Aargauer Zeitung - Michael Hugentobler
Transcrição
Aargauer Zeitung - Michael Hugentobler
Mittwoch, 8. August 2012 | az KULTUR 21 «Früher träumte ich vom Reisen – dann entdeckte ich, dass man die ganze Welt im Dunkel des Kinos kennen lernen kann.» Leos Carax – der Star-Regisseur wurde am Filmfestival Locarno mit einem «Ehren-Leoparden» ausgezeichnet. Der Mann, der berühmt war und es nicht wusste Pop Sixto Rodriguez’ Alben wollte niemand kaufen. Gerüchten zufolge beging er dann Selbstmord. Nun wird seine Musik neu aufgelegt Die Suche nach Rodriguez VON MICHAEL HUGENTOBLER Der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul hörte auf einer Reise durch Afrika von der aussergewöhnlichen Karriere des amerikanischen Sängers Sixto Rodriguez. Im Zeitraum von sechs Jahren reiste er regelmässig nach Südafrika und in die USA, um Interviews zu führen. Aus dem Material entstand der Dokumentarfilm «Searching for Sugar Man». Der Film wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet und läuft seit Juli in amerikanischen Kinos. Ebenfalls seit Juli ist weltweit die Filmmusik erhältlich. Auf dem Soundtrack sind Rodriguez’ bekannteste Songs zu hören. (HUG) m August 1969 betrat ein Exot das Musikstudio namens Tera-Shirma in Detroit. Das Studio an der Livernois Avenue 15305, ein grosser grauer Klotz, eine ehemalige Bank, war bekannt dafür, dass hier die erfolgreichsten Musiker der Stadt ihre Alben aufnahmen. Aber der Mann, der nun kam, war nicht erfolgreich. Niemand hatte jemals von ihm gehört. Er hiess Sixto Diaz Rodriguez, geboren am 10. Juli 1942, Sohn mexikanischer Einwanderer, die in den Autofabriken arbeiteten. Im Studio nahm er ein Album auf, das den Titel «Cold Fact» trug. Darauf waren Songs zu hören, die er in den vergangenen drei Jahren geschrieben hatte. Es waren Geschichten über Dealer, Süchtige und Prostituierte, über zerplatzte Hoffnungen und kaputte Träume, über sein Leben im Armenviertel. Die einzige Lichtgestalt war der «Sugar Man», der Antworten auf alle Fragen hatte und Farbe ins Leben brachte: der lokale Drogenhändler. Die Produzenten Michael Theodore und Dennis Coffey waren beeindruckt von Rodriguez’ Songs, sie hielten den Musiker für den neuen Bob Dylan. Aber als das Album im März 1970 herauskam, wollte es niemand kaufen. Ein halbes Jahr später reiste Rodriguez nach London und nahm während vier Wochen sein zweites Album auf, «Coming from Reality». Doch auch das verkaufte sich nicht. Die folgenden Jahre gab er hin und wieder ein Konzert. Dann verschwand er. Rodriguez Searching for Sugar Man (Original Motion Picture Soundtrack), Sony 2012. und voller Erstaunen die Website über ihren Vater gefunden. Sie sagte, ihr Vater lebe wie ein Einsiedler und wolle wahrscheinlich nichts mit Segerman zu tun haben, aber sie versuche, ihn zu überreden. Um Mitternacht hängte Segerman auf. Er wollte eben ins Bett gehen, als um 1 Uhr das Telefon klingelte. «Vor Aufregung liess ich fast den Hörer fallen, als ich Rodriguez’ Stimme hörte», erzählte er 1998 dem Musikmagazin «Music Africa». Sie redeten während 20 Minuten und Segerman erzählte von Rodriguez’ Rockstar-Status in Südafrika. Der Sänger war so überrascht, dass er sich überlegte, für eine Tour nach Südafrika zu reisen. Selbstmord auf der Bühne Der Sänger sei an einer Überdosis Heroin gestorben, sagten die einen. Er habe seine Frau ermordet und sitze im Gefängnis, die anderen. Einem Gerücht zufolge hatte er sich inmitten einer Menschenmenge mit Benzin übergossen und angezündet. Die häufigste Version: Rodriguez habe sich an einem Konzert in den Kopf geschossen. Das Land, in dem diese Gerüchte Sixto Rodriguez trat letzten Monat am Newport Folk Festival in den USA auf. KEY erzählt wurden, war Südafrika. Wie Rodriguez’ Alben dorthin gelangten, drix für die Amerikaner in Vietnam ralien. Er überlegte, dass man sich Ende hatte er die Telefonnummer des ist bis heute unklar. Klar ist, dass Ro- war», sagte Segerman in einem Inter- wohl nur in Südafrika die Selbstmord- Produzenten von «Cold Fact», Michael view mit der englischen Zeitung «Tele- Theorien des Sängers erzählte. Er be- Theodore in Morrison, Michigan, USA. driguez davon nichts wusste. Seine Musik war wie geschaffen für graph». Die beiden erfolglosen Alben gann am Tod von Rodriguez zu zwei- Er rief an. Theodore sagte: «Rodriguez lebt – aber er will mit niemandem redas Südafrika der 70er-Jahre. Die Men- des Amerikaners wurden immer wie- feln. den.» der auf Kassetten schen lebten unüberspielt und zu Die Suche nach Rodriguez beginnt Etwa zur selben Zeit, im April 1997, ter der Apartheid einem festen BeDa keine Master-Tapes auffindbar schaltete der Musikladenbesitzer Seund waren durch standteil der süd- waren, lieh Segerman der Firma Poly- german in Kapstadt eine Website onZensur und interafrikanischen gram eine gut erhaltene Schallplatte, line, die er «The Great Rodriguez nationale SanktiHaushalte. Kin- die von nun an als Grundlage für die Hunt» nannte – die grosse Suche nach onen von der der wuchsen mit Herstellung von CDs verwendet wur- Rodriguez. Auf die Website lud er alle Popkultur der Stephen Segerman, der Musik auf de. Wenn man genau hinhörte, konn- Informationen, die er über den Sänger restlichen Welt südafrikanischer Fan und auch deren te man auf der CD das leise Knarzen hatte: Zeitungsartikel, Gerüchte und isoliert. RodriKinder verehrten der Schallplatte die wenigen Fakguez’ Songzeilen Rodriguez als tra- hören. Ins Bookten, die es gab. voller Wut gegen Am Freitag, jegliche Art von Autorität machten gischen, aber genialen Poeten, der wie let der CD liess eine 12. September seine Musik zum perfekten Sound- Jimi Hendrix, Jim Morrison und Janis Segerman Notiz schreiben, 1997, schrieb eitrack einer ganzen Generation. Für Joplin viel zu früh gestorben war. Segerman eröffnete in den 90er- er suche nach Rone Frau namens seine Fans war er ein verkanntes GeEva Alice Rodrinie, ein Prophet, der ihnen aus den Jahren einen eigenen Musikladen na- driguez und wer Sixto Rodriguez, Musiker guez Koller aus Herzen sprach. Und es erschien ihnen mens Madiba Records in Kapstadt. Anhaltspunkte Junction City in logisch, dass ihr Idol tot war – zu hart Über einen Freund hörte er, dass die habe, solle sich Kansas ein E-Mail und traurig waren seine Songs. Wer Musikfirma Polygram CDs von «Cold melden. Der investigative Journalist Craig an Segerman in Südafrika: «Rodriguez über so viel Leid sang, der konnte kein Fact» und «Coming from Reality» pressen wollte, aber die dafür notwendi- Bartholomew aus Johannesburg mach- ist mein Vater, im Ernst!» Zwei Tage Glück haben im Leben. Einer dieser Fans war Stephen Se- gen Master Tapes nicht hatte. Seger- te sich auf die Suche. Es war der später, am Sonntagabend, las Segergerman, der 1972 den Militärdienst man machte sich auf die Suche. Dabei 17. September 1996. Während der fol- man in Kapstadt das E-Mail und rief absolvierte. «Für die Männer, die in fand er heraus, dass die Alben seines genden neun Monate verschickte er 45 auf die Nummer an, die Eva geschickt den 70er-Jahren an der Grenze kämpf- Idols nirgends auf der Welt erhältlich Telefaxe, machte 72 Telefonanrufe und hatte. Eva erzählte, sie habe ihren Faten, war Rodriguez das, was Jimi Hen- waren – ausser in Südafrika und Aust- sandte 140 E-Mails durch die Welt. Am miliennamen ins Internet eingegeben «Für uns war Rodriguez das, was Jimi Hendrix für die Amerikaner war.» «Der richtige Zeitpunkt kommt automatisch irgendwann.» Ausverkaufte Südafrika-Tour Sechs Monate später, am Montag, 2. März 1998, landete Rodriguez mit seiner Ehefrau Konnie und seinen Töchtern Eva und Regan in Kapstadt, um eine ausverkaufte zweiwöchige Tour durch Südafrika zu beginnen. Die Konzertserie lief unter dem Namen «Dead Men Don’t Tour» – «Tote Männer touren nicht». Wenig ist bekannt darüber, was Rodriguez in den Jahren tat, während denen Hunderttausende seiner Alben in Südafrika kopiert und verkauft wurden. Er verdiente keinen Cent aus Tantiemen und arbeitete auf Baustellen, um seine Familie durchzubringen. Dabei lebte er mit seiner Frau und drei Töchtern zurückgezogen ohne Telefon im Künstlerviertel Cass Corridor in Detroit. «Für harte Arbeit muss man sich nie schämen», sagte er zur amerikanischen Zeitung «New York Times». 40 Jahre nachdem Rodriguez die ehemalige Bank an der Livernois Avenue 15305 betrat, um zwei Alben aufzunehmen, die in seiner Heimat niemand verstehen würde, setzt nun der Erfolg ein. Ein Dokumentarfilm wurde über ihn gedreht (siehe Box), ein Auftritt in der bekannten «David Letterman Show» ist geplant, und ab diesem Sommer tourt er zum ersten Mal durch Nordamerika und Europa. Zudem werden seine bekanntesten Songs neu aufgelegt. Vor einigen Wochen feierte Rodriguez seinen 70. Geburtstag. Ein Journalist fragte ihn, ob der Erfolg nicht ein wenig zu spät komme. Rodriguez sagte: «Wir wollen immer viel zu schnell ans Ziel – dabei kommt der richtige Zeitpunkt automatisch irgendwann.»