Das Pflanzen einer anderen Welt
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Das Pflanzen einer anderen Welt
F2 THEMA DES TAGES Frankfurter Rundschau Freitag, 26. April 2013 69. Jahrgang Nr. 97 SB/R1/SF THEMA DES TAGES F3 Freitag, 26. April 2013 69. Jahrgang Nr. 97 SB/R1/SF Frankfurter Rundschau TREFFPUNKT AUF DEM GINNHEIMER KIRCHPLATZ J ahrelang wurde im Ortsbeirat 9 über Nutzungskonzepte für den Kirchplatz in Ginnheims altem Ortskern diskutiert. Zuletzt war dort eine bauliche Umgestaltung für 50 000 Euro im Gespräch. Doch seit Sybille Fuchs und Jan Jacob Hofmann auf den Plan getreten sind, gehören diese Pläne erst einmal der Vergangenheit an. Als Teil der Ausstellung „Wohnzimmer Ginnheim“ des Stadtlabors unterwegs und mit Unterstützung durch Ortsbeirat, Nachbarschaftszentrum und das Frankfurter Programm Aktive Nachbarschaft haben die beiden in den vergangenen Monaten auf dem Platz ein temporäres UrbanGardening-Konzept umgesetzt. Es erfreut sich äußerster Beliebtheit: „Alle 34 Gabionen sind an Paten vergeben“, so Hofmann. Als er mit seiner Frau und einem Dutzend weiterer Helfer im Januar die mit Sackleinen gefüllten Pflanzkästen auf dem Platz aufstellte, waren die Aussichten noch nicht so rosig – ein heftiges Schneegestöber er- Urban Gardening Gärtnern im öffentlichen Raum liegt weltweit im Trend. Auch auf Frankfurts Plätzen grünt es. SCHÖNSTER GARTEN Beim FR-Gartenwettbewerb kann jeder mitmachen, der einen Garten oder Balkon in Frankfurt hat. Die Entscheidung wird eine fachkundig Jury im Spätsommer oder Herbst treffen. Sie besteht diesmal aus Landschaftsarchitektin Ute Wittich, Pascal Hardung von Immo Herbst, Palmengartendirektor Matthias Jenny und FR-Chefredakteur Arnd Festerling. Teilnehmer können ihren Garten oder Balkon bis Mittwoch, 15. Mai, zum Wettbewerb anmelden. Senden Sie dazu einfach Ihre Adresse, eine Beschreibung des Gartens und maximal zwei Fotos unter dem Stichwort Gartenwettbewerb an die FR-Stadtredaktion. Entweder per Mail an:[email protected] oder per Post an die Frankfurter Rundschau, Karl-GeroldPlatz 1, 60594 Frankfurt. S SCHÖNSTER GARTEN // in Arbeit Von Fabian Scheuermann NEUE LUST AM GRÜN ine andere Welt ist pflanzbar“ steht auf einer Holzplanke geschrieben, hinter der in einem kleinen Beet Kräuter und Zucchinipflanzen wuchern. In einer Baulücke haben die Anwohner des Berliner Mariannenplatzes vor rund vier Jahren gemeinsam einen großen Garten angelegt. Unter dem Namen „Ton-SteineGärten“ wird hier seitdem gemeinschaftlich und mitten in der Stadt Gemüse angebaut. Kinder spielen und unterhalten sich auf Deutsch, Türkisch oder Englisch. Die Grenzen zwischen „Mein“ und „Dein“ verschwimmen – manche reden von einer kleinen Utopie. Unter dem Überbegriff des Urban Gardening erobert derzeit ein neuer Trend zum Gärtnern die Großstädte der westlichen Welt. Während manche einfach nur der Lust am Grün vor der eigenen Haustür frönen wollen, verfolgen andere ein dezidiert politisches Ziel. Besetzungen von Freiflächen werden dabei mit der Frage verknüpft, wem eigentlich der öffentliche Raum gehört und warum dieser fast immer nur aus Beton, Parkflächen oder Abstandsgrün – also Gras – besteht. „Vom Schrebergarten zum Urban Gardening“ heißt die Auftaktveranstaltung des Jahresprogramms „Neue Lust am Grün“ von Garten Rhein-Main. Los geht’s am Sonntag, 28. April, 11 Uhr, in der Geschwister-Scholl-Schule in der Römerstadt mit einem Vortrag von Christa Müller. Von 14 bis 16 Uhr können Gartenprojekte besichtigt werden. Mehr Infos: www.gartenrheinmain.de E Eine Fahrradtour zum Thema startet Samstag, 27. April, 13.45 Uhr, in Nieder-Eschbach (Halt d. U2). Anmeldung unter www.frankfurter-stadtevents.de. Diese Frage stellte sich vor einigen Jahren auch Jörg Harraschain, der ehemalige grüne Ortsvorsteher des Nordends. Er gründete eine Initiative zur Begrünung des sogenannten Kleinen Friedberger Platzes – eines der ersten Urban-Gardening-Projekte in Frankfurt war geboren. Wo früher nur Steinplatten und Bitumen zu finden waren, wachsen heute auf einer Verkehrsinsel Ringelblumen und Königskerzen. „Der gebildete Mensch macht die Natur zu seinem Freund“, zitiert Harraschain Friedrich Schiller. Das Projekt sei ein Erfolg – auch wenn sich manch einer über „das Unkraut“ beschwere. Harraschain bevorzugt den Begriff „Spontanpflanzen“ und freut sich darüber, dass so manch Frankfurter nun wieder wisse, „wie eine blühende Kartoffel aussieht“. Nachbarn, die sich vorher nicht kannten, seien bei der Gartenarbeit auf dem Grünstreifen mittlerweile „zusammengewachsen wie die Pflanzen“. Der „Vorgarten des Nordends“, steht freilich nicht traditionslos da. Neben zahlreichen Projekten in Berlin, London oder New York dient womöglich auch Frankfurt selbst dem Projekt als Inspirationsquelle. Dieser Meinung ist zumindest Helmut Grossmann vom Gartenteam des Ernst-May-Hauses in der Römersiedlung. Wenn man sich die Gartenkonzeption der Siedlungen des neuen Frankfurt anschaue, so Grossmann, entdecke man überraschende Parallelen. So lese sich das Buch „Jedermann Selbstversorger“ des Landschaftsarchitekten Leberecht Migge laut Grossmann „stellenweise wie eine ganz aktuelle Publikation“. Schon 1919 sei dort etwa die Rede von einer Demokratisierung der Gärten gewesen – ganz konkret beispielsweise in Form niedriger Mauern. Das Thema Urban Gardening ist aus seiner Nische herausgetreten und im öffentlichen Bewusstsein angekommen. So hat sich etwa die Aktion Garten RheinMain der Kulturregion Frankfurt/Rhein-Main in diesem Jahr die „Neue Lust am Grün“ auf die Fahnen geschrieben. Monatliche Fokusveranstaltungen sollen von kommendem Sonntag an die Facetten des Phänomens in der Region beleuchten. In Ginnheim stellte das Grünflächenamt Azubis und Kompost bereit Sowieso sind die Urban-Gardening-Projekte in Frankfurt recht stark institutionalisiert: So wurde den Initiatoren des Ginnheimer Kirchplatzgärtchens im Vorhinein Unterstützung zugesagt – und das Grünflächenamt griff den Gärtnern mit Azubis und frischem Kompost unter die Arme. Auch brauchen Frankfurter beim Bepflanzen einer Baumscheibe keine Angst zu haben. „Erlaubt“, so heißt es beim Grünflächenamt, sei das zwar eigentlich nicht. Doch werde man dem nicht nachgehen. Durch die Blume gesagt: Das Gärtnern kann beginnen. „Wem gehört Verena Kuni über Sehnsucht Warum erfreut sich das Gärtnern in der Stadt momentan solcher Beliebtheit? Die Leute ziehen wieder vom Land zurück in die Stadt und bringen dabei ihre Sehnsüchte nach Grün mit. Man möchte eben auch in der Stadt seinen Garten haben: Ein Garten ist Rückzugsort und Freiraum zugleich. Das Gärtnern in der Stadt ist aber auch der Versuch, öffentlichen Raum zu besetzen und aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Und dabei etwas gestalten zu können. Statt in den Park zu gehen, besetzen die Leute dann lieber eine Brache und pflanzen dort einen Garten. Das haben wir in Frankfurt allerdings bisher nur in Ansätzen. In Berlin beispielsweise gibt es schon lange Urban-GardeningProjekte. Warum kommt der Trend erst jetzt so richtig in Frankfurt an? Frankfurt funktioniert anders als Berlin. Wir haben hier einfach nicht so viel Raum, und der Raum, den wir haben, ist hochpreisig. Selbst Zwischennutzungen sind da nicht so einfach zu realisieren. Besetzungen – selbst von Raum, der sonst nicht genutzt wird – sind umso schwieriger. Außerdem gibt es in Frankfurt schon sehr viel Grün, nicht nur im Grün- eigentlich der öffentliche Raum?“ nach mehr Grün und den Unterschied zwischen Frankfurt und Berlin ZUR PERSON Verena Kuni (46) ist Kunst-/Medien-/Kulturwissenschaftlerin und Professorin für Visuelle Kultur an der Goethe-Universität Frankfurt. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit urbanen Biotopen und der Schnittstelle zwischen Kunst im städtischen Raum und seiner Bevölkerung. Ihr „RadioGarten“ läuft jeden dritten Freitag im Monat von 14 bis 15 Uhr bei radio x. ELKE FÖDISCH/JWGU Mit kreativen Ideen schaffen urbane Gärtner auch in Frankfurt neuen Lebensraum Eine Pflanzentauschbörse findet am Sonntag, 28. April, 15 Uhr im Nachbarschaftszentrum Ginnheim, Ginnheimer Hohl 14, statt. ALTBEWÄHRT AM BASELER PLATZ FRANKFURTS Das Pflanzen einer anderen Welt schwerte die Arbeiten. Doch jetzt ist der Frühling da und der Kirchplatz nach Ansicht Hofmanns auf bestem Wege, wieder zu einem Treffpunkt für die Ginnheimer zu werden. Karen Schewina hat mit Glück noch eine der Gabionen des „Kirchplatzgärtchens“ ergattert. „Ich bin fest von der Idee überzeugt, den städtischen Raum verstärkt zum Gärtnern zu benutzen“, so die Studentin, die jeden Abend zum Kirchplatz radelt, um dort die von ihr gepflanzten Klettererdbeeren zu gießen. Dennoch hätte Schewina auch an einem normalen Kleingarten Interesse. Doch bei einer Vermittlung eines Gartens via Stadtgruppe der Kleingärtner (Tel. 069 / 54 09 33) fallen mindestens 1000 Euro Kosten an. Auf dem Kirchplatz muss Schewina nichts zahlen – und sich auch nicht langfristig festlegen. gürtel. Auch das Grünflächenamt macht einen sehr guten Job. Vielleicht haben Berliner ja auch einfach eine andere Mentalität als Frankfurter. Gärtnern braucht Zeit – und in Berlin gibt es möglicherweise mehr Leute als in Frankfurt, die sich nicht von früh bis spät ins Zeug legen müssen, um Miete, Gas und Strom zu finanzieren. Frankfurt ist auch ein Ort der Pendler und der berufsbedingten Zuzüge, die nicht auf Dauer sind. Insgesamt darf man die Lebensumstände der Leute nicht vergessen. Wie schaut denn der typische urbane Gärtner aus? Viele der Leute, die sich aktuell dem Urban Gardening zuwenden, kommen aus einer gebildeten und wohlhabenden Schicht. Aber auch viele ältere Menschen oder Migranten gärtnern im Stadtraum – teilweise mit dem Ziel der Subsistenzwirtschaft, also um sich selbst zu versorgen. In den Gärten treffen diese unterschiedlichen Menschen aufeinander. Das gemeinsame Interesse am Gärtnern erleichtert es dabei, Kontakt aufzunehmen. Man hat direkt eine Verständigungsbasis. Das ist in bestehenden Gartenanlagen nicht anders. Für mich gehören auch Kleingartenanlagen zum Urban Gardening – zum Gärtnern in der Stadt. Und dann gibt es ja noch die Guerillas unter den Gärtnern … Guerilla Gardening ist ein kultureller Kampfbegriff. Mit dem Samenbällchen werfe ich Verantwortung zurück in die Gesellschaft. Die Guerilla-Gärtner werfen dabei auch die politische Frage auf, wem eigentlich der öffentliche Raum gehört. Es wird strategisch, heimlich und anonym gegärtnert. Diese Vorgehensweise macht es allerdings schwierig, die Pflanzen auf Dauer zu pflegen. Man müsste ja regelmäßig an den „Tatort“ zurückkehren. Das machen nur wenige. Guerilla Gardening ist also nicht nachhaltig? Ich denke, ganz grundsätzlich ist es wichtig, dass sich die Bürger gemeinschaftlich um ihre Stadt kümmern. Das gilt auch für das Grün in der Stadt. Guerilla Gardening ist eine Geste, aber dauerhaftes Engagement ist wichtiger. Dafür müssen aber Möglichkeiten der Mitgestaltung geboten werden. Zudem können sich auch Institutionen beteiligen, was aktuell in Frankfurt ja ebenfalls geschieht. Widerspricht diese Institutionalisierung nicht dem ursprünglichen Konzept von Urban Gardening, selbst organisiert zu gärtnern? Wenn es mehr Gärten und insgesamt mehr Grün im öffentlichen Raum gibt – also vor allem mehr Grün, das gemeinschaftlich genutzt werden kann –, dann ist das doch immer ein Gewinn für alle Beteiligten. Hier in Frankfurt halte ich alle Initiativen für unterstützenswert. Das Interview führten Elena Müller und Fabian Scheuermann eit drei Jahren wachsen vor dem Haus von Katrin Jurisch und Katja Heubach am Baseler Platz jetzt schon die Ergebnisse ihrer Arbeit als Stadtgärtnerinnen. In neun großen Pflanzgefäßen aus Beton wachsen Malven und Fette Henne. „Wir haben die Pflanzen über den Winter mit Nadelzweigen abgedeckt, das haben sie gut überstanden“, freut sich Jurisch über das Wiederaufblühen ihres kleinen urbanen Gartens. Direkt an der Straße, auf dem grauen Beton des Gehwegs und vor den schmutzigen Häuserwänden, sind die Pflanzkübel eine schöne Abwechslung von der städtischen Tristesse – und sagen genau das aus, was die beiden Gärtnerinnen transportieren wollen: wie wertvoll die Gestaltung des öffentlichen Raums durch die Bürger sein kann. „Es geht uns um das andere, das tatsächliche Grün“, sagt Jurisch. Wenn öffentliche Plätze und Parks von städtischer Seite zu sehr durchgeplant würden, habe doch niemand Lust, sich dort aufzuhalten, so die Gärtnerin. Jurisch und ihre Mitstreiterin Heubach bilden die Frankfurter Hochschulgruppe des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) und versuchen mit verschiedenen Projekten, Urban Gardening einer breiten Öffentlichkeit zu vermitteln. Der BUND bemüht sich außerdem darum, dass mehr einheimische und naturbelassene Grünflächen in der Stadt entstehen, zum Beispiel mit einer Wildblumenwiese im Gallus. Die gemeinsame Gestaltung des städtischen Lebensraums, die im Einklang steht mit heimischen Arten, das ist für die beiden jungen Frauen die Quintessenz des Stadtgärtnerns. Und obwohl die Aktionen von Guerilla-Gärtnern eine offensichtlichere politische Aussage hätten, finden es Jurisch und Heubach wichtig zu vermitteln, dass das Gärtnern Zeit braucht. „Es wächst nicht von alleine“, sagt Jurisch. (elm.) OASE AM DANZIGER PLATZ B ald schon könnte es auf dem Danziger Platz blühen, sprießen und gedeihen. Ein mobiler Garten soll 2500 Quadratmeter des trostlosen Ortes am Ostbahnhof in eine grüne Oase verwandeln. Die ersten Aktionstage sind vom 1. bis 3. Mai geplant. „2000 Kubikmeter Erde werden am Mittwoch geliefert, dann wollen wir Kisten befüllen, säen und die Blumenkübel anstreichen“, sagt Daniela Cappelluti. Sie und Petra Manahl, die Initiatorinnen des Frankfurter Garten-Teams, wollen dort gemeinsam mit Bürgern pflanzen, ernten und einen Treffpunkt für den Stadtteil schaffen. „Es tut sich gerade sehr viel“, sagt Moderatorin Cappelluti. Dringend suchten die Ehrenamtler, die seit mehr als einem Jahr viel Zeit und Kraft in das Projekt stecken, nach Sach- und Geldspenden. Finanzielle Unterstützung sei immer noch willkommen. Doch drei Container hätten sie jetzt. Der eine soll als Materiallager dienen, einer als Gartenbüro und der andere zu einer Holzwerkstatt um- gebaut werden, da der Garten Workshops für Kindergärten und Schulen anbieten möchte. „Manchmal hat man einfach Glück“, Cappelluti ist begeistert. Sie hatte bei verschiedenen Firmen nachgefragt. Dem Geschäftsführer der Fechenheimer Firma CS Raumcenter hatte die GartenIdee so gut gefallen, dass er gleich alle drei Container zur Verfügung stellt. Der Jugendladen Bornheim bekommt die Aufgabe, die Container zu besprühen. Binding stiftet wenigstens 20 Kästen Bier für den Aufbau. Den Baumarkt Hornbach und die Fraport hatten sie schon vor einiger Zeit als Hauptsponsoren gewinnen können. Cappelluti freut sich, dass es endlich losgeht: „Das Einzige, was uns jetzt noch fehlt, ist Strom, aber das werden wir auch hinbekommen.“ (jkö.) Vom 1. bis 3. Mai, von 11 bis 18 Uhr, ist jeder eingeladen, den Garten mit einzurichten. Arbeitshandschuhe mitnehmen! Am 1. Mai wird anschließend gegrillt, (Grillgut mitbringen). Mehr Informationen: www.frankfurter-garten.de.