Carl Zuckmayer Des Teufels General

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Carl Zuckmayer Des Teufels General
Carl Zuckmayer
Des Teufels General
Meine sehr verehrten Damen und Herren
Sie erlauben, dass ich meine Einführung in das Stück von Carl Zuckmayer mit einer
persönlichen Erfahrung beginne. In meiner doch nun mehrere Jahrzehnte umfassenden Erfahrung als Deutschlehrer am Gymnasium stelle ich immer wieder fest,
dass die Zeit des Nationalsozialismus bei den Schülerinnen und Schülern auf ein
gewaltiges Interesse stösst. Es ist dies aber keineswegs Faszination von der nationalsozialistischen Ideologie – im Gegenteil. Immer wieder, bei der Beschäftigung
mit der Literatur, die jene schreckliche Zeit aufgreift, stellt sich die Frage: Wie war
das möglich? Wie konnte dieses Entsetzliche passieren? Und dies nicht im tiefen
Mittelalter oder irgendwo im Niemandsland, sondern hier, nicht weit von uns und
in einer Zeit, die uns nicht fremd ist? Das nächste Konzentrationslager, die nächste
Gaskammer, liegt bloss zwei Autostunden von hier im Elsass. Wie war das möglich?
Wir müssen uns dann aber auch folgendes fragen: Wie ist das möglich, was heute
in Syrien passiert? In einem Land, das man noch vor wenigen Jahren als sicher
und prosperierend erlebt hat?
Und es ist eine zweite Frage, die uns bewegt: Wie hätten wir uns verhalten, wenn
wir im Deutschland der Dreissiger Jahre gelebt hätten? Wären wir der Verführung
einer menschenverachtenden Rassenlehre verfallen, hätten auch wir das Ungeheuerliche geglaubt? Wären auch wir fasziniert gewesen von den Massenaufmärschen, von den Paraden, vom totalen Krieg und seiner furchtbaren Zerstörung?
Wie hätten wir gehandelt? Unter Zwang oder aus Überzeugung? Hätten wir auf
eine Karriere gehofft und die Augen vor der Realität verschlossen? Wären wir nur
Mitläufer gewesen oder hätten wir Widerstand geleistet? Wären wir begeisterte
Nazis oder Widerstandskämpfer geworden?
Max Frisch hat es in seiner Rede aus dem Jahre 1949 „Kultur als Alibi“ so gesagt:
„Wenn Menschen, die gleiche Worte sprechen wie ich und eine gleiche Musik lieben
wie ich, keineswegs gesichert sind, Unmenschen zu werden, woher beziehe ich
fortan meine Zuversicht, dass ich davor gesichert bin?“ Zuckmayer selbst hat es
in einem Brief an seinen Biographen so formuliert:
„Wie wäre dein eigenes Verhalten, dein eigenes Los, mit deinem Naturell, Temperament, Leichtsinn usw. hättest du nicht das Glück einer ‚nicht-arischen‘ Grossmutter und stündest mitten drin?“
Zum Glück sind wir der Antwort enthoben, was die damalige Zeit betrifft. Bundeskanzler Kohl sprach in Israel von der „Gnade der späten Geburt“. Aber die Frage,
wie hätten wir uns verhalten oder wie verhalten wir uns, stellt sich wieder, sie stellt
sich gerade heute angesichts des Flüchtlingselends in Europa anders, aber nicht
minder dringlich. Wie ist es möglich und wie verhalte ich mich?
Es sind diese Fragen, die Zuckmayer in seinem Stück heute Abend, aber auch in
allen Stücken stellt, besonders denjenigen, in der er die Nazizeit zu verarbeiten
sucht. Er macht kein dokumentarisches Theater, es geht ihm nicht darum, Zusammenhänge aus dem Dritten Reich zu dokumentieren; er macht auch kein episches
Theater, baut keine Verfremdungseffekte ein, die uns Zuschauer zum Nachdenken
anregen sollen. Sondern er stellt die Menschen auf die Bühne, die – aus welchem
Grund auch immer – in Situationen kommen, in denen sie sich entscheiden und
bewähren müssen, in Situationen, in die sie schuldlos, aber nicht selten auch schuldig gelangt sind. Er gibt keine Antworten, sondern er stellt dar, er stellt die Menschen dar, die sich entscheiden müssen. Das ist im Stück heute Abend in hohem
Masse so. Diese Menschen sind keine Vorbilder, keine Helden, sie wollen und sollen
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es auch nicht sein. Es sind eben Menschen, sie handeln und denken menschlich,
unzulänglich, falsch, aber trotzdem auch oft heldenhaft und grossartig. Zuckmayer
sagt es in den persönlichen Notizen zum Stück „des Teufels General“ folgendermassen:
„Wenn man ein Drama schreibt, das Lebensdeutung versucht, so sind seine Gestalten keine Prinzipienträger, sondern Menschen, die leiden und handeln, ihren
Weg suchen oder ihn verfehlen. Man rechnet sich die Handlungsweise seiner Personen nicht aus, wie man einen mathematischen Beweis führt, sondern man stellt
sie sich vor, wie sie aus ihrem Wesen und Gesetz heraus sein müssen – bis sie von
selber handeln und ihre eigenen Entscheidungen fällen, die ihnen der Autor nicht
mehr vorschreiben kann. Es ist also nicht so, dass man in der einen Figur das
verkörpert, was man für unbedingt gut, in der anderen das, was man für unbedingt
schlecht hält. Eine solche Schreibart erschafft kein Drama.“ Menschen wie du und
ich stehen auf der Bühne.
Diese Aussage Zuckmayers ist für das Verständnis von „des Teufels General“ von
grundlegender Wichtigkeit. Das Stück hatte nach der Uraufführung 1946 in Zürich
zwar einen beispiellosen Erfolg in Deutschland. Aber es wurde auch immer wieder
– bis unsere Tage – auf allen Ebenen kritisiert, als banal, als gefährlich, als unbedeutend und nichtssagend, als überflüssig und simpel gebrandmarkt. Wir müssen
auf diese Meinungen zurückkommen. Wenn man sich aber vor Augen hält, was ich
vorhin gesagt habe, dass es Zuckmayer um den Menschen in seiner Unzulänglichkeit geht, nicht um die Prinzipien, nicht um die Typen, dann verblasst ein grosser
Teil dieser Kritik.
Zuerst müssen wir uns aber vergegenwärtigen, worum es in diesem Stück überhaupt geht:
Es ist ein Stück in drei Akten. Der erste Akt heisst „Höllenmaschine“.
Wir befinden uns im Kriegsjahr 1941, kurz vor dem Eintritt Amerikas in den Krieg
und kurz nach dem Überfall der Wehrmacht auf Russland. Der Kampf an der Ostfront, in Russland, ist in vollem Gange. Fliegergeneral Harras hat zu einer Party in
einem Berliner Lokal eingeladen, gefeiert wird der fünfzigste Abschuss der Kampfstaffel von Oberst Eilers. Harras trifft als erster im Lokal ein und konstatiert ein
seltsames Ticken, dem er aber nicht weiter nachgeht. Es handelt sich um ein Abhörgerät, das dem Akt dem Namen gibt: eine Höllenmaschine. Alle Gespräche des
Abends werden von der Gestapo aufgezeichnet.
Die Gäste treffen ein. Der erste Akt hat die Funktion, in den einzelnen Figuren die
möglichen Haltungen dem Nationalsozialismus gegenüber darzustellen. Es kommen die Mitläufer, die echten Nazis, die Kriegsgewinnler, die Opportunisten und
diejenigen, die nur ihre Haut retten wollen.
Unter den Gästen ist auch Dr. Schmidt-Lausitz, der Kulturleiter der Gestapo. Unter
einem Vorwand gesellt er sich zu der Gesellschaft, um mehr über ungeklärte Abstürze völlig neuer Flugzeuge in Erfahrung zu bringen. Es ist in der letzten Zeit
immer wieder vorgekommen, dass fabrikneue Flugzeuge aus unerklärlichen Gründen abgestürzt sind. General Harras, als Generalluftzeugmeister, ist verantwortlich
für das technische Funktionieren der Maschinen. Über die Ursachen hat aber Harras nur Vermutungen. In einem Gespräch mit Siegbert von Mohrungen, das von
der Höllenmaschine abgehört wird, teilt Harras mit, dass er glaube, die Gestapo
selber sei für die Sabotageakte verantwortlich. Von Mohrungen ist der Präsident
des Beschaffungsamtes für Rohstoffe. Harras vermutet, dass die Sabotageakte das
Ziel haben, ihn, den General, aus dem Weg zu räumen. Harras ist, obwohl General,
nicht Mitglied der Partei. Er macht aus seinem Hass und seiner Ablehnung Adolf
Hitlers kein Hehl. Er spickt seine Rede mit jiddischen Ausdrücken, nennt das Propagandaministerium das „Propopogandamisterium“ und vieles mehr. Und dies in
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aller Öffentlichkeit. Sabotageakte könnten dazu dienen, Harras als Kommandant
der Luftwaffe zu beseitigen. Denn wer über die Luftwaffe verfügt, verfügt über die
Macht. Deswegen versucht die Partei, und damit die Gestapo, mit allen Mitteln die
entscheidenden Positionen in der Luftwaffe in ihre Gewalt zu bringen. Harras
glaubt, dass er als Soldat und als Flieger mit seiner riesigen Erfahrung gebraucht
wird und ihm deswegen wenig passieren kann. Nur wegen der Fliegerei ist er überhaupt in den Dienst der nationalsozialistischen Luftwaffe getreten. Schmidt-Lausitz
versucht, Harras auf die Seite der Partie zu bringen. Dieser lehnt ab und verhöhnt
den Kulturleiter. In diesem Moment greift der allgegenwärtige Krieg wieder ein:
Ein Telefonanruf beordert die Fliegerstaffel am nächsten Morgen wieder an die
Ostfront, der Urlaub ist gestrichen.
Der erste Akt dient aber auch der Exposition von Harras‘ Charakter. In zwei Szenen
werden Facetten seines Charakters in zwei Szenen offenbar: Harras verspricht
seiner ehemaligen Geliebten, der Sängerin Olivia, Juden aus dem KZ zu retten und
in Sicherheit zu bringen.
Wichtig ist das Gespräch mit dem jungen Fliegeroffizier Hartmann. Dieser ist ein
überzeugter Nazi, der ehrlich an die bessere Welt glaubt, die der Krieg bringen
soll. Verlobt ist er mit der Tochter von Sigbert von Mohrungen, dem Industriellen,
genannt Pützchen. Diese, eine arrogante, machthungrige Person, hat die Verlobung gelöst, weil Hartmann seine arische Abstammung nicht bis zu der Urgrossmutter nachweisen kann. Damit ist er von einer Karriere in der Partei ausgeschlossen. Hartmann stammt aus dem Rheinischen. Dort, sagt ihm nun Harras, hätten
sich die Völker vermischt, deshalb kämen grosse und wichtige Menschen aus diesem Gebiet. Er nennt den Rhein eine „Völkermühle“. Damit kehrt Harras die Rassenlehrer der Nazis völlig um und macht sie lächerlich. Hartmann soll froh sein,
dass er dieses Pützchen los sei.
Sämtliche Gespräche wurden mitgehört und aufgenommen.
Zweiter Akt: Galgenfrist oder Die Hand
Vierzehn Tage später in der Wohnung des Generals im „Neuen Westen“: Adjutant
Lüttjohann und Chauffeur Korrianke warten auf die Rückkehr von Harras, der vor
vierzehn Tagen von der Gestapo inhaftiert worden ist. Bald darauf treffen auch der
mit Harras befreundete junge amerikanische Journalist Buddy Lawrence und Kulturleiter Dr. Schmidt-Lausitz ein. Lawrence hat die Meldung verbreitet, dass Harras
nicht auf Frontinspektion war, wie offiziell verlautbart, sondern liquidiert wurde.
Deshalb erhielt er Schreibverbot und steht kurz vor der Ausweisung. Als Harras
eintrifft, überbringt ihm Dr. Schmidt-Lausitz das Ultimatum, binnen zehn Tagen
die Ursache für die Sabotageakte zu finden und diese abzustellen. Als er Harras
schließlich offen droht, jagt ihn dieser aus der Wohnung.
Später trifft Diddo Geiß ein, die Nichte der Opernsängerin Olivia Geiß. Harras hat
schon bei der Abendgesellschaft mit ihr angebändelt, und das Mädchen himmelt
ihn an. Nach einer Liebeszene drängt Harras sie, einen Vertrag für eine Filmhauptrolle anzunehmen, der sie für ein halbes Jahr nach Wien führen wird. Von ihrer
Tante, der Sängerin Olivia Geiß, erfährt Harras schliesslich, dass sich während seiner erzwungenen Abwesenheit der jüdische Chirurg Samuel Bergmann und dessen
Frau aus Verzweiflung vergiftet haben, jene Juden, die Harras hat retten wollen.
Später treffen „Pützchen“, Sigbert von Mohrungen und der als „entartet“ eingestufte Maler Schlick ein. Schlick präsentiert betrunken vor Harras und „Pützchen“
seine persönliche Umdeutung der „Blut-und-Boden-Ideologie“: Aus mit Blut getränktem Boden kämen das Böse und alle Krankheiten.
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Sigbert von Mohrungen versucht, Harras zu überzeugen, in die Partei einzutreten,
sich mit Himmler, dem Reichsführer SS, zu verständigen und allgemein eine andere Position einzunehmen. Harras lehnt dies mit dem Argument ab, dass dann
die SS die Kontrolle über die Luftwaffe übernähme.
Wie eine Bombe schlägt die Nachricht ein, dass Oberst Friedrich Eilers tödlich verunglückt sei. Er ist mit einer der neuen Maschinen geflogen und abgestürzt. Die
Gesellschaft löst sich rasch auf. Harras bestellt den verantwortlichen Ingenieur
Oderbruch ein, mit dem er eng befreundet ist. Bevor dieser eintrifft, tritt „Pützchen“ zu ihm: Sie meint, die Nazi-Größen seien entweder Dummköpfe oder keine
richtigen Männer. Er hingegen sei ein Kerl mit Ausstrahlung und zum Herrschen
geboren. Als Harras darauf nicht eingeht, beginnt sie ihm zu drohen: Sie wisse,
dass er „alte Juden“ über die Grenze schmuggle. Harras reißt eine schwere afrikanische Peitsche von der Wand und vertreibt „Pützchen“. Am Ende des Aktes trifft
Oderbruch ein, der sämtliche Unterlagen mitgebracht hat, und beide beginnen mit
den Untersuchungen. Harras steht am Fenster und sieht in die Nacht hinaus, die
von fünf Flakscheinwerfern erhellt wird, die ihn wie eine drohende Hand warnen.
Dritter Akt: Verdammnis
Schauplatz ist das technische Büro des Militärflugplatzes. Es ist der letzte Tag der
Frist: Samstag der 6. Dezember 1941. Noch immer haben alle Nachforschungen
und Untersuchungen kein Ergebnis erbracht. Dr. Schmitz-Lausitz erscheint am
Morgen und überreicht das Formular des abschließenden Berichts, der bis sieben
Uhr abends vorliegen muss. Hartmann trifft verwundet und desillusioniert von der
Front ein. Er bittet Harras um eine leichte Arbeit. Dieser teilt ihn Oderbruch zu.
Anne Eilers erscheint und nennt Harras den Mörder ihres Mannes. Er schicke Menschen für Ideale in den Tod, an die er selbst nicht glaube. Alle Ideale von Hartmann
und von Anne Eilers, die beide an eine bessere Welt geglaubt haben, sind zerstört.
Es ist mittlerweile Abend, und der Abgabetermin rückt heran, ohne dass ein Ergebnis vorliegt. Schließlich gesteht Oderbruch, von Harras bedrängt, dass ausgerechnet er, der beste Freund, die Sabotageakte verantworte. Er begründet dies
mit einem höheren Zweck: „wir müssen die Waffe zerbrechen, mit der er [Hitler]
siegen kann“– auch wenn es uns selber trifft.“
Harras ist erschüttert, kann die Motive Oderbruchs nicht nachvollziehen, ist aber
sofort bereit, Oderbruch und dessen Mitarbeiter zu schützen. Er übernimmt die
alleinige Verantwortung. Oderbruch drängt ihn zur Flucht, die durchaus möglich
wäre. Aber Harras lehnt ab: „Wer auf Erden des Teufels General wurde und ihm
die Bahn gebombt hat– der muß ihm auch Quartier in der Hölle machen.“ Er besteigt eine der sabotierten Maschinen und fliegt in den Tod. Dr. Schmidt-Lausitz
betritt den Raum, geht zum Telefon und meldet die reibungslose Abwicklung der
Angelegenheit an das Hauptquartier. Für Harras wird ein Staatsbegräbnis angesetzt.
Das Stück liest sich eigentlich nicht wie ein Drama, sondern eher wie ein Drehbuch.
Und auch die dramatischen Kategorien wie Exposition, Peripetie vermissen wir
weitgehend. Es gibt keinen wirklichen Höhepunkt in diesem Stück, auf den hin sich
die Situation zuspitzt. Es gibt dadurch auch keine logische Lösung. Zudem ist es
extrem lang. Wollte man es ungekürzt und unbearbeitet aufführen, ginge es wohl
bis weit über Mitternacht hinaus. Obwohl es in der ersten Nachkriegszeit in
Deutschland ein beispielloser Erfolg war, allein in der Spielzeit 1948/49 wurde es
über zweitausens Mal aufgeführt – ging die Kritik mit dem Stück nicht zimperlich
um. Anhand der Hauptfiguren und ihren Gesprächen miteinander möchte ich Ihnen
die Stärken aber auch die Schwächen aufzuzeigen versuchen.
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Wir beginnen bei der Hauptfigur, bei General Harras. Er ist durch und durch Flieger.
Die Fliegerei geht ihm über alles, so sehr, dass er alles andere gering achtet. Er
zögert keinen Moment, des Fliegens wegen, sich auch mit Hitler und Göring einzulassen, die Luftwaffe aufzubauen und als Luftwaffengeneral Krieg zu führen. Obwohl er ein entschiedener Gegner des Regimes ist. Er macht daraus auch gar kein
Hehl, er verachtet die Nazis und lässt es sie auch spüren. Trotzdem hat ver sich
hingegeben. Er sagt: „Nirgends in der Welt hätte man mir diese Möglichkeiten
gegeben – diese unbegrenzten Mittel – diese Macht… Und wenn ein alter Wolf mal
wieder Blut geleckt hat, dann rennt er mit dem Rudel, auf Deubel komm raus – ob
einem nun die Betriebsleitung passt oder nicht.“ Zwischen der Leidenschaft und
der Gesinnung tut sich ein Abgrund auf, der nicht zu überbrücken sein wird. Harras
steckt in einem Dilemma, dessen er sich mehr und mehr bewusst wird. Er ist aber
keine tragische Figur, im Sinne der dramatischen Tragik. Er ist keineswegs unschuldig in dieses Dilemma geraten, das ihn nun schuldig macht. Er ist selber
schuld an der Ausweglosigkeit, die sich mehr und mehr zuspitzt. Eine tragische
Figur ist er nicht. Sein Dilemma oder seine persönliche Tragik könnte man gerade
so gut auch als Charakterschwäche bezeichnen. Die Kritik hat das oft genug gemacht. Dann wäre das Stück aber eher banal. Was soll ein Charakterlump, auch
wenn er gerne fliegt, auf der Bühne? Erinnern wir uns aber an die Aussage Zuckmayers, dass seine Figuren nicht Typen sind, nicht Prinzipienträger, dann sieht es
anders aus. Dann erscheint Harras als ein Mensch! „Ecce Homo - seht, welch ein
Mensch!“ Er ist dann nicht mehr der Theaterheld, sondern einer, der der Verführung erlegen ist. Das aber ist auch eine Tragik, eine Tragik, die uns vielleicht näher
geht. Harras ist nicht einfach gut, auch nicht böse. Er gibt uns eine mögliche Antwort auf die eingangs gestellte Frage: „wie hätten wir gehandelt?“ Hätten wir die
ungeheure Stärke aufgebracht, uns gegen ein Regime zu wenden, das uns all das
bietet, was wir leidenschaftlich lieben? Am Ende bezahlt Harras für diese tragische
Schwäche; und er bezahlt ebenso teuer wie grosszügig. Harras ist eigentlich keine
dramatisch handelnde Figur. Erst am Schluss, als er Oderbruchs Sabotage deckt
und in den Tod geht, wird er zum Protagonisten. Deutlich wird dies im Gespräch
mit Anne Eilers, der Frau des Obersten Eilers, der in einer sabotierten Maschine
ums Leben gekommen ist. Obers Eilers und seine Frau waren reine Nazis, die ungebrochen an das Gute und Zukunftsgerichtete des Krieges geglaubt haben, die
geglaubt haben, der Krieg sei ein Kampf um die gerechte Sache. Anne Eilers, der
nun endlich die Augen aufgegangen sind, wirft Harras vor, dass er ihren Mann und
viele andere für eine Sache in den Tod geschickt habe, an die er selbst nicht
glaube. Harras weiss diesem Vorwurf nichts entgegenzusetzen als: „Wer bin ich
denn? Kann ich mehr wissen, kann ich mehr tun, mehr leiden als ein Mensch? Ich
bin doch – ich bin doch kein Gott!“
Die Besatzungsmächte haben in Deutschland die Aufführungen zuerst verboten.
Sie fürchteten, dass eine Wehrmachts-Generalsuniform auf der Bühne wieder faszinieren könnte und dass sich die Zuschauer mit den Fliegern als „tolle Kerls“ identifizieren würden.
Die zweite problematische Figur in diesem Stück ist der Chefingenieur Oderbruch.
Er ist der Saboteur, der die neuen Flugzeuge so baut, dass die Tragflächen bereits
beim ersten Flug der Belastung nicht standhalten und abreissen. Er setzt alles
daran, dass dabei keine Menschen umkommen. Die Flugzeuge sollen nicht zum
Einsatz kommen. Aber das schlägt fehl. Oberst Eilers fliegt mit einer der sabotierten Maschinen an die Front und verunglückt tödlich. Damit wird Oderbruch zum
Mörder an seinem Freund. Harras konfrontiert ihn damit, stellt ihm die entscheidende Frage, warum er die Luftwaffe sabotiere und nicht wahren Schuldigen.
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Oderbruch antwortet: „Der Feind - ist unfassbar. Er steht überall – mitten in unserem Volk – mitten in unseren Reihen. Wir selbst haben uns ihm ausgeliefert,
damals, als der alte Marschall starb (Mit dem alten Marschall ist Hindenburg gemeint, der Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt hat). Jetzt bleibt uns nur noch
eins: wir müssen die Waffe zerbrechen, mit der er siegen kann – auch wenn es
uns selber trifft. Denn wenn er siegt, Harras –wenn Hitler diesen Krieg gewinnt –
dann ist Deutschland verloren. Dann ist die Welt verloren.“ Oderbruch nimmt, weil
er das Gute will, das Böse, den Mord am Freund auf sich. Er ist überzeugt, dass
man den Untergang des deutschen Volkes wollen musste, um das Gute zu verwirklichen. Er ist die eigentliche Hauptfigur, er ist letztlich wichtiger als Harras. Er
ist es, der die Schuld auf sich nimmt, weil er inne wird, dass eine Zukunft nur
möglich ist, wenn es Menschen gibt, die dies kompromisslos tun. Nur dann kann –
so Zuckmayer – wieder Gnade in die Welt kommen. Harras kann sich am Schluss
durch seinen Selbstmord entsühnen, sich gleichsam von seiner Schuld befreien. Er
bekommt sogar ein Staatsbegräbnis. Oderbruch kann es nicht. Er bleibt zurück,
schuldbeladen und ungesühnt. Eigentlich hätte Zuckmayer auch das Stück „des
Teufels Chefingenieur“ schreiben können, denn Oderbruch denkt und handelt in
echter Tragik. Es ist seine Gesinnung, die ihn zwingt, so konsequent zu handeln,
dieser kann er nicht entfliehen. Und das Dilemma, in dem er steht, ist ein echtes
Dilemma, was Harras an Charakterstärke abgeht, nimmt er ganz auf. Harras erkennt das am Schluss auch, er beschliesst, ihn nicht zu verraten und die ganze
Verantwortung auf sich zu nehmen.
Es gibt eine letzte wichtige Figur, auf die ich noch eintreten möchte. Das ist der
Fliegerleutnant Hartmann. Auch er hat geglaubt, dass er als Flieger für eine gerechte Sache kämpft. Er ist in der Gemeinschaft der Hitlerjugend gross geworden
und in ihm gleichsam ein zweiter Harras angelegt. Aber seine Begeisterung ist
echt, bis er von seiner Braut, dem Pützchen, verlassen wird, weil er von seiner
Urgrossmutter her keinen arischen Stammbaum nachweisen kann und so für eine
Karriere nicht mehr in Betracht kommt. Er kehrt im Innersten erschüttert und verwundet von der Ostfront zurück, er war Zeuge von den Gräueltaten der Wehrmacht, hat mit ansehen müssen, wie man wehrlose Menschen gefoltert und erschossen hat. Ihn überzeugt Harras, dass die Rassenlehre Unsinn ist, auf Menschen wie ihn setzt er alle Hoffnung auf die Zeit nach dem Krieg. Denn „des Teufels
General“ ist nicht zuletzt, trotz aller Schwächen, der Versuch einer Ehrenrettung
des anderen, besseren Deutschlands. Gerade weil die Figuren nicht Prizipienträger,
sondern Menschen sind, gelingt es ihm zu zeigen, dass trotz aller Schuld auch eine
Zukunft möglich ist.
Vielleicht ist diese Funktion des Stücks, heute, mehr als siebzig Jahre danach, verblasst. Aber Zuckmayer hat es gewagt, ganz kurz nach dem Ende des Dritten
Reichs genau diese brennenden Fragen zur Sprache zu bringen, sie auf der Bühne
sichtbar zu machen, jene Fragen, die nach dem Zusammenbruch alle Menschen in
Europa beschäftigt haben und immer – besonders heute – wieder beschäftigen.