Die Besteigung der Zugspitze
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Die Besteigung der Zugspitze
trekking DEUTSCHLAND Touristen aus aller Welt fahren täglich mit der Bergbahn auf den höchsten Gipfel Deutschlands. Bergläufer erklimmen die Zugspitze in wenigen Stunden. Doch wer das Naturerlebnis sucht, kombiniert die schönsten Abschnitte durch die Höllentalklamm, das Reintal und über das Zugspitzplatt zu einer viertägigen Trekkingtour. Astrid Därr beschreibt hier die entsprechende Route. Der Gipfel der Gefühle Die Besteigung der Zugspitze Text/Bilder: Astrid Därr Es schneit und schneit und schneit – und das im August! Seit Wochen zeigt die Panoramakamera das goldene Kreuz auf der Zugspitze weiß überzuckert. Ein Aufstieg über die steile Leiter zum ausgesetzten Gipfelfelsen scheint bei diesen Bedingungen undenkbar. Doch endlich, Anfang September, kündigt der Wetterbericht Sonne an: auf zur Zugspitze, dem höchsten Gipfel Deutschlands! Wildes Höllental Wie eine gigantische, zackige Mauer zeichnet sich das Wettersteingebirge bei der Anfahrt nach Garmisch-Partenkirchen am Horizont ab. Die Morgensonne taucht den Waxenstein in rotes Licht, als wir am Parkplatz der Kreuzeckbahn unsere Rucksäcke packen. Wir planen eine vier- tägige Wanderung auf und um das Zugspitzmassiv. Dabei kombinieren wir die schönsten Abschnitte verschiedener Aufstiegsrouten. Trotz Sonnenschein wird es erstmal nass: Über glitschige Felsen, hölzerne Stege und durch feuchte Tunnel führt der Weg durch die Höllentalklamm. Von oben tropft es stetig auf unsere Köpfe. Kleine Kaskaden fallen die Steilwände hinunter in den rauschenden Hammersbach, in dessen Gumpen sich mitgerissene Baumstämme sammeln. Im Winter füllt sich die enge Klamm bis zu 70 Meter hoch mit Schnee von abgegangenen Lawinen. Jedes Frühjahr muss sie aufs Neue von den Eisund Schneemassen befreit werden. Schon im 19. Jh. schürften hier Bergarbeiter in Stollen nach Bleierzen und Molybdän. Der 1.000 Meter lange Steig wurde 1905 für Touristen geöffnet. Zugspitze Mit 2.962 Metern Höhe ist die Zugspitze der höchste Berggipfel Deutschlands und des Wettersteingebirges in den Ostalpen. Das Zugspitzmassiv liegt südwestlich von GarmischPartenkirchen und im Norden Tirols. Die Grenze zwischen Deutschland und Österreich verläuft über seinen Westgipfel. Südlich des Gipfels liegt das Zugspitzplatt (Karst-Hochfläche mit zahlreichen Höhlen). Auf den Gipfel der Zugspitze führen drei Seilbahnen. Hinter der Klamm kommt zum ersten Mal der Gipfel in Sicht: Hoch über dem Höllentalferner thront das Münchner Haus auf den grauen Kalkfelsen. Weiter aufwärts entlang des glasklaren Ge- birgsbachs erreichen wir die Großbaustelle der Höllentalangerhütte (1.387 m): schwere Baumaschinen inmitten wilder Bergkulisse. Ein hochmoderner, lawinensicherer Neubau soll die 1893 von der Sektion München errichtete Hütte an gleicher Stelle ersetzen. Ab Mitte 2015 finden hier bis zu 100 Bergsteiger einen Lagerplatz. Wir wählen nicht die direkte Route über den Gletscher Richtung Gipfel, sondern steigen hinter der Hütte auf dem so genannten Minenweg bergauf. Von den verfallenden Knappenhäusern (1.527 m), einst Basis für den Bergbau an der Zugspitze, sind es nur noch 200 schweißtreibende HöAusblick ins Tal henmeter bis zum Huvon den Knappenhäusern. pfleitenjoch (1.754 m). Auf der anderen Seite des Einschnitts sieht es weniger naturbelassen aus: Hier bieten die Hochalmbahn und die Alpspitzbahn auch konditionsschwachen Wanderern Zugang in luftige Höhen. Die von Naturschützern stark kritisierte Stahlplattform AlpspiX ragt in 2.080 Metern Höhe aus der Flanke des Osterfelderkopfs. Fun-Touristen blicken auf den durchsichtigen Gitterrost-Stegen 1.000 Meter tief hinunter ins Höllental. Vorbei an einem Wald aus Schildern, Info- und Panoramatafeln wandern wir zum Kreuzeckhaus (1.652 m), Bergstation der Kreuzeckbahn und unser heutiges Tagesziel. Bei einem Apfelstrudel genießen wir das spektakuläre Panorama auf die im Abendlicht glühenden, schroffen Gipfel von Alpspitze, Hochwanner und Dreitorspitze. Blick vom Gatterl über das Zugspitzplatt bis zum Münchner Haus hoch oben (links). Kleine Rast am Bernadeiensteig (unten ganz links). – Die letzte Etappe zum Gipfel führt über einen versicherten Steig (unten links). Am Partnachstrand Am zweiten Tag steht uns eine aussichtsreiche Wanderung auf dem Bernadeinsteig bevor. Der Höhenweg schlängelt sich durch duftende Latschenkiefern den Berghang entlang – mit Weitblick über das Werdenfelser Land bis nach München. Pilzförmig erodierte Karstfelsen thronen wie Riesenfinger am Wegesrand. In leichtem Auf und Ab durch lichten Wald geht es am Abzweig zur Stuibenhütte vorbei und schließlich steil hinab ins Reintal. Auf der anderen Talseite thront ein großes Anwesen auf dem Bergkamm: eine Hütte, ein Bergbauernhof? Nein, das Schachenschloss – eines der Refugien von König Ludwig II., der sich gerne mitsamt seinem Gefolge in die Berge zurückzog. Von der Bockhütte (1.052 m) am Ufer der türkisblauen Partnach folgen wir dem flachen Schotterweg das Reintal flussaufwärts. Nach lang anhaltenden Regenfällen wie im letzten Sommer schwillt der Gebirgsbach bedrohlich an, reißt Bäume und Fußgängerbrücken mit sich. Schuttrinnen, Geröllfelder und die 1.400 Meter steil abfallende Nordwand des Hochwanners (2.744 m) bilden eine wilde Hochgebirgsszenerie. Vor dem letzten Anstieg rauscht ein Wasserfall tosend in die Tiefe, wenig später ist die Reintalangerhütte (1.369 m) erreicht. Müde Wanderer lassen sich unter den Sonnenschirmen am breiten Kiesufer ein Weißbier schmecken – am legendären »Partnach-Lido« kommt fast mediterranes Flair auf. Im Inneren der 1912 erbauten Reintalangerhütte vermischt sich bayerische Gemütlichkeit mit einem Hauch Himalaya-Feeling. Tibetische Seidenschals, Gebetsfahnen und Bilder dokumentieren die besondere Beziehung des früheren Hüttenwirts Charly Wehrle zu Nepal, der 2008 ein »Musiktrekking zum Dach der Welt« unternahm. Auch das Team des jungen Hüttenwirts Simon Neumann pflegt die musikalische Tradition. Beim Abendessen in der voll besetzten, urigen Stube erzählt Simon vom Hüttenalltag und nimmt eine Wandergruppe auf den Arm, die nach dem leichten Abstieg über das Zugspitzplatt noch immer im kompletten Klettersteigset am Tisch sitzt. Als Betthupferl singen uns Simon und die »Reintalpeople« noch ein Gstanzl mit Hackbrett und Gitarre, dann kriechen wir müde in den Hüttenschlafsack. Der Gipfel(an)sturm Der dritte Tag beginnt um 6 Uhr mit einem besonderen Weckruf: Simon und sein Team singen im Gang vor den Lagern ein Morgenlied. Heute dürfen wir keine Zeit vertrödeln, denn vor uns liegen 1.600 Höhenmeter Aufstieg, und das vorausgesagte Gewitter sollte uns nicht am Felsgrat vor dem Zugspitzgipfel erwischen. Nach wenigen Gehminuten erreichen wir den Talschluss am Oberen Anger. Ab jetzt geht’s in engen Kehren bergauf, bis wir nach zwei Stunden die Knorrhütte (2.051 m) in hochalpiner Kulisse erreichen. Wir wärmen uns mit einem heißen Tee auf und lagern unsere Sachen für die Nacht zwischen. Der Bergweg führt weiter über die verkarstete Mondlandschaft des Zugspitzplatts. Dicke, graue Wolken vernebeln uns die Sicht. Bei dichtem Nebel fällt die Orientierung auf dem weiten Plateau ohne markante Geländeformen schwer. An der Station Sonnalpin müssen wir eine Entscheidung fällen: Weiterer Aufstieg über den drahtseilversicherten, teilweise ausgesetzten Steig, oder die un- INFOBOX Charakter Fünf unterschiedlich schwierige Routen führen auf die Zugspitze: durch das Reintal, von der Ehrwalder Alm über das Gatterl, über das Österreichische Schneekar, durch das Höllental und über den Jubiläumsgrat. Die Route über den Höllentalferner erfordert Gletschererfahrung. Für die Kletterei über den Jubiläumsgrat benötigt man absolute Schwindelfreiheit und eine ausgezeichnete Kondition. Die hier beschriebene Tour kombiniert mehrere Routen und ist für jeden trittsicheren Wanderer mit alpiner Erfahrung machbar. Etappen Tag 1: Höllentalklamm – Höllentalangerhütte – Hupfleitenjoch – Kreuzeckhaus; 4–5 Std. Gehzeit, ca. 1.050 Höhenmeter Aufstieg Tag 2: Kreuzeckhaus – Bernadeinsteig – Bockhütte – Reintalangerhütte; ca. 5 Std. Gehzeit, 300 m Aufstieg, 600 m Abstieg. Tag 3: Reintalangerhütte – Knorrhütte – Station Sonnalpin – Gipfel – Knorrhütte; 6–8 Std. Gehzeit, ca. 1.600 m Aufstieg, ca. 1.000 m Abstieg Kartenquelle: Verlag Esterbauer GmbH, 2015; www.esterbauer.com Beste Zeit Ende Juni bis Anfang September. Auch im Sommer sind Minustemperaturen und Schnee auf der Zugspitze keine Seltenheit – unbedingt den Bergwetterbericht beobachten! Übernachtung Kreuzeckhaus (1.652 m), Tel. 08821 2202; www.kreuzeckhausgapa.de. Mitte Mai bis Anfang November, 58 Schlafplätze im Mehrbettzimmer, 43 Schlafplätze im Matratzenlager. Reintalangerhütte (1.369 m), Tel. 08821 7089743; www.reintal.de. Mitte Mai bis Mitte Oktober, 20 Betten, 70 Matratzenlager. Knorrhütte (2.051 m), Tel. 0151 14443496; www.knorrhuette.de. Ende Mai bis Mitte Oktober, 28 Zimmerlager, 80 Matratzenlager. Tag 4: Knorrhütte – Gatterl – Ehrwalder Alm (1.500 m) bzw. Ehrwald (990 m), 2–4 Std. Gehzeit, ca. 200 m Aufstieg, 600 bzw. 1.100 m Abstieg Münchner Haus (2.959 m), Tel. 08821 2901; www.muenchner-haus.de, www.muenchnerhaus.wachterhaus.com. Mitte Mai bis Anfang Oktober, 30 Matratzenlager. Je nach Kondition kann die Runde beliebig abgekürzt werden. Die Höllentalangerhütte (1.387 m) eröffnet Mitte 2015. Anreise Fernzüge nach Garmisch-Partenkirchen, von dort mit der Zugspitzbahn nach Hammersbach. Vom Endpunkt in Ehrwald mit dem Zug nach Garmisch-Partenkirchen, dann per Bus oder Zugspitzbahn zurück zum Ausgangspunkt. Bücher/Karten »Rund um die Zugspitze« von Dieter Seibert (Bergverlag Rother; ISBN 978-3-7633-4264-8; 12,90 Euro); »Bruckmanns Wanderführer: Zugspitze und Umgebung« von Markus und Janina Meier (Bruckmann Verlag; ISBN 978-3-76544917-8; 12,99 Euro); Hikeline-Wanderführer Auf der Sonnenterrasse des Kreuzeckhauses genießt man ein herrliches Panorama (links). – Ab der Knorrhütte wird die Kulisse hochalpin (unten links). sportliche Fahrt mit der Seilbahn? Matschiger Schnee liegt im steilen Geröllhang vor uns, hinter uns türmen sich schwarze Wolken. Hält das Wetter noch für zwei Stunden? Wie rutschig ist der Schnee auf dem Weg? Ein paar blaue Flecken am Himmel lassen auf Besserung hoffen, und so setzen wir zum Gipfelsturm an. Auf Höhe der meteorologischen Station Schneefernerhaus beginnt schließlich der versicherte Steig. Nicht ganz schwindelfreie Wanderer hängen sich hier mit einem Klettersteigset ins Drahtseil ein. Der Blick fällt weit nach unten auf die riesige Hochfläche des Zugspitzplatts und auf den Nördlichen Schneeferner. Im Winter wedeln Skifahrer über Deutschlands größten Gletscher. Sogar jetzt rutschen einige Besucher der Sonnalpin Station mit dem Schlitten den Hang hinunter. Wie zur Belohnung scheint uns die Sonne auf die Nase, als wir auf rund 2.800 Metern den Grat erreichen. Nur noch 100 Höhenmeter und schon ste36 »Rund um die Zugspitze« (Verlag Esterbauer; ISBN 978-3-8500-0578-4; 14,90 Euro); »Die Zugspitze – Sicher auf den höchsten Berg Deutschlands«: Broschüre mit Infos zu den Routen und Hütten. Download unter www. alpenverein.de/DAV-Services/Broschueren/; Alpenvereinskarte AV 4/2, Wetterstein- und Mieminger Gebirge Mitte (1:25.000) Infos Tourist-Info, Rathausplatz 1, 82467 GarmischPartenkirchen, Tel. 08821 180700; www.gapa.de Ferienregion Zugspitzland, Am Gern 1, 82490 Farchant, Tel. 08821 961635; www.zugspitzland.de Links www.zugspitze.de, www.ehrwalderalmbahn.at www.zugspitze.panomax.de hen wir, umgeben von japanischen und amerikanischen Touristen, auf der Panoramaplattform des Münchner Hauses (2.959 m). Wir steigen über das Geländer, das die Touristen von den (vermeintlichen) Alpinisten trennt und balancieren über ein schmales Band zur Eisenleiter auf den glitschig-feuchten Gipfelfelsen. Links und rechts fallen die Wände mehrere hundert Meter in die Tiefe ab. Vorsichtig kraxeln wir zum über vier Meter hohen, vergoldeten Gipfelkreuz – endlich stehen wir auf dem höchsten Punkt Deutschlands, auf 2.962 Metern Höhe! Die Gipfeleuphorie möchten sich auch drei Inder nicht entgehen lassen, die mit Stoffhalbschuhen und Strickpulli hinter uns her klettern. Bergeinsamkeit sucht man auf der Zugspitze vergeblich: In den Sommermonaten fahren bis zu 3.500 Touristen täglich mit einer der drei Seilbahnen zum 1897 errichteten Münchner Haus hinauf. Nach der wohlverdienten Einkehr in »Deutschlands höchstem Biergarten« ziehen auch wir die schnelle Bahnabfahrt zur Sonnalpin Station vor. Auf dem Zugspitzplatt erwischt uns doch noch der Regen. Gegen 17 Uhr erreichen wir pitschnass, aber glücklich die Knorrhütte und freuen uns auf den entspannten, zweieinhalbstündigen Abstieg zur Ehrwalder Alm am nächsten Tag. ■ trekkingmagazin 4/2015