsysteme nützlich.“ Das sieht im Übrigen auch Professor Wünsche so: „Der Straßenverkehr hat bislang mehr Opfer gefordert als alle Kriege zusammen. Deshalb stellen wir unsere Forschungsergebnisse natürlich auch gern der Industrie zur Verfügung.“ So geschehen unter anderem im Fall des Spurverlassenswarners – eines heute längst eingeführten Systems, das seine experimentelle Feuertaufe in einem Mercedes-Kastenwagen bestand, der 1987 von Wissenschaftlern der Bundeswehr-Universität auf eine autonome Reise von München nach Dingolfing geschickt worden war. Schon damals kam noch eine andere revolutionäre Erfindung der Neubiberger zum Einsatz: der so genannte 4D-Ansatz für die selbstständige Navigation der Roboter-Autos. Statt jedes einzelne der von den Kameras gelieferten Umgebungsbilder vollständig zu analysieren, konzentrieren sich die Rechner bei der 4D-Orientierung auf die Bildbereiche, in denen aufgrund rechnerinterner Modellvorstellungen Bewegungen stattfinden. Dank dieser effizienten Methode gelang es der Bundeswehr-Universität vor 20 Jahren trotz eines vergleichsweise bescheidenen finanziellen Aufwands, sich in der Weltspitze der autonomen Bewegung zu etablieren. Bevor solche Systeme jedoch in Serie gehen können, gilt es neben so manchen technischen auch einige tückische juristische Klippen zu umschiffen. Ein schönes Beispiel dafür ist der unfallvermeidende Bremsassistent, eine Weiterentwicklung der heute bekannten Variante, die lediglich die Unfallfolgen vermindern soll: „Solange nicht eindeutig geklärt werden kann, ob bei einem Crash der die Technik überwachende Insasse oder vielleicht doch der Hersteller schuld ist“, meint Professor Wünsche, „wird sich die Industrie hüten, autonome Teilfunktionen dieser Art auf den Markt zu bringen.“ « Professor Wünsche, Innenleben des autonomen Tuareg: „Auf einer Autobahn mit klar strukturierter Umgebung ist das alles kein Problem“ 1/2008 its magazine 23 Mobilität & Lebensraum Die Weisheit der Vielen High Definition Traffic ■ Mit einer groß angelegten Datenfusion will Branchen-Primus TomTom die mobile Navigation revolutionieren. Um die Verkehrslage auf den Straßen in Echtzeit zu erfassen, stellt Vodafone die Positionsmeldungen von Millionen Handynutzern zur Verfügung. In den Niederlanden ist das System bereits gestartet, Großbritannien und Deutschland sollen noch in diesem Jahr folgen. Das HD Traffic-Konzept: Die Positionsdaten von Vodafone-Handys (1) werden in der TomTom-Zentrale (2) ausgewertet, mit anderen Verkehrsinfos kombiniert (3) und in die Routenempfehlungen (4) mit einbezogen Wenn aus der Gemeinschaft vieler Einzelner ein so genannter Superorganismus entsteht, sprechen Verhaltensforscher von Schwarmintelligenz. Zu beobachten ist dieses Phänomen normalerweise hauptsächlich bei Fischen oder Vögeln. Aber vielleicht lässt sich ja auch mit der Weisheit des Handy-Schwarms etwas anfangen? Davon zumindest sind die Innovatoren bei TomTom, dem weltweit größten Anbieter von Navigationslösungen, ebenso überzeugt wie der Mobilfunkkonzern Vodafone. Mit vereinten Ressourcen wollen die beiden 24 its magazine 1/2008 Mobile Navigation der nächsten Generation: Der HandySchwarm wird zum Superorganismus Unternehmen ein neues Kapitel in der Erfolgsstory der mobilen Navigation aufschlagen. In den Niederlanden feierte „High Definition (HD) Traffic“ bereits im November 2007 Premiere, für das erste Halbjahr 2008 steht der Start in Großbritannien auf dem Programm. Und ab dem zweiten Semester des Jahres sollen auch deutsche Autofahrer von dem bisher einzigartigen Verkehrsinformationssystem profitieren. Die Idee hinter HD Traffic scheint simpel: Sobald irgendwo ein Handy eingeschaltet wird, meldet es sich sofort bei seiner Basis- station und gibt in regelmäßigen Abständen seinen genauen Standort durch. Der Netzbetreiber ist also stets bestens darüber informiert, wie schnell und in welche Richtung sich die einzelnen Mobiltelefone bewegen. In der TomTom-Zentrale in Amsterdam laufen nun die aktuellen Positionsdaten von Millionen Handys zusammen und werden mit Verkehrsinformationen aus anderen Quellen kombiniert. Die so abgebildeten Bewegungsmuster fließen dann in die Routenempfehlungen der neuen HD Traffic-Geräte mit ein. Im Seitenspiegel Nach Hause, Robby! Vor Einführung der „bahnbrechenden, patentierten Technologie“ (O-Ton TomTom) galt es freilich eine ganze Reihe von Problemen zu lösen. Die Sorgen rechtlicher Bedenkenträger ließen sich dabei noch relativ einfach zerstreuen – auch wenn sich die juristische Prüfung insgesamt als ziemlich langwierig erweist, weil sie für jeden zusätzlichen Markt einzeln durchgeführt werden muss. Zumindest in den Niederlanden, in Großbritannien und in Deutschland verstößt die Nutzung der Handydaten aber dank Anonymisierung offenbar nicht gegen geltende Datenschutzbestimmungen. Weit schwieriger war indes eine andere Nuss zu knacken: Denn einerseits versprechen Hunderte von Vodafone-Kunden, die sich mit Tempo 200 oder mehr von A nach B bewegen, nicht unbedingt freie Autofahrt für freie Bürger: Schließlich verlaufen Straße und Schiene mitunter ganz nah nebeneinander. Und andererseits ist keineswegs jeder Ort ein Stau, an dem ein Handy-Schwarm bewegungslos verharrt – auch dann nicht, wenn die Positionsdaten dieses Ortes nahezu identisch sind mit denen einer Autobahn, wie etwa das Beispiel der Münchner Allianz-Arena eindrucksvoll veranschaulicht. « Der Stau an sich, soviel ist klar, ist Menschenwerk. Wäre es nicht am besten, das Übel an der Wurzel zu packen? Dass viele Autoschlangen überhaupt erst entstehen, weil vorn einer bremst und sein Hintermann eine Gedenksekunde braucht, wissen Verkehrspsychologen längst. Sie nennen es Ziehharmonika-Effekt und geben dem Menschen die Schuld. Dave Strayer setzt noch einen drauf. Der Psychologie-Professor aus Utah ist sicher, dass Telefonieren während der Fahrt zur Entstehung von Staus beiträgt. Denn: In seinem Fahrsimulator waren telefonierende Probanden so vom Verkehrsgeschehen abgelenkt, dass sie für 15 Kilometer Highway-Simulation bis zu 20 Sekunden länger brauchten als Nichttelefonierer. Wie bitte, schlappe 20 Sekunden? Aber der US-Forscher denkt weiter: Telefonieren hunderte Autofahrer gleichzeitig, kann sich das leicht zur staubildenden Maßnahme auswachsen. Das alarmiert denn doch irgendwie. Schon vergangenes Jahr zählten Verkehrsforscher rund 160.000 Autobahn- staus, Stauexperte Michael Schreckenberg rechnete sogar exakt aus, dass jeder Deutsche 58 Stunden pro Jahr im Stau verbringt, das wären dann satte 4,64 Milliarden Stunden für alle. Anders ausgedrückt: Die Deutschen verplempern jährlich 529.680 Mannjahre im Stand. Und der Mensch selber ist das Problem? Dann heißt die Lösung „Auto 2.0“: Intelligente Roboter-Autos halten emotionslos Abstand, reagieren blitzschnell, finden den besten Weg. Schon wühlen sich fahrerlose Robo-Cars durch die Wüste Nevadas oder, wie bei der Darpa Urban Challenge 2007, durch den Stadtverkehr. Fast alle Hersteller knobeln an passenden Assistenzsystemen. General-Motors-Chef Rick Wagoner lehnte sich jüngst sogar ziemlich weit aus dem Fenster: Schon in zehn Jahren könnte es Autos geben, bei denen der Mensch am Steuer überflüssig ist. Klasse Idee eigentlich: Wir lümmeln beim Telefonieren in der Chill-out-Lounge herum und schicken Robby allein ins Verkehrschaos. Hoffentlich zeigt er keinem den Vogel. « 1/2008 its magazine 25 Profil „Phänomenal intermodal“ Interview ■ Uwe Strubbe, Siemens-Gesamtprojektleiter und designierter Geschäftsführer der Verkehrsinformationsagentur Bayern (VIB), über einen neuen Meilenstein auf dem Weg in die telematische Zukunft der Mobilität. Herr Strubbe, im Windschatten der Fußball-WM war eigentlich 2006 das Jahr der großen deutschen Premieren in Sachen Verkehrstelematik. Die VIB geht im April 2008 ans Netz – ist sie also um zwei Jahre besser als beispielsweise der „Ruhrpilot“? Sagen wir einmal so: Natürlich sind die Siemens-Erfahrungen aus früher gestarteten Projekten wie dem „Ruhrpilot“ oder der VMZ Berlin in die Konzeption der Verkehrsinformationsagentur Bayern eingeflossen. Aber ich möchte hier wirklich keinen Qualitätsvergleich anstellen, schon allein deshalb nicht, weil dazu die jeweiligen Aufgabenstellungen zu unterschiedlich sind. Unser Ziel war und ist es, mit der VIB das erste vollständig integrierte Verkehrsinformationssystem für ein Flächen-Bundesland zu errichten. Das sollte eigentlich Superlativ genug sein. Zumindest von einem weiteren ist in manchen Veröffentlichungen aber noch die Rede: Setzt die VIB nicht auch neue Maßstäbe in Sachen Intermodalität? Stimmt: Unser System ist in der Tat phänomenal intermodal. Und dabei vor allem auch höchst komfortabel – ganz einfach, weil wir der Meinung sind, dass Intermodalität nur dann eine echte Chance hat, wenn sich der Nutzer nicht anstrengen muss. Deshalb servieren wir ihm bei der Reiseaus26 its magazine 1/2008 kunft im Internet unter ww.bayerninfo.de gewissermaßen alles mundgerecht auf einem Tablett: Er bekommt für jede Strecke die günstigsten Verbindungen mit sämtlichen Von-Tür-zu-Tür-Reisezeiten aufgelistet. Zum einen für alle individuell ausgewählten Verkehrsmittel: also privat oder öffentlich, über Straßen oder Schienen, auf zwei oder vier Rädern oder zu Fuß – zum anderen auch für alle sinnvollen Kombinationen der unterschiedlichen Fortbewegungsarten. üblichen TMC Location-Codes oder die Kartengrundlagen aus den bekannten Navigationssystemen. INTREST führt die dezentralen Bestände aller verkehrlich relevanten Daten zusammen und stellt sie auf einem zentralen Server zur Verfügung. Das heißt: Es werden sogar die Zeiten für eventuell notwendige Fußmärsche beim Umsteigen mit berücksichtigt? So ist es. Genauso wie alle anderen Wege, die für den motorisierten Verkehr nicht zugelassen sind – bis hin zu Strecken innerhalb von Gebäuden. Bei den Fahrradwegen im ebenfalls integrierten „Bayernnetz für Radler“ beispielsweise fließen sogar die Höhenprofile in die Berechnung der Zeiten mit ein. Neben Präzision kommt es in der Verkehrstelematik aber natürlich vor allem auf die Qualität und Aktualität der dynamischen Informationen an … Richtig. Auch hier ist uns das Beste gerade gut genug. An unserem zentralen Siemens Concert-System sind zahlreiche Subsysteme angeschlossen, die permanent zeitnahe Informationen generieren – vom aktuellen und prognostizierten Verkehrsgeschehen über Meldungen zu Baustellen und anderen Störungen bis zu streckenbezogenen Wetterdaten und Infos zur Parkraumsituation am Zielort. Umfang und Qualität dieser Infos werden übrigens in mehreren Releasestufen erweitert und verbessert. Gab es für all das denn bereits eine fix und fertige Kartensoftware von der Stange? Nein, natürlich nicht. Deshalb wurde mit enormem Aufwand ein völlig neues intermodales Georeferenzierungssystem geschaffen, das eine weitaus genauere Ortsbestimmung erlaubt als die bisher Diese Basisdienste sind für den Nutzer zunächst gratis. Aber irgendwie und irgendwann müssen die privaten Partner des PPP-Modells doch auf ihre Kosten kommen? Ich gehe davon aus, dass die Basisdienste kostenlos bleiben – auch nach der ersten Errichtungs- und Betriebsphase, die laut Uwe Strubbe, Siemens-Gesamtprojektleiter der VIB: „Intermodalität hat nur dann eine echte Chance, wenn sich der Nutzer nicht anstrengen muss“ PPP-Vertrag mit dem Freistaat Bayern 2015 endet. Zur Refinanzierung der privaten Investitionen wurde der Betreibergesellschaft das Recht eingeräumt, alle über die VIB generierten Daten für Mehrwertdienste zu nutzen. Das größte Potenzial dafür bieten meines Erachtens eindeutig Dienste für andere Unternehmen (B2B) und für die öffentliche Verwaltung (B2A). Das direkte Geschäft mit Verbrauchern (B2C) schätze ich dagegen zumindest auf kürzere Sicht als sehr schwierig ein – die Bereitschaft von Otto-Normalverkehrsteilnehmer, für einen Premiumservice zu bezahlen, ist derzeit noch nicht sehr ausgeprägt. Welche Mehrwertdienste haben Sie dabei konkret im Auge? Wo soll ich anfangen – wo soll ich aufhören? Wir sind unter anderem im Gespräch mit diversen Wintersportorten, die ihren Gästen aktuelle Informationen für die Anreise und über die Situation an den Liften anbieten möchten. Oder denken Sie an Speditionen, die ihre Fahrer wissen lassen wollen, an welchen Autohöfen und Raststätten es noch freie Parkplätze gibt. Für den Freistaat Bayern erbringen wir von Anfang an eine ganze Reihe von Dienstleistungen – von der Erstellung von Verkehrsstatistiken über die Pflege der Ganglinien der Verkehrs- belastung bis zur Auswertung von Wetterdaten und ihren verkehrlichen Auswirkungen. Auch im Bereich Umweltmanagement können wir die verantwortlichen Behörden unterstützen – zum Beispiel, indem wir die aktuelle Wettersituation erfassen und mit unseren Verkehrsdaten korrelieren. Hierdurch bieten wir eine optimale Grundlage für die Entscheidung, wann und wo temporäre Fahrverbote erlassen werden sollten. Schon beim Start im April 2008 wird die VIB in punkto Flächenabdeckung alle vergleichbaren Systeme übertreffen. Dennoch gibt es schon Pläne für eine noch größere Ausdehnung? Ja, auf mittlere Sicht wollen wir schrittweise immer mehr Kommunen auch in benachbarten Regionen in die VIB einbinden. Und den Dialog mit potenziellen ausländischen Partnern haben wir ebenfalls längst eröffnet. Die Überlegungen dahinter sind so pragmatisch wie eigentlich alles bei der VIB: Der Verkehrsteilnehmer interessiert sich schließlich nicht für administrative Grenzen. Der will einfach nur möglichst effizient von A nach B kommen – ganz egal, ob am Zielort Bayerisch oder Tschechisch gesprochen wird. Herr Strubbe, wir danken Ihnen für das Gespräch. « Uwe Strubbe: Die wichtigsten Stationen auf einen Blick • Geboren 1971 in Osnabrück • 1989 – 1993 Studium der Mathematik in Berlin • 1993 – 2003 Zunächst Projektmitarbeiter, dann Bereichsleiter im Geschäftsfeld Public Transport und zuletzt Mitglied der Geschäftsleitung bei der IVU Traffic Technologies AG • 2003 – 2004 Vertriebsleiter für die Branchen Verkehr, Logistik und eGovernment der VIOM GmbH • 2005 Key Account Manager und verantwortlich für die Geschäftsentwicklung eGovernment bei der ]init[ AG • Seit 2005 Gesamtprojektleiter für die Errichtung und den Betrieb der VIB sowie designierter Geschäftsführer der Betreibergesellschaft; seit 2007 zusätzlich Vertriebsabteilungsleiter der Siemens AG 1/2008 its magazine 27 www.siemens.de/traffic IMPRESSUM ITS magazine · Fachmagazin der Siemens Straßenverkehrstechnik/ITS Herausgeber: Siemens AG · Industry Sector · Mobility Division · Traffic Solutions · Hofmannstraße 51 · D-81359 München Redaktionsleitung: Dr. Michael Ostertag (verantwortlich), Karin Kaindl: Siemens I&S ITS Koordination: Roland Michali: Siemens I&S GC Erlangen Textredaktion: Peter Rosenberger, Philip Wessa · www.bfw-tailormade.de · Eberhard Buhl („Verkehrstechnik – just in time“, „Im Seitenspiegel“) Fotos: Getty Images S. 1 · Panthermedia S. 1 · Corbis S. 4, 6, 8, 9, 10, 15, 24 · BMW Group S. 5 · dpa picture-alliance S. 11, 21 · Siegmar Münk, Die Illustratoren S. 12 · Fotolia S. 18 · Photocase.com S. 25 Konzeption & Gestaltung: Agentur Feedback, München · www.agentur-feedback.de Druck: Aumüller Druck, Regensburg Copyright: © Siemens AG 2008 Alle Rechte vorbehalten. Vervielfältigung dieser Unterlage sowie Verwertung ihres Inhalts unzulässig, soweit nicht ausdrücklich zugestanden! Technische Änderungen vorbehalten. Printed in Germany. Das nächste ITS magazine erscheint am 15. Mai 2008. www.siemens.de/traffic Bestell-Nr. E10003-A810-F33-V1 Dispo-Nr. 22300 · K-Nr. 41900 C-TSRT5308M03 IF 02085.5