Monika Bauert Die Frau mit den drei Karrieren

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Monika Bauert Die Frau mit den drei Karrieren
Monika Bauert
Die Frau mit den drei Karrieren
Monika Bauert begann ihre Karriere als Bühnenbildnerin in München. Nach
langjähriger Tätigkeit an deutschen Stadttheatern und über 85 (!)
Produktionen wechselt Monika Bauert zum Film, wo sie zunächst als
Kostümbildnerin (u.a. Das Boot, Enemy Mine), später dann als
Szenenbildnerin/Filmarchitektin (u.a. Der bewegte Mann, Knockin‘ on
Heaven’s Door) arbeitet.
Monika Bauert, Ausschnitt "Jimmy the Kid" Dach Garage Mörsch
aim: Wieso haben Sie den Beruf der Bühnenbildnerin ergriffen, was hat Sie
daran fasziniert?
Bauert: In der Schule hat mir alles gefallen, was künstlerisch war. Ich habe
gern gemalt. Beim Theater haben mich die Bühnenbilder gereizt. Da habe ich
eines Tages beschlossen: das werde ich! Da war ich vierzehn, glaube ich. Das
hat sich sehr früh herauskristallisiert. Das war völlig klar, daß das etwas mit
„Optik" zu tun haben sollte. Ich habe dann bei einem Männerkränzchen, das
jedes Jahr eine Theateraufführung machte, aus Pappkartons meine erste
Dekoration für Helden von Shaw gebastelt. Die ist mir explodiert. Das war ein
toller Anfang! Ich hatte aus Dachlatten einen Rahmen gebaut für die Wände.
Das Papier hatte ich bei der Zeitung geschnorrt. Ich hatte die Rahmen
bespannt, bei uns im Hof aufgestellt und wollte sie am nächsten Tag bemalen.
Über Nacht sind die Papiere feucht geworden. Als am nächsten Tag die Sonne
darauf stand: explodierten sie! Die erste Dekoration ist mir also um die Ohren
geflogen.
aim: Danach haben Sie beschlossen, eine solide Ausbildung zu machen?
Bauert: Ich habe erst mal gesucht. In der Akademie waren die Plätze alle
besetzt. Das war schwierig. Als ich später eine Bühnenbild- Assistenz bei Teo
Otto machte, sagte er zu mir: „Ja, Kind, du kannst dich nicht nur einfach
bewerben, du mußt direkt kommen." Da habe ich gemerkt, daß es nicht nur
die Anzahl der Plätze war, sondern daß ich es falsch angegangen war. Ich
habe dann einen Ausbildungsplatz als Bühnenbild-Assistentin am
Residenztheater in München bekommen. Das war mein großes Glück, weil es
ein großes Theater mit allen Abteilungen war. Vom ersten Tag an habe ich
Grundrisse zeichnen müssen, Werkstattüberwachung machen usw.. Ich war
alleine in der Abteilung, da kam ich an alle Probleme ran . Als ich nach zwei
Jahren Residenztheater mit den Schülern, die von der Akademie kamen,
verglichen wurde, hatte ich einen riesigen Vorsprung. Zusätzlich habe ich bei
Jörg Zimmermann in den Kammerspielen gearbeitet. Das war wie ein
Crashkurs: Modellbau, technisches Zeichnen, Werkstattüberwachung,
Materialeinkäufe, Materialkunde... Nach einem halben Jahr hat mein Chef mir
ein Bühnenbild gegeben, was Kurt Halleger, der inzwischen gestorben war, für
das Residenztheater gemacht hatte. Das selbe Bühnenbild sollte am
Burgtheater realisiert werden. Die Portalöffnung beim Residenztheater ist 12
Meter, beim Burgtheater aber 20 Meter. Es mußte also proportional vergrößert
werden, das habe ich eigenständig gemacht.
aim: Sie haben in allen Sparten gearbeitet: im Theater, an der Oper...
Bauert: Nach dem Residenztheater kam ich an ein Drei-Sparten-Haus, mit
Ballett, Operette, Oper und Schauspiel. Ich habe Schauspiel vorgezogen. Der
singende Mensch ist mir eher fremd. Es ist die absolute Künstlichkeit, da ist
von Realismus nun gar nichts mehr. Eigentlich habe ich beim Theater alles
durchlebt, was man nur durchleben kann: vom Kellertheater bis zum
Staatstheater, vom Tourneetheater in Südamerika bis zum Landestheater
Württemberg-Hohenzollern. Da hatte man ein kleines, ganz nettes
Grundtheater und dann wurde das ganze Bühnenbild nach Friedrichshafen
oder nach Memmingen geschleppt.
aim: Und alles mußte dafür angepasst werden.
Bauert: Genau. Das ist eine Schule, die ist ungeheuerlich. Ich habe immer
gesagt : das sind WMF- Anbau-Möbel. Also ein Grundblock, dann eine
größere Version, mit Mütze und ohne Mütze. Die Dramaturgie mußte
trotzdem noch funktionieren! Es gab halt winzige Bühnen. In der Aula von
Knüsselshofen ist nichts mit der großen Version. Die Krönung war eine
zweijährige Theater-Tournee durch Südamerika. Deutschsprachiges Theater.
Das hatte eine ganz eigene Dynamik. Da kam ich mit Anfang zwanzig hin,
aus den gut behüteten deutschen Stadttheatern. Mein Intendant sagte zu mir:
"So, Fräulein Bauert, jetzt sehen Sie hier 60 Kisten. Die sind 60 x40 x50. Hier
muß alles rein: Dekoration, Requisiten, Kostüm, Beleuchtung, Stellwerk und
die Bürokasse. Ich sage Ihnen eines: mehr Kisten gibt es nicht. Alles was
über 1500 Kilo wiegt, wird nicht mitgenommen. Sonst geht das Theater an der
Kargo-Leistung pleite." Da habe ich dann schluchzend gestanden und gesagt:
„Wie soll ich das denn machen?!?" Der Intendant sagte: „Genau das ist das
Problem, Fräulein Bauert!" Damit ging er. Ich habe diese Dekoration unter den
absonderlichsten Aspekten gesehen. Ich kann nur sagen: es hat der
Flexibilität gedient. Ich habe die Oper Mahagonny von Brecht/Weill aus
Dachlatten und Lappen gemacht, die in diese Kisten hinein paßten. Es wurde
eine Inszenierung, die wegen des Erfolges noch zwei Jahre in Deutschland
aufgeführt wurde. Diese Konzeption hätte man sich nie ausgedacht, wenn man
nicht vor diesen Tourneebedingungen gestanden hätte. Aber da mußte man
und dann ging es .
aim: Hat Ihnen das mehr Spaß gemacht, als an einem festen Haus zu
arbeiten ?
Bauert: Es gibt einen dummen Spruch von mir: Die Summe der
Schwierigkeiten ist immer die gleiche. Also entweder habe ich einen guten
Regisseur und begabte Schauspieler- aber kein Geld. Oder ich habe Geld,
aber keine Zeit. Es gibt Millionen Möglichkeiten: aber nie sind alle
Bedingungen hundertprozentig. Ich habe mal einen großen Film gemacht mit
Sophia Loren und John Cassavetes, es war ein Riesen- MGM-Kinofilm. (Brass
Target/Verstecktes Ziel, 1978, Anm. d Red .) Ich hatte Geld wie Heu, aber ich
hatte keine gute Schneiderei. Da hab ich immer gedacht: ‚Hätte ich doch die
begabten Mädels von der Theaterschneiderei in Ulm, was könnte ich diesen
Film toll machen!‘ Es ist ganz merkwürdig: die Summe der Schwierigkeiten ist
immer die gleiche.
aim: Wonach entscheiden Sie, ob Sie einen Film machen?
Bauert: Lust.
aim: Spielt der Stoff eine Rolle?
Bauert: Der Stoff, der Regisseur... Das Problem ist, daß man oft Lust hat.
aim: Wieso sind Sie vom Theater weggegangen? Sie haben an großen
Häusern gearbeitet, mit bekannten Regisseuren!
Bauert: Der Grund war das Glashaus, in dem man saß. Als fest engagierter
Bühnenbildner an einem Haus, da kennt man jeden Huster von jedem
Regisseur. Da weiß man schon, welche Konzeption der wieder anfängt. Es ist
immer das gleiche, man redet von Kunst und Genie... Diese Leute kannten
nicht den Regierenden Bürgermeister von Berlin, versuchen sich aber an
Shakespeare-Interpretationen. Diese Staatstheater, die nur um sich selber
kreisten, gingen mir irgendwann gehörig auf die Nerven. Ich habe dann
Kostüme für ein Fernsehspiel gemacht. Das spielte in einem
Gastarbeiterheim. Da habe ich richtig Morgenluft gewittert: da war ein
Eisenbett mit einem echten Menschen drauf.
aim: Das waren zeitgenössische Themen.
Bauert: Genau. Wobei ich jetzt glücklich bin, das ich beides erlebt habe. Am
Theater habe ich gelernt, Konzeptionen zu entwickeln, Modelle zu bauen, zu
zeichnen, Entwürfe zu machen. Und zwar so präzise, daß ich sagen kann:
„Herr Intendant, wie hätten Sie es gern: aus der 13ten Reihe Parkett oder aus
dem dritten Rang rechts, aus der Königsloge? Von wo aus wollen Sie den
Entwurf haben?" Außerdem ist der Tatort-Realismus, den man jetzt im Film
findet, auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Ich merke, die jungen Leuten
fangen an, unheimlich zu stilisieren, es künstlicher zu machen, zu überhöhen.
Der Serien-Realismus von der Ecke stirbt langsam.
aim: Wenn Sie ein Drehbuch bekommen, wie gehen Sie dann vor?
Bauert: Ich brauche eine gewisse Zeit, bis ich mir das Drehbuch einverleibt
habe. Ich habe festgestellt, der erste Eindruck ist der aller wichtigste. Ich
mache mir beim Lesen schon Auszüge: Bilder, Assoziationen. Wenn man
erst mit jemanden geredet hat, verwischt sich das schon. Die ersten Bilder
sind die wichtigsten. Dann kann man verändern und mit dem Regisseur daran
arbeiten.
aim: Wann kommt der Kameramann ins Gespräch?
Bauert: Man spricht zuerst mit dem Regisseur. Es wäre wünschenswert und
schön, wenn der Kameramann beim ersten Gespräch mit dabei wäre. Das
passiert auch manchmal, aber nicht immer. Er sollte schon dabei sein. Weil
man dann im Vorfeld alles besprechen kann: Farben, Stimmungen, gegen das
Klischee bürsten oder das Klischee verstärken. Man kann es gemeinsam andenken.
aim: Kommt es vor, daß eine Ausstattung völlig anders aufgenommen wird,
als von Ihnen geplant?
Bauert: Ja. Mal angenommen, ich mache einen Raum: zehn mal vier Meter
groß, mit Decke und rosa Wänden, mit blauen Elefanten drauf ... Das ist
lange besprochen, da sind Fenster und Lichteinfälle, Rücksetzer, Gänge und
Strukturen auf den Wänden. Dann stellt sich heraus, der Kameramann hat das
Ohrläppchen oder die Träne im Auge groß aufgenommen, der Hintergrund ist
unscharf. Von der Dekoration ist nichts zu sehen. Da hätte man sehr viel Geld
sparen können. Ich bin vielleicht traurig, aber der Produzent ist wütend. Wenn
man etwas nicht sieht- das ist immer am teuersten.
aim: Wie groß ist der Prozentsatz von Original-Drehorten? Wieviel wird
gebaut?
Bauert: Das ist von Projekt zu Projekt total unterschiedlich. Bei Kai Rabe
gegen die Vatikankiller haben wir zu 75 Prozent auf dem Klöckner-HumboldtDeutz-Gelände (in Köln, d Red.) gedreht. Ich hab gesagt: „Laß uns bitte auf
dem Gelände bleiben, das spart Zeit und Geld. In diese Ecke hier bauen wir
das. Das Treppenhaus da wird das Hochhaustreppenhaus. Wir bleiben hier."
Das spornt die Phantasie an. In einer alten Fabrik die Wände so zu streichen,
daß plötzlich das Cafe Paradiso entsteht, das finde ich spannend. Es ist
natürlich auch ein Stilmittel. Ich habe bei den Filmen, die ich mit Thomas Jahn
gemacht habe, sehr viel gebaut. Das mag ich sehr. Weil man da die Dinge
wirklich auf den Punkt bringen kann.
Copyright Monika Bauert, Ausschnitt Horrorkeller
Foto: Tim Wegner, mit freundlicher Genehmigung von Warner Bros.
aim: In Der bewegte Mann spielen viele Szenen in einer bestimmten
Wohnung. Gab es diese Wohnung, zum Beispiel?
Bauert: Die Wohnung von Norbert Brommer, das war eine leerstehende
Altbauwohnung. Ich habe die Wände raus gerissen, Türen rein gesetzt. Die
Fenster gab es. Wir hatten eine Außenanbindung: Man mußte von der Straße
hinauf sehen, er guckte mal sehr traurig aus dem Fenster. Die Wohnung
selber, die Wände standen also, aber vom Teppich bis zur Decke, von der
Tapete bis zu den Möbeln, ist alles von mir. Praktisch wie im Studio.
aim: Inklusive dem Pinboard mit den Mausefallen.
Bauert: Richtig. Es ist witzig, daß das so viele Leute gesehen haben...
aim: Obwohl es eine winzige Sequenz ist. Sie gehen also durch die Wohnung
und fragen sich, wie würde die Figur sie einrichten?
Bauert: Ja, das sind tausend Teilchen. Da gibt es in jedem Film
absonderliche Geschichten. Ich habe im letzten Film, in Kai Rabe gegen die
Vatikankiller, ein Leopardenzimmer entworfen. Da habe ich alle meine
Aversionen gegen schlechte Dekorationen auf den Punkt gebracht. Das erste
was man lernt, egal ob Bühnenbild, Kostüme oder Szenenbild: Setze nie eine
grüne Frau auf ein grünes Sofa! Bei dem Leopardenzimmer habe ich alles ad
absurdum geführt. Ich habe ein Zimmer gebaut mit Leopardenmuster an der
Wand, auf dem Boden. Die Sofas sind mit Leopardenmuster bezogen, die
Lampenschirme, die Gardinen, alles. Und Sandra Speichert hatte nun
freundlicherweise ein Leopardenkostüm an und saß auf dem Sofa. Es war
genau so, wie man es nicht machen soll. Sie war wirklich nicht zu sehen, erst
wenn sie sich bewegte. Ich hatte auf der Wand Leopardenbilder geplant und
die Bilderrahmen auf den Boden gelegt, um sie zu arrangieren. Der Teppich
war schon gespannt. Da kam mir die Idee, daß es viel komischer ist, wenn in
diesen viereckigen Rahmen nur die diversen Leopardenmuster zu sehen sind.
So etwas entsteht während der Arbeit. Diese Absurdität hatte für mich
Magritte-Charakter.
Foto: Tim Wegner, mit freundlicher Genehmigung von Warner Bros.
aim: Was passiert mit den Ausstattungstücken nach dem Drehen?
Bauert: Vieles ist geliehen. Bei Charlie und Louise gab es einen echten
Leuchtturm in Schottland, den haben wir von außen fotografiert. Innen war der
komplett uninteressant. Da war eine viereckige schwarze Kiste drin, die drehte
sich. Da durfte man auch nicht rein und filmen. Wir haben dann am Fuß des
Leuchtturms unsere eigene phantasievolle Leuchtkuppel gebaut. Ich habe eine
alte Fresnel‘sche Linse mit Messing und Prismen ausgeliehen, Fernrohre,
ausgestopfte Pinguine, alte Korbmöbel...
Copyright Monika Bauert, Charlie und Louise, Szenenbild Leuchtturm, Ausschnitt
Copyright Monika Bauert, Charlie und Louise, Szenenbild Leuchtturm
Hinterher ging das alles wieder zurück. Nein, das heißt, ein Teil steht in den
Bavaria Filmstudios. Ich hatte Glück, es ging ins Museum. Wenn man Glück
hat, kommt es ins Museum. Wenn man Pech hat, auf den Schrott. Ich hoffe,
daß das Leopardenzimmer ins Museum kommt. Das, glaube ich, ist ein
Knaller.
aim: Wie lange arbeiten Sie an einem Film?
Bauert: Unterschiedlich, das kommt auf den Schwierigkeitsgrad an. In
Knocking‘ on Heaven‘s Door kommt vor, daß die Banditen durch ein Maisfeld
düsen. Im März hatte Thomas Jahn sich das ausgedacht, ich habe ihm
gesagt: „Wir müssen dieses Maisfeld pflanzen. Die Straße muß so breit sein,
daß sie in der Szene von zwei Mercedeswagen gesperrt werden kann. Und es
muß eine Straße sein, die wir für unsere Dreharbeiten, mindestens zwei Tage,
sperren können." Ich bin mutterseelenallein durchs Erftland gefahren, da waren
die Felder noch braun, und ich habe geguckt, wo ich dieses Maisfeld hin
pflanzen würde. Ich habe es mit der Bürokratie von Brüssel zu tun bekommen,
weil die Bauern schon Rüben oder Weizen gesät hatten. Ich erinnere mich
sehr deutlich an den Tag X , wo ich meinem Produzenten gesagt habe: „Also,
jetzt habe ich endlich den Bauern mit dem Feld an der Straße, aber leider sind
in dem Feld Kartoffeln. Der Bauer möchte gerne 25.000 Mark für die
Kartoffeln." Es war ein riesiges Feld. Die Kartoffeln wurden untergepflügt, dann
wurde Mais gesät. Es war mal was anderes, seine eigene Dekoration zu säen
und zu ernten. Wobei natürlich alle sagen: was macht da eine Filmarchitektin?
Der Mais ist ja da! Die fahren da durch und Ende. Was hat sie da gemacht?.
Aber ich war schrecklich in Nöten, bis ich das richtige Feld und den richtigen
Bauern und das Geld hatte... Da habe ich wegen des Maisfeldes im März
angefangen und die Dreharbeiten bis zum September betreut.
aim: Bezeichnen Sie sich als Filmarchitektin oder als Szenenbildnerin? In den
Bsetzungsplänen für Filme tauchen unglaublich viele Begriffe für diesen
Bereich auf: Ausstattung, Szenenbild, Filmarchitektur, Production Design...
Bauert: Als Szenenbildnerin. Auf Ausstattung reagiere ich sauer. Ausstatter
stehen mit einem grauen Kittel auf der Leiter stehen und kniepsen Falten in
eine Gardine. Ganz ordentlich wie Frau Saubermann. Ich bin keine
Raumausstatterin, sondern ich interpretiere Szenen. Da finde ich Szenenbild
die beste Vokabel. Filmarchitektin steht auch manchmal auf meinen
Visitenkarten, weil die Leute sich unter Szenenbild nichts vorstellen können.
aim: Was ist für Sie die wichtigste Funktion eines Szenenbildners?
Bauert: Ich erzähle Geschichten. Ich verstehe meinen Beruf so, mit gültigen
Zeichen dem armen, armen Zuschauer, der keine Ahnung von dem Drehbuch
hat, die Geschichte klarzumachen. Er muß die Geschichte verstehen, er muß
wissen: ist es Sommer? ist es Winter? sind die Leute arm? sind die Leute
reich? in welchen Nöten sind sie? Es geht nicht um den Geschmack und die
Vorlieben von Monika Bauert. Sondern es geht um Geschichten-Erzählen und
die Interpretation einer Geschichte, die von jemand anderem geliefert wird.
aim: Haben Sie den Eindruck, daß die Arbeit des Szenenbildners genügend
gewürdigt wird? In Filmkritiken gibt’s den Regisseur, es gibt die Darsteller, den
Produzenten?
Bauert: Wichtig ist mir, daß das Szenenbild ins Unterbewußtsein geht. Daß
die Dekoration so stimmig ist, daß sie nicht als: „Boah! Guck mal, was für
eine Ausstattung!" wahrgenommen wird. Die Bilder müssen Qualität haben,
aber eine Dekoration sollte sich nie total freischwimmen. Sie muß immer
dienen. Immer. Auch bei verblüffenden Effekten, die man einkalkuliert.
aim: Dabei müssen Sie sehr genau planen?
Bauert: Das Aufregende beim Film ist, daß man immer erst weiß, was
herauskommt, wenn der Film fertig ist. Ich erinnere mich an eine Szene bei
Das Boot , da hat Petersen stundenlang geprobt im Hafen von La Rochelle,
das war ein zwei Quadratkilometer großes Gelände. Dann ging irgendwas an
dem Boot kaputt und er mußte andere Entscheidungen treffen. Es muß
improvisiert werden: da fängt es an zu regnen, dann kommt ein Schauspieler
zu spät oder gar nicht, weil er am Flughafen festhängt. Professionelles FilmeMachen ist für mich die möglichst hohe Ausschaltung von Zufällen. Dennoch
muß man improvisieren, mit Zufällen umgehen. Mit Regen, mit Wind, mit
Sonne. An einem Originalset mit einem Nachbarn, der plötzlich durchdreht.
Das Tolle an dem Beruf ist, daß kein Film und kein Tag wie der andere ist.
Was im Finanzamt so eintönig ist, gibt es bei uns nicht.
aim: Wie viele Filme machen Sie pro Jahr?
Bauert: Mehr als zwei Filme gehen überhaupt nicht. Ich plane eigentlich
kaum, ich werde geplant. Im Sommer ist Hochsaison, weil die Tage lang sind
und man lange eine Kamera aufstellen kann. Im Winter ist um vier Uhr die
Sonne weg und kommt nicht so schnell wieder. Das ist einfach unglaublich
teuer und kalt und es gibt viele Feiertage. Da wird wenig gedreht.
aim: Wie beurteilen Sie, ob Sie ein Drehbuch machen wollen?
Bauert: Was mich sehr beschäftigt, ist, daß wir als Szenenbildner mit
unseren Bildern - die ins Unterbewußtsein gehen müssen, ja sollen - Dinge
prägen: Vorlieben, Abneigungen, Moden, Geschmack. Das nehme ich sehr
ernst. Weil ich jemand bin, der sich von diesem ganzen Schickimicki und
diesen von Geld geprägten Dingen sehr absetzt. Mir sind die Nobeldinge nicht
so wichtig. Immer vorausgesetzt, daß ich eine Geschichte interpretiere. Aber
die feinen Dinge, die sich in den Luxusvillen abspielen, die interessieren mich
ein bißchen weniger.
aim: In dem Moment, wo wir alle nur noch Filme sehen, die in der Luxusvilla
mit dem Fabrikanten spielen, findet ein großer Teil von Wirklichkeit nicht mehr
statt?
Bauert: Genau das ist der Punkt. Da sage ich: Danke, das interessiert mich
nicht. Mich interessieren schöne, menschliche Geschichten. Ich sehe zum
Beispiel gerne türkische, indische, aber auch englische oder irische Filme.
Oder Filme aus Asien, wenn sie gute Geschichten erzählen.
aim: Haben Sie mal überlegt, selber Regie zu machen?
Bauert: Ich habe eine Hochachtung vor guten Regisseuren und ich werde den
Kreis der Dilettanten nicht noch vermehren. Ich versuche meinen Beruf so gut
wie möglich zu machen. Es ist mir auch angeboten worden, aber ich habe
kategorisch abgelehnt. Das sollten die Leute machen, die es können. Es gibt
sehr wenige, die es können. Was mir Spaß macht, sind Regisseure, die
sehen, wie Vilsmeier. Das sind mir die Liebsten. Es gibt Regisseure, die
können nicht sehen. Kameramann-Regisseure habe ich gerne. Oder Gernot
Roll: Der geht zu einem Set und weiß ganz genau, was Sache ist. Ob es gut
ist, ob es sich umsetzt oder nicht. Das ist schön.
aim: Wenn man an einem Film wie Das Boot mit arbeitet, weiß man
irgendwann, daß das ein Welterfolg wird?
Bauert: Im Gegenteil. Ich war ganz verblüfft, daß das so ein Erfolg wurde. Ich
hab da nicht dran geglaubt, an die dreiundvierzig Jungs, die da in der Kiste
versteckt sind, im Mief, im Dreck. Ich wußte, daß das ein guter Film wird, das
kristallisierte sich heraus während der Dreharbeiten. Aber ein Erfolg? Das
weiß man nie. Ich wußte auch nicht, daß der Bewegte Mann ein Erfolg wird
oder Knocking‘ on Heaven’s Door
aim: Man ahnt es nicht während der Dreharbeiten?
Bauert: Ich kann nur sagen: das ist ein Film, ein Stoff, den ich gut finde und
ich würde mir wünschen, daß viele Leute das auch empfinden. Aber es gibt
kein Rezept. Wenn es Rezepte gäbe, dann würde es nur erfolgreiche Filme
geben. Das hängt von so viel Dingen ab: von der Konkurrenz und vom
Zeitgeist. Der bewegte Mann hat irgendeinen Nerv zu dem Zeitpunkt getroffen.
Und dann rasen sechs Millionen Leute ins Kino. Was uns alle sehr gefreut
hat, was wir alle gerne möchten. Ich empfinde Filme-Machen nicht nur als
Kunst, sondern als wirtschaftliches Unternehmen, das habe ich von den
Amerikanern gelernt. Hier in Deutschland war es immer hehre Kunst. Das ist
es nicht. Ein Film kann Kunst sein, aber meistens ist es ein kommerzielles
Unternehmen.
aim: Wenn Sie erzählen, habe ich das Gefühl, Sie haben dabei ein großes
Vergnügen..?
Bauert: Es ist der schönste Beruf der Welt. Man hat seine Nackenschläge,
wenn man auf der Suche nach einem geeigneten Drehort am unwilligen
Pförtner scheitert. Aber die Erfolgserlebnisse sind toll. Ich habe mich in
Duisburg zum Beispiel verfahren und ein Viertel entdeckt, was abgerissen
wird. Vollkommen intakt, aber leer. Wunderbare Wohnhäuser, da wird
demnächst Aldi-Land passieren. Ich hab nicht nach diesem Viertel gesucht,
aber ich habe es gefunden. Ich hoffe, daß das Viertel nicht abgerissen ist, bis
wir drehen werden. Ich wünsche mir, daß da eine bestimmte Szene in dieser
merkwürdigen Atmosphäre spielt!
aim: Wenn jemand Szenenbildner werden will: was soll er tun, was soll er
lernen?
Bauert: Er soll viel ins Kino gehen, sich angucken, wie Filme gemacht werden
- gute wie schlechte. Er sollte versuchen zu assistieren. Praxis ist meines
Erachtens das Allerwichtigste. Er sollte auf die neu eingerichtete Filmschule
NRW gehen. Es gibt zwei oder drei andere Möglichkeiten: in Rosenheim oder
Berlin. Alles Handwerkliche kann man gebrauchen: Zeichnen, Malen,
Schreinern, Fotografieren. Alles was im Leben vorkommt, kommt im Film vor.
Jedes Projekt ist anders. Es gibt keine Fertigkeit, die man nicht verwenden
kann.
aim: Wie sind die Chancen für Frauen?
Bauert: Als ich anfing, war ich eine der ersten Frauen, die das machte. Es
gab eine berühmte Ita Maximowna und noch zwei, drei große Damen. Hanna
Jordan, nicht zu vergessen. Ansonsten waren es alles Männer. Der erste
Mann, bei dem ich assistieren wollte, hat gesagt: „Ich kann Damen mit
Stöckelschuhen im Malersaal nicht gebrauchen." Damit hat er mich
abgelehnt. Ich hatte aber keine Stöckelschuhe, er hatte sich also vertan, aber
egal. Heute gibt es viele Frauen, die diesen Beruf ergreifen. Wir haben an der
Filmschule festgestellt, daß es neunzig Prozent Frauen sind, die sich da
melden!
aim: Wie ist das mit dem Einsatz von Computertechnologien?
Bauert: Ich gehöre einer Generation an, die ohne Computer arbeitet. Ich habe
zwanzig, dreißig, Jahre mit Zeichnen und handgeschriebenen Listen mein
Leben verbracht. Es wird beides nebeneinander existieren. Die virtuellen
Geschichten werden mehr werden und ich finde es auch recht spannend. Ich
bin verblüfft. Es gibt da Möglichkeiten, die man in einer herkömmlichen,
dreidimensionalen Szenenbildnerei nicht hat. Da sollte man durchaus diese
Techniken benutzen. Wer sie beherrscht, den kann ich nur beglückwünschen.
aim: Verändert sich dadurch der Berufszweig?
Bauert: Er hat sich schon gespalten. Die Leute um Roland Emmerich,
beispielsweise, sind Spezialisten, die aber wiederum zu spezialisiert sind und dadurch zu teuer - um einen Tatort auszustatten. Die haben andere
Fähigkeiten. Aber das kann wunderbar nebeneinander existieren.
aim: Sind das Schulen, die sich auseinander entwickeln?
Bauert: Das kann schon sein. Aber das ist kein Problem. Man hat immer
gesagt, das Theater wird nicht mehr existieren, wenn es Fernsehen gibt.
Bücher sollten verschwinden als die Computer kamen. Das Tolle ist, das alles
nebeneinander existieren kann. Meines Erachtens beeinflußt und befruchtet
es sich gegenseitig. Ich finde Comic strip, Fotografie befruchten auch die
Malerei. Alles, was es im Leben gibt, muß in Kunst einfließen. Das ist das
Spannende.
aim: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch mit Monika Bauert führte Anne Schulz.
Zum Weiterlesen?
Teo Otto, Meine Szene, Kiepenheuer & Witsch, Köln Berlin, 1965
Ita Maximowna, Bühnenbilderbuch, Wasmuth Verlag, Tübingen,1982
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der sk stiftung jugend und medien - Im Mediapark 7 - D-50670 Köln

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