Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 19. April 2015

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Gottesdienst in der Stiftskirche Stuttgart am 19. April 2015
Gottesdienst in der
Stiftskirche Stuttgart
am 19. April 2015
Predigt über Johannes 10,11-16
von Prälat Ulrich Mack
In diesem Gottesdienst wurde Pfarrerin Franziska Stocker-Schwarz in ihr
Amt als Leiterin der Württembergischen Bibelgesellschaft und Direktorin
des Bibelmuseum bibliorama investiert; Beate Schuhmacher-Ries und Pfarrerin
Karina Beck wurden in ihre Aufgabe im Bibelmuseum eingesetzt.
Heute am sog. „Hirtensonntag“ hören wir auf einen Teil einer Rede, in der Jesus über
sich selber spricht. Er sagt:
11 Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.
12 Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf
kommen und verlässt die Schafe und flieht - und der Wolf stürzt sich auf die Schafe
und zerstreut sie -,
13 denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe.
14 Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich,
15 wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die
Schafe.
16 Und ich habe noch andere Schafe, die sind nicht aus diesem Stall; auch sie muss ich
herführen, und sie werden meine Stimme hören, und es wird "eine" Herde und "ein"
Hirte werden.
Und dazu aus diesem Kapitel der Wochenspruch:
Ich bin der gute Hirte.
27 Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir;
28 und ich gebe ihnen das ewige Leben.
1
Liebe Gemeinde,
Ich bin der wirklich gute Hirte – sagt Jesus.
Ok, sagen wir – und denken vielleicht: Haben wir doch schon 100 mal gehört,
oder? Jetzt schon wieder. Und in Gedanken sehen manche die romantischen
Schäferbilder vor sich, wie sie noch in Großmutters Schlafzimmer hängen: Jesus,
der liebliche Hirte? Und sie fragen sich: Was ist eigentlich das Spannende daran?
Dass wir nur sowas wie Schafe sind, Tiere mit niederem IQ, gerade recht zur
Wolle- und Fleischproduktion? Brave Schäfchen in der Kirche?
Nein, davon sagt Jesus nichts – und es ist wichtig, solchen Bildern im Kopf
erstmal die Luft rauszulassen.
Jesus redet anders. Erstaunlich anders. Hören wir genau hin. Was ist das
Spannende daran, wenn Jesus sich den guten Hirten nennt?
Achten wir darauf, was Jesus nicht von sich sagt.
Er sagt nicht: Ich bin kurzfristig Angestellter bei einer Hammelherde, die mir
eigentlich egal ist. Sollen die Schafe doch selber schauen, wie sie überleben.
Sondern Jesus sagt: Ich kenne die Meinen, ich hab sie lieb. Und ich führe sie
dorthin, wo sie Nahrung finden.
Jesus sagt nicht: Ich bin der Vorstandsvorsitzende eines religiösen Großbetriebs
und befehle, was alles in den Gemeinden laufen soll.
Sondern Jesus sagt: Der gute Hirte gibt nicht zuerst Befehle, sondern er gibt sich
selber für die Schafe, damit sie gut laufen können.
Jesus sagt nicht: Ich bin der gute Metzger, und die Schafe fliehen vor mir, weil ich
sie jage und schlachten will.
Sondern er sagt: Ich bin der gute Hirte und gehe voran, zeige den Weg. Und
meine Schafe folgen mir – nicht aus Zwang, nicht aus religiöser Pflicht, sondern
weil sie mich kennen und mir vertrauen.
2
So ist Jesus der gute Hirte. Und wenn er sich mit diesem Berufsstand identifiziert,
dann denkt er nicht zuerst an ein Schäferidyll auf der Schwäbischen Alb, sondern
an den harten Job, den Hirten zur Zeit Jesu hatten: Die Weiden waren und sind
dort nicht fett wie bei uns. Besonders im Sommer ist es oft schwierig, gute
Weideplätze zu finden und Wasserquellen. Darauf aber vertrauen die Schafe,
dass der Hirte Weiden und Quellen weiß und dass er recht führt. Und eben
dieses Vertrauen will Jesus in uns wecken.
Es ist das Vertrauen, das in Psalm 23 so lautet:
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück;
denn du bist bei mir …
Es ist genau die Stelle im Psalm, in dem das Betrachten zum Gebet wird, das „er“
zum „du“: denn du bist bei mir.
Zu diesem Vertrauen will Jesus einladen.
Es hat schon seinen guten Grund, dass Jesus sich gerade so als guten Hirten
vorstellt. Das Alte Testament zeigt an besonderen Stellen Gott als Hirten. Psalm
23 besingt ihn. Und der Prophet Hesekiel schildert ihn, zitiert Gottes Zusage. Da
lässt Gott in eine politisch kritische Zeit, wo alle fragten, wie es weiter geht, - da
lässt Gott ausrichten: Ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie
weiden.
Sowohl bei Hesekiel wie auch hier im Johannesevangelium hat die Rede von Gott
oder Jesus als Hirte auch einen kritischen Unterton – und zwar kritisch im Blick
auf menschliche Anführer, politische und religiöse. Kritisch gegen faule und
schlechte Hirten.
In der Bibel werden Politiker nicht zuerst daran gemessen, wie reich sie waren
oder wieviel Kriege sie gewonnen haben. Sondern die Bibel fragt: waren sie gute
Hirten? Haben sie für die Menschen gesorgt? Sich zuerst für sie eingesetzt statt
für sich selbst?
3
Saul, der erste König Israels, war ein Kämpfer, ein Krieger. Und er versagte in
seiner Führungsaufgabe. Ganz anders sein Nachfolger David: Er war gelernter
Hirte – und er nahm etwas von der Hirtenart in seine politische Verantwortung
hinein. Und er wusste von Gott, dem guten Hirten und hat ihn im Psalm
besungen.
Wenn uns Gott in Psalm 23 oder wenn uns Jesus hier im Johannesevangelium
als guter Hirte vor Augen steht, dann schwingt immer auch mit: Habt Vertrauen zu
diesem Hirten – und lernt von seiner Hirtenart. Ob in der Politik oder in einem
anderen Beruf, ob in der Kirchenleitung oder im Pfarramt, im haupt- oder
ehrenamtlichen Mitarbeiten – lernt von der Hirtenart, die wir an Jesus sehen. Von
seiner Art, sich für die Herde zu sorgen. Auch wenn sich ein Schaf mal
verheddert hat im Dornengestrüpp, es nicht einfach liegenlassen, sondern es
suchen, finden, zurückbringen. So hat es Jesus in einem Gleichnis gezeigt. Seine
Hirtenart.
Aus dem, was Jesus über seine Hirtenart sagt, fassen wir heute aus aktuellem
Anlass noch einen Aspekt besonders ins Auge: Jesus sagt:
Sie hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir.
Genau das ist ein gutes Programm für eine Bibelgesellschaft, und es ist eine
treffende Zielangabe für unser Stuttgarter Bibelmuseum bibliorama: Sie hören
meine Stimme, und sie folgen mir.
Damit wir verstehen, was Jesus meint, sollten wir in Markgröningen dabei sein
beim Schäferlauf. Da könnten wir etwas von der Weidekunst lernen. Da starten
einzelne Hirten ja einen Weidewettbewerb; und da, so hat mir mal ein
Weidekundiger erzählt, da beginnen sie hoch interessant. Sie starten damit, dass
sie erstmal um die Herde rumgehen. Dabei reden sie laut. Sie reden zu den
Schafen. Sie wandern um die Herde herum und schaffen mit ihrer Stimme den
Kontakt. So schaffen sie Vertrauen. Erst dann, wenn die Schafe an die Stimme
des Hirten gewöhnt sind und ihr vertrauen, dann folgen sie dem Hirten.
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Die Stimme des guten Hirten hören und sie andere hören lassen – dazu sind eine
Bibelgesellschaft und ein Bibelmuseum da.
Die Stimme des guten Hirten hörbar machen.
Gottes Wort soll bekannt werden.
Die Bibel soll vertraut werden als eine Urkunde, aus der wir die Hirtenstimme für
uns verbindlich hören können.
Die Bibel ist weit verbreitet. Aber ist sie auch viel gelesen? Ich war einmal bei
einem goldenen Hochzeitspaar. Voller Stolz holten sie aus der Vitrine ihre schöne
große Traubibel. „Sehen Sie,“ so sagte die Frau, „sehen Sie – wie neu“.
Schade, dachte ich.
Jesus hat ja nicht gesagt: Meine Schafe bekommen meine Stimme und stellen sie
hinter Glas in die Vitrine. Sondern sie hören meine Stimme und folgen mir.
Es gehört zum Weideauftrag in unserer Kirche, immer neu danach zu fragen und
zu suchen: Wie machen wir Gottes Wort bekannt? Wie geben wir die frohe
Botschaft von Jesus weiter auch an solche Menschen, die bisher taub sind für die
Hirtenstimme?
Jesus sagt hier im Bibeltext: Ich habe noch andere Schafe, … auch sie muss ich
herführen. Jesus weitet hier seinen Blick über das Volk Israel hinaus. Auch die
Heidenvölker sollen seine Stimme hören. Ich möchte es für uns so verstehen:
Auch solche Menschen, die schon lang keine Bibel mehr in der Hand hatten,
sollen von Jesus hören. Auch solche, die nicht wissen, was Christsein heißt,
sollen im bibliorama etwas davon spüren und Funken der Neugier auf die Bibel
aufnehmen.
Lassen wir uns von dieser Hirtenart Jesu anstecken. Seine Herde ist groß. Er
beruft uns zum Mitweiden. So zeigt es der 1. Petrusbrief. Da steht: Weidet die
Herde Gottes – der gute Hirte Jesus beruft euch dazu.
Amen
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