Zusammenstellung 27.08.2016

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Zusammenstellung 27.08.2016
Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL)
Landesverband Niedersachsen/Bremen e.V. – Pressesprecher:
Eckehard Niemann, Varendorfer Str. 24, 29553 Bienenbüttel
0151-11201634 – [email protected]
Newsletter „Agrar-Hinweise“ – 27.08.2016
vorherige Ausgaben auf der Internetseite http://www.abl-niedersachsen.de/
So gesagt
“Willst du Kuh und Schwein verlieren - lass die CDU regieren.”
(Spruch unter Bäuerinnen und Bauern in Nordwest-Niedersachsen)
Siehe dazu den Chrismon-Artikel unten…
Unsere Meinung: Es gäbe genug Anlass, kritische Reime auch zu
anderen Parteien zu erdichten…
Aus einem eher landhandels-geneigten Kommentar von
AgrarZeitungs-Redakteur Horst Hermannsen in
AgrarZeitung vom 26.8.2016:
„Verzerrtes Bild“
„Was um alles in der Welt gibt die Landwirtschaft in diesen Tagen für ein
traurig verzerrtes Bild in der Öffentlichkeit ab. Es wirkt wie Heulen und
Zähneklappern. Ein Wirtschaftszweig, der überwiegend von öffentlichen
Subsidien lebt, wird als Ansammlung von Jammerexistenzen
wahrgenommen. Dafür sorgen agrarpolitische Marionetten und
realitätsferne Sprecher der Bauernverbände.“ Nach einer Kritik an der
Forderung des Bayerischen Bauernverbands, der Landhandel möge die
Trocknungskosten für feuchtes Getreide senken: „Wenn es den
Getreidebauern im Freistaat tatsächlich so schlecht geht, sollte sich die
Verbandsführung dazu durchringen, einige Zeit auf den BBVMitgliedsbeitrag zu verzichten. Ergänzend könnten Funktionäre einen
Teil ihrer Bezüge in eine Art Notfonds einzahlen“...
Unsere Meinung: Es muss statt der perspektivlosen BauernverbandsAlibi-Forderungen z.B. nach Liquiditätshilfen endlich eine klare und
selbstbewusste bäuerliche Strategie der Mengenbegrenzung und der
Erzeugerpreis-Sicherung durchgesetzt werden – auch damit
Kommentare mit ihrer berechtigten Kritik an der Bauernverbandsspitze
nicht mehr auf die Bauern abfärben.
European Milk Board:
Frankreich: Scheitern der
Verhandlungen Lactalis/Milcherzeuger - Blockade
wird fortgeführt
Nach fast 11stündiger Diskussion scheiterten heute Nacht die
Gespräche zwischen Milcherzeugern des französischen
Bauernverbandes und Lactalis über eine Einigung zum
Milchpreis. Die französischen Milcherzeuger wollen die Blockade von
Lactalis mindestens bis Montag fortführen.
Aktuelle Informationen auf unserer Facebook-Seite
Link: www.europeanmilkboard.org
Ackerbau-Training für den „Ernstfall“
Aus der aktuellen Ausgabe der DLG-Mitteilungen: „Üben Sie den
Ernstfall – Bis Ende 2017 werden Sie Glyphosat wahrscheinlich noch
einsetzen können. Was danach geschieht, ist völlig unklar. Probieren Sie
auf kleinen Flächen schon mal, ohne den Wirkstoff auszukommen…“
10 x Agrar-Pink oder Pink-Agrar:
Pinke Rundballen
"Mein Pferd heißt 'Lotta' und ich füttere das gerne und finde es toll, wenn
das Futter aus rosa Strohballen kommt" – so die siebenjährige Hanna zu
den in rosa Folien gewickelten Rundballen, die der Lohnunternehmer
Severin Grote im Emsland wickelt. Die sind laut NDR derzeit der Hit auf
allen Reiterhöfen: "Dann hat ein Kunde aus Wymer, der einen
landwirtschaftlicher Betrieb hat, gefragt: Was habt ihr denn bei meinem
Nachbarn für Ballen gemacht? Meine Tochter spricht von nichts
anderem mehr. Seitdem heißen sie bei uns nur noch Mädchenballen."
Pro Rolle Folie werden drei Euro gespendet. Das Geld geht an die
gemeinnützige Organisation „Pink Ribbon“ („Rosa Schleife“): Sie setzt
sich für Aufklärung und Vorsorge bei Brustkrebs ein. Mit einer Rolle Folie
kann Grote rund 20 Ballen pressen. 2.000 pinke Ballen gibt es bereits.
Pferdehalter Agnesmeier hofft, „dass diese schöne Folie die Krähen
abschreckt, die es auf das Heu abgesehen haben. Dann brauchen wir
die Ballen nicht sofort vom Acker fahren."
Noch mehr pinke Rundballen
Auch in der Region Malente werden pinke Rundballen für „pink ribbon“
gewickelt – und zwar 500 von 2.000 Heulage-Ballen des
Lohnunternehmers Hannes Wandhoff. Die Folie sei für ihn im Einkauf
teurer als die übliche grüngraue, er gebe diesen Aufpreis aber nicht an
seine Kunden weiter. Den Aufschlag zahle er aus eigener Tasche, das
sei seine Spende für die Aktion (Lübecker Nachrichten). Nachrichten zu
pinken Rundballen für „pink ribbon“ gibt es auch vom Nüdlinger Landwirt
Edgar Thomas (aus der Main-Region), vom Hersteller Trioplast aus
Hilden, von den Landwirten Hermann aus Berching (Mittelbayern), von
den hessischen Landwirten Schmidt/Lappe aus Dörnberg, vom
Maschinenring Aibling-Miesbach-München, aus der Eifel, von Spital am
Semmering und aus dem Schweizer Bätershausen - und aus
Neuseeland, wo die gute Idee entstanden ist.
https://www.pinkribbon-deutschland.de/news/detail/eine-grossartigeaktion-geht-weiter.html
Rückblick: „Pink Cat“-Trecker
Einen rosaroten Traktor namens „Pink Cat“ hat der finnische Hersteller
Valtra vor zwei Jahren vorgestellt: „ Das Valtra Unlimited Studio hat
dieses besondere Traktor-Design für die “Jungen Landwirte Finnlands”,
eine Organisation des finnischen Zentralverbands der Agrarproduzenten
und Waldbesitzer (MTK), entworfen. Deren diesjähriges Motto ist
“Leidenschaft” und dieses Thema spiegelt sich beim Pink Cat sowohl
außen als auch innen wieder. Der „Agriaffaires Blog“ dazu: „Gestaltet
wurde ein Traktor des Modells N163 Direct mit 4-Zylinder-Motor, 171 PS,
stufenlosem Getriebe und Load-Sensing-Hydraulik mit einer maximalen
Förderleistung von 160 l/min. Soweit so gut… Doch neben dem rosa
Anstrich ist vor allem die Innenausstattung die Besonderheit des pinken
Traktors. Das Innere der Kabine ist mit roten Ledersitzen ausgestattet
und verfügt über einen Edelstahl-Spiegel und LED-Beleuchtung an der
Kabinendecke. Ein Ipad, eine hochwertige Stereo-Anlage sowie ein
DVD-Player sorgen für beste Unterhaltung im Pink Cat. Und falls jemand
in dieser Atmosphäre Lust auf ein Bier bekommt, dann wird ihn ein
integriertes Atemalkohol-Messgerät mit Wegfahrsperre davon abhalten,
danach noch weiter zu fahren…“
„Think pink“
Dieses Motto verfolgt die AGRAVIS Raiffeisen AG, allerdings nur
eingegrenzt auf eine „Schweinetag Westfalen“ am 1.3.2013 – mit
Vorträgen zur Optimierung der Schweinehaltung…
„Pink-Panther“-Spargelstecher
Über einen „Pink Panther“ auf dem Spargelacker berichtete die FAZ:
Dieser Prototyp eines halbautomatischen Geräts sticht die jewiels reifen
Spargelstangen selektiv auf Knopfdruck und zieht sie dann pneumatisch
aus der Erde. Der Spargelpanther arbeitet dreireihig und in drei TagesSchichten, vor allem auf großen, langen Spargelfeldern, und ersetzt
sechs bis sieben Menschen. Anders arbeitet der Spargelvollernter
Wisent, der den gesamten Spargelbalken (Erddamm) räumt, alle
Sprossen abkappt und sammelt und dann den Damm wieder herrichtet.
Künftig soll der Panther über Digitalkameras selber den Spargel
lokalisieren – die Serienversion sollte etwa 200.000 Euro kosten. Für das
Auf- und Abdecken der Folie über dem Spargeldamm gibt es Geräte wie
den „Spargelfuchs“, die „Spargelspinne“ oder den „Tunnelmax“…
Allerdings wohl nicht in pink…
Pink-Floyd-Pink-Pig
Ein fliegender Ballon in Form eines riesengroßen pinkfarbenen Schweins
ließ die Band „Pink Floyd“ einst über London fliegen. Das bezog sich auf
den Song „Pigs on the wing“ des Albums „Animals“. Das Schwein flog in
die Flugschneise des Airports Heathrow und landete auf dem Feld eines
Farmers.
http://www.cbsnews.com/news/pig-flies-over-london-in-pink-floyd-albumtribute/
„Pink Lady“
Markengeschützte Design-Äpfel mit Namen wie „Pink Lady“ oder „Jazz“,
die ausschließlich in Plantagen lizenzierter Erzeuger unter klimatisch
günstigen Bedingungen wachsen dürfen, machen den heimischen
Obstbauern und Apfelsorten Konkurrenz. Laut „Die Welt“ werden sie im
Supermarkt für teils deutlich höhere Preise verkauft als die klassischen
Sorten wie Jonagold oder Elstar. Zudem lassen sich höhere Erträge je
Hektar ernten. Inländische Apfelbauern haben davon nichts, denn Pink
Lady wird durchweg aus Südeuropa importiert.
„Pink fir Apple“
- so lautet der englische Name für die rosa-schalige Kartoffelsorte „Rosa
Tannenzapfen“. Die „Kartoffel des Jahres 2013“ hat gelbes Fleisch, ist
hörnchenförmig, reift mittelspät, schmeckt würzig und ist gut geeignet als
Salat- und Pellkartoffel.
„Perfectly Pink“?
„Perfectly Pink“ – die neue Trendfarbe im Kühlregal innocent hat eine
neue Smoothie-Sorte mit Roter Rübe gemixt. Inspiriert von der Farbe
trägt sie den Namen „Perfectly Pink“ und ist damit die zweite innocent
Smoothie-Sorte mit Gemüse. „Perfectly Pink“ enthält eine köstliche
Kombination aus pürierten Äpfeln, Birnen, Roten Rüben, etwas Banane,
einem Schuss erfrischendem Orangen- und einem Spritzer Zitronensaft.
Werbung der Innocent alps Gmbh, Salzburg
Pinktractor
Unter dem Motto “Farm strong. Woman smart.” Werden hier Maschinen
und Geräte angeboten: http://www.pinktractor.com/
12.000 Bio-Legehennen in 4 Herden in 2 Gebäuden:
Bio-Massentierhaltung oder „immerhin besser als
konventionell“?
Laut HAZ vom 26.8.2016 will der Landwirt Jobst Lütgheharm statt der
vorherigen Pläne für bis zu 20.000 Putenmastplätze nun den „größten
Legehennenhof in Biohaltung in der Region Hannover“ mit 12.000
Plätzen bauen. Von zwei Gebäuden mit jeweils 6.000 Hennen war bei
einer Wahlkampf-Veranstaltung der Grünen in Pattensen die Rede –
aber die konkrete Größe der Ställe stehe noch nicht fest. Die Idee zu
diesen Ställen hätten ihm, Lütgeharm, die Grünen und speziell die
Grünen-Landtagsabgeordnete Regina Asendorf, nahegebracht. Die
Pattenser Grünen hatten zu der Veranstaltung, an der auch eine
Vertreterin des Bioverbands „Naturland“ teilnahm, unter dem Motto
geworben: „In Betrieb geht neue Wege – modern und ökologisch!“
Asendorf sah in den Plänen laut HAZ einen Kompromiss, Tiere und
Technik zusammenzubringen und wirtschaftlichen Aspekten Genüge zu
tun.
Teilnehmer der Veranstaltung berichten über fehlende Angaben über die
Futterflächengrundlage der Tierhaltung und über die Produktion des
Biofutters – es sei wohl ein Austausch von Futter und Mist mit einem
anderen Biobetrieb der Region geplant. Ob diese fehlende FutterflächenGrundlage die Ursache für die Nichtförderung der Ställe sei, sei offen
geblieben. Der bisherige Betrieb, der wohl 50 Hektar Eigen- und
Pachtland habe, solle wahrscheinlich geteilt werden, so dass der Vater
Lütgeharm konventionell weiterarbeiten könnte. Erst nach nach der
Umstellung bis zum Frühjahr oder Sommer 2017 wolle sich Lütgeharm
jr., derzeit noch Geflügelfachberater Puten bei Wesjohann/Wiesenhof,
dem Naturland-Verband anschließen.
Viele der anwesenden Landwirte hätten die Pläne des Pattenser
„Ökopioniers“ gelobt. Anwohner des geplanten Stalls äußerten sich
besorgt. In der 2010 gegründeten Bürgerinitiative gegen die
Putenmastställe gebe es neben der Ablehnung auch dieses
„Agrarindustrie-Bio“ auch Meinungen „Bio-Massentierhaltung sei doch
immer noch besser als konventionelle“.
BI-Sprecher Wighard Dreesmann kritisierte, eine Zahl von 12.000 Tieren
auf engem Raum bleibe immer noch Massentierhaltung. Besucher der
Veranstaltung verwiesen auf einen taz-Artikel (s.u.), wonach
Agrarminister Meyer gegen das Unterbringen von jeweils zwei 3.000erHerden in einem Gebäude vorgehen will.
Die taz berichtet über agrarindustrielle „Bio“-Eier
Unter dem Titel „Bio-Ei für die Massen“ berichtet die Samstagsausgabe
der taz ausführlich über agrarindustrielle Bio-Eier-Erzeugung am Beispiel
des „Erzeugerzusammenschlusses Fürstenhof“ und dessen
Geschäftsführer Friedrich Behrens. Der frühere Mit-Eigner des
„Heidegold“-Konzerns (mit konventionellen Käfigeiern) beliefert jetzt laut
taz aus den 14 Bio-Farmen mit zusammen mehr als 300.000
Legehennen „die Eigenmarken von Rewe, Edeka, Alnatura und denn´s
und anderen Supermarktketten“ und damit rund 10% der 80 Millionen
der jährlich verkauften deutschen Bio-Eier (das sind 11,5% aller Eier).
Taz-Autor Jost Maurin berichtet, dass eine EU-Bio-Vorschrift bei
„Fürstenhof“-Farmen (und auch bei anderen „Bio“-Großfarmen) nicht
eingehalten wird, wonach „Freigelände für Geflügel überwiegend aus
einer Vegetationsdecke bestehen“ muss – damit Kot-Ausscheidungen
und Nitrat nicht ins Grundwasser gelangen und die Hühner
Beschäftigungsmöglichkeiten haben. Behrens´ Behauptung, die
„Baumkronen“ würden auch als Vegetationsdecke gelten, wird vom
zuständigen Landesamt für Landwirtschaft in Rostock dementiert.
Mitverantwortlich für diese Missstände ist die Tatsache, dass die EUÖko-Verordnung zwar maximal 3.000 Hennen pro Stall erlaubt, dass
aber viele Bio-Agrarindustrielle die fehlende Definition von „Stall“ so
auslegen, dass sie in einem Stall-Gebäude mehrere „Ställe“ a 3000 Tiere
unterbringen dürften – getrennt nur durch eine Sichtblende.
Obwohl sich laut taz „die Aufsichtsbehörden sämtlicher Bundesländer
bei einer Konferenz im Jahr 2001 auf die Auslegung `Jeder Stall ist ein
eigenes Gebäude´ einigten“, ging der frühere niedersächsische
Agrarminister Ehlen darüber hinweg. Die taz enthüllt erstmals einen
entsprechenden Erlass Ehlens aus dem Jahre 2003, den Niedersachsen
2007 dann sogar für ganz Deutschland durchsetzte. Auch MecklenburgVorpommerns Agrarminister Backhaus unterstützt diese Interpretation,
die auch die EU in ihrer Novellierung der Öko-Verordnung nur eventuell
revidieren wird.
Unter dieser „Agrarindustrie-Bio“ leiden nicht nur die „Bio“-Hennen,
sondern auch die richtige Biobauern, die ihre Legehennen wirklich
ökomäßig halten – gemäß den strengeren Richtlinien von Öko-
Verbänden wie Demeter oder Bioland. Die taz zitiert eine Eier-Expertin:
„Ich kaufe meine Eier auf dem Wochenmarkt. Da kommen sie wirklich
noch von kleinen Betrieben.“
LINK:
http://www.abl-niedersachsen.de/fileadmin/Dokumente/AbLNiedersachsen/Themen/Agrarindustrielle_und_Bio.pdf
Die 20. Internationale Bioland-Geflügeltagung hatte
zum Thema: „Tierschutz ist Allgemein-gut“
Der Stall muss mit: Wenn Freilandhühner umziehen
Die Haltungsbedingungen sind entscheidend für die
Tiergesundheit. Das gilt auch für Hühner.
Die 20. Internationale Bioland-Geflügeltagung hatte zum
Thema: „Tierschutz ist Allgemein-gut“
(aid) – Die Haltungsbedingungen sind entscheidend für die
Tiergesundheit. Das gilt auch für Hühner. Die 20. Internationale BiolandGeflügeltagung Anfang März 2016 in Rehburg-Loccum hatte zum Thema
„Tierschutz ist Allgemein-gut“. Dabei ging es vor allem um die Umwelt
von Hühnern unter den Gesichtspunkten Auslaufmanagement, Stallbau
und Einstreu. „Wir müssen selbstkritisch herangehen: Wo haben wir
eigentlich Tierschutzprobleme?“, fragte Dr. Ulrich Schuhmacher,
Ressortleiter Tierhaltung bei Bioland in einer Podiumsdiskussion: „Bei
jeder Tierart gibt es etwas, dass man bisher vergessen hat.“
15.000 Pickbewegungen pro Tag: Nahrungssuche ist ein wichtiger
Bestandteil des natürlichen Verhaltens. Ein Huhn, das täglich Futter
bekommt, muss sein Pickbedürfnis dennoch ausleben. Die Einstreu
und Stallgestaltung beeinflussen, ob und wie ein Huhn sein
natürliches Verhalten einsetzt. Freilandhühner haben dafür noch
den Auslauf zur Verfügung. Doch die Freilaufflächen leiden vor
allem im Winter. Hühner bleiben in Stallnähe und laufen nur selten
in die Bereiche weiter entfernt vom Stall. Während der
Vegetationsruhe wächst nichts nach. Die Folge: In der Nähe des
Stalls wird die Grasnarbe zerstört und außerdem durch den Kot der
Tiere übermäßig viel Stickstoff eingetragen. In anderen Bereichen
wird die Vegetation dagegen im Sommer nicht genügend genutzt.
Vier Quadratmeter soll der Auslauf pro Huhn groß sein, mindestens
die Hälfte davon mit geschlossener Vegetation.
Aber reicht das bei so ungleichmäßiger Nutzung aus und wie bekommt
man die Hühner in die Fläche? In Arbeitsgruppen suchten die 180
Geflügel-Praktiker nach Lösungsmöglichkeiten. Einige bewähren sich
bereits in der Praxis. Entweder müssen die Tiere zum Laufen
gebracht oder der Stall mitgenommen werden – oder beides.
Praxisbeispiele von der Gut Wulksfelde GmbH und von der Hessischen
Staatsdomäne Frankenhausen zeigten, wie Mobilställe funktionieren
und zum Teil selbst gebaut werden können. Wird der Stall in
regelmäßigen Abständen versetzt, können stark genutzte Weidebereiche
regenerieren. Überdachungen direkt am Stall ermöglichen den Tieren,
sich etwas weiter in die Fläche hinaus zu wagen. Die Weidegestaltung
trägt ebenfalls dazu bei, die Hühner weiter vom Stall fort zu locken.
Große offene Flächen sind unvorteilhaft, denn Hühner sind keine
Weidetiere. Sie brauchen Schutz vor Greifvögeln und bevorzugen, rasch
Deckung aufsuchen zu können. Je strukturierter durch Büsche oder
andere Pflanzen eine Weide ist, umso mehr nutzen die Tiere das
gesamte Gelände.
Regina Bartel, www.aid.de
Stand: 16.03.2016
Landesamt: Öko-Verstöße bei Großbeständen
Die Ostsee-Zeitung berichtet am 24.8.2016 über mehrere überwiegend
„kahle“ Bio-Hühnerhöfe ohne Grasnarben-„Ökogrün“ – diese Verstöße
gegen die EU-Öko-Verordnung habe das Rostocker Landesamt für
Landwirtschaft dem Bio-Eiervermarkter „Fürstenhof“ vorgeworfen. Der
Erzeugerverbund Fürstenhof ist demnach einer der größten BioEieranbieter Deutschlands. In 14 Farmen werden rund 300 000
Legehennen gehalten. Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche
Landwirtschaft (AbL) krisiert regelmäßig dass bei zu großen
Herdenstrukturen die meisten Hühner den Auslauf gar nicht nutzen
können und im Stall bleiben – und dass solches „Agrarindustrie“-„Bio“
das „Echt-Bio“ in bäuerlichen Strukturen vom Markt verdränge. Im
bundesweiten Netzwerk „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ haben
Bürgerinitiativen mehrfach solche „Bio“-Legehennen-Ställe verhindert.
Hinweis-Link zu einer Veranstaltung der Bundes-Grünen in Berlin:
https://www.gruene-bundestag.de/termin/aussenklimastelle-in-dergenehmigungsfalle-scheitert-der-umbau-der-tierhaltung-am-immissionsschutz.html
Vergabe des Niedersächsischen
Nachhaltigkeitspreises Landwirtschaft 2016
Der diesjährige Niedersächsische Nachhaltigkeitspreis Landwirtschaft
geht an die Bauernfamilie Inken und Hendrik Stolze aus Schwüblingsen,
Gemeinde Uetze. Mit dem Nachhaltigkeitspreis Landwirtschaft zeichnet
das Land Niedersachsen Betriebe aus, deren nachhaltige
Wirtschaftsweise und Verpflichtung für mehr Tierwohl in besonderem
Maße Vorbild- und Modellcharakter besitzen. Ziel einer nachhaltigen
Landwirtschaft ist es, umwelt-schonend zu wirtschaften und dabei
gleichzeitig ökonomischen und sozialen Anforderungen gerecht zu
werden. Die Bewerber wurden mit dem Nachhaltigkeitssystem RISE
(Response-Inducing Sustainability Evaluation) bewertet. Schwerpunkt
der diesjährigen Verleihung war ein vorbildlicher innovativer Tierschutz.
Die Preisverleihung durch Minister Meyer findet direkt auf dem Hof in der
Region Hannover statt.
Links:
http://www.bauerstolze.de/
http://www.oekolandbau.nrw.de/fachinfo/tierhaltung/gefluegel/jvl_bericht_
mobiler-stall_03-2012.php
Trump und die US-Farmer
Laut top agrar online (27.6.2016) sind gibt es bei den US-Farmern zwei
Meinungen zu Republikaner-Präsidentschafts-Kandidat Trump: Manche
erhoffen von ihm eine Befreiung von Steuern und Umweltauflagen.
Andere befürchten durch seine Ausweisungspläne gegen Mexikaner das
Fehlen von Mitarbeitern. Allein in Kalifornien beschäftigen die 77.000
Farmen rund 330.000 Mitarbeiter – darunter wohl ein Viertel ohne
legalen Aufenthaltsstatus.
Topagrar.com: http://www.topagrar.com/news/Home-top-News-USFarmer-uneins-ueber-Trump-4349543.html
„Die Invasion der rechten Siedler“
- aus einem Bericht der Allgemeinen Zeitung Uelzen (27.8.16) über
eine Lesung des taz-Journalisten Andreas Speit in Bienenbüttel:
„Rechtsextreme Gewalt ist in Deutschland alltäglich – so alltäglich, dass
es gar nicht mehr auffällt“, sagt der studierte Soziologe. Sein Vorwurf:
Immer noch sei der Staat auf dem rechten Auge blind, versäume es, bei
Verbrechen in die entsprechende Richtung zu ermitteln, kritisiert Speit,
der den Prozess um den sogenannten Nationalsozialistischen
Untergrund (NSU) verfolgt hat. Viel zu spät seien die Ermittler dem Trio
auf die Spur gekommen. Und noch vor Gericht werde die Rolle eines
Netzwerks von Unterstützern auf dem rechtsextremen Milieu
unterschätzt, das Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit Papieren und
Waffen versorgte.
Der Prozess gegen die überlebende Beate Zschäpe zeige auch, dass
die Rolle der Frauen im rechtsextremen Milieu unterschätzt werde.
Zschäpe habe den beiden Tätern den Rücken freigehalten, habe sie
versorgt und den Nachbarn das Bild höflicher junger Leute vermittelt.
Frauen spielen auch eine große Rolle bei einem unheimlichen
Phänomen, auf das Speit nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern stieß:
rechte Siedler, die sich in Gegenden mit günstigen Immobilienpreisen
ansiedeln, als Selbstversorger, Biobauern und Handwerker eher
unauffällig leben und ihre Kinder im rechtsextremen, zum Teil völkischen
Weltbild aufziehen. Viele der Siedler stammen bereits selbst aus
rechtsextremen Familien, wurden in zum Teil inzwischen verbotenen
Jugendorganisationen wie der Wikingjugend und dem Sturmvogel
sozialisiert. „Sie verschwinden vielleicht aus dem Polizeiradar, aber sie
ändern nicht ihre Gesinnung“, betont Speit. „Selbst bei einem NPDVerbot bleiben diese Strukturen bestehen.“
Links zum Buch „Mädelsache“ und zu einer Broschüre über völkische
Siedler:
http://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=615
https://www.amadeu-antoniostiftung.de/w/files/pdfs/voelkische_siedler_web.pdf
Rassismus unter dem Deckmantel des Tierschutzes
Aus einer rassistischen Mail, die in extrem rechten
Tierschutzkreisen zirkulierte: Abgebildet war eine Bache (Wildsau)
mit Frischlingen, die in einem Ort über den Zebrastreifen und auf
dem Bürgersteig lief:
„Immer wieder schön, - eine friedliche Herde Wildschweine...
Irgendwo in Europa;
am Sonntagmorgen ein Ausflug der ganze Familie.
Es ist schön zu sehen wie die Alten ihre Jungen beschützen.
Was mir auffällt ?
sie benützen den Fussgängerstreifen um über der Strasse zu gehen !
sie benützen das Trottoir !
sie tragen keine Kopftücher!
sie benützen kein geklaute Fahrräder/Roller oder BMWs!
sie halten Disziplin!
sie tragen keine Messer!
sie gehen nicht in fremden Häuser!
sie spucken nicht auf den Boden!
und sie machen keine fremden Frauen an!!!
aber das schlimmste ist…
auf die darf geschossen werden!!!“
LINK:
https://tierschutzpartei-leaks.info/2014/06/05/harald-von-fehr/
Neue SÜDWIND-Studie: Migration und Flucht in
Zeiten der Globalisierung
Migrant_innen und Flüchtlinge, die auf der Suche nach Schutz und
einem besseren Leben in den Globalen Norden kommen, tun dies nicht
leichtfertig. Der Entscheidung, die Heimat zu verlassen, gehen meist
Erfahrungen von Gewalt, Entbehrung und Armut voraus. Aber woher
konkret rühren die Gründe für den Aufbruch? Kann Migration
eingedämmt werden?
Die Studie befasst sich unter anderem mit diesen und weiteren Fragen
zu den Themen Flucht, Migration und Entwicklungszusammenarbeit. Die
Studie kann über www.suedwind-institut.de/publikationen/2016/ bestellt
werden und steht auch dort zum Download bereit.
Aus: VEN-Nachrichten 4-2016
Von der Internetseite „Informationsdienst Gentechnik“:
Greenpeace zu Nobelpreisträgern: „Golden Rice ist
ein PR-Instrument“
04.07.2016
Greenpeace sieht in gentechnisch verändertem Reis keine Lösung für
Ernährungsprobleme. Daran ändert auch der Vorwurf von über 100
Nobelpreisträgern nichts, die Umweltschutzorganisation blockiere mit
ihrem Engagement gegen den „Golden Rice“ den Kampf gegen VitaminA-Mangel. Greenpeace verweist darauf, dass der transgene Reis laut
seinen Entwicklern noch gar nicht einsatzbereit ist. Statt viel Geld in
High-Tech-Labore zu stecken, müssten Armut und einseitige Ernährung
angegangen werden.
Viele Fragen seien offen, schreibt der GreenpeaceLandwirtschaftsexperte Dirk Zimmermann in einer Antwort auf den Brief
der Nobelpreisträger: kann das per Gentechnik in den Reis eingebaute
Beta-Carotin vom Körper in ausreichend Vitamin A umgewandelt
werden? Wie würden sich Umweltbedingungen auf die
Zusammensetzung der Reisinhaltsstoffe auswirken? „Sicher ist: Der
gentechnisch veränderte Reis würde traditionelle Reissorten und wilden
Reis verunreinigen“, so Zimmermann. „Damit stünde die Sicherheit eines
Grundnahrungsmittels für mehr als die Hälfte der Erdbevölkerung auf
dem Spiel.“
Der Golden Rice lässt seit Jahren auf sich warten. Auf der Webseite des
International Rice Research Institute (IRRI), das die Arbeit daran seit
2006 koordiniert (geforscht wird aber schon seit den 1990er Jahren),
heißt es seit Langem unverändert: „Golden Rice befindet sich derzeit
noch in der Entwicklung und Bewertung.“ Die Unterzeichner des
Nobelpreisträger-Briefs machen dafür Greenpeace und andere NGOs nicht etwa die Schwierigkeiten der Gentech-Forschung - verantwortlich.
An ihrer Pressekonferenz durfte vergangene Woche dennoch kein
Greenpeace-Vertreter teilnehmen: dem US-Mitarbeiter Charlie Cray
wurde nach eigenen Angaben von einem ehemaligen Manager des
Gentechnik-Konzerns Monsanto der Zutritt verweigert. Zimmermann:
„Besagter Reis ist weiterhin nur ein Forschungsprojekt mit gut geölter
PR-Maschinerie.“ …
Links:
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Greenpeace Blog: Warum der Goldene Reis und Agro-Gentechnik keine Lösungen
sind (01.07.16)
Support Precision Agriculture: Laureates Letter Supporting Precision Agriculture
(GMOs) [offener Brief, Pressekonferenz fand am 30.06.statt]
International Rice Research Institute, Philippines (IRRI): IRRI: When will Golden
Rice be available to farmers and consumers?
Golden Rice: Ethikverstöße: Studie zu Gentech-Reis zurückgezogen (03.08.15)
Preisausgleichszahlungen statt Flächenprämie:
Kasseler Institut plädiert für eine aktive
Agrarstrukturpolitik
Angesichts der aktuellen Krise in der Landwirtschaft ist die Diskussion
um die künftige Ausgestaltung der Agrarpolitik wieder in vollem Gange.
Das Kasseler Institut für ländliche Entwicklung schlägt vor, die
derzeitigen Flächenprämien durch aktive Marktpolitik und ein
Instrument für Preis-Ausgleichszahlungen zu ersetzen.
Die Wissenschaftler des Instituts gehen davon aus, dass es einerseits
einen breiten Konsens für eine bäuerliche Landwirtschaft in der
Gesellschaft sowie erhebliche Kritik an den flächenbezogenen
Direktzahlungen der sogenannten ersten Säule gibt. Andererseits
sehen sie Defizite bei den Konzepten, die die Sicherung bäuerlicher
Landwirtschaft allein durch die Honorierung besonderer
ökologischer Leistungen und die Ausrichtung auf
Qualitätsprodukte erreichen wollen: „Das sind zwar wichtige
Bausteine, aber sie allein können die notwendigen Strukturen für eine
nachhaltige Landwirtschaft nicht garantieren,“ so Frieder Thomas,
Geschäftsführer des Instituts.
Im Zentrum des Modells steht die Berechnung von
Erzeugungskosten für landwirtschaftliche Produkte für bestimmte
Betriebstypen in konkreten Regionen. Diese Kosten werden ins
Verhältnis gesetzt zu den erzielbaren Erzeugerpreisen. Wenn sich die
Preis-Kosten-Schere in einzelnen Sektoren öffnet und das Verhältnis von
Erzeugungskosten zu Erzeugerpreisen eine bestimmte – und in der
politischen Diskussion noch zu bestimmende – Größenordnung
unterschreitet, werden Preisausgleichszahlungen fällig.
Thomas benennt einige Vorteile dieses Konzepts: „Zunächst plädieren
wir ja dafür, dass ein funktionierender Markt und politische Maßnahmen
für ein Marktgleichgewicht mit angemessenen Preisen sorgen. Das ist
notwendig, denn sonst wird unser Modell kostspielig. Der Markt alleine
wird es jedoch nicht richten. Um eine bäuerlich-mittelständische
Landwirtschaft zu erhalten, brauchen wir zusätzlich ein agrarstrukturelles
Förderprogramm. Mit unserem Modell wenden wir uns ab von der
ungezielten Flächenförderung nach dem Gießkannenprinzip, schaffen
Raum für das Wirken marktwirtschaftlicher Mechanismen, entschärfen
aber gleichzeitig auch den auf landwirtschaftlichen Betrieben lastenden
Wachstumsdruck, der ein wesentlicher Grund ist für eine fortwährende
Konzentration bei den Betrieben und für erhebliche Kollateralschäden
bei Umwelt, Klima, Biodiversität oder Tierschutz.“
Ursache für diesen Druck sei unter anderem ein eklatantes
Marktversagen in nahezu allen Bereichen der Landwirtschaft.
„Solange das der Fall ist“, so der Vorsitzende des Institutsvorstands
Onno Poppinga ,,sind staatliche Regulierungen auf den Märkten sowie
politische Maßnahmen zur Gestaltung der Agrarstruktur und zur
Sicherung landwirtschaftlicher Einkommen zwingend erforderlich.“
Die Wissenschaftler vom Kasseler Institut gehen davon aus, dass
der bürokratische Aufwand gering wäre: „Die wesentlichen Daten zu
verschiedenen Betriebstypen liegen vor. Sie beziehen sich auf
unterschiedliche Produktionsschwerpunkte (Milch, Fleisch, Getreide
u.am.), auf Betriebsgrößen und auf verschieden europäische Regionen.
Sie sind repräsentativ und werden ohnehin jährlich von den EU-Ländern
abgerufen und von der EU verarbeitet. Die EU-Kommission nutzt die
Daten bereits jetzt zur Errechnung von Gewinnmargen in einzelnen
Sektoren,“ so Karin Jürgens, die derzeit an Modellen zur
Kostenermittlung im Milchsektor arbeitet.
Das Modell des Kasseler Instituts ist nicht bis ins letzte Detail
ausgearbeitet: „Das war nicht unser Ziel,“ sagt Geschäftsführer Frieder
Thomas: „Erst wenn wir den Eindruck haben, dass das Grundprinzip
politische Unterstützung findet, ist es sinnvoll, Zeit in die
Weiterentwicklung zu investieren. Aber genau deshalb gehen wir jetzt an
die Öffentlichkeit und hoffen auf eine spannende agrarpolitische
Diskussion.“
Download:
Arbeitsergebnisse 10/2016
Plädoyer für eine aktive Agrarstrukturpolitik durch PreisAusgleichszahlungen
http://www.kasseler-institut.org/31.0.html
CHRISMON.DE – Das evangelische Online-Magazin
September 2016:
Wenn Milchbauern ihren Hof aufgeben müssen
Nummer 144 kalbt nie mehr
Nils Hulsmann
Weil sie nichts mehr an der Milch ihrer Kühe verdienen, geben die
Gepperts in Ostfriesland den Hof auf. Bald wird der Stall ganz leer
sein. Die Geschichte einer Entscheidung
Kühen muss man sich vorsichtig nähern, sie sind schreckhaft. Also
berührt Gabi Geppert kurz den linken Hinterlauf von Nummer 144, damit
das Tier weiß, was jetzt kommt. Sie melkt an, bis die erste Milch spritzt,
und säubert die Zitzen mit einem Papiertuch. Dann stülpt sie das
Melkgeschirr über das Euter. Doch die Milch läuft nicht in den großen
Tank, sondern in eine durchsichtige Kanne. Kuh 144 hat erst vor
wenigen Tagen gekalbt, sie gibt noch Biestmilch, die besonders fettreich
ist. Die ersten zehn Gemelke nach der Geburt dürfen nicht in die
Molkerei, die bekommen die Kälber mit der Flasche im Nuckeleimer.
Gabi Geppert, 51 Jahre alt und Milchbäuerin seit fast 20 Jahren, hält
kurz inne und betrachtet das Plastikband am Hinterlauf des Tieres. Ehe
sie zum nächsten weitergeht, sagt die Bäuerin: „Nummer 144 hat
Sonntag zum letzten Mal gekalbt.“
Im Herzen der Bauer...
Aber vielleicht haben wir bald gar keine mehr! Landwirte sind aufs Business
getrimmt, sagen Clemens Dirscherl und Jan Grossarth. Eine Begegnung zum Thema
"Agrarbusiness"
Die Gepperts leben in Ostfriesland auf einem Hof, auf dem nun alles
Mögliche zum letzten Mal passiert, bis die Ställe leer sein werden. In
eineinhalb Jahren wird Schluss sein, vielleicht ein bisschen früher,
vielleicht später. Kühe geben nur Milch, wenn sie gekalbt haben. Dafür
müssen sie immer wieder trächtig werden, etwa 100 Tage nach der
letzten Geburt.
Aber Kuh 144 darf nicht mehr zu „Monster“, dem Bullen im Nachbarstall.
Und die anderen Kühe auch nicht. Ihre Milch wird versiegen, weil die
Gepperts davon nicht mehr leben können. Die letzte Abrechnung der
Molkerei wies einen Milchpreis von 21 Cent pro Kilogramm aus. 40 Cent
bräuchten sie, um alle Kosten zu decken und Rücklagen für neue
Investitionen zu bilden. Jetzt hofft Reinhold Geppert, 61 Jahre alt und
schon sein Leben lang Milchbauer, auf die Rente mit 63.
Reinhold Geppert ist ein schlanker, drahtiger Mann mit Bart und Brille,
ein Typ wie Pettersson aus „Pettersson und Findus“. Früher hat er sich
als Landwirt bezeichnet. Bauer, das klang für ihn wie ein Schimpfwort.
Aber jetzt fühlt er sich doch als Bauer. „Weil es nach Stolz klingt.“ Sein
Vater stand noch mit 78 Jahren im Melkstand; diesen Plan hatte auch
Reinhold Geppert für sein eigenes Leben. Vor knapp zwei Jahren hatte
er einen Herzinfarkt, da kam er ins Grübeln. Trotzdem wollte er seiner
Frau den Hof überschreiben und mit ihr weitermelken, bis Sohn
Christian, heute 15 Jahre alt, übernehmen könnte. „Die Entscheidung, ob
er das möchte, haben wir ihm abgenommen. Der Hof hat keine Zukunft.
Wir schleichen uns raus“, sagt Geppert. Neulich bekam er seine
Lebensversicherung ausgezahlt. Jetzt beobachtet er, wie das Geld auf
dem Konto immer weniger wird.
40 Hektar Land, die sie bald nicht mehr brauchen
Ein heißer Sommertag kündigt sich an in Klostermoor. Das Ehepaar
Geppert frühstückt im Garten, ein seltenes Glück im Norden, wo es oft
stürmt und regnet. Morgens um sechs Uhr waren sie melken gegangen,
wie immer. Das Frühstück ist eine besondere Zeit, da planen sie den
Tag und kommen noch mal zur Ruhe. Über Geppert rauscht ein Ahorn in
der leichten Brise. Der Bauer weiß noch, dass Strafgefangene aus
Meppen vor jedem der Höfe in der Nachbarschaft einen Baum pflanzen
mussten, ein Beamter bewachte sie dabei, mit Karabiner im Anschlag.
1957 war das.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Gepperts aus Schlesien
geflohen, dort waren sie Bauern gewesen, sechs Generationen lang. „Mit
uns sechs Kindern galten meine Eltern als asoziale Flüchtlinge. Mein
Vater fuhr Plumpsklos aus, das war ihm egal. Ihm war nur wichtig, dass
er für uns sorgen kann.“ In der Nachkriegszeit beschloss der Landkreis,
dem Moor die „Neue Siedlung Klostermoor“ abzutrotzen und sieben Höfe
anzulegen, mit je 16 Hektar Land. Für die Neubauern gab es günstige
Kredite. Ein einflussreicher Beamter wehrte sich allerdings dagegen, das
Land überwiegend an Vertriebene zu geben. Nur zwei geflohene
Familien sollten zum Zuge kommen. Umso wichtiger war der Leumund.
„Nehmt den Geppert, der läuft nicht davon“, erzählten sich die Menschen
damals in der Gegend, als das neue Land zu vergeben war. Reinhold
Geppert, ein frommer Mann, der vor jeder Mahlzeit ein Tischgebet
spricht, sagt: „Für meine Eltern war der Hof ein Geschenk Gottes.“ Als
die Siedlung 50 Jahre alt wurde, haben alle Nachbarn gemeinsam Hefte
gemacht mit Erinnerungsfotos. Ein Zeitungsartikel von damals ist auch
darin, er schließt mit den Worten: „Das Klostermoor wird den Siedlern
eine sichere Existenz bieten können.“ Drei der sieben Höfe sind
aufgegeben.
Noch eine Tasse Tee. Reinhold Geppert sagt, Landwirtschaft sei eine
Lebensweise, weil Bauern sich der Natur unterordnen müssten. Nur das
Melken ist eine Konstante, morgens um sechs, abends um fünf Uhr. Was
dazwischen und danach passiert, entscheiden Wetter und Jahreszeiten.
Gleich muss er raus auf die Weide fahren, die sie seit Jahrzehnten
gepachtet haben. Grasschnitt schwadern, damit der Lohnunternehmer
Siloballen pressen kann. Kuhfutter für den Winter. Die Sonne brennt,
Geppert macht sich Sorgen, das Gras könnte zu Heu werden. Gabi
Geppert, eine kleine Frau, die gern lächelt, sieht ihrem Mann hinterher,
als er mit hochgeklapptem Schwader und orangefarbenem Blinklicht auf
dem Traktor davonfährt. Das Schwadern gehört auch zu den Dingen, die
zum letzten Mal passieren. Noch bewirtschaften die Gepperts 40 Hektar
Land, aber wenn die Kühe weg sind, braucht es auch kein Futter mehr.
„Als Reinhold los ist, um die Pacht zum Jahresende zu kündigen, bin ich
noch einmal hinterher und habe ihn gefragt: ‚Willst du das wirklich
machen?‘“ Aber ihr Mann kehrte nicht mehr um.
„Ich kann meine Arbeit gut machen oder schlecht – es reicht sowieso nicht“
Die Stimme von Gabi Geppert klingt brüchig, wenn sie über Dinge
spricht, die sie berühren. Sie hat einen sächsischen Akzent. 1997
heiratete sie auf den Hof ein. „Du und ein Bauer!“, hatte ihre Mutter
gestaunt. Dabei ist sie selbst ein Bauernkind. Ihre Eltern
bewirtschafteten einen Hof in Sachsen, der aber in einer LPG aufgehen
musste. Mutter und Vater wirkten auf Gabi Geppert wie angestellte
Facharbeiter, nicht wie Landwirte. Sie selbst machte eine kaufmännische
Ausbildung und arbeitete nach der Wiedervereinigung als Chef-
sekretärin. Als sie nach Klostermoor kam, wurde ihr sofort die Maxime
ihres neuen Lebens klar: alles für den Hof!
Mehr im Netz: BR-Doku "Die dunkle Seite der Milch"
Ihr Mann ist zurück vom Feld, es ist Abend geworden. Sohn Christian hat
die Kühe von der Weide geholt, Reinhold Geppert treibt immer zwölf von
ihnen in den Melkstand. Je sechs Tiere können zwischen Eisenstangen
stehen, die schräg wie Fischgräten angeordnet sind. Dazwischen führt
eine Eisentreppe hinab zur Melkmaschine. Wasserschläuche baumeln
von der Decke, damit wird später saubergemacht. Es kommt vor, dass
eine Kuh ihre Fladen fallen lässt und der Mist auf die blaue
Arbeitskleidung der Gepperts spritzt. Im Sommer macht die Hitze die
Stallluft noch schneidender. Ja, hier stinkt’s.
Und doch kam Gabi Geppert gerade hier mit sich und dem Landleben
ins Reine. Der Gleichklang aus Ansaugen und Loslassen, die
pulsierenden Geräusche der Melkmaschine legten ein regelmäßiges
„Pammpamm, Pammpamm, Pammpamm“ über ihre Gedanken. Für vier
Stunden am Tag hatte sie ihre Ruhe, obwohl sie mitten bei der Arbeit
war. Manchmal war das wie Urlaub, sagt sie. Aber das ist vorbei. „Ich
muss ausblenden, was ich hier mache, sonst würde ich darüber
verzweifeln. Ich kann die Arbeit schlecht machen, ich kann sie gut
machen, es ist egal – es reicht trotzdem nicht.“
Es hapert an Alternativen zur Schließung
Natürlich wollen die Gepperts ihre Arbeit gut machen. 70 Melkkühe leben
auf dem Hof, eine gibt im Schnitt 8000 Kilogramm Milch im Jahr.
Heutzutage ist das Durchschnitt. Das liegt daran, dass Gepperts nicht
nur leistungsstarke Tiere behalten. Die älteste Kuh ist 15 Jahre alt, auf
anderen Höfen wird früher aussortiert. Und es liegt am Futter. Gepperts
Tiere können tagsüber raus auf die Weide, die Stalltür steht offen. Sie
bekommen Kraftfutter, aber nur gentechnik-freies. Auch wenn in der
Molkerei, die ihre Milch holt, alles zusammengekippt und zu Käse
verarbeitet wird – Gentechnik wollen die Gepperts nicht in ihrem Futter
haben. Vielleicht wäre es wirtschaftlicher, aber das ist ihnen egal.
Ihre Prinzipientreue kostet sie sowieso manchmal Geld: Männliche
Kälber verkaufen sie – aber der Händler nimmt sie erst mit, wenn sie
mindestens 14 Tage alt sind. Manche Landwirte flunkerten beim
Geburtsdatum, weil an jedem Tag, an dem ein Kalb auf dem Hof bleibt,
Kosten entstehen. „Wir haben uns vorgenommen, bei der Wahrheit zu
bleiben. Und bei der kann man keine Kompromisse machen“, sagt Gabi
Geppert.
Es ist nicht so, dass die Gepperts sich alles gefallen lassen. Sie können
wütend werden, kämpferisch. Sie haben schon viele gute Ratschläge
gehört, alle Welt weiß, was Milchbauern wie sie in der Vergangenheit
alles hätten besser machen können. Die Gepperts kontern direkt. Warum
nicht umstellen auf Bio? Die Moorböden geben ohne Dünger zu wenig
her. Vielleicht ginge es mittlerweile, aber dann müssten sie viel
investieren. – Warum kein Hofcafé eröffnen oder eine Milchtankstelle für
den Direktverkauf? Gabi Geppert hat schon Fortbildungen besucht, auf
denen Dozenten dazu rieten. Aber der Vossweg, an dem ihr Hof liegt, ist
eine Sackgasse. So was geht nur in der Nähe von Städten mit Kunden
oder an touristischen Radwegen. – Warum nicht auf Ackerbau
umstellen? Dafür sind die Böden zu schlecht. Hier ist nur Milchwirtschaft
möglich.
"Ich könnte die Milchpackungen im Supermarkt aus dem Regal
reißen"
Neulich hat Gabi Geppert einen Futtermittelberater im Fernsehen
erkannt. Ganz betroffen habe er geschildert, wie gedrückt die Stimmung
unter den Landwirten sei. „Ich habe mal eine Betriebsführung
mitgemacht, da war er auch dabei und fragte einen unserer Gastgeber,
warum er keinen größeren Stall baut.“ Viele Menschen haben den
Bauern geraten, die Milchwirtschaft auszubauen. Auch die Gepperts
haben gerechnet. Allein eine Sanierung des Melkstands und des Stalles
hätte über 100 000 Euro gekostet, ein Neubau noch viel mehr. Sie
kennen Landwirte, die Millionen investiert haben, während der
„Goldgräberstimmung“ noch vor wenigen Jahren, als es hieß, Milch
werde zum Exportschlager. „Als es die Milchquote noch gab, war der
Preis schon manchmal niedrig. Da sagt doch der gesunde
Menschenverstand, dass etwas nicht stimmen kann.“
Aber nun ist die viele Milch auf dem Markt und der Preis im Keller. Das
verbittert Gabi Geppert, sie fühlt sich in ihrer Arbeit nicht wertgeschätzt.
Und auch nicht als Bäuerin. Weihnachten hört sie im Radio immer, wie
die Moderatoren sich bei den Menschen bedanken, die Heiligabend
arbeiten: bei den Krankenschwestern, den Polizisten, den Soldaten im
Auslandseinsatz. „Aber nie bedankt sich jemand bei uns.“
Sie will es sich nicht leichtmachen. Was wisse sie schon über das Leben
der anderen Menschen, die sie im Supermarkt beim Einkaufen sehe?
Die könnten sicher nicht immerzu über Landwirtschaft nachdenken. Aber
dass Bauern von dem, was sie an Lebensmitteln produzieren, auch
leben müssen, sei doch wohl klar. „Ich muss manchmal im Supermarkt
aufpassen, dass ich die Packungen mit Milchprodukten nicht vor Wut
aus dem Regal reiße. Oder Zettel hinten draufklebe: ‚Schämt euch!‘“ Sie
fängt an zu weinen. „Wo ist die Moral? Alle gucken zu, wie das hier
gegen die Wand fährt.“ Sie besucht schon Kurse, damit sie wieder in
ihren alten Beruf wechseln kann, wenn die Kühe erst mal weg sind.
Manchmal steigt auch Erleichterung in ihr hoch, weil das permanente
Müssen aufhört, die Verpflichtungen den Tieren gegenüber. „Die kleinen
Höfe werden keine Nachfolger finden. Wer will denn das, sieben Tage
die Woche im Stall stehen?“
Die Gepperts im Mais, aus dem Kuhfutter wird. Dies ist der letzte, den
sie hier ernten
Trügerische Goldgräberstimmung
Wer hat Schuld, dass die Gepperts aufhören müssen? Es ist nicht leicht,
das herauszuhören. Der Bauernverband, weil er auf Wachstum gesetzt
hat? Sie selbst, weil sie nicht mitwachsen wollten? Der Handel, weil er
die Preise drückt? Die Kunden, die sich längst an günstige Lebensmittel
gewöhnt haben? Die anderen Bauern, die immer noch mehr melken?
Die Molkereien, die den Weltmarkt erobern wollen? Über die Molkereien
ärgern sich Gepperts vielleicht am meisten. Dabei sind viele Molkereien
Genossenschaften, sie gehören den Bauern, die auf
Mitgliederversammlungen über den Kurs der Geschäftsführungen
mitbestimmen können. Reinhold Geppert war sogar mal in einem
Molkereivorstand, aber er sagt, das Amt sei kaum zu bewältigen.
Tagsüber sei ja die ganz normale Arbeit zu tun.
Draußen ziehen dunkle Wolken auf, die Gepperts bekommen Gäste.
Drei Bauernpaare aus der Gegend sind eingeladen, es gibt Tee, Kaffee
und Kuchen. Reinhold Geppert erzählt von der Genossenschaftlerversammlung einer großen Molkerei. Er hatte einen Ordner neben
sich auf den Stuhl gelegt, um die Geschäftsführung mit Fakten
kritisieren zu können. Da kam ein Aufsichtsrat zu ihm. „Ach, Herr
Geppert, wir wünschen uns doch alle eine ruhige, schnelle
Versammlung.“ Reinhold Geppert sagt, hinterher gebe es immer ein
großes Büfett. „Das ist doch Absicht, dass es nach Essen riecht,
dann sind alle genervt, wenn einer lange Reden hält.“
Die Gäste sitzen um den Wohnzimmertisch der Gepperts herum und
lachen über die Anekdote. Aber warum halten die Bauern nicht
zusammen, wenn alle unter dem Preisverfall leiden? Ein Mann mit dicken, wuscheligen Haaren, in seinem Stall stehen 50 Milchkühe,
grummelt: „Bauern kriegst du nie unter einen Hut.“ Nun reden sie das
ganze Gewitter lang, das draußen vorüberzieht, viele Stunden. Ein
Stakkato an Erlebnissen und Argumenten. Einer hat mit seiner Frau und
den beiden Kindern über zwei Millionen Euro in einen neuen Stall für 250
Kühe und vier Melkroboter investiert. Er sagt, zur Wahrheit gehöre ja
auch, dass der Milchpreis im Sommer 2014 mal bei 40 Cent gelegen
habe, da sei die Goldgräberstimmung entstanden. Seine Frau nickt: „Wir
haben nicht aufgepasst.“
„Die Leute kaufen einen Grill für 800 Euro - und das Fleisch beim
Discounter“
Ein anderer, der im Bundesverband Deutscher Milchviehhalter aktiv ist,
erzählt, der Lieferstreik 2008 habe die Landwirte frustriert. Er schätzt,
dass damals bis zu 70 Prozent der Milchbauern zehn Tage lang ihre
Milch wegkippten, auch die Gepperts waren dabei, mit Tränen in den
Augen. Der Handel erhöhte die Preise für Trinkmilch um zehn Cent, aber
ein Jahr später bekamen die Bauern wieder weniger. „Seitdem denken
viele: Es bringt ja nichts, wenn man zusammenhält“, meint der BDMAktivist. Für ihn hat die Krise viel damit zu tun, dass Bauern
Einzelkämpfer seien. „Man arbeitet den ganzen Tag für sich allein, man
ist es gewohnt, nur auf den eigenen Betrieb zu achten. Man belauert den
Nachbarn, weil man nicht wissen kann, was er plant.“
Gabi Geppert erinnert sich, dass der Milchlaster beim Melkstreik 2008
trotzdem kam und absichtlich rückwärts auf den nachbarlichen Hof fuhr
und stehen blieb. Niemand sollte sicher sein, ob der Nächste nicht doch
Milch liefere und ein extra gutes Geschäft mache. Dabei gebe es doch
Maßnahmen, die die Milchmenge um ein paar Prozent senken, wenn alle
mitmachten, zum Beispiel: Die Kälber Vollmilch trinken lassen! Weniger
Kraftfutter geben!
Je später der Abend, desto hitziger wird die Stimmung. Es gibt noch gut
70 000 Milchbauern in Deutschland, aber nur 150 Molkereien und fünf
große Einzelhandelsketten. Erpressbar, ersetzbar und ausgeliefert seien
die Bauern. Und der Handel bezahle seine Angestellten schlecht, es
gebe einen großen Billiglohnsektor. „Die produzieren sich ihre Kunden,
die Geiz geil finden müssen, die ganze Zeit selbst“, sagt der BDM-Bauer.
Nicht nur arme Kunden wollen billige Lebensmittel, wendet ein anderer
ein: „Es gibt Leute, die kaufen einen Grill für 799 Euro. Und dann liegt
ein Stück Hühnerbrust für einen Euro auf dem Rost.“
Aber die Bürger und Verbraucher würden die Verantwortung nicht bei
sich sehen, sondern mit dem Finger auf die Bauern zeigen, die mit
teuren Traktoren zur Demo fahren. „Heißt ja nicht, dass die Trecker auch
alle abbezahlt sind“, sagt Reinhold Geppert. Aber das Bild von den
Bauern, die mit den Subventionen der Steuerzahler reich würden, halte
sich. Alle am Tisch sind sich einig, dass sie lieber kein EU-Geld
bekommen würden, dafür aber einen höheren Milchpreis.
Ein glimpfliches Ende, ohne neue Schulden
Gegen Ende des Abends haben die Frauen am Tisch eine Idee. Sie wollen demnächst zeitgleich ihre Einkaufswagen im nächstgelegenen
„Edeka“ voll mit Milch, Quark und Joghurt laden und an der Kasse den
Betrieb aufhalten. „Tut mir leid, ich habe kein Geld, ich bin Milchbäuerin.“
Die Lokalzeitung würde sicher gern darüber berichten. – Als es draußen
aufhört zu blitzen, brechen alle auf und bedanken sich bei den Gepperts:
Es tue gut, mal zu hören, dass die anderen auch Sorgen hätten, sagen
sie. „Viele sehen die Schuld bei sich und denken, die anderen können
eben besser mit Geld umgehen“, sagt Gabi Geppert.
Wie wird es sein, wenn der Hof aufgegeben ist? Natürlich stürzen dann
nicht plötzlich alle Mauern ein. Das Haus bleibt stehen, die Gepperts
werden weiter darin leben. Im Bauerngarten werden im Frühjahr die
Blumen blühen. Der Ahorn wird neues Laub tragen. Aber die Ställe
werden leer sein. Vielleicht vermietet Geppert sie dann
quadratmeterweise an Wohnwagenbesitzer, als Winterquartier.
Es geht auf Mitternacht zu. Reinhold und Gabi Geppert stehen müde in
der Küche. Reinhold Geppert weiß noch nicht, ob viele Tiere auf einmal
vom Viehhändler zum Schlachthof gebracht werden. Oder ob sie nach
und nach rausmüssen. Die Ruhe in seiner Stimme wirkt für einen
Moment nicht mehr entschlossen, sondern unsicher.
„Ich darf nicht darüber nachdenken.“ Gabi Geppert sagt, ihr Glaube helfe
ihr, das Ende der Milchwirtschaft zu ertragen. „Ich habe keine Angst vor
dem, was kommt, ich muss nicht daran verzweifeln. Aber ich hätte nicht
gewollt, dass unser Sohn eines Tages im Stall steht und verzweifelt.“
Reinhold Geppert stimmt ihr zu. Alles habe seine Zeit. Für seine Eltern
sei es der richtige Zeitpunkt gewesen, das Geschenk anzunehmen und
etwas aus dem Hof zu machen. Und für ihn sei es eben an der Zeit, die
Geschichte zu einem glimpflichen Ende zu bringen, ohne neue
Schulden.
Müde guckt der Bauer in seiner Küche umher und sagt: „Dann bin ich
eben der Geppert, der wegläuft.“
Und geht zu Bett.
Information
Milchbauern in der Krise
Ende März 2015 lief die Milchquote aus. Sie war 1984 eingeführt
worden, um die Milchproduktion in Europa zu begrenzen. Aber die
Preise schwankten trotzdem: Im Jahr 2006 bekamen Bauern etwa 27
Cent für das Kilo Milch, 2009 waren es 24 Cent. 2013 und 2014 wurde
Milch mit über 37 Cent vergütet. Seit dem Ende der Quote fällt der Preis
– auch für die Verbraucher. Sie zahlten 2008 für einen Liter Frischmilch
aus konventioneller Herstellung 72 Cent. Und jetzt? Anfang August
konnte man einen Liter Milch bei Rewe in Frankfurt am Main für 46 Cent
bekommen.
2014 war schon die Hälfte der in deutschen Molkereien verarbeiteten
Milch für den Export bestimmt. Bundesregierung und Bauernverband
hatten die Landwirte noch bis vor kurzem ermutigt, weiter auf den Export
zu setzen: Asien! Russland! Nur erfüllten sich die Prognosen nicht – aber
die Milchmenge steigt. Vier Millionen Kühe gaben in Deutschland im
vergangenen Jahr 32,6 Millionen Tonnen Milch – vor der
Jahrtausendwende waren es noch weniger als 30 Millionen Tonnen.
Die rund 150 deutschen Molkereien stehen einer Handvoll
Handelskonzernen gegenüber: 85 Prozent der Milchprodukte gibt es bei
Edeka, Rewe, Metro, Lidl und Aldi.
Und was machen jetzt wir, die Konsumenten? Die Verbraucherzentrale
Hamburg rät dazu, Biomilch zu kaufen; der Erzeugerpreis für die
Landwirte sei deutlich höher und stabiler. Auch Regionalfenster auf
Packungen könnten ein Hinweis darauf sein, dass Bauern faire Preise
erhalten. Geschützte Begriffe seien nur „Bio-“ und „Heumilch“ – eine
regionale Herkunft kann man aber auch da nicht ableiten. Im Zweifel:
fragen!
Mit der „RegioApp“ können Verbraucher nach Anbietern von regionalen
Lebensmitteln suchen, auch nach fairer Milch. Bisher sind dort viele
Anbieter aus Süddeutschland registriert, im Norden klaffen noch Lücken.
LINK: http://chrismon.evangelisch.de/
Rechnet die Landwirtschaftskammer Niedersachsen
zugunsten von agrarindustriellen Stallbauten?
AbL Niedersachsen fordert Vorgaben des niedersächsischen
Agrarministeriums für Bau-Genehmigungs-Gutachten der
Landwirtschaftskammer
Agrarindustrie-nützliche Berechnungsmethoden bei
Genehmigungsverfahren verschaffen Agrarindustriellen bisher ein
falsches „Landwirts“-Prädikat beim Stallbau
Die geplanten Bestandsobergrenzen für Groß-Ställe würden
bisherigen Genehmigungs-Tricks ihre Grundlage nehmen
Der Landesverband Niedersachsen/Bremen der Arbeitsgemeinschaft
bäuerliche Landwirtschaft (AbL) begrüßt die Pläne von
Bundesbauministerin Hendricks, den Gemeinden eine Entscheidung
über den Bau von sämtlichen (und nicht wie bisher nur flächenarmengewerblichen) Agrarfabriken in ihrem Außenbereich zu übertragen. Es
sei richtig, für die Definition dieser Agrarfabriken die Grenzen des
Bundes-Immissionsschutz-Gesetzes anzulegen - nämlich 1.500
Schweinemast-, 560 Sauen-, 30.000 Masthühner-, 15.000 Legehennenoder Puten-Tierplätze sowie 600 Rinderplätze (also etwa 300 Milchkühe
plus Nachzucht). Die Konzentration von Tierplätzen in einem Stall
oberhalb dieser Grenzen bringe auch konzentrierte Auswirkungen von
Feinstaub, Keimen, Geruch, Ammoniak und Stickstoffdepositionen für
Anwohner und Umwelt mit sich.
Die AbL verwies auf eine Metastudie des Bundesinstituts für
Risikobewertung, wonach das Vorkommen antibiotika-resistenter MRSAKeime stark überproportional mit der Größe der Stallplätze und mit nicht
tiergerechten Haltungsformen anwachse. Die obigen Tierzahlen pro
Tierbestand seien ohnehin die strukturelle Obergrenze für eine
artgerechte Tierhaltung mit Weidegang der Kühe, von wirklichem
Freiland-Auslauf der Hühner oder von Einsatz von Stroh in einer
Schweinehaltung mit zumindest begrenztem Auslauf. Insofern würden
mittelständisch-bäuerliche Tierhaltungs-Strukturen durch die geplanten
Bestandsobergrenzen gegenüber agrarindustriellen GroßTierhaltungsanlagen gestärkt. Die Verhinderung des Baus weiterer
Agrarfabriken verringere zudem das weitere Anwachsen der ruinösen
Überproduktion und habe deshalb einen positiven Effekt auf die
Erzeugerpreise.
In den Niederlanden oder Dänemark, so die AbL, gebe es längst analoge
Instrumente zur Begrenzung des weiteren Vordringens von
„Megaställen“. Eine Studie im Auftrag der niederländischen Regierung
habe erneut eine Häufung bestimmter Gesundheitsprobleme bei
Anwohnern von Intensiv-Tierhaltungsanlagen festgestellt.
In diesem Zusammenhang äußerte die AbL eine deutliche Kritik an
der bisherigen Rolle der Landwirtschaftskammer Niedersachsen bei
der Genehmigung von Groß-Ställen: Es gehe nicht an, dass KammerVertreter für die Investoren bezahlte Gutachten erstellten und dass
Vertreter der gleichen Institution als Körperschaft öffentlichen Rechts
dann amtlich-gutachtliche Berechnungen der betrieblichen Futterfläche
an die Genehmigungsbehörden lieferten. Dies müsse durch die geplante
Neuordnung der Kammeraufgaben dringend abgestellt werden.
Zudem seien Futterflächen-Berechnungen der Landwirtschaftskammer in
aller Regel nicht konform mit den Vorgaben des Bundesbaugesetzbuchs:
Dieses gebe in § 201 für die Privilegierung als baurechtlich
„landwirtschaftlicher“ Betrieb vor, dass der Investor in der Lage sein
müsse, mindestens 50% des Futters für alle von ihm gehaltenen Tiere
auf Eigentums- oder Langzeit-Pacht-Flächen zu erzeugen. Hierbei seien
die konkreten Verhältnisse des Investor-Betriebes einschließlich einer
Fruchtfolge nach guter fachlicher Praxis einzuhalten. Zwar sei vor
etlichen Jahren die Vorgabe gefallen, dass dieses Futter tatsächlich
angebaut werden müsste – aber bei der „abstrakten“ Berechnung der
Futtermengen sei dennoch weiter darauf zu achten, dass das
angerechnete Futter wirklich für die betreffende Tierart geeignet sei.
Von alledem, so AbL-Agrarexperte Eckehard Niemann, wichen KammerGutachten zur Futterfläche „eklatant und agrarindustrie-geneigt“ deutlich
ab. So werde in der angenommenen Fruchtfolge ein überhoher Anteil an
Silo- oder Körnermais angesetzt – völlig unabhängig davon, ob die vom
Investor vorgesehene Tierart solchen Mais überhaupt fresse oder in
diesen Mengen verwerten könne. Oft würden zudem Flächen mit
angerechnet, die dem Futteranbau überhaupt nicht zur Verfügung
stünden – weil sie bereits als Flächengrundlage für eine zu „fütternde“
Biogasanlage dienten oder weil auf einem Teil der Flächen bereits
vertragliche Bindungen für eine Nichtfutter-Verwendung bestünden
(Zuckerrüben- oder Kartoffel-Verträge mit Fabriken, Biogas-Verkauf an
andere Biogas-Betreiber). Durch Nichtbeachtung dieser
Flächenbelegungen und durch den Ansatz viel zu hoher Anteile von Mais
(der rein rechnerisch hohe Futter-Energie-Zahlen bringe) würden so die
Futterflächen-Vorgaben des Baugesetzbuchs missachtet und eine
„landwirtschaftliche Privilegierung“ zurechtgerechnet.
Solche Regelungen ermöglichten gewerblichen Agrarindustriellen leider
viel zu oft und zu Unrecht die Nutzung einer „landwirtschaftlichen
Privilegierung“. Dieses Privileg des Bauens im Außenbereich sei aber
ein hohes Gut und für die Landwirte elementar - das dürfe nicht weiter
durch missbräuchliche Nutzung durch nichtlandwirtschaftliche Investoren
gefährdet werden.
Als weiteren Mangel der Kammer-Beteiligung bei der Genehmigung von
Groß-Tierhaltungsanlagen nannte die AbL die fehlende Kontrolle, ob die
genehmigten Tierzahlen oder die angegebenen Futterflächen nach dem
Bau wirklich eingehalten würden. Dieses Kontrolldefizit führe zu dem
unglaublichen Missstand, dass Investoren sich einen Stall als
„landwirtschaftlich privilegiert“ genehmigen ließen, danach diesen Stall
an andere Investoren oder an Angehörige weiterverkauften - und mit der
so wieder „frei gewordenen“ Futterfläche den nächsten
„landwirtschaftlich privilegierten Stall“ beantragten. Dies werde zum Teil
sogar mehrfach nacheinander so praktiziert – bei „landwirtschaftlich
privilegierten“ Großställen wie auch Biogasanlagen.
Alle diese Tricksereien zur Erlangung einer unrechtmäßigen
„landwirtschaftlichen Privilegierung“ würden hinfällig, wenn statt der
Futterfläche künftig allein die Größe der beantragten Anlagen eine Rolle
spielte. Das Problem künstlicher Betriebsteilungen (die ohnehin
kostenaufwendig seien) falle dann ebenso weg, ebenfalls die mühsam
konstruierten „Betriebsgemeinschaften“ zwischen flächenarmen
Investoren mit flächenreichen Ackerbau-Betrieben. Insofern sei auch
Bundesagrarminister Schmidt dringend aufgefordert, dem BaurechtsEntwurf von Bauministerin Hendricks zuzustimmen und den Gemeinden
bei sämtlichen Großanlagen ein Vetorecht zuzugestehen. Dies würden
voraussichtlich auch die kommunalen Spitzenverbände so einfordern.
Die AbL forderte die niedersächsische Landesregierung auf, bis zur
Verabschiedung der neuen Bundes-Bestandsobergrenzen-Regelung nun
auf Landesebene rasch durch einen Erlass eine gesetzeskonforme
Futterflächen-Berechnung durch die Landwirtschaftskammer
Niedersachsen vorzugeben. Man könne sich dabei ohne Mühe an
Berechnungs-Regelungen der Landesregierung NRW bzw. der
Landwirtschaftskammer NRW orientieren. Eine solche Richtigstellung bei
der Futterflächenberechnung würde den Landkreisen auch bei vielen
noch nicht abgeschlossenen Genehmigungsverfahren die Versagung
einer Baugenehmigung für Agrarfabriken ermöglichen.
25.08.2016
Weitere Informationen im nachfolgenden Arebeitspapier und unter
folgendem Link: http://www.kritischer-agrarbericht.de/fileadmin/DatenKAB/KAB-2016/KAB2016_Kap1_80_85_Niemann.pdf
AbL Niedersachsen/Bremen: Arbeitspapier
Stand 24.8.2016
Landwirtschaftliche Bauprivilegierung und
Futterflächenberechnung
Der Außenbereich einer Gemeinde ist auch baurechtlich streng gegen
willkürliche Bebauung und Zersiedlung geschützt. Die Bebauung in diesem
„Freiraum“ ist deshalb auf wenige „privilegierte“ Bauzwecke beschränkt, von
denen eine die landwirtschaftliche Privilegierung von Tierhaltungsanlagen ist –
das heißt: eine Tierhaltungsanlage, die eng mit der Landnutzung verbunden ist.
Diese landwirtschaftliche Privilegierung nach § 34.1.1. BauGB ist von dieser Logik
her eigentlich vor allem jenen Stallanlagen vorbehalten, die von ihrer Nutzung her
logisch im Außenbereich umgesetzt werden müssen und von ihrer Nutzung her nicht
im Innenbereich praktiziert werden können: also Rinderställen mit Weidegang,
Schweine- und Geflügelställen mit Auslauf bzw. Futteraufnahme auf der
landwirtschaftlichen Nutzfläche. In der Praxis wurde diese Privilegierung aber
zunehmend auch auf solche landwirtschaftlichen Stallanlagen ausgedehnt, bei denen
das Futter gar nicht von umliegenden Flächen stammte, sondern deren Futtermittel
(Getreide, Soja, Silomais) von weither herantransportiert werden konnten (was eine
echte und konkrete betriebliche Flächenbindung der Tierhaltung in Frage stellte).
Der § 201 des BBauGB führt zum „Begriff der Landwirtschaft“ aus:
„Landwirtschaft im Sinne dieses Gesetzbuchs ist insbesondere der Ackerbau, die
Wiesen- und Weidewirtschaft einschließlich Tierhaltung, soweit des Futter
überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden,
landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann, die gartenbauliche
Erzeugung, der Erwerbsobstbau, der Weinbau, die berufsmäßige Imkerei und die
berufsmäßige Binnenfischerei.“
Nebenbei: Der Tatbestand, dass landwirtschaftliche oder nichtlandwirtschaftliche
Anlagen mit Emissionen/Immissionen verbunden sind, berechtigt dagegen nicht zum
Bauen im Außenbereich, sondern erfordert entweder Immissionsminderung (Filter)
oder den Bau in einem extra ausgewiesenen Gewerbegebiet.
Bis vor einigen Jahren konnten auch nichtlandwirtschaftliche (gewerbliche)
Tierhaltungs-Anlagen ohne eigene Futterflächengrundlage im Außenbereich
genehmigt bzw. gebaut werden, sofern sie die rechtlichen SozialverträglichkeitsNormen (Belastungsgrenzen hinsichtlich der Immissionen auf Natur, Umwelt,
Anwohner) nicht überschritten. Diese ursprünglich für gewerbliche Ausnahme-
und Einzelfälle gedachte Regelung nach § 34.1.4. BauGB war aber über die
Jahre zum Regelfall geworden, so dass immer mehr nichtlandwirtschaftliche
(gewerbliche) Tierhaltungsanlagen im Außenbereich genehmigt und gebaut
wurden – entgegen dem ursprünglichen Ziel des Baugesetzbuchs und ohne
Beachtung einer regulierenden Flächenbindung.
Die jeweils immer mehr zunehmenden Tierzahlen in den immer größeren
Tierhaltungsanlagen führte zu massiven Problemen in Intensivtierhaltungsregionen
(Gülleausbringung, Grundwasserbelastung), sondern wegen der regionalen
Massierung von Ställen auch zu weiträumigen Stickstoff-, Geruchs- und
Keimbelastungen von Natur, Umwelt und Anwohnern. In der Folge konnten viele
Gemeinden kaum noch unbelastete Baugebiete für Wohnzwecke ausweisen. Auch
viele Landwirte wurden am Bau von Ställen gehindert, weil die ImmissionsObergrenzen bereits durch bestehende Ställe ausgenutzt waren.
Auf Druck von EU, kommunalen Spitzenverbänden, Landräten aus den
Intensivtierhaltungsregionen und Bürgerinitiativen beschloss der Bundestag
2013 bei der Novellierung des Baugesetzbuchs parteiübergreifend, die
landwirtschaftliche Privilegierung nach § 34.1.1. BauGB aufrechtzuerhalten, die
baurechtliche Privilegierung für gewerbliche Tierhaltungs-Großanlagen (die die
Vorgabe von 51% Futterfläche nicht erreichen) nach § 34.1.4. BauGB aber zu
streichen.
In der Baugesetzbuch-Novelle 2013 hat der Bundestag parteiübergreifend
festgelegt, dass gewerblich oder industriell betriebene Großanlagen der Tierhaltung
nicht mehr privilegiert sind, sofern sie UVP-pflichtig oder –vorprüfungspflichtig sind.
Erforderlich für die Annahme einer UVP-Pflicht ist ja die plausible Erwartung, dass
ein Bauvorhaben zu erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen führen kann.
Insofern geht der Bundestag bei Anlagen folgender Größenordnungen zu
Recht von der Annahme aus, dass sie allein schon wegen ihrer Größe zu
deutlichen Risiken hinsichtlich einer umweltverträglichen Produktion in
Kulturlandschaften (Begründung der Bundesregierung) führen. Kommunalen
Gebiets-körperschaften wird deshalb das Recht eingeräumt, die Erstellung
eines Bebauungsplans für solche Anlagen zu unterlassen. Dies betrifft
gewerbliche Anlagen ab folgenden Tierplatz-Zahlen: 1.500 Mastschweine, 560
Sauen, 4.500 Aufzuchtferkel, 600 Rinder (das entspräche 300 Kühen plus
Nachzucht), 30.000 Masthühner oder 15.000 Legehennen oder Puten. Diese
dem Immissionsschutzrecht entnommenen Grenzwerte gelten im Hinblick auf die
baurechtliche Privilegierung bislang leider noch nicht für Betriebe mit viel Fläche,
obwohl es für die Immissionen und deren Auswirkungen natürlich völlig unerheblich
ist, ob damit irgendwelche Flächen verbunden sind.
Nach dem Ausschluss der baurechtlichen Privilegierung von gewerblichen
Stallanlagen (ohne ausreichende Futterflächen) versuchen viele an sich
gewerbliche Investoren, durch eine eigenwillige „Interpretation“ der
Futterflächen-Berechnung dich noch eine baurechtliche landwirtschaftliche
Privilegierung zu ergattern. Deshalb kommt der ordnungsgemäßen und
rechtssicheren Definition und Berechnung dieser Futtergrundlage, die in
Niedersachsen durch die Landwirtschaftskammer geschieht, eine zentrale
Bedeutung zu.
Für eine landwirtschaftliche Privilegierung nach § 34.1.1 BauGB sind mehrere
Tatbestände erforderlich:
1. Konkrete Ermittlung der für die Tierhaltung erforderlichen Futterflächen
Eine landwirtschaftliche Tierhaltung liegt gemäß § 201 BauGB nur vor, wenn das
Futter für diese Tiere „überwiegend auf den zum landwirtschaftlichen Betriebe
gehörenden, landwirtschaftlich genutzten Flächen erzeugt werden kann“.
Bis zur Novelle des BauGB 2004 war vorgeschrieben, dass mehr als die Hälfte des
Futters auf solchen Betriebsflächen erzeugt wurde (Tatbestand der
flächenbezogenen Tierhaltung) und außerdem tatsächlich in der Tierhaltung des
Betriebes verfüttert wurde (konkrete Betrachtungsweise). In der
Gesetzesbegründung zu § 201 (vergl. Bundestagsdrucksache 15/2250, S. 62) wird
ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit der Novelle 2004 lediglich das zweite
Kriterium (konkrete Betrachtungsweise: tatsächliche Verfütterung im Betrieb)
geändert wurde – nämlich durch die nunmehr gültige abstrakte Betrachtungsweise,
wonach die Anforderung der unmittelbaren Verfütterung künftig wegfallen sollte.
Diese Maßnahme trug u.a. dem Umstand Rechnung, dass viele Betriebe keine
eigenen Mahl- und Mischanlagen für die fütterungstechnische Verarbeitung ihrer
Feldfrüchte mehr betrieben und diese Feldfrüchte unverarbeitet verkauften und
stattdessen analoge Futtermittel zukauften.
Gültig bleibt aber auch nach Ersatz der konkreten durch die abstrakte
Betrachtungsweise die Anforderung der flächenbezogenen Tierhaltung und
damit das flächenbezogene Kriterium, dass auf den Flächen des Betriebes
tatsächlich Tierfutter erzeugt werden muss, das hinsichtlich seiner Eignung
und seines Volumens ausreichend ist für den überwiegenden Teil des
Futterbedarfs (siehe: Kommentar Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger zu BauGB
§ 201 Rn. 17; Urteil OVG Münster vom 15.02.2013 – 10 A 1606/11; Urteil VG
Neustadt vom 22.02.2016 – 3 K 325/15.NW).
Insofern ist die Futterfläche folgendermaßen zu ermitteln:
Es versteht sich von selbst, dass Wald oder Stilllegungsflächen (und bei
Schweinen und Geflügel auch Grünlandflächen) ebenso wenig als
Futtergrundlage zu betrachten sind wie der Anbau von Kulturen, die bereits
bestimmungsgemäß oder vertraglich zu anderer Nutzung (Zuckerrüben,
Biogasmais, Stärkekartoffeln etc.) vorgesehen sind. Dies ist konkret für den
betreffenden Betrieb zu ermitteln und darzustellen.
Das in der Futterflächenberechnung angesetzte Futter muss für die
beabsichtigte Art und Form der Tierhaltung geeignet sein: In der Geflügelmast
z.B. ist von den Anbaufrüchten nur Futterweizen geeignet – nicht aber Backweizen,
Gerste, Roggen, Hafer, Körner- oder Silomais, Kartoffeln, Rüben oder andere
Feldfrüchte. In der Schweinehaltung können neben Futterweizen auch Roggen,
Gerste, Raps oder Körnerleguminosen (ganz oder teilweise) in Ansatz kommen, in
der Rinderhaltung auch Mais, Ackergras oder Grünland.
Quantitativ sind auf Grundlage langjähriger Durchschnittswerte (nicht
Spitzenergebnisse) die Hektar-Erträge festzustellen. Die Landesämter für Statistik
weisen in ihren jährlichen Statistischen Berichten die durchschnittlichen Erträge in
den Landkreisen aus. Von den so ermittelten z.B. Futterweizen-Mengen des
Betriebes sind noch Verluste und Schwund z.B. bei Lagerung abzuziehen. Zu
berücksichtigen ist hierbei außerdem, dass Weizen nach landwirtschaftlicher guter
fachlicher Praxis im Rahmen einer Fruchtfolge nur alle 3 Jahre (besser: alle 4
Jahre) auf einem Acker anzubauen ist. Der Bezug auf die – auf einer ganz anderen
Zielsetzung beruhenden – subventionstechnischen Fruchtfolge-Vorgaben der
Direktzahlungsverordnung (mit bis zu 75% Abteil einer Feldfrucht am
Anbauverhältnis!) ist hier nicht sachbezogen und unzulässig.
Es ist daher wegen der gebotenen Eignung des Futters für die jeweilige Tierart
absolut unzulässig und unsachgemäß, die Futterbereitstellung und auch den
Futterbedarf pauschal und unkonkret in Form von Energiewerten wie MJ ME oder MJ
NEL (Megajoule Metabolisierbare Energie / Verdauliche Energie) zu berechnen und
dabei sogar – im Falle von Schweine- oder Geflügelanlagen – das Ausweichen auf
energiereichere Mais-Fruchtfolgen zu ermöglichen.
Als agrarindustriegeneigt und absolut nicht rechtskonform ist deshalb die
Praxis der Landwirtschaftskammer Niedersachsen zu bewerten, unter
Missachtung der konkreten Futteranforderungen der jeweiligen Tierart auf dem
Futterflächen-Berechnungsbogen eine vollständig unpassende, aber
rechnerisch energiereiche Fruchtfolge zu konstruieren, bei der Silo- und
Körnermais 75% in Anbauverhältnis bzw. Fruchtfolge ausmachen und
pauschal ein Fruchtfolgeglied „Getreide“ (ohne Berücksichtigung der
Tieransprüche an eine bestimmte Getreideart) mit 25% anzusetzen. Nicht
berücksichtigt wird von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen auch die
Tatsache, dass bestimmte Feldfrüchte per se nicht der Verfütterung dienen,
sondern vertrags- oder bestimmungsgemäß für andere Verwertungen
gebunden sind – z.B. Silomais für Biogasanlagen, Rüben- oder Kartoffeln für
Rüben- oder Stärkefabriken etc..
Hinzu käme eigentlich noch die die Vorgabe, dass entsprechend dem Eiweißbedarf
der Tiere eigentlich auch 51% der jeweils konkreten Eiweißfrüchte (also je nach
Tierart Körnerleguminosen, andere Leguminosen oder Raps) auf den Flächen
erzeugt werden können - was entsprechend bei den Flächenberechnungen
anzusetzen wäre.
Eine reelle Futterflächenberechnung der Landwirtskammer müsste
beispielsweise folgendermaßen aussehen – am Beispiel einer beantragten
Hähnchenmastanlage:
Beantragte Tierplätze: 78.000
abzüglich Tierverluste pro Durchgang (1/2 x 3%) 1.170
= zu fütternde Tiere pro Durchgang: 76.830
zu fütternde Tiere pro Jahr (bei 7,5 jährlichen Durchgängen x 76.830): 576.225
Tierzahl x Gewichtszuwachs der Tiere pro Jahr (2,30 kg) = 1.325.317,5 kg =
13.253,2 dt
x Futterbedarf für 1 kg Gewichtszuwachs (Futterverwertung:1,67)= 22.132,8 dt
Futterbedarf
Durchschnittliches Ertragsniveau Winterweizen im Landkreis: 80 dt/ha
abzüglich Lager-Verluste und Schwund (5% = 4 dt/ha)= 76 dt/ha
Benötigte Gesamtfutterfläche: 22.132,8 dt Futterbedarf geteilt durch 76 Hektarertrag
= 291,2 ha (davon 51% „überwiegende Futterfläche“ laut BauGB = 148.5 ha)
wegen Einhaltung einer dreijährigen Fruchtfolge: 873,6 ha
- davon 51% lt § 201 BauGB: 445.5 Hektar
Mit ihren bisherigen Berechnungsmethoden würde die Landwirtschaftskammer
für den Investor mehrere hundert Hektar weniger Futterflächenbedarf
errechnen und somit fälschlicherweise einem nichtlandwirtschaftlichen
(gewerblichen) Investor das Prädikat „Landwirtschaftlich“ verschaffen – und
damit eine angeblich „landwirtschaftlich privilegierte“ Baugenehmigung.
2. Dauerhafte Sicherung der Futterfläche für die Dauer der Nutzung der Anlage
Gemäß § 201 BauGB erfordert eine landwirtschaftliche Privilegierung einer
Tierhaltungsanlage eigentlich, dass die überwiegende Futtergrundlage für die
gesamte Dauer der Nutzung dieser Anlage gesichert zur Verfügung stehen
muss. Dies ist im strengen Sinne nur bei Eigentumsflächen gegeben (Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 24.08.1979 (IV C 3.77). Die Rechtsprechung macht
bei Pachtflächen grundsätzliche Einschränkungen, vor allem bei einer weit
überwiegend gepachteten Flächenausstattung. Siehe hierzu: Entscheidungen des
Bundesverwaltungsgerichts vom 03.11.1972 (IV C 9/70) und vom 03.02.1989 (4 B
14/89) sowie Urteil des VG München vom 05.05.1998 (1 K 5643/96).
Ausnahmsweise und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des
Einzelfalls kann eine landwirtschaftliche Privilegierung erfolgen, wenn die
Pachtverträge langfristig in Form von hohen Pacht-Restlaufzeiten (ab
Genehmigungsentscheid!) gesichert scheinen. Die herrschende Rechtsprechung
sieht hierfür eine Mindestlaufzeit von 18 Jahren als erforderlich. Siehe hierzu: Urteil
des OVG Lüneburg vom 30.08.1988 (1 A 164/86), Urteil des OVG Münster vom
19.06.1970 (X A 104/69), Urteil des OVG Bremen vom 14.01.1986 (1 BA 36/85),
Urteil des VG Göttingen vom 28.06.2007 (2 A 161/06). Eine Minderheitsmeinung hält
eine Mindestlaufzeit der Pachtverträge von nur 12 Jahren für ggf. im Einzelfall
ausreichend: Urteil VG München vom 05.05.1998 (1 K 5643/96), Urteil des VG
Minden vom 22.09.2010 (11 K 1160/09)
Auch bei diesem Thema ist bei den Ausarbeitungen der
Landwirtschaftskammer für die Genehmigungsbehörden viel mehr Konkretion
hinsichtlich der Flächen und ihrer Pacht-Restlaufzeiten damit mehr
Rechtskonformität einzufordern.

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