Begleitmaterial - Theater an der Parkaue
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Begleitmaterial - Theater an der Parkaue
MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 8+ von Christa Kożik in einer Fassung von Anja Schneider BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 2 Es spielen: Moritz Vater Mutter, Lehrerin Straßenfeger, Zirkusdirektor Schwester Suse, Kitty Katze Regie Bühne + Kostüme Liedtexte + Komposition Puppenbau Dramaturgie Theaterpädagogik Technischer Direktor Bühnenmeister Licht Ton Regieassistenz Inspizienz Soufflage Maske Requisite Ankleiderei Ausstattungsassistenz: Jonas Lauenstein Stefan Kowalski Elisabeth Heckel Denis Pöpping Katherina Sattler Susi Claus Anja Schneider Annette Riedel Hans-Eckardt Wenzel Atif Hussein Karola Marsch Sarah Kramer Eddi Damer Marc Lautner Theo Reisener Max Berthold , Jörg Wartenberg Anja Spengler Anne-Sophie Attinost Franziska Fischer Karla Steudel Jens Blau Ute Seyer, Birgit Wilde Charlotte Spichalsky Herstellung der Dekoration unter der Leitung von Jörg Heinemann in den Werkstätten der Stiftung Oper in Berlin – Bühnenservice / Herstellung Lichteffekte: Christian Rösler Herstellung der Kostüme durch die Firma Gewänder / Maren Fink-Wegner Die Aufführungsrechte liegen Christa Kożik. Foto- und Videoaufnahmen während der Vorstellung sind nicht gestattet. Premiere: 31. Oktober 2015 Prater ca. 100 Minuten mit Pause MORITZ IN DER LITFASSSÄULE INHALT Vorab 4 Das Inszenierungsteam 5 Die Regisseurin 5 Die Bühnen- und Kostümbildnerin 5 Der Komponist 5 Die Autorin Christa Kożik 5 Zeitgefühl 7 „Wie lange noch“ 7 Kinder leben in der Gegenwart 9 Jugend in der Leistungsgesellschaft 10 „In der Langeweile erleben wir die nackte Zeit.“ 12 Wenn Kinder weg sind 15 Die Litfaßsäule 17 Unterrichtsprojekt 19 Anregungen für Ihren Unterricht 20 Die Zeitmaschine 20 Zeit erfinden 21 Zeit zum Ausreißen 21 Einfach mal langsam machen 21 Zeit festhalten 21 Zeit zum Philosophieren 22 Hinweise für den Theaterbesuch 23 Impressum 24 3 MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 4 VORAB Liebe Lehrerinnen und Lehrer, einigen von Ihnen wird die Geschichte „Moritz in der Litfaßsäule“ bekannt sein. Wir haben diese wunderbare Parabel auf das unterschiedliche Zeiterleben von Kindern und Erwachsenen ausgegraben und die Entdeckung gemacht, dass sie eine hochgradig zeitgenössische und moderne Erzählung ist. Sie handelt davon, dass Moritz nicht den Erwartungen seiner durchstrukturierten, termin- und leistungsorientierten Umwelt entspricht. Denn er ist ein Kind. Und als solches erlebt er das Leben als eine Welt voller Überraschungen, Entdeckungen und spannender Eindrücke, die es gilt, frei zu legen, zu erfahren und sich anzueignen. Damit eckt und stößt er ständig an. Die Augenfarbe von Schmetterlingen? Vögel auf einer Sommerwiese in Hüten und Kleidern auf dem Bild gemalt? Nur die Hälfte der Matheaufgaben geschafft, weil es immer gründlich bei ihm zugehen muss? Die Erwachsenenwelt steht Kopf und auch seine Schwester nennt ihn Schnecke, Trantute, Träumer. „Moritz, beeil dich. Du kommst wieder zu spät. Machs einmal wie dein Name: Zack, Zack.“ Aber Moritz Zack möchte nur alles langsam und in Ruhe machen. Als sich sein Vater, der Sparkassendirektor, mit der Lehrerin verbündet, damit der Junge endlich lernt, sich anzupassen, fasst Moritz einen Entschluss. Er hinterlässt auf dem Küchentisch einen Zettel: „Ich bin gegangen. Es hat mir nicht mehr gefallen.“ Moritz zieht in eine Litfaßsäule. Doch hier lebt schon jemand: die Katze Kicky. Sie ist eigensinnig, großmaulig und hat schon viel erlebt, was sie Moritz ständig mitteilt. Aber – sie kann auch zuhören und interessiert sich für Moritz. Und dann begegnet der Junge noch einem außergewöhnlichen Menschen: dem Straßenfeger. Gemeinsam mit ihm kann er über die schönen und schwierigen Seiten des Lebens nachdenken und allmählich zu sich finden. Das Stück ist eine Hommage, sich der Geschwindigkeit der Zeit zu entziehen, eine Pause einzulegen und völlig neu auf die Welt und das Leben zu sehen. Wir laden Sie und Ihre Schüler ein, unsere Inszenierung zu besuchen und dieses Begleitmaterial für eine Beschäftigung vor oder nach dem Vorstellungsbesuch zu nutzen. Für Anregungen, Kommentare und Fragen können Sie uns gerne kontaktieren. Ich wünsche Ihnen einen anregenden Theaterbesuch, Karola Marsch Leitende Dramaturgin / Theaterpädagogin MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 5 DAS INSZENIERUNGSTEAM Die Regisseurin Der Komponist Die Regisseurin Anja Schneider arbeitete zum ersten Mal am THEATER AN DER PARKAUE. In ihr haben wir eine Regisseurin gefunden, die sich für die kindliche Figur des Moritz interessiert und seinen Haltungen und Überlegungen zum Leben um ihn herum nachspürt. Sie verknüpft komische mit traurigen Momenten. Die Musik von Hans-Eckardt Wenzel trägt dabei durch die menschlichen Höhen und Tiefen, gibt Raum und Zeit für einen stimmungsvollen Nachklang und sorgt für einen warmen Teppich. Anja Schneider ist Absolventin der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. Sie spielte an zahlreichen Theatern u.a. am Schauspiel Leipzig, am MaximGorki-Theater Berlin und am Staatsschauspiel Stuttgart bei namhaften Regisseuren. 2012 machte sie ihr Debüt als Regisseurin mit „Nachtgeschwister“ im Theater unterm Dach in Berlin. Hans-Eckardt Wenzel hat als Musiker, Sänger, Komponist, Autor und Clown seit 1976 die Liedund Kulturszene Deutschlands mit geprägt. Er wurde 1955 in Kropstädt, Kreis Wittenberg geboren. Nach dem Abitur studierte er von 1976 – 1981 Kulturwissenschaften/Ästhetik an der HumboldtUniversität zu Berlin. Danach entschied er sich, als freischaffender Künstler zu leben; zu Anfang in der Liedtheatergruppe „Karls Enkel“, von 1978 bis 1999 gemeinsam mit Steffen Mensching als KabarettClowns-Duo Wenzel & Mensching. 1982 erschien der erste Gedichtband „Lied vom wilden Mohn“. 1987 folgte „Antrag auf Verlängerung des Monats August“. Für die Schallplatte „Stirb mit mir ein Stück“ erhielt Wenzel die „Goldene Amiga“. Seit dieser Zeit entstanden diverse Bühnenproduktionen und parallel dazu viele unterschiedliche musikalische Projekte. In den Jahren 1988 und 1989 hielt sich Wenzel jeweils ein viertel Jahr in Nicaragua auf und arbeitete dort als Regisseur. Tourneen führten Wenzel unter anderem nach Österreich, Frankreich, Italien, Belgien, in die Schweiz, durch Deutschland und in die USA. Für „Moritz in der Litfaßsäule“ hat er klassische Liedermacherrhythymen verwendet, die das Unterwegsein in verschiedenen Welten und Räumen thematisieren. Die Bühnen- und Kostümbildnerin Annette Riedel studierte von 1988 – 1993 Bühnenund Kostümbild an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Karl Kneidl. Von 1991 – 1993 assistierte sie bei Peter Palitzsch und Karl Kneidl hauptsächlich am Berliner Ensemble. Ab 1995 wurde sie als Ausstattungsleiterin am Theater Nordhausen/ Loh-Orchester Sondershausen und anschließend bis 2004 am Staatstheater Kassel engagiert. Seit 1992 ist sie auch als freie Bühnen- und Kostümbildnerin tätig u. a. am Schauspiel Frankfurt, am Deutschen Theater Berlin, am Residenztheater München, am Staatstheater Braunschweig, Nationaltheater Mannheim und Schauspiel Leipzig, hauptsächlich in Zusammenarbeit mit Armin Petras. Seit 2006 ist Annette Riedel mit einer zweijährigen Pause engagiert als Ausstattungsleiterin am Maxim Gorki Theater Berlin. Ihr Bühnen- und Kostümbild hat sie in „Moritz in der Litfaßsäule“ in eine zeitlose Vergangenheit zurückversetzt, die den immerwährenden Kreislauf von äußerlichen Einwirkungen und dem widersprechenden inneren Wünschen von Menschen erzählt. Die Autorin Christa Kożik Christa Kożik wurde 1941 in Liegnitz (Polen) geboren und siedelte 1945 nach Thüringen um. Nach einer Lehre als kartographische Zeichnerin wurde sie ab 1969 Assistentin im DEFA-Dokfilmstudio und studierte anschließend von 1970 – 1976 Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen Babelsberg sowie von 1977 – 1978 am Literaturinstitut Leipzig. Sie schreibt überwiegend Bücher, Spielfilme, Gedichte und Geschichten für Kinder, bearbeitete aber auch Stoffe für Erwachsene, wie z.B. das Filmszena- MORITZ IN DER LITFASSSÄULE rium „Hälfte des Lebens“ über Friedrich Hölderlin. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Preise, z.B. den Nationalpreis für Literatur, den Kinderbuchpreis der Akademie der Künste Berlin und den Hauptpreis für Kinofilm beim Kinderfilmfestival „Goldener Spatz“ in Gera. Christa Kożik lebt in Potsdam-Babelsberg. Szenenfoto mit Susi Claus und Jonas Lauenstein 6 Werke (Auswahl): 1977: Ein Schneemann für Afrika (Buch und Film) 1978: Sieben Sommersprossen (Film) 1983: Moritz in der Litfaßsäule (Film und Buch) 1983: Der Engel mit dem goldenen Schnurrbart (Buch) 1985: Hälfte des Lebens (Film) 1985: Gritta von Rattenzuhausbeiuns (Film und Buch) 1989: Grüne Hochzeit (Film) 1997: Der verzauberte Einbrecher (Film) MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 7 „WIE LANGE NOCH?“ Warum Kinder ein anderes Zeitgefühl haben „Wann sind wir endlich da?“, schallt es alle zehn Minuten von der Autorückbank. Welche Eltern kennen diese Frage nicht? Kinder haben ein anderes Zeitgefühl. Zeitangaben wie „bald”, „in einer Stunde” und „übermorgen” haben noch keine Bedeutung für sie. Ab wann Kinder ein Zeitgefühl entwickeln und was Eltern davon lernen können, hat uns Zeitforscher und Psychologe Dr. Marc Wittmann erklärt. Zeitgefühl Wir leben länger und denken kürzer Das moderne Leben wird immer schneller. Die Folgen: Maschinen rauben uns Aufmerksamkeit, wir haben Angst, jede Minute etwas zu verpassen, wir planen nicht mehr langfristig. Internet-Pionierin Esther Dyson fragt sich, wie man aus dieser Tretmühle herauskommt. Wir leben länger und denken kürzer. Es geht immer um Zeit. Frankfurter Börse: Jeder weiß um die großen Probleme, bleibt aber ganz dem Hier und Jetzt verhaftet Das moderne Leben hat unser Zeitgefühl auf grundlegende und paradoxe Weise verändert, so dass wir kürzer zu denken scheinen, obwohl wir länger leben. Liegt es daran, dass wir mehr in jede Stunde packen oder dass die anderen mehr in jede Stunde zu packen scheinen? Aus einer Vielzahl von Gründen geht alles viel schneller und passiert mehr. Alles verändert sich ständig. Früher automatisierten Maschinen die Arbeit, so dass wir mehr Zeit für andere Sachen hatten, heute jedoch automatisieren Maschinen die Produktion von Aufmerksamkeit beanspruchender Information, was uns Zeit raubt. Sendet beispielsweise jemand eine E-Mail an zehn Adressen, so nimmt sie (theoretisch) die Aufmerksamkeit von zehn Personen in Anspruch, was noch ein harmloses Beispiel ist. Seit die Belastungen des Alltags verschwunden sind – der Zeitaufwand für Isaac Newton, mit der Kutsche von London nach Cambridge zu fahren, die langen Wege zur Arbeit (ohne iPod), die lesefeindliche Finsternis –, kommt uns jede nicht produktiv genutzte Minute als verpasste Gelegenheit vor. Und schließlich können wir mehr, in immer kleineren Zeiteinheiten messen. Von Flugmeilen bis zu Kalorien (Kohlenhydraten und Fettgrammen), von Freunden über StayFriends bis zu den Schritten auf einem Laufband, von Börsenkursen bis zu Millionen verzehrten Burgern, zählen wir Dinge nach Minuten und Sekunden. Leider überträgt sich das auch auf unser Denken und Planen: Unternehmen orientieren sich an kurzfristigen Erfolgen, Politiker an Wahlen, Schulen an Testergebnissen, die meisten von uns am Wetter, statt am Klima. Jeder weiß um die großen Probleme, bleibt aber ganz dem Hier und Jetzt verhaftet. In seinem ganzen Ausmaß habe ich das Phänomen in den Vereinigten Staaten erstmals direkt nach dem 11. 9. 2001 bemerkt, als man keine Verabredungen mehr treffen und niemanden mehr für irgendetwas gewinnen konnte. Mich erinnerte das an Russland, wo ich mich seit 1989 häufig aufhielt. Dort hatten die Menschen es vermieden, längerfristig zu planen, weil gewöhnlich der Aufwand nicht lohnte. Jetzt plötzlich verhielten sich Amerikaner ganz ähnlich: Unternehmen investierten nicht mehr, Privatleute machten keine Berufs-, Heirats- oder Hausbaupläne mehr… alles kam zum Erliegen. Man hörte nur noch: „Ich will es mir überlegen“ oder „Ich will es versuchen“, aber nicht „Ich will“. Obwohl die akute Krise inzwischen längst überwunden ist, prägt nach wie vor ein Gefühl des Unwägbaren unser Denken. Am besten sich auf das laufende Quartal konzentrieren, denn wer weiß, welchen Job man nächstes Jahr hat. Am besten, jetzt bloß diese Prüfung bestehen, denn was ich heute lerne, wird in zehn Jahren ohnehin nicht mehr viel wert sein. Wie können wir diesen Trend umkehren? Zwar ist dies ein gesellschaftliches Problem, dürfte aber auch ein geistiges ankündigen – eine Art mentale Diabetes. Die meisten von uns sind damit aufgewachsen, MORITZ IN DER LITFASSSÄULE Bücher zu lesen (ab und zu jedenfalls) und mit nichtinteraktivem Spielzeug zu spielen, zu dem wir selbst Geschichten, Dialoge und Verhaltensweisen erfinden mussten. Heutige Kinder leben dagegen in einem mit Offerten überfluteten, zeitlich verdichteten Umfeld, das ihre Phantasie oft eher zu ersticken als anzuregen scheint. Die Überfütterung mit vorgefertigten Informationen (Video, Audio, Fotos, Flackerbildschirme, sprechende Puppen, animierte Kampfspiele) ähnelt derjenigen mit zuckerreichen Fertiggerichten und könnte 8 dem geistigen Stoffwechsel der Kinder – das heißt ihrer Fähigkeit, Informationen selbst zu verarbeiten – ernsthaft schaden. Werden sie in der Lage sein, Ursache und Wirkung zu unterscheiden, einem roten Faden zu folgen, wissenschaftlich zu denken, ein ganzes Buch zu lesen und nicht nur kleine Essays? Ich kenne die Antworten nicht, aber langfristig lohnt es, über diese Fragen nachzudenken. Quelle: http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/zeitgefuehlwir-leben-laenger-und-denken-kuerzer-a-577159.html Szenenfoto mit Stefan Kowalski, Jonas Lauenstein und Katherina Sattler MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 9 KINDER LEBEN IN DER GEGENWART Kinder sind gegenwartsorientiert. „Sie leben im Hier und Jetzt und denken weder an die Zukunft noch an die Vergangenheit‟, erklärt uns Psychologe und Humanbiologe Dr. Marc Wittmann im Gespräch. Das ist biologisch bedingt, denn das gesamte Gehirn ist mit dem Lernen beschäftigt. Kinder beobachten ihre Umgebung und saugen alles wie ein Schwamm auf. Da bleibt kein Platz für zeitliche Dimensionen. Das Leben spielt sich in der Gegenwart ab. Babys und Kleinkinder verbinden die vergehende Zeit deswegen immer mit Handlungen. Es gibt Spiel-, Essensund Schlafphasen, die den Tag unterteilen. Kinder zählen deswegen die Tage gerne mit „Noch zweimal schlafen und dann kommt Oma‟. Zwischen drei und sechs Jahren beginnen Kinder zu erahnen, dass es so etwas wie Zeit gibt. Sie messen diese allerdings an dem, was sie sehen. Ein großer Hund ist demnach älter als ein kleiner und bei zwei Spielzeugautos, die beide in der gleichen Zeit unterschiedliche Strecken zurücklegen, ist das Auto, das weiter gefahren ist, auch länger unterwegs gewesen. Zeitgefühl basiert auf Erfahrungsschatz Erst wenn Kinder die Uhr lernen, beginnen sie ein Gefühl für Zeit zu entwickeln. Doch selbst wenn sie die Uhr lesen können, heißt das noch nicht, dass sie das Konzept „Zeit” verstehen. Das kommt erst mit der Erfahrung. Denn Zeit und Zeitdauer wurden von der Gesellschaft geschaffen und von der Kultur geprägt, sie sind nichts Natürliches. Bevor es die Uhr gab, richteten sich die Menschen nach dem Sonnenaufgang und -untergang. Minuten und Stunden hatten keine Bedeutung. Erst mit der Uhr wurde die Zeiteinheit gemessen und der Zeit einen Wert gegeben. Also müssen Kinder erst lernen, wie sich eine bestimmte Zeit anfühlt, bevor sie ein Verständnis für die Dauer einer Zeit bekommen. Kann man Zeitgefühl trainieren? Zeitgefühl lässt sich nicht trainieren, meint Wittmann. Die Uhr kann man lernen, das Zeitgefühl da- gegen sei sehr subjektiv. Die Einschätzung von einer Zeitdauer komme mit der Lebenserfahrung von ganz alleine. Irgendwann wissen Grundschulkinder, wie lange eine Schulstunde dauert. Ob die 45 Minuten gefühlt dann schnell oder langsam vergehen, empfindet jedes Kind anders ‒ je nach Interesse am Fach, der persönlichen Tagesform und anderen Faktoren. Forscher finden es auch fraglich, ob man seinem Kind unbedingt diese magische Zeitlosigkeit nehmen muss, wenn Kinder noch nicht an die Zukunft denken, wenn sie noch nicht vom Kindergarten zum Musikunterricht und anschließend in die Turnstunde hetzen. Pünktlichkeit sollte nicht überwertet werden, schreibt die Erziehungswissenschaftlerin Dr. Simone Wissing in ihrer Studie „Das Zeitbewusstsein des Kindes‟. Denn dieser Zeitdruck führt zu „Pedantrie, mechanisch-fremdgesteuerter Lebensführung und innerer Unfreiheit”. Dennoch kann man seinem Kleinkind die Dauer einer bestimmten Zeit verständlich machen. Wenn es auf der Autofahrt fragt, wie lange es noch dauere, „holt man sein Kind am besten in die Jetzt-Zeit und schafft Vergleiche”, rät der Psychologe Wittmann. Die Autofahrt dauert, z. B., noch zweimal so lang wie die Lieblingssendung oder man macht eine CD an und sagt: „Danach sind wir da”. Zeitparadox auch für Erwachsene: Wie lang ist eine Stunde? Wie lang oder kurz sich Zeit anfühlt, hängt von inneren und äußeren Impulsen ab. Wenn wir nichts tun, z. B. im Zug sitzen, vergeht die Zeit langsam, wir hören unser inneres Ticken laut und deutlich, schauen alle fünf Minuten auf die Uhr. Doch im Rückblick kommt uns diese eine Stunde des Zugfahrens kurz vor. Denn es ist nichts passiert, das in unserem Gehirn Eindrücke oder Spuren hinterlassen konnte. Bei einem Spieleabend dagegen sind die äußeren Impulse stark. Wir entdecken Neues, lernen, lachen, quatschen und hören nicht auf unsere innere Uhr. Im Rückblick ist in dieser einen Stunde am Spieleabend MORITZ IN DER LITFASSSÄULE viel passiert, sodass uns unser Gehirn auf einen langen Zeitraum rückschließen lässt. Was können Erwachsene vom Zeitgefühl der Kinder lernen? Für Kinder ist das Leben wie ein Dauer-Spieleabend. Es prasseln ständig neue Impulse auf sie ein, sie erleben und lernen täglich etwas Neues. Kein Tag ist wie der andere. Deswegen vergeht die Zeit für sie schnell, im Rückblick aber dauerte ihre Kindheit eine gefühlte Ewigkeit. Bei Erwachsenen ist meist das Gegenteil der Fall. Im Alltag schleicht sich Routine ein, es passiert wenig Neues oder Aufregendes, deswegen hat man im Rückblick das Gefühl, dass die Jahre und Jahrzehnte nur so dahinfliegen. 10 Doch je emotionaler gefärbt und abwechslungsreicher ein Leben ist, desto länger scheint es subjektiv betrachtet zu dauern. Also sollte man öfter mal die Routine brechen, ein neues Hobby anfangen oder ein Instrument lernen. Außerdem sind Erwachsene sehr zukunftsorientiert. Der Alltag ist durchgetaktet, wir rennen von einem Termin zum nächsten, sind im Kopf immer ein Schritt voraus. Selbst unsere Freizeit ist durchgeplant. „Wir haben verlernt, in die Zeit zu leben”, meint Wittmann. Deswegen sollte man öfter wieder wie ein Kind bewusst im Hier und Jetzt sein. Quelle: http://magazin.sofatutor.com/eltern/2014/10/31/wielange-noch-warum-kinder-ein-anderes-zeitgefuehl-haben/ JUGEND IN DER LEISTUNGSGESELLSCHAFT von Katharina Ludwig Eine Studie kritisiert: Eltern fordern und fördern zu viel. Für freies Spielen haben Kinder kaum noch Zeit. 84 Prozent der Kinder und Jugendlichen haben oft das Gefühl, für Dinge, die Spaß machen, keine Zeit zu haben Auch Arbeitslosigkeit und Schulden der Eltern stressen Kinder Soziale Faktoren entscheiden, wie sehr Kinder von Stress betroffen sind und was ihren Stress ausmacht: Kinder mit alleinerziehenden Eltern und Familien mit Migrationshintergrund sind besonders gefährdet. Auch Arbeitslosigkeit, finanzielle Probleme und Schulden der Eltern stressen die Kinder. 82 Prozent der Kinder mit hohem Stresslevel fühlen sich von Aufgaben im Haushalt belastet. Kinder leiden aber auch an „Förderstress“ und den Erwartungshaltungen der Eltern: 39 Prozent aller 12- bis 16-Jährigen haben an drei oder mehr Tagen pro Woche nach der Schule noch mindestens einen festen Termin. Wobei die Termindichte alleine, für Ziegler überraschend, noch nichts über den Stresslevel des Kindes sagt. Entscheidend sei, ob die Aktivitäten von den Kindern gewollt sind und somit als „ihre Zeit“ empfunden werden. 85,6 Prozent der gestressten Kinder dürfen in der Freizeit nicht selbst entscheiden. 60,2 Prozent werden nur manchmal bis nie nach ihrer Meinung gefragt. „Freizeit ist Freizeit“, egal was das Kind macht, dieser Satz findet nur bei 15 Prozent der Eltern von gestressten Kindern Zustimmung. Die Kinder fühlen sich als Versager, ziehen sich zurück oder werden aggressiv Die Folgen von Stress äußern sich – wie bei Erwachsenen – psychisch sowie körperlich: Kinder und Jugendliche fühlen sich unwohl und haben häufig eine negative Selbstwahrnehmung. 67 Prozent sind oft wütend, zornig oder – selbst in der Fülle des fremdbestimmten Angebots – gelangweilt, was auch zu höherer Aggressionsbereitschaft führt. 65 Prozent können schlechter einschlafen, haben häufiger Kopf- und Bauchschmerzen oder leiden MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 11 Szenenfoto mit Jonas Lauenstein häufiger unter Müdigkeit als ihre weniger gestressten Altersgenossen. Das sind wichtige Warnsignale. „Magst du dein Leben, so wie es ist?“ Diese Frage beantworten 29,9 Prozent mit „manchmal/gar nicht“. Die Kinder fühlen sich als Versager, die Lust an der Schule schwindet, sie schämen sich und ziehen sich zurück. Elf Prozent der Jugendlichen mit hohem Stresslevel sind depressiv verstimmt. Ziegler hätte auch positive Stress-Folgen wie mehr Leistungsbereitschaft erwartet, belegbar seien aber nur negative Folgen. Die Kinder und Jugendlichen fühlen sich nicht mehr in der Lage, ihre Probleme zu meistern. Knapp die Hälfte fürchtet, die Eltern zu enttäuschen. Das Sensorium der Kinder für die in sie gesteckten Erwartungen ist gut. Eltern glauben oft, die Kinder seien eher unterfordert Die Eltern umgekehrt nehmen die Belastung ihrer Kinder häufig nicht wahr: 87,3 Prozent der Eltern von stark gestressten Kindern glauben nicht, ihr Kind zu überfordern. 40 Prozent fürchten im Gegenteil, ihre Kinder noch nicht genügend zu fördern. Nur etwa 25 Prozent haben Sorgen, zu überfordern. Dabei schaden sich die Eltern mit ihrem „Stressförderregime“ häufig selbst, so Ziegler. Während Väter und Mütter ihre Kinder treiben, empfindet etwa ein Drittel derer mit stark gestressten Kindern die Elternschaft selbst als stressig – finanziell und stärker noch zeitlich. „Möglicherweise ist Stress eine zentrale Problemlage des Aufwachsens im 21. Jahrhundert“, sagt Ziegler. Quelle: http://www.tagesspiegel.de/wissen/jugend-in-derleistungsgesellschaft-auch-arbeitslosigkeit-und-schulden-dereltern-stressen-kinder/11970606-2.html MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 12 „IN DER LANGEWEILE ERLEBEN WIR DIE NACKTE ZEIT.“ Der Philosoph Rüdiger Safranski beschäftigt sich in seinem neuen Buch „Zeit“ mit der Erfahrung des Vergehens. Das Weltgeschehen mitzuerleben, sei großartig – und anstrengend. Herr Safranski, Sie nehmen sich Zeit für ein Interview. Was heißt das? Das bedeutet, dass man sich aus der Agenda mit all den Abmachungen und Plänen ein Stück herausschneidet und diesen Zeitabschnitt zur Verfügung stellt. Schon hier merken wir, dass man sich, wenn es um die Zeit geht, immer schon mit der Gesellschaft beschäftigt. Denn man bewirtschaftet die Zeit ja nicht nur selbst, sie wird auch von der Gesellschaft bewirtschaftet. Deswegen findet hier die Begegnung mit der reinen Zeit, mit der Zeit an sich, gar nicht statt. Dies geschieht, wie Sie in Ihrem Buch über die Zeit schreiben, in der Langeweile. Ich überlegte mir, welches die Momente sind, bei denen man nicht in einem planerischen Sinne mit der Zeit umgeht, wozu uns das Leben in der Arbeits- und Leistungsgesellschaft nötigt – Momente, in denen man sie direkter erlebt. Was mit dem Menschen los ist, erkennt man dann besonders gut, wenn sonst nichts los ist. Langeweile kennt ja jeder. Was zeichnet diese Zeit aus? Während ereignisarmer Zeiten merkt man das Vergehen der Zeit selbst. Um dies bildlich zu veranschaulichen: Der Ereignisteppich lässt uns die Zeit nie richtig wahrnehmen. Nur da, wo dieser Ereignisteppich fadenscheinig wird, wo die Ereignisse dünn oder spärlich werden, ist der Durchblick auf das reine Zeitvergehen möglich. Ein nicht nur angenehmer Anblick. Es ist eine prekäre Erfahrung, weshalb sie auch als Folterinstrument eingesetzt werden kann: Hört jemand in einer Zelle nur ein regelmäßiges Tropfen, kann dies ihn in den Wahnsinn treiben. Der Tropfen ist dieses spärliche Ereignis, sonst gibt es nur Leere; aber eben nicht nichts, sondern das Verstreichen von Zeit. Wenn man die Zeit gewissermaßen nackt erleben will, kommt man um die Langeweile nicht herum. Ändert sich das Interesse an der Langeweile mit der Zeit? Langeweile gibts, seit es Menschen gibt. Aber es gibt Epochen, die sich stärker für sie interessiert haben. Dass die Romantik einen besonderen Blick auf die Langeweile hatte, hängt mit dem Talent der Romantiker zusammen, Gefühle ins Auge zu fassen, die etwas Abgründiges haben. Deswegen existieren in der romantischen Literatur wunderbare Beschreibungen der Langeweile. Aber all unsere Unternehmungen zielen doch darauf ab, Langeweile gar nicht aufkommen zu lassen. Ja, das ist ein zentraler Aspekt: Um Langeweile zu vermeiden, haben wir den Furor des Tuns entwickelt. Zum Nutzen der Arbeit gehört auch, dass sie uns vor der Langeweile schützt. Die Angst vor ihr macht uns süchtig nach Unterhaltungen und Ablenkungen. Man kann so weit gehen zu sagen: Alles, was wir machen, ist eine einzige große Anstrengung, die Erfahrung der Langeweile und damit des Nichts zu meiden. Der französische Philosoph Pascal hat dies bereits im 17. Jahrhundert gesehen, als er in seinen „Pensées“ menschliches Tun als eine einzige Flucht vor der Langeweile beschrieben hat. Man sagt: Es langweilt einen. Was oder wer ist dieses Es? Das Es ist wie ein Schatten, der sich über alles legt; es hat etwas Anonymes. Wenn einen ein bestimmtes Gegenüber langweilt, hat man einen guten Grund: Der ist langweilig; der verbreitet Langeweile! Nun stellt sich aber auch der Verdacht ein, dass die Langeweile aus einem selbst aufsteigt, dass man sich mit sich selbst langweilt, MORITZ IN DER LITFASSSÄULE dass man das Gefühl hat, man ist mit sich selbst nicht in guter Gesellschaft, wenn man allein ist. Also: Dass man selber der Langweiler ist. Dann hält man natürlich lieber an dem fest, was einen von sich selbst als langweiliges Etwas befreit. Kann man eigentlich Zeit haben im Sinne von besitzen? Eigentlich nicht. Was besitzt man denn, wenn man glaubt, die Zeit zu besitzen? Der Moment, den man eben gepackt hat, ist ja schon wieder vorbei. Die Zeit ist immer etwas, was einem entgleitet. Das gehört zu ihrem Definitionsmerkmal. Ohne Aufnahmegerät wäre dieser Moment unseres Gedankenaustausches endgültig vorbei. Dank der Technik haben wir nun aber ein Zeugnis davon. Nur: Wir halten die Laute, die Stimmen fest – also äußere physische Zeichen. Oder Zeichen, die Schrift zum Beispiel, oder Bilder. Der begleitende innere Zustand aber, der bei jedem von uns jetzt als Befindlichkeit dieses Momentes da ist, 13 der ist unwiderruflich vorbei. Und den können wir auch nie reproduzieren. Auch Messungen unserer Gehirnströme, ebenfalls äußere Zeichen, helfen nicht weiter. Der begleitende innere Zustand ist nicht mehr da, und wenn wir doch den Eindruck haben, er ist wieder da, so können wir doch nicht gewiss sein, denn das Original, woran wir messen könnten, ist unwiderruflich vergangen. Das ist der Grund, weshalb wir die Zeit nicht besitzen können. Es ist umgekehrt: Die Zeit besitzt uns. Es ist ja auch nicht schlecht, wenn etwas vergeht. Die Unumkehrbarkeit des Zeitpfeils kann einen melancholisch stimmen, sie hat aber auch etwas Entlastendes und Befreiendes. Borges hat sich einmal eine Figur ausgedacht, die nichts vergessen kann. Das ist unvorstellbar! Da merkt man dann, was für ein Segen das Verschwinden ist. Das ist ja auch das Problematische an der Psychoanalyse und dem dauernden Aufarbeiten dessen, was in der Kindheit geschehen ist. Szenenfoto mit Katherina Sattler, Stefan Kowalski, Denis Pöpping und Elisbeth Heckel MORITZ IN DER LITFASSSÄULE Die oft zu hörende Behauptung, dass man ein übles Ereignis nur überwinden kann, indem es noch mal durchagiert, trifft nicht immer zu. Manchmal kann es gut sein, manchmal aber auch gerade nicht. Vergessen können und nicht mehr an all das vergangene Schlechte rühren – dies sind feste Bestandteile unserer Lebensbewältigung. Liegt der Sinn des Seins letztlich also im Vergehen? Martin Heidegger schreibt, dass der Sinn von Sein die Zeit ist, das heißt auch, dass der Sinn im Vergehen liegt – und nicht im Festhalten der Zeit. Gegen diese skandalöse Erfahrung des Vergehens versuchen wir Beständigkeiten zu schaffen mit unserem Tun. Diese Bestandssicherung und dieses Wachstum ist eine Vorsorge gegen das andauernde Vergehen. Auch die Kultur ist eine Maßnahme zur Sicherung des Bestandes. Wenn sich keiner mehr an eine bestimmte Vergangenheit erinnert, ist es so, als gäbe es sie gar nicht mehr. Das kann befreiend sein, aber auch ein ungeheurer Verlust. Ich bin also auch im Vergessen. Dass man seine Zeit hat beziehungsweise in seiner Zeit ist, bedeutet ja auch eine große Chance: Auch ich erfahre die Zeit, auch durch mich geht sie hindurch! Zeit kann eine Rückkehr zu sich selbst bedeuten in seiner Unverwechselbarkeit und Unvertretbarkeit. Man erobert ein Terrain, das man sowieso bewohnt. Ich bin ich – bleibe erhalten, trotz des Zeitvergehens. Ist das dann die Eigenzeit? Eigenzeit bedeutet mehreres: Wir haben eine Eigenzeit in unserem Körper, ein inneres Zeitprogramm; jeder kennt diese körpereigenen Zeitvorgänge. Und es gibt den gesellschaftlich aufgenötigten Zeitablauf. Hier muss man sich Inseln der Souveränität einrichten, auf denen man die Zeit selbst bestimmt. Selbstbestimmung – das wird oft vergessen – schließt den Bereich der zeitlichen Struktur mit ein. In der Gesellschaft bestehen ja verschiedene Geschwindigkeiten: vom hohen Tempo der Finanzmärkte bis hin zum langsamen Funktionieren der Demokratie. Die verschiedenen Lebensbereiche haben ihre Ei- 14 genzeiten. Heute ist ein Kampf darum entbrannt, welche Geschwindigkeit die dominierende sein soll. Die Frage, wer sich nach wem richten muss, ist sehr politisch. Das Internet erhöht das Tempo zusätzlich. Einerseits geht es um Geschwindigkeit, andererseits um Gleichzeitigkeit – um ein Phänomen, das es früher nicht gab. Wir sind Zeugen einer ungeheuren Zäsur: Raumentfernte Punkte hatten vor 1890 nie eine Gleichzeitigkeit erfahren. Jeder Ort lebte einzig in seiner Eigenzeit. Alle Informationen, die eintrafen, bezogen sich auf Ereignisse, die schon vorbei waren. Die Erfahrung, in Echtzeit an allem teilnehmen zu können, ist ganz neu. Die Ferne belästigt uns mit trügerischer Nähe, und das Gleichzeitige, vor dem wir durch Raumdistanzen geschützt waren, dringt in unsere Eigenzeit ein. Das ist großartig, aber auch anstrengend. Bedroht dies auch die Eigenzeit? Da man regelrecht überschwemmt wird mit Informationen, ist sie zumindest gefährdet. Jeder lebt in den Grenzen seiner Eigenzeit, aber in der Neuzeit sind diese Grenzen weit geöffnet. Man wird überspült von einer globalen Gleichzeitigkeit: Potenziell kann ich alles erfahren und alle Informationen mir zu eigen machen. Nur stellt sich die Frage: Benötigen wir nicht eine Art Immunschutz? Wie hoch ist eigentlich unsere Reizverarbeitungskompetenz, ohne dass wir Schaden nehmen? Funktioniert unser Reiz-Reaktions-Schema auch bei Informationen? Wir nehmen Reize auf und wollen darauf angemessen reagieren, handelnd antworten. Wie soll das gehen, wenn Unmengen von Reizen in uns eindringen? Die enorme Reichweite der aufgenommenen Reize durch Wahrnehmungsprothesen wie das Fernsehen oder das Internet führt dazu, dass wir auf der Handlungsseite ein Problem haben: Wir können nicht mehr angemessen darauf reagieren. Daraus entsteht ein fundamentales inneres Ungleichgewicht mit latenter Panik und Hysterie aufgrund nicht abgeführter Energie. Diese Unruhe wird in medialen Sensationen und MORITZ IN DER LITFASSSÄULE Skandalen abgefackelt wie die überschüssigen Gase auf den Ölfeldern. Aber der Mensch ist ein anpassungsfähiges Wesen. Der Mensch ist wahnsinnig flexibel. Es scheint, als ob er mit allem fertig würde. Er ist ein autoplastisches Wesen, und es lohnt sich nicht, eine feste Definition seines Wesens zu geben. Er ist das „nicht festgestellte Tier“, wie Friedrich Nietzsche einmal geschrieben hat. Daher bringt Kulturpessimismus nichts. Aber man muss doch 15 festhalten, dass sich heute Ungeheures tut. Es handelt sich um einen gigantischen mentalen Umbruch. Früher gab es nur ein Wesen, das Gleichzeitigkeit erfahren konnte: Gott, der mit seinem Superbewusstsein überall und jederzeit anwesend war. Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/kultur/buecher/in-der-langeweile-erleben-wir-die-nackte zeit/story/23358624 WENN KINDER WEG SIND von Katharina Müller Auf einmal sind sie weg, haben ihre Sachen gepackt, suchen draußen an Bahnhöfen, auf öffentlichen Plätzen oder in verlassenen Gebäuden das, was die Familie ihnen nicht bieten konnte. Trebegang nennen Fachleute das Phänomen. Mit Dr. Rainer Dieffenbach, Leiter der Abteilung für Psychotherapie und Psychiatrie im Kindes- und Jugendlichenalter der Kinderklinik Datteln sprach WAZ-Mitarbeiterin Katharina Müller. Welche Kinder und Jugendlichen laufen weg? Kinder brauchen starke Strukturen: Dr. Rainer Dieffenbach Dr. Dieffenbach: Da gibt es verschiedene Gruppierungen und es ist wichtig, das differenziert zu betrachten. Gerade bei jüngeren Kindern kommt es vor, dass sie mit Sack und Pack losmarschieren und sich hinter dem nächsten Busch verstecken, um zu schauen, was alles getan wird, um sie wieder zu finden. Das ist zunächst einmal etwas höchst Normales. Als echte Trebegänger bezeichnen wir vor allem Jugendliche zwischen 12 und 16 Jahren, die von zuhause abhauen und sich bestimmten Gruppen anschließen, etwa am Bahnhof rumhängen. Schwierig wird es dann, wenn diese neue Gruppe attraktiver ist, einen höheren Stellenwert hat, als das, was den Kindern zuhause geboten wird. Wie treibt die Trebegänger auf die Straße? Die Ursachen sind vielfältig. Ein Aspekt ist sicher, dass die Bindungsfähigkeit in den Familien generell nachgelassen hat. Die Kinder sind nicht mehr richtig in ein System eingebunden. Hinzu kommt, dass viele soziale Modelle, die Kindern und Jugendlichen heute zur Verfügung gestellt werden, nicht mehr wirklich prickelnd sind. Ein schwacher sozialer Hintergrund kann dazu führen, dass Kinder in ihrer Persönlichkeit nicht so angesprochen werden, dass es reizvoll wäre zu bleiben. Auf der anderen Seite gibt es die sogenannten Wohlstandsverwahrlosten, also Kinder, denen materiell zwar alles zur Verfügung steht, um die sich aber niemand wirklich kümmert. Sind Eltern schuld, wenn Kinder gehen? Schuld ist zu leicht gesagt. Familien heute bestehen zunehmend aus einem alleinerziehenden Elternteil und den Kindern. Das macht es natürlich immer schwieriger zu schauen, welche unterschiedlichen Bedürfnisse die einzelnen Familienmitglieder haben. Hinzu kommt, dass wir verstärkt Schwierigkeiten mit einer Verbindlichkeit gegenüber anderen Menschen haben. Kinder brauchen aber vor allem starke Strukturen. Was können Eltern tun, um zu verhindern, dass ihr Kind abhaut? Der Trebegang selbst ist die Endstrecke des Problems. Wenn die Kinder einmal den Ruck zur Straße haben, ist es sehr schwierig, das wieder rückgängig zu machen. Eltern sollten MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 16 Szenenfoto mit Jonas Lauenstein und Katherina Sattler frühzeitig gucken, wieviel Zeit sie ihrem Kind eigentlich widmen und wie diese Zeit verbracht wird. Außerdem ist es wichtig zu schauen, dass das Kind auch außerhalb der Familie eingebunden ist. Etwa in einen Freundeskreis, in den Sportverein oder die Pfadfindergruppe. Wann wird es richtig brenzlig? Wenn der Ton ruppiger wird, die Musikrichtung sich deutlich wandelt, wenn Eltern und Kinder nach einem Streit den Bezug zueinander nicht mehr finden, wenn offensichtlich Drogen im Spiel sind und Eltern das Gefühl haben, die Kinder sind nicht mehr die eigenen. An dieser Stelle kann ein ehrliches Gespräch auf Augenhöhe helfen. Statt Forderungen zu stellen oder laut zu werden, ist es wichtig, dem Kind zu vermitteln: Hier ist jemand, der über die eigenen Schwächen und Schwierigkeiten zu reden weiß und eine gemeinsame Basis herstellen will. Quelle: http://www.derwesten.de/staedte/unser-vest/wenn-kinder-weg-sind-id333245.html MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 17 DIE LITFASSSÄULE Die Litfaßsäule ist aus dem städtischen Raum nicht wegzudenken. Im Jahr 1855 bildete sie den Ausgangspunkt für die Straßenraumgestaltung in Deutschland. Der Unternehmer Ernst Litfaß (1816 – 1874) etablierte sie mit Unterstützung des Berliner Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey in Berlin, um dem wilden Plakatieren Einhalt zu gebieten und zentrale Informationspunkte zu schaffen. Zusätzlich war sie ein probates Mittel der Zensur und der behördlichen Kontrolle von Informationen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich unter dem Einfluss der vorherrschenden wirtschaftlichen Entwicklungen zunehmend städtische Ballungszentren heraus, die es in dieser Dichte zuvor nicht gegeben hatte. In Berlin siedelten sich in den fünfziger Jahren zahlreiche neue Industrieunternehmen (Siemens & Halske, Borsig, Julius Freund, Franz Engells, L. Schwartzkopff) an, was einen starken Zuwachs an Arbeitskräften erforderlich machte. Zwischen 1817 und 1871 vervierfachte sich die Bevölkerungsanzahl von 198.000 auf 826.000 Einwohner. Die politische und soziale Lage änderten sich dadurch einschneidend. Staatliche und städtische Institutionen sahen sich vor die Aufgabe gestellt, das Zusammenleben dieser Vielzahl an Menschen, die sich zudem in ihren sozialen Voraussetzungen stark unterschieden, zu organisieren und effizienter zu gestalten. Neue alltagspraktische Strukturen, zu denen auch die Konzentration und Steuerung des öffentlichen Meinungsaustauschs gehörten, mussten gefunden werden. Zu ihnen gehörte auch die Einführung des neuen öffentlichen Mediums Litfaßsäule, das Informationen bündelte und zentralisierte und so dem Wildwuchs Einhalt gebot. Vorbilder für seine Säule fand Litfaß in London und Paris. Die nach ihrem Erfinder George Samuel Harris benannte Harrissäule wurde 1824 in London zum Patent angemeldet. Es handelte sich um eine aus Metall und Holz gefertigte Plakatsäule, die mehrere Reihen mit Fächern hatte, in die man Plakate hinein stecken konnte. Sie wurde auf einem Wagen befestigt und durch die Straßen gefahren. Seit 1842 gab es auch in Paris Plakatsäulen. Diese wurden gemauert und entsprachen eher dem Typus, den Litfaß später in Berlin einführte. Die erste Litfaßsäule wurde am 1. Juli 1855 an der Ecke Münzstr. 23 / Grenadierstraße der Berliner Öffentlichkeit übergeben und stieß überwiegend auf positive Resonanz, wenn es auch in einigen Zeitungen spöttische Äußerungen gab. Schon bald entstanden zahlreiche Gassenhauer über die Litfaßsäule und Litfaß selbst erhielt im Volksmund den Spitznamen „Säulenheiliger“. Ebenfalls am 1. Juli 1855 gab Litfaß die Gründung eines „Institutes der Anschlagsäulen“, mit dem er seinen Kunden die pünktliche und ordnungsgemäße Ausführung ihrer Plakatierungsaufträge zusicherte. Durch die Einführung der Litfaßsäulen in Paris entstand der neue Berufsstand der Anschlagspediteure, die an einer eigens angefertigten Uniform (graue Bluse mit roten Biesen, schwarzer Hut und Messingschild) zu erkennen waren. Insgesamt wurden in Berlin 130 Anschlagsäulen aufgestellt. Von da an trat die Litfaßsäule unaufhaltsam ihren Siegeszug an und verbreitete sich nach und nach in verschiedenen Städten. Nach Hannover, Hamburg und Stuttgart folgten Bremen, Wien Magdeburg u.a. Auch in Berlin wuchs ihre Anzahl stetig. Als die Firma BEREK im Jahr 1921 die Bewirtschaftung übernahm, waren es schon über 1500. Durch die Bombardierungen Berlins im 2. Weltkrieg ging ein Großteil der Anschlagsäulen verloren, nur einige hundert blieben übrig und dienten nun vor allem als Medium für Tauschangebote und zur Suche von vermissten Angehörigen. Später stieg die Zahl der Säulen in beiden Teilen der Stadt wieder stark an. 2004/05 wurden in ganz Berlin ca. 4000 von ihnen vermerkt, im Bundesgebiet waren es um die 17 000. Die Inhalte der Mitteilungen, die an die Litfaßsäulen angeschlagen wurden, spiegelten auch immer die in Deutschland jeweils herrschende Regierungsform und deren Einfluss auf wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen wider. Herrschten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Kaiserreich noch MORITZ IN DER LITFASSSÄULE Aufrufe und Kriegsdepeschen vor, so überwogen in der Weimarer Republik die Wahlplakate. Zu Beginn des 1. Weltkrieges wurden mit Plakaten auf den Litfaßsäulen Freiwillige geworben und in den Goldenen Zwanzigern wurden sie mit Werbung für Markenartikel überschwemmt. In dieser Zeit wurden auch zusätzliche Säulen aufgestellt, die häufig nur großformatigen Plakaten eines einzigen Kunden vorbehalten blieben. Die meisten Litfaßsäulen (3000) gab es in Berlin unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Politische Propaganda und Hetzaufrufe fanden ihren Platz neben Werbeplakaten für Massenvergnügungen. In der Nachkriegszeit wurden die ersten bunten Filmplakate neben Veranstaltungsinformationen der sich schnell erholenden Theater- und Konzertbranche geklebt. Ende der 60er Jahre erlebte die Litfaßsäule einen Einbruch, als die Werbeagenturen dazu übergingen, Riesenplakate an allen möglichen Orten wie Häusermauern, Bahnunterführungen, U-Bahnhöfen usw. anzubringen. Später entschlossen sich viele Firmen, auf beiden Medien zu werben, unter anderem auch deshalb, weil der Platz für großformatige Plakate ausging. Im Vergleich zu früher dient die Litfaßsäule heute meist als Werbemedium, während Plakate mit öffentlichen Bekanntmachungen eher selten zu finden sind. Wie die Litfaßsäule beschaffen ist Ob sich Ernst Litfaß den Entwurf der ersten Berliner Litfaßsäule selbst ausgedacht hat oder sich Hilfe von einem Fachmann suchte, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Jedenfalls bediente er sich eines zu dieser Zeit völlig neuartigen Materials für den zylindrischen Schaft der Säule, nämlich des Eisenblechs, welches das herkömmliche Gusseisen ersetzte, denn Eisenblech war billiger zu produzieren und wesentlich leichter als Gusseisen. Daher war es das perfekte Material für die Litfaßsäulen. Diese bestanden aus einem gewickelten Schaft, der englischgrün angestrichen wurde, und in ein 70 cm tiefes Betonfundament mit einem 15 cm über das Pflaster hinausragenden roten Klinkerkranz eingemauert wurde. Oben auf 18 den Schaft wurde das Kranzgesims mit Entlüftungsschlitzen aufgesetzt und mit einem Palmettenfries aus Gusseisen verziert. Die ersten Säulen hatten eine Höhe von 3,28 m und einen Umfang von 2,80 m und waren damit kleiner als die nachfolgenden Modelle. Im Laufe der Zeit erhielten die Litfaßsäulen noch eine Nebenfunktion. 1884 wurden die Berliner Elektrizitätswerke (die spätere Bewag-AG) gegründet und man stellte fest, dass sich der hohle Innenraum der Säulen bestens zur Installation von Transformatoren eignete. Allerdings musste man dafür den Durchmesser erweitern und im verstärkten eisernen Schaft drei übereinanderliegende Türen anbringen, damit die Elektriker jederzeit Zugang zu allen Teilen der Transformatoren hatten. Außerdem wurde zwischen Schaft und Sockel eine Achse eingebaut, dank derer sich die Säule drehen ließ. Diese BewagSäulen sind heute infolge technischer Neuerungen nicht mehr in Betrieb. Einige Anschlagsäulen wurden in Berlin auch als Telefonvermittlung genutzt. Seit 1920 und besonders nach dem 2. Weltkrieg verbreitete sich neben der Eisensäule die Betonsäule, deren glatter Schaft durch ein kegelförmiges Blechdach ergänzt wurde. Sie waren besonders wetterfest, ebenso wie die seit den 70er Jahren verwendeten Modelle aus Eternit, die zudem sehr leicht sind. Ebenfalls seit den 70er Jahren gab es sogenannte Verkehrsleitsäulen, die von innen beleuchtet und so auch bei Dunkelheit nicht mehr zu übersehen waren. Auch der heute verwendete Typ ist von innen beleuchtet. Die Säulen bestehen aus Plexiglas und die Plakate befinden sich unter Glas, sodass das Kleistern überflüssig geworden ist. Sie sind etwa vier Meter hoch und drehen sich um sich selbst. Seit 2011 gibt es am Hackeschen Markt den Litfaßplatz, auf dem eine Litfaßsäule aus Beton und einer goldenen Krone steht. In der Münzstraße befindet sich das Litfaß-Denkmal, das ebenfalls aus einer Anschlagsäule besteht, die mit Bildern und Schriftstücken verziert ist und an ihren Erfinder und seine Druckerei erinnert. MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 19 UNTERRICHTSPROJEKT Entwerfen Sie mit den Kindern ein Plakat. Das Thema können Sie auf das Stück und seine Themen beziehen oder jedes andere Thema nehmen wir z.B. Berlin als europäische Metropole etc. Ein Plakat zum Thema Zeit würde sich auf das Stück beziehen: Wie schnell oder wie langsam vergeht sie; wann ist eine Zeit gut, wann nicht; welche Zeiten und wofür braucht ein Kind an einem Tag? Ein anderes Thema ist die Familie: Wie gehen Familien miteinander um, was wäre eine Traumfamilie für die Kinder, in welchem Verhältnis stehen dort die Familienmitglieder zueinander? Szenenfoto mit Katherina Sattler und Jonas Lauenstein MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 20 ANREGUNGEN FÜR IHREN UNTERRICHT Manchmal, wenn Moritz die Welt um sich herum zu viel wird, verschwindet er in einer Litfaßsäule und beobachtet durch ein Guckloch die hektisch herumtreibenden Menschen. In seinem Versteck fühlt er sich sicher und nimmt sich alle Zeit der Welt – Zeit zum Ankommen und Spielen, Zeit zum Fabulieren und Phantasieren und Zeit für die Langweile. So wie Moritz sich von seiner Außenwelt abschirmt, sind auch die folgenden Ideen als Rahmensetzung zu verstehen, die innerhalb eines begrenzten Zeitraums neue Denk- und Handlungsräume kreieren und somit im Sinne der Geschichte eine eigene „Litfaßsäule“ bilden. Innerhalb dieses Vakuums besteht die Möglichkeit, anzuhalten und Fragen an den Inhalt und die Form des Theaterstückes zu stellen, immer wieder neu zu denken, zu formulieren und zu ... plakatieren. Die Zeitmaschine Geben Sie Ihren Schülerinnen und Schülern als erstes die Aufgabe, eine Zeitmaschine zu malen und mit vielen verrückten Elementen auszustatten. Was soll die Zeitmaschine können und wo soll sie hinführen? Als Vorbereitung könnte die Zeitmaschine die Kinder auf eine Zeitreise in die Zukunft mitnehmen: Welche Erwartungen haben sie an den Theaterbesuch, welche an die Inszenierung? Wie wird die Inszenierung sein? Wie glauben sie, dass die Geschichte erzählt wird? Wie könnten die Kostüme und die Bühne aussehen? Als Nachbereitung wird die Zeitmaschine in die Vergangenheit oder Zukunft der Geschichte von Moritz führen: Was waren spannende Momente? Wie könnte die Geschichte nach dem Ende weitergehen? MORITZ IN DER LITFASSSÄULE Zeit erfinden a. Fragen Sie in der Klasse nach besonderen Zeiten: Welche Zeiten gibt es bereits? Welche Zeiten spielen in eurem Alltag eine wichtige Rolle? (Aufstehzeit, Schulzeit, Freizeit, Sommerzeit usw.) Laden Sie die Schülerinnen und Schüler in der Vorbereitung ein, zu ihren Ideen ein passendes Figuren-Ensemble zu erfinden z.B. die Aufstehfigur, die Ferienfigur, der Keine-Zeit-Haber. Dafür werden alte Zeitungen und Zeitschriften zerschnitten und die Figuren in Form einer Collage aus Bild und Textschnipseln erstellt. In der Nachbereitung bietet es sich an, die Figuren der Inszenierung aufzugreifen und mit der Technik der Collage herauszuarbeiten. Welchen Umgang haben diese mit ihrer eigenen Zeit? Wie unterscheiden sich die Figuren der Geschichte voneinander? Welche unterschiedlichen Facetten zeigen sich bei jeder einzelnen Figur? (Dies ließe sich auch fächerübergreifend denken und könnte im Kunstunterricht stattfinden.) b. Erklären Sie sich und die Kinder zu Zeiterfindern. Welche Zeiten gilt es noch zu erfinden? Lassen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler die erfundenen Zeiten möglichst detailliert und wissenschaftlich der Klasse erklären. Was für Tipps können sie den Anderen als Experten ihrer Zeit mitgeben? (Eine mögliche Antwort wäre z.B.: „Meine erfundene Zeit ist die Erdbeer-Rhabarber-Kompott-Zeit. Mein Tipp ist: Ein Besuch bei meiner Tante.“) Zeit zum Ausreißen a. In der Geschichte fasst Moritz einen Entschluss. Er verlässt sein Zuhause und hinterlässt einen Zettel: „Ich bin gegangen. Es hat mir nicht mehr gefallen.“ Was können Gründe sein, von seinem Zuhause wegzugehen? Was ist Ausreißerzeit? Wann ist sie gut und wann nicht? b. Für Moritz steht die Erwachsenenwelt Kopf, seine Schwester nennt ihn Schnecke, Trantute und Träumer. Sein Vater, der Sparkassendirektor, zählt das Geld in Minuten und verbündet sich, damit der Junge endlich lernt, sich anzupassen, mit Moritz‘ Lehrerin. In einem sind sich alle einig: Moritz ist zu langsam. 21 Hierzu wählt sich jedes Kind eine Gangart aus, welche Moritz entsprechen könnte z.B. schlurfen, schleichen oder langsam gehen. Anschließend wählt sich jedes Kind eine gegenteilige Figur aus dem Stück aus und bewegt sich in einem deutlich schnelleren Tempo durch den Raum und in der entsprechenden Körperhaltung, dabei kann zusätzlich mit Sprache gearbeitet werden: „Beeil dich, mach mal schneller, Zack Zack, wir haben einen Termin, Zeit ist Geld.“ Anschließend wird die Klasse in zwei Gruppen geteilt. Dabei bewegt sich die eine Gruppe im „Moritz-Tempo“ und die andere im „Erwachsenen-Tempo“ durch den Raum. Danach wechseln die Gruppen. Fragen Sie Ihre Schüler und Schülerinnen im Anschluss an die Übung, wie sie die jeweils andere Gruppe wahrgenommen haben: Kommt euch die Situation bekannt vor? Gehen Erwachsene schneller als Kinder, weil sie längere Beine haben? Oder wollen sie Zeit sparen? Glaubt ihr, dass Erwachsene grundsätzlich mehr Zeit haben als Kinder, weil sie sich immer beeilen? Kinder haben angeblich nie Zeit für ihre Eltern, weil sie immer spielen müssen und an jeder Ecke stehen bleiben um Hunde zu streicheln. Was denkt ihr darüber? Einfach mal langsam machen Das Pausen Experiment – Teilen Sie Ihre Schülerinnen und Schüler in 3 Gruppen ein. Sie bekommen die Aufgabe, sich die komplette Pause in Zeitlupe zu bewegen, frühstücken in Zeitlupe, spielen in Zeitlupe, sprechen in Zeitlupe usw. Dabei bekommen sie den Auftrag zu beobachten, wie die anderen Kinder auf ihre Langsamkeit reagieren und im Anschluss an die Pause von ihren Erfahrungen zu berichten. Zeit festhalten Schicken Sie Ihre Schülerinnen und Schüler für ca. 10 min. auf den Schulhof mit dem Auftrag etwas zu suchen, was ihrer Meinung nach Zeit dokumentiert. Das könnte zum Beispiel ein Herbstblatt, eine Plastikflasche oder ein rostiger Nagel sein. Anschließend sollen die gefundenen Gegenstände vorgestellt werden. Fragen Sie danach, welche Ge- MORITZ IN DER LITFASSSÄULE schichte der Gegenstand haben könnte. Wo kommt er her, wem gehörte er einmal? In welchem Bezug stehen Zeit und Geschichte zueinander? Schließen Sie die Frage an, welche Dokumente der Zeit im Theaterstück zu sehen waren und in welcher Form (Kostüme, Sprache, Bühnenbild …). 22 Zeit zum Philosophieren Bestimmen sie einen Zeitraum, in dem Sie mit Ihren Schülerinnen und Schülern philosophieren und in dem neue Gedanken entstehen. Ausgangsfragen: Kann man eigentlich Zeit haben im Sinne von besitzen? Was würdet ihr euch mit Zeit kaufen, wenn ihr Zeit kaufen könntet? Szenenfoto mit Jonas Lauenstein MORITZ IN DER LITFASSSÄULE 23 HINWEISE FÜR DEN THEATERBESUCH Liebe Lehrerin, lieber Lehrer, viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater oder haben wenig Erfahrung damit. Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit Ihrer Klasse die besondere Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich Darsteller und Zuschauer konzentrieren können. Dafür braucht es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht einhält, beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen Besucher. Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines Theaterbesuchs bei: 1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass jeder in Ruhe den Mantel und seine Tasche an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten. 2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, stört sowohl die Darsteller als auch die übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in der Vorstellung gibt. 3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen und zu trinken, Musik zu hören und Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden. 4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wem es gut gefallen hat, der gibt mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger. Wichtig ist, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen. Unser Einlasspersonal, die ARTIS GmbH, steht den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung. Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin / Theaterpädagogin, an den stückbetreuenden Dramaturgen / Theaterpädagogen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Ihr THEATER AN DER PARKAUE IMPRESSUM Spielzeit 2015/2016 THEATER AN DER PARKAUE Junges Staatstheater Berlin Parkaue 29 10367 Berlin Tel. 030 – 55 77 52 -0 www.parkaue.de Intendant: Kay Wuschek 24 Redaktion: Karola Marsch, Michèle Fischer, Sarah Kramer, Gina Jeske Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor Fotos: Christian Brachwitz Titelfoto mit Denis Pöpping, Susi Claus und Jonas Lauenstein Abschlussfoto mit Denis Pöpping Kontakt Theaterpädagogik: Sarah Kramer 030 – 55 77 52 -60 [email protected] Mit freundlicher Unterstützung von