DCM – Dementia Care Mapping
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DCM – Dementia Care Mapping
Artikel für den Vincentz-Verlag, Herrn Dr. Jenrich Altenpflege 1 Januar 2005 Landkarte des Verhaltens Bei gerontopsychiatrisch veränderten Bewohnern fällt es schwer, deren Zufriedenheit mit der Pflegesituation zu erkennen. Die Methode Dementia Care Mapping lässt zuverlässige Rückschlüsse auf die Betreuungsqualität von Menschen mit Demenz zu. Gerlinde Strunk-Richter, KK Training Beratung Weiterbildung, Essen Immer mehr Menschen mit Demenz kommen in die Einrichtungen der stationären Altenhilfe, um dort angemessen gepflegt und fachlich gut begleitet zu werden. Diese Personengruppe stellt die Einrichtungen, PDLs und deren Mitarbeitende vor große Herausforderungen. Neben differenziertem Wissen sind reflektierte und souveräne Persönlichkeiten als Begleitpersonen erforderlich. Dementia Care Mapping unterstützt die systematische Bewältigung der Anforderungen Dementia Care Mapping (DCM) ist eine Beobachtungsmethode, die Wohlbefinden und Lebensqualität von Menschen mit Demenz in den Focus nimmt. Einrichtungen, die DCM anwenden, initiieren einen Prozess, innerhalb dessen die Pflegenden mit dem Außenbild ihrer Arbeit konfrontiert werden. PDLs setzen diese Methode gezielt ein, um den Pflegeteams die Chance zur Verbesserung ihrer Begleitungsqualität zu geben. Im DCM-Prozess gelingt es, sich damit auseinanderzusetzen, sich zu verändern und sich stetig zu verbessern. Die Reflektionsfähigkeit der Mitarbeitenden wird stark gefördert. DCM Feedback Datenauswertung Datensammlung Beobachtung Positive Personenarbeit (G: Strunk-Richter) Abb. 1: Darstellung des DCM Prozesses Erstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 1/6 Die Methode im Überblick DCM stammt aus England und ermöglicht eine landkartenähnliche Darstellung des Verhaltens von Menschen mit Demenz. Sie basiert auf dem personenzentriertem Ansatz, d.h. der Mensch, der an Demenz erkrankt ist, steht als Person im Vordergrund und nicht die Krankheit. Der Unterstützung, dem Erhalt des Personseins gilt die Aufmerksamkeit. DCM möchte den praktischen Pflegeprozess möglichst objektiv, verlässlich und genau abbilden. Zentral sind das reale Lebensbild der Menschen mit Demenz und ihre Äußerungen, Reaktionen und Kontaktstrukturen. Der direkte interpersonale Pflegeprozess genießt in den Rückmeldungen aus der DCM-Beobachtung (Mapping) höchste Priorität. Pflege bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht ausschließlich auf die direkte Pflege, sondern schließt den gesamten psychosozialen Bereich mit ein. Das Vorgehen beim Mapping Alle fünf Minuten wird das Verhalten der beobachteten Menschen mit Demenz erfasst, indem es kodiert wird. Das Mapping findet als nichtteilnehmende Beobachtung statt. Die beobachtende Person (Mapper) setzt sich hierzu in Gemeinschaftsräume oder Flure des Wohnbereiches. Mappings finden angekündigt statt, das Team ist vorbereitet und informiert. Beim Mapping wird den Verhaltenskategorien (BCC) ein Wert (WIB) zu gewiesen. In der Regel gibt es sechs Werte: +5, +3, +1, -1, -3, -5. Sehr ausgeprägtes, positives Wohlbefinden wird mit plus fünf ausgedrückt. Demzufolge steht minus fünf für ein ausgesprochen schlechtes Wohlbefinden. Die verbliebenen Werte charakterisieren die Bereiche zwischen den beiden extremen Polen. Im Focus der Beobachtung steht das Verhalten DCM beinhalt folgende drei Beobachtungsstränge: Verhaltensweisen der BW D C Personale Detraktionen M Positive Ereignisse (G.Strunk-Richter) Abb. 2: Darstellung der drei Beobachtungsebenen Tom Kitwood und seine Mitarbeiterin Kathleen Bredin entwickelten, angeregt durch ihre Beobachtungen in Alteneinrichtungen, im Laufe der Jahre 24 VerErstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 2/6 haltenskategorien (BCC) von Menschen mit Demenz, die deren „Wohlbefinden oder Nicht-Wohlbefinden“ spiegeln. Zur Verdeutlichung einige Verhaltenskategorien als Beispiel: BCC B (Borderline): Hierunter ist auf passive Weise sozial einbezogen-sein gemeint. Diese Kategorie wird in Deutschland mit Abstand am häufigsten kodiert. Ein Beispiel: Ein/e BewohnerIn sitzt entspannt in einem Lehnstuhl und beobachtet amüsiert mehrere andere BewohnerInnen beim Sitztanz. BCC A (Articulation): Gemeint ist das In-Kontakt-Sein mit anderen, verbal oder nonverbal, ohne offensichtliche begleitende Tätigkeit. BCC E (Expression): Selbstausdruck oder Kreativität. Hierzu gehören Singen, Tanzen oder eine künstlerische Aktivität mit einer persönlichen Note. BCC T (Timalation): Dies ist eine Beschäftigung mit sinnlicher Wahrnehmung, z. B. an einer Blume riechen und deren Duft genießen. Die bisher genannten Kategorien unterstützen, fördern das Personsein, die nun folgenden haben eher eine negative Auswirkung. BCC C (Cool): Sozial unbeteiligt und zurückgezogen sein, d. h. ein Mensch mit Demenz reagiert in keiner Weise auf Aktivitäten, die um ihn herum passieren, er zeigt keine Reaktion auf Geräusche, er ist vollkommen unbeteiligt. Ein Beispiel: Ein/e BewohnerIn sitzt an einem Tisch und schaut aus dem Fenster. Sein/ihr Blick geht ins Leere. Er/sie reagiert nicht auf das Geschehen im Raum. Keine Veränderung in der Gestik oder der Mimik, egal ob in der Gruppe gesungen oder gespielt wird, egal ob es laut oder leise ist. BCC U (Unresponded to): Eine Person versucht zu kommunizieren, ohne eine Antwort zu erhalten, z. B. BewohnerIn fragt eine vorübergehende Person, was es mittags zu essen gibt. Sie erhält keine Antwort. Innerhalb des DCM-Systems hat der Schlaf (N) eine Sonderrolle inne. Für den stationären Bereich ist ein angemessener Schlaf von 1,5 Stunden am Tag definiert worden. Am Tage immer wieder einnicken kann ein Zeichen für Langweile, für nicht angemessene Beschäftigung sein und bedarf der Reflektion und ggf. der Veränderung. Positive und negative Kommunikationsstrukturen werden transparent Neben den Verhaltenskategorien werden noch so genannte Personale Detraktionen (PD) beobachtet und notiert. Hierbei handelt es sich um die Umgangsweisen, das Verhalten von Mitarbeitenden, von Ehrenamtlichen oder von Angehörigen mit Menschen mit Demenz, die das Personsein nicht respektieren und sich eher negativ auf das Wohlbefinden auswirken. Bei den PDs handelt es sich um Verhaltensweisen, die in der Regel nicht willentlich in Erstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 3/6 negativer Absicht ausgeübt werden. Oft sind es Verhaltensroutinen, die nicht mehr reflektiert werden. Hier bietet DCM eine Chance zur Veränderung, da durch die Beobachtung der Automatismus offen gelegt wird. Beispielsweise folgende Situation: Ein/e BewohnerIn sitzt am Tisch und isst. Zwei Mitarbeitende unterhalten sich in seiner/ihrer Gegenwart über die Art und Weise, wie er/sie isst. Der/die BewohnerIn wird als Schmierer etikettiert. In dieser Situation sind zwei PDs zu beobachten: Erstens: Ignorieren, es wird über ihn/sie gesprochen und nicht mit ihm/ihr. Zweitens: Etikettieren, der/die BewohnerIn wird als Schmierer bezeichnet. Kitwood/Bredin haben siebzehn unterschiedliche PDs in der Praxis beobachtet und benannt. Weitere Beispiele: Anklagen einer Person für Handlungen oder Unterlassungen, die auf einen Mangel an Fähigkeit oder Situationsverstehen zurückzuführen sind, die Schuld geben Zwingen: eine Person zwingen etwas zu tun; sich rücksichtslos über Absichten hinwegsetzen oder Wahlmöglichkeiten nicht einräumen Überholen: Informationen, Wahlmöglichkeiten etc. anbieten mit einer Geschwindigkeit, die für die Person viel zu schnell ist; sie unter Druck setzen, Dinge schneller zu tun, als sie es ihnen angemessen kann und zuträglich ist Bei den PDs wird mit der Bewertung mild, mäßig, schwer und sehr schwer gearbeitet. DCM achtet nicht nur auf die negative Seite der Begleitung von Menschen mit Demenz, sondern betrachtet auch die positiven Kontakte und Angebote. Diese werden von Mitarbeitenden im Alltagsgeschehen oft nicht ausreichend bewusst beachtet, in den Teams wahrgenommen und eingesetzt. Durch das DCM-Mapping werden Mitarbeitenden die vielen kleinen guten Aspekte ihrer Arbeit offen gelegt. Sie geben Aufschluss über die positiven Auswirkungen pflegerischen Handelns und damit Aufschluss über die Pflegequalität. Ein Beispiel: Ein/e BewohnerIn sitzt in einer Ecke des Raumes und bleibt ganz sich selbst überlassen. Er/sie nimmt nicht am Geschehen teil und wirkt apathisch. Nach einiger Zeit kommt ein/e Mitarbeitende/r mit Blumen ins Zimmer. Er/Sie registriert, dass sie Interesse an den Blumen hat und setzt sich zu ihr. Beide schauen sich die Blumen an und genießen den Duft. Der/die BewohnerIn wird immer lebhafter, er/sie erzählt und seine/ihre Stimmung steigt. DCM liegt die Hypothese zugrunde, dass schlechtes Wohlbefinden durch eine schlechte Pflegequalität hervorgerufen wird. Eine gute Pflegequalität erzeugt dementsprechend relatives Wohlbefinden. Dies ist jedoch nicht zwangsläufig der Fall, da noch andere Faktoren eine Rolle spielen, so z. B. Schmerzen. Erstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 4/6 DCM Basishypothese Relatives Wohlbefinden ☺ Gute Pflegequalität Schlechtes Wohlbefinden Schlechte Pflegequalität (G. Strunk-Richter) Abb. 3: Zugrunde liegende Basishypothese Systematische Datenauswertung Das erhobene Datenmaterial gibt Auskunft über den Grad des Wohlbefindens und der Zufriedenheit der BewohnerInnen mit Demenz. Das in der Pflege gelebte Menschenbild wird offenkundig: Wird den Menschen mit Respekt und Achtung begegnet oder werden sie eher als Objekt betrachtet und behandelt? Dominiert die Passivität oder die Aktivität? DCM ermöglicht Pflegeteams, ihre Arbeit offen und transparent zu machen. Sie zeigen damit Souveränität und Selbstbewusstsein. Hiermit wird ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur Professionalisierung der Pflege gelegt. Pflege kann mittels DCM ihre Leistungen beschreiben und belegen. Der angestrebte Veränderungsprozess zeigt dies recht deutlich: K u ltur der P flege A lte V o rh errsche n des B C N K o m p lexe s n ied rig e N eu e h öh ere B C C V ielfalt W IB W erte h ö he re viele PD w en ig w en ig PE viel n ach + 1 k om m t -1 na ch +1 ko m m t + 3 (G . S tru n k-R ic h te r) Abb. 4: Veränderungsprozess der Pflegekultur Die PDL unterstützt den Verbesserungsprozess durch Führung Soll ein Veränderungsprozess gelingen, ist Leitung gefordert, ihn aktiv zu unterstützen. Die Pflegeleitung • sorgt für die Rahmenbedingungen, z. B. Durchführung einer DCMBeobachtung durch einen externen Beobachter, • fordert einen Handlungsplan, also Konsequenzen aus der Beobachtung, ein, Erstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 5/6 • fordert dessen Umsetzung ein, • überprüft die Umsetzung, • begleitet den Prozess. Nutzen von DCM: Vorteile für die PDL • Systematische Qualitätsüberprüfung • Gezielte Fortbildungsplanung • Gezielte Personalentwicklung • Transparenz von Leistung • Systematischer Veränderungsprozess • • • • • Vorteile für Mitarbeitende Erhalten umfangreiche Informationen über die BewohnerInnen Reflektieren ihre Arbeit Veränderungen werden gezielt geplant und umgesetzt Zufriedenheit nimmt zu Transparenz der Arbeit nimmt zu • „Teamgeist“ wächst • Stärkere fachliche Argumentation Dritten gegenüber • Forderungen seitens Leitung wird transparenter und nachvollziehbarer Erstellung: Prüfung/Freigabe KK Training Beratung Weiterbildung Gelinde Strunk-Richter Vincentz-Verlag, DCM Karla Kämmer Version 1.0 Datum: Seite 26.11.2004 6/6