des Berichts
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Verbesserung der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz – Erarbeitung und Umsetzung des Dementia Care MappingVerfahrens gefördert durch die Robert Bosch Stiftung im Rahmen des Programms „Gemeinsame Projekte von Hochschule und Praxis“ Zeitraum: September 2000 bis Dezember 2001 Praxispartner: AWO-Feierabendhaus / Wohnen und Pflegen, Bad Salzulfen, Bezirk OstwestfalenLippe Sonja Rodschinka Heiko Brand Theoriepartner: Christian Müller-Hergl, Meinwerk-Institut, Paderborn Projektverantwortliche und Berichterstattung: Heiko Brand, Pflegedienstleiter im AWO-Feierabendhaus Sonja Rodschinka, Heimleiterin im AWO-Feierabendhaus Zu diesem Projekt wurde ein Film erstellt. www.bosch-stiftung.de Inhaltsverzeichnis 1. DCM – Dementia Care Mapping 2 2. Ziele des Projektes 2 3. Methoden und Instrumente 3 4. Durchführung des Projektes 5 a. Probleme, Schwierigkeiten, Lösungen 5 b. Vernetzung innerhalb der Pflegeinfrastruktur 6 5. Ergebnisse des Projektes a. Auswirkungen auf die Pflegepraxis 8 8 b. Kosten-Nutzen-Abschätzung für die Projekteinrichtung 10 c. Kosten-Nutzen-Abschätzung bei der Übertragung auf andere 11 Einrichtungen d. Auswirkungen auf die pflegewissenschaftliche Entwicklung 6. Empfehlungen für andere Pflegeinstitutionen 12 13 a. Hinweise zu Vorgehensweisen 13 b. Hinweise zur Schaffung von Rahmenbedingungen 14 c. Motivation der MitarbeiterInnen 15 d. Hinweise zur Finanzierung 15 7. Verweise auf Veröffentlichungen zum Projekt 16 8. Literaturhinweise zum Thema 18 9. Vorstellung der Projektbeteiligten 18 www.bosch-stiftung.de 1 1. DCM – Dementia Care Mapping Die Methode des Dementia Care Mapping (DCM) wurde Anfang der 90er Jahre von Tom Kitwood in Großbritannien entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Methode zur Messung des relativen Wohlbefindens demenzkranker Menschen, wobei gleichzeitig vorausgesetzt wird, dass relatives Wohlbefinden identisch ist mit guter Pflege. Um ein solches Wohlbefinden zu entwickeln, ist es im Sinne der Pflegephilosophie Kitwoods notwendig, den einzelnen demenzkranken Menschen als Person anzuerkennen, wertzuschätzen und zu fördern. In diesem Sinne versucht DCM das Wohlbefinden der Betroffenen anhand ihres Verhaltens und ihres Erscheinungsbildes mit einem hohen Grad an Detailgenauigkeit abzubilden, um herauszufinden, was genau auf welche Weise einem Demenzkranken gut tut, im Gegensatz zu dem, was Pflegende glauben, das es ihm gut tut. Gleichzeitig wird beobachtet, welche Formen personaler Missachtung (von Mitbewohnern, Angehörigen, aber auch Pflegenden) vorkommen und welche Aspekte im Umgang mit dem Einzelnen im Detail zu beachten sind. Somit schult DCM gleichzeitig die Beobachtungsfähigkeit der Mitarbeiter im Hinblick auf dementielles Verhalten, und fördert eine Haltung, die „verwirrtes“ Verhalten in seinen personalen Tiefendimensionen zu verstehen erlaubt und für dessen symbolischen Gehalt empfänglich macht. Dies geschieht, indem ein „Mapper“ (geschulter DCM-Anwender) die Gesamtszenerie eines Bereichs mit demenzkranken Bewohnern beobachtet und kartografiert. Dabei achtet er insbesondere darauf, inwieweit durch die pflegerischen Interaktionen (oder auch deren Fehlen) die körperlichen, sozialen und emotionalen Bedürfnisse der Betroffenen in einer Weise befriedigt werden, die das Personsein würdigt, erhält und stützt. Auf diesem Hintergrund stellt DCM ein Verfahren dar, das die Qualität der Arbeit anhand der Objektivierbarmachung des Wohlbefindens der Bewohner beurteilt. Das Ziel ist es daher, durch regelmäßige „Mappings“ in allen Bereichen eine stetige Überprüfung der Richtigkeit der Interventionen der Pflegenden zu erreichen und gleichzeitig mit Hilfe einer personenzentrierten, externen Sichtweise neue Anregungen und Wege zu ermitteln, die den Pflegenden in ihrer täglichen Arbeit bisher verborgen geblieben sind (Aufdecken von institutionellen Wahrnehmungsgewohnheiten, auch in Hinblick auf das Milieu und die Tagesstruktur im jeweiligen Wohnbereich). 2. Ziele des Projektes Das wesentliche Ziel des Projektes war es, mit Hilfe der Methode des Dementia Care Mappings die Qualität der Pflege in Hinblick auf Zufriedenheit und Wohlgefühl www.bosch-stiftung.de 2 demenzkranker BewohnerInnen so auszurichten, dass diese – unter Berücksichtigung der finanziellen Rahmenbedingungen der stationären Altenhilfe in der Bundesrepublik Deutschland – die bestmögliche Betreuung erhalten. Dies sollte dadurch geschehen, dass innerhalb des Projektes kompetente MitarbeiterInnen unterschiedlicher Fachrichtungen (Krankenschwestern/-pfleger, AltenpflegerInnen, ErgotherapeutInnen) in der Anwendung der Methode so geschult werden, dass sie in der Lage sind, die Qualität der Pflege sowohl in Hinblick auf Wohlgefühl und Verhaltensweisen der BewohnerInnen als auch in Hinblick auf das sie umgebende Milieu und die Interventionen der MitarbeiterInnen zu beurteilen und somit Maßnahmen und Zielformulierungen zu entwickeln, mit deren Hilfe eine Optimierung der Abläufe in Hinblick auf das individuelle Wohlgefühl der demenzkranken Menschen erreicht werden kann. Auf dem Hintergrund der DCM-Philosophie von positiver Personenarbeit sollte auf diesem Weg ein neues Verständnis der MitarbeiterInnen für ihre Arbeit gefördert werden, die es ihm/ihr ermöglicht, die Prioritäten in der Pflege auf das auszurichten, was dem/der BewohnerIn objektiv gut tut (im Gegensatz zu dem, was die Pflegenden meinen, dass es ihm/ihr gut tut). Dies beinhaltete automatisch eine Abkehr von einer grundpflegeorientierten Ausrichtung der Pflege und eine Hinwendung zu einer personenorientierten, biographiebezogenen Ganzheitlichkeit. Die wesentliche Veränderung der täglichen Abläufe sollte sich also dahingehend ergeben, dass sich MitarbeiterInnen von ihrer traditionellen Ausrichtung lösen und in die Lage versetzt werden sollten, die eigenen Einstellungen und Abläufe immer wieder zu hinterfragen und Ressourcen sowohl in Hinblick auf die Fähigkeiten des Einzelnen als auch auf das Umfeld und die eigenen Interventionsstrategien zu erkennen und aufzugreifen. Darüber hinaus sollte das Interesse der einzelnen BewohnerInnen einen höheren Stellenwert erhalten und damit der institutionelle Charakter einer stationären Einrichtung in den Hintergrund treten. Das hieß zugleich, dass sich die MitarbeiterInnen von dem Verständnis der „allmächtigen“ Pflegekraft lösen und lernen mussten, sich als „Begleiter“ der BewohnerInnen zu verstehen. Auf diesem Weg sollte jedoch auch erreicht werden, dass die MitarbeiterInnen eine bessere Beobachtungsfähigkeit entwickeln und dementes Verhalten besser verstehen lernen, so dass sie mit scheinbar schwierigen oder absurden Situationen besser umgehen können. 3. Methoden und Instrumente Die wesentliche im Projekt angewandte Methode ist die Methode des Dementia Care Mappings selbst. Dies bedeutet, dass zu Beginn des Projektes 10 MitarbeiterInnen des AWO-Feierabendhauses in der Anwendung der Methode ausgebildet wurden (DCM-Basic- www.bosch-stiftung.de 3 User), um im Verlauf des Implementierungsprozesses den jeweiligen Verlauf in den vier Wohnbereichen der Einrichtung zu beobachten. Die Methode des DCM bezieht sich dabei auf drei Kompetenzebenen: Zunächst in der Sammlung der Daten anhand der vorgegebenen Methode, dann in der Auswertung und der Interpretation der erhobenen Daten und schließlich in der Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Team in Hinblick auf die Weiterentwicklung der Pflege in dessen Bereich (Aufdecken von Ressourcen der BewohnerInnen, Umsetzen personenzentrierter Handlungsweisen, Möglichkeiten zur Verbesserung von Milieu und Tagesstruktur). Inhaltlich beobachtet DCM vier bis fünf Personen über den Zeitraum von mehreren Stunden und erhebt dabei Daten, die in der Lage sind, Auskunft darüber zu geben, was jeder einzelnen beobachteten Person widerfuhr und wie sich dies auf ihr Verhalten und ihr Wohlgefühl ausgewirkt hat. Dies geschieht, indem der DCM-Anwender („Mapper“) auf drei Ebenen Beobachtungen anstellt: 1. Kodieren von Verhaltenskategorien und Wohlfühlwerten, d.h. es wird notiert, was eine Person in jedem von aufeinander folgenden, fünfminütigen Zeitabschnitten getan hat. Dabei wird für jeden Zeitabschnitt ein Buchstabe zugewiesen, der für eine Verhaltenskategorie steht, und unter dem Buchstaben eine Zahl festgehalten, die – bezogen auf den Zustand einer Person – das jeweilige relative Wohlbefinden oder Unwohlsein bezeichnet. 2. Personale Detraktionen und positive Ereignisberichte, d.h. es werden jene (in der Regel kurzzeitigen) Episoden protokolliert, in denen eine Person erniedrigt oder in irgendeiner Weise beeinträchtigt wird, bzw. es wird ein Bericht gegeben, in dem besonders beeindruckende Einzelfälle guter Pflegepraxis beschrieben werden, die eine besondere Bedeutung für den Feedback-Prozess oder für die Weiterentwicklung der Kompetenzen der MitarbeiterInnen besitzen. 3. Auffälligkeit zu Milieu, Atmosphäre, Umgangsformen (der MitarbeiterInnen mit den BewohnerInnen, aber auch der BewohnerInnen untereinander) und ungenutzten Ressourcen. Im Anschluss an die Beobachtung erfolgt eine Auswertung der Daten und ein FeedbackGespräch mit dem Team, in dem eine Zielformulierung in Hinblick auf weitere gemeinsame Entwicklungsprozesse erarbeitet wird. Das durch Beobachtung, Auswertung und FeedbackGespräch entstandene Ergebnisprotokoll ist als Vordruck in der Anlage zu finden. Über die Methode des DCMs hinaus wurden im Verlaufe des Projektes weitere Methoden für die personenzentrierte Arbeit mit Demenzkranken etabliert. So fand eine bereichsübergreifende Schulung fest angestellter MitarbeiterInnen in Integrativer Validation als wesentlicher Form der Kommunikation mit Demenzkranken, sowie in Basaler Stimulation als Interventionsmethode über sinnliche Wahrnehmung und in Kinästhetik als Methode zur www.bosch-stiftung.de 4 Bewegungskontrolle unter Berücksichtigung der Bewohnerressourcen statt. Ebenso wesentlich war für uns eine Schulung zum Krankheitsbild der Depression, um differentialdiagnostisch Demenz und Depression unterscheiden zu lernen, da die hiesigen Fachärzte oft in der diagnostischen Zuordnung Probleme haben. 4. Durchführung des Projektes a) Probleme, Schwierigkeiten, Lösungen 1. Motivation der Mitarbeiter: Ein wesentliche Hemmnis im Vorlauf des Projektes war es, die MitarbeiterInnen vom Wert der DCM-Methode für die alltägliche Arbeit zu überzeugen, zumal der Qualitätsbegriff innerhalb der Pflege bisher vornehmlich durch den strukturqualitätsgeprägten Ansatz des SGB XI geprägt war. Informationsveranstaltungen Daher für war alle es notwendig, MitarbeiterInnen bereits anzubieten im und Vorfeld ausreichend Vorlaufzeit einzuräumen, damit sich die MitarbeiterInnen auf die Veränderungen einstellen konnten. Bereits während dieser Vorlaufzeit stellte sich heraus, dass es für die MitarbeiterInnen eine besondere Hemmschwelle darstellte, von MitarbeiterInnen anderer Bereiche oder auch von Vorgesetzten in ihrer Arbeit beobachtet („kontrolliert“) zu werden. Diese Bedenken konnten auch erst im Verlaufe der Implementierung, d.h. in der praktischen Arbeit mit DCM vollständig aufgehoben werden, da es für einzelne MitarbeiterInnen offenbar zunächst notwendig war, anhand durchgeführter Mappings die Erfahrung zu machen, dass DCM nicht als Kontrollinstrument, sondern als prozessbegleitendes Handlungsinstrument zu verstehen ist, das durchaus auch positive Aspekte, also die Wertschätzung der Arbeit des Einzelnen und des Teams beinhaltet und darüber hinaus als Handlungshilfe zu verstehen ist, die institutionalisierte Schwächen und vorhandene Ressourcen sichtbar macht und damit in letzter Instanz zu mehr Mitarbeiterzufriedenheit führt. 2. Auswahl der MitarbeiterInnen: Ein wichtiger Aspekt bei der Implementierung des Verfahrens war die Auswahl geeigneter MitarbeiterInnen, die zu DCM-Basic-Usern ausgebildet werden sollten. Hierbei spielte zunächst das persönliche Interesse der Einzelnen, aber auch die persönliche Kompetenz desjenigen eine Rolle, wie auch eine Gruppenkonstellation die unterschiedliche Persönlichkeiten, Arbeitsschwerpunkte und Qualifikationen vereinte. Im Rahmen der ersten Informationsveranstaltung unter Teilnahme des Projektbegleiters Christian Müller-Hergl hatte sich auf diesem Weg bereits eine Gruppe von zunächst 18 interessierten MitarbeiterInnen herausgebildet, aus der sich letztlich in gemeinsamer Absprache der Betroffenen mit der Pflegedienstleitung www.bosch-stiftung.de eine Gruppe von zehn MitarbeiterInnen aus unterschiedlichen 5 Arbeitsbereichen herausbildete (im wesentlichen Pflegefachkräfte, aber auch Mitarbeiterinnen des sozialen Dienstes, eine erfahrene Pflegehelferin, sowie die Heim- und die Pflegedienstleitung). 3. Zeitaufwand: Eine wesentliche Schwierigkeit zur Implementierung der Methode war der einzukalkulierende Zeitaufwand, zunächst für die Ausbildung der zehn Basic-User (3-tägige Schulung, Praxisübungen, begleitete Projektgruppen-Sitzungen), aber auch für die regelmäßige Durchführung der „Mappings“ und deren Auswertung. Hierbei hat insbesondere die Ausbildung der Basic-User zu einem spürbaren Anfall von Mehrarbeitszeit der übrigen MitarbeiterInnen geführt, die erst auf dem Weg von Arbeitszeitveränderungen und Reduzierung sonstiger Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen teilweise kompensiert werden konnten. Daher war es wichtig, die Auswahl der teilnehmenden MitarbeiterInnen so durchzuführen, dass kein Arbeitsbereich übermäßig belastet wurde. Die regelmäßigen „Mappings“ hingegen konnten gegen Ende des Projektes soweit reduziert werden, dass in jedem Bereich noch einmal pro Quartal (in der Regel mit zwei MitarbeiterInnen) „gemappt“ wurde, der Aufwand für die hierzu ausgebildeten MitarbeiterInnen sich also auf ca. zwei Arbeitstage (inkl. Auswertung und Feedback) innerhalb von drei Monaten beschränkte. Abschließend ist bei der Beurteilung des Zeitaspektes noch anzuführen, dass die Gesamtheit des Projektes zu einer spürbaren (auch zeitlichen) Entlastung aller MitarbeiterInnen und damit zu mehr Arbeitszufriedenheit geführt hat, da sich der Schwerpunkt der Arbeit innerhalb der einzelnen Pflegebereiche von der Grundpflege hin zu einer personenzentrierten sozialpsychologischen Betreuung verlagert hat. Dies ist im Wesentlichen auf eine veränderte Prioritätensetzung seitens der MitarbeiterInnen zurückzuführen, die darin begründet liegt, dass a) die Kompetenz und damit die Handlungssicherheit im Umgang mit demenzerkrankten Menschen deutlich angestiegen ist und b) die Methode des DCMs herausgestellt hat, dass die wesentlichen Bedürfnisse Demenzkranker weniger im grundpflegerischen Bereich als in der Anerkennung, Wertschätzung und Förderung ihrer Person liegen. b) Vernetzung innerhalb der Pflegeinfrastruktur Die Implementierung des DCM-Prozesses im AWO-Feierabendhaus hatte wesentlichen Einfluss auf die pflegebegleitenden Prozesse innerhalb der Einrichtung, wie z.B. Fortbildungsplanung: Bedingt durch die Teilhabe aller MitarbeiterInnen am DCM-Prozess ¾ hat sich das Fortbildungskonzept des Hauses wesentlich verändert. Dies bezieht sich sowohl auf die inhaltliche Ausrichtung, d.h. es erfolgt nunmehr eine veränderte www.bosch-stiftung.de 6 Prioritätensetzung in Richtung einer personenorientierten Betreuung sowohl demenzerkrankter als auch somatisch erkrankter Menschen, als auch in Hinblick auf die Struktur der Fortbildungsplanung, so dass weniger einzelne (oftmals leitende) MitarbeiterInnen an externen Veranstaltungen teilnehmen, sondern vielmehr ein Basiswissen über wesentliche pflegerische Interventionsmethoden für möglichst viele fest angestellten MitarbeiterInnen zugänglich gemacht wird. So wurde ein Großteil der MitarbeiterInnen, die in den geschützten Bereichen für Demenzerkrankte tätig sind, sowohl in Integrativer Validation, als auch in Basaler Stimulation und Kinästhetik, sowie zum Krankheitsbild der Depression und Demenz, weitergeschult. Das hierbei erworbene Wissen ist seither ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit geworden und hat innerhalb des Gesamtprozesses einen wesentlichen Anteil an den erreichten Veränderungen in Bezug auf die Tagesstruktur und das Bewusstsein der MitarbeiterInnen. Tagesstruktur: Innerhalb des Implementierungsprozesses ist erneut deutlich geworden, ¾ wie wichtig eine geordnete Tagesstruktur für demenzkranke Menschen ist. Durch gezielte Schwerpunktsetzung innerhalb des Tagesablaufs, z.B. durch kurze, aber gezielt eingesetzte milieutherapeutische Angebote, sind die Auffälligkeiten der schwer demenzkranken BewohnerInnen deutlich zurückgegangen. Auch konnte hierdurch zeitweise auftretende Nachtaktivität eingeschränkt werden. Darüber hinaus ist der Tagesablauf durch die Durchführung ritualisierter Handlungen geprägt. Dies bezieht sich sowohl auf die alltägliche Begegnung mit den BewohnerInnen (Validation im Vorübergehen), als auch über die Einführung von Gemeinschaftsritualen wie z.B. einem gemeinsamen Abendausklang nach dem Abendessen. Beide Formen ritualisierten Handelns finden dabei ohne großen Zeitaufwand statt, führen aber im Sinne des Dementia Care Mappings zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen BewohnerInnen. Biographiearbeit und Pflegeplanung: Dadurch, dass DCM eine Vielzahl von Ressourcen ¾ der einzelnen BewohnerInnen, sowohl durch verbesserte Interventionen seitens der MitarbeiterInnen als auch in Bezug auf das Milieu, in dem sich die demenzkranken Menschen aufhalten, aufgedeckt hat, hat sich auch die Arbeit mit Biographie und Pflegeplanung verändert, d.h. die Kenntnis der Biographie des Einzelnen hat einen anderen, höheren Stellenwert in der täglichen Arbeit und hierbei insbesondere bei der Anleitung von neuen MitarbeiterInnen und BerufspraktikantInnen gewonnen und auch bei der Erstellung und Evaluation der Pflegeplanung ein weitaus ressourcenorientierterer Ansatz Einzug erhalten. Milieu: In Bezug auf die Umgebung, in der sich die demenzkranken Menschen innerhalb ¾ der Einrichtung aufhalten, konnte mit Hilfe des DCMs erhoben werden, was dem Einzelnen bzw. der Gruppe gut tut und was nicht. Hierbei hat sich im Zuge des www.bosch-stiftung.de 7 Implementierungsprozesses herausgestellt, dass a) eine farbliche Gestaltung der Räumlichkeiten einen deutlich belebenden Einfluss auf die BewohnerInnen hat und b) eine biographiebezogene Möblierung und Dekoration, d.h. in Form von altbekannten Gegenständen wie z.B. Kaffeemühlen, Waschbrett, Milchkannen etc., die Betroffenen zu Eigenaktivität anregen. Konzept: Infolge der Implementierung des DCM-Prozesses ist ein neues Konzept zur ¾ Betreuung demenzkranker Menschen im AWO-Feierabendhaus mit dem Titel „Lebensfreude neu entdeckt!“ entstanden, das der Robert-Bosch-Stiftung im September 2001 zugegangen ist. Innerhalb des Konzeptes hat sich der Schwerpunkt eindeutig in Richtung einer differenzierten biographiebezogenen Pflege der Betroffenen verlagert. So steht im Mittelpunkt des fachlichen Handelns weniger eine medizinisch-fachliche Grundversorgung, als vielmehr eine personenzentrierte Betreuung. In diesem Sinne trägt das Konzept die Handschrift der Philosophie des Dementia Care Mappings. Bauliche Veränderungen: Die Erfahrungen des Projektes sind ein wesentlicher ¾ Bestandteil der für Ende 2002 geplanten Umbau-Maßnahme des AWO- Feierabendhauses geworden. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass sich im Verlaufe des Implementierungsprozesses gezeigt hat, dass eine adäquate Betreuung des Einzelnen nur in einer Wohngruppe mit maximal zwölf BewohnerInnen und einer durchgängig anwesenden Präsenzkraft umsetzbar ist, da nur auf diese Weise eine umfangreiche Kenntnis der Biographie und eine gezielte Betreuungsplanung umsetzbar sind. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass ein wesentlicher Teil der Ressourcen demenzkranker Menschen in der Teilnahme an altbekannten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten liegt. Daher ist im Rahmen der Umbaumaßnahme eine Dezentralisierung der Vorbereitung der Mahlzeiten sowie der Wäscheversorgung geplant. Durch das neue Wohngruppen-Konzept wird auch orientierten, körperpflegebedürftigen Menschen die Möglichkeit gegeben, in homogenen Gruppen, mit einer Wohnküche als Lebenszentrum, Ressourcen wiederzugewinnen und im Alltag zu leben. 5. Ergebnisse des Projektes a) Auswirkungen auf die Pflegepraxis Die Einführung von DCM hat im AWO-Feierabendhaus zu einer sichtbaren Bewusstseinsveränderung seitens der Mitarbeiter geführt. Dies wurde insbesondere durch differenzierte Feedbacks infolge der Mappings erreicht, in denen gemeinsam mit dem jeweiligen Team die Gesamtsituation, die Ressourcen und Eigenheiten der einzelnen BewohnerInnen wie auch das sie umgebende Milieu, erörtert wurden. Innerhalb dieser www.bosch-stiftung.de 8 Gespräche wurde eine Reihe neuer Ideen und Lösungsmöglichkeiten entwickelt, deren Umsetzung im Verlaufe des nächsten Mappings überprüft und bewertet wurde. Insbesondere bezieht sich diese Bewusstseinsveränderung auf die Grundhaltung, mit der den demenzkranken Menschen begegnet wird. Nach Abschluss des Projektes war festzustellen, dass die MitarbeiterInnen über sehr viel mehr Handlungssicherheit bezüglich Demenzkranker verfügten und das Personsein der Betroffenen sehr viel deutlicher in den Vordergrund rückte. Dies manifestierte sich z.B. darin, dass die BewohnerInnen mehr Anerkennung (z.B. im Sinne von „Validieren im Vorübergehen“) erhalten und situationsoffener gearbeitet wird, d.h. dass dem/der BewohnerIn die Möglichkeit gegeben wird, geplante Maßnahmen (z.B. Teilnahme an Mahlzeiten oder Aktivierungsangeboten) auch abzulehnen. Darüber hinaus hat die Stimulation der Betroffenen einen neuen Stellenwert erhalten, so dass die Situation des gelangweilten Dasitzens ebenso zurückging wie plötzlich auftretende Agitationszustände. Auch wird dem/der BewohnerIn nicht mehr nur dann begegnet, wenn der Pflegende etwas von ihm will, sondern auch aus scheinbarer Zwecklosigkeit, also einfach zwischendurch. Hierbei haben die MitarbeiterInnen des weiteren gelernt, ihr eigenes (institutionalisiertes) Handeln weniger als Mittelpunkt zu sehen, sondern den BewohnerInnen Freiraum einzuräumen, d.h. scheinbar unsinnige Verhaltensweisen wie das Zerpflücken von Blumen oder das Herumtragen von Gegenständen werden nicht mehr geahndet, sondern zugelassen bzw. sogar wertgeschätzt. Ebenso ist auch Streit unter den BewohnerInnen (z.B. wegen eines „gestohlenen“ Saftglases) inzwischen erlaubt. In diesem Sinne ist eine Gemeinschaft von MitarbeiterInnen und BewohnerInnen entstanden, in der jeder gleichberechtigt ist und den ihm zustehenden Freiraum erhält. Aber nicht nur die Begegnung mit dem/der BewohnerIn hat sich verändert, auch die Arbeitsweisen selbst. Dies bezieht sich z.B. darauf, dass das Sorgetragen für die Beschäftigung der BewohnerInnen ein selbstverständlicher Teil des Tagesablaufs geworden ist. Das heißt nicht, dass täglich lang vorbereitete Aktivierungsangebote geplant und durchgeführt werden, sondern dass vor allem während der Zeiten, in denen das Pflegepersonal mit der Grundpflege beschäftigt, also nicht im Gemeinschaftsraum präsent ist, für alle BewohnerInnen individuelle und biografiebezogene Beschäftigungsmöglichkeiten gefunden werden (z.B. wird einer ehemaligen Geschäftsfrau eine Schachtel mit Kleingeld zum sortieren und zählen gegeben oder einem ehemaligen Sportlehrer ein Katalog mit Sportartikeln). Auf dieser Weise hat sich der Tagesablauf in den Wohnbereichen den Bedürfnissen der BewohnerInnen mehr und mehr angepasst und flexibilisiert. Dies hat aber gleichzeitig auch dazu geführt, dass Schwerpunktarbeitszeiten (z.B. während der morgendlichen Grundpflege) entzerrt und damit letztlich vermieden wurden. www.bosch-stiftung.de 9 Bedingt durch die Veränderungen im Tagesablauf und im Umgang mit den BewohnerInnen ist auch die Mitarbeiterzufriedenheit gewachsen. Dies liegt im Wesentlichen darin begründet, dass die Erfolge der Arbeit sowohl im Nachlassen von Verhaltensauffälligkeiten (subjektiv) als auch durch die regelmäßige Überprüfung der Richtigkeit der Interventionen mit Hilfe von DCM (objektiv) sichtbar geworden sind. In diesem Sinne hat der oft missverstandene Begriff Qualitätssicherung, bedingt durch die Schwerpunktsetzung im Bereich der Ergebnisqualität, d.h. des Überprüfbarmachens der Qualität der Arbeit, für die Pflegenden einen neuen Stellenwert bekommen. b) Kosten-Nutzen-Abschätzung für die Projekteinrichtung Die Implementierung des DCM-Modells war zeitlich wie finanziell sehr aufwändig. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich der Prozess nicht allein auf das Erlernen der Methode beschränkte, sondern einen begleitenden Prozess erforderte. So war es z.B. notwendig, um erfolgreich die Ressourcen der demenzkranken BewohnerInnen nutzen zu können, Interventionsmethoden wie Integrative Validation, Basale Stimulation und Kinästhetik zu erlernen. Darüber hinaus mussten alle MitarbeiterInnen mit dem Projekt vertraut gemacht werden, um die Resultate interpretieren und umsetzen zu können. Dies erforderte von MitarbeiterInnen eine intensive Auseinandersetzung mit der Problematik der Betreuung Demenzkranker, was sowohl im Rahmen von Informationsveranstaltung und Teamsitzungen, aber auch durch das Lesen von Fachbüchern erreicht wurde. Dennoch stellte sich das Projekt bereits innerhalb der Implementierungsphase als sehr erfolgreich dar. Dies bezieht sich in erster Linie auf die Entwicklung der Mitarbeiterzufriedenheit (siehe Auswirkungen für die Pflegepraxis), aber auch auf deren soziale Kompetenz. So haben sie im Laufe des Prozesses gelernt, die Gefühle und Antriebe der ihnen anvertrauten Menschen wahrzunehmen und adäquat darauf zu reagieren. Die Reflexion der täglichen Erfahrungen führte dabei zu Bestätigung und Handlungssicherheit. Über die entstandene Betreuungsqualität erfahren die MitarbeiterInnen darüber hinaus Bestätigung durch die Betroffenen selbst, aber auch durch Ärzte, Angehörige und Besucher. In der täglichen Arbeit wurde eine wesentliche Verbesserung der Lebensqualität für die demenzkranken BewohnerInnen erreicht. Dies manifestiert sich z.B. in der Reduzierung von Psychopharmaka, langwierigen Krankenhausaufenthalten und Verhaltensstörungen wie Weglauftendenzen, Schreien, Agitiertheit und gestörtem Tag-Nacht-Rhythmus. Über die Verkleinerung von Wohnbereichen und das Schaffen eines familienähnlicher Milieus wurde gleichzeitig erreicht, dass der/die einzelne MitarbeiterIn mehr Verantwortung für die ihm anvertrauten Menschen übernimmt und dadurch das Gefühl gestärkt wird, etwas sinnvolles zu tun. www.bosch-stiftung.de 10 Letztlich setzen sich die Erfolge des Projektes auch im betriebswirtschaftlichen Bereich fort. Da über eine individuellere, personenorientiertere Betreuung auch die Zufriedenheit der Angehörigen und der Kooperationspartner (Ärzte, Physiotherapeuten etc.) verbessert hat, ist die Nachfrage nach Bewohnerplätzen im AWO-Feierabendhaus deutlich angestiegen. Die „Wohlfühlpflege“, basierend auf der DCM-Philosophie der positiven Personenarbeit, ist somit zum Aushängeschild der Einrichtung geworden. Weiterhin wird dazu beitragen, dass wir im Juni 2002 unsere Fotoausstellung zum Thema „Wohlfühlpflege – Innenansichten“ eröffnen werden(siehe auch Kapitel 7). c.) Kosten-Nutzen-Abschätzung bei der Übertragung auf andere Einrichtungen Grundsätzlich scheint das Projekt auch auf andere Einrichtungen der stationären und teilstationären Altenhilfe übertragbar zu sein. Dies setzt jedoch einige strukturelle und inhaltliche Grundvoraussetzungen voraus, die den Implementierungsprozess deutlich vereinfachen würden: Teamkonzept und Kommunikationsfähigkeit: Eine Einrichtung, die sich mit der Implementierung von DCM beschäftigt, sollte über klare Kommunikationsstrukturen und ein teamorientiertes Konzept verfügen. Dies bedeutet konkret, dass die MitarbeiterInnen eines Wohnbereichs sich aus einem multiprofessionellen Team mit entsprechendem Fachkraftanteil zusammensetzen sollte, das in der Lage ist, kooperativ mit dem Sozialdienst und anderen Fachbereichen der Einrichtung zusammenzuarbeiten. Neben ihrer Fachlichkeit sollte die jeweilige Teamleitung dabei gleichzeitig über einen kooperativen Führungsstil verfügen, der alle beteiligten MitarbeiterInnen in den Entwicklungsprozess einbindet und individuelle Handlungsspielräume ermöglicht. In diesem Sinne sollte sich ein/e TeamleiterIn eher als „Problemlöser“ denn als hierarchisch eingesetzte Leitungskraft verstehen. Gleichzeitig sollte allen MitarbeiterInnen eines Teams die Möglichkeit gegeben werden, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln und ihren Kenntnisstand den aktuellen Rahmenbedingungen anzupassen. Dies bedeutet gleichzeitig, dass jeder Einzelne in Selbstverantwortung Träger und Mitgestalter von Erneuerungsprozessen wird. Partnerschaftliches Grundkonzept: Im Sinne der Philosophie der positiven Personenarbeit sollte eine Einrichtung, die die Implementierung von DCM beabsichtigt, bereits im Vorhinein über ein Konzept verfügen, dass auf einem partnerschaftlichen Umgang mit den BewohnerInnen und über ein humanistisches Menschenbild verfügt. Das bedeutet, dass es unabdingbare Voraussetzung für den Implementierungsprozess ist, dass jedem/jeder BewohnerIn die Möglichkeit gegeben wird, die ihm/ihr zustehende größtmögliche Unabhängigkeit zu leben, also institutionelle Rahmenbedingungen soweit in den Hintergrund www.bosch-stiftung.de 11 treten, dass individuelle Freiräume geschaffen werden, in denen der/die BewohnerIn seine/ihre Wünsche und Fähigkeiten verwirklichen und einsetzen kann. Der Respekt und die Förderung von Selbst- und Mitbestimmung und die Bereitschaft zum Zulassen gewinnen dabei ebenso höchste Priorität wie die Akzeptanz und Toleranz gegenüber anderen Überzeugungen und Handlungsweisen. Gruppen- oder Bezugspflege: Eine ebenso wichtige Voraussetzung für den Einsatz von DCM bildet der Einsatz eines Pflegesystems der Bezugs- oder Gruppenpflege. Dies begründet sich darin, dass nur über klare Zuständigkeiten und enge Beziehungen zu den BewohnerInnen ausreichend biographischer Kenntnisstand innerhalb des Pflegeteams erreicht werden kann. Bezugs- oder Gruppenpflege bedeutet, sich von der traditionellen aufgabenzentrierten Funktionspflege zu lösen und die Pflege in Hinblick auf eine bewohnerzentrierte Ganzheitlichkeit auszurichten. Dies erfordert von den MitarbeiterInnen über die menschliche Wertschätzung hinausgehend eine fachliche und sachliche Kompetenz zur formalen Planung und kontinuierlichen Organisation der Pflege, also einen gezielten Einsatz von Fachpersonal und ein hohes Maß an Flexibilität und organisatorischem Weitblick. d) Auswirkungen auf die pflegewissenschaftliche Entwicklung Dementia Care Mapping stellt auf pflegewissenschaftlichem Gebiet ein absolutes Novum dar. Mit Hilfe der Methode, wie sie innerhalb des Projektes eingesetzt wurde, ist es erstmals möglich, die Qualität von Pflege nicht nur anhand von strukturellen Voraussetzungen, wie z.B. dem Einsatz von Pflegestandards, Pflegeplanung etc., zu messen, sondern unmittelbar am Wohlgefühl der BewohnerInnen. Es zeigt dabei gleichzeitig, dass eine qualitativ ausgerichtete Pflege in erster Linie in Zusammenhang steht mit einem gezielten Konzept, dass sich an den individuellen Begebenheiten der BewohnerInnen ausrichtet, d.h. dass die elementaren Voraussetzungen für Zufriedenheit und Wohlgefühl in einer gezielten Orientierung an der Biographie des Einzelnen, wie aber auch in der Flexibilität und personenorientierten Grundhaltung der MitarbeiterInnen liegen. Dies stellt dahingehend eine neue pflegewissenschaftliche Sichtweise dar, als dass die Pflegewissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland bisher in erster Linie eine theoretische Ausrichtung auf dem universitären Zweig erfuhr und kaum diskutiert wurde, inwieweit Möglichkeiten vorhanden sind, Forschung, Wissen und Pflegepraxis einheitlich zu gestalten. Darüber hinaus eröffnet DCM erstmals die Möglichkeit, den Pflegebedarf von demenzkranken BewohnerInnen unabhängig von den bisherigen Finanzierungsmodellen einzuschätzen. Dies liegt darin begründet, dass mit Hilfe der Methode des DCM individuelle und sozialtherapeutische Pflegeleistungen sichtbar, beurteilbar und messbar gemacht www.bosch-stiftung.de 12 werden, gleichzeitig aber der bisher im Vordergrund stehende Faktor der körperlichen Grundpflege in den Hintergrund tritt. Dabei werden zugleich die Ressourcen von BewohnerInnen, aber auch in der Pflegeorganisation und der Milieugestaltung so aufgedeckt, dass die Abläufe innerhalb einer Wohngruppe optimiert werden können. 6. Empfehlungen für andere Pflegeinstitutionen a) Hinweise zu Vorgehensweisen Eine wesentliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Implementierung von DCM ist eine hohe Beteiligung und eine ausführliche Information der MitarbeiterInnen, d.h. es sollte bereits im Vorfeld über Inhalte und mögliche Auswirkungen des Projektes informiert werden und eine gezielte Auswahl der beteiligten MitarbeiterInnen erfolgen. Hierbei ist im Besonderen zu beachten, dass viele MitarbeiterInnen Ängste vor einer Beobachtung ihrer Arbeit haben. Um dies aufzufangen ist es z.B. möglich, vor Beginn des Projektes den Ist-Stand durch ein externes Mapping zu überprüfen, um den MitarbeiterInnen die vielfältigen Handlungsspielräume, die DCM eröffnet, aufzuzeigen und zeitgleich eine positive Unterstützung Ihrer Arbeit zu erwirken. Darüber hinaus sollte der Zeitraum für die Implementierung nicht zu eng gesteckt werden, da DCM von den MitarbeiterInnen ein hohes Maß an Flexibilität und Änderungsbereitschaft erfordert. Dies kann jedoch nicht durch Druck von außen (Leitung und/oder externe Mapper) geschehen, sondern muss auch von der Basis der Mitarbeiterschaft ausgehen. Daher sollte für die Einführung des Projektes, je nach Voraussetzungen der betroffenen Einrichtung, mindestens ein Jahr einkalkuliert werden. Darüber hinaus sollte der Zeitraum zwischen den Mappings in den einzelnen Wohnbereichen so gewählt werden, dass das Team die Möglichkeit hat, die im Feedback-Gespräch gesetzten Teilziele auch zu erreichen. Für die als Basic-User ausgebildeten MitarbeiterInnen, die sich aus verschiedenen Berufsfeldern und Arbeitsbereichen der Einrichtung zusammensetzen sollten (unterschiedliche Sichtweisen und Arbeitsauffassungen), ist eine intensive Begleitung während der ersten Phase der Implementierung notwendig, da sie in der sicheren Anwendung der Methode, vor allem aber auch in der Kompetenz eines differenzierten Feedbacks mit einem Team, ausführlich geschult sein sollten. Dies kann dadurch geschehen, dass eine intensive Einbindung von externen Personen (Mapper aus anderen Einrichtungen, DCM-Trainer) erfolgt, aber auch dadurch, dass innerhalb der Mitarbeiterschaft ein DCM-Beauftragter benannt wird, der über Erfahrung und Sicherheit im Umgang mit der Methode verfügt. Die Einbindung externer Personen unterstützt hierbei gleichzeitig die www.bosch-stiftung.de 13 Glaubwürdigkeit der Methode, da diese in der Regel über Erfahrungswerte auch aus anderen Institutionen verfügen, die sie in den laufenden Prozess mit einbringen können. Darüber hinaus ist es in der ersten Phase der Implementierung wichtig, den MitarbeiterInnen in den einzelnen Wohnbereichen die Möglichkeit zu geben, die Situation des Beobachtetwerdens zu verarbeiten und die eigene Befindlichkeit während der Mappings auszudrücken. Dies kann im Rahmen von Teamgesprächen oder auch mit Unterstützung eines/einer SupervisorIn der Fall sein. Letztlich ist es sowohl für die DCM-Anwender als auch für die MitarbeiterInnen in den Wohnbereichen hilfreich, sich bereits im Vorfeld einer möglichen Implementierung mit anderen Einrichtungen zu vernetzen, um deren Erfahrungen und Fragestellungen in den Prozess mit einzubinden und gleichzeitig die Motivation zu steigern. b) Hinweise zur Schaffung von Rahmenbedingungen Wie bereits erwähnt, sind gewisse Voraussetzungen notwendig, um eine erfolgreiche Implementierung von DCM zu ermöglichen. Im Wesentlichen sollte sich eine Einrichtung rechtzeitig mit den Rahmenbedingungen für eine bedarfsgerechte Betreuung demenzkranker Menschen auseinander gesetzt haben, also einer Gruppengröße, die den MitarbeiterInnen ermöglicht, über alle BewohnerInnen biographische Kenntnisse zu erlangen (in der Regel sind dies maximal zwölf) und einem Milieu, das sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert (optische Reize und sicheren Bewegungsraum schaffen). Darüber hinaus sollte den MitarbeiterInnen ausreichend Handlungsspielraum und Verantwortung übertragen werden, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Ideen umzusetzen und den Menschen als Person zu betrachten und zu behandeln. Gleichzeitig erfordert eine erfolgreiche Umsetzung von DCM jedoch auch an hohes Maß an Flexibilität von den MitarbeiterInnen, was sich nicht nur auf die Arbeit mit den demenzkranken Menschen, sondern auch auf ein Sich-einlassen-können auf neue Handlungsweisen, aber auch auf einen an den Bedürfnissen der Menschen angepassten Tagesablauf und eine dementsprechende Dienstplanung erstreckt. Dies zu gewährleisten erfordert gleichzeitig einen hohen Anteil von Fachpersonal. Hilfreich für die Akzeptanz der Methode ist des weiteren ein umfangreiches Wissen aller MitarbeiterInnen über den Umgang mit Demenzkranken, d.h. dass bereits im Vorfeld die gängigen Pflegemethoden (Integrative Validation, Basale Stimulation, Kinästhetik) bekannt sein sollten. Seitens der Einrichtung und des Trägers ist es darüber hinaus notwendig, ein offenes Gesprächsklima www.bosch-stiftung.de in der Einrichtung zuzulassen (dies beinhaltet auch gezielte 14 Angehörigenarbeit und Beschwerdemanagement) und institutionelle Rahmenbedingungen, wie z.B. starre Tagesabläufe, zu reduzieren. c) Motivation der MitarbeiterInnen Die Motivation der MitarbeiterInnen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Implementierung von DCM. Dies geschieht vor allem dadurch, dass sie rechtzeitig in den geplanten Prozess eingebunden werden und die Angst vor Beobachtung verlieren. Hilfreich ist hierbei, dass den MitarbeiterInnen im Vorfeld die Möglichkeit gegeben wird, andere Einrichtungen kennen zu lernen, die bereits mit DCM arbeiten und bereit sind, über ihre Erfahrungen und Erfolge zu berichten. Gleichzeitig sollte der entsprechende Fachreferent (DCM-Trainer) so in den Prozess eingebunden sein, dass alle MitarbeiterInnen auch von unabhängiger Seite ausreichend über die Planung des Projektes informiert sind. Ein Großteil der Ängste wird wahrscheinlich dennoch aufrecht erhalten bleiben, bis MitarbeiterInnen ihre ersten eigenen Erfahrungen im Umgang mit DCM gemacht haben. An dieser Stelle ist es wichtig, in den jeweiligen Feedback-Gesprächen zwar die ungenutzten Ressourcen und Probleme des Bereiches zu erwähnen, aber vor allem auch die positiven Aspekte der Arbeit („die kleinen Siege des Alltags“) herauszustellen, damit die MitarbeiterInnen das Gefühl bekommen, sich bereits „auf dem richtigen Weg“ zu befinden, und dadurch die Bereitschaft entwickeln, sich innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln und ihre tägliche Arbeit immer wieder zu hinterfragen. d) Hinweise zur Finanzierung Wie bereits erwähnt ist eine kostenneutrale Einführung von DCM nicht möglich. Darüber hinaus ist DCM nicht als isoliertes Projekt zu verstehen, sondern erfordert eine begleitende Schulung in der Betreuung demenzkranker Menschen. Um dies zu ermöglichen besteht die Möglichkeit, die flankierenden Maßnahmen (z.B. den Grundkurs „Integrative Validation“) finanziell durch das Kuratorium Deutscher Altershilfe (KDA) unterstützt zu bekommen. Darüber hinaus ist die Implementierung von DCM jedoch erst langfristig von wirtschaftlichem Nutzen (siehe auch Kapitel 5c). Der verbleibende Handlungsspielraum für eine kostensparende Umsetzung beschränkt sich daher auf einen minimalen Einsatz externer Personen. Hierbei ist es jedoch ratsam, den Erfolg des Projektes nicht durch mangelnde Information und Begleitung zu gefährden, d.h. dass auf eine ausreichende Information im Vorfeld (hier kann eine Kooperation mit einer anderen Einrichtung, die bereits über Erfahrungen mit DCM verfügt hilfreich sein), die Ausbildung einer ausreichenden Zahl von www.bosch-stiftung.de 15 MitarbeiterInnen als DCM-Anwender (Basic-User-Kurs) und eine intensive Begleitung während der ersten Implementierungsphase keinesfalls verzichtet werden darf. Sinnvoll hingegen ist es, eine/n DCM-erfahrene/n MitarbeiterIn als Beauftragten für das Projekt zu benennen, der die Aufgabe übernimmt, das Projekt zu koordinieren, die durchgeführten Mapping regelmäßig zu überprüfen und ggf. Hilfestellungen zu geben. Auf diese Weise kann der Einsatz externer Dozenten im weiteren Verlauf des Projektes reduziert werden. 7. Verweise auf Veröffentlichungen zum Projekt Bereits während des Projektverlaufs haben wir uns viele Gedanken über eine möglichst öffentlichkeitswirksame Darstellung gemacht. Problem ist, das DCM-Verfahren einer Öffentlichkeit, die keine Vorkenntnisse hat, zugänglich zu machen. Daher wollten wir nicht im Rahmen einer „theoretisch“ ausgerichteten Pressekonferenz unsere Ergebnisse übermitteln, sondern wir suchten nach Möglichkeiten einer bildhaften Darstellung. In diesem Zusammenhang entwickelten wir die Idee zu einer Fotoausstellung und einem Info-Film. Situation Dementia-Care-Mapping in der BRD: In Deutschland gibt es neben vereinzelten Modellprojekten wenig Erfahrungen in der praktischen Anwendung von Dementia Care Mapping, nicht zuletzt, weil Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit sich überwiegend theoretisch mit DCM befassen. Praktische Erfahrungen fehlen nahezu völlig, ebenso wie unmittelbare Berichte und Hilfestellungen „aus der Praxis für die Praxis“. Hier kann eine gezielte, umfassende Öffentlichkeitsarbeit zum Einen in Fachkreisen für Sensibilisierung sorgen, zum Anderen einer breiten Öffentlichkeit neue, unterstützenswerte Wege in der oft so vielgescholtenen Altenpflege aufzeigen. Ziele: Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Modell Dementia-Care-Mapping ¾ Erfahrungsberichte aus der Praxis für die Praxis gestalten ¾ Akzeptanz von DCM in der deutschen Altenpflegelandschaft erhöhen. ¾ Darstellung des Projekts, Planung, Verlauf, Umsetzung ¾ Darstellung der Förderung und Betreuung durch die Robert-Bosch-Stiftung ¾ Die Erfolge des Dementia Care Mapping im AWO-Feierabendhaus aufzeigen ¾ www.bosch-stiftung.de 16 Fotoausstellung DCM (geplant für 6/02) Die erzielten Erfolge für und mit den Bewohnern bildlich darstellen. Eine professionelle Fotoserie, zusammengefasst mit begleitenden und informierenden Texten zu einer selbsterklärenden Ausstellung, die in Einrichtungen, Bildungswerken, Stiftungen, auf Messen oder im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen einem breiten Fachpublikum zugänglich gemacht wird. Weiterer Vorteil einer Fotoausstellung: Professionelles Bildmaterial unterstützt die überregionale Pressearbeit und dokumentiert bildlich die Erfolge des DCM im geplanten InfoFolder. Darstellung des DCM-Verfahrens anhand eines Info-Folders (geplant für 6/02) Info-Folder für Interessierte mit Beschreibung des Projektverlaufs, der Arbeit und der Umsetzung Printing on Demand – erhältlich gegen Schutzgebühr Info-Film / Reportage DCM (geplant für 6/02) Ein Info-Film (7 bis 10 Minuten) als weitere Dokumentation über die Umsetzung des Dementia-Care-Mappings eröffnet mehrere Möglichkeiten im Rahmen einer umfassenden Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Einsatz des Info-Films bei Vorträgen, Veranstaltungen, Fortbildungen, Messen ¾ Erstellung von Rohmaterial für Fernsehreportagen ¾ Mehrfachverwendung im Internet ¾ Internet als Plattform für die Projektdarstellung (geplant für 5 - 6/02) Das AWO-Feierabendhaus besitzt mit der Domain www.feierabendhaus.de eine einprägsame Adresse im Internet, unter der sämtliche Projektergebnisse ausführlich dargestellt werden können. Neben Erfahrungsberichten, Infos über die Förderung durch die Robert-Bosch-Stiftung, etc. lassen sich hier sowohl die geplante Fotoausstellung wie auch der geplante Info-Film in idealer Weise in den Media-Mix einbeziehen. Gedacht ist neben der Projektdarstellung auch an die Schaffung eines Forums zum Erfahrungsaustausch unter den Nutzern, eventuelle Kooperationen mit Portalen der Altenpflege sowie eine umfangreiche Linksammlung zum Thema DCM. Überregionale Pressearbeit in Fachmedien (geplant für 6 - 7/02) Darstellung des erfolgreichen Verlaufs des Projektes von Robert-Bosch-Stiftung und AWOFeierabendhaus: Erfahrungen, Erfolge, Pläne, Kontaktmöglichkeiten für Interessierte. www.bosch-stiftung.de 17 8. Literaturhinweise zum Thema Bienstein, Christel: „Handbuch Pflege“ Gröning, Katharina: „Entweihung und Scham“, Frankfurt 1998 Kitwood, Tom „Demenz: Der personenzentrierte Ansatz“, Buckingham 1997 Müller-Hergl, Christian: „De-menz und Re-menz: Positive Personenarbeit und Dementia Care Mapping“ in: Geriatrie Praxis 6/1998 Müller-Hergl, Christian: „Positive Personenarbeit“ in Altenpflege 6/1998 Müller-Hergl, Christian: „Oft trügt der Schein“ in: Heim+Pflege 3/1999 Rückert, Willi: „Beobachtungsmethode `Dementia Care Mapping` ermittelt: Wie zufrieden sind altersverwirrte Menschen?“ in: Pro Alter 1/2000 9. Vorstellung der Projektbeteiligten Projektpartner: Christian Müller-Hergl, Dipl.-Theologe (kath.), BPhil (Ox), exam. Altenpfleger, Supervisor, Approved DCM-Trainer, arbeitet als Fortbildner an der InVia-Akademie in Paderborn mit dem Schwerpunkt Gerontopsychiatrie, übersetzte das Buch von Tom Kitwood „Demenz: Der personenzentrierte Ansatz“, machte das DCM-Verfahren in Deutschland bekannt Projektverantwortung: Sonja Rodschinka, Dipl.-Sozialpädagogin, Dipl.-Heilpädagogin, Practioner + Master NLP, Ausbildung in Heimleiterin im Gesprächspsychotherapie, AWO-Feierabendhaus Weiterbildung seit 1995, in z.Zt. Sozialmanagement, in Weiterbildung Betriebswirtschaft und Gesundheitsökonomie Heiko Brand, exam. Altenpfleger mit Weiterbildung in Pflegemanagement und als Qualitätsbeauftragter für Pflege- und Sozialeinrichtungen, Pflegedienstleiter und Qualitätsmanagementbeauftragter im AWO-Feierabendhaus Projektteilnehmer: Außerdem wurden folgende Mitarbeiterinnen des AWO-Feierabendhauses im Rahmen des Projektes als DCM-Basic-User geschult: Monika Schönebäumer, exam. Altenpflegerin mit Weiterbildung zur Stationsleitung, stellvertretende Pflegedienstleiterin www.bosch-stiftung.de 18 Erika Krüger, exam. Altenpflegerin mit Weiterbildung zur Fachkraft für Gerontopsychiatrie, Leiterin einer Wohngruppe für Demenzkranke Tamara Marbach, Krankenschwester mit Weiterbildung zur Wohnbereichsleitung, Wohnbereichsleiterin mit langjähriger Pflegeerfahrung Leokadia Koczy, exam. Altenpflegerin mit Weiterbildung zur Wohnbereichsleiterin, Wohnbereichsleiterin mit langjähriger Pflegeerfahrung Helga Remus, exam. Altenpflegerin mit Weiterbildung zur Praxisanleitung, Pflegefachkraft mit langjähriger Pflegeerfahrung Jacqueline Blankenburg, Pflegehelferin in berufsbegleitender Ausbildung zur Altenpflegerin, Mitarbeiterin mit langjähriger Erfahrung in der Betreuung Demenzkranker Wilma Flachmann, exam. Altenpflegerin mit Weiterbildung zur Stationsleitung, Mitarbeiterin im begleitenden Dienst (Beschäftigungstherapie) Sigrid Wilmsmeier, Heilerziehungspflegerin, Mitarbeiterin im begleitenden Dienst (Beschäftigungstherapie) www.bosch-stiftung.de 19 www.bosch-stiftung.de 20 www.bosch-stiftung.de 21 www.bosch-stiftung.de 22