Ut Unum Sint 01-2016

Transcrição

Ut Unum Sint 01-2016
Ut unum sint!
Botschaft von Pater
Giovanni Salerno msp
Evangelisierung II
«Mir schien es, einen grossen
Schatz zu besitzen; ihn wollte ich
mit allen teilen.»
(Hl. Theresa von Avila)
Liebe Freunde
Laudetur Jesus Christus
In diesem Artikel möchte ich darüber
sprechen, wie notwendig es ist, unser Charisma richtig zu
verstehen, um nicht Gefahr zu laufen, das Opus Christi Salvatoris Mundi in eine Nichtregierungsorganisation (NGO) zu
verwandeln. Wir sind entstanden, um zu evangelisieren, um
den Armen die Frohe Botschaft zu überbringen – vor allem in
die abgelegensten Regionen. Meine missionarische Erfahrung
hat mich davon überzeugt, dass ein Missionar evangelisiert,
wenn er auf drei miteinander verbundenen Ebenen tätig wird.
Erstens konzentriert sich der Missionar auf die persönliche
Umkehr. Hierbei handelt es sich um eine beständige Auf­
gabe, denn nur in der Nähe des Herzens Jesu, das nach Seelen
dürstet, kann man das spüren, was uns Paulus in seinem Brief
an die Korinther mitgeteilt hat: «Und wehe mir, wenn ich das
Evangelium nicht predigte!» (1Kor 9,16)
Zweitens hat der Missionar die Pflicht, in den Herzen der
anderen, vor allem der Getauften, die Kreativität des Geistes
zu wecken, um alle verfügbaren Mittel zu beschaffen, um den
Armen das Brot des Wortes Gottes, das Brot der Eucharistie
und das materielle Brot zu bringen. Im Zusammenleben mit
den Armen habe ich entdeckt, dass beim Apostolat eine grosse
Sünde vorkommt, nämlich das Gute zu unterlassen, das wir
tun könnten. Wenn unsere Brüder und Schwestern, Priester
und Missionarsfamilien, nicht eines Tages dem Herrn ihr «Ja»
gegeben hätten, wie würde die Zukunft unserer Kinder und der
Armen aussehen, denen wir helfen und die wir evangelisieren?
«Wir haben die Pflicht, wachsam zu sein und die Versuchung
zur Gleichgültigkeit zu überwinden (…) Wir müssen lernen,
den Armen nahe zu sein. Nehmen wir den Mund nicht voll
mit schönen Worten über die Armen! Gehen wir auf sie zu,
schauen wir ihnen in die Augen, hören wir ihnen zu! Die
Armen sind für uns eine konkrete Gelegenheit, Christus selbst
zu begegnen, seinen leidenden Leib zu berühren. (Botschaft
von Papst Franziskus zum Weltjugendtag 2014). Drittens
beschäftigt sich der Missionar mit der eigentlichen Arbeit der
Evangelisierung. Beim Verkünden des Evangeliums erkennt
der Missionar, dass das Evangelium alle Lösungen bereithält:
Nr. 01/ 2016
nicht nur für Situationen der Sünde und für die seelischen
Krankheiten, sondern auch Hilfe für körper­liche Krankheiten,
den Hunger, den Tod und alle anderen Probleme! Erst beim
Missionieren selbst habe ich folgende Worte Christi grundlegend
verstanden: «Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium
aller Kreatur!» (Mk 16,15). Dies sind seine schönsten Worte,
die er ausgesprochen hat! Aus diesem Grunde werde ich nicht
müde zu arbeiten, um den Armen zahlreiche und heilige Missi­
onare geben zu können. Folglich muss unsere Evangelisierung,
die sich auf diesen drei Ebenen abspielt, eine demütige, stille und
notwendigerweise vom Kreuze gezeichnete Evangelisierung sein.
Ohne Demut verkündigen wir nur uns selbst – auch wenn wir
gut vorbereitete Katechesen durchführen; Predigten gespickt
mit Zitaten aus der Bibel oder ausgefeilte theologische Reden
halten. Wenn wir nicht über die Demut verfügen, die uns
empfänglich macht für sein Wort, dann werden wir nur uns
selbst verkündigen, das bedeutet, eine begrenzte und vergäng­
liche Menschlichkeit, die nur die Kraft hat, intellektuell und
sentimental vorübergehend Zufriedenheit herzustellen, aber
nicht die Kraft, zu retten. Auf diese Weise würden wir Gott,
die Kirche, die Armen und uns selbst betrügen.
Im vierten Gottesknechtslied, wo die Demut und die Stille
prophezeit werden, mit der er seine Erlösermission erfüllt,
indem er sich wie ein sanftmütiges Lamm als Opfer darbietet,
lernen wir in besonderer Weise, dass unsere Aufgabe darin
bestehen muss, eine demütige und stille Evan­
geli­
sierung
zu betreiben. Wie Christus, der vorangekündigte Diener des
Herrn, seine Mission auf diese Weise erfüllt hat, indem er sich
Gott Vater für die eigene Braut, die Kirche, angeboten hat, so
müssen auch wir in erster Linie Diener Gottes und Diener der
Kirche sein, um getreu unsere ­Mission als Diener der Ärms­
ten zu erfüllen. Missionar sein zu wollen, ohne sich auf Opfer
einzulassen, ist eine Illusion.
Seien wir uns darüber im Klaren, dass Gott seine grössten
Werke im Stillen vollbracht hat bzw. vollbringt: die Erschaf­
fung der Welt; die Fleischwerdung seines Sohnes im Schoss
einer Frau; der schweigsame, demütige und respektvolle Weg,
den er im Herzen eines jeden Menschen im Laufe seiner
Umkehr beschreitet, selbst wenn dies äusserlich betrachtet,
oft die Merkmale eines plötzlichen Schreies annimmt, ist es
in der Tat doch nur das letzte Kapitel einer «stillen» und «verführerischen» Arbeit, die mit viel Geduld vom Herrn vorange­
trieben wird.
Bitten wir die Heilige Maria, die Mutter der Armen und die
Königin der Evangelisierung, dass sie uns lehrt, ein wahrer
Christophorus (Christusträger) zu sein, fähig, Christus zu
unserem Nächsten zu tragen und dabei Zeugnis abzulegen mit
einem Leben in Einfachheit und im Geiste der «Nachfolge
Christi» (unserer Lebensregel), in einer bedingungslosen Hin­
gabe an die Kirche, um den Armen zu gehören, sie zu evange­
lisieren und ihnen zu dienen.
Ut unum sint !
1
Abschnitt Bibel
«Hindert ihn nicht…»
P. Sebastian Dumont msp (Belgier)
Nachdem Jesus die Zwölf eingesetzt und ausgesendet
hatte (Mk 3,13–19 und 6,7–13), gab er dieser Gruppe der
ersten Missionare einige Anweisungen (vgl. Mk 9,35–50
und 10,32–45). In diesen Anweisungen setzte er den
Akzent auf die Haltung des Dienens. ­Lernen wir
von seiner ersten Anweisung.
Höre: «Da sagte Johannes zu ihm: Meister, wir
haben gesehen, wie jemand in deinem Namen
Dämonen austrieb; und wir versuchten, ihn
daran zu hindern, weil er uns nicht nachfolgt.
Jesus erwiderte: Hindert ihn nicht! Keiner, der
in meinem Namen Wunder tut, kann so leicht
schlecht von mir reden. Denn, wer nicht gegen
uns ist, der ist für uns. Wer euch auch nur einen
Becher Wasser zu trinken gibt, weil ihr zu Christus gehört – Amen, ich sage euch: Er wird nicht
um seinen Lohn kommen» (Mk 9,38–41).
Überlege: Johannes wurde zusammen mit sei­
nem Bruder Jakobus Donnersohn genannt (Mk 3,17). In
einer Situa­tion wollte er nämlich Feuer vom Himmel
herabrufen, um ein samaritanisches Dorf zu vernichten,
welches Jesus nicht aufgenommen hatte. Was für ein Cha­
rakter! Auch in jener Situation hatte ihn Jesus zurechtge­
wiesen (vgl. Lk 9,51–56). Was war nun hier passiert? Sie
hatten gesehen, wie jemand im Namen Jesu Dämonen
ausgetrieben hatte (vgl. Mk 9,38). Damit dieser Mensch
dieses wirkliche Wunder tun konnte, musste er Glauben
an die Macht des Namens Jesu haben. Der heilige Pet­
rus erklärte das Wunder der Heilung eines Gelähmten
wie folgt: «Und weil er an seinen Namen geglaubt hat, hat
dieser Name den Mann hier, den ihr seht und kennt, zu
Kräften gebracht» (Apg 3,16). Der Name Jesu also hatte
das Wunder gewirkt. Was war hier das Problem? Dieser
Mann folgte ihnen nicht nach. Es bestand keine volle,
wirkliche Gemeinschaft mit der Gruppe der Zwölf. Lei­
der wissen wir – und es schmerzt uns – dass nicht alle,
welche an Jesus glauben, in voller Gemeinschaft mit der
Katholischen Kirche leben. Nicht alle anerkennen das
Lehramt der Nachfolger der Apostel. Trotzdem erlaubt
uns dies nicht, sie daran zu hindern, mit Jesus zusammen
grosse Werke zu vollbringen. Die Reaktion Jesu gilt auch
für uns: Hindert ihn nicht daran. In der Geschichte der
Kirche «ist es leider vorgekommen und kommt es immer noch
vor, dass Brüder ihre Unterschiede nicht akzeptieren können
und dies dazu führt, dass sie gegeneinander Krieg führen»,
sagte Papst Franziskus am 22. Juni 2015 anlässlich sei­
nes Besuchs in der Kirche der Waldenser in Turin. Die
Waldenser bilden heute einen Teil der protestantischen
Kirche. Der Papst lud dort ein, eine neue gegenseitige
Sichtweise zu entwickeln: «Vor allem die Grösse unseres
gemeinsamen Glaubens, unseres Lebens in Christus und
im Heiligen Geist zu betrachten und erst nachher auf die
2
Ut unum sint !
Unterschiede zu schauen, die noch existieren». Jesus ist nicht
gekommen, um die Menschen zu verurteilen, sondern
um sie zu retten (vgl. Joh 3,17) und er will den glim­
menden Docht nicht auslöschen (vgl. Mt 12,20). Auch
wenn also viele nicht in voller Gemeinschaft mit der
Katholischen Kirche stehen, welche auf den Aposteln
beruht, dürfen wir sie nicht verurteilen, ihnen die Türe
nicht verschliessen.
In diesem Zusammenhang ist die Geschichte von Apollos
erbaulich, einem Juden aus Alexandria, redekundig und
in der Schrift bewandert (Apg 18,24). Er war unterwiesen
im Weg des Herrn. Er sprach mit glühendem Geist und
trug die Lehre von Jesus genau vor, obwohl er nur die
Taufe des Johannes kannte (seine Ausbildung war also
unvollständig). Als Aquila und Priscilla das hörten, nah­
men sie ihn mit sich und legten ihm den Weg Gottes noch
genauer dar (vgl. Apg 18,24–26). Ohne in einen Relati­
vismus oder in eine Verwirrung zu verfallen, indem wir
meinen, dass jede Lehre oder Lebensart gleichwertig ist,
dürfen wir nicht etwas unterdrücken, das Jesus zu wirken
begonnen hat und was zum Heil unserer Brüder führen
soll. Muntern wir also diejenigen auf, die an Jesus glau­
ben, dass sie den Glauben an ihn behalten und bringen
wir sie allmählich und mit Liebe dazu, in der Wahrheit zu
wachsen. Man darf sie also nicht hindern, sondern muss
vielmehr aufrichten, vervollkommnen, vervollständigen,
was bereits vorhanden ist. Das ist der Dienst, den Jesus
vom Missionar erwartet. Auf dem Weg der Liebe, nie auf
dem Weg der Gewalt sollen wir zur Wahrheit gelangen.
Ein bisschen Honig zieht mehr Fliegen an als ein Fass
Essig … . Das ist wirklicher Dienst am Werk Jesu, näm­
lich nicht hindern, sondern auf die Menschen schauen,
wie er es tat, ohne dass wir uns mit unserer Gruppe abson­
dern. «Einige, ja sogar viele und bedeutende Elemente oder
Güter, aus denen insgesamt die Kirche erbaut wird und ihr
Leben gewinnt, können auch ausserhalb der sichtbaren Grenzen der Katholischen Kirche existieren … . All dieses, das von
Christus ausgeht und zu ihm hinführt …» (Dekret über den
Ökumenismus, N. 3, 2. Vatikanisches Konzil). Seien wir
aufmerksam beim Betrachten des Wirkens Christi, um
es richtig einzuschätzen. Wenn sich unsere christlichen
Brüder geachtet sehen, schreiten sie mit grösserer Freude
Richtung Vollkommenheit und – wenn Gott es will –
gelangen sie eines Tages dazu, alle Heilsgüter der Katho­
lischen Kirche zu geniessen. Wir dürfen keine noch so
kleine Liebestat, welche im Glauben vollbracht wurde,
gering achten; vielmehr müssen wir sie schätzen. Auch
wenn sie ebenso unbedeutend scheint wie «einen Becher
Wasser zu trinken geben», ist dies der Weg zur Rettung,
bedeutet dies, den Schüler aufzunehmen bzw. eine Tür zu
öffnen, damit Jesus eintreten kann (vgl. Mk 9,37).
Bete: Herr, mach uns zu Erbauern der Einheit
und des Friedens in deiner Kirche.
Lebe: Ich schätze alles Gute, was Jesus wirkt,
und ich bete für die Einheit der Gläubigen.
Abschnitt Patristik
Frauen im Dienste
des Evangeliums (II)
P. Walter Corsini msp (Italiener)
Mit diesem Artikel setzen wir die kurzen Überlegungen
über die weiblichen Personen in der ersten Zeit der Kirche
fort und beschliessen diese gleichzeitig auch. Neben dem
bisher Gesagten gibt es einige Betrachtungen, die nicht
verborgen bleiben dürfen. So ist beispielsweise festzuhal­
ten, dass der heilige Paulus den kurzen Brief an Philemon
auch an eine Frau namens Aphia richtete (vgl. Phlm 2).
Lateinische und syrische Übersetzungen des griechischen
Textes fügen zum Namen Aphia die Bezeichnung «soror
carissima» (geliebte Schwester) an. Es gilt festzuhalten, dass
sie in der Gemeinde von Kolossä eine wichtige Stellung
eingenommen haben muss. Auf jeden Fall ist sie die einzige
Frau, welche vom heiligen Paulus als Empfängerin eines
seiner Briefe erwähnt wurde. An anderen Stellen erwähnt
der Apostel eine gewisse «Phöbe», welche er als Dienerin
(Diakonin) der Gemeinde Kenchreä bezeichnet, ein klei­
ner Ort mit Hafen östlich von Korinth (vgl. Röm 16,1–2).
Auch wenn dieser Titel in jener Zeit nicht die kirchlich
hierarchische Stufe meinte, wie es später der Fall war, so
zeigt der Titel dennoch, dass Phöbe wirklich eine verant­
wortungsvolle Aufgabe zugunsten der christlichen Gemein­
schaft ausübte. Was die Taufen betrifft, wurden diese später
in vielen Fällen in Form der Salbung des ganzen Körpers
durchgeführt. Im Falle von weiblichen Täuflingen war es
deshalb logischer, wenn diese Aufgabe von Frauen ausgeübt
wurde. Diese Frauen wurden Diakonissen genannt.
Im gleichen Bibeltext erinnert der Apostel mit grosser
Feinfühligkeit an andere Frauen, zum Beispiel an eine
gewisse Maria und an Tryphäna, Tryphosa, (die liebe)
Persis und Julia. Von ihnen schreibt er offen, dass sie
«für euch viel Mühe auf sich genommen haben» und «sie
für den Herrn grosse Mühe auf sich genommen haben»
(Röm 16,6.12a.12b.15). Er unterstreicht damit ihre tiefe
kirchliche Verbundenheit. Ebenso sind in der Kirche von
Philippi zwei Frauen bekannt, nämlich Evodia und Syn­
tyche (Phil 4,2). Der Aufruf des heiligen Paulus zur Ein­
mütigkeit lässt verstehen, dass diese beiden Frauen eine
wichtige Funktion innerhalb jener Gemeinschaft ausge­
übt hatten. Als Schlussfolgerung kann man sagen, dass die
Geschichte des Christentums eine ganz andere Entwick­
lung genommen hätte, wenn es nicht auf den grosszügigen
Beitrag von vielen Frauen hätte zählen können. Wenn wir
einen Blick in die ersten Jahrhunderte der Kirche wer­
fen, denken wir an eine Vielzahl von Frauen, welche sich
zum Christentum bekehrt haben, vorher einem heidni­
schen Familienumfeld angehört hatten und unter vielen
Schwierigkeiten – manchmal bis zum Preis ihres Lebens
– zu Kanälen der Evangelisierung ihres Familienumfelds
wurden. Auch denken wir an die vielen Märtyrerfrauen,
welche in den ersten Jahrhunderten der Kirche ihr Blut
als Preis für ihren Glauben vergossen haben.
Einige von ihnen stachen in der Geschichte
der Urkirche derart hervor, dass ihre Namen in
den ersten Messkanon, den römischen Kanon,
aufgenommen wurden: Felicitas und Perpetua,
Argueda und Luzia, Ines, Cäcilia, Anastasia. Ich
bin überzeugt, dass nicht wenige sofort mit dem
Gedanken spielen, dass dies nur die Frucht der
Volksfrömmigkeit gewesen war, welche solche
beispielhafte Figuren benötigte. Wer aber nur
minimale Kenntnis von der geringen Bedeu­
tung der Frau im Allgemeinen in jenen Jahr­
hunderten hat, kann sofort verstehen, dass sich
die Aufnahme in den Messkanon nur auf einer
genauen Kenntnis ihrer Glaubenszeugnisse
abstützen konnte, welche bis zum Martyrium gin­
gen. Es genügen einige andere Beispiele, um dies zu bestä­
tigen. Niemand bestreitet die Wichtigkeit der Person des
heiligen Augustinus in theologischer Hinsicht. Trotzdem
hört er selbst nicht auf, seiner Mutter, der heiligen Monika,
für ihre Rolle als Fürbitterin und als beispielhafte Schüle­
rin zu danken. Nie dürfen wir vergessen, dass derselbe hei­
lige Augustinus bekräftigt, dass der wahre Philosoph jener
ist, welcher es verstanden hat, sich vom Geheimnis der
Weisheit erfassen zu lassen, indem er sie in seinem Herzen
und seinem Geist auskostet. Für seine Mutter, die heilige
Monika, hat er die Bezeichnung als hervorragende Philoso­
phin reserviert. Es gibt sogar einige Väter oder besser gesagt
«Mütter», die den Vorschlag gemacht haben, einen Teil des
Studiums der Patristik für weib­liche Personen zu reservie­
ren, indem ihnen ein spezielles Kapitel gewidmet sein soll,
welches den Namen ­Matristik oder Matrologie trägt.
Der heilige Johannes Paul II. schrieb in seinem aposto­
lischen Schreiben «Mulieris dignitatem», dass die Kirche
für alle Frauen und jede einzelne dankt. (…). Die ­Kirche
drückt ihre Dankbarkeit aus für alle Äusserungen des weiblichen Genies, welche sich in allen Zeiten der Geschichte in
allen Völkern und Nationen gezeigt haben. Sie dankt für alle
Charismen, welche der Heilige Geist in der Geschichte des
Volkes Gottes in den Frauen hervorgebracht hat und für alle
Siege, welche deren Glauben, deren Hoffnung und deren
Liebe errungen haben. Sie zeigt ihre Dankbarkeit für alle
Früchte weiblicher Heiligkeit (Nr. 31). Auch wir schlies­
sen uns dieser Wertschätzung an, indem wir dem Herrn
dafür danken, dass er seine Kirche von Generation zu
Generation geführt hat, indem er sich ohne Unterschied
derjenigen Männer und Frauen bediente, die es verstan­
den haben, ihren Glauben und ihre Taufe für das Wohl
des ganzen Leibs der Kirche fruchtbar zu machen, zur
grösseren Ehre Gottes.
Ut unum sint !
3
Abschnitt Kirche
Die Kirche, das
a
­ llgemeine Sakrament
der Erlösung (IV)
P. Giuseppe Cardamone msp (Italiener)
«Eins mit Gott, werden wir zu Instrumenten seiner barmherzigen Liebe, dem einzigen Mittel,
uns zu erlösen». Mit diesem Satz haben wir
den letzten Artikel abgeschlossen. Nun wol­
len wir die Art und Weise vertiefen, in der
sich diese Vereinigung mit Gott verwirklicht,
die uns in analoger Weise wie unseren Herrn
Jesus Christus und seine Kirche zu universalen
Sakra­menten des Heilswerkes macht.
Wir haben bereits gesehen, wie diese Vereini­
gung mit Gott Vater in Christus, seinem Sohn,
verwirklicht ist durch den Heiligen Geist,
mittels der Sakramente. Wir beziehen uns
vor allem auf diejenigen, die einen Charak­
ter einprägen. Im allgemeinen Sprachgebrauch
bezeichnet «Charakter» einfach einen besonderen Aspekt
der Persönlichkeit eines Individuums, die Veranlagung, in
bestimmter Weise zu reagieren und sich zu benehmen. Im
Altertum bezeichnete das lateinische Wort «character» das
Siegel, in dem an einem Gegenstand oder einem Tier oder
auch an einer Person, die zum Sklaven gemacht wurde, mit
brennendem Eisen das Eigentum eingeprägt wurde, um es
unauslöschlich zu machen. Der heilige Paulus nennt die
Salbung mit dem Heiligen Geist «Charakter»: «Gott aber,
der uns und euch in der Treue zu Christus festigt und der uns
alle gesalbt hat, er ist es auch, der uns sein Siegel aufgedrückt
und als ersten Anteil (am verheissenen Heil) den Geist in unser
Herz gegeben hat.» (2Kor 1,21–22) Das will besagen, dass
der Heilige Geist in der Kraft der Taufe, der Firmung und
der Priesterweihe – die Sakramente, die uns einen Cha­
rakter einprägen – uns mit einem unauslöschlichen Siegel
konsekriert, welches uns als Eigentum Gottes prägt.
Die Salbung des Geistes, die wir im sakramentalen Cha­
rakter empfangen, ist das Bild Christi, das in unseren Her­
zen wiederhergestellt wird, nachdem es durch die Erbsünde
verunstaltet und zerstört wurde. Es handelt sich um eine
beständige Gabe, dank derer wir in uns das Bild des Soh­
nes Gottes tragen und wir ihm als ein alter Christus (ein
zweiter Christus) gleichgestaltet sind. Die Salbung des
Geistes, die wir als sakramentalen Charakter empfangen,
ist nicht irgendetwas Statisches, sondern vielmehr etwas
Dynamisches: Wir sind berufen, dem Sohn Gottes immer
ähnlicher zu werden. Die Gegenwart des Heiligen Geistes
in unseren Herzen manifestiert sich in der Eingiessung der
göttlichen Tugenden des Glaubens, der Hoffnung und der
Liebe, sowie seiner sieben Gaben, als ein Same, der beru­
fen ist, sich zu entfalten, sich auszudehnen und die ganze
Person zu vergeistigen, indem sie seinem Wirken gefügig
4
Ut unum sint !
wird. Von hier aus versteht sich die Grösse der Taufe, die
uns in Wahrheit zu Gotteskindern in Christus durch den
Heiligen Geist macht, die in uns das Bild, das Denken
und die Gesinnung, des Sohnes wiederherstellt. Es ist so,
dass jeder von uns kraft der Taufe Christus vergegenwär­
tigt, in dem (tiefen) Sinn, ihn in der Welt gegenwärtig zu
machen. Daher kommt es, dass wir seinen Namen tragen
als «Christen», was aus dem griechischen Wort «chrístoi»
abgeleitet ist und «Gesalbte», «Geweihte» bedeutet. Folg­
lich ist die Einheit der Christen mit Christus eine Gabe,
aber zugleich auch eine Aufgabe: es ist eine Gabe in Form
eines Samenkorns, das dazu bestimmt ist, zu erstarken, zu
wachsen und sich zu entfalten. Zweifellos ist es eine Gabe,
die uns nicht nur Christus gleichmacht, sondern von uns
auch eine entsprechende bewusste Antwort fordert, eine
beständige Anhänglichkeit an den Plan G
­ ottes.
Wie können wir beständig mit Gott vereint leben? Die
Antwort gibt uns die Heilige Schrift: «Der Gerechte lebt
aus dem Glauben» (Gal 3,11). Der Glaube ist die Wurzel
des übernatürlichen Lebens: Er weckt die Hoffnung, wel­
che die Liebe trägt. Deshalb verkündet der Herr im Evan­
gelium: «Das ist das Werk Gottes, dass ihr an den glaubt,
den er gesandt hat» (Joh 6,29). Der Inhalt des Glaubens,
der uns mit Gott vereint, besteht darin, an die Macht
seiner Liebe zu glauben. Glaube bedeutet, die Erkenntnis
des Sohnes Gottes zu gewinnen, und in gewisser Weise
eine göttliche Gesinnung zu erlangen, die uns erlaubt,
die Welt mit den Augen Gottes zu sehen. Somit ist der
Glaube ein lebendiges Gedächtnis der Liebe Gottes
zu uns: ein Gedächtnis, das beständig neu aktualisiert
werden und man sich als beständigen Massstab für sein
christliches Wirken aneignen muss (vgl. Gal 5,6, wo vom
«Glauben, der durch die Liebe wirkt», die Rede ist).
Mit Gott in Christus vereint machen wir seine mensch­
liche Natur auch heute sichtbar und wir werden fähig,
über unsere menschliche Natur hinaus zu wirken, denn es
ist der Geist, der in uns und durch uns wirkt. Bezeichnend
ist in diesem Sinn jenes Ereignis des Evangeliums, welches
auf den ersten Blick unsere Ohren schmerzt: «Da sah er
von Weitem einen Feigenbaum mit Blättern und ging hin, um
nach Früchten zu suchen. Aber er fand an dem Baum nichts
als Blätter; denn es war nicht die Zeit der Feigenernte. Da sagte
er zu ihm: In Ewigkeit soll niemand mehr eine Frucht von dir
essen. Und seine Jünger hörten es ... Als sie am nächsten Morgen an dem Feigenbaum vorbeikamen, sahen sie, dass er bis zu
den Wurzeln verdorrt war. Da erinnerte sich Petrus und sagte
zu Jesus: Rabbi, sieh doch, der Feigenbaum, den du verflucht
hast, ist verdorrt. Jesus sagte zu ihnen: Ihr müsst Glauben an
Gott haben. Amen, das sage ich euch: Wenn jemand zu diesem Berg sagt: Heb dich empor und stürz dich ins Meer!, und
wenn er in seinem Herzen nicht zweifelt, sondern glaubt, dass
geschieht, was er sagt, dann wird es geschehen. Darum sage ich
euch: Alles, worum ihr betet und bittet – glaubt nur, dass ihr
es schon erhalten habt, dann wird es euch zuteil.» (Mk 11,13–
14.20–24) Der Herr will uns zu verstehen geben, dass er
von uns Früchte erwartet, die über die blossen mensch­
lichen Fähigkeiten hinausgehen, und er kann es von uns
fordern, denn er ist es, der in uns wirkt: Er fordert von uns
die Früchte des Glaubens.
Abschnitt Moral
Die Ausbreitung
der Sünde
P. Agustín Delouvroy msp (Belgier)
Einführung: Mit dem Akt der Sünde gibt man die Freiheit auf
und begibt sich in einen Zustand der de-facto-Gefangenschaft,
erlangt hierbei aber nur scheinbare Freiheit (vgl. Joh 8,34). Die
Sünde ist wie ein Riss in einem Staudamm: Wenn wir den Riss
nicht umgehend reparieren, wird er mit der Zeit immer grösser,
bis der Wasserausfluss nicht mehr kontrolliert werden kann.
Die Wiederholung sündiger Akte erzeugt das Laster. Jede
von uns begangene Sünde hat die Eigenschaft, die in uns
bestehende Wunde der Erbsünde zu vergrössern. Die Sünde
schafft «verkehrte Neigungen, die das Gewissen verdunkeln
und das konkrete Urteil über Gut und Böse beeinträchtigen»
(Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) Nr. 1865)
– verkehrte Neigungen, die wir als «Laster» bezeichnen.
Mit jeder Sünde beleidigen wir vor allem Gott, der die
Grundlage unseres menschlichen Lebens und des Seelenle­
bens ist. Dadurch behindern wir das Leben der Gnade oder
berauben uns gar der Gnade. Unsere Seelenkräfte werden
geschwächt und in Unruhe gebracht. Dies erzeugt eine
immer niedrigere Hemmschwelle gegenüber der Sünde, da
wir das Licht unseres Gewissens absichtlich und wiederholt
verdunkelt haben. Die durch das Laster geschaffene nied­
rige Hemmschwelle zur Sünde ist der Tatsache geschuldet,
dass der lasterhafte Mensch nicht in der Lage ist, die eige­
nen Leidenschaften zum persönlichen Nutzen einzusetzen,
sondern dass er durch sie wie zu ihrem Sklaven wird. «Die
Sünde neigt dazu, sich zu wiederholen und sich zu verstärken»
(KKK Nr. 1865). Das Gefährlichste ist die durch die Sünde
verursachte Unordnung in der Willenskraft, die zu Hoch­
mut oder ungeordneter Selbstliebe führt. Diese Unordnung
ist verantwortlich für alles andere. Das Laster unterschei­
det sich von der einfachen Sünde durch die Tatsache, dass
es sich nicht nur um eine Handlung gegen das Gesetz Got­
tes handelt, sondern um eine gewohnheitsmässige Haltung
gegen das Gesetz.
Die Laster machen uns verwundbarer für die Handlungen des Dämons, weshalb jede Sünde ein Sieg für seinen
Plan des Verderbens ist. Unser Kampf gegen die Sünde ist
im Grunde ein Kampf gegen ihn (vgl. Eph 6,12), der der
Inbegriff des Versuchers ist und dessen Wunsch es ist, uns
zur Sünde zu verleiten (vgl. 1Petr 5,8). Der Dämon versucht
uns mit List und indem er sich als Engel des Lichts ausgibt
(vgl. 2Kor 11,14), wobei er die schwächsten Stellen eines
jeden auswählt. Wenn er erreicht hat, dass der Mensch
sündigt, dann versucht er auf alle Arten zu verhindern oder
zu erschweren, dass sich der Mensch wieder erhebt.
Alle Sünden haben eine soziale Auswirkung: «Von sozialer Sünde sprechen, heisst vor allem anerkennen, dass die
Sünde eines jeden Einzelnen kraft einer menschlichen Solidarität, die so geheimnisvoll und verborgen und doch real und kon-
kret ist, sich in irgendeiner Weise auf die anderen auswirkt.»
(Apostolisches Schreiben «Reconciliatio et paenitentia»,
Nr. 16). Dies geschieht in einer Weise, dass wir die Folgen
der Sünden anderer spüren und umgekehrt durch unsere
Sünden das Sündigen anderer provozieren können. Das
geht so weit, dass die Sünden eine Sündenstruktur erzeu­
gen können: Gesetze, Tendenzen, Systeme. «Die Sünden
führen in der Gesellschaft zu Situationen und Institutionen,
die zur Güte Gottes im Gegensatz stehen» (KKK Nr. 1869).
Derartige Strukturen sind das Ergebnis der Ansammlung
vieler persönlicher Sünden und sie führen dazu, dass viele
andere auch sündigen. Darüber hinaus scheint es,
dass sie in den Menschen und den Institutionen
ein schwer überwindbares Hindernis schaffen.
«So macht die Sünde die Menschen zu Komplizen
und lässt unter ihnen Gier, Gewalttat und Ungerechtigkeit herrschen» (KKK Nr. 1869).
Die Sünde erzeugt immer eine Frustration,
da sie bedeutet, dass der Mensch sein Herz an
ein endliches Gut hängt, das ihn nicht befrie­
digen kann. Auf den Genuss der Sünde folgt
eine Leere in der Seele, die wiederum dazu ver­
anlasst, weitere Sünden zu begehen, um jene
Leere auszufüllen. Da der Mensch für gewöhn­
lich seinen Hunger nach endlichen Dingen
stillt, veranlasst ihn die Sünde, immer zahlrei­
chere verbotene und immer grössere Dinge zu tun. Auf
diese Weise führt die Sünde in einen wachsenden Teu­
felskreis, sofern sich das Herz nicht Gott zuwendet. Die
lässliche Sünde ist der Vorläufer der Todsünde und diese
erzeugt eine immer grössere Abhängigkeit – nicht nur von
der Sünde, sondern auch vom Laster.
Wenn wir von schweren Sünden sprechen, müssen wir
die absolute Notwendigkeit der Gnade Gottes zur Befreiung unterstreichen. Wer sich aus freien Stücken mit sei­
nen Taten von Gott trennt, kann ohne seine Hilfe nicht
zu ihm zurückkehren. Es ist so wie wenn sich jemand wil­
lentlich in einen tiefen Brunnen stürzt, aus dem er nicht
aus eigener Kraft wieder herauskommen kann, auch wenn
er es möchte.
Die Barmherzigkeit Gottes ist unendlich. Die reale
Chance – bis zum letzten Atemzug – von der Sünde und
dem Laster, in die wir geraten sind, befreit zu werden, ist
ein Zeichen für die Grösse und die Macht der Barmher­
zigkeit Gottes. Wir dürfen weder die Barmherzigkeit Got­
tes ausnutzen noch unsere Umkehr zu ihm auf morgen
aufschieben: «Jetzt ist sie da, die Zeit der Gnade; jetzt ist
er da, der Tag der Rettung.» (2Kor 6,2). Wir dürfen die
Barmherzigkeit nicht verwechseln mit dem Streben der
heutigen Zeit, der Sünde ihre Schwere zu nehmen, die
Sünde zu einer Notwendigkeit oder gar zu einer interessan­
ten Erfahrung zu machen. Je weniger wir sündigen, umso
besser! Dadurch rühmen wir Gott noch mehr, gewinnen
mehr Verdienste, können mit der Hilfe Gottes als Per­
sonen wachsen und tun unseren Nächsten mehr Gutes.
Je länger wir unsere eigene Umkehr hinauszögern, umso
schwieriger wird diese und umso grösser wird die Macht
der Sünde über uns.
Ut unum sint !
5
Abschnitt Spiritualität
Nachfolge und Nachahmung Christi (III)
«Das Handeln folgt
dem Sein»
P. José Carlos Eugénio msp (Portugiese)
Wie wir im letzten Artikel gesehen haben, findet die
Umkehr in jenem Moment unseres Lebens statt,
in welchem wir uns aktiv das Geschenk des
Glaubens aneignen, das wir in unserer Taufe
unentgeltlich erhalten haben. All die Mög­
lichkeiten, die in der Taufe in uns angelegt
wurden, entwickeln sich durch das beständige
Zusammenwirken zwischen gött­licher Gnade
und menschlicher Freiheit ganz normal. Erst
mit der persönlichen Umkehr stellt sich aber
unser bewusstes Einssein mit Christus ein,
unsere positive Antwort auf seinen Ruf, ihm
nachzufolgen und ihn nachzuahmen. So ist
die Umkehr die Frucht der Begegnung, die wir
mit Jesus gehabt haben. Ab diesem Augen­
blick entstehen zwischen Christus und uns
gewisse Beziehungen des Glaubens und der
Liebe, welche sich durch die Nachfolge und die Nach­
ahmung vertiefen. Die Nachfolge dient dazu, die persön­
liche Beziehung zwischen Christus und seinem Schüler
auszudrücken; sie beschreibt die existenzielle Art und
Weise des Christen und weist auf den aktiven und dyna­
mischen Aspekt des Glaubens hin (vgl. Jak 2,14). Sie
ist die richtige Haltung des Menschen gegenüber dem
Ruf Jesu, weil der wahre Jünger derjenige ist, welcher
auf die Stimme des Meisters hört und welcher sich in
seinen Nachfolger verwandelt: «Meine Schafe hören meine
Stimme, (…) und sie folgen mir» (Joh 10,27).
So gesehen ist die Nachfolge, bei der nicht gehandelt wird
und die statisch bleibt, widersprüchlich, weil derjenige,
welcher einem anderen nachfolgt, sich bewegen muss, um
diesen nicht aus den Augen zu verlieren. Dies bedeutet,
dass er hinter ihm hergehen und ihn – Jesus – immer im
Blick haben muss (vgl. Hebr 12,2). Die Nachfolge bedeu­
tet nicht, ein Ziel zu erreichen und es sich darin bequem
einzurichten, sondern es ist vielmehr ein dauerndes Vor­
wärtsschreiten in der Treue, ohne Suche nach Abkür­
zungen, und immer beobachtend, wo Jesus seinen Fuss
hinsetzt, um unseren Fuss in seine Fussstapfen zu setzen.
Dies bedeutet, dass die Nachfolge Jesu als notwendiger­
weise dynamische und wirkungsvolle Realität derselben
geistigen Regel folgen muss, welche viele Heilige in ihrem
eigenen Leben mit Klarheit angewendet haben: «In via
Dei non progredi regredi est» (auf dem Weg zu Gott nicht voranzuschreiten bedeutet zurückzubleiben). Die verschiedenen
Etappen, die wir bisher dargelegt haben (Ruf, Antwort,
Begegnung, Umkehr, Nachfolge und Nachahmung) stel­
len also einen spirituellen Weg dar, auf dem wir unser
ganzes Leben lang gehen (müssen). Und damit der ganze
Weg ein authentischer Weg für die Liebe und in der Liebe
6
Ut unum sint !
ist, ist es nötig, all diese Etappen zu durchschreiten. Sie
sind nichts anderes als ein Verbleiben und Wachsen in
dieser Liebe; denn nur mit unserer Ausdauer werden wir
unsere Seelen retten (vgl. Lk 21,19).
Auch wenn die Nachfolge und Nachahmung Christi zual­
lererst mit sich bringt, sich Haltungen und Verhaltenswei­
sen anzueignen bzw. Handlungen auszuführen, verlangen sie
noch viel mehr, sich in ein neues Sein zu wandeln, welches
eine neue Art zu leben und gleichzeitig auch eine Verbin­
dung mit dem Leben und dem Denken des auferstandenen
Christus ermöglicht. Die Nachahmung Christi ist nur mög­
lich, weil Christus lebt («Der Tod hat keine Herrschaft über
ihn»; Röm 6,9), aber vor allem weil er in der Person gna­
denhaft lebt: «Wir sind nicht nur Christen geworden, sondern
Christus selbst (…). Wir sind Christus geworden!» (heiliger
Augustinus, in «Johannes Evangelium Traktat» 21,8). Diese
ontologische Neuheit der Person erzeugt dann die Pflicht
oder die moralische Verpflichtung und nicht umgekehrt:
«Actio sequitur esse» (das Handeln folgt dem Sein), wie der
heilige Thomas von Aquin lehrt. Wir handeln wie Christus,
weil wir in erster Linie Christus sind. Wenn unsere Werke
in Übereinstimmung mit unserem Sein sind, dann zeigen sie
die Wahrheit dessen auf, was wir sind; sie sind eine wahre
Epiphanie (Erscheinung) Christi. Mit anderen Worten zeigt
sich die Person Christi durch unser Handeln. So können wir
besser die Bedeutung verstehen, welche das Apostolat des
Zeugnisses oder des guten Beispiels in der Evangelisierung
spielt: «Verba movent, exempla trahunt» (Worte bewegen, Beispiele reissen mit).
Im Unterschied zu irgendeiner anderen Art von Schüler­
schaft sind die Nachfolge und die Nachahmung Christi
eine Realität, welche eine lebendige Beziehung, eine totale
Verbindung zwischen Christus und seinem Nachfolger und
Nachahmer zum Ausdruck bringt. Es handelt sich um
eine besondere Nachfolge und Nachahmung, und nicht
um eine einfache Nachfolge und Nachahmung ethischer
Art gegenüber einer grossen Persönlichkeit, weil Christus
nicht nur eine historische Persönlichkeit ist, sondern er
ist auch eine lebende Person und seit seiner Auferstehung
eine in allen Epochen gegenwärtige Person. Die Geheim­
nisse seines Lebens sind aktuell; unsere Beziehung mit
ihm ist zeitgenössisch. Jesus nachfolgen und nachahmen,
bedeutet konsequenterweise nicht einfach, das zu kopieren
oder in materieller Weise zu wiederholen, was er getan hat.
Vielmehr heisst es, uns jedes Mal tiefer mit ihm in seinem
göttlichen Leben zu vereinigen, indem sein Denken und
Fühlen angenommen wird, bis wir seine Gedanken und
seine Gefühle in allen Lebensumständen ausdrücken und
konkretisieren. Letztlich sind die Nachfolge und die Nach­
ahmung Christi der Weg, um sich immer mehr seinem
Fühlen, seiner Art zu denken, seinem Wollen und seinem
Handeln anzugleichen (vgl. Phil 2,5): definitiv mit sei­
ner ganzen Person. Was würde Jesus machen? Wie würde
er sich verhalten, wenn er an meiner Stelle wäre? Was
würde er mir empfehlen? Was würde Jesus von mir wol­
len, hier und heute? Dies sind die Fragen, die sich einem
Christen stellen, der Christus nachfolgen und nachahmen
will. Aber wie bekomme ich die Antwort auf diese Fragen?
Diese erhalten wir in der nächsten Nummer.
Abschnitt Berufung
Die Oblaten (VI)
P. Álvaro Gómez Fernández msp (Spanier)
«Aber er hat unsere Krankheiten getragen und unsere
Schmerzen auf sich geladen. Wir meinten, er sei von Gott
geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt. Doch er wurde
durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden
zermalmt. Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch
seine Wunden sind wir geheilt» (Jes 53,4–5).
Unser offizieller Name («Diener») ist nicht ein Name,
der ohne ein besonderes Motiv gewählt worden wäre,
sondern um ein ganzes Lebensprogramm auszudrücken; er
ist ein wesentlicher Bezugspunkt und Grundlage unseres
Charismas und unserer Spiritualität: Jesus Christus, der
Gottesknecht, vom Propheten Jesaja vorhergesagt (in den
vier Gottesknechtsliedern: dem ersten in Jes 42,1–9.14;
dem zweiten in Jes 49,1–6; dem dritten in Jes 50,4–9; und
besonders im vierten in Jes 52,13 – 53,12, welches am deut­
lichsten auf seine Passion zielt und zu dem die beiden Verse
gehören, die eingangs zitiert wurden). Einige sprechen in
Anspielung auf das Werk Christi von «göttlicher Stellvertretung», von einem «stellvertretenden Leiden» am Kreuz. Das
Wort «Stellvertretung» meint «anstelle von», «ergänzend»,
«ersatzweise». Das will sagen, dass Jesus, der Sohn Gottes,
der Gerechte (ohne Makel und Sünde), sich am Kreuz an
die Stelle aller Ungerechten und Sünder begab, an die
Stelle von dir und von mir. Dieses Geheimnis Christi ver­
langt danach, sich auszubreiten und fortzuwirken mittels
seiner Glieder (im mystischen Leib Christi).
Wenn es uns schon schwerfällt – wie wir in den früheren
Artikeln sagten – das Kreuz zu «verdauen» (weshalb wir
versuchten, einige theoretische und praktische Hinweise
dafür zu geben), so ist es für uns noch viel schwieriger, das
Leiden der Unschuldigen zu verstehen. Ich kann immer
wieder beobachten, wie unsere Freunde, Verwandten,
Wohltäter oder Bekannten oder auch «Neugierige», die
uns in Cuzco besuchen, wie «gelähmt» sind, wenn sie in
die Säle der kranken Kinder in unserem Heim «Santa
Teresa» kommen. Und man versteht, dass dieser eigenartige
Schock­effekt von einem Gefühl der Ohnmacht kommt,
die unseren rationalen Verstand lähmt (auch weil es in
vielen Fällen keinen ausdrücklichen Kommentar gibt, der
diese Begegnung begleiten würde): «Warum gerade diese,
die keine Schuld haben?» (und an diesem Punkt erkenne ich
auch, dass viele sogleich eine Lehre für ihr Leben ziehen:
«Und ich, weshalb beklage ich mich?»). Diese allgemeine
Reaktion, so glaube ich, kommt von der Tatsache, dass
wir, sobald sich irgendein Leid einstellt, sofort mit dem
Gedanken reagieren: «Was habe ich getan, dass mir das passiert?» So als ob das Leid eine Art von Fluch wäre oder
eine rächende Strafe Gottes, wo es sich doch in Wahrheit
viel mehr um das Gegenteil handelt! «Das Leid ist ein Band
der Liebe mit Jesus», sagte die selige Mutter Teresa von Kal­
kutta. Um unseren Schwestern Dienerinnen der Armen in
der Dritten Welt und den Angestellten, die zusammen mit
ihnen diesen kleinen Kindern beistehen, das Verständnis
zu wecken, wer es ist, dem sie in ihnen tatsächlich
dienen, oder um den Besuchern einen Schlüssel
zum Verständnis zu bieten, haben wir in jenen
Sälen deutlich sichtbar die Worte angebracht:
«Deus Jesus Patiens» (Jesus Gott leidend).
Ist dieses Leiden der Unschuldigen sinnlos?
Ich weiss, dass es nicht so ist. Andernfalls
würden wir behaupten, wenn auch indirekt
und unbewusst, dass die Passion und der Tod
Jesu, des Unschuldigsten unter den Unschul­
digen, sinnlos gewesen sei. Ich bin überzeugt,
dass – trotz der anscheinenden Sinnlosigkeit
ihres Leidens, vermehrt durch ihre Situa­
tion der Unschuld – es diese sind, die uns im
Dasein erhalten (und ich spreche nicht nur für
die Gemeinschaft der Diener der Armen, sondern für die
ganze Kirche).
Benedikt XVI. griff in seiner Enzyklika «Spe salvi» (Nr. 15)
einige Worte des Pseudo-Rufinus auf (Sententiae III, 118:
CCL 6/2, 215), welche hierzu passen: «Das Menschen­
geschlecht kann dank einiger weniger bestehen; würden diese
verschwinden, so würde die Welt vergehen». – «Die Kirche
hat es nötig, dass sie durch jemanden gerettet werde, der leidet, jemand, der die Passion Christi in sich trägt», sagte der
selige Paul VI. in einer Predigt zur Bussliturgie des Ascher­
mittwochs am 11. Februar 1970. Und der heilige Johannes
Paul II. bekräftigt: «Diejenigen, die an den Leiden Christi
teilhaben, bewahren in ihren Leiden einen ganz besonderen
Anteil am unendlichen Schatz der Erlösung der Welt, und sie
können diesen Schatz mit den anderen teilen (…). Die Kirche
spürt das Bedürfnis, zu den menschlichen Leiden ihre Zuflucht
zu nehmen zur Erlösung der Welt» (Apostolisches Schreiben
«Salvifici doloris», Nr. 27). Und an anderer Stelle: «Es ist
das Leiden, welches das Böse im Feuer der Liebe vernichtet
und verzehrt» (Gedächtnis und Identität). Verzeiht meine
Schwäche für Zitate, aber wir müssen Nutzen ziehen aus
der Erfahrung derer, die uns vorangegangen sind! Ich
schliesse mit einem weiteren Zitat einer grossen Heiligen:
«Das Leiden ist eine Gnade. Mittels des Leidens wird die Seele
dem Heiland ähnlich; die Liebe kristallisiert sich im Leiden. Je
grösser das Leiden ist, desto reiner wird die Liebe» (aus dem
Tagebuch der Schwester Faustina Kowalska).
Gemäss all dem haben sowohl unsere Oblaten (im
Besonderen) als auch alle Getauften (im Allgemeinen)
eine wichtige Aufgabe, nämlich täglich zu erlernen, Gott
zu danken (anstatt der Klagegöttin einen Kult zu erwei­
sen, wie Papst Franziskus sagt), wenn er uns würdigt, am
Kreuz Christi mitzutragen.
Ut unum sint !
7
ICHER
MIT KIRCHL
ERLAUBNIS
Ut unum
Das Werk sint!
wurde gegründet für jene Mitglieder der Be­
Opus Christi Salvatoris Mundi
Ut unum sint!
wegung der Diener der Armen der Dritten Welt, welche
berufen sind, einem Weg der noch grösseren Aufopfe­
rung zu folgen mit den Charakteristiken des Gemein­
schaftslebens und mit der Verpflichtung, die evangeli­
schen Räte entsprechend ihrem Stand zu befolgen. (Das
Werk ist auf dem Weg zur kirchenrechtlichen Anerken­
nung in der Form von zwei religiösen Instituten: jenes
für den männlichen Zweig der Priester und Brüder und
jenes für den weiblichen Zweig der Schwestern).
Unterstützungsgruppen
Ihr Ziel ist es, das Charisma zu vertiefen und zu verbrei­
ten, indem sie sich für die eigene Umkehr und die Um­
kehr aller Menschen durch die Organisation von Ein­
kehrtagen einsetzen.
Die Missionare
Diener der
Armen der
Dritten Welt
Oblaten
Kranke und Gefangene, die ihre Leiden für die Ärmsten
der Dritten Welt aufopfern, und all jene, die das Cha­
risma der Diener der Armen leben.
Mitarbeitende
Alle Menschen guten Willens, die die Armen immer
mehr lieben wollen.
Impressum
Herausgeber & Redaktion: Verein zur Unterstützungmder Bewegung der
Diener der Armen der Dritten Welt, 9320 Arbon.
Druck: Schmid-Fehr AG, Hauptstrasse 20, 9403 Goldach
Erscheint 6 Mal pro Jahr. Geht an alle Mitglieder und Gönner / innen
des Vereins «Bewegung der Diener der Armen der Dritten Welt». Für
Mitglieder ist das Abonnement im Mitgliederbeitrag inbegriffen. Für
Gönnerinnen und Gönner werden ein Mal pro Jahr CHF 5.– von den
Spenden abgezogen.
Missionare Diener der
Armen der Dritten Welt
P. O. Box 907
Cuzco (Peru)
Tel. 0051 984 03 24 91
Tel. 0051 956 94 93 89
[email protected]
www.msptm.com
Deutschland:
Freunde der Diener
der Armen
Schleusenstrasse 7
DE-63839 Kleinwallstadt
Tel. 06022 / 20726
[email protected]
Österreich (und Südtirol):
Verein zur Unterstützung
der Bewegung der Diener
der Armen der Dritten Welt
Perfuchsberg 49
AT-6500 Landeck
Tel. 05442 / 67811
[email protected]
Schweiz:
Verein zur Unterstützung
der Bewegung der Diener
der Armen der Dritten Welt
Postfach 83
CH-9320 Arbon
Tel. 058 345 71 99
[email protected]

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