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Kommunikation
&Recht
Betriebs-Berater für
Medien Telekommunikation Multimedia
2
K&R
Editorial: Die Geburtswehen der neuen Domainendungen
Fabian Reinholz
73 RedTube-Abmahnungen: Urheberrechtsverstoß durch Streaming?
Philipp C. Redlich
77 Share oder Like? – Zur Reichweite der Einwilligung
bei der Einbindung von Facebook-Buttons
Dr. Severin Müller-Riemenschneider und Dr. Louisa Specht
80 Störerhaftung im Datenschutzrecht? · Dr. Carlo Piltz
86 Nutzerbasierte Online Werbung 2.0 · Astrid Steinhoff
90 Google: AGB sind immer noch unwirksam · Dr. Sebastian Meyer
94 Aktuelle Entwicklungen im Steuerrecht in der Informationstechnologie 2012/2013
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann
101 Länderreport Brüssel/EU · Robert Klotz
106 BGH: Geburtstagszug: Urheberrechtsschutz für Werke
angewandter Kunst
mit Kommentar von Dr. Jan Rasmus Ludwig
113 BGH: Haftung für fremden Terminhinweis mit Kartenausschnitt
auf eigener Website
114 BGH: Fleurop: Markenrechtsverletzung durch unzureichend
aufklärende AdWords-Anzeige
136 LG Köln: RedTube: Keine offensichtliche Rechtsverletzung
bei ungeklärten Rechtsfragen
mit Kommentar von Carl Christian Müller und Sören Rößner
144 OVG NRW: Landesrechtlicher Presse-Auskunftsanspruch
gegen Bundesbehörde
mit Kommentar von Dr. Christoph Partsch
17. Jahrgang
Februar 2014
Seiten 73 – 148
Deutscher Fachverlag GmbH · Frankfurt am Main
Kommunikation
& Recht
K &R
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73
RA Philipp C. Redlich, Berlin*
RedTube-Abmahnungen: Urheberrechtsverstoß durch
Streaming?
Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob der
Nutzer von Streaming-Angeboten sich Gedanken machen
muss, ob ein Video, das er aufruft, legal oder illegal ber
die Plattform verbreitet wird.
I. Einleitung
Nach Presseberichten begann die Kanzlei U+C Rechtsanwlte aus Regensburg im Dezember 2013 angeblich in
mehr als 10 000 Fllen, an Nutzer der kostenlosen Online-Video-Plattform fr Erotikvideos RedTube1 Abmahnungen zu versenden.2 RedTube ist die „Rotlicht“-Version der landlufig bekannten Videoplattform YouTube
von Google. Einer Pressemitteilung der Kanzlei zufolge
erfolgten die Abmahnungen „wegen Verletzung des urheberrechtlichen Vervielfltigungsrechts (§ 16 Abs. 1
UrhG) auf der Grundlage gerichtlicher Entscheidungen
zur Unzulssigkeit des Streamings aus offensichtlich illegalen Quellen“.3 Beanstandet wurde, dass sich die Nutzer
Filme wie „Amanda’s Secret“, „Hot Stories“ oder „Glamour Show Girls“ auf RedTube angesehen haben sollen,
an denen die Schweizer Gesellschaft The Archive AG
Urheberrechte beansprucht.
Da im Zentrum dieser neuen „Abmahnwelle“ die vermeintlich anonymen und heimlichen Nutzer eines Pornoangebotes im Internet stehen, wird die – zivil-, aber auch
strafrechtlich hçchst zweifelhafte – Rechtsverfolgung der
The Archive AG von einer breiten medialen Berichterstattung verfolgt. Auch ber die Zulssigkeit der Ermittlung
der IP-Adressen der betroffenen Nutzer wurde insbesondere im Internet und in der Presse ausgiebig berichtet,
ebenso wie ber die fragwrdigen Auskunftsbeschlsse
des LG Kçln, die die Access-Provider verpflichteten, die
Daten der betroffenen Anschlussinhaber mitzuteilen.
Die nichtautorisierte Verbreitung von urheberrechtlich geschtzten Inhalten wie Musik und Filmen ber Internetplattformen und -angebote ist – ebenso wie der millionenfache kostenlose Genuss dieser Inhalte – ein seit Jahren
bekanntes Phnomen. Im Abmahnfokus der Rechteinhaber
und der einschlgigen Abmahnanwlte standen bislang
jedoch primr nur die Nutzer von Downloadangeboten
oder sog. Peer-to-Peer-Netzwerken, ber die kostenlos
Filme und Musik getauscht und heruntergeladen werden
kçnnen. Dass nunmehr die Nutzer einer Streaming-Plattform Adressaten von massenhaft versendeten Abmahnungen werden, ist dagegen ein Novum. Dies wirft die bislang
hçchstrichterlich nicht abschließend geklrte Kernfrage
der urheberrechtlichen Zulssigkeit des Anschauens von
illegal ins Netz gestellten Videos auf. Muss sich der Nutzer
von Streaming-Angeboten Gedanken machen, ob ein Video, das er aufruft, legal oder illegal ber die Plattform
verbreitet wird?
II. Zur technischen Funktionsweise des
Streamings und der Zwischenspeicherungen
Mit Streaming wird das gleichzeitige Empfangen und
Wiedergeben von Audio- und/oder Videodaten aus
einem Rechnernetz bezeichnet.4 Streaming bildet einen
Sammelbegriff fr unterschiedliche technische Verfahren
zur Wiedergabe von Medien im Internet, um Audio-Video-Inhalte bereits whrend des Ladevorgangs wiederzugegeben (On-Demand-Streaming, Near-On-DemandStreaming, Live-Streaming5). Die Nutzer solcher Streaming-Dienste kçnnen sich Videos direkt im Internetbrowser ansehen. Bekannte Beispiele fr On-DemandStreaming-Dienste sind die Videoplattformen YouTube6
und MyVideo,7 aber auch die Mediatheken der Rundfunkanstalten, 8 die ihre Fernsehinhalte fr einen begrenzten Zeitraum im Internet abrufbar halten sowie
sptestens seit der „Abmahnwelle“ auch das Erotikportal
RedTube. Im Gegensatz zum Download werden die
Videodateien zum Zwecke der Wiedergabe in der Regel
nicht dauerhaft, sondern nur temporr gespeichert. Die
vom Nutzer beim Aufruf angeforderten Daten werden
paketweise bertragen, beim Empfnger mittels spezieller Software (Client) decodiert und in einem Puffer
(Cache) im RAM oder auf der Festplatte des Zielrechners zwischengespeichert. Diese Zwischenspeicherung
ist erforderlich, um trotz variabler bertragungsraten
oder netzwerkbedingt schwankender Laufzeiten der Datenpakete (Jitter) eine verzçgerungsfreie Wiedergabe der
empfangenen Inhalte zu gewhrleisten.9 Die Dauer der
Datenspeicherung im Cache ist variabel und erfolgt nur
temporr. Zwar ist es technisch mçglich, die Audio-Video-Dateien durch sog. Stream-Downloader automatisch
an einem bestimmten Ort auf der Festplatte des Zielrechners auch dauerhaft zu speichern.10 Im Regelfall
*
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Mehr ber den Autor erfahren Sie auf S. VIII.
http://www.redtubes.tv/.
FAZ-Online, Massenabmahnungen nach Porno-Streaming, 10. 12. 2013.
Pressemitteilung U+C Rechtsanwlte, http://www.urmann.com/xrt/Presse
erklaerung_Streaming.pdf.
Bscher/Mller, GRUR 2009, 558.
Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676 f.
www.youtube.com.
www.myvideo.de.
http://www.ardmediathek.de/; http://www.zdf.de/ZDFmediathek.
Ausfhrlich Stieper, MMR, 2012, 12, 13; Busch, GRUR 2011, 496, 497 f.;
Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676 ff.
Zur urheberrechtlichen Zulssigkeit Redlich, K&R 2012, 713 ff.
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Redlich, RedTube-Abmahnungen
werden Kopien im Cache-Speicher jedoch automatisch
berschrieben und gelçscht.
Im Bereich des On-Demand-Streamings, das die Plattform
RedTube einsetzt, wird zwischen dem sog. ProgressivenDownload und dem True-On-Demand-Streaming differenziert. Bei beiden Streaming-Varianten erfolgt eine sukzessive Zwischenspeicherung der gesamten Mediendatei zum
Ende des Streamingvorgangs. Je nach Verfahren werden
Teilstcke der Mediendatei frher oder spter gelçscht. Im
Gegensatz zum Progressivem-Download erfolgt beim
True-On-Demand-Streaming jedoch keine vollstndige
Speicherung auf dem Zielrechner. Die Datenpakete, d. h.
die Teilstcke der Mediadatei, werden nach Wiedergabe
gelçscht bzw. mit folgenden Teilstcken der Mediadatei
berschrieben. Je nach Einsatz des verwendeten Transportprotokolls (Transmission Control Protocol – TCP oder
User Datagram Protocol – UDP) unterscheidet sich die
Hufigkeit und Intensitt der Zwischenspeicherungen,
ebenso wie die Dauer der Zwischenspeicherung bzw. die
Zeitintervalle der Lçschung dieser Teilstcke.11
III. Zu einem Eingriff in das Vervielfltigungsrecht
Unabhngig von der Art des gewhlten Streaming-Verfahrens findet stets eine temporre Zwischenspeicherung
auf dem Zielrechner des Nutzers statt, um das aufgerufene
Video im Browserfenster des Nutzers wiederzugeben. Das
Vervielfltigungsrecht aus § 16 Abs. 1 UrhG des Urhebers
umfasst das Recht, eine kçrperliche Fixierung unabhngig
von dem eingesetzten Verfahren herzustellen. Umfasst ist
daher auch die digitale Speicherung des Werkes und zwar
unabhngig davon, ob diese Speicherung dauerhaft oder
nur vorbergehend erfolgt. In der Zwischenspeicherung
liegt daher stets – nach wohl herrschender Auffassung –
eine urheberrechtsrelevante Vervielfltigung, da im Regelfall eine weitere Werknutzung unabhngig von der
bereits vorhandenen Kopie ermçglicht wird.12 Eine differenzierte Betrachtung ist im Falle des True-On-DemandStreamings zwar denkbar, wenn allein Werkteile beim
Streaming zwischengespeichert und die Teilstcke der
Mediadatei nach der Wiedergabe wieder gelçscht werden.13 Auch Werkteile sind nach der Rechtsprechung des
EuGH14 gemß Art. 2 lit. a) der RL 2001/29/EG15 vor
unberechtigten Vervielfltigungen geschtzt, jedoch nur
dann, wenn sie bestimmte Elemente enthalten, die eine
eigene geistige Schçpfung verkçrpern. Der Feststellung,
ob die einzelnen zwischengespeicherten Fragmente der
Mediadatei isoliert betrachtet eine eigene Werksqualitt
aufweisen, stehen bereits technisch nahezu unberwindbare Hindernisse entgegen. Schließlich werden die fortlaufend gespeicherten Dateisegmente bereits whrend der
Wiedergabe berschrieben und wieder gelçscht. Zum Teil
wird daher gefordert, dass ungeachtet der Werksqualitt
der Segmentdateien auch fr die „sukzessive, chronologisch geordnete, jeweils sofort flchtige Vervielfltigung
von an sich nicht schutzfhigen Werkteilen“ eine urheberrechtsrelevante Vervielfltigung anzunehmen ist, wenn das
gesamte Werk oder jedenfalls Teile hiervon nutzbar gemacht werden, um dem Partizipationsinteresse der Werkschçpfer Rechnung zu tragen.16 Ein solcher normativer
Vervielfltigungsbegriff steht jedoch in Widerspruch zur
unionsrechtlichen Auslegung des Vervielfltigungsbegriffs
des EuGH in der Entscheidung Football Association Premier League u. Murphy:17 Art. 2 lit. a) der RL 2001/29/EG
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ist demnach dahingehend auszulegen, dass sich das Vervielfltigungsrecht auf flchtige Fragmente der Werke im
Speicher eines Satellitendecoders zur Wiedergabe auf
einem Fernsehbildschirm erstreckt, sofern diese Fragmente Elemente enthalten, die die eigene geistige Schçpfung
der betreffenden Urheber zum Ausdruck bringen, wobei
das zusammengesetzte Ganze der gleichzeitig wiedergegebenen Fragmente zu prfen ist, um zu klren, ob es
solche Elemente enthlt. Ob die sukzessive Speicherung
von isoliert betrachtet nicht schutzfhigen Werkteilen eine
Vervielfltigung i. S. d § 16 UrhG bzw. Art. 2 lit. a) der
RL 2001/29/EG darstellt, mag jedenfalls im Falle der
RedTube-Abmahnungen dahinstehen. Die The Archive
AG beansprucht die Filmherstellerrechte aus §§ 95, 94
Abs. 1, S. 1 UrhG an den gestreamten Filmen, die zum
Gegenstand der Massenabmahnungen gemacht werden.
Schutzgegenstand der Leistungsschutzrechte des Filmherstellers ist nicht die geistige Werkschçpfung, sondern die
wirtschaftliche und organisatorische Leistung des Filmherstellers an der Produktion. Ein Eingriff in das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers liegt im Falle des Streamings unabhngig von der Werkqualitt der gleichzeitig
gespeicherten und wiedergegebenen Fragmente vor. Bereits die Zwischenspeicherung kleinster Bildausschnitte
des Films kann einen Eingriff in das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers darstellen.18 Aufgrund der Dauer
der Audiovideosequenzen, die als Fragmentdateien eines
Filmwerkes zum Zwecke der verzçgerungsfreien Wiedergabe gleichzeitig zwischengespeichert werden, soll auch
bei den gegenwrtig technisch mçglichen, weniger speicherintensiven Streaming-Verfahren stets ein Eingriff in
das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers aus §§ 95,
94 Abs. 1 S. 1 UrhG vorliegen.19 Die Frage eines Eingriffs
in das Vervielfltigungsrecht der Rechteinhaber, wenn
geschtzte Audiovideoinhalte im Streamingverfahren konsumiert werden, bleibt daher letztlich auch eine Einzelfallfrage, die von der technischen Entwicklung der eingesetzten Streaming-Technologien bestimmt werden wird.
IV. Schranken des Vervielfltigungsrechts:
Vorbergehende Zwischenspeicherungen
Ungeachtet eines Eingriffs in das Vervielfltigungsrecht
der Rechteinhaber, kçnnen sich die Nutzer von Streamingangeboten – unabhngig von der Rechtmßigkeit
der Quelle – auf die Schrankenbestimmung des § 44 a
Nr. 2 UrhG berufen. Auf welche vermeintlichen „gerichtlichen Entscheidungen zur Unzulssigkeit des Streaming
aus offensichtlich illegalen Quelle“ die Rechtsanwaltskanzlei in ihrer Pressemitteilung verweist, 20 bleibt im
Dunklen.
11 Busch, GRUR 2011, 496, 497 f.; Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676,
677 f.
12 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 16 Rn. 16; Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 16 Rn. 20.
13 Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677 f.
14 EuGH, 16. 7. 2009 – C-05/08, K&R 2009, 707 f. – Infopaq.
15 RL 2001/29/EG des Europischen Parlaments und des Rates vom 22. 5.
2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der
verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft.
16 Busch, GRUR 2011, 496; 499 f. m. w. N.; Wandtke/von Gerlach, GRUR
2013, 676, 677 f.
17 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R
2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy.
18 BGH, 19. 11. 2009 – I ZR 128/07, K&R 2010, 509 – Film-Einzelbilder;
BGH 20. 12. 2007 – I ZR 42/05, K&R 2008, 442 ff. – TV-Total.
19 Technisch detailliert hierzu Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677;
vgl. auch Busch, GRUR 2011, 498, 500; Stieper, MMR 2012, 12, 14.
20 Pressemitteilung (Fn. 3).
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Mit § 44 a Nr. 2 UrhG setzt der Gesetzgeber Art. 5 Abs. 1
lit. b) der RL 2001/29/EG wçrtlich um. Zulssig und von
der Zustimmung der Rechteinhaber freigestellt sind vorbergehende Vervielfltigungshandlungen, die (1) flchtig oder begleitend sind und (2) einen integralen und
wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen. Weitere Voraussetzungen sind, dass (3) die Vervielfltigung eine rechtmßige Nutzung eines Werkes oder
sonstigen Schutzgegenstands ermçglicht und diese Nutzung (4) keine eigenstndige wirtschaftliche Bedeutung
hat.
1. Vorbergehende Vervielfltigungen als integraler
und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens
Die Schrankenbestimmung des § 44 a Nr. 2 UrhG greift
nur, wenn die Datenspeicherungen in Folge der Nutzung
von Streaming-Diensten vorbergehend erfolgt, d. h.
nicht von Dauer sind. Zustzlich mssen diese Vervielfltigungen flchtig oder nur begleitend sein. Vervielfltigungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH nur
dann „flchtig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der RL 2001/
29, wenn ihre Lebensdauer auf das fr das ordnungsgemße Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschrnkt wird. Das Speicherverfahren muss derart automatisiert sein, dass es die Daten
automatisch und ohne Beteiligung einer natrlichen Person lçscht, sobald die Funktion der Speicherung, die
Durchfhrung eines Wiedergabeverfahrens zu ermçglichen, erfllt ist.21 Datenspeicherungen z. B. im Arbeitsspeicher (RAM), die erst nach Schließung des Internetbrowsers oder erst nach Beendigung der Arbeitssitzung
mit dem Abschalten des Gerts gelçscht werden, drften
nach der strengen Rechtsprechung des EuGH nicht mehr
nur „flchtig“ sein. Allein auf die Abhngigkeit des
Arbeitsspeichers von der Stromversorgung drfte eine
Flchtigkeit der Vervielfltigung daher auch nicht mehr
gesttzt werden kçnnen.22 Erfolgt eine Zwischenspeicherung beim Streaming von Videos im Arbeitsspeicher des
Zielrechners zeitlich ber den Abschluss des Abspielens
des Videos hinaus, lge eine Privilegierung gleichwohl
unter dem Aspekt der „begleitenden“ vorbergehenden
Vervielfltigung vor. Bei allen temporreren Streams
erfolgt eine Vervielfltigung nur, um die Audiovideodaten wiederzugeben.23
Schließlich ist die Zwischenspeicherung auch integraler
und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens i. S. d.
§ 44 a UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG.
Ohne eine Zwischenspeicherung wre eine verzçgerungsfreie Wiedergabe der empfangen Audiovideoinhalte nicht
zu gewhrleisten.
Eine Privilegierung und Freistellung der Vervielfltigung
gemß § 44 a UrhG scheidet jedoch dann aus, wenn der
Nutzer die zwischenspeicherten Daten z. B. mittels eines
Stream-Downloaders automatisch an einem bestimmten
Ort auf der Festplatte des Zielrechners dauerhaft speichert.24
2. Zu einer rechtmßigen Nutzung
Die rechtliche Kernfrage, die die massenhaften Abmahnungen gegen RedTube-Nutzer betrifft, ist die „Rechtmßigkeit der Nutzung“ gemß § 44 a Nr. 2 UrhG bzw. Art. 5
Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG. Der Wortlaut der
Schrankenregelung knpft im Gegensatz zum Privatkopienprivileg des § 53 Abs. 1 UrhG nicht an die Rechtm-
Redlich, RedTube-Abmahnungen
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ßigkeit der Vorlage, sondern an die Rechtmßigkeit der
Nutzung an. Eine Nutzung soll als rechtmßig gelten,
soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch
Gesetze beschrnkt ist, 33. Erwgungsgrund der RL 2001/
29/EG. Das reine Anzeigen von Videodateien auf dem
Bildschirm des Nutzers stellt wie das Lesen eines Buches
oder das Betrachten eines Kunstwerkes eine unkçrperliche
Nutzung dar, die nicht der Zustimmung des Rechteinhabers bedarf.25
Auch der EuGH hat in seiner Entscheidung Football
Association Premier League u. Murphy26 unmissverstndlich auf die Rechtmßigkeit des Empfangs und nicht
auch auf die Rechtmßigkeit der Sendung abgestellt, auf
die Zugriff genommen wird. So heißt es unter Rn. 171 f.
des Urteils wçrtlich: „Der bloße Empfang dieser Sendungen als solcher, also die Erfassung ihres Signals und ihre
visuelle Darstellung im privaten Kreis, stellt aber keine
durch die Regelung der Union oder die des Vereinigten
Kçnigreichs beschrnkte Handlung dar, [...]; diese Handlung ist demzufolge rechtmßig [...]. Es ist daher festzustellen, dass es alleiniger Zweck dieser Vervielfltigungshandlungen ist, eine ‚rechtmßige Nutzung, der
Werke im Sinne von Art. 5 Abs. 1 b) der Urheberrechtsrichtlinie zu ermçglichen.“ Der EuGH hat eine enge
Auslegung der Schranke des Art. 5 Abs. 1 lit. b) der
RL 2001/29/EG abgelehnt. Was fr den Empfang von
Rundfunksignalen, die temporre Speicherung dieses
Signals mittels eines Satellitendecoders und die Wiedergabe eines Fußballspiels auf einem Fernsehbildschirm
gilt, lsst sich zwanglos auch auf den Aufruf, die Zwischenspeicherung und Wiedergabe eines Videos im Wege eines Streaming-Verfahrens bertragen.27 Zwar ist die
Auslegung des § 44 a Nr. 2 UrhG weiterhin streitig.28
Unter Bercksichtigung der Verbreitung und der wirtschaftlichen Bedeutung des Streaming soll unter Anwendung einer „Quellentheorie“ auf die tatschliche Rechtmßigkeit der Quelle der aufgerufenen Inhalte, statt auf
die Rechtmßigkeit der Nutzung abgestellt werden. Ziel
sei es einen sach- und interessensgerechten Ausgleich zu
Gunsten der Rechteinhaber herzustellen.29 Ferner wird
vertreten, dass der Rechtsgedanke des § 53 Abs. 1 UrhG
auch auf § 44 a Nr. 2 UrhG bertragen werden kçnne.30
Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber die Freiheit des Werkgenusses – im Gegensatz zur dauerhaften
Speicherung und Vervielfltigung – gerade nicht an die
Rechtmßigkeit der verwendeten Quelle geknpft hat.31
Ohne eine nderung und Eingrenzung der Schrankenbestimmung des § 44 a Nr. 2 UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1
lit. b) der RL 2001/29/EG durch den Gesetzgeber, besteht
kein Raum, contra legem die Privilegierung der Zwischenspeicherung an die Rechtmßigkeit der Vorlage zu
knpfen, statt an die Rechtmßigkeit der Nutzung, d. h.
der Wiedergabe. Sptestens seit der Rechtsprechung des
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28
29
30
31
EuGH, 16. 7. 2009 – C-05/08, K&R 2009, 707 f.
KG Berlin, 30. 4. 2004 – 5 U 98/02, CR 2004, 688 ff. – Ausschnittdienst.
Busch, GRUR 2011, 496, 501; Stolz, MMR 2013, 353, 356.
Redlich, K&R 2012, 713, 714.
BGH, 4. 10. 1990 – I ZR 139/89, CR1991, 80 ff. – Betriebssystem; Busch,
GRUR 2011, 496, 497.
EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R
2011, 713-719 – Football Association Premier League u. Murphy.
Stieper, MMR 2012, 12, 15.
Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 680 ff.; Radmann, ZUM 2010,
387, 391 f.; Busch, GRUR 2011, 496, 501.
Ausfhrlich hierzu Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 680 ff.
Busch, GRUR 2011, 496, 501.
Stieper, MMR 2012, 12, 15.
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Redlich, RedTube-Abmahnungen
EuGH in seiner Entscheidung Football Association Premier League u. Murphy32 besteht auch kein Raum fr
eine restriktive Auslegung bzw. Umdeutung des Begriffs
der „Rechtmßigkeit der Nutzung“ und einen einschrnkenden Rckgriff auf § 53 Abs. 1 UrhG bei einem Zugriff
auf „offensichtlich rechtswidrige“ Quellen. Maßgeblich
ist allein die gegebene Rechtmßigkeit der Nutzung, d. h.
der zustimmungsfreien Wiedergabe der aufgerufenen Videodatei zum privaten Genuss.
3. Zu einer eigenstndigen wirtschaftlichen
Bedeutung
Vorbergehenden Vervielfltigungen fehlt es an einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung, wenn sie lediglich zu Nutzungsmçglichkeiten fhren, die von der Zustimmung des Rechteinhabers umfasst sind bzw. sich nicht
im Rahmen der gesetzlichen Grenzen befinden, 33. Erwgungsgrund der RL 2001/29/EG. Die Schrankenbestimmungen des § 44 a UrhG soll generell zwar eng auszulegen
sein, um den Urheber an der wirtschaftlichen Nutzung
seiner Werke angemessen zu beteiligen und ihn hinsichtlich der Werkverwertung zustehenden Ausschließlichkeitsrechte nicht bermßig zu beschrnken.33 Nach der
Rechtsprechung des EuGH gengt fr die Annahme einer
„eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung“ jedoch
nicht, dass das Streamen von Filmen einen wirtschaftlichen Wert besitzt und der Zugang zu ihnen zwangslufig
eine wirtschaftliche Bedeutung hat.
Um der Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 der RL 2001/29/EG
nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, muss die
wirtschaftliche Bedeutung in dem Sinne eigenstndig sein,
dass sie ber den wirtschaftlichen Vorteil, der durch den
bloßen Empfang einer Sendung mit geschtzten Werken
entsteht, hinausgehen, d. h. ber den Vorteil, der sich aus
der bloßen Erfassung der Sendung und ihrer visuellen
Darstellung ergibt. Im Falle des Empfangs von Rundfunksignalen und deren temporrer Speicherung mittels eines
Satellitendecoders zum Zwecke der Wiedergabe sah das
Gericht die vorbergehenden Vervielfltigungshandlungen als nicht geeignet, einen zustzlichen wirtschaftlichen
Vorteil zu schaffen, der ber den Vorteil hinausgeht, der
durch den bloßen Empfang der Sendungen entsteht.34
Nichts anderes kann daher auch fr die Nutzung von
Streaming-Angeboten gelten, wenn der wirtschaftliche
Wert der Zwischenspeicherung sich in der Wiedergabe
der Inhalte erschçpft. Zudem ist die Zwischenspeicherung
mit den Fllen des Browsing und Caching vergleichbar, die
grundstzlich von der Zustimmung der Rechteinhaber freigestellt werden sollen, um das effiziente Funktionieren der
bertragungssysteme ermçglichen, 33. Erwgungsgrund
der RL 2001/29/EG.
Die Zwischenspeicherung dient allein der reibungslosen
und der verzçgerungsfreien Wiedergabe der empfangenen
Inhalte.35 Dass die Zwischenspeicherung ein verzçgerungsfreies Vor- und Zurckspielen erlaubt, fhrt nicht
zu einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung, da
dies Bestandteil des technischen Wiedergabeverfahrens
ist, dessen Funktionsfhigkeit die Speicherung sicherstellt.36
Soweit ber den Wiedergabevorgang hinaus keine lngerfristige Speicherung der aufgerufenen Mediendatei erfolgt,
die einen Werkgenuss unabhngig von der Quelle ermçglicht, fehlt es daher an einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung der Vervielfltigung.
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4. Ergebnis und Ausblick
Zusammenfassend fehlt es im Falle der RedTube-Abmahnungen offenkundig an einer Verletzung der Vervielfltigungsrechte des Rechteinhabers an den Videofilmen. Die
Abmahnungen erfolgten rechtsgrundlos und an der Grenze
zur strafrechtlichen Relevanz. Die Zwischenspeicherung
zum Zwecke der Wiedergabe der gestreamten Filme kann
der Rechteinhaber an den Filmen nicht beanstanden. Auch
wenn die IP-Adressen eine Rckverfolgung des Anschlussinhabers zulassen, lassen sich hieraus keine Erkenntnisse ber eine langfristige Speicherung der Mediadateien schließen, die einer Anwendbarkeit des § 44 a Nr. 2
UrhG entgegenstehen. Einen Rckschluss, dass die Zwischenspeicherungen nach Aufruf und Wiedergabe der Filme im Webbrowser des Nutzers aus dem Arbeitsspeicher
gelçscht bzw. berschrieben wurden, lassen die IP-Adressen nicht zu. Auf welche „gerichtlichen Entscheidungen
zur Unzulssigkeit des Streaming aus offensichtlich illegalen Quelle“ die abmahnende Kanzlei sich laut ihrer
Pressemitteilung sttzt, bleibt unklar und hçchst zweifelhaft. Die Rechtsauffassung steht jedenfalls in evidentem
Widerspruch zum Wortlaut des § 44 a Nr. 2 UrhG und der
Rechtsprechung des EuGH. Ob die abgemahnten Nutzer
zum Zwecke der Wiedergabe der Filme auf eine rechtswidrige Vorlage zugegriffen haben, mag dahinstehen. Fr
eine Privilegierung der Zwischenspeicherung und Freistellung der Vervielfltigung von der Zustimmung der Rechteinhaber ist letztlich auch unbeachtlich, ob es fr die
Nutzer „offensichtlich“ war, dass die Filme illegal ber
die Plattform RedTube zum Abruf bereitgehalten worden
sein sollen. Die Wiedergabe, d. h. das Anschauen von
urheberrechtlich geschtzten Inhalten im Wege eines
Streaming-Verfahrens bleibt eine „rechtmßige Nutzung“
wie die Lektre eines (ggf. raubkopierten) Buches.
Auch das Justizministerium hat sich laut Presseberichten
auf eine Anfrage der Linken dieser Auffassung angeschlossen: „Nutzer verletzen das Urheberrecht nicht, wenn
sie Videos im Browser schauen“. Letztlich kçnne die Frage
aber „nur vom Europischen Gerichtshof entschieden werden“.37 Der Oberste Gerichtshof Wien hat dem EuGH zur
Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob eine flchtige
und begleitende Vervielfltigung (Art. 5 Abs. 1 RL 2001/
29/EG.) nur dann zulssig ist, wenn die Vorlage der Vervielfltigung rechtmßig vervielfltigt, verbreitet oder çffentlich zugnglich gemacht wurde.38 Im Interesse der
Nutzer von Streaming-Diensten und zum Schutz vor zweifelhaften Rechteinhabern und eifrigen Abmahnanwlten
wre eine Klarstellung seitens des EuGH jedenfalls wnschenswert. Jedenfalls die Gerichte drften sptestens
durch die Berichterstattung hellhçrig werden, wenn Rechteinhaber Auskunftsansprche gegen Access-Provider erheben, um die Daten der betroffenen Anschlussinhaber zu
erhalten, die im Internet ber Streamingplattformen Filmwerke konsumiert haben sollen.
32 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R
2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy.
33 BGH, 29. 4. 2010 – I ZR 69/08, K&R 2010, 501 ff. – Vorschaubilder I.
34 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R
2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy.
35 Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 682; Stolz, MMR 2013, 353,
356.
36 Stieper, MMR 2012, 12, 16.
37 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/porno-abmahnungen-justizmin
isterium-haelt-streaming-fuer-unbedenklich-a-942198.html.
38 OGH, 11. 5. 2012 – 4 Ob 6/12d, GRUR Int. 2012, 934 ff.

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