Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems zur

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Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems zur
Simulation in Production
and Logistics 2015
Markus Rabe & Uwe Clausen (eds.)
Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2015
Prototyp eines simulationsbasierten
Assistenzsystems zur
Entscheidungsunterstützung bei der Pflege von
Planungsparametern eines ERP-Systems im
laufenden Betrieb
Prototype of a Simulation-based Assistance System to Support
Decision Making Regarding the Update of Material Planning
Parameters of an ERP System in Real Time
Ulrike Stumvoll, Thorsten Claus, TU Dresden, Dresden (Germany),
[email protected], [email protected]
Willi Ertl, Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg, Regensburg
(Germany), [email protected]
Abstract: In an Enterprise Resource Planning (ERP) System production planning is
influenced by a variety of parameters. Previous investigations have shown that the
setting of parameters is of high relevance. The setting should be checked and adjusted, e. g. after a change of environmental factors. This is done by material planners.
In practice it is difficult due to a large number of parameters, materials and other
reasons. In this paper a simulation-based assistance system is proposed to update
material planning parameters in real-time. The concept offers support to material
planners during all phases of decision processes. A prototype of the system will be
presented in this paper.
1
Einführung
Module zur Materialbedarfsplanung und Disposition sind wichtige Bestandteile von
ERP-Systemen. Mit Hilfe einer Vielzahl von Planungsparametern können die in diesen Systemen hinterlegten Algorithmen an die spezifischen Gegebenheiten in einem
Unternehmen angepasst werden. Pro Material können z. B. die Parameter Vorlaufzeit, Losgrößenheuristik und die Losgrößenmodifikatoren eingestellt werden, welche
die Materialbedarfsplanung beeinflussen. Die korrekte Einstellung der Parameter hat
auf die Kennzahlen Terminabweichung, Kapitalbindung und Durchsatz gravierende
Auswirkungen. Dies zeigen die von Dittrich et al. (2009) wiedergegebenen und mit
Hilfe von Simulation durchgeführten Untersuchungen.
300
Stumvoll, Ulrike; Ertl, Willi; Claus, Thorsten
Bei der Einstellung der Dispositionsparameter eines ERP-Systems wird zwischen
der Parameterinitialeinstellung und der Parameterpflege oder -optimierung im
laufenden Betrieb unterschieden. Die Parameter sind im laufenden Betrieb nach
einer wesentlichen Änderung von Umweltfaktoren oder des Produktionssystems,
mindestens jedoch einmal jährlich zu prüfen und ggfs. anzupassen (Jodlbauer 2008).
Vor jeder Durchführung der Materialbedarfsplanung sollte somit ein Disponent die
Entscheidung treffen, ob die Parameter im Hinblick auf das Zielsystem eines Unternehmens anzupassen sind. Das Treffen einer Entscheidung ist dabei kein punktueller
Akt sondern ein Vorgang, der sich im Zeitablauf vollzieht (Schiemenz und Schönert
2005). Der Entscheidungsprozess besteht aus den folgenden fünf Phasen: Anregung,
Suche, Auswahl, Vollzug und Kontrolle (Heinen 1985).
In diesem Beitrag wird das Konzept eines simulationsbasierten Assistenzsystems zur
Entscheidungsunterstützung bei der Pflege von Planungsparametern (SAEPP) eines
ERP-Systems im laufenden Betrieb aufgezeigt. Ziel dieses Beitrags ist es erstmals
den mit Plant Simulation Tecnomatix erstellten Prototypen sowie die Ergebnisse der
Anwendung des Konzepts für eine Schneckengetriebeproduktion vorzustellen. Dies
erfolgt in Kapitel 4 und 5. Zuvor werden in Kapitel 2 die Herausforderungen für
Disponenten bei der Parameterpflege skizziert und in Kapitel 3 das Konzept des
Assistenzsystems SAEPP beschrieben. Abgerundet wird der Beitrag durch einen
Ausblick in Kapitel 6.
2
Herausforderungen für Disponenten
Die Frequenz, in der die Planungsparameter in der Industrie überprüft werden, ist
relativ gering (Jonsson und Mattsson 2006). Dies liegt an einer Vielzahl an Herausforderungen. So ist z. B. allein für den Parameter Vorlaufzeit ein Wert im Bereich
von 0 bis 999.999 im SAP-System möglich. Zudem wird die Suche nach Handlungsalternativen z. B. dadurch erschwert, dass ein Disponent in einem Betrieb üblicherweise für mehr als 500 Artikel verantwortlich ist (Gulyássy et al. 2009), aber auch
dadurch, dass zwischen den einzelnen Parametern nichtlineare Effekte, positive
Verbund- und schädliche Nebenwirkungen auftreten können (Mertens et al. 1991).
Aufgrund der bestehenden Herausforderungen werden in vielen Unternehmen die
Parameter, nachdem sie einmal eingestellt wurden, meist nicht mehr angepasst.
In der Literatur wurden bereits Systeme zur Unterstützung von Disponenten vorgestellt. Ein wissensbasiertes Verfahren wurde z. B. von Wedel (1990) und Hartinger
(1995) entwickelt. Der Ansatz, dass PPS-Systeme selbst günstigere Einstellungen
mit Hilfe eines genetischen Algorithmus und einer Proberechnung ermitteln, wurde
von Kernler (1994) vorgestellt. Auf dem Markt vorhandene ERP-Systeme, wie z. B.
das SAP-System, bieten jedoch keine Unterstützung bei der Parameteroptimierung
(Gulyássy et al. 2009).
Die bestehenden Ansätze berücksichtigen im Rahmen der Willensbildung des Entscheidungsprozesses nur unzureichend die Kosten, die durch eine Änderung einer
Parametereinstellung entstehen. Zudem wurde die Unterstützung der Phase Kontrolle, in welcher die Zielerreichung der getroffenen Entscheidung bestimmt wird,
bisher nicht betrachtet. Durch das Assistenzsystem SAEPP wird ein Disponent in
allen Phasen des betrieblichen Entscheidungsprozesses bei der Pflege der Planungsparameter eines ERP-Systems im laufenden Betrieb unterstützt.
Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems
3
301
Konzept des simulationsbasierten Assistenzsystems
Einen Überblick über die einzelnen Bestandteile des Assistenzsystems SAEPP,
welches an ein ERP-System angeschlossen wird, gibt die nachstehende Abbildung 1.
Das System wurde, insbesondere in der Phase Suche und Kontrolle, gegenüber
Stumvoll et al. (2013) weiterentwickelt.
Abbildung 1: Bestandteile des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP
In der Komponente Administration des Systems SAEPP ist das Zielsystem eines
Unternehmens zu hinterlegen. Das Zielsystem ist eine zentrale Einflussgröße des
Entscheidungsprozesses (Heinen 1985). Von Wiendahl (2008) stammt das Zielsystem der Produktionslogistik. Dieses beinhaltet die Größen hohe Termintreue,
niedrige Durchlaufzeit, hohe Auslastung und niedrige Bestände sowie im Kern die
Wirtschaftlichkeit. Aus diesem Grund können in der Administration des Systems
SAEPP auch weitere finanzielle Größen, auf welche die Einstellung der Parameter
einen Einfluss hat, wie z. B. die Anzahl an Transportvorgängen hinterlegt werden.
Durch das jeweilige Unternehmen ist ein glaubwürdiges Simulationsmodell zur Verfügung zu stellen. Im Rahmen der Phase Anregung des Entscheidungsprozesses
wird die aktuelle Unternehmenssituation in das Simulationsmodell, welches in das
System SAEPP eingebunden ist, übernommen. In diesem Modell wird anschließend
ein Probebetrieb, unter Verwendung der aktuellen Parametereinstellung, durchgeführt. Dadurch werden die zukünftigen Auswirkungen auf die einzelnen Größen des
Zielsystems ermittelt.
Daran anschließend werden die Auswirkungen für die Unterlassungsalternative, im
sogenannten Bewertungsschema, bewertet. Für die Zielgrößen Auslastung und
Bestand ist es möglich, vorausgesetzt dass entsprechende Kostensätze vorliegen, die
Auswirkungen monetär zu bewerten. Die Umwandlung der Termintreue in Fehlmengenkosten ist jedoch hochbrisant. (Kernler 1994) Auch die monetäre Bewertung
der Durchlaufzeit ist schwierig. Aus diesem Grund wird im Rahmen des Bewertungsschemas die Kosten-Wirksamkeits-Analyse eingesetzt. Bei dieser Methode
wird die Nutzwertanalyse nur auf die nicht in Geldeinheiten (GE) quantifizierbaren
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Stumvoll, Ulrike; Ertl, Willi; Claus, Thorsten
Kriterien angewendet, wodurch eine Aussage über die Wirksamkeit einer Lösung
vorliegt. Kriterien, welche monetär bewertet werden können, gehen unverändert in
die Bewertung ein. Durch Division werden die Kosten- und Wirtschaftlichkeitszahlen zueinander ins Verhältnis gesetzt, wodurch sich die Kosten-WirksamkeitsKennziffer der Alternative ergibt. (Schulte-Zurhausen 2014)
In der Phase Suche des Entscheidungsprozesses werden, ausgehend von der aktuellen Parametereinstellung, Handlungsalternativen erzeugt. Für das Assistenzsystem
SAEPP wurde ein eigener Algorithmus zur Ermittlung alternativer Parametereinstellungen konzipiert. Dieser besteht aus zwei Teilen. Im regelbasierten Teil 1 wird
für einen Parameter eine Startlösung erzeugt. In Teil 2 des Algorithmus wird, unter
Verwendung der Heuristik Simulated Annealing, der Einstellungsvorschlag für den
betrachteten Parameter weiter verbessert. Diese Vorgehensweise wurde bereits von
Stumvoll et al. (2013) vorgestellt. Wird durch den Algorithmus eine alternative Einstellungskombination erzeugt, so werden mit Hilfe von Simulation wieder die
zukünftigen Auswirkungen bestimmt.
Nach Durchführung des Simulationslaufes werden für jede Alternative, im Rahmen
des Bewertungsschemas, Kosten- und Wirtschaftlichkeitszahlen ermittelt und die
zugehörigen Kennziffern berechnet. Die Anzahl der Replikationen sowie die
Vorgehensweise bei der Berechnung der einzelnen Kennzahlen, werden durch das
jeweilige Unternehmen definiert. Damit die Nutzwertanalyse durchgeführt werden
kann, ist eine Skala zur Bewertung der einzelnen Alternativen erforderlich. Im
Rahmen des Assistenzsystems SAEPP wird die beste bisher gefundene Lösung für
eine nicht monetär bewertbare Zielgröße mit 10 Punkten und die schlechteste
Lösung mit 1 Punkt bewertet. Für Lösungen dazwischen wird ein anteiliger Punktwert bestimmt. Bei der Bestimmung der Kostenzahlen können auch einmalige
Kosten, wie in Kapitel 4 näher ausgeführt, berücksichtigt werden. Durch die
Berücksichtigung von Strafkosten, deren Höhe vom letzten Zeitpunkt der Änderung
der Einstellung der Parameter abhängt, kann z. B. vermieden werden, dass eine
Planungsnervosität eintritt.
Die Phase Suche ist beendet, wenn eine Abbruchbedingung des Algorithmus zur
Ermittlung alternativer Parametereinstellungen erfüllt ist. Im Rahmen der anschliessenden Phase Auswahl wird die Alternative mit der kleinsten Kosten-WirksamkeitsKennziffer bestimmt. Hat die Unterlassungsalternative die kleinste Kennziffer, so
liegt zum aktuellen Zeitpunkt kein Handlungsbedarf bei der Pflege der Planungsparameter vor. Andernfalls liegt ein Verbesserungspotenzial und damit Handlungsbedarf vor. Dies wird einem Disponenten in der Ergebnisanzeige des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP angezeigt. Zur Visualisierung des Vorliegens
eines Handlungsbedarfs wird eine Ampelgrafik eingesetzt.
Auf Basis der in der Ergebnisanzeige dargestellten Informationen trifft ein Disponent die Entscheidung, ob die vorgeschlagene Alternative in das ERP-System übernommen wird. Für ein Assistenzsystem ist es kennzeichnend, dass eine Bestätigung
durch einen Anwender erforderlich ist, bevor eine Handlungsalternative automatisch
ausgeführt wird (Hauß und Timpe 2002). Liegt diese vor, so wird die vorgeschlagene Alternative im Rahmen der Phase Vollzug in das ERP-System übernommen,
wozu die in Abbildung 1 dargestellte Schnittstelle genutzt wird.
Das simulationsbasierte Assistenzsystems SAEPP wird eine definierte Zeitspanne
vor jeder Ausführung der Planungsverfahren im ERP-System gestartet. Nach dem
Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems
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Start wird sofort die Zielerreichung, der bei der letzten Ausführung getroffenen
Entscheidung, überprüft. Dazu wird ein Soll-Ist-Vergleich unter Verwendung der
Methode Validierung von Vorhersagen eingesetzt. Wird im Rahmen dieser Kontrollphase eine relevante Abweichung festgestellt, so sind zunächst die Ursachen mit
Hilfe einer Abweichungsanalyse zu bestimmen.
4
Prototyp des Assistenzsystems SAEPP
Das Konzept des Assistenzsystems SAEPP wurde exemplarisch für die Parameter
der programmorientierten Material- und Losgrößenplanung von eigengefertigtem
Material, in einem Prototyp realisiert. Dieser Prototyp umfasst die in Abbildung 1
dargestellten Bestandteile.
Als Simulationsmodell wird in dem Prototyp das Werkstattsimulationsmodell des
Innovationszentrums für Produktionslogistik und Fabrikplanung (IPF) der Ostbayerischen Technischen Hochschule verwendet. Das Simulationsmodell beinhaltet
einerseits die Planungsverfahren der Phase der Mengenplanung eines ERP-Systems
und eine Fertigungssteuerung, andererseits beinhaltet das Modell auch eine
Nachbildung einer Produktion, sodass ein Probebetrieb ermöglicht wird. (Herrmann
und Stumvoll 2010) Zu dem mit Plant Simulation realisiertem Modell wurden das
Bewertungsschema und der Algorithmus zur Ermittlung alternativer Parametereinstellungen des Assistenzsystems SAEPP hinzugefügt. Die vorgenommene Weiterentwicklung umfasst ca. 2.000 Quellcodezeilen. Während der Entwicklung wurden
u. a. die Verifikations- und Validierungstechniken, Test von Teilmodellen, Dimensionstest und Schreibtischtest eingesetzt. Zudem wurde der Ablauf in Aktivitätsdiagrammen dokumentiert.
Die Realisierung der Administration, Ergebnisanzeige und Kontrollkomponente ist
nicht im Werkstattsimulationsmodell des IPF erfolgt. In der Software Plant Simulation wäre es sehr schwierig und zeitaufwändig gewesen, eine ansprechende
Bedienoberfläche zu schaffen. Deshalb wurde für diese Bestandteile des Systems
SAEPP Microsoft Excel verwendet. Da Plant Simulation Dynamic Data Exchange
(DDE) unterstützt, ist die Anbindung von Dateien im .xlsx-Format an das Modell
des IPF möglich. So kann das Simulationsmodell aus Excel heraus gesteuert werden.
Zudem können aus dem Modell Daten in eine Excel Datei geschrieben oder von
dieser ausgelesen werden. (Bangsow 2008)
Im nachstehenden Kapitel 5 wird die Anwendung des erstellten Prototyps für ein
Fallbeispiel aus der Literatur beschrieben. In diesem Beispiel stehen somit kein
reales ERP-System und keine Produktion zur Verfügung. Es wird daher stellvertretend wieder das Werkstattsimulationsmodell des IPF verwendet.
5
Ergebnisse der Anwendung des Systems SAEPP für
eine Schneckengetriebeproduktion
In diesem Kapitel wird das verwendete Fallbeispiel beschrieben. Anschließend wird
aufgezeigt, welche Einstellungen in der Administration des Systems SAEPP vorgenommen worden sind.
304
5.1
Stumvoll, Ulrike; Ertl, Willi; Claus, Thorsten
Beschreibung des verwendeten Fallbeispiels
Das in diesem Beitrag verwendete Fallbeispiel basiert auf einer Dokumentation von
Prêt (2015), welcher wiederum Daten u. a. von der Firma G.U.N.T. Gerätebau
GmbH Hamburg erhalten hat. Schneckengetriebe werden z. B. in Fahrantrieben von
Kränen, Wischerantrieben von Kraftfahrzeugen oder Rolltreppen eingesetzt. Ein
Schneckengetriebe umfasst im Beispiel von Prêt (2015), die in nachstehender
Abbildung 2 dargestellten, eigengefertigten Materialien.
Abbildung 2: Stückliste des Fallbeispiels Schneckengetriebeproduktion
In der Ausarbeitung von Prêt (2015) ist, mit Ausnahme von dem Schneckengetriebe,
auch dokumentiert, an welchen Arbeitsplätzen die einzelnen Produkte bearbeitet
werden und wie dabei die Rüst- und Bearbeitungszeiten sind. Für die Montage des
Getriebes wurden entsprechende Annahmen getroffen. Die betrachtete Fertigung
besteht aus zehn unterschiedlichen Arten von Betriebsmitteln. In der Produktion
sind die 19 vorhandenen Maschinen nach dem Werkstattprinzip angeordnet.
Ebenfalls sind in der Dokumentation von Prêt (2015) die Rüstkosten pro Material
sowie der Zinssatz der Lagerung angegeben. Diese Kostendaten werden u. a. zur
Bewertung der Auswirkungen einer Parametereinstellung im Assistenzsystem
benötigt (siehe Kapitel 5.2). Zudem kann aus der Ausarbeitung entnommen werden,
von welcher Fertigungslosgröße ausgegangen wird. Diese Information wird für die
Einstellung der Planungsparameter in der Ausgangssituation verwendet. Da aus dem
Beispiel von Prêt (2015) keine Information über die Einstellung des Parameters
Vorlaufzeit entnommen werden kann, wird für jedes Material eine der
Fertigungslosgröße angepasste Annahme getroffen.
Die von Prêt (2015) beschriebene Fertigung ist auf eine Produktion von 33.000 bis
35.000 Schneckengetrieben pro Jahr ausgelegt. In der Ausgangssituation werden
Kundenaufträge erzeugt, durch welche die Produktion nicht vollständig ausgelastet
ist. Zum Zeitpunkt t1 wird die Höhe der eingehenden Kundenaufträge deutlich
angehoben. Dies stellt eine Veränderung der Umweltfaktoren dar, welche dazu
führen kann, dass die Einstellung der Parameter anzupassen ist (siehe Kapitel 1).
Durch die Anwendung des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP wird ein
Disponent bei der Entscheidung, ob die Parameter zum aktuellen Zeitpunkt
anzupassen sind, unterstützt.
5.2
Einstellungen in der Administration des Systems SAEPP
Vor der ersten Ausführung des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP sind
Informationen über den Zeitpunkt des Planungslaufes des ERP-Systems im jewei-
Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems
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ligen Betrieb in der Administration zu hinterlegen. Zudem sollte die initiale
Konfiguration des Algorithmus zur Ermittlung alternativer Parametereinstellungen
kontrolliert werden. Ebenfalls sollten die Schwellenwerte der Ampelgrafik, d. h. ab
wann eine rote bzw. gelbe Ampel angezeigt wird, geprüft werden. Im Fallbeispiel
wird eine rote Ampel bei einem Verbesserungspotenzial von > 25 % angezeigt.
Darüber hinaus ist in der Administration, wie in Kapitel 3 erwähnt, das Zielsystem
zu hinterlegen. Die nachstehende Abbildung 3 zeigt die Einstellungen im Abschnitt
Zielsystem.
Verspätung Mittelwert
Ziel
Verspätung Standardabweichung
grö
Durchlaufzeit Mittelwert
ßen
Durchlaufzeit Standardabweichung
Gewichtung
30
30
20
20
Bestand
Maschinenlaufzeit
Rüstkosten
Transportkosten
Dokumentationskosten
Kosten für Qualitätsprüfungen
0,08 GE / pro Stück pro Periode gelagert
33,68 GE / pro Stunde
32,64 - 104,86 GE / Rüstvorgang (poduktspezifisch)
2,00 GE / Transportvorgang
6,00 GE / Rüstvorgang
42,00 GE / Rüstvorgang
finanzielle Zielgrößen
∑ = 100
Transporthilfsmittel erforderlich
Mitarbeiterinformation erforderlich
Lieferanteninformation erforderlich
Strafkosten (Planungsnervosität)
falls ja, 50 Stück für 5.000,00 GE
falls ja, einmalig 800,00 GE
falls ja, einmalig 500,00 GE
nach vier Ausführungszeitpunkten 2.500,00 GE
Abbildung 3: Hinterlegtes Zielsystem in der Administration im Fallbeispiel
Die Auswirkungen auf die Größen Verspätung und Durchlaufzeit werden, aufgrund
der problematischen Umwandlung, nicht monetär bewertet (siehe Kapitel 3). Für
diese Kennzahlen wird, wie in Abbildung 3 dargestellt, jeweils der Mittelwert und
die Standardabweichung bestimmt. In diesem Fallbeispiel wird angenommen, dass
dem Unternehmen eine hohe Termintreue wichtiger als eine geringe Durchlaufzeit
ist. Dies wird bei der Nutzwertanalyse durch unterschiedliche Gewichtungsfaktoren
berücksichtigt.
Bei der Bewertung einer Alternative werden zudem die Auswirkungen auf finanzielle Zielgrößen, wie z. B. Bestand, Maschinenlaufzeit und Rüstkosten berücksichtigt. Die durch die Simulation gewonnenen Produktablaufinformationen werden
dazu mit den hinterlegten Kostendaten verknüpft, d. h. es erfolgt eine nachgelagerte
Kostensimulation. (VDI3633-7) Die in Abbildung 3 abgebildeten Kostensätze
wurden, soweit vorhanden, aus Prêt (2015) übernommen. Andernfalls wurden
entsprechende Annahmen getroffen. Es sei erwähnt, dass diese Sätze mit Hilfe der
Maschinenstundensatz- bzw. Prozesskostenrechnung bestimmt werden können.
Zur Vermeidung einer Planungsnervosität können, wie in Kapitel 3 erwähnt, in der
Administration auch Strafkosten hinterlegt werden. Im Fallbeispiel wurde darüber
hinaus definiert, dass z. B. bei einer deutlich gestiegenen Anzahl an Transportvorgängen Kosten für die Beschaffung von weiteren Transporthilfsmitteln anfallen.
Diese einmaligen Kosten werden bei der Kosten-Wirksamkeits-Analyse ebenfalls
berücksichtigt.
306
5.3
Stumvoll, Ulrike; Ertl, Willi; Claus, Thorsten
Angezeigte Ergebnisse des Systems SAEPP
Für das in Kapitel 5.1 skizzierte Beispiel wurde das System SAEPP, mit dem in
Kapitel 5.2 beschriebenem Zielsystem, angewendet. Die in den Phasen Anregung,
Suche und Auswahl ermittelten Informationen werden einem Disponenten in der
Ergebnisanzeige des Assistenzsystems angezeigt. Diese beinhaltet eine Ampelgrafik,
die angibt, ob ein Handlungsbedarf bei der Pflege der Parameter zum aktuellen
Zeitpunkt vorliegt. Die nachstehende Abbildung 4, welche ebenfalls Bestandteil der
Ergebnisanzeige ist, zeigt das Bewertungsschema für die genannten Alternativen. Im
oberen Bereich der Abbildung ist das Ergebnis der Nutzwertanalyse dargestellt. Das
Ergebnis der Kostensimulation sowie die sich daraus ergebende KostenWirksamkeits-Kennziffer sind im unteren Bereich dargestellt.
Unterlassungsalternative
Bestand
Maschinenlaufzeit
Rüstkosten
Transportkosten
Dokumentationskosten
Kosten für Qualitätsprüfungen
417.770
11.741
46
185
46
46
finanzielle Zielgrößen
Verspätung Mittelwert
Ziel
Verspätung Standardabweichung
grö
Durchlaufzeit Mittelwert
ßen
Durchlaufzeit Standardabweichung
Ergebnis
26,63
4,36
15,69
9,44
Transporthilfsmittel erforderlich
Mitarbeiterinformation erforderlich
Lieferanteninformation erforderlich
Strafkosten (Planungsnervosität)
Kosten-Wirksamkeits-Kennziffer
0
0
0
0
Günstigste Alternative
Punkte Gewichtet Ergebnis
3,81
114,43
9,70
1,00
30,00
1,38
1,46
29,28
6,13
3,31
66,26
3,36
239,97
141.102
33421,60 GE
11.090
395436,04 GE
89
2298,99 GE
402
370,00 GE
89
276,00 GE
89
1932, 00 GE
0,00
0,00
0,00
0,00
433.734,63 GE
1.807,48
0
1
1
1
Punkte Gewichtet
10,00
300,00
9,47
284,20
10,00
200,00
10,00
200,00
984,20
11288,16 GE
373521,58 GE
4747,05 GE
804,00 GE
534,00 GE
3738,00 GE
0,00
800,00 GE
500,00 GE
2500,00 GE
398.432,79 GE
404,83
Abbildung 4: Ergebnis der Anwendung des simulationsbasierten Assistenzsystems
Durch den Algorithmus zur Ermittlung alternativer Parametereinstellungen wurden
in diesem Beispiel 107 Alternativen erzeugt. Bei der günstigsten Alternative hat
sich, mit einem Wert von 404,83 die kleinste Kosten-Wirksamkeit-Kennziffer
ergeben. Dieser Wert ist deutlich geringer als der von der Unterlassungsalternative
mit einem Wert von 1.807,48. Zum Zeitpunkt t1 wird dem Disponenten somit ein
Handlungsbedarf bei der Pflege der Parameter und damit eine rote Ampel angezeigt.
Der Anstieg der Kundenaufträge zum Zeitpunkt t1 hat zur Folge, dass sich bei
Beibehaltung der aktuellen Parametereinstellung im Vorhersagezeitraum eine
Verspätung von 26,63 Tagen (Mittelwert) bei einer Standardabweichung von
4,36 Tagen ergeben würde. Bei der günstigsten Alternative ergibt sich ein Mittelwert
von 9,70 Tagen und eine Standardabweichung von 1,38 Tagen. Der Mittelwert der
Durchlaufzeit beträgt 6,13 Tage und die Standardabweichung 3,36 Tage. Mit
Ausnahme von der Standardabweichung bei der Verspätung sind diese Ergebnisse
die besten ermittelten Lösungen. Dies geht aus Abbildung 4 hervor. Wie in Kapitel 3
definiert, wird die beste Lösung jeweils mit 10 Punkten bewertet.
Aus Abbildung 4 ist u. a. auch ersichtlich, welche Laufzeit und Prozessmengen sich
für die Zielgrößen, welche monetär bewertet werden, im Vorhersagezeitraum
Prototyp eines simulationsbasierten Assistenzsystems
307
ergeben haben. Bei der Laufzeit der Maschinen besteht zwischen der aktuellen
Parametereinstellung und der günstigsten Alternative nur ein geringer Unterschied.
Der Bestand ist hingegen bei der günstigsten Alternative im betrachteten Zeitraum
insgesamt deutlich kleiner, wodurch sich die Lagerkosten sehr stark reduzieren. Dies
ist darauf zurückzuführen, dass bei dieser Alternative deutlich kleinere Lose gebildet
werden. Die Bildung von kleineren Losen hat jedoch auch zur Folge, dass fast
doppelt so viele Rüstvorgänge durchgeführt werden müssen, wodurch diese Kosten
steigen. Neben diesen haben sich auch die Kosten für Dokumentationen und
Qualitätsprüfungen erhöht. Ebenfalls gestiegen ist die Anzahl an Transporten, was
wiederum auf die kleinere Losgröße zurückzuführen ist. Obwohl zu den Kosten der
günstigsten Alternative Kosten für die Information von Mitarbeitern und Lieferanten
sowie Strafkosten addiert werden, sind die Kosten geringer als bei der aktuellen
Parametereinstellung. Die Gesamtkosten der Unterlassungsalternative betragen
433.734,63 GE, wohingegen sich die der günstigsten Alternative nur auf
398.432,79 GE belaufen. Da die günstigste Alternative im Vorhersagezeitraum beim
Nutzwert und bei den Kosten besser ist als die Unterlassungsalternative, ergibt sich
ein kleinerer Wert für die Kosten-Wirksamkeits-Kennziffer. In diesem Beispiel
beträgt das Verbesserungspotenzial 77,06 %.
In der Ergebnisanzeige des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP wird
zudem der zur günstigsten Alternative gehörende Einstellungsvorschlag angezeigt.
Gegenüber der Unterlassungsalternative wurde vom Algorithmus zur Ermittlung
alternativer Parametereinstellungen die Einstellung der Losgrößenheuristik geändert.
Bei allen Produkten wird die Verwendung des Groff-Verfahrens empfohlen. Zudem
sollte die Einstellung der Vorlaufzeit bei allen Produkten, mit Ausnahme des
Gehäusedeckels, deutlich reduziert werden. Durch den Algorithmus zur Ermittlung
alternativer Parametereinstellungen wurde auch die Einstellung des Parameters
Minimale Losgröße betrachtet. Zum Zeitpunkt t1 konnte durch diesen Parameter
keine weitere Verbesserung der Kosten-Wirksamkeits-Kennziffer erreicht werden.
6
Ausblick
Der Prototyp, der in diesem Beitrag vorgestellten wurde, zeigt, dass es möglich ist,
das Konzept des simulationsbasierten Assistenzsystems SAEPP in Software
abzubilden. Auch wurde gezeigt, dass der Prototyp lauffähig ist und nachvollziehbare Ergebnisse liefert. Dies wird durch die Durchführung von weiteren
Fallbeispielen weiter verifiziert. Durch das simulationsbasierte Assistenzsystem
SAEPP werden Disponenten in allen Phasen des Entscheidungsprozesses bei der
Pflege der Parameter im laufenden Betrieb unterstützt. Aufgrund der hohen
wirtschaftlichen Relevanz der Parameter ist der Einsatz eines Hilfsmittels zur Entscheidungsunterstützung zielführend.
Weiterer Forschungsbedarf besteht bei multikriteriellen Optimierungsmodellen,
insbesondere in Situationen, bei denen die eingeführte Meta-Zielfunktion monetär
und nicht monetär bewertbare Zielgrößen umfasst.
Literatur
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308
Stumvoll, Ulrike; Ertl, Willi; Claus, Thorsten
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Zuletzt
geprüft am 7.3.2015.
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