Entscheidungsanmerkung
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Entscheidungsanmerkung
Entscheidungsanmerkung zu BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 20.01.2010, 1 BvR 2062/09 (Produktabbildung in eBay) von Martin Malkus, Marburg Das BVerfG lehnte die Verfassungsbeschwerde eines eBay-Händlers, der sich, im durch Art. 14 Abs. 1 GG garantierten Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verletzt sah, als unzulässig ab. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass er sich aufgrund der Deckelung der Abmahnkosten gem. § 97a Abs. 2 UrhG auf 100 € gegen Urheberrechtsverletzungen nicht mehr hinreichend zur Wehr setzen könne. Trotz fehlender Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des § 97 Abs. 2 UrhG (II.), bieten die Aktualität und Bedeutung der Problematik (III.), die Besonderheiten des Sachverhaltes (IV.) und die hilfsweise angestellten Erwägungen des Gerichtes (V.) genügend Anlass für eine genauere Betrachtung des Nichtannahmebeschlusses. I. Sachverhalt Der Beschwerdeführer verkauft als „Powerseller“ bei eBay Hifi-Geräte. Er stellte 20.000 professionelle Produktfotos mit erheblichem Aufwand her. Diese werden von anderen eBayMitgliedern ständig kopiert und für eigene Auktionen verwendet. Dies stellt eine Urheberrechtsverletzung dar, gegen die dem Beschwerdeführer gem. § 97 Abs. 1 UrhG ein Unterlassungsanspruch und gem. § 97 Abs. 2 UrhG ein Schadensersatzanspruch zusteht. In vielen Fällen gelang es dem Beschwerdeführer allein nicht der Urheberrechtsverletzung Einhalt zu gebieten. Dies machte es nötig, einen Anwalt zu beauftragen, der im Wege einer Abmahnung gem. § 97a Abs. 1 UrhG gegen die Urheberrechtsverletzer vorgeht. § 97a Abs. 2 UrhG „deckelt“ die Abmahngebühren auf einen Betrag von 100 €. Die Anwaltskosten überstiegen aber oftmals diesen Betrag und machten es dem Beschwerdeführer daher quasi unmöglich seine Rechte durchzusetzen. Er sieht sich in Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. II. Entscheidung des BVerfG Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig sei. Der Beschwerdeführer habe (1.) seine Beschwerdebefugnis nicht ausreichend substantiiert dargelegt und (2.) nicht zunächst den Rechtsweg zu den sachnäheren Fachgerichten gewählt: 1 1. Allein die Eigenschaft als "Powerseller" bei eBay genüge nicht um eine konkrete Betroffenheit durch die angegriffene Vorschrift zu begründen1. Vielmehr müsse der Beschwerdeführer nachweisen, dass ihm durch die Neuregelung ein Schaden entstanden ist. 2. Der Beschwerdeführer hätte sich zunächst an sachnähere Fachgerichte wenden müssen, die dann nach Art. 100 Abs. 1 GG das BVerfG anrufen können. Aufgrund des besonderen Sachverstands wären für die verfassungsrechtliche Prüfung möglicherweise förderliche Tatsachen ermittelt worden. Davon ist nur dann eine Ausnahme zu machen, wenn der Beschwerdeführer zu Dispositionen gezwungen wird, die später nicht mehr korrigiert werden können oder wenn die Anrufung der Fachgerichte dem Beschwerdeführer nicht zuzumuten ist, etwa weil das offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre. Hier aber sei die Anrufung der Fachgerichte geeignet um Zweifelsfragen aus der Welt zu schaffen. Damit bleibt sich das BVerfG treu: mit einer nahezu identischen Argumentationslinie hat es eine Verfassungsbeschwerde gegen die Neuregelung des Urheberrechts zur Einräumung von Rechten bzgl. unbekannter Nutzungsarten nicht angenommen2. III. Kontext der Entscheidung 1. Inhalt und Entstehungsgeschichte Im September 2008 trat das „Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums“ in Kraft. Es setzt die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums („Enforcement-Richtlinie“) um3. Das Ziel der einfacheren Rechtsdurchsetzung bei Urheberrechtsverletzungen verwirklicht das Gesetz durch die Schaffung des § 97a UrhG und eines Auskunftsanspruchs gegen die Provider gem. § 101 UrhG. Mit § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG besteht nun auch ein spezieller Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten, der bisher aus dem Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag hergeleitet wurde4. Diese richtete sich nach dem Streitwert. Bereits vor der Umsetzung der Richtlinie entdeckten Anwälte das Schreiben von Abmahnungen als lukratives Geschäftsmodell. Die erstrebenswerte leichtere Durchsetzbarkeit von Unterlassungsansprüchen wegen Urheberrechtsverletzungen ließ daher befürchten, dass sich die bisherige Entwicklung noch weiter verstärkt und eine neue Welle von Abmahnungen abmahnwütiger Anwälte mit sich bringt. Unter dem Deckmantel des Urheberrechts überhöhte und unangemessene Anwaltsgebühren zu verlangen, ist rechtlich wie politisch nicht erwünscht, und so reagierte der Gesetzgeber darauf, indem er § 97a Abs. 2 UrhG einführte, der solch horrenden Forderungen Einhalt gebieten soll. Danach werden die Beträge in bestimmten Fällen auf 100 € gedeckelt. Eine Deckelung ist unter folgenden kumulativen Voraussetzungen möglich: (1) Erstmalige Abmahnung, (2) einfach gelagerter Fall, (3) unerhebliche Rechtsverletzung und (4) außerhalb des 1 Rz. 16. BVerfG, Beschluss v. 24.11.2009 – 1 BvR 213/08; vgl. Wille, ZUM 2010, 240. 3 ABl. L 157 v. 30.4.2004, S. 45. 4 vgl. OLG Brandenburg ZUM 2009, 412, 413 – GPS Empfänger. 2 2 geschäftlichen Verkehrs. Das genaue Verständnis der einzelnen Merkmale ist noch unklar und bedarf weiterer Klärung durch die Fachgerichte. 2. Kritische Bewertung Die vom Beschwerdeführer zur Verfassungswidrigkeit des § 97a Abs. 2 UrhG angeführten Argumente sind nicht neu. Bedenken gegen die Regelung wurden schon vor ihrem Erlass laut5. Sie entsprechen den Ausführungen des Beschwerdeführers: in der Praxis würden die Kosten des eingeschalteten Rechtsanwalts durch die Deckelung nicht verringert, sondern lediglich der Umfang des nachfolgenden Erstattungsanspruchs. Dies habe zur Konsequenz, dass der Verletzte, dem ein Unterlassungsanspruch zusteht, seine Rechte aufgrund der drohenden Kosten nicht verfolgen werde6. Die Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht 7 warnte davor, dass der Urheberrechtsschutz durch eine „Deckelung“ der Abmahnkosten geschwächt werde und eine Bewertung nach dem Gegenstandswert zu gerechten, weil von den Gerichten überprüfbaren Ergebnissen führe. Die Bedenken wurden gehört, aber verständlicherweise entkräftet 8: Schließlich richten sich die Abmahnungen häufig gegen Bürger, die anders als bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte nicht im geschäftlichen Verkehr handeln. Diese Betroffenen scheuen gerade den Gang zu den Gerichten und zahlen den unkontrollierten und unangemessenen Betrag 9. Zudem stützt sich die Argumentation nur in wenigen Fällen auf die Realität: Anwälte bieten zumeist Modelle an, bei denen der Mandant keine Anwaltskosten zu tragen hat, insbesondere werden die Urheberrechtsansprüche an den Anwalt abgetreten10. Mit der Hebung der „Deckelung“ von den ursprünglich erwogenen 50 € auf 100 €, fand sich auf Vorschlag des Rechtsausschusses11 hin ein Kompromiss. IV. Besonderheit des Sachverhaltes Die Besonderheit des Sachverhaltes liegt darin, dass er sich gewissermaßen spiegelbildlich zum Paradefall des § 97a Abs. 2 UrhG verhält. Der Gesetzgeber hatte bei der Schaffung der Norm gerade den unbedarften Hobby-Internutzer im Sinn, der seine Homepage oder eBayAuktionen mit fremden Fotos oder Texten verfeinert, ohne dabei an das Urheberrecht zu denken12. So findet sich in der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses13 neben dem öffentlichen Zugänglichmachen eines Liedtextes und eines Stadtplanausschnitts auf einer privaten Homepage ohne Ermächtigung des Rechtsinhabers eben auch die Verwendung eines 5 vgl. Ewert/v. Hartz, ZUM 2007, 450; nachträglich: dies., MMR 2009, 84, 85 („verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes“); Backhaus, in: Mestmäcker/Schulze, § 97a UrhG, Rn 80 mwN; Kitz, NJW 2008, 2374, 2377; Weidert, AnwBl. 2008, 529, 531; Dreier, in: Schulze/Dreier, § 97 a UrhG Rn 2; Nordemann, in: Fromm/Nordemann, § 97 a UrhG Rn 31. 6 Kefferpütz, in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, § 97a UrhG, Rn 39. 7 GRUR 2006, 1012. 8 Zypries, GRUR 2007, 126. 9 Zypries, GRUR 2007, 126, 127. 10 zur Praxis vgl. Tyra, ZUM 2009, 934, 943; AG Hamburg, Urt. v. 14.7.2009 – 36a C 149/09, BeckRS 2009, 26779 - Iron Maiden Mitschnitt. 11 BT-Drucks. 16/8783, S. 49. 12 Russlies, c’t-Magazin 2008, 168, 171. 13 BT-Drucks. 16/8783, S. 50. 3 Lichtbildes in einem privaten Angebot einer Internetversteigerung ohne vorherigen Rechtserwerb vom Rechtsinhaber. Das OLG Brandenburg14 hatte Anfang 2009 über folgenden Fall zu entscheiden: Der Beklagte hatte für eine private Internetauktion ein Bild eines GPS-Empfängers benutzt, das der Kläger für den Hersteller geschossen hatte und wurde daraufhin abgemahnt. Der Beklagte weigerte sich die fiktiven Lizenzgebühren und Anwaltskosten i.H.v. insgesamt 495,40 € zu bezahlen. Das Gericht sah § 97a Abs. 2 UrhG unproblematisch als erfüllt an und verurteilte den Urheberrechtsverletzer zur Zahlung von 40 € fiktiver Lizenzgebühr und 100 € Anwaltsgebühren, wies die Klage im Übrigen ab. Einerseits ist es verständlich, dass sich der Beschwerdeführer erfolgreich zur Wehr setzen möchte. Andererseits erscheint es unangemessen, bei einer bloßen Bagatellverletzung solch überzogene Abmahnkosten zahlen zu müssen. Es verwundert zunächst, dass dieser ziemlich eindeutige Fall die Gerichte beschäftigt, wo doch die eigentlich praktische Bedeutung der Norm heute in einem extremeren Bereich liegt: Abmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen auf Tauschbörsen. Dies zeigt die Masse an Anfragen bei den Verbraucherzentralen und zahlreiche Internetforen in denen vermeintlich juristische Ratschläge zum Thema erteilt werden15. Hier begegnen deutlich erkennbare Urheberrechtsverletzungen von Tauschbörsennutzern auf der einen Seite, einer professionellen „Abmahn-Industrie“, die Urheberrechtsschutz zum lukrativen Geschäftsmodell erheben. Letztlich erklärt sich die geringe Beschäftigung der Gerichte mit der praktisch bedeutsameren Problematik aber daraus, dass sich sowohl Urheberrechtsverletzer, als auch die verletzten Abmahner zurückhaltend verhalten. Die einen fürchten die horrenden Gerichtskosten, die weit über den geforderten Abmahnkosten liegen könnten. Die anderen fürchten, dass ihr Geschäftsmodell der Drohkulisse durch gerichtliche Entscheidung im Hinblick auf die Deckelung durch § 97a Abs. 2 UrhG zusammenfällt. So scheint es lukrativer weiterhin Abmahnungen zu verschicken, statt sich auf große Streitigkeiten vor Gericht einzulassen. V. Lehren aus dem Beschluss 1. Lehren für den Gesetzgeber: Er kann sich weiterhin sicher sein mit § 97a Abs. 2 UrhG eine Regelung geschaffen zu haben, die einen gerechten Ausgleich zwischen den sich widerstreitenden Interessen schafft. Dem Gesetzgeber wird durch das BVerfG ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung der Verletzungsansprüche des Urhebers zugestanden16. Auch stehe ihm ein angemessener Zeitraum zur Verfügung, um Wirksamkeit und Angemessenheit zu beobachten und gegebenenfalls zu korrigieren17. 2. Lehren für die Beratungspraxis: Das BVerfG zeigt abermals eine verständlich zurückhaltende Bewertung urheberrechtlicher Regelungen. Wer sich in seinen 14 OLG Brandenburg ZUM 2009, 412 – GPS Empfänger. vgl. ct-Magazin 2010, S. 154. 16 Rz. 22. 17 Rz. 26. 15 4 Urheberrechten verletzt sieht, sollte die Streitigkeiten zunächst vor den Fachgerichten austragen. 3. Lehren hinsichtlich der einzelnen auslegungsbedürftigen Merkmale des § 97a Abs. 2 UrhG: a) Die anwaltliche Praxis sieht sich durch den Nichtannahmebeschluss gestärkt. So deute das BVerfG an, dass die Deckelung nach § 97a Abs. 2 UrhG bei einer erneuten – somit nicht mehr erstmaligen - Mahnung entfalle 18. Dem ist entgegenzuhalten, dass ein solches Verständnis Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen würde, könnte sie durch das Versenden einer weiteren Mahnung unterlaufen werden. b) Die im Beschluss angesprochenen Fragen zur Rückwirkung des neugeschaffenen § 97a Abs. 2 UrhG19 dürften dagegen für die aktuelle Beratungspraxis kaum noch eine Rolle spielen. c) Die wesentlichen Fragen nach den Voraussetzungen des § 97a Abs. 2 UrhG bleiben im Beschluss jedoch noch offen: Wo verläuft die Grenze des einfach gelagerten Falles? Wann ist eine Urheberrechtsverletzung unerheblich? Sie sind den Fachgerichten und der Literatur überlassen worden. Zur Höhe von Abmahngebühren bei Urheberrechtsverletzungen auf Tauschbörsen gem. § 97a Abs. 2 UrhG vgl. auch Malkus, Harry Potter und die Abmahnung des Schreckens, MMR 2010, 382. 18 19 Rz. 26; vgl. Reber, GRUR-Prax 2010, 103. Rz. 27 ff. 5