DREIRAUM - Eva-Maria Übelhör / Paul Ahl / Annette Gronbach

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DREIRAUM - Eva-Maria Übelhör / Paul Ahl / Annette Gronbach
DREIRAUM - Eva-Maria Übelhör / Paul Ahl / Annette Gronbach - Kunstverein March.
Vernissage am Mittwoch, 05.11.2014 um 19.00 Uhr
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Dreiraum ist keine thematische Gruppenausstellung. Es gibt kein kuratorisch-inhaltliches Interesse, sondern ein Nebenander
von Einzelpositionen auf engem Raum. Eigentlich ziemlich viel Kunst für die Ausstellungssituation hier … Ist das gut?
JA!!! Man kann dem Kunstverein March zu dieser Ausstellung nur gratulieren, jungen Künstlern aus der Region eine etablierte Plattform zu geben. Gerade jetzt ist das wichtig, an der Schnittstelle zwischen Studium und den ersten Schritten auf
dem freien Kunstmarkt. So wird den Künstlern eine gute Gelegenheit geboten, Ausstellungserfahrungen zu sammeln - gewiss auch ein Test für alle Beteiligten. Und da es heute hier eben nicht nur um die Kunst geht, sondern auch um diese neue
Lebenssituation, das Berufsbild „Künstler“, möchte ich später noch näher darauf eingehen.
Doch zunächst wieder zurück zur Ausstellung …
Wenn sie sich umschauen sehen sie, es funktioniert erstaunlich gut: professionell präsentieren sich starke Einzelpositionen
zu einer geschlossenen Ansicht. Nicht zuletzt sicher auch, weil sich alle drei Künstler aus der Akademie kennen, wo sie einige Semester miteinander gearbeitet, diskutiert, sich gegenseitig kritisiert und gemeinsam gefeiert haben ... Am Ende überzeugt das Ergebnis, die gemeinsam akribisch erarbeitete Hängung.
Drei Positionen verbinden sich dennoch – biografisch und formal:
Wir sehen hier Diplomarbeiten, die nun einer kunstinteressierten Öffentlichkeit präsentiert werden am Übergang zwischen
Studium und der großen weiten (Kunst-)Welt.
Es sind starke Positionen: jeweils mehrere Arbeiten zu einem gewählten Thema, innerhalb einer oder sich ergänzende Gattungen, die erste ausgearbeitete Formulierung einer eigenen künstlerischen Sprache, noch kein Werkkomplex, aber erkennbar konsequente Ausführungen.
… formale Gemeinsamkeiten: 3-Dimensionalität/ Bildhauerei/ Objekte/ Installationen/ die
Verwendung von „armen“ Materialien wie Erde, Asche, Äste …
Eva-Maria Übelhör
…erzählt Geschichten – sie schafft mit ihren Installationen atmosphärische Denkräume, in denen Kindheitsträume, eigentlich eher Ängste aus Kindertagen thematisiert werden.
Dabei arbeitet sie gezielt mit formalen und inhaltlichen Brüchen, so dass Freiräume entstehen für entsprechende Konnotationen:
Der lichte Wald wird zum unheimlichen Ort, an dem man sich laut pfeifend oder singend Mut machen möchte.
Ein Schutzengel wird zur repressiven Überwachungsinstitution.
Das Bett, der warme gemütliche Rückzugsort, wo man zum Schutz vor Monstern einfach nur die Decke über den Kopf ziehen muss, wird zur unsicheren Insel. Mit einem Kissen hart aus Beton. Noch dazu bestickt mit einem ambivalenten Versprechen, nur unter gewissen Umständen den nächsten Morgen zu erleben.
Das Gedicht Guten Abend, gut’ Nacht wurde in der Vertonung von Johannes Brahms unter dem Titel Wiegenlied zu einem
der bekanntesten Schlaflieder.
Eine Textstelle, die sich für heutige Hörer nicht unmittelbar erschließt, ist die Wendung „Morgen früh, wenn Gott will, wirst du
wieder geweckt“. Beim Hören kann man auf den Gedanken kommen, dass das Aufwachen am folgenden Morgen von einer
Willkürentscheidung Gottes abhängen könnte. Tatsächlich bringt diese Formulierung eine Demutshaltung zum Ausdruck,
dass die Zukunft in Gottes Hand liegt.
Diese Form von Religiösität und Erziehungskonventionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bewegen sich in der heutigen
Wahrnehmung zwischen Fürsorge und Repression – es ist manchmal nur ein schmaler Grad.
Paul Ahl
… arbeitet mit Erde und Ton.
Er imitiert Prozesse in der Natur, in der ganze Landschaften durch Bodenerosion, das sukzessive Wegschwemmen von
Sand und Erde langsam verändert werden.
Erste Arbeiten (links) ließ er Monate im Regen liegen. Auswaschungen und Verfärbungen entstanden im Laufe dieser Zeit
und wurden durch den Brennvorgang konserviert.
Mittlerweile geht er gezielter vor, er beschleunigt den Vorgang, indem er mit einem Hochdruckreiniger kontrolliert Material
auf den vorbereiteten Flächen abträgt. Aufgelegte Objekte hinterlassen dabei ihre erhabenen Spuren.
Von frühen Arbeiten bis hin zu aktuellen Ergebnissen sind seine Reliefplatten in der Ausstellung nebeneinander zu sehen.
Die Chronologie einer Idee, bei der die Motive immer weniger wichtig zu werden scheinen.
In der Reihung erkennt man verschiedene Werkphasen, in denen Paul Ahl mit verschiedenen Holzbrandtechniken experimentiert hat. Bei diesen eher einfachen Brenntechniken bleiben die Temperaturen nie konstant – was man an der unterschiedlichen Farbigkeit der Scherben gleichen Materials erkennt.
Das Werkstück zerspringt oftmals beim Brennen zu einem Scherbenhaufen. Keine Katastrophe, sondern ein kalkulierter
Fehler, denn damit beginnt die Weiterarbeit, die eigentliche Herausforderung künstlerischer Entscheidung: das erneute Zusammensetzen ausgewählter Fragmente.
Zufall (Zeit) und Entscheidung – auf diesen Aspekten beruht maßgeblich das künstlerische Konzept. Paul Ahl beschäftigt
sich somit mit den grundlegenden Aspekten gestalterischen Arbeitens, insbesondere mit den künstlerischen Strategien und
nach wie vor aktuellen Fragen der Moderne.
Annette Gronbach
… baut Objekte aus Pappe und Papier, auf Drahtgerüste gezogen und mit Asche bestreut.
Groß und grau dominieren sie an der Wand und auf dem Boden den Raum.
Körperfragmente. Phallisch figurative Fetische einer Leiblichkeit, die ihr Inneres haarig verfilzt nach außen kehren.
Leiblichkeit und Weiblichkeit kumulieren in torsohaften Körpern, die zum Träger erotischer Bedeutung und emanzipatorischen Ausdrucks werden. Schönheit muss der Hässlichkeit und der sichtbar gemachten Fetischisierung weichen, um im
subtilen Nebeneinander von Bewunderung und Negation, von Begierde und Abscheu zu einem eigenen Bild von Körperlichkeit zu gelangen.
Annette Gronbach bewegt sich damit auf dem bearbeitetem Terrain der Expressionisten und Dadaisten, mit dem Wissen um
die Auslotung geschlechterdifferenter Perspektiven in der Objektkunst der 60er und 70er Jahre bis hin zur aktuellen GenderForschung.
In ihren Zeichnung – Vorzeichnungen mit hohem künstlerischen Eigenwert – bereitet sie die Gestaltungsideen zu den Objekten vor. Schnell mit Tusche gesetzte Striche offenbaren in einem flüchtigen Moment das fragile Innenleben.
Künstler sein – was bedeutet das, und wie geht’s jetzt weiter?
Vor einigen Tagen habe ich mit den drei Künstlern gesprochen und einiges von deren persönlichen Wünschen und Vorstellungen erfahren. Darüber gibt es auch eine aktuelle Studie zur Situation der jungen Künstlergeneration in BW – entstanden
ist eine Art Stimmungsbild. Zusammenfassend möchte ich einen der Kernpunkte hervorheben: ERFOLG.
Selbstverständlich ist einer der ersten Erfolge zunächst einmal das bestandene Diplom.
Aber wie wird künstlerischer Erfolg definiert? Ist das …
… ökonomischer Erfolg auf dem internationalen Kunstmarkt?
… eine spätere Berufung als Professor?
…oder die Repräsentation durch eine etablierte Galerie?
Tatsächlich bleiben die selbst formulierten Ziele oftmals eher diffus … Stattdessen konzentrieren sich junge Künstler in ihren
Erfolgsdefinitionen auf dehnbare Konzepte oder Begriffe wie „künstlerische Autonomie oder persönliche Weiterentwicklung“.
Diese Unbestimmtheit kann man natürlich auch zurückführen auf die Besonderheit des Künstlerberufs sowie auf die komplexen und sehr individuellen Selbst- und Fremdentwürfe. Zwar ist der Künstlerstatus in Form einer freiberuflichen selbständigen Erwerbstätigkeit formell klar anerkannt und geregelt, doch unterscheidet sich der berufliche Alltag und Karriereplanung
erheblich von anderen freien Berufsständen.
Vergleicht man diese vagen Ziele und unsicheren Erfolgschancen mit der Haltung von Studenten anderer Fachbereiche,
scheint die Zeit zurückgedreht. In einer gerade vom Bundespresseamt beauftragten Studie über die aktuelle Situation der
Studenten an deutschen Hochschulen zeigt sich deutlich ein Wertewandel. Während vor etwa 20 Jahren Erfolge vor allem
durch „persönliche Entwicklung und Weiterbildung“ definiert wurden, stehen heute in diesem stark verschulten Bildungssystem „bessere Marktchancen und ein sicherer Arbeitsplatz“ im Vordergrund.
Da Kunst universell ist, könnte sie also auf einer solch schmalen Basis und vor einem nur ausschnitthaften Erfahrungshorizont nicht wirklich entstehen. Denn „Künstler sein“ bedeutet zugleich Erfinder, Wissenschaftler, Forscher, Manager, Philosoph, Politiker … zu sein.
Diese Offenheit in der künstlerischen Ausbildung und im Berufsbild erscheint zunächst fast nicht greifbar, zu schwierig - bietet aber auch enorme Chancen.
„Künstler sein“ erfordert letztlich ein starkes persönliches Engagement, ausgeprägte Fähigkeiten im Bereich Selfmanagement und ein gesundes Selbstbewusstsein … das kann man alles lernen.
Auf der anderen Seite sind das Interesse des Publikums an der Kunst, an deren Rezeption und die Lust am Diskurs, die Bestätigung durch konkrete Ausstellungsangebote wie jetzt durch den Kunstverein wichtige Motivation und Mosaiksteine innerhalb einer künstlerischen Karriereplanung gerade am Anfang.
Weitere Mosaiksteine fügen sich beispielsweise ein durch die nun geweckte Sammelleidenschaft des Kunstpublikums. Denn
jedes verkaufte Bild die wohl beste und einfachste Form der Künstlerförderung.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen noch eine schöne Vernissage.
Dr. Christoph Schneider
Freiburg im November 2014