Falk Gastro-Kolleg Leber und Gallenwege Darm Fragen zu

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Falk Gastro-Kolleg Leber und Gallenwege Darm Fragen zu
Falk
Gastro-Kolleg
Leber und
Gallenwege
Darm
Impfungen bei chronisch
entzündlichen Leber- und
Darmerkrankungen
1, 2
PD Dr. N. Teich
Internistische Gemeinschaftspraxis
für Verdauungs- und
Stoffwechselkrankheiten
Funkenburgstr. 
 Leipzig
Niels Teich, 1 Tobias Klugmann, 2, 3 Ingolf Schiefke
Internistische Gemeinschaftspraxis für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, Leipzig
2 Klinikum St. Georg gGmbH, Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Leipzig
3 Gastroenterologie und Hepatologie am Johannisplatz, Leipzig
1
Zusammenfassung
Der Impfstand vieler Patienten mit chronisch entzündlichen Leber- und Darmerkrankungen weicht deutlich von den offiziellen Empfehlungen ab. Es besteht jedoch häufig eine
große Bereitschaft, empfohlene Impfungen wahrzunehmen. Daraus folgt die Notwendigkeit einer hohen ärztlichen Wachsamkeit für Impflücken bei immunsuppressiv und
antiviral behandelten Patienten. Der wichtigste Vorbehalt gegen eine Impfung ist die
Angst vor Nebenwirkungen; daher sollte die Sicherheit der empfohlenen Impfstoffe in
den Mittelpunkt des Arzt-Patienten-Gesprächs und auch der öffentlichen Diskussion
gestellt werden, um eine höhere Akzeptanz zu erreichen.
Schlüsselwörter
Immunsuppression | Schutzimpfungen | Morbus Crohn | Colitis ulcerosa |
Hepatitis B | Hepatitis C
Fragebeantwortung unter
www.falkfoundation.de
Falk Gastro-Kolleg
Titelbild: Zoster bei einem immunsupprimierten Patienten
18
Impfungen bei chronisch entzündlichen Leber- und
Darmerkrankungen
Einleitung
Patienten mit chronisch entzündlichen Erkrankungen sind infolge ihrer Grundkrankheit, aber auch durch die häufig notwendige immunsuppressive Therapie gefährdet,
an einer impfpräventablen Infektionskrankheit zu erkranken. Mehrere Erhebungen
der Impfstände dieser Patienten ergaben erhebliche Defizite. In dieser Übersichtsarbeit wollen wir auf die aktuellen Impfempfehlungen bei häufigen Erkrankungen
in der gastroenterologischen Praxis eingehen. Zugleich wollen wir die Leser zu einer
erhöhten Wachsamkeit für Impflücken von immunsuppressiv behandelten Patienten
anregen.
CED: steigende Inzidenzen – mehr Immunsuppressiva
Systematisch erhobene Daten aus verschiedenen Regionen der Erde belegen einen
kontinuierlichen Anstieg der Prävalenz chronisch entzündlicher Darmerkrankungen
(CED). Der Morbus Crohn (MC) nimmt in vielen Ländern schneller zu als die Colitis
ulcerosa (CU) (1). Für die Situation in Deutschland liegen derzeit keine Daten vor, es
ist aber wohl von einer ähnlichen epidemiologischen Entwicklung auszugehen. Bezüglich chronisch entzündlicher Lebererkrankungen sind in den letzten Jahren keine
Veränderungen der jeweiligen Inzidenzen berichtet worden.
Die therapeutischen Konzepte bei CED-Patienten haben sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Viele Patienten erhalten eine frühzeitig initiierte Langzeittherapie
mit klassischen Immunsuppressiva oder anti-TNF-α-Antikörpern (TNF-Blocker). TNFBlocker sind auch für eine Vielzahl rheumatologischer und dermatologischer Indikationen zugelassen und stellen aktuell die umsatzstärksten Einzelpräparate in Deutschland
dar (2). Aber auch für die „klassischen“ Immunsuppressiva Azathioprin und Methotrexat
gab es 2008 Ausgabensteigerungen von 8% bzw. 14% gegenüber 2007 (2). Aus diesen
Zahlen lässt sich schließen, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung mit potenten
immunsuppressiven Medikamenten behandelt wird.
P Ein wachsender Anteil der
Bevölkerung wird mit potenten
Immunsuppressiva behandelt.
Chronische Lebererkrankungen: moderne Therapien – länger leben
In den letzten Jahrzehnten wurden die Mortalität und die Morbidität von Patienten
mit chronischen Lebererkrankungen durch die Einführung neuer Therapien erheblich
gesenkt. Erfolgreiche Beispiele sind die Einführung potenter antiviraler Medikamente
bei Hepatitis B und C oder die Implantation eines transjugulären intrahepatischen
portosystemischen Shunts (TIPS). In Anbetracht dieser Fortschritte unterscheidet sich
die Lebenserwartung vieler Leberpatienten nicht mehr wesentlich von der der übrigen Bevölkerung.
P Die Lebenserwartung ist bei
vielen chronischen Leber­
erkrankungen gestiegen.
Welche impfpräventablen Erkrankungen treten gehäuft auf?
Eine reduzierte Infektionsabwehr ist sowohl eine mögliche Folge chronisch entzündlicher Erkrankungen als auch eine mögliche Nebenwirkung der immunsuppressiven
Therapie (3, 4). Sowohl unter „klassischen“ immunsupprimierenden Medikamenten als
auch unter TNF-Blockern wurden bei CED-Patienten impfpräventable Infektionskrankheiten mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV), dem humanen Papillomavirus, dem VaricellaZoster-Virus oder dem Influenzavirus berichtet (5–7). Bei Pneumokokkeninfektionen
scheint der Schweregrad der Infektion bis hin zum lebensbedrohlichen WaterhouseFriderichsen-Syndrom eine Assoziation mit der Intensität der immunsuppressiven
Therapie aufzuweisen (8).
Das Risiko eines CED-Patienten an einer Infektionskrankheit zu erkranken, ist jedoch
auch ohne immunsuppressive Medikation erhöht: In einer aktuellen Untersuchung
überstieg das Risiko an einem Herpes zoster zu erkranken, dasjenige der gesunden
19
Bevölkerung um 57%; das absolute Risiko lag in einer Studie mit über 22.000 Patienten
bei 89 pro 10.000 Personenjahre (9). Daher wird sowohl in einem Konsensuspapier der
European Crohn‘s and Colitis Organisation (ECCO) als auch im neuen Konsensuspapier der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS)
die Erhebung und ggf. Vervollständigung des Impfstatus gefordert.
Auch bei Patienten in fortgeschrittenen Stadien einer Leberzirrhose, bei Hepatitis-B/CInfektionen oder nach Lebertransplantationen muss von einer deutlich erhöhten
Anfälligkeit gegenüber impfpräventablen bakteriellen und viralen Infektionen und
von einem schwereren Verlauf ausgegangen werden, wenngleich hier noch keine exakten Daten vorliegen (10).
P Für die meisten schwer verlaufenden
Infektionserkrankungen bei chronisch
entzündlichen Darm­ und Leber­
erkrankungen existieren effektive
Schutzimpfungen.
Welche Impfung ist wann indiziert? Welche Kontraindikationen bestehen?
Die 16-köpfige Ständige Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts (RKI) trifft
sich zweimal jährlich, um u. a. ihre Empfehlungen für Schutzimpfungen zu aktualisieren. Die Empfehlungen der STIKO dienen den Bundesländern als Vorlage für ihre
öffentlichen Impfempfehlungen. Aus diesem föderalistischen Ansatz ergeben sich im
Einzelfall Diskrepanzen (z. B. wenn der Patient in Bundesland A versichert ist, aber in
Bundesland B wohnt), die zu Schwierigkeiten in der zulasten der Krankenkasse verordnungsfähigen Umsetzung führen. In Tabelle 1 werden die aktuellen Impfempfehlungen für CED-Patienten in Adaptation an die STIKO-Empfehlungen dargestellt.
Tab. 1
Empfohlene Impfungen für CED-Patienten* (modifiziert nach [24])
Impfung
Tetanus-Diphtherie
Booster alle 10 Jahre, evtl. Nachholimpfung(en)1
Poliomyelitis
evtl. Nachholimpfung(en)2
Pertussis
nächst fällige Td-Impfung einmalig als Tdap- bzw. Tdap-IPV-Kombinationsimpfung3
Hepatitis A
keine Impfempfehlung4
Hepatitis B
keine Impfempfehlung4
Influenza
jährlich
Pneumokokken
einmalige Impfung mit 23-valentem Polysaccharid-Impfstoff5
Masern
keine Impfempfehlung
Mumps
keine Impfempfehlung
Röteln
seronegative Frauen mit Kinderwunsch: einmalige Impfung mit nachfolgender Kontrolle des
Röteln-Impferfolgs6, 7
Varizellen
seronegative Patienten vor geplanter immunsuppressiver Therapie: 2 Impfungen im Abstand von
mindestens 6 Wochen6
Herpes zoster
(noch?) keine Impfempfehlung
Bei pharmakologischer Immunsuppression zusätzlich
Meningokokken
eine Impfung mit konjugiertem MenC-Impfstoff, gefolgt von einer Impfung mit 4-valentem
PS-Impfstoff im Abstand von 6 Monaten8, 9
Haemophilus influenzae
Typ b (Hib)
einmalige Impfung8, 10
* Nicht berücksichtigt sind Impfungen aufgrund beruflicher Indikationen, Reiseimpfungen oder Impfungen, die unabhängig von der CED medizinisch indiziert sein können.
1 Nachholimpfung(en) bei fehlender bzw. unvollständiger Grundimmunisierung; 2 Nachholimpfung(en) bei fehlender bzw. unvollständiger Grundimmunisierung oder fehlender einmaliger
Auffrischungsimpfung nach vollständiger Grundimmunisierung; 3 ein einzelner Keuchhustenimpfstoff steht nicht zur Verfügung; 4 CED gilt nicht als medizinische Indikation; 5 Wiederholungsimpfung nach 5 Jahren in Erwägung ziehen: bei angeborenen oder erworbenen Immundefekten mit T- und/oder B-zellulärer Restfunktion bzw. chronischen Nierenkrankheiten/
nephrotischem Syndrom; 6 Lebendimpfstoff: kontraindiziert bei funktionell relevanter Immunsuppression, Mindestabstand von 14 Tagen vor Beginn einer immunsuppressiven Therapie
bzw. von 3 Monaten nach Abschluss einer immunsuppressiven Therapie (1 Monat nach Beendigung einer Hochdosis-Kortisontherapie); 7 vorzugsweise MMR-Impfstoff verwenden; 8 in
Analogie zur Pneumokokkenimpfung indiziert; 9 alternativ 4-valenten konjugierten Impfstoff verwenden (EU-Zulassung am 18.03.2010, Herstellerangaben beachten); 10 siehe „Hinweise für
Patienten mit Immundefizienz“, Epidemiologisches Bulletin des Robert-Koch-Instituts, 10. November 2005.
20
Ebenso herrscht oftmals Unsicherheit, welche Impfungen Patienten mit chronischen
Lebererkrankungen erhalten sollten (11–12). Daher wollen wir in der Folge auf die einzelnen Impfungen bei chronischen Lebererkrankungen näher eingehen.
Hepatitis A
Die Hepatitis-A-Impfung ist auch bei chronischen Lebererkrankungen eine sehr effektive Impfung. Im Allgemeinen erfolgt die Impfung in 2 Impfdosen im Abstand von
6 Monaten. Bereits nach der ersten Impfung erreichen mehr als 80%, nach der zweiten
Impfung nahezu 100% der geimpften Personen einen adäquaten Impfschutz (13). Patienten mit einer kompensierten chronischen Lebererkrankung oder mit einer Hepatitis-B-Infektion haben im Vergleich zur Kontrollgruppe eine etwa gleich hohe Serokonversionsrate, jedoch einen geringeren Impftiter (14). Im Falle einer dekompensierten
Erkrankung oder der Transplantation ist die Immunogenität reduziert; die Serokonversionsrate ist auf etwa 60% reduziert (15–16).
Hepatitis B
Seit 1990 stehen für die aktive Immunisierung rekombinante Impfstoffe zur Verfügung.
Eine Grundimmunisierung wird zum Zeitpunkt 0, nach 1 und 6 Monaten intramuskulär
durchgeführt. Dialysepatienten, Patienten mit eingeschränkter Immunfunktion (u. a.
HIV-Infektion) und Personen mit chronischem Alkoholmissbrauch profitieren von einer
doppelten Impfdosis (17). Bei diesen Personen sollte der Impferfolg serologisch kontrolliert werden: Personen, die 4–8 Wochen nach der Grundimmunisierung keinen
ausreichenden Impftiter aufbauen (anti-HBs < 10 U/l, Nonresponder), sollten erneut
dreimal geimpft werden. Eine Fettleber reduziert nicht die Immunantwort. Diese ist
jedoch bei schweren Lebererkrankungen, chronischem Alkoholkonsum oder bei Patienten nach Lebertransplantation eingeschränkt.
P Eine Impfung gegen Hepatitis B
ist bei allen anderen chronischen
Lebererkrankungen wie auch bei
CED mit indiziert.
Influenza
Bei Patienten mit Leberzirrhose können durch die Bildung von proinflammatorischen
Zytokinen im Rahmen einer Influenzainfektion hepatische Dekompensationen auftreten (18). Zwischen dem Influenzavirus und dem Hepatitis-C-Virus (HCV) ist eine T-ZellKreuzreaktivität nachgewiesen worden, welche in Einzelfällen zu einem besonders
schweren Verlauf einer akuten Hepatitis C geführt hat (19). Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass die humorale und die zelluläre Immunantwort auf Influenzaimpfungen bei
Patienten mit fortgeschrittener Lebererkrankung reduziert sind. Nach Lebertransplantation ist die Antikörperentwicklung sehr variabel.
P Eine jährliche Impfung gegen
die saisonale Grippe wird empfohlen
und hat kein spezifisches Risiko.
Pneumokokken
Die Pneumokokkenimpfung wird für Patienten über 65 Jahre empfohlen. Sie wird weiterhin bei Patienten mit schweren chronischen Erkrankungen angeraten, da bei diesen Patienten eine erhöhte Inzidenz an Pneumokokkeninfektionen festgestellt wurde.
Darunter fallen auch fortgeschrittene Lebererkrankungen (20). Besonders gefährdet
sind Alkoholiker, bei denen ein schlechter Ernährungszustand, eine defekte Antikörperbildung und eine Funktionseinschränkung der Leukozyten zu einer erhöhten Infektionsrate führen können.
Der in Deutschland verfügbare 23-valente Impfstoff ist nur in kleinen Studien an Patienten mit Lebererkrankungen geprüft worden. Die Impfungen erreichten gleiche Antikörpertiter wie bei gesunden Probanden (21). In Abwägung der möglichen Risiken
einer Pneumokokkeninfektion wird die Impfung trotz unsicherer Kosten-Nutzen-Relation empfohlen.
P Eine Impfung gegen Pneumokokken
sollte allen Patienten mit/vor medika­
mentöser Immunsuppression und
insbesondere alkoholkranken
Patienten empfohlen werden.
21
Andere impfpräventable Erkrankungen
Impfempfehlungen für Masern, Mumps, Röteln, Diphtherie, Tetanus, Pertussis, Herpes
zoster und andere Erkrankungen (auch Reiseimpfungen) unterscheiden sich nicht
von den Empfehlungen bei anderen chronischen Erkrankungen. Ausnahmen sind im
folgenden Kapitel „spezielle Situationen“ angegeben.
Spezielle Situationen
Splenektomie
Ist bei Patienten mit einer fortgeschrittenen Lebererkrankung oder auch anderen
Krankheiten (z. B. idiopathische Thrombozytopenie) eine Splenektomie erforderlich,
sollten vorher Impfungen gegen Meningokokken, Pneumokokken und Haemophilus
influenzae erfolgen (22).
Patienten unter Therapie mit Interferon, Nukleos(t)idanaloga,
Proteaseinhibitoren und Ribavirin
Impfungen bei Interferontherapie (inklusive Kombinationstherapie Interferon/
Ribavirin)
Interferon hat vielfältige immunmodulierende Effekte. Zum einen wirkt Interferon
direkt antiviral, induziert z. B. die Reifung von dendritischen Zellen und verändert die
Funktion von B-Zellen.
Im Gegensatz dazu steht die antiproliferative Wirkung, die auch die Proliferation von
B-Zellen und Plasmazellen hemmt. Die Indikationsstellung für Impfungen während
einer Interferontherapie sollte berücksichtigen, dass Interferon-α prinzipiell antiviral
wirkt und somit z. B. das Risiko für eine symptomatische Influenzainfektion geringer
sein sollte. Die Immunogenität der Hepatitis-B-Vakzine ist bei Patienten mit Hepatitis C
unter der Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin reduziert (23). Valide
Daten zur Impfreaktion verschiedener Impfungen unter laufender Interferontherapie
liegen jedoch nicht vor.
Impfungen bei Protease- oder Nukleos(t)idtherapie
Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft gibt es keine Hinderungsgründe
für eine Impfung mit Tot- oder Lebendimpfstoffen unter antiviraler Protease- oder
Nukleos(t)idtherapie.
Patienten nach Lebertransplantation
Nach einer Lebertransplantation können sämtliche von der STIKO empfohlenen Impfungen mit Totimpfstoffen inklusive Meningokokken und Pneumokokken ab dem
6. Monat nach Lebertransplantation durchgeführt werden.
Impfungen mit Lebendimpfstoffen sind hingegen kontraindiziert. Notwendige Impfungen mit Lebendimpfstoffen (z. B. Masern, Mumps, Röteln) sollten daher vor der
Transplantation durchgeführt werden. Unter Berücksichtigung der Immunsuppression und der individuellen Situation des Patienten kann 1 Jahr nach Lebertransplantation die Lebendimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und auch eine
Varizellenimpfung vorgenommen werden. Gegebenenfalls müssen nach der Impfung
Impftiter kontrolliert und eventuell zusätzliche Auffrischungsimpfungen durchgeführt werden.
22
Impfstand in Deutschland – die Realität
Wir baten in einem regionalen Versorgungsforschungsprojekt 203 CED-Patienten alle
vorhandenen Impfnachweise mitzubringen. Dabei zeigte sich, dass nur 83% der Patienten einen Impfausweis hatten. Weiterhin stellten wir fest, dass in den letzten 10 Jahren nur zwei Drittel der Patienten gegen Tetanus und nur ein Fünftel gegen Pertussis
geimpft wurden, nur 28% die jährliche Grippeschutzimpfung wahrnahmen und nur
9% jemals gegen Pneumokokken geimpft wurden. Auch für andere Erkrankungen, die
bei Patienten mit CED schwer verlaufen können und für die eine Schutzimpfung verfügbar ist (Varicella Zoster, Hepatitis B und humanes Papillomavirus), bestand bei mindestens zwei Drittel der Patienten kein Impfschutz. Nachfolgend baten wir darum,
Argumente gegen Schutzimpfungen zu nennen: 22% aller Patienten gaben an,
Schutzimpfungen zu vermeiden, weil sie Nebenwirkungen befürchteten, 15% weil das
Immunsystem „nicht intakt“ sei und 9% befürchteten eine Verschlimmerung der CED
durch eine Impfung (24).
P Der wichtigste Vorbehalt gegen die
Durchführung einer Schutzimpfung ist
die Angst vor Nebenwirkungen.
Die Frage „Wären Sie bereit, alle offiziell empfohlenen Schutzimpfungen durchführen
zu lassen?“ bejahten hingegen 163 Patienten (80%). Dieses Ergebnis war für uns aufgrund des schlechten Impfstandes überraschend. Der Hausarzt wurde in der Frage
der Kontrolle des Impfstandes von der Mehrheit der Patienten unserer Studie als wichtigster Ansprechpartner genannt. Wenngleich die Patienten hier nur in weniger als
10% ihren Gastroenterologen zur Überprüfung des Impfstandes zu Rate zogen, kommt
aus unserer Sicht dem Erstverordner einer immunsuppressiven Therapie auch eine
Verantwortung für das Aufspüren fehlender Indikationsimpfungen zu (24).
Daten zu impfpräventablen Erkrankungen (insbesondere Hepatitis A und B, Influenza,
Pneumokokken) bei Patienten mit chronischen Lebererkrankungen sind limitiert auf
Patienten mit chronischer Hepatitis B und C, alkoholischer Lebererkrankung, Leberzirrhose und Patienten nach Lebertransplantation. Das Auftreten einer impfpräventablen Erkrankung kann, z. B. infolge einer Superinfektion mit Hepatitis A bei HBsAgTrägern, ein akutes Leberversagen verursachen (14).
Im Gegensatz zu CED-Patienten liegen bei Patienten mit Fettleber, nicht-alkoholischer
Fettleberhepatitis, Autoimmunerkrankungen der Leber, hereditären Lebererkrankungen (Hämochromatose, α1-Antitrypsinmangel, Wilson-Krankheit) oder granulomatösen Lebererkrankungen nur sehr limitierte Ergebnisse zum Impfstatus, zur Verträglichkeit der Impfstoffe oder zum Impferfolg vor. Auch für Patienten mit Leberbeteiligung
bei Systemerkrankungen (Zöliakie, zystischer Fibrose, Amyloidose usw.) liegen kaum
belastbare Ergebnisse vor.
Verändert die immunsuppressive Therapie das Ansprechen auf
Schutzimpfungen?
Diese Frage ist insbesondere bei der Pneumokokkenimpfung gut untersucht worden.
Hier findet sich eine deutlich geringere Antikörperbildung unter kombinierter immunsuppressiver Therapie (25). Daher sollten unsere Patienten möglichst schon vor
Therapiebeginn geimpft werden. Bezüglich anderer Impfungen ist die Studienlage
weniger klar; zur Grippeschutzimpfung unter TNF-Blockern und/oder klassischen Immunsuppressiva wie Azathioprin oder Methotrexat fanden sich teils gegenteilige Aussagen. Aus Vorsichtsgründen – nicht aber aufgrund belastbarer Daten – wird empfohlen, auf Lebendimpfungen unter immunsuppressiver Therapie zu verzichten. Es finden
sich zunehmend Hinweise darauf, dass auch unter kombinierter immunsuppressiver
Therapie Lebendimpfungen sicher und effektiv wirken (26).
P Lebendimpfungen sind bei Patienten
mit pharmakologischer Immun­
suppression formal kontraindiziert.
23
Was ist zu tun, wenn keine krankheitsspezifische Schutzimpfung existiert?
Mehrere bei immunsupprimierten Patienten häufiger vorkommende opportunistische Infektionen (z. B. mit Clostridium difficile, Zytomegalie- und Epstein-Barr-Virus,
Tuberkulose, Histoplasmose oder Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie) sind derzeit jedoch nicht impfpräventabel. Im Falle einer Mehrfachimmunsuppression sollte eine
Prophylaxe mit Trimethoprim + Sulfamethoxazol gegen eine Pneumocystis-Pneumonie erfolgen (27). Bislang galt der Konsens, dass diese Prophylaxe nur für den Zeitraum
einer dreifachen Immunsuppression erfolgen sollte; die zukünftige Leitlinie der DGVS
zur Colitis ulcerosa sieht jedoch bereits bei doppelter Immunsuppression eine Indikation zu der oben genannten Prophylaxe. Zudem müssen den Patienten auch andere
Präventivmaßnahmen, wie z. B. richtiges Händewaschen und eine richtige Nahrungsmittelzubereitung, vermittelt werden. Zu letzterem Punkt bietet eine aktuelle Publikation der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert
Koch-Institut sehr praktikable Vorschläge (28).
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Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2010; 53:
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26
Fragen zu Impfungen bei
chronisch entzündlichen Leberund Darmerkrankungen
Frage 1:
Welche impfpräventablen Erkrankungen treten bei CED-Patienten
nachweislich gehäuft auf?
1
2
3
4
Gürtelrose
Tetanus
Poliomyelitis
Pneumokokkenpneumonie
EE
EE
EE
EE
EE
Keine Aussage ist richtig
1 und 2 sind richtig
1 und 4 sind richtig
1, 3 und 4 sind richtig
Alle sind richtig
Frage 2:
Welche Gründe stehen einer Vervollständigung des Impfstatus bei
Patienten mit CED am häufigsten entgegen?
EE
EE
EE
EE
EE
Generelle Ablehnung von Schutzimpfungen
Angst vor einer Verschlechterung der CED
Allgemeine Angst vor Nebenwirkungen
Restriktionen der Krankenkassen
Schmerzen an der Einstichstelle
Frage 3:
Welche Aussage zur Pneumokokkenimpfung bei immunsupprimierten Patienten ist richtig?
Falk
Gastro-Kolleg
Leber und
Gallenwege
Darm
Bitte beachten Sie:
Bei der Beantwortung der Fragen
ist immer nur 1 Antwort möglich.
Die Beantwortung der Fragen und
Erlangung des Fortbildungszertifikats
ist nur online möglich.
Bitte gehen Sie dazu auf unsere Homepage
www.falkfoundation.de.
Unter dem Menüpunkt Falk Gastro-Kolleg
können Sie sich anmelden und die Fragen
beantworten.
Bitte diesen Fragebogen nicht
per Post oder Fax schicken!
EE
EE
EE
EE
Sie ist verzichtbar, weil die Infektion meist asymptomatisch verläuft
Sie ist Bestandteil der jährlich adaptierten Grippeschutzimpfung
Sie sollte vor Initiierung einer immunsuppressiven Therapie erfolgen
Da es sich um eine Lebendimpfung handelt, dürfen Patienten unter anti-TNF-αTherapie nicht geimpft werden
EE Die Impfung darf nur durch Mitarbeiter der Gesundheitsämter durchgeführt
werden
Frage 4:
Welche Infektionen durch die nachfolgend genannten Erreger sind
impfpräventabel?
EE
EE
EE
EE
EE
Clostridium difficile
Frühsommermeningoenzephalitis
Zytomegalievirus
EHEC
Pneumocystis-jirovecii-Pneumonie
Wichtig:
Fragebeantwortung unter
www.falkfoundation.de
Falk Gastro-Kolleg
Frage :
Welche Impfung ist bei Patienten unter Azathioprintherapie formal
kontraindiziert?
EE
EE
EE
EE
EE
Varicella Zoster
Pneumokokken
Influenza
Poliomyelitis
Meningokokken
27
Frage 6:
Mit welchen Antibiotika soll eine Prophylaxe gegen die Pneumocystis-Pneumonie erfolgen?
EE
EE
EE
EE
EE
Trimethoprim + Sulfamethoxazol
V-Penicillin
Clindamycin
Doxycyclin
Ciprofloxacin
Falk
Gastro-Kolleg
Leber und
Gallenwege
Darm
Frage 7:
Welche Aussagen sind richtig? Die Hepatitis-A-Impfung
1
2
3
4
5
hat eine hohe Rate an Nonrespondern (> 30%)
hat nach 2 Impfungen einen fast 100%-Impferfolg, der oft mehr als 10 Jahre anhält
ist in Deutschland bei Risikogruppen und bei Reisen in Endemiegebiete angeraten
ist bei schweren Lebererkrankungen kontraindiziert
kann ausschließlich in Kombination mit Hepatitis B immunisiert werden
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EE
EE
Nur 1 und 2 sind richtig
Nur 2 und 3 sind richtig
Nur 4 ist richtig
Nur 4 und 5 sind richtig
Alle sind richtig
Frage 8:
Welche Antwort ist richtig? Impfungen bei Lebererkrankungen
haben
1
2
3
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EE
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EE
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bei allen Stadien der Lebererkrankungen einen gleich hohen Impferfolg
den gleichen Stellenwert zur Verhinderung von impfpräventablen Erkrankungen
wie in der Normalpopulation
nur beschränkte Einsatzmöglichkeiten: Lebendimpfstoffe sind komplett kontraindiziert
Nur 1 und 3 sind richtig
Nur 3 ist richtig
Nur 2 ist richtig
Nur 1 und 2 sind richtig
Alle sind richtig
Frage 9:
Kann ein lebertransplantierter Patient gegen Hepatitis B geimpft
werden?
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EE
EE
EE
Nein
Ja, unter Berücksichtigung der üblichen Risikoabwägung
Ja, aber nur bei erneut bestehender schwerer Lebererkrankung
Ja, aber nur bei geringer Immunsuppression
Nur bei nachgewiesener Reinfektion des Transplantats
Frage 10:
Welche Impfung wird bei (funktioneller) Splenektomie nicht
ausdrücklich empfohlen?
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EE
EE
EE
Meningokokken
Pneumokokken
Haemophilus influenzae
Tetanus
Humanes Papillomavirus
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