1 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser
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1 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser
VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser WS 2004/05, Univ.Ass. Mag. Dr. Christian ROHR Spiel mit dem Wasser: Von der barocken Gartenarchitektur zum Fun-Bad (17. 1. 2005) Spiel mit dem Wasser: Von der barocken Gartenarchitektur zum Fun-Bad – Themenstellung Die wandelnde Einstellung zur Natur, von der Bedrohung zur gezähmten Umgebung, lässt sich kaum deutlicher als am Wasser erkennen. Brunnen wurden schon bald von der reinen Wasserversorgungsstätte zu Orten der kommunalen Repräsentation. Die Anlage von Gärten mit Wasserspielen war schon in den muslimischen Kulturen des „Mittelalters“ verbreitet; in der Renaissance und im Barock wurde sie zum „Must“ in der adeligen Gesellschaft – wir brauchen dabei gar nicht bis nach Italien und Frankreich blicken: bis heute ziehen die Wasserspiele in Schoss Hellbrunn am Stadtrand von Salzburg jährlich viele Tausend Touristen an. Der spielerische Umgang mit dem Wasser manifestiert sich aber auch in der Badekultur seit der Antike und hat sich heute noch weiter entwickelt: Thermenparks und WasserErlebniswelten unterschiedlichster Ausrichtung sind in unserer derzeitigen Freizeitkultur ein fixer Bestandteil geworden. In den Kurstädten entwickelte sich in der Neuzeit eine eigene Kultur der besseren Gesellschaft. Musik und Konversation gehörten zu fixen Bestandteilen des Badens und Kurens. Zur Erinnerung sei nochmals das Naturwahrnehmungsmodell nach Rolf Sprandel angeführt, erstmals entworfen in „Mentalitäten und Systeme“ (1972): Demnach gibt es drei Stufen der Naturwahrnehmung: In einer ersten wird die Natur als unheimliches und überlegenes Gegenüber erlebt; die Erklärung der Natur erfolgt durch Götter und Dämonen, die den Menschen überlegen sind. In einer zweiten Stufe wird die Natur als hartes, feindliches Gegenüber erfahren; der Mensch nimmt Kampf gegen die Natur mit menschlicher Technik auf und versucht dabei, sie so gut wie möglich zu bewältigen. In einer dritten Stufe wird die Natur als ästhetisches Gegenüber wahrgenommen, die dem Menschen Muße und Annehmlichkeiten sowie künstlerische Inspiration schenkt. Die im Folgenden behandelten Aspekte fallen alle in die dritte Stufe dieses Modells. 1 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Brunnen Seit der griechischen Antike und wohl schon in den Frühen Hochkulturen bildeten Brunnen und allgemein Wasserentnahmestellen einen gesellschaftlichen Treffpunkt Sie waren damit auch prädestiniert dafür, als Orte der Repräsentation zu dienen. Schon bei den Griechen wurden Wasserentnahmestellen (Krenai) oft durch private Gelder errichtet. Bald stand neben der rein praktischen Funktion auch schon der künstlerische Gestaltungswille im Vordergrund: Antike Vasenmalerein zeigen das Innere von athenischen Krenai, bei denen die Zapfhähne als kunstvolle Menschen- oder Tiergestalten erscheinen. Die Wasserentnahme konnte somit auch „Lust“ spenden. Besonders seit dem Spätmittelalter wurden städtische Brunnen wieder für repräsentative Zwecke benutzt. Das Patriziat oder auch der städtische Rat errichtete Brunnen, die den Reichtum einer Stadt zur Schau stellen sollte: Kunstvolle Aufbauten in gotischem oder Renaissance-Stil, vergoldeter Figurenschmuck und Schmiedeeisenkonstruktionen machten den Stadtbrunnen zu deutlich mehr als zu einer Wasserentnahmestelle, ja zu einem Ort städtischen Selbstbewusstseins. In der Renaissance und im Barock erhielten Brunnen auch eine architektonische Funktion bei der Platzgestaltung: sie sollten dem Platz ein Zentrum geben oder ihn gliedern. Ein besonders gutes Beispiel dafür bildet die Piazza Navona in Rom. Dieser extrem langgestreckte Platz entstand an der Stelle eines antiken Circus (Pferde- und Wagenrennbahn) aus der Zeit Kaiser Domitians (81-96 n. Chr.). Durch drei Brunnen erhielt der Platz eine harmonische Gliederung. In der Mitte errichtete der barocke „Stararchitekt“ Gianlorenzo Bernini den Vierflüssebrunnen: die Personifikationen von Nil, Donau, Ganges und Rio de la Plata tragen einen ägyptischen Obelisken, zwei weitere Brunnen nehmen dem Platz die Überlänge. Diese ließ man in der Barockzeit an heißen Sommertagen überlaufen, damit sich Mensch und Pferde im kühlen Nass erquicken konnten. Auch Fassaden wurden durch zum Teil imposante Brunnenanlagen architektonisch gestaltet. Wieder kann ein berühmter römischer Brunnen, der Trevibrunnen, als bestes Beispiel dienen. An der Rückseite des Palastes des Herzöge von Poli errichtete Niccolò Salvi im Auftrag des Papstes Clemens XII. (1730-1740) eine 20 Meter breite und 26 Meter hohe Brunnenlandschaft: In einem „Königreich des Ozeans“ regiert Neptun über Tritonen, Muscheln und andere Seebewohner. E ist wohl kein Zufall, dass der Brunnen durch die berühmte „Badeszene“ im Fellini-Film „La dolce Vita“ (1959/60) zusätzlichen Kultstatus als Ort des Wassergenusses erhielt. 2 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Auch heute spielen Brunnen noch einen nicht unwichtige Rolle bei der architektonischen Gestaltung von Plätzen und Parkanlagen – ihre Funktion als Wasserentnahmestelle haben sie ja schon seit der Barockzeit weitgehend verloren: So steht im Grantpark von Chicago ein gewaltiger Brunnen, der mit seiner mehr als 60 Meter hohen Fontäne selbst vor der Hintergrund der modernen Wolkenkratzer durchaus nicht zu klein erscheint. Wasserspiele Von den Brunnen, die nur noch die Funktion der Repräsentation und der Erquickung des Zuschauers haben, führt der Weg direkt zu den ausgedehnten Wasserspielen in den Gartenanlagen. Seit den Frühen Hochkulturen galten Gärten mit Wasser (Quellen, Springbrunnen, etc.) als Zeichen von Luxus. Schon von den sagenhaften hängenden Gärten der Semiramis in Babylon, einem der „Sieben Weltwunder“ wird berichtet, dass sie auf einem speziellen Bewässerungssystem aufbauten. Besonders auch im Islam galt und gilt ein wasserreicher Garten als Statussymbol, nicht zuletzt, da es sich bei zahlreichen muslimisch geprägten Regionen um Gebiete handelt, die eher an Wasserarmut leiden. Im südspanischen Granada errichteten die muslimischen Herrscher mit der Alhambra nicht nur einen eindrucksvollen Palast, sondern auch ausgedehnte Gartenanlagen mit kleinen künstlichen Teichen und Springbrunnenanlagen. Wasser wurde erneut seit der Renaissance zum integrierenden Bestandteil der abendländischen Gartenarchitektur. Der optische Lustgewinn und die Abkühlung standen dabei im Vordergrund. Für die Gartenanlagen der Villa d‘Este bei Rom wurden dabei die zahlreichen Quellen aus den Sabinerbergen ausgenützt. Über den steilen Abhang ergießen sich bis heute steile Kaskaden in Teiche, die mit Statuen aus der antiken Mythologie geschmückt sind. Allgemein lässt sich in der Renaissance – und auch danach – häufig die Kombination von Wasser und antiker Götterwelt finden: In den Teichen lagern auf künstlichen Inseln antike Flussgötter, Nymphen und andere Wasserwesen, so auch im Garten des Renaissanceschlosses von Heidelberg. Schloss Nymphenburg in München führt sogar seinen Namen auf antike Wassergestalten zurück.Im Barock dienten Wasserspiele weiterhin als Symbol von Luxus, ja die Raffinesse bei der Gestaltung von Wasserspielen nahm sogar noch zu. Besonders in Frankreich spielte noch ein weiterer Faktor in der Gartenarchitektur eine entscheidende Rolle: Die Gärten sollten im Sinne des Absolutismus auch die „Unterwerfung“ der Natur symbolisieren. Die Anlagen wurden zum Teil in Sumpfgebieten angelegt, etwa Versailles bei Paris oder Peterhof 3 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) bei St. Petersburg. In Versailles wurde eine ganze Talsenke mit den Gartenanlagen ausgefüllt, wie die Gesamtschau von Pierre Patel aus dem Jahr 1668 zeigt. Die Sumpfgebiete wurden entwässert; stattdessen wurde mit riesigem technischen Aufwand Wasser von der Seine über mehr als 150 Höhenmeter herangepumpt (zum Hebewerk von Marly siehe Teil 7). Wie zeitgenössische schematische Darstellungen von Barockgärten aus der Vogelperspektive zeigen, etwa der Stich von A. Francini zu Schloss und Garten von Saint-Germain-en-Laye bei Paris (1614), hatten die Wasserspiele, Teiche und Brunnen innerhalb des Gartens auch eine architektonisch-gliedernde Funktion. Bisweilen dienten die Wasserspiele aber auch rein der barock-höfischen Unterhaltung, wie auch am Beispiel Hellbrunn bei Salzburg gut zu erkennen ist. Die Steinsitze zu einem Tisch im Park sind mit Wasserfontänen versehen, die plötzlich während des Aufenthalts der Gesellschaft bei Tisch hochgingen.Noch heute haben Wasserspiele eine entscheidende architektonische Rolle, etwa in den von André Heller gestalteten Kristallwelten in Wattens bei Innsbruck. Im Zentrum des halbkugelförmigen Gebäudes befindet sich ein grün überwachsenes Gesicht, aus dessen Mund sich ein breiter Wasserstrahl ergießt. Hier werden Wasser(spiel), grüne Natur und Kristalle in eine optisch gewagte Kombination gebracht. Bäder und Kurorte Schon aus mykenischer Zeit sind etwa in Pylos auf der Halbinsel Peloponnes erste Badeanlagen archäologisch nachweisbar. In klassisch-griechischer und in römischer Zeit nahmen dann die öffentlichen Bäder (Thermen) eine wichtige Funktion im Freizeitbereich der griechischrömischen Gesellschaft ein. Da besonders im Römerreich der Großteil der Berufe vornehmlich von Sklaven ausgeübt wurde, blieben viele freien römischen Bürger arbeitslos. Um dieses soziale Konfliktpotenzial in den Griff zu bekommen, entwickelte sich in Rom die Politik von „Brot und Spielen“, d.h. die Versorgung der breiten Masse mit (fast) kostenfreiem Brot bzw. anderen Grundnahrungsmitteln und Freizeitangebot. Neben den Gladiatorenkämpfen und Wagenrennen waren es vor allem die öffentlichen Thermen, wo der durchschnittliche Römer oft täglich einen Teil des Tages verbrachte. Während der römischen Kaiserzeit wurden auf Staatskosten riesige Badeanlagen – besser Freizeitanlagen, die heute dem Fitness- und Wellnessbereich zugeordnet werden würden – errichtet, etwa in Rom die Caracallathermen und die Diokletiansthermen. Auch in praktisch jeder Provinzstadt entstanden kleinere Thermenanlagen. 4 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Der Aufbau der Thermen variierte zwar, enthielt aber zumeist folgende Teile: Durch einen Vorraum (vestibulum) kam man in einen Umkleide- und Duschraum (apodyterium), von dort in ein Warmbad (caldarium), ein Bad mit mäßig warmen Wasser (tepidarium) und in ein Kaltbad (frigidarium). Häufig waren auch noch ein Schwitz- bzw. Dampfbad (sudarium) und ein Schwimmbecken (natatio) angeschlossen. In vielen Fällen war auch eine Wandelhalle (porticus) angeschlossen, wo man nach dem Bad spazieren ging oder Bekannte traf. Ebenso fehlten in vielen Thermen Massageräume nicht; manche Anlagen verfügten sogar über eine eigene Leihbibliothek. Die Beheizung erfolgte von einem zentralen Heizraum im Untergeschoss (praefurnium). Von dort führten Rohrleitungen bzw. größere Hohlraumsysteme zu den einzelnen Räumen der Thermen. Hohlziegel an den Wänden und Fußbodenheizung (hypocaustum) sorgten auch im Winter für behagliche Wärme. Die zentralen Räume waren oft prunkvoll ausgestaltet und dienten damit auch der Repräsentation des Stifters. Auch Kurorte waren bei den Römern sehr beliebt. In allen Teilen des Reiches wurden die Orte mit heißen Quellen erschlossen und oft zu großen Kurstädten ausgebaut. Der Ortsname Aquae („Bad“) ist daher sehr häufig auf der Landkarte des Römerreichs zu finden: diesen Namen trugen etwa Baden bei Wien (Österreich), Baden-Baden, Wiesbaden, Aachen (alle Deutschland), Bath (England) oder Aix-en-Provence (Frankreich). Auch Seebäder waren bei den Römern in Mode, etwa am Golf von Neapel. Den Hintergrund für das ausgedehnte Badewesen bildete die antike Säftelehre, wie sie sich schon bei den griechischen Autoritäten Hippokrates (ca. 460-370 v. Chr.), Aristoteles (384322 v. Chr.) und Galenos (ca. 129-199 n. Chr.) findet. Die Gesundheit des Menschen ist demnach das Resultat eines Gleichgewichts der vier Körpersäfte (humores) Blut, gelbe und schwarze Galle und Schleim. Waren die vier Körpersäfte in einem harmonischen Gleichgewicht, in „Eukrasie“, so war der Mensch gesund, auch was seine Emotionen betraf. Hatte er von einem der Körpersäfte zu viel oder zu wenig, äußerte sich dies in bestimmten Krankheiten und Gemütszuständen. Nach der Medizin der Säftelehre (Humoralmedizin) musste dieses Ungleichgewicht durch spezielle Nahrung, d.h. den Verzicht bzw. die Einnahme bestimmter Lebensmittel, aber auch durch Bade- und Trinkkuren wieder kuriert werden. Die Säftelehre der Antike lebte auch im Mittelalter fort – die so genannte „Hildegard-Medizin“ folgt genau diesem Schema und auch noch am Beginn der Neuzeit, etwa bei Paracelsus (1493-1541, eigentlich: Philippus Aureolus Theophrastus Bombastus von Hohenheim) finden sich noch große Teile dieser Lehre. In der Osthälfte des Römischen Reiches, dem späteren Byzantinischen Reich, lebte die antike Badekultur fort, ja sie wurde später von den Osmanen mit geringen Modifikationen über5 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) nommen; das türkische Bad (Hamam) mitsamt seinen Dampfräumen lebt bis heute weiter und gehört mittlerweile zum Fixpunkt in jedem Wellnesszentrum. Auch sonst im muslimischen Bereich nahm und nimmt das Bad im religiösen und profanen Bereich eine wichtige Rolle ein. Oft finden sich Badehäuser, verbunden mit Schwitzräumen, im Zusammenhang mit Palästen und Moscheen, wie das Beispiel von Khirbat al Mafjar (bei Jericho im Jordantal) aus dem 8. Jahrhundert zeigt. Im jüdischen Bereich hatte das Bad für rituelle Waschungen eine zentrale Bedeutung. Eine Mikwe (Ritualbad) durfte in keiner jüdischen Gemeinde fehlen. In Friedberg (Hessen) ist eine mittelalterliche Mikwe bis heute vollständig erhalten geblieben; Reste davon wurden auch in Köln, Speyer und Worms gefunden. Im christlichen Abendland ging die römische Badetradition in vielen Fällen verloren; nur in den Kurorten hielt sie sich in vereinfachter Form. Heiße Quellen waren auch im Mittelalter ein beliebter Siedlungsplatz. Nicht von ungefähr wählte der stets von Gicht geplagte Kaiser Karl der Große den antiken Badeort Aachen zu seiner Lieblingspfalz. Im Spätmittelalter entstanden in zahlreichen Städten öffentliche Badehäuser, die vor allem im 15. und frühen 16. Jahrhundert den Höhepunkt an Beliebtheit erlangten. Sie waren ein gesellschaftlicher Treffpunkt in den spätmittelalterlichen Städten. Man ging nicht nur zum Bad in das Badehaus, sondern nahm dort auch – in einem Badetrog sitzend – auf einem Brett das Mahl ein und unterhielt sich. Die Umgangsformen waren dabei recht freizügig, die Grenze zum Bordell war mitunter nicht ganz klar. Leicht bekleidete Bademädchen wurden zum Inbegriff spätmittelalterlicher Erotik und fanden als Element des Buchschmucks selbst Eingang in die berühmten Bibelhandschriften des Königs Wenzel (1378-1400/1419). Männer und Frauen badeten oft in einem gemeinsamen Becken, bis zum frühen 16. Jahrhundert zumeist nackt; erst danach wurde es üblich, eine knappe „Unterhose“ zu tragen. Im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Bad an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit entstand auch das sinnliche Ideal vom „Garten der Lüste“: Männer und Frauen badeten gemeinsam in einem Jungbrunnen, der ewige Jugend verlieh. Dazu aß man Köstlichkeiten und wurde mit Musik unterhalten. Mit der Reformation wurde die Freizügigkeit beim Bad immer mehr eingeschränkt. An die Stelle der Badehäuser traten immer mehr einzelne Kurorte, die man – wenn man es sich leisten konnte – aus gesundheitlichen Gründen aufsuchte. Daraus entwickelte sich eine regelrechte „Kurort-Kultur“ der besseren Schichten in der Neuzeit. Man traf im Kurort seinesgleichen und nutzte den gemeinsamen Aufenthalt zur Kontaktpflege. In einer immer mehr durch gesellschaftliche Normen versteiften Gesellschaft war die Kur die Möglichkeit, für einige Zeit aus dem Familienleben auszubrechen. Liaisonen waren an der Tagesordnung, der „Kurschat6 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) ten“ wurde fast sprichwörtlich. Um immer wieder auf „Urlaub“ in einen der begehrten Kurorte fahren zu können, gehörte „Kranksein“ im 19. Jahrhundert fast zum „guten Ton“. Neben Luftkurorten waren insbesondere die Badekurorte beliebt, ob am Meer oder an heißen Quellen; auch die Kombination von Bade- und Trinkkuren, wie etwa im hessischen Bad LangenSchwalbach, zogen zahlreiche Adelige und Bürger an. Ein umfangreiches Kulturprogramm (Musik, Empfänge) rundete das Kurprogramm ab. Für den Salzburger Raum hatte vor allem der Kurort Bad Gastein überregionale Bedeutung, nicht zuletzt aufgrund der Förderung durch Paracelsus. Seit dem 14. Jahrhundert waren die radonhaltigen Quellen (wieder)entdeckt und führten im 15. und 16. Jahrhundert zu einem regelrechten Badeboom. Schon um 1490/91 besang ein anonymer Minnesänger die sinnlichen Freuden in der Gastein in „Ain Graserin in der Kastein“. Das früher Neidhart von Reuenthal zugeschriebene Gedicht geht vermutlich auf ein Gedicht des Südtirolers Oswald von Wolkenstein zurück: Die Graserin in der Gastein „Eine Magd, die gebadet in der Gastein gab mir Freude und Lust, als sie sich wusch darein. Da ich sie ohne was erblickte, an manches dachte, was mich so daran entzückte. Ich griff sie an, um sie an mir zu haben, tat sanft sie streicheln so beim Baden und alle Welt hatt’ davon keinen Schaden; doch uns tat’s wohl beim Scherzen im Leibe und im Herzen.“ Auch Wolf Prenn, ein Angestellter der Gasteiner Gewerkenfamilie Weitmoser, dichtete im Jahr 1553 in seinem „Böcksteiner Bergknappensang vom warmen Pad“ eine Lobhymne auf Bad Gastein, nannte dabei aber sich selbst nicht namentlich: „Ich lob die zarten Jungfreylein in Zichten und in Ehren. Wer sollt ihnen doch feint sein? Sye thuen unns Freiden mehren. ... 7 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Der uns die Wahrheit hat zusammengetragen der thuet sich selbst nit nennen, thuet gern mit schennen Junckfreulein paden Ir migt in gar wohl kennen.“ Die historischen Darstellungen vom „Wildbad in der Gastein“ aus dem 16. Jahrhundert zeigen badende Männer und Frauen in einem mit Holzlatten eingefassten Becken. Man spürte die heilende Wirkung es Wassers, auch wenn es noch bis etwa 1900 dauerte, dass man im Wasser das radioaktive Radon nachweisen konnte. Seit dem Spätmittelalter lässt sich häufig eine Verbindung von Baden bzw. Kuren und Musik feststellen. In den Badehäusern des 15. und 16. Jahrhunderts unterhielten Musikanten die Badegäste. Manchmal spielten diese auch selbst, wie ein Stich Albrecht Dürers von einem Männerbad zeigt. Auch später, während der „Kurort-Kultur“ des 19. Jahrhunderts, war die Musik allgegenwärtig. Das Platzkonzert im Kurpavillon, ob in Bad Ischl oder im norddeutschen Bad Ems, war ein gesellschaftlicher Fixpunkt. Einzelne Komponisten wie der österreichische Operettenkomponist Franz Lehar verbrachten sogar lange Zeit ihres Wirkens in Kurstädten. Heute – nach einem jahrhundert „Pause“ – nimmt die Musik wieder einen wichtigen Platz im Wellnessbereich ein: Meditationsmusik auf CD als persönliches Willkommensgeschenk oder sphärische Musik als Event im Erlebnisdom der Felsentherme Bad Gastein. Schwimmen wurde im Gegensatz zum Baden bis in die Neuzeit nur zum Teil als Genuss gesehen. Zwar verfügten viele römische Thermen auch über ein Schwimmbecken (natatio), doch sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Menschen bis zum 19. Jahrhundert gar nicht schwimmen konnten. Schwimmer waren insbesondere Menschen mit „Wasser“Berufen, etwa Fischer und Schiffleute, aber auch Soldaten konnten Grundkenntnisse im Schwimmen oft gut brauchen. Häufig ist im Zuge von Schlachtenschilderungen zu lesen, dass die fliehenden Truppen der Unterlegenen ins Wasser getrieben wurden und dort elend zugrunde gingen. Man kann also annehmen, dass auch von den Soldaten viele nicht oder nur schlecht schwimmen konnten. Eine einzigartige Illustration aus einer Handschrift aus dem Jahr 1496 zeigt etwa einen Ritter in Rüstung der gerade einen Schwimmreifen anlegt und mit einem Mundstück aufbläst. Durch das Gewicht der Rüstung war es mit Sicherheit unmöglich, ohne Schwimmhilfe auch nur seichte Gewässer sicher zu durchqueren. Erst im 19. Jahrhundert wurde Schwimmen zum Sport, der auch von Frauen ausgeübt wurde. Die ersten Damenschwimmschulen, etwa in Wien um 1850, wurden zu Horten einer gewissen 8 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Emanzipation. Schwimmen erlangte allmählich die Rolle eines „Emanzipationssports“ wie später das Radfahren. Bis zum „Fun-Bad“ war es allerdings noch ein weiter Weg: In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dominierten noch die Naturschwimmbäder. In Salzburg etwa badete man bis in die 1950er-Jahre im Leopoldskroner Weiher, der am Nordende mit Badehäuschen und Stegen erschlossen wurde. Erst danach übersiedelte man das Schwimmbad in die benachbarten Gründe: das künstliche Freibad war geboren. Literatur Gernot und Hartmut Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente (Beck’sche Reihe 1565), München 2004. Horst Bredekamp, Wasserangst und Wasserfreude in Renaissance und Manierismus. In: Hartmut Böhme (Hg.), Kulturgeschichte des Wassers (suhrkamp taschenbuch 1486), Frankfurt am Main 1988, S. 145-181. Erika Brödner, Die römischen Thermen und das antike Badewesen. Eine kulturhistorische Betrachtung, Darmstadt 1983. Gabriele Crespi, Die Araber in Europa (Völker und Kulturen), Zürich/Stuttgart 1992. Die Gasteiner Thermen. Auf den Spuren des Wassers, St. Johann im Pongau 2004. Geschichte der Wasserversorgung, herausgegeben von der Frontinus-Gesellschaft e. V. Sextus Iulius Frontinus, Curator Aquarum: Wasserversorgung im antiken Rom (Geschichte der Wasserversorgung 1), München/Wien 21983. Die Wasserversorgung antiker Städte. Mensch und Wasser – Mitteleuropa – Thermen – Bau/Materialien – Hygiene (Geschichte der Wasserversorgung 2-3), Mainz 1987-1988. Die Wasserversorgung im Mittelalter (Geschichte der Wasserversorgung 4), Mainz 1991. Die Wasserversorgung in der Renaissancezeit (Geschichte der Wasserversorgung 5), Mainz 2000. Wasser im Barock (Geschichte der Wasserversorgung 6), Mainz 2004. Burkhard Fuhs, Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700-1900 (Historische Texte und Studien 13), Hildesheim/Zürich/New York 1992. Michael Matheus (Hg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit (Mainzer Vorträge 5), Stuttgart 2001. 9 VO Kulturgeschichte: Leben am Wasser, leben mit dem Wasser, © Christian Rohr 2005 (Teil 9) Hermann Sommer, Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914 (Geschichtliche Landeskunde. Veröffentlichungen des Instituts für geschichtliche Landeskunde an der Universität Mainz 48), Stuttgart 1999. Rolf Sprandel, Mentalitäten und Systeme. Neue Zugänge zur mittelalterlichen Geschichte, Stuttgart 1972, besonders S. 24-35 und 57-74. Christina Steinmetzer, Islamische Gärten. In: Orient und Okzident im Mittelalter. Kontakte und Konflikte. 2. Interdisziplinäre Ringvorlesung der Salzburger Mittelalter-Studien, Wintersemester 2002/03 (nur online unter 03/steinmetzer2002.doc) 10 http://www.sbg.ac.at/ger/samson/rvws2002-