von mehr nürnberg

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Seite 38
F Samstag, 12. Dezember 2015
Nürnberg
SPORT
Ein Nürnberger lebt
seinen Eishockey-Traum
Martin Müller, Reinhard Hussenether, Werner Bingold
und Bernd Herzig heißen die großen Spieler dieser Stadt.
Im fernen Massachusetts schickt sich der 24 Jahre alte
Torhüter Niklas Treutle an, sie alle in den Schatten zu stellen.
Ein Interview über den beschwerlichen Weg in die NHL.
Die nächste Parade: Den Springfield Falcons ist Niklas „Ninja“ Treutle bislang ein verlässlicher Rückhalt, in acht AHL-Spielen hat er 22 Tore kassiert.
Niklas Treutle sitzt im Bus, als er diese
Fragen beantwortet. Es geht nach
Portland in Maine, über die Interstates
90, 395, 495 und 95, durch Massachusetts, durch den Verkehr des Großraumes Boston, an Salem, Portsmouth
und York vorbei, bis nach Portland im
Bundesstaat Maine. Das Spiel am
Abend wird der Nürnberger von der
Bank aus verfolgen, was nicht zu seinem Nachteil ist. Die Springfield Falcons verlieren, im Tor kann Louis Domingue das 1:5 gegen die Portland Pirates nicht verhindern. Beim Heimspiel am Freitag gegen die Binghamton Senators könnte wieder Treutle für
das Farmteam der Arizona Coyotes
auflaufen. Doch als der 24 Jahre alte
Nationaltorhüter über gastfreundliche
Superstars, die Reize von Springfield
und seine Verbundenheit zu Nürnberg
redet, weiß er das noch nicht.
Sie haben Ihr erstes DEL-Spiel im
Trikot der Ice Tigers absolviert, haben
mit Hamburg und München immer
mal wieder in Nürnberg vorgespielt.
Wie gut Sie tatsächlich geworden
sind, weiß man hier erst, seitdem
Tyler Beskorowany für die Ice Tigers
aufläuft. Er behauptet, Sie seien nicht
schuld an seiner Rückkehr in die
DEL. Offensichtlich hat er aber nicht
mehr damit gerechnet, an Ihnen vorbeizukommen. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, Herr Treutle?
Niklas Treutle: Nein überhaupt
nicht. So ist eben das Geschäft und
wir wussten beide, dass es am Ende
einen von uns treffen kann. Tyler hat
sich für den Schritt zurück entschieden und es freut mich für ihn, dass er
in einer tollen Stadt und in einer starken Mannschaft gelandet ist. Ich bin
mir sicher, ihm gefällt es in Nürnberg.
Treutle: Ich bin der Meinung, techdurchsetzen. Der Wechsel war zu die- der AHL konstant gute Leistungen zu
nisch kann die DEL auf jeden Fall mitsem Zeitpunkt keine Option für mich. zeigen.
halten. Die Spieler in der AHL sind
Es wirkt ohnehin eher so, als hätten
Wären Sie enttäuscht, wenn es schneller und spielen körperbetonter.
Sie Ihre Karriere in Nordamerika nicht gleich im ersten Jahr mit einem Diese Eigenschaften, gepaart mit der
kleineren Eisfläche, macht es den techgeneralstabsmäßig geplant. Sie haben Einsatz in der NHL reichen würde?
sich in der Schweiz auf das ProspectTreutle: Wenn man schon mal in der nisch versierten Spielern schwer und
Camp im Sommer vorbereitet und auf Organisation ist, will man auch den schön herausgespielte Tore sieht man
der Ranch von Shane Doan gelebt, der letzten Schritt schaffen und in der eher selten. Es ist schwer zu beurteiNHL dabei sein. Wurde man am Ende len, welche Liga besser ist, doch das
der Saison kein einziges Mal hochgeru- Tempo ist in der AHL höher und die
fen, ist sicherlich etwas Enttäuschung Teams durch die vielen Spieler mit
„Die Stimmung bei
NHL-Ambitionen stärker aufgestellt.
dabei.
DEL-Spielen ist
um einiges besser.“
lange Zeit Kapitän der kanadischen
Nationalmannschaft war und bei den
Arizona Coyotes eine spielende Legende ist. Woher hatten Sie solche Kontakte und wie lebt so ein EishockeySuperstar?
Treutle: Das Camp in der Schweiz
wird jährlich von mehreren NHL-Torhütern besucht und vom Torwarttrainer der Colorado Avalanche geleitet.
Ich träumte schon seit Jahren von
einem Wechsel nach Nordamerika
Der große böse David Wolf kehrte
nach nur einem Jahr in der AHL trotz
guter Aussichten, sich einen Platz im
Kader der Calgary Flames zu erkämpfen, wieder nach Hamburg zu den
Freezers zurück. In der EishockeySzene hat das Unverständnis ausgelöst. Können Sie ihn verstehen?
Teutle: Ich weiß nicht, was seine
Beweggründe waren, doch das Leben
hier ist schon etwas anderes. Man verzichtet auf so vieles, die zahlreichen
Spiele und das harte Training gehen
an die Substanz und Familie und
Freunde fehlen ebenfalls. Auf jeden
Treutle: Nein, um Rat brauchte er
mich erst gar nicht zu fragen. Wir
wohnten die ersten Monate beide im
selben Hotel und haben dementsprechend viel Zeit miteinander verbracht. Da unterhält man sich viel
und wenn es um die Heimat geht,
dann komme ich grundsätzlich ins
Schwärmen.
Martin Jiranek hat verraten, dass er
nach der Verletzung von Jochen Reimer auch bei Ihnen angefragt hat.
Haben Sie dem Nürnberger Sportdirektor gleich abgesagt oder war es
kurzzeitig doch reizvoll, in Ihre Heimatstadt zurückzukehren?
Treutle: Über das Interesse aus der
eigenen Heimat freut man sich natürlich, doch ich habe lange auf meine
Chance in Nordamerika gewartet und
ich wollte mich in der AHL unbedingt
zu sein. Wie erklärt sich so ein seltsamer Spielplan?
Treutle: Es ist eine große Anzahl an
Spielen in einem relativ kurzen Zeitraum. Meine Teamkollegen haben mir
erzählt, dass es uns dieses Jahr noch
schlimmer erwischt hat als gewöhnlich. Den letzten Monat hatten wir
jedes Wochenende drei Spiele in drei
Tagen.
Nach Ihrem Wechsel nach Hamburg
waren sie frühzeitig daran gewohnt,
alleine zu wohnen. Wie wohnen Sie in
Wie ist die Atmosphäre in der Kabi- Springfield?
ne der Falcons? Mindestens die Hälfte
Treutle: Ich habe mir mit zwei Teamder Spieler macht sich Hoffnungen, in kollegen zusammen ein großes Haus
den NHL-Kader hochgezogen zu wer- gemietet.
den, jeder kämpft zunächst einmal für
sich alleine. Spürt man das im
Hatten Sie schon Besuch aus NürnUmgang miteinander?
berg im MassMutual-Center?
Treutle: Die Stimmung in der KabiTreutle: Ich kann leider nicht
ne ist super, da gibt es eigentlich kei- behaupten, dass Springfield ein tolles
nen Unterschied zu Deutschland. Auf Reiseziel ist. Zum Glück kommt meidem Eis geht es aber schon anders zur ne Freundin aus München trotzdem
Sache. Auch an einem Donnerstag nach Weihnachten für fünf Wochen
wird noch mit Vollgas trainiert, zu Besuch. Auch ein Besuch meiner
obwohl man von Freitag bis Sonntag Eltern aus Nürnberg ist geplant.
drei Spiele hat. Man merkt das schon
Tyler Beskorowany nennt Sie
immer noch Turtle, so wie Sie alle
Nordamerikaner in der DEL nennen.
In Springfield aber scheint Ninja Ihr
neuer Spitzname zu sein. Wie kam es
denn dazu?
„Ausschließen würde
ich einen Wechsel nach
Nürnberg niemals.“
Oder sind Sie letztlich doch schuld
daran, dass er nach Nürnberg gewechselt ist? Wenn auch in einem positiven
Sinn. Hat er Sie vor seiner Entschei- Niklas Treutle, 2009, beim Foto-Shoo- Niklas Treutles Maske mit unverkennbadung um Rat gefragt?
ting der Ice Tigers.
Foto: Weigert rem Heimatbezug. F: Headstrong Grafx
„Ein Wechsel nach
Nürnberg war zu diesem
Zeitpunkt kein Thema.“
Foto: Imago
und wollte dementsprechend vorbereitet sein. Der Kontakt zu Shane kam
durch Tobias Rieder zustande. Es war
natürlich sehr hilfreich, einen Deutschen Mitspieler zu haben, der sich in
der Organisation schon auskennt. Shane Doan ist der Inbegriff eines Führungsspielers und hat uns auf seiner
eigenen Pferderanch wohnen lassen.
Er ist ein total sympathischer Kerl
und hat keinerlei Star-Allüren. In
sein Haus hat er uns ebenfalls zum
Essen eingeladen. Das war alles schon
sehr beeindruckend.
Im Vorbereitungstrainingslager hat
man Sie relativ spät in das Farmteam
der Coyotes nach Massachusetts
geschickt. Und bei den Springfield
Falcons läuft es für Sie in der AHL
auch sehr gut. Nach zwei Shutouts in
Folge sah es von Deutschland aus so
aus, als ob es nur eine Frage der Zeit
wäre, bis Sie in die NHL abberufen
werden. Täuscht der Eindruck?
Treutle: Es kann alles sehr schnell
gehen und man hofft natürlich immer
auf einen Anruf, doch es gehört auch
Glück dazu. Wichtig ist vor allem, in
Fall weiß ich jetzt, wie hart es ist hier
zu spielen und schätze seine Leistung
in der letzten Saison noch höher ein.
Die NHL kennt man auch in
Deutschland, die AHL kann man sich
hingegen kaum vorstellen. Das Bild
ist geprägt von nordamerikanischen
Eishockey-Spielern, die frustriert
nach Europa wechseln. Vielleicht können Sie erklären, was die AHL von der
DEL unterscheidet: Nordamerikaner
schwärmen von der Stimmung in der
DEL, ist denn die Stimmung in den
AHL-Arenen gar so schlecht?
Treutle: Viele Teams spielen in
großen Arenen doch haben sie relativ
wenige Zuschauer. Die Stimmung bei
DEL-Spielen ist um einiges besser,
doch daran gewöhnt man sich schnell.
Ich müsste aber lügen, wenn ich
behaupten würde, die Stimmung in
den DEL-Stadien fehlt mir nicht.
Wie ist das spielerische Niveau? Bei
der DEL hat man den Eindruck, dass
das Niveau bestenfalls stagniert – ist
das Spiel in der AHL schneller, härter, technisch besser?
Treutle: Es gab da einen kleinen Vorfall während einem Spiel. Die Partie
geriet kurz vor Schluss ziemlich außer
Kontrolle und ein gegnerischer Spieler entschloss sich, auf mich loszugehen. Ich habe versucht mich zu wehNiklas Treutle, 2015, beim Foto-Shoo- ren und danach machte der Spitznating der Arizona Coyotes. Foto: privat me bei den Fans ein wenig die Runde.
In der Mannschaft bin ich aber nach
in der Vorbereitung. Es gibt wenig wie vor der Turtle.
Plätze für viele Spieler und dementsprechend hart trainiert jeder.
Sie kennen Beskorowany, Sie kennen die Ice Tigers und Sie kennen die
In einem Interview haben Sie DEL. Was trauen Sie Ihrem ehemaligesagt, dass Ihnen die kleine Eisfläche gen Klub in dieser Saison zu?
in Nordamerika besser liegt. Können
Treutle: Prognosen sind schwer,
Sie erklären, warum das so ist?
weil die Liga so ausgeglichen ist.
Treutle: Die Spieler hier haben Tyler strahlt Ruhe aus und zeigt konweniger Zeit und Platz zum Schießen stant starke Leistungen. Ich denke,
und die Pucks werden aus jeder Lage die Ice Tigers schaffen dieses Jahr
zum Tor gebracht. Es geht alles schnel- einen Platz unter den ersten sechs und
ler und ist geradliniger, da ist das Stel- dann kann es auch in den Playoffs wielungsspiel extrem wichtig und man der für mehr reichen.
muss das Spiel gut lesen können. Man
bekommt in fast jedem Spiel über 35
Und besteht eine Chance darauf,
Schüsse auf das Tor und ist noch mehr dass Sie irgendwann doch noch einam Spiel beteiligt. Mir liegt dieses mal für die Ice Tigers auflaufen?
Spiel und es macht einfach Spaß.
Treutle: Nürnberg ist meine Heimat
und mich verbindet sehr viel mit dem
Wie in der NHL, ist eine Saison Verein. Beim EHC 80 habe ich Schlittauch in der AHL sehr lang. Dafür schuh laufen gelernt und in der schwescheinen die Spiele nicht so gut ver- ren Zeit, als die Ice Tigers kurz vor
teilt zu sein. Am Wochenende stand dem Aus standen, war ich Teil der
zum Beispiel ihr Konkurrent und Kol- Mannschaft. Im Moment liegt mein
lege Louis Domingue am Freitag und Fokus wo anders, doch komplett ausSamstag im Tor. Sie hatten dann das schließen würde ich einen Wechsel
Vergnügen, Ihrer müden Mannschaft nach Nürnberg niemals.
im dritten Spiel in Folge der Rückhalt
Fragen: SEBASTIAN BÖHM