Montessori-Pädagogik

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Montessori-Pädagogik
Maria Montessori und die Montessori-Pädagogik
Positivismus, Reduktionismus, Monismus
In Montessoris Leben und Denken herrschte ein wissenschaftsgläubiger Machbarkeits- und Fortschrittsglauben, der „nicht mehr recht in die heutige Zeit passen will und kann“ (Hofer (2001), S.
201)1. Dies vor allem in Bezug auf einen positivistischen2 Monismus3 und Reduktionismus4. Dies
zeigt sich in ihrem ganzen theoretischen Aufbau der entwickelten Pädagogik, ebenso wie in der
Anwendung ein und der selben Methode auf unterschiedliche Kontexte. So kann gesagt werden,
dass bei Montessori die Methode vor dem Inhalt kommt, da sie im Prinzip das Kernstück der Pädagogik darstellt und ohne große Unterschiede auf Wissenschaft und den Unterricht von Studierenden und Kindern angewandt wird. Es erstaunt nicht, dass das erste Werk Montessoris „Il metodo“
war. Die Methode stellt das eigentliche Erziehungsprogramm dar und so ist auch heute noch das
montessorianisch didaktische Material ein wichtiger Bestandteil der Erlernung gewisser grundlegender Techniken, in der Montessori-Schule.
Dies paart sich mit dem Glauben an allgemein gültige und gegebene Gesetzmäßigkeiten und der
Tendenz komplexe Sachverhalte auf einfache lineare Zusammenhänge zu reduzieren. In diesem
Zusammenhang stellen beispielsweise biologische Gesetzmäßigkeiten für Montessori göttliche
Gesetze dar, welchen gegenüber Gehorsam gezeigt werden muss, um als Mensch moralisch zu
leben. Auch bei Betrachtung der Pädagogik herrscht bei Montessori ein deterministisches Denken
vor, in dem die Gesetzmäßigkeiten durch die Erziehung nur positiv beeinflusst werden müssen um
eine ästhetische Erziehung zu ermöglichen. „Die Erziehung ist [...] das zentrale Mittel, um die
menschliche Rasse zu verbessern, indem durch ein entsprechendes Training die wichtigen Hirnregionen aktiviert und gestärkt und so auch das Hirnvolumen verändert werden kann.“ (Hofer (2001),
S. 207). Passend dazu betont Schieder5 die Rolle der Neuropsychologie und der Neurowissenschaften für die Weiterentwicklung der Montessori-Pädagogik in heutiger Zeit. Mögliche Erkenntnisse aus dem nächstliegenden Fach Pädagogik oder beispielsweise der Soziologie werden hierbei nicht angesprochen.
Prinzipiell hat der Mensch bei Montessori eine übergeordnete Stellung inne. Er beherrscht die Umwelt und wird durch immer weitreichendere Erkenntnisse und technische Möglichkeiten zu einer
Art Mitschöpfer Gottes. Diese Vormachtstellung der Naturwissenschaften zeigt sich auch beim
Thema Pädagogik. So wird auch hier die Naturwissenschaft betont und „der mathematische Geist
ersetzt den literarischen“ (Hofer (2001), S. 209).
Die Fragwürdigkeit des Wissenschaftsverständnisse Maria Montessoris zeigt sich auch bei ihrem
eigenen Vorgehen. Ausgangslage sind für sie Einzelbeobachtungen, von welchen zu universalen
Naturgesetzen generalisiert wird, welche wiederum für alle jederzeit und überall gleich gelten sollen.
Ziel und Ansatz der Pädagogik Montessoris
Grundlegendes Ziel der Überlegungen Montessoris ist die „Verbesserung der Menschheit durch
eine Verbesserung der hygienischen Bedingungen, sowohl auf physischen wie auch psychischmoralischem Gebiet“ (Hofer (2001), S. 202). Die menschliche Spezies soll durch menschliche Hygiene vervollkommnet werden. Die Erziehung dient dabei der Unterstützung des zielgerichteten
und determinierten Evolutionsprozesses. Dieser ist auf ein Endziel ausgerichtet, das durch die Un1 Hofer, Christine (2001). Die pädagogische Anthropologie Maria Montessoris - oder: Die Erziehung zum neuen
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Menschen. Würzburg: Ergon.
Positivismus: Das erfahrungsmäßig Gegebene ist alleine Garant für die Erkenntnis. Dadurch ist sie prinzipiell von
Jedem/r zu erlangen, vermittelbar und stellt eine einheitliche, übergreifende Gesetzmäßigkeit dar. Aus diesem
Ansatz heraus ergibt sich, dass es keine unlösbaren Probleme gibt.
Monismus: Beim Monismus ist die Wirklichkeit einheitlich und von einer Grundbeschaffenheit. So wird das eine
Prinzip betont, bei einer oftmals gleichzeitigen materialistischen und naturwissenschaftlichen Ausrichtung.
Reduktionismus: Realität lässt sich auf fundamentale Kategorien reduzieren und blendet so teilweise komplexe
Sachverhalte aus.
Schieder in: Harth-Peter, W. (Hrsg.) (1996). „Kinder sind anders“. Maria Montessoris Bild vom Kinde auf dem
Prüfstand. Würzburg: Ergon.
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terstützung der Pädagogik erreicht werden soll. Es wird demnach die Gegenwart als unvollkommen angesehen, wogegen die Zukunft für die Hoffnung steht.
Auf Basis der Vererbungsgesetze soll das Abweichende, Krankhafte und sozial Unerwünschte
ausgemerzt werden. Dazu müssen störende Entwicklungseinflüsse vermindert werden um die Abweichung vom angestrebten Mittelmaß möglichst gering zu halten.
Der mittlere Mensch
Der Versuch störende Entwicklungseinflüsse zur Erlangung des menschlichen Mittelmaßes zu verhindern ist bedeutend für das Ziel und die Umsetzung der Pädagogik Montessoris. Das Individuum
ist so nur in Relation zum Ganzen von Bedeutung und die Ausrichtung auf „Normalität“ ist sehr
wichtig. Auch für Schieder sind heute noch „nicht alle für normal gehaltenen Kinder wirklich normal“ und „zunehmend mehr Kinder fallen aus den bisher üblichen Entwicklungsprozessen heraus,
ihre Teilleistungen entwickeln sich immer häufiger in einer ungewöhnlichen Weise“ (Schieder, in:
Harth-Peter (1996)). So scheint auch für heutige Vertreter der Montessori-Pädagogik das Mittelmaß immer noch bedeutend zu sein und möglichen Abweichungen vom „üblichen Entwicklungsprozess“ muss begegnet werden.
Bei Montessori selbst wird das ganze noch etwas deutlicher. Für den Menschen sind Konformität
und Uniformität, sowie Übereinstimmung mit der Mehrheit des Kollektivs anstelle von Abweichung
von der Masse, sowie Kritik und Originalität bedeutend. Durch „Rassenvermischung“ soll der einzige mittlere und vollkommene Mensch erzeugt werden, der auch moralisch fortschrittlich ist. Durch
bewusste Lebensführung und sexualmoralische Verantwortung6 soll der Mensch biologisch verbessert werden, was eine moralische Höherentwicklung nach sich zieht.
„Körper und Geist werden als von denselben die ganze Natur durchwaltenden, unveränderlichen
Entwicklungsgesetzen gesteuert verstanden. Es ist deshalb für Montessori keine Frage, dass sich
durch systematische Beobachtungen gewonnene Erkenntnisse im Bereich der Botanik, Zoologie und
der menschlichen Physiologie als Analogieschlüsse auch auf die moralisch-geistige Entwicklung des
Menschen übertragen lassen.“ (Hofer (2001), S. 213)
Durch Erziehung können weiter wichtige Regionen des Hirns trainiert und damit verändert werden.
Messbare Körpergrößen (z.B. der Schädelindex) können folgerichtig einen Hinweis auf abnorme
Entwicklungen geben, welche als Fehler der Natur und krankhafte Triebe ausgemerzt werden
müssen. Weiter verfügt der normale Mensch über bestimmte Verhaltensweisen, wie ruhig, diszipliniert oder gehorsam zu sein. Um dies alles zu erlangen ist anstelle von Freiraum für Eigenwilliges,
Kontrolle nötig.
Methode
Zur Erlangung der oben erwähnten Ziele des gesunden normalen Menschen sind ein paar Dinge
bei Betrachtung der angestrebten Pädagogik bedeutend. Von abstrakten Fragestellungen, die keine eindeutigen Lösungen versprechen, und Inhalten die selbstständiges kritisches Denken fördern,
wird Abstand genommen. Anstelle dessen soll der angeblich im Menschen angelegte Trieb zur Arbeit, der auch bei voller Entfaltung das Zusammenleben der Menschen regelt, gefördert werden.
Dazu muss die Umgebung richtige physische, psychische, geistige und moralische Nahrung anbieten. Nur das Material garantiert eine konstante immer gleiche Herausforderung an das Kind, weswegen eben dies im Mittelpunkt der Erziehung steht. Weiterhin wird stilles selbsttätiges Arbeiten
mit selbstkontrollierendem Material kommunikativen Inhalten vorgezogen.
Gegenüber politischen Systemen, ebenso wie der Demokratie war Montessori nicht interessiert.
Statt dessen soll die naturgemäße harmonische Entwicklung zum normalen Menschen alle möglichen Probleme lösen. Dieses inhaltsleere Bildungskonzept, verbunden mit den Ansätzen einer Eugenik eröffnet faschistischen Lehrinhalten die Tore.
Zuletzt ist die Orientierung Montessoris auf das Kind, nicht dem Kinde zuliebe. Das Kind dient statt
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Die Partnerwahl soll dabei nicht dem Zufall überlassen werden, „denn schlechte Dispositionen vererben sich [nach
Montessori] ebenso wie gute“ (Hofer (2001), S. 206), was den Kerngedanken einer eugenischen Sozialpolitik
entspricht.
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dessen der Heranzüchtung des neuen Menschen und ist demnach letztlich Mittel zum Zweck für
die kranken Ideen einer naturgemäßen, uniformen, normalen Menschheit.
Montessori-Schule heute
Schieder merkt an, dass die Ausbildung der Fachkräfte in der Montessori-Schule teilweise mangelhaft sei. So entstehe teilweise eine unangebrachte Materialfixierung, und allgemein scheinen die
fachlichen Herausforderungen die üblichen Qualifikationen zu überfordern. Nicht zuletzt sollte das
Fundament der Montessori-Pädagogik durch psychologische Erkenntnisse erweitert werden.
Prinzipiell kann natürlich gefragt werden, ob eine Schule, die auf einem, nach heutigen Maßstäben, doch sehr veraltetem Konzept basiert, noch gerechtfertigt werden kann. Werden die Bedingungen und Ansätze, jedoch auf Basis der Gedanken Montessoris modifiziert, sollte jedoch beachtet werden, dass Montessori selbst die pädagogische Wahrheit als gefunden ansah, was einer Veränderung entgegenstehen würde. Des weiteren hat jede Praxis auch eine dazugehörige Theorie,
welche auch nach Außen begründet werden können muss. „Eine historisch überlieferte Praxis
muss deshalb auch die historisch überlieferte zugehörige Theorie zur Kenntnis nehmen“ (Hofer
(2001), S. 218), und sich damit kritisch auseinander setzen und eventuell dann Abstand davon
nehmen. Genauso wie Montessori ein Kind ihrer Zeit war, scheint die von ihr entwickelte Pädagogik dem zu entsprechen, was die Frage aufwirft, ob nicht auch die Montessori-Schule als ein zeitlich begrenztes Phänomen aufgefasst werden sollte. Dient dem entgegen „Montessori“ nur noch
als Label zur Beschwörung eines pädagogischen Mythos, kann jedoch auch kritisch angemerkt
werden, dass dieses Label einer „aufgeklärten, selbstkritischen, ökologisch sensibilisierten und demokratischen Gesellschaftsordnung widerspricht“ (Hofer (20019, S. 220). Anstelle dessen tritt ein
Ansatz, der jede Selbstkritik außer Acht lässt und eine technologisch ausgerichtet Wissenschaftseuphorie, die menschliche Fähigkeiten überschätzt und absolut setzt, vertritt.
Bei der Betrachtung der praktischen Umsetzung in der Montessori-Schule in Rohrdorf war, meiner
Meinung nach, zu erkennen, dass die theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept Montessoris kaum geführt und eher vermieden wird. Einzelne Elemente der Pädagogik wirken trotz allem
sehr positiv und sind sicherlich vom Ansatz her auch positiv zu beurteilen. Gerade das Eingehen
auf das Individuum, im Umgang mit den Schülern, sei hierbei genannt. Jedoch wird dabei trotz allem die theoretische Basis nicht verbessert und die Frage bleibt, ob das Konzept noch aktuell gültig bleiben kann, bei Berücksichtigung aller Komponenten und einer kritischen Auseinandersetzung
damit. Anstelle Aspekte von Montessori zu übernehmen, kann mensch sich auf deutlich weniger
fragliche Konzepte - wie z.B. Summerhill von A.S. Neill oder, von mir präferiert, die Pädagogik
John Deweys, der ähnliche Elemente in seine Pädagogik mit aufgenommen hat, dies jedoch auf
eine klar begründete, stichhaltige und vertretbare theoretische Basis stellte - beziehen. Auch ist
das Konzept Deweys nicht ein rein theoretisches, sondern wurde bei ihm auch der Praxisbezug,
durch die so genannte Dewey-School in Chicago, gewährleistet7.
Autor: Stephan Geuenich
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Für einen Einblick in Deweys Gedanken und Pädagogik seien folgende Bücher empfohlen:
- Bohnsack, F. (2003). Demokratie als erfülltes Leben. Die Aufgabe von Schule und Erziehung. Ausgewählte und
kommentierte Aufsätze unter Berücksichtigung der Pädagogik John Deweys. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
- Dewey, J. (2000). Demokratie und Erziehung. Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik. Aus dem
Amerikanischen von Erich Hylla. Herausgegeben und mit einem Vorwort von Jürgen Oelkers. Mit einer
umfangreichen Auswahlbiographie. Weinheim und Basel: Beltz.
- Schreier, H. (1994). John Dewey. Erziehung durch und für Erfahrung. Eingeleitet, ausgewählt und kommentiert von
Helmut Schreier. Stuttgart: Klett-Cotta.
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