R. McKitterick ua (Hrsg.): Old Saint Peter`s 2014-3-105 - H-Soz-Kult

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R. McKitterick ua (Hrsg.): Old Saint Peter`s 2014-3-105 - H-Soz-Kult
R. McKitterick u.a. (Hrsg.): Old Saint Peter’s
McKitterick, Rosamond; Osborne, John; Richardson, Carol M.; Story, Joanna (Hrsg.): Old
Saint Peter’s, Rome. Cambridge: Cambridge
University Press 2013. ISBN: 978-1-1070-41646.
Rezensiert von: Jochen Johrendt, Historisches
Seminar, Bergische Universität Wuppertal
Der Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die 2010 in Rom an der British School
stattfand. Sie widmete sich der Geschichte der
wohl bekanntesten Kirche der Christenheit
aus historischer, archäologischer, liturgischer
und – am stärksten berücksichtigt – kunsthistorischer Perspektive. Ein derartiges Unterfangen kann angesichts der monströsen Aufgabe selbstredend nur einzelne Mosaiksteine
erfassen, auch wenn in den letzten Jahren die
historische Erforschung der mit der Kirche
verbundenen Institution, des Kapitels von St.
Peter, erfreuliche Fortschritte gemacht hat.1
Einen umfassenden Überblick darf man dennoch von einem Sammelband sicherlich nicht
erwarten. Und so liegt der Schwerpunkt klar
auf der Zeit von Konstantin bis zum 9. und
im 15. Jahrhundert. Das 12.–14. Jahrhundert
findet damit – außer im Beitrag zur Veronika
und en passant – keine Berücksichtigung und
damit erstaunlicherweise die Zeit, in der immerhin zwei Kanoniker von St. Peter die Kathedra Petri bestiegen – Lothar von Segni als
Innozenz III. und Benedetto Caetani als Bonifaz VIII. – sowie zwei Archipresbyter, Hugolino Conti als Gregor IX. und Giangaetano Orsini als Nikolaus III. Doch der Sammelband
ist sehr stark auf das konkrete Objekt St. Peter
konzentriert, was sich bei der Fülle möglicher
Fragen und der Notwendigkeit, selbst bei 20
Beiträgen Aspekte auszuklammern, auch als
gut erweist.
Zu den Beiträgen im Einzelnen: Paolo Liverani (S. 21–34) beschäftigt sich mit der Rolle von St. Peter für die urbane Entwicklung
Roms, vor allem als Zentrum der Sozialfürsorge. Die Region um St. Peter scheint auch
durch Spenden von Heiden unabhängig von
kirchlichen Bestrebungen im 4. Jahrhundert
ein Ort der Sozialfürsorge gewesen zu sein.
Institutionell verfestigt in den „Armen von
St. Peter“ sorgte auch Theoderich der Große explizit für deren Versorgung, unter dem
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die Peterskirche eine entscheidende Aufwertung erfuhr. Richard Gem (S. 35–64) zeichnet
anhand von historiographischen, epigraphischen und archäologischen Zeugnissen den
Bau der Basilika von den 320er-Jahren bis
in die Mitte des 4. Jahrhunderts nach, als
sie ihre endgültige Form erhalten habe. Lex
Bosman (S. 65–80) untersucht die in Texten
des 16. Jahrhunderts mehrfach dokumentierte
Verwendung von Spolien in der Petersbasilika. Er verdeutlicht, dass etwa in Hinsicht auf
die Säulen mit ihren Basen bei weitem nicht
alle als Spolien angesprochen werden können.
Sie dürften auf Material zurückgehen, das in
Rom nach wie vor als unbearbeitetes Baumaterial vorhanden gewesen sei. Olof Brandt
(S. 81–94) interpretiert das im Plan von Alfarano eingezeichnete Baptisterium im nördlichen Transept der Petersbasilika als Vestibül
zu einem in Analogie zum Baptisterium am
Lateran gestalteten Baptisterium. Rosamond
McKitterick (S. 95–118) untersucht die Darstellung von St. Peter im Liber Pontificalis als
Pilgerziel, Ort der Papstweihe und vor allem
als Nekropole. Meaghan McEvoy (S. 119–136)
deutet das Mausoleum des Honorius als ein
klares Bekenntnis des Kaisers und seiner Familie zu Rom, als imperiale Prachtentfaltung
in der Ewigen Stadt sowie als einen wichtigen Brückenschlag des Kaisers zum senatorischen und christlichen Adel Roms, der in der
Nähe des Vatikans bestattet werden wollte.
Alan Thacker (S. 137–156) geht dem kaiserlichen, päpstlichen und senatorischen Einfluss
auf die Peterskirche anhand der unterschiedlichen fassbaren Ämter wie cubicularii, praepositi und mansionarii nach und sieht mit
der Übertragung der Aufsicht an die Basilikalklöster durch Gregor III. das Ringen um
Einfluss zugunsten der Päpste abgeschlossen.
Peter Jeffery (S. 157–176) gibt zunächst vorrangig aus dem Liber Pontificalis heraus einen Überblick über die Entstehung der vier
Basilikalklöster an St. Peter. Anschließend de1 Dario Rezza / Mirko Stocchi, Il capitolo di San Pietro in
Vaticano dalle origini al XX secolo, Bd. 1: La storia e le
persone, Città del Vaticano 2008; Jochen Johrendt, Urkundenregesten zum Kapitel von St. Peter im Vatikan
(1198–1304), Città del Vaticano 2010; Jochen Johrendt,
Die Diener des Apostelfürsten. Das Kapitel von St. Peter im Vatikan (11.–13. Jahrhundert), Berlin/New York
2011. Lediglich der erste dieser Titel fand im hier anzuzeigenden Sammelband Berücksichtigung.
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monstriert er, dass der auf die vier Jahreszeiten ausgerichtete Ordo Romanus XIII als ein
ganz auf St. Peter zugeschnittener Ordo zu begreifen sei, der gleichzeitig als Vorbild für alle
anderen Kirchen in Rom und damit der Vereinheitlichung der römischen Liturgie dienen
sollte. Éamonn ó Carragáin (S. 177–189) illustriert an drei Beispielen die Verbindung der
Liturgie an St. Peter mit Entwicklungen weit
außerhalb Roms. Antonella Ballardini und
Paola Pogliani (S. 190–213) rekonstruieren
ausgehend von der Zeichnung Giacomo Grimaldis Architektur und Mosaiken des Oratoriums Johannes’ VII. (705–707), wozu sie nicht
nur auf Fragmente in den Vatikanischen Grotten verweisen, sondern zudem auch mehrere Bilder einer 3D-Computeranimation bieten. Charles B. McClendon (S. 214–228) postuliert, dass Alt-Sankt-Peter als Symbol der Orthodoxie galt und deswegen die Verurteilung
des Ikonoklasmus durch Gregor III. in der
Petersbasilika große Bedeutung gehabt habe;
die Präeminenz der Petersbasilika – die einzige Kirche der Christenheit, die tatsächlich
physisch auf dem Fels Petrus errichtet wurde – komme auch in der architektonischen
Ausrichtung weiterer Kirchenbauten in Rom
an St. Peter zum Ausdruck. Ann van Dijk
(S. 229–256) beschäftigt sich mit der Herkunft
der Veronika und erwägt, dass es sich um
ein Tuch handeln könnte, das Leo III. dem
Hauptaltar gestiftet hatte, das nach der Verwüstung der Peterskirche durch die Sarazenen im Jahre 846 dann in dem von Johannes VII. gestifteten Oratorium verwahrt wurde, das wiederum mit Szenen aus dem Leben
Mariens ausgemalt war. Im 12. Jahrhundert
sei es dann vermutlich zu einer Verschmelzung der Veronika-Legende mit dem besagten Tuch gekommen, was dann die Geburtsstunde des Vultus Christi sein könnte. Joanna Story (S. 257–273) widmet sich vor allem
dem Epitaph auf Hadrian I., der Pilgerroute in St. Peter gemäß der ca. 760–780 entstandenen Notitia ecclesiarum Urbis Romae,
der von Hadrian I. für Karl den Großen gestifteten Votivkrone und einem von Hildegard, der Gattin Karls des Großen, gestifteten Altartuch. Insgesamt komme den gezielten Schenkungen der Karolinger an das Oratorium Pastoris eine entscheidende Rolle zu.
John Osborne (S. 274–286) skizziert die Um-
deutung der antiken Obelisken mit christlichem Gedankengut und die Neuzuweisung
von Sinnzusammenhängen. Dabei wurde beispielsweise der Obelisk bei St. Peter, der sich
heute auf den Petersplatz befindet, Julius Caesar zugeschrieben. Als ersten Beleg für diese Zuschreibung führt er eine Urkunde Leos
IX. an (JL 4292), die jedoch erst im 12. Jahrhundert verfälscht wurde2 , so dass vermutlich die Mirabilia Urbis der erste eindeutige
Beleg für eine Zuschreibung an Julius Caesar sein dürften, was wiederum erneut Fragen zur Verbindung von Mirabilia Urbis Romae und Peterskapitel aufwirft. Carmela Vircillo Franklin (S. 287–305) behandelt die drei
hagiographischen Codices BAV, Archivio di
S. Pietro A 2, A 4 und A 5, die jeweils drei
Monate des liturgischen Kalenders abdecken
und die Franklin zusammen mit einem verlorenen Codex als das Legendar von St. Peter bezeichnet. Zudem wird A 3, ein hagiographisches Lektionar mit 133 Texten, als Vergleichsmoment herangezogen. Es scheint sich
teilweise eine von Gregor VII. und Urban II.
eingeforderte Berücksichtigung der als heilig
verehrten Päpste niederzuschlagen. Katharina Christa Schüppel (S. 306–323) untersucht
die – vermutlich – originalgetreue Kopie eines 1550 auf Befehl Papst Julius III. eingeschmolzenen 1,6 m hohen Silberkreuzes, dessen Entstehungszeitraum zwischen Leo III.
und Karl dem Großen sowie Innozenz II. eingeordnet wurde, wobei sich Schüppel für das
12. Jahrhundert ausspricht. Durch die Abbildung der beiden Apostelfürsten zu Füßen
Christi stelle sich der Stifter in Anspielung
auf die Silvesterlegende als ein zweiter Silvester dar. Carol M. Richardson (S. 324–347)
beleuchtet den starken Einfluss Pietro Barbos
auf St. Peter, der von 1445 bis 1471 Kardinalarchipresbyter an St. Peter war, bevor er als
Paul II. die Kathedra Petri bestieg, und damit
durchaus Giuliano della Rovere, dem späteren Julius II., vergleichbar ist, der von 1477
bis 1503 Kardinalarchipresbyter an St. Peter
war. Robert Glass (S. 348–370) interpretiert die
von Filarete im Auftrag Eugens IV. gestalteten Türen aus Alt-Sankt-Peter, die auch für
2 Jochen Johrendt, Die Anfänge des Kapitels von St. Peter
im Vatikan? Zu den Urkunden Leos IX. für die Basilikalklöster der Peterskirche (1053), in: Deutsches Archiv
für Erforschung des Mittelalters 65 (2009), S. 83–110.
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R. McKitterick u.a. (Hrsg.): Old Saint Peter’s
die neue Basilika wieder verwendet wurden
und an denen Filarete nach der Auftragserteilung im Jahre 1433 zwölf Jahre arbeitete.
Catherine Fletcher (S. 371–385) verdeutlicht
ausgehend vom Altar des heiligen Mauritius die unterschiedlichen, darum angelagerten Erinnerungsschichten, aber auch schlichte Erfindungen, die aufgrund seiner (fraglichen) Bedeutung in Zusammenhang mit der
Kaiserkrönung Verbindungslinien zur europäischen Geschichte besitzen. Bram Kempers
(S. 386–403) betont, dass die mit dem Neubau von St. Peter befassten Architekten allesamt ambitionierter waren als Julius II. selbst,
der in diesem Lichte geradezu als konservativ in Hinblick auf den Neubau erscheine. Ein
Appendix von Carol M. Richardson und Joanna Story (S. 404–415) bietet nach einer Einleitung eine Transkription und Übertragung eines Briefs der Kanonikern an Paul V. über die
Zerstörung der alten Basilika (1605) ins Englische. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis
(S. 416–465) sowie ein Register der Namen,
Orte und wichtigen Sachen (S. 467–484) beschließen den Band.
Der auch optisch sehr hochwertig gemachte Band erweist sich damit als eine Reise
durch Alt-Sankt-Peter, bei der in der Regel unterschiedliche Einzelobjekte zum Ausgangspunkt weiterer Fragen geworden sind. Dieser Eindruck der Reise wird auch dadurch
verstärkt, dass am Beginn fast jedes Beitrags ein Ausschnitt aus dem Plan der alten Basilika abgebildet ist, so dass der Inhalt
des Beitrags auch visuell an bestimmte Bereiche/Orte der Peterskirche rückgebunden
wird. Generell sind die Abbildungen im Band
in der Regel sehr gut, die Pläne sogar hervorragend.
HistLit 2014-3-105 / Jochen Johrendt über
McKitterick, Rosamond; Osborne, John;
Richardson, Carol M.; Story, Joanna (Hrsg.):
Old Saint Peter’s, Rome. Cambridge 2013, in:
H-Soz-Kult 13.08.2014.
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