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reise1 12.10.2004 ET
F REIZEIT · R EISEN · E RLEBEN
Von Uwe Ziegler
I
n Ibiza trennt sich die Spreu
vom Weizen. Flughafen, Taxistand, die paar Kilometer durch
die ganz sicher scheußlichste
Ecke Ibizas bis zum Hafen – das
ist es, was der Formentera-Urlauber von Eivissa, wie es in der
Landessprache genannt wird, in
aller Regel kennt. Die Ibizenkos
werden wohl nie verstehen, dass
ihre Insel für den FormenteraAficionado nichts weiter ist als
der Flughafen Formenteras,
Durchgangsstation.
Ebenso
ignorant wie konsequent.
Formentera hat keinen Flugplatz, was gut ist, weil die Mühen
der Anreise schon zu einer gewissen Auslese der Besucher
führen. Wer rüber will, nimmt
das erstbeste Schiff, um die elf
Seemeilen bis La Sabina, dem Hafen Formenteras, zurückzulegen.
Und spätestens dann, wenn du an
der Reling stehst, dein erstes Glas
Hierbas süffelst und die Gischt
deine Sonnenbrille binnen kürzester Zeit nahezu vollkommen
belegt, stellt sich das Urlaubsgefühl ein. Noch bevor du auch nur
einen Fuß auf die Insel gesetzt
hast, stechen sie dir ins Auge,
diese traumhaften Sandstrände,
dieses von tiefblau bis smaragdgrün schimmernde Meer.
In der Fonda Pepe
fing alles an
Die kleinste der vier allseits
bekannten, touristisch erschlossenen Baleareninseln (es gibt
darüber hinaus 147 unbewohnte),
gemeinsam mit Ibiza wegen seiner zahlreichen Pinien zu den so
genannten Pityusen zählend, ist
so ganz anders als all die anderen
spanischen Inseln. Formentera
ist kein Urlaubsziel, sondern ein
Lebensgefühl. „Liebe auf den ersten Blick“ oder „einmal und nie
wieder“, dazwischen gibt es
nichts. Wirklich: nichts. Die Zahl
der Wiederholungstäter, meist
sind es überzeugte Individualisten, ist unglaublich hoch.
Es sind die vielen Anekdoten
und Legenden, die Formentera
zu dem gemacht haben, was es
heute ist. Auch die Musik spielt
eine große Rolle. Die Inselhauptstadt San Francisco und das
Dörfchen San Fernando, wo in
den Sechzigern nicht nur der
Tourismus, sondern auch die
Hippiebewegung Europas Einzug
hielt, sind die wichtigsten Orte
der Insel, die insgesamt etwa 6200
Seelen zählt. In der Fonda Pepe,
im Ortskern von San Fernando
Der Playa Illetes im Nordwesten Formenteras bietet neben ungetrübtem Badespaß auch vielfältige Sportmöglichkeiten.
Mehr Lebensgefühl als Urlaubsziel
Formenteras Spagat zwischen dem Geist von einst und der wachsenden Popularität
gelegen, gleich neben der alten
Kirche mit der Natursteinfassade, fing damals alles an. Vorne in
die Bar und hinten in das P.Y.K.
(Pepe y Katalina) genannte Speiselokal zog es sie einst und zieht
es sie heute hin, die Freigeister,
Philosophen, Literaten, Musiker,
Junggebliebenen, Altgewordenen, Möchtegerns – Individualisten halt. Obwohl die Preise auf
der Insel seit der Euro-Einführung gewaltig angezogen haben,
hier kann man noch für zehn Euro essen und ein Bier trinken.
Später dann sitzen sie draußen,
auf dem Mäuerchen, ein süßer
Duft liegt in der Luft, und sogar
dem militantesten Nichtraucher
schwant, dass das kaum Tabak
sein kann. Doch hier auf der Insel
sind selbst die Uniformierten liberal.
Die Reiseschriftstellerin Ursula von Kardorff nannte die Fonda
Pepe die „Keimzelle der Formentera-Begeisterung“. Der alte Pepe, der die Fonda vor 51 Jahren
mit eigenen Händen hochgezogen hat, starb 1995, jeder kam zu
seinem Begräbnis. Lange vor
seinem Tod hatte er das hinzugebaute Hostal seiner Schwester
Rosalía und die Bar und das Speiselokal an seinen Sohn Julián
übergeben, er war viel zu klug,
um sich unentbehrlich zu machen. Als Julián nun vor wenigen
Tagen erfuhr, dass die Fonda, wie
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sie von allen nur genannt wird,
eine nicht unbedeutende spanische Auszeichnung erhalten
wird, reagierte er, kauzig und
einzigartig wie die Kneipe selbst,
mit der ihm eigenen Nonchalance. Er servierte seinen Gästen einige Krüge Bier, legte „Let It
Julián kümmert sich um Bar und
Lokal der Fonda.
Foto: Hammer
Bleed“ von den Rolling Stones auf
und brachte es mit wenigen Worten exakt auf den Punkt. „Es gab
einige unvermeidliche und notwendige Veränderungen in all
der Zeit, aber immer nur so weit,
dass der Geist dessen, was die
Fonda immer schon ausgemacht
hat, erhalten blieb.“ Im Sinne
seines Vaters führt er dessen
Vermächtnis fort, und er macht
seine Sache ganz hervorragend.
Und einmal mehr war die Rede
davon, dass keiner der Namhaften es ausließ, der Fonda während seines Inseltrips einen Besuch abzustatten. Die Musiker
von Pink Floyd schauten vorbei,
als sie den Soundtrack zum psychedelischen Ibiza-Film „More“
auf der Nachbarinsel komponierten, Peter Sinfield, der mit seiner
Band King Crimson der Insel sogar einen Song („Formentera Lady“) widmete, Chris Rea, der ein
Haus auf der Mola-Hochebene
hatte (das grauenhafte „On The
Beach“ stammt aus jener Zeit),
Led Zeppelin-Ikone Robert Plant,
von dem der Ausspruch „Man,
you are living in a fucking paradise“ überliefert ist. Der Autor
dieser Zeilen glaubt auch, Ray
Manzarek, den Keyboarder der
legendären Doors, in San Francisco gesehen zu haben.
Bekanntester Inselbewohner
von allen aber war Bob Dylan, der
von Herbst 1968 bis zum Frühjahr
1969 den kargen Raum in der alten Mühle kurz hinter El Pilar auf
der Hochebene La Mola bewohnte. „Er hatte eine Gitarre dabei
und schrieb viel“, erzählt der
heute über 70-jährige Juan Moliner, dem die Mühle damals gehörte. Per Handschlag einigte
man sich, und nun sehen alle Aficionados der in Kürze erscheinenden Dylan-Autobiografie mit
Spannung entgegen.
Ein Paradies
für Fotografen
Formentera ist ein Paradies
für Fotografen, die Nähe zum
afrikanischen Kontinent (bei
sehr klarem Wetter kann man
vom Cap de Barbaria, dem südlichsten Zipfel der Insel, angeblich sogar bis nach Algerien sehen) spiegelt sich in vielerlei
Hinsicht wieder. Das Licht ist
einzigartig, ebenso die Blautöne
des Himmels, der sich gegen
Abend orange, rot, violett verfärbt, die wunderschönen Felsund Sandstrände, das glasklare
Wasser, das zum Schnorcheln
einlädt und der Insel das Attribut
„Karibik des Mittelmeers“ eingebracht hat, die warmen Erdtöne, die Salinen, die Gott sei Dank
unter Naturschutz gestellt wurden – Pläne, dort eine große Hotelanlage zu errichten, wurden
rigoros abgeschmettert. Überall
dieser Pinienduft, den du auch
Wochen nach deinem Inseltrip
noch in der Nase hast, diese fried-
liche Koexistenz, die Toleranz
der Einheimischen, die sich weder damals zotteligen Hippies
noch heute an den Tausenden Urlaubern zur Hauptsaison stören,
sondern erkennen, dass der Tourismus die Haupteinnahmequelle der Insel ist und damit unverzichtbar für alle.
Und doch muss auch diese liebenswürdige kleine Insel auf sich
aufpassen. Jene ganz spezielle
Energie ist noch da, doch ein unzerstörbarer Mythos ist auch
Formentera nicht. Die Inselbewohner gehen sofort auf die Straße, wenn ihnen die Regierung
von Mallorca ein neues Gesetz
aufoktroyieren möchte, sie demonstrieren, wenn von einem
Nobelhotel mit Anlegeplatz für XLarge-Yachten plus Golfanlage
die Rede ist und sie ersticken
nach wie vor jede Anfrage nach
einem Campingplatz schon im
Keim. Die einzigartige Flora und
Fauna ist es, die die Insel ausmacht, sie ist das wichtigste Gut
und muss erhalten bleiben. Traditon und Moderne vermengen
sich auf Formentera zu einem
Cocktail, der wohl dosiert sein
will.
Doch es stellt sich die Frage,
wie lange es „das letzte Paradies
im Mittelmeer“ noch geben wird.
Die Insel und ihre Bewohner
müssen Schritt halten, und sie
tun es, sehr bedacht. Sie haben
wohl wahrgenommen, dass die
Spirale überdreht ist, die Kapazitäten der Insel gerade zur Hauptsaison erschöpft sind. Ehe Formentera zum Sylt Spaniens verkommt, muss die Reißleine gezogen werden. Die Oppositionspartei COP hat sich an die Regierungspartei gewandt, um die
Möglichkeiten einer Reduzierung aller motorisierten Fahrzeuge auf der Insel zu studieren.
Ein Schritt in die richtige Richtung. „The Times, They Are AChanging“, auch auf Formentera, doch der Geist der Insel muss
bewahrt bleiben.
INFORMATIONEN
Pauschalreisen nach Formentera sind dünn gesät, Unterkünfte in Club-Anlagen eher untypisch. Am besten, man liest sich
auf einer der unzähligen InselWebsites ein: www.fonda.de,
www.blausand.de
und
www.formentera- island.de.
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