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Kommunikation &Recht Betriebs-Berater für Medien Telekommunikation Multimedia 2 K&R Editorial: Die Geburtswehen der neuen Domainendungen Fabian Reinholz 73 RedTube-Abmahnungen: Urheberrechtsverstoß durch Streaming? Philipp C. Redlich 77 Share oder Like? – Zur Reichweite der Einwilligung bei der Einbindung von Facebook-Buttons Dr. Severin Müller-Riemenschneider und Dr. Louisa Specht 80 Störerhaftung im Datenschutzrecht? · Dr. Carlo Piltz 86 Nutzerbasierte Online Werbung 2.0 · Astrid Steinhoff 90 Google: AGB sind immer noch unwirksam · Dr. Sebastian Meyer 94 Aktuelle Entwicklungen im Steuerrecht in der Informationstechnologie 2012/2013 Prof. Dr. Jens M. Schmittmann 101 Länderreport Brüssel/EU · Robert Klotz 106 BGH: Geburtstagszug: Urheberrechtsschutz für Werke angewandter Kunst mit Kommentar von Dr. Jan Rasmus Ludwig 113 BGH: Haftung für fremden Terminhinweis mit Kartenausschnitt auf eigener Website 114 BGH: Fleurop: Markenrechtsverletzung durch unzureichend aufklärende AdWords-Anzeige 136 LG Köln: RedTube: Keine offensichtliche Rechtsverletzung bei ungeklärten Rechtsfragen mit Kommentar von Carl Christian Müller und Sören Rößner 144 OVG NRW: Landesrechtlicher Presse-Auskunftsanspruch gegen Bundesbehörde mit Kommentar von Dr. Christoph Partsch 17. Jahrgang Februar 2014 Seiten 73 – 148 Deutscher Fachverlag GmbH · Frankfurt am Main Kommunikation & Recht K &R 2/2014 73 RA Philipp C. Redlich, Berlin* RedTube-Abmahnungen: Urheberrechtsverstoß durch Streaming? Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob der Nutzer von Streaming-Angeboten sich Gedanken machen muss, ob ein Video, das er aufruft, legal oder illegal ber die Plattform verbreitet wird. I. Einleitung Nach Presseberichten begann die Kanzlei U+C Rechtsanwlte aus Regensburg im Dezember 2013 angeblich in mehr als 10 000 Fllen, an Nutzer der kostenlosen Online-Video-Plattform fr Erotikvideos RedTube1 Abmahnungen zu versenden.2 RedTube ist die „Rotlicht“-Version der landlufig bekannten Videoplattform YouTube von Google. Einer Pressemitteilung der Kanzlei zufolge erfolgten die Abmahnungen „wegen Verletzung des urheberrechtlichen Vervielfltigungsrechts (§ 16 Abs. 1 UrhG) auf der Grundlage gerichtlicher Entscheidungen zur Unzulssigkeit des Streamings aus offensichtlich illegalen Quellen“.3 Beanstandet wurde, dass sich die Nutzer Filme wie „Amanda’s Secret“, „Hot Stories“ oder „Glamour Show Girls“ auf RedTube angesehen haben sollen, an denen die Schweizer Gesellschaft The Archive AG Urheberrechte beansprucht. Da im Zentrum dieser neuen „Abmahnwelle“ die vermeintlich anonymen und heimlichen Nutzer eines Pornoangebotes im Internet stehen, wird die – zivil-, aber auch strafrechtlich hçchst zweifelhafte – Rechtsverfolgung der The Archive AG von einer breiten medialen Berichterstattung verfolgt. Auch ber die Zulssigkeit der Ermittlung der IP-Adressen der betroffenen Nutzer wurde insbesondere im Internet und in der Presse ausgiebig berichtet, ebenso wie ber die fragwrdigen Auskunftsbeschlsse des LG Kçln, die die Access-Provider verpflichteten, die Daten der betroffenen Anschlussinhaber mitzuteilen. Die nichtautorisierte Verbreitung von urheberrechtlich geschtzten Inhalten wie Musik und Filmen ber Internetplattformen und -angebote ist – ebenso wie der millionenfache kostenlose Genuss dieser Inhalte – ein seit Jahren bekanntes Phnomen. Im Abmahnfokus der Rechteinhaber und der einschlgigen Abmahnanwlte standen bislang jedoch primr nur die Nutzer von Downloadangeboten oder sog. Peer-to-Peer-Netzwerken, ber die kostenlos Filme und Musik getauscht und heruntergeladen werden kçnnen. Dass nunmehr die Nutzer einer Streaming-Plattform Adressaten von massenhaft versendeten Abmahnungen werden, ist dagegen ein Novum. Dies wirft die bislang hçchstrichterlich nicht abschließend geklrte Kernfrage der urheberrechtlichen Zulssigkeit des Anschauens von illegal ins Netz gestellten Videos auf. Muss sich der Nutzer von Streaming-Angeboten Gedanken machen, ob ein Video, das er aufruft, legal oder illegal ber die Plattform verbreitet wird? II. Zur technischen Funktionsweise des Streamings und der Zwischenspeicherungen Mit Streaming wird das gleichzeitige Empfangen und Wiedergeben von Audio- und/oder Videodaten aus einem Rechnernetz bezeichnet.4 Streaming bildet einen Sammelbegriff fr unterschiedliche technische Verfahren zur Wiedergabe von Medien im Internet, um Audio-Video-Inhalte bereits whrend des Ladevorgangs wiederzugegeben (On-Demand-Streaming, Near-On-DemandStreaming, Live-Streaming5). Die Nutzer solcher Streaming-Dienste kçnnen sich Videos direkt im Internetbrowser ansehen. Bekannte Beispiele fr On-DemandStreaming-Dienste sind die Videoplattformen YouTube6 und MyVideo,7 aber auch die Mediatheken der Rundfunkanstalten, 8 die ihre Fernsehinhalte fr einen begrenzten Zeitraum im Internet abrufbar halten sowie sptestens seit der „Abmahnwelle“ auch das Erotikportal RedTube. Im Gegensatz zum Download werden die Videodateien zum Zwecke der Wiedergabe in der Regel nicht dauerhaft, sondern nur temporr gespeichert. Die vom Nutzer beim Aufruf angeforderten Daten werden paketweise bertragen, beim Empfnger mittels spezieller Software (Client) decodiert und in einem Puffer (Cache) im RAM oder auf der Festplatte des Zielrechners zwischengespeichert. Diese Zwischenspeicherung ist erforderlich, um trotz variabler bertragungsraten oder netzwerkbedingt schwankender Laufzeiten der Datenpakete (Jitter) eine verzçgerungsfreie Wiedergabe der empfangenen Inhalte zu gewhrleisten.9 Die Dauer der Datenspeicherung im Cache ist variabel und erfolgt nur temporr. Zwar ist es technisch mçglich, die Audio-Video-Dateien durch sog. Stream-Downloader automatisch an einem bestimmten Ort auf der Festplatte des Zielrechners auch dauerhaft zu speichern.10 Im Regelfall * 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Mehr ber den Autor erfahren Sie auf S. VIII. http://www.redtubes.tv/. FAZ-Online, Massenabmahnungen nach Porno-Streaming, 10. 12. 2013. Pressemitteilung U+C Rechtsanwlte, http://www.urmann.com/xrt/Presse erklaerung_Streaming.pdf. Bscher/Mller, GRUR 2009, 558. Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676 f. www.youtube.com. www.myvideo.de. http://www.ardmediathek.de/; http://www.zdf.de/ZDFmediathek. Ausfhrlich Stieper, MMR, 2012, 12, 13; Busch, GRUR 2011, 496, 497 f.; Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676 ff. Zur urheberrechtlichen Zulssigkeit Redlich, K&R 2012, 713 ff. 74 Redlich, RedTube-Abmahnungen werden Kopien im Cache-Speicher jedoch automatisch berschrieben und gelçscht. Im Bereich des On-Demand-Streamings, das die Plattform RedTube einsetzt, wird zwischen dem sog. ProgressivenDownload und dem True-On-Demand-Streaming differenziert. Bei beiden Streaming-Varianten erfolgt eine sukzessive Zwischenspeicherung der gesamten Mediendatei zum Ende des Streamingvorgangs. Je nach Verfahren werden Teilstcke der Mediendatei frher oder spter gelçscht. Im Gegensatz zum Progressivem-Download erfolgt beim True-On-Demand-Streaming jedoch keine vollstndige Speicherung auf dem Zielrechner. Die Datenpakete, d. h. die Teilstcke der Mediadatei, werden nach Wiedergabe gelçscht bzw. mit folgenden Teilstcken der Mediadatei berschrieben. Je nach Einsatz des verwendeten Transportprotokolls (Transmission Control Protocol – TCP oder User Datagram Protocol – UDP) unterscheidet sich die Hufigkeit und Intensitt der Zwischenspeicherungen, ebenso wie die Dauer der Zwischenspeicherung bzw. die Zeitintervalle der Lçschung dieser Teilstcke.11 III. Zu einem Eingriff in das Vervielfltigungsrecht Unabhngig von der Art des gewhlten Streaming-Verfahrens findet stets eine temporre Zwischenspeicherung auf dem Zielrechner des Nutzers statt, um das aufgerufene Video im Browserfenster des Nutzers wiederzugeben. Das Vervielfltigungsrecht aus § 16 Abs. 1 UrhG des Urhebers umfasst das Recht, eine kçrperliche Fixierung unabhngig von dem eingesetzten Verfahren herzustellen. Umfasst ist daher auch die digitale Speicherung des Werkes und zwar unabhngig davon, ob diese Speicherung dauerhaft oder nur vorbergehend erfolgt. In der Zwischenspeicherung liegt daher stets – nach wohl herrschender Auffassung – eine urheberrechtsrelevante Vervielfltigung, da im Regelfall eine weitere Werknutzung unabhngig von der bereits vorhandenen Kopie ermçglicht wird.12 Eine differenzierte Betrachtung ist im Falle des True-On-DemandStreamings zwar denkbar, wenn allein Werkteile beim Streaming zwischengespeichert und die Teilstcke der Mediadatei nach der Wiedergabe wieder gelçscht werden.13 Auch Werkteile sind nach der Rechtsprechung des EuGH14 gemß Art. 2 lit. a) der RL 2001/29/EG15 vor unberechtigten Vervielfltigungen geschtzt, jedoch nur dann, wenn sie bestimmte Elemente enthalten, die eine eigene geistige Schçpfung verkçrpern. Der Feststellung, ob die einzelnen zwischengespeicherten Fragmente der Mediadatei isoliert betrachtet eine eigene Werksqualitt aufweisen, stehen bereits technisch nahezu unberwindbare Hindernisse entgegen. Schließlich werden die fortlaufend gespeicherten Dateisegmente bereits whrend der Wiedergabe berschrieben und wieder gelçscht. Zum Teil wird daher gefordert, dass ungeachtet der Werksqualitt der Segmentdateien auch fr die „sukzessive, chronologisch geordnete, jeweils sofort flchtige Vervielfltigung von an sich nicht schutzfhigen Werkteilen“ eine urheberrechtsrelevante Vervielfltigung anzunehmen ist, wenn das gesamte Werk oder jedenfalls Teile hiervon nutzbar gemacht werden, um dem Partizipationsinteresse der Werkschçpfer Rechnung zu tragen.16 Ein solcher normativer Vervielfltigungsbegriff steht jedoch in Widerspruch zur unionsrechtlichen Auslegung des Vervielfltigungsbegriffs des EuGH in der Entscheidung Football Association Premier League u. Murphy:17 Art. 2 lit. a) der RL 2001/29/EG 2/2014 K &R ist demnach dahingehend auszulegen, dass sich das Vervielfltigungsrecht auf flchtige Fragmente der Werke im Speicher eines Satellitendecoders zur Wiedergabe auf einem Fernsehbildschirm erstreckt, sofern diese Fragmente Elemente enthalten, die die eigene geistige Schçpfung der betreffenden Urheber zum Ausdruck bringen, wobei das zusammengesetzte Ganze der gleichzeitig wiedergegebenen Fragmente zu prfen ist, um zu klren, ob es solche Elemente enthlt. Ob die sukzessive Speicherung von isoliert betrachtet nicht schutzfhigen Werkteilen eine Vervielfltigung i. S. d § 16 UrhG bzw. Art. 2 lit. a) der RL 2001/29/EG darstellt, mag jedenfalls im Falle der RedTube-Abmahnungen dahinstehen. Die The Archive AG beansprucht die Filmherstellerrechte aus §§ 95, 94 Abs. 1, S. 1 UrhG an den gestreamten Filmen, die zum Gegenstand der Massenabmahnungen gemacht werden. Schutzgegenstand der Leistungsschutzrechte des Filmherstellers ist nicht die geistige Werkschçpfung, sondern die wirtschaftliche und organisatorische Leistung des Filmherstellers an der Produktion. Ein Eingriff in das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers liegt im Falle des Streamings unabhngig von der Werkqualitt der gleichzeitig gespeicherten und wiedergegebenen Fragmente vor. Bereits die Zwischenspeicherung kleinster Bildausschnitte des Films kann einen Eingriff in das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers darstellen.18 Aufgrund der Dauer der Audiovideosequenzen, die als Fragmentdateien eines Filmwerkes zum Zwecke der verzçgerungsfreien Wiedergabe gleichzeitig zwischengespeichert werden, soll auch bei den gegenwrtig technisch mçglichen, weniger speicherintensiven Streaming-Verfahren stets ein Eingriff in das Vervielfltigungsrecht des Filmherstellers aus §§ 95, 94 Abs. 1 S. 1 UrhG vorliegen.19 Die Frage eines Eingriffs in das Vervielfltigungsrecht der Rechteinhaber, wenn geschtzte Audiovideoinhalte im Streamingverfahren konsumiert werden, bleibt daher letztlich auch eine Einzelfallfrage, die von der technischen Entwicklung der eingesetzten Streaming-Technologien bestimmt werden wird. IV. Schranken des Vervielfltigungsrechts: Vorbergehende Zwischenspeicherungen Ungeachtet eines Eingriffs in das Vervielfltigungsrecht der Rechteinhaber, kçnnen sich die Nutzer von Streamingangeboten – unabhngig von der Rechtmßigkeit der Quelle – auf die Schrankenbestimmung des § 44 a Nr. 2 UrhG berufen. Auf welche vermeintlichen „gerichtlichen Entscheidungen zur Unzulssigkeit des Streaming aus offensichtlich illegalen Quelle“ die Rechtsanwaltskanzlei in ihrer Pressemitteilung verweist, 20 bleibt im Dunklen. 11 Busch, GRUR 2011, 496, 497 f.; Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677 f. 12 Heerma, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 3. Aufl. 2009, § 16 Rn. 16; Loewenheim, in: Schricker, Urheberrecht, 4. Aufl. 2010, § 16 Rn. 20. 13 Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677 f. 14 EuGH, 16. 7. 2009 – C-05/08, K&R 2009, 707 f. – Infopaq. 15 RL 2001/29/EG des Europischen Parlaments und des Rates vom 22. 5. 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. 16 Busch, GRUR 2011, 496; 499 f. m. w. N.; Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677 f. 17 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R 2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy. 18 BGH, 19. 11. 2009 – I ZR 128/07, K&R 2010, 509 – Film-Einzelbilder; BGH 20. 12. 2007 – I ZR 42/05, K&R 2008, 442 ff. – TV-Total. 19 Technisch detailliert hierzu Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 677; vgl. auch Busch, GRUR 2011, 498, 500; Stieper, MMR 2012, 12, 14. 20 Pressemitteilung (Fn. 3). K &R 2/2014 Mit § 44 a Nr. 2 UrhG setzt der Gesetzgeber Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG wçrtlich um. Zulssig und von der Zustimmung der Rechteinhaber freigestellt sind vorbergehende Vervielfltigungshandlungen, die (1) flchtig oder begleitend sind und (2) einen integralen und wesentlichen Teil eines technischen Verfahrens darstellen. Weitere Voraussetzungen sind, dass (3) die Vervielfltigung eine rechtmßige Nutzung eines Werkes oder sonstigen Schutzgegenstands ermçglicht und diese Nutzung (4) keine eigenstndige wirtschaftliche Bedeutung hat. 1. Vorbergehende Vervielfltigungen als integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens Die Schrankenbestimmung des § 44 a Nr. 2 UrhG greift nur, wenn die Datenspeicherungen in Folge der Nutzung von Streaming-Diensten vorbergehend erfolgt, d. h. nicht von Dauer sind. Zustzlich mssen diese Vervielfltigungen flchtig oder nur begleitend sein. Vervielfltigungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann „flchtig“ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 der RL 2001/ 29, wenn ihre Lebensdauer auf das fr das ordnungsgemße Funktionieren des betreffenden technischen Verfahrens Erforderliche beschrnkt wird. Das Speicherverfahren muss derart automatisiert sein, dass es die Daten automatisch und ohne Beteiligung einer natrlichen Person lçscht, sobald die Funktion der Speicherung, die Durchfhrung eines Wiedergabeverfahrens zu ermçglichen, erfllt ist.21 Datenspeicherungen z. B. im Arbeitsspeicher (RAM), die erst nach Schließung des Internetbrowsers oder erst nach Beendigung der Arbeitssitzung mit dem Abschalten des Gerts gelçscht werden, drften nach der strengen Rechtsprechung des EuGH nicht mehr nur „flchtig“ sein. Allein auf die Abhngigkeit des Arbeitsspeichers von der Stromversorgung drfte eine Flchtigkeit der Vervielfltigung daher auch nicht mehr gesttzt werden kçnnen.22 Erfolgt eine Zwischenspeicherung beim Streaming von Videos im Arbeitsspeicher des Zielrechners zeitlich ber den Abschluss des Abspielens des Videos hinaus, lge eine Privilegierung gleichwohl unter dem Aspekt der „begleitenden“ vorbergehenden Vervielfltigung vor. Bei allen temporreren Streams erfolgt eine Vervielfltigung nur, um die Audiovideodaten wiederzugeben.23 Schließlich ist die Zwischenspeicherung auch integraler und wesentlicher Teil eines technischen Verfahrens i. S. d. § 44 a UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG. Ohne eine Zwischenspeicherung wre eine verzçgerungsfreie Wiedergabe der empfangen Audiovideoinhalte nicht zu gewhrleisten. Eine Privilegierung und Freistellung der Vervielfltigung gemß § 44 a UrhG scheidet jedoch dann aus, wenn der Nutzer die zwischenspeicherten Daten z. B. mittels eines Stream-Downloaders automatisch an einem bestimmten Ort auf der Festplatte des Zielrechners dauerhaft speichert.24 2. Zu einer rechtmßigen Nutzung Die rechtliche Kernfrage, die die massenhaften Abmahnungen gegen RedTube-Nutzer betrifft, ist die „Rechtmßigkeit der Nutzung“ gemß § 44 a Nr. 2 UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG. Der Wortlaut der Schrankenregelung knpft im Gegensatz zum Privatkopienprivileg des § 53 Abs. 1 UrhG nicht an die Rechtm- Redlich, RedTube-Abmahnungen 75 ßigkeit der Vorlage, sondern an die Rechtmßigkeit der Nutzung an. Eine Nutzung soll als rechtmßig gelten, soweit sie vom Rechtsinhaber zugelassen bzw. nicht durch Gesetze beschrnkt ist, 33. Erwgungsgrund der RL 2001/ 29/EG. Das reine Anzeigen von Videodateien auf dem Bildschirm des Nutzers stellt wie das Lesen eines Buches oder das Betrachten eines Kunstwerkes eine unkçrperliche Nutzung dar, die nicht der Zustimmung des Rechteinhabers bedarf.25 Auch der EuGH hat in seiner Entscheidung Football Association Premier League u. Murphy26 unmissverstndlich auf die Rechtmßigkeit des Empfangs und nicht auch auf die Rechtmßigkeit der Sendung abgestellt, auf die Zugriff genommen wird. So heißt es unter Rn. 171 f. des Urteils wçrtlich: „Der bloße Empfang dieser Sendungen als solcher, also die Erfassung ihres Signals und ihre visuelle Darstellung im privaten Kreis, stellt aber keine durch die Regelung der Union oder die des Vereinigten Kçnigreichs beschrnkte Handlung dar, [...]; diese Handlung ist demzufolge rechtmßig [...]. Es ist daher festzustellen, dass es alleiniger Zweck dieser Vervielfltigungshandlungen ist, eine ‚rechtmßige Nutzung, der Werke im Sinne von Art. 5 Abs. 1 b) der Urheberrechtsrichtlinie zu ermçglichen.“ Der EuGH hat eine enge Auslegung der Schranke des Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG abgelehnt. Was fr den Empfang von Rundfunksignalen, die temporre Speicherung dieses Signals mittels eines Satellitendecoders und die Wiedergabe eines Fußballspiels auf einem Fernsehbildschirm gilt, lsst sich zwanglos auch auf den Aufruf, die Zwischenspeicherung und Wiedergabe eines Videos im Wege eines Streaming-Verfahrens bertragen.27 Zwar ist die Auslegung des § 44 a Nr. 2 UrhG weiterhin streitig.28 Unter Bercksichtigung der Verbreitung und der wirtschaftlichen Bedeutung des Streaming soll unter Anwendung einer „Quellentheorie“ auf die tatschliche Rechtmßigkeit der Quelle der aufgerufenen Inhalte, statt auf die Rechtmßigkeit der Nutzung abgestellt werden. Ziel sei es einen sach- und interessensgerechten Ausgleich zu Gunsten der Rechteinhaber herzustellen.29 Ferner wird vertreten, dass der Rechtsgedanke des § 53 Abs. 1 UrhG auch auf § 44 a Nr. 2 UrhG bertragen werden kçnne.30 Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber die Freiheit des Werkgenusses – im Gegensatz zur dauerhaften Speicherung und Vervielfltigung – gerade nicht an die Rechtmßigkeit der verwendeten Quelle geknpft hat.31 Ohne eine nderung und Eingrenzung der Schrankenbestimmung des § 44 a Nr. 2 UrhG bzw. Art. 5 Abs. 1 lit. b) der RL 2001/29/EG durch den Gesetzgeber, besteht kein Raum, contra legem die Privilegierung der Zwischenspeicherung an die Rechtmßigkeit der Vorlage zu knpfen, statt an die Rechtmßigkeit der Nutzung, d. h. der Wiedergabe. Sptestens seit der Rechtsprechung des 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 EuGH, 16. 7. 2009 – C-05/08, K&R 2009, 707 f. KG Berlin, 30. 4. 2004 – 5 U 98/02, CR 2004, 688 ff. – Ausschnittdienst. Busch, GRUR 2011, 496, 501; Stolz, MMR 2013, 353, 356. Redlich, K&R 2012, 713, 714. BGH, 4. 10. 1990 – I ZR 139/89, CR1991, 80 ff. – Betriebssystem; Busch, GRUR 2011, 496, 497. EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R 2011, 713-719 – Football Association Premier League u. Murphy. Stieper, MMR 2012, 12, 15. Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 680 ff.; Radmann, ZUM 2010, 387, 391 f.; Busch, GRUR 2011, 496, 501. Ausfhrlich hierzu Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 680 ff. Busch, GRUR 2011, 496, 501. Stieper, MMR 2012, 12, 15. 76 Redlich, RedTube-Abmahnungen EuGH in seiner Entscheidung Football Association Premier League u. Murphy32 besteht auch kein Raum fr eine restriktive Auslegung bzw. Umdeutung des Begriffs der „Rechtmßigkeit der Nutzung“ und einen einschrnkenden Rckgriff auf § 53 Abs. 1 UrhG bei einem Zugriff auf „offensichtlich rechtswidrige“ Quellen. Maßgeblich ist allein die gegebene Rechtmßigkeit der Nutzung, d. h. der zustimmungsfreien Wiedergabe der aufgerufenen Videodatei zum privaten Genuss. 3. Zu einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung Vorbergehenden Vervielfltigungen fehlt es an einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung, wenn sie lediglich zu Nutzungsmçglichkeiten fhren, die von der Zustimmung des Rechteinhabers umfasst sind bzw. sich nicht im Rahmen der gesetzlichen Grenzen befinden, 33. Erwgungsgrund der RL 2001/29/EG. Die Schrankenbestimmungen des § 44 a UrhG soll generell zwar eng auszulegen sein, um den Urheber an der wirtschaftlichen Nutzung seiner Werke angemessen zu beteiligen und ihn hinsichtlich der Werkverwertung zustehenden Ausschließlichkeitsrechte nicht bermßig zu beschrnken.33 Nach der Rechtsprechung des EuGH gengt fr die Annahme einer „eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung“ jedoch nicht, dass das Streamen von Filmen einen wirtschaftlichen Wert besitzt und der Zugang zu ihnen zwangslufig eine wirtschaftliche Bedeutung hat. Um der Ausnahme des Art. 5 Abs. 1 der RL 2001/29/EG nicht ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen, muss die wirtschaftliche Bedeutung in dem Sinne eigenstndig sein, dass sie ber den wirtschaftlichen Vorteil, der durch den bloßen Empfang einer Sendung mit geschtzten Werken entsteht, hinausgehen, d. h. ber den Vorteil, der sich aus der bloßen Erfassung der Sendung und ihrer visuellen Darstellung ergibt. Im Falle des Empfangs von Rundfunksignalen und deren temporrer Speicherung mittels eines Satellitendecoders zum Zwecke der Wiedergabe sah das Gericht die vorbergehenden Vervielfltigungshandlungen als nicht geeignet, einen zustzlichen wirtschaftlichen Vorteil zu schaffen, der ber den Vorteil hinausgeht, der durch den bloßen Empfang der Sendungen entsteht.34 Nichts anderes kann daher auch fr die Nutzung von Streaming-Angeboten gelten, wenn der wirtschaftliche Wert der Zwischenspeicherung sich in der Wiedergabe der Inhalte erschçpft. Zudem ist die Zwischenspeicherung mit den Fllen des Browsing und Caching vergleichbar, die grundstzlich von der Zustimmung der Rechteinhaber freigestellt werden sollen, um das effiziente Funktionieren der bertragungssysteme ermçglichen, 33. Erwgungsgrund der RL 2001/29/EG. Die Zwischenspeicherung dient allein der reibungslosen und der verzçgerungsfreien Wiedergabe der empfangenen Inhalte.35 Dass die Zwischenspeicherung ein verzçgerungsfreies Vor- und Zurckspielen erlaubt, fhrt nicht zu einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung, da dies Bestandteil des technischen Wiedergabeverfahrens ist, dessen Funktionsfhigkeit die Speicherung sicherstellt.36 Soweit ber den Wiedergabevorgang hinaus keine lngerfristige Speicherung der aufgerufenen Mediendatei erfolgt, die einen Werkgenuss unabhngig von der Quelle ermçglicht, fehlt es daher an einer eigenstndigen wirtschaftlichen Bedeutung der Vervielfltigung. 2/2014 K &R 4. Ergebnis und Ausblick Zusammenfassend fehlt es im Falle der RedTube-Abmahnungen offenkundig an einer Verletzung der Vervielfltigungsrechte des Rechteinhabers an den Videofilmen. Die Abmahnungen erfolgten rechtsgrundlos und an der Grenze zur strafrechtlichen Relevanz. Die Zwischenspeicherung zum Zwecke der Wiedergabe der gestreamten Filme kann der Rechteinhaber an den Filmen nicht beanstanden. Auch wenn die IP-Adressen eine Rckverfolgung des Anschlussinhabers zulassen, lassen sich hieraus keine Erkenntnisse ber eine langfristige Speicherung der Mediadateien schließen, die einer Anwendbarkeit des § 44 a Nr. 2 UrhG entgegenstehen. Einen Rckschluss, dass die Zwischenspeicherungen nach Aufruf und Wiedergabe der Filme im Webbrowser des Nutzers aus dem Arbeitsspeicher gelçscht bzw. berschrieben wurden, lassen die IP-Adressen nicht zu. Auf welche „gerichtlichen Entscheidungen zur Unzulssigkeit des Streaming aus offensichtlich illegalen Quelle“ die abmahnende Kanzlei sich laut ihrer Pressemitteilung sttzt, bleibt unklar und hçchst zweifelhaft. Die Rechtsauffassung steht jedenfalls in evidentem Widerspruch zum Wortlaut des § 44 a Nr. 2 UrhG und der Rechtsprechung des EuGH. Ob die abgemahnten Nutzer zum Zwecke der Wiedergabe der Filme auf eine rechtswidrige Vorlage zugegriffen haben, mag dahinstehen. Fr eine Privilegierung der Zwischenspeicherung und Freistellung der Vervielfltigung von der Zustimmung der Rechteinhaber ist letztlich auch unbeachtlich, ob es fr die Nutzer „offensichtlich“ war, dass die Filme illegal ber die Plattform RedTube zum Abruf bereitgehalten worden sein sollen. Die Wiedergabe, d. h. das Anschauen von urheberrechtlich geschtzten Inhalten im Wege eines Streaming-Verfahrens bleibt eine „rechtmßige Nutzung“ wie die Lektre eines (ggf. raubkopierten) Buches. Auch das Justizministerium hat sich laut Presseberichten auf eine Anfrage der Linken dieser Auffassung angeschlossen: „Nutzer verletzen das Urheberrecht nicht, wenn sie Videos im Browser schauen“. Letztlich kçnne die Frage aber „nur vom Europischen Gerichtshof entschieden werden“.37 Der Oberste Gerichtshof Wien hat dem EuGH zur Vorabentscheidung die Frage vorgelegt, ob eine flchtige und begleitende Vervielfltigung (Art. 5 Abs. 1 RL 2001/ 29/EG.) nur dann zulssig ist, wenn die Vorlage der Vervielfltigung rechtmßig vervielfltigt, verbreitet oder çffentlich zugnglich gemacht wurde.38 Im Interesse der Nutzer von Streaming-Diensten und zum Schutz vor zweifelhaften Rechteinhabern und eifrigen Abmahnanwlten wre eine Klarstellung seitens des EuGH jedenfalls wnschenswert. Jedenfalls die Gerichte drften sptestens durch die Berichterstattung hellhçrig werden, wenn Rechteinhaber Auskunftsansprche gegen Access-Provider erheben, um die Daten der betroffenen Anschlussinhaber zu erhalten, die im Internet ber Streamingplattformen Filmwerke konsumiert haben sollen. 32 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R 2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy. 33 BGH, 29. 4. 2010 – I ZR 69/08, K&R 2010, 501 ff. – Vorschaubilder I. 34 EuGH, 4. 10. 2011 – C-403/08, C-429/08, C-403/08, C-429/08, K&R 2011, 713 ff. – Football Association Premier League u. Murphy. 35 Wandtke/von Gerlach, GRUR 2013, 676, 682; Stolz, MMR 2013, 353, 356. 36 Stieper, MMR 2012, 12, 16. 37 http://www.spiegel.de/politik/deutschland/porno-abmahnungen-justizmin isterium-haelt-streaming-fuer-unbedenklich-a-942198.html. 38 OGH, 11. 5. 2012 – 4 Ob 6/12d, GRUR Int. 2012, 934 ff.