Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen durch Dementia Care

Transcrição

Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen durch Dementia Care
Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen
durch Dementia Care Mapping?
Erfahrungen und Erkenntnisse
aus einem dreijährigen Modellprojekt
im Landkreis Marburg-Biedenkopf
von
André Hennig
Christine Riesner
Ruth Schlichting
Maria Zörkler
Saarbrücken, März 2006
Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V. (iso), Saarbrücken
© by Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso), Saarbrücken 2006,
Trillerweg 68, D-66117 Saarbrücken
Telefon: 0681-9 54 24-0, Telefax: 0681-9 54 24-27
E-Mail: [email protected]; Internet: www.iso-institut.de
Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Begleitung zum Modellprogramm
des Bundesministeriums für Gesundheit zur „Verbesserung der Versorgung
Pflegebedürftiger“
ISBN 3-935084-22-6
Vorwort
„Der Bewohner steht im Mittelpunkt unserer Bemühungen“ - dieser Anspruch
wird in den meisten Konzepten stationärer Pflegeeinrichtungen formuliert.
Zugleich wissen wir, dass die Realität im Heimalltag oft anders aussieht. Da
der Anteil von Menschen mit Demenz in den letzten Jahren stark angestiegen ist, stellt sich immer drängender die Frage: Was können wir für diese
Bewohner tun, um ihnen und ihren Bedürfnissen gerecht zu werden?
Zugleich fragen wir uns: Was können wir gegen die Not des Pflegepersonals
tun, das sich allzu oft überfordert fühlt und im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit zerrieben wird?
Aus dem Wissen heraus, dass herkömmliche Pflege- und Versorgungskonzepte den Bedürfnissen von demenzkranken Heimbewohnern nur sehr eingeschränkt gerecht werden können, gibt es mittlerweile vielfältige Bemühungen, das vorhandene gerontopsychologische und -psychiatrische Fachwissen lebensweltliche Realität werden zu lassen: Während man sich auf der
politischen Ebene mit einem ganzen Maßnahmenbündel aus Gesetzen,
Forschungs- und Förderprogrammen auf die zukünftigen Herausforderungen
vorbereitet, gibt es auf der praktischen Ebene immer mehr Einrichtungen,
die sich mit neuen Konzepten, Theorien und Methoden auseinandersetzen.
All diese Aktivitäten werden begleitet von der Aufmerksamkeit der Kostenträger, die sich letztendlich die Frage stellen, ob die eine oder andere Verbesserung von Qualität in der stationären Pflege zwangsläufig mit einer Kostensteigerung verbunden sein muss. Ihre Hoffnung ist es, eine Qualitätssteigerung durch mehr oder weniger kostenneutrale Strukturentwicklungsmaßnahmen innerhalb des bestehenden Versorgungssystems zu erreichen.
In diesem Zusammenhang rückt auch das Verfahren des Dementia Care
Mapping (DCM) zunehmend in das Interesse von Trägern und Fachkräften.
Das von Christian Müller-Hergl in den neunziger Jahren nach Deutschland
„importierte“ DCM-Verfahren hat die ohnehin kontrovers geführte Diskussion
über Pflegequalität zusätzlich belebt und bereichert. Für seine Befürworter
ist DCM ein „Meilenstein“ auf dem Weg der Professionalisierung von Pflege,
für andere ein „unwissenschaftliches und ungeeignetes Verfahren“ zur Beurteilung von Qualität bei der Betreuung Demenzkranker. Unbestritten ist,
dass sich nicht wenige Heimträger und Pflegekräfte schwer tun mit den eher
bürokratisch-technokratisch ausgerichteten Dimensionen einer „Struktur-,
5
Prozess- und Ergebnisqualität“. Sie wünschen sich einen Qualitätsbegriff,
der - mit Blick auf die ihnen anvertrauten demenzkranken Bewohner - mehr
an subjektiven Aspekten, wie Lebensqualität und Wohlbefinden von Menschen mit Demenz (und den sie Betreuenden), orientiert ist. Gleichzeitig
suchen sie nach Wegen und Unterstützung, dieses Ziel zu erreichen. Das
DCM-Verfahren erscheint vielen von ihnen ein erfolgversprechender Weg.
Der Landkreis Marburg-Biedenkopf hat sich dank seines politischen Interesses frühzeitig in der Altenhilfepolitik und -planung engagiert. Die kommunale
Altenhilfeplanung durch die „Stabsstelle Altenhilfe“ war von Beginn an als
ein beteiligungsorientierter Strukturentwicklungsprozess angelegt. Gemeinsam mit Trägern und Leistungsanbietern konnten seit 1989 eine Reihe von
Modellvorhaben, regionalen Initiativen und innovativen Angeboten realisiert
werden. All diese Aktivitäten legten die Basis für eine lebendige und interessierte Fachszene in der Region, die sich für neue Ideen begeistern kann. So
wurde dieses Projekt eingebettet in ein regionales Planungsnetzwerk zur
Verbesserung der Situation von Menschen mit Demenz. Vor diesem Hintergrund sah es der Landkreis Marburg-Biedenkopf als große Chance und
Selbstverständlichkeit an, als Modellstandort das DCM-Verfahren gemeinsam mit engagierten Pflegeeinrichtungen über drei Jahre zu erproben.
Möglich wurde dies durch großzügige finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit sowie des Hessischen Sozialministeriums,
denen wir zu besonderem Dank verpflichtet sind. Dank richten wir auch an
das Kuratorium Deutsche Altershilfe und das Institut für Sozialforschung und
Sozialwirtschaft (iso), die für die überregionale Projektkoordination und die
wissenschaftliche Begleitung zuständig waren. Namentlich danken möchten
wir Herrn Philippsen (BMG), Herrn Dr. Rückert (KDA) und seiner Kollegin
Frau Sowinski. Danken möchten wir auch Frau Zörkler vom iso-Institut für
die fachlich kompetente und überaus engagierte persönliche Begleitung und
Beratung während der Projektzeit. Ihre zuverlässige Präsenz war Grundlage
für viele interessante Kontakte, Diskussionen und konstruktive Lösungen.
Unser Dank gilt besonders allen Einrichtungen, die den Mut hatten, an dem
Projekt teilzunehmen und bereit und guten Willens waren, die damit verbundenen Mehrbelastungen und Unwägbarkeiten auf sich zu nehmen. In diesem Zusammenhang danken wir insbesondere allen Leitungskräften und
Supervisoren, die in der alltäglichen Praxis durch ihre Kompetenz, ihre Entscheidungen und ihre tatkräftige Unterstützung unverzichtbare Steuerungs-
6
aufgaben übernommen haben. Sie haben damit nachhaltig zum Gelingen
des Projektes beigetragen.
Doch was wäre das Projekt ohne die Teams und Mitarbeiter in den Einrichtungen? Sie waren es, die an „vorderster Front“ das DCM-Verfahren lebendig werden ließen, die Höhen und Tiefen im Entwicklungsprozess durchhielten und dabei immer die Bedürfnisse „ihrer“ Bewohner im Auge behielten.
Ihnen sei an dieser Stelle unser besonderer Dank gewidmet.
Wir freuen uns, dass alle beteiligten Einrichtungen nach dem offiziellen Projektende auch in Zukunft das DCM-Verfahren anwenden werden. Es macht
deutlich, dass der Gewinn, der mit der Projektteilnahme verbunden war, weit
höher wiegt als alle damit verbundenen Belastungen. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf wird die Einrichtungen in ihren Bemühungen unterstützen,
den beschrittenen Weg weiter zu gehen. Ziel ist es, ein regionales DCMNetzwerk zu gründen, das auch neu hinzukommenden Einrichtungen offen
steht. Diese Unterstützung erfolgt nicht zuletzt aus der Überzeugung heraus,
dass es - ergänzend zur externen Kontrolle - darum gehen muss, Qualität
„von innen heraus“ zu entwickeln. Unter welchen Bedingungen DCM in der
Lage ist, langfristig eine neue Pflegekultur in stationären Pflegeeinrichtungen
zu begründen, zeigt der vorliegende Bericht.
Marburg, März 2006
Dr. Karsten McGovern
Ruth Schlichting
Erster Kreisbeigeordneter
Sozialdezernent
Stabsstelle Altenhilfe
Projektkoordinatorin
Landkreis Marburg-Biedenkopf
7
8
Inhalt
1.
Einleitung
13
2.
Dementia Care Mapping - theoretische und
methodische Aspekte
17
2.1
Personzentrierte Pflege bei Demenz
17
2.2
Dementia Care Mapping
21
3.
Das Marburger Modellprojekt
30
3.1
Regionale Ausgangssituation
30
3.2
Zielsetzung und Fragestellung
31
3.3
Projektdauer und Finanzierung
31
3.4
Evaluation
32
3.5
Die projektbeteiligten Einrichtungen
33
3.6
Einführung von Projektstrukturen
35
3.7
Konzeption des Marburger Modells
37
3.7.1
Ausgangsüberlegungen
37
3.7.2
Interventionsmaßnahmen im DCM-gestützten
Entwicklungsprozess
40
3.7.2.1 Anwendung des DCM-Verfahrens
40
3.7.2.2 Teambezogene Fortbildungen
41
3.7.2.3 Maßnahmen der Milieugestaltung
42
3.7.2.4 Supervision/Coaching
42
4.
Der Prozess: Rollen, Aufgaben und Entwicklungen
43
4.1
Die beteiligten Akteure im Prozess
43
4.1.1
Die Mapper
43
4.1.2
Die Teams
55
4.1.3
Die Leitungskräfte der Einrichtungen
62
4.1.4
Die externen Berater
66
4.1.5
Die Projektleitung
70
9
4.2
Fachtheoretische Fortbildungen
73
4.3
Maßnahmen der Milieugestaltung
75
4.4
Veränderungen der institutionellen Pflegekultur
82
4.4.1
Lebensbereich „Mahlzeiten“
83
4.4.1.1 Defizite der Mahlzeitenkultur zu Projektbeginn
83
4.4.1.2 Veränderungen der Mahlzeitenkultur im Projektverlauf
86
4.4.1.3 Positive Ereignisse während der Mahlzeiten
90
4.4.1.4 Statistische Analyse der DCM-Daten bezogen auf die Mahlzeiten 93
4.4.2
Lebensbereich „Soziale Betreuung“
4.4.2.1 Defizite in der sozialen Betreuung zu Projektbeginn
97
97
4.4.2.2 Veränderungen in der sozialen Betreuung im Projektverlauf
101
4.4.2.3 Positive Ereignisse im Rahmen der Betreuungskultur
104
4.4.3
Veränderungen der Organisationen am Beispiel
der Lebensbereiche „Mahlzeiten“ und „Soziale Betreuung“
110
5.
Evaluation der DCM-Daten
115
5.1
Darstellung der Datengrundlage
115
5.2
Allgemeine Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation
118
5.2.1
Analyse der WIB-Werte
118
5.2.1.1 Einrichtungsübergreifende Ergebnisse
119
5.2.1.2 Einrichtungsbezogene Ergebnisse
122
5.2.2
Analyse der Verhaltenskategorien
130
5.2.3
Analyse der Maßnahmeplanungen
140
5.2.4
Analyse der positiven Ereignisse
142
5.2.5
Analyse der personalen Detraktionen
144
5.3
Spezifische Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation
149
5.3.1
Individuelle Maßnahmen
149
5.3.2
Entwicklung des Verhaltens, das Personsein nährt
154
5.3.3
Entwicklung des Verhaltens, das Personsein
gefährdet
166
10
6.
Organisationsentwicklung im DCM-Projekt:
vier Fallbeispiele
169
6.1
Fallbeispiel I
172
6.2
Fallbeispiel II
176
6.3
Fallbeispiel III
180
6.4
Fallbeispiel IV
184
6.5
Wohlbefinden in Organisationen
187
7.
Zusammenfassung und Fazit
190
8.
Empfehlungen für die Praxis
200
Literatur (Auswahl)
205
Autoren
209
Anhang: Projektmaterialien
211
11
12
1.
Einleitung
Die Zahl der Menschen, die an einer Demenz erkranken, nimmt zu. Bis zum
Jahr 2030 wird ein Anstieg der Patientenzahl um rund 60% erwartet. Dann
werden in Deutschland zwischen 1,8 und 2,5 Millionen ältere Menschen mit
einer Demenzerkrankung leben. Diese Entwicklung ist nicht nur mit physischem und psychischem Leid für Betroffene und ihre Angehörigen verbunden, sondern auch mit erheblichen volkswirtschaftlichen Belastungen.1
Demenzerkrankungen sind mit Abstand der häufigste Grund für eine Heimunterbringung. Etwa 40% der mittelschwer und schwer demenzkranken
Menschen mit einem hohen Bedarf an grundpflegerischen Maßnahmen
werden in Pflegeheimen betreut. Entsprechend hoch ist ihr Anteil bei den
Heimbewohnern. Er liegt zurzeit bei rund 60%, und es ist zu erwarten, dass
dieser Anteil in den nächsten Jahren weiter ansteigen wird.2
Diesem Trend steht die Tatsache entgegen, dass die meisten der Pflegeeinrichtungen für diesen Personenkreis weder baulich noch fachlich ausgerichtet sind.3 Die zum Teil durchaus dramatisch zu nennenden Substandards in
der stationären Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz zeigen
sich insbesondere in einer häufig anzutreffenden reizarmen Atmosphäre, im
Mangel an demenzgerechter Kommunikation und dem Fehlen von kompetenzerhaltenden und -fördernden Aktivitäten. Nicht selten kommt es zu Antriebs- und Verhaltensstörungen bei den Bewohnern4, in deren Folge Erziehungs- oder gar Zwangsmaßnahmen zum eigentlichen Problem werden.
Die Pflege Demenzkranker ist eine der „anspruchsvollsten Aufgaben, die
diese Gesellschaft zu vergeben hat.“5 Diese Einschätzung Tom Kitwoods
gründet in der Erkenntnis, dass Menschen mit Demenz aufgrund ihrer Erkrankung in besonderem Maße auf eine Umwelt angewiesen sind, die ihnen
Geborgenheit und Halt gibt und sie in ihrem So-Sein akzeptiert. Dazu gehö1
2
3
4
5
vgl. Kern, A.O.; Beske, F. (1999): Entwicklung der Zahl von Demenzpatienten in Deutschland bis zum Jahr 2030. Hg. vom Institut für Gesundheits-System-Forschung. Kiel.
vgl. Deutscher Bundestag (Hg.) (2002): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in
der Bundesrepublik Deutschland. Risiken, Lebensqualität und Versorgung Hochaltriger unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen. Berlin.
vgl. Klie, T.; Schmidt, R. (2002): Begleitung von Menschen mit Demenz. In: Zeitschrift für
Gerontologie und Geriatrie 35.2002.3: 199-209.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Bericht bei der Beschreibung von
Personengruppen die männliche Form verwendet.
Kitwood, T. (2000): Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten
Menschen. Bern: 11.
13
ren ein anregungsreiches Umfeld, ein personförderndes Milieu und nicht
zuletzt vertrauensstiftende Beziehungen, in denen sich die Kranken selbst
als Person angenommen und wertgeschätzt fühlen.6
Folglich kommt der inneren Haltung, der Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit der Pflegenden, die Menschen mit Demenz in ihrem (Heim-)Alltag
begleiten und unterstützen, eine entscheidende Bedeutung zu. Eine personfördernde oder -erhaltende Interaktion mit demenziell Erkrankten setzt bei
der Pflegekraft ein ethisches Grundverständnis voraus, das den Menschen
mit Demenz als Person in seiner Subjektivität (an-)erkennt, auch wenn dessen kommunikative Fähigkeiten weitestgehend verloren gegangen sind.
Pflegende müssen bereit und in der Lage sein, sich - auf der Grundlage
professioneller Distanz - mit ihrer ganzen Person als „Hilfs-Ich“ zur Verfügung zu stellen und die Person des anderen zu „halten“.7
Die hier skizzierten fachlichen und persönlichen Anforderungen an eine „gute“ Pflegekraft korrelieren jedoch eher selten mit der derzeitigen Realität in
den Einrichtungen. In der Regel sind die mit dieser schweren Aufgabe
betrauten Personen weder aufgrund ihrer persönlichen Eignung bewusst
ausgewählt noch dafür systematisch fachlich qualifiziert worden. Hinzu
kommt, dass oft auch die „Betreuung der Betreuenden“ und die Möglichkeiten, Stress abzubauen, nicht ausreichend sind, um die Belastungen auf
Dauer aushalten zu können.
Die Verbesserung der Interaktionsfähigkeit der Mitarbeiter ist wichtigster
Punkt bei der Entwicklung einer neuen Pflegekultur in Einrichtungen für
Menschen mit Demenz. Dies setzt voraus, dass den Mitarbeitern neben der
Weiterentwicklung ihrer fachlichen Kompetenz die Befähigung zur interaktiven und reflektierten Arbeit vermittelt wird. Dafür müssen allerdings Rahmenbedingungen und Angebote vielfach erst noch geschaffen werden. Darüber hinaus gilt es, beeinflussbare strukturelle Unzulänglichkeiten einer
Pflegeeinrichtung, wie z.B. inadäquates Raummilieu, Defizite im Management und in der Organisation zu erkennen und einer konsequenten Bearbeitung zuzuführen.
6
7
14
vgl. Müller-Hergl, C. (2000): Demenz zwischen Angst und Wohlbefinden. Positive Personenarbeit und das Verfahren des Dementia Care Mapping. In: Tackenberg, P.; Abt-Zegelin,
A. (Hg.): Demenz und Pflege. Eine interdisziplinäre Betrachtung. Frankfurt a.M.: 248-262.
vgl. Kitwood, T. (2000).
Auf diesem Weg zu mehr Qualität und Qualitätsentwicklung in der stationären Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz rückt das von Tom
Kitwood und seinem Team entwickelte Verfahren des Dementia Care Mapping (DCM) zunehmend in das Interessenfeld von Trägern, Heimleitern und
Mitarbeitern. DCM als Qualitätsentwicklungsverfahren verspricht, bei allen
Beteiligten einen „inneren“ Lernprozess in Gang zu setzen und über Haltungs- und Einstellungsänderung der Mitarbeiter einen Blick zu entwickeln,
der den Bewohner vom „Objekt der Pflege“ zum „Subjekt der Begegnung“
werden lässt. Gemeint ist eine Qualität, die als „Beziehungsqualität“ in erster
Linie an den Bedürfnissen der demenzkranken Bewohner orientiert ist und
deren Gefühlen, Erleben und Wohlbefinden ein zunehmend größeres Gewicht gibt. Die Verankerung einer in diesem Sinne „personzentrierten Pflege“
ist das Anliegen von DCM und vielleicht auch ein erster Schritt hin zu einem
Paradigmenwechsel in der stationären Versorgung pflegebedürftiger Menschen überhaupt.
Auf Initiative des Kuratoriums Deutsche Altershilfe in Köln erhielt der Landkreis Marburg-Biedenkopf Anfang 2002 die Chance, das DCM-Verfahren als
Methode zur Qualitätsentwicklung im Rahmen eines vom Bundesministerium für Gesundheit geförderten Modellprojektes zu erproben.
Der vorliegende Bericht fasst Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem dreijährigen Modellprojekt zusammen, das Ende 2004 seinen formalen Abschluss fand. Zunächst werden theoretische und methodische Aspekte des
Dementia Care Mapping umrissen. Ziel ist es, auch Leser, die DCM noch
nicht kennen, mit den Grundannahmen und den wichtigsten Verfahrensschritten bekannt zu machen. Da der Bericht stark praxisbezogen konzipiert
ist, wurde bewusst auf eine Darstellung des aktuellen Forschungsstandes
zum Thema DCM verzichtet. Im Zentrum des dritten Kapitels steht die Information über die Zielsetzung und den Aufbau des Marburger Modellprojektes. Die wichtigsten Akteure im DCM-gestützten Entwicklungsprozess werden im ersten Teil des vierten Kapitels vorgestellt. Datengrundlage für die
Ausführungen sind neben Beobachtungs- und Sitzungsprotokollen auch
Berichte der projektbegleitenden Supervisoren sowie leitfadengestützte Interviews. Die Implementierung des DCM-Verfahrens in den Modelleinrichtungen wurde durch fachtheoretische Fortbildungen und Maßnahmen der
Milieugestaltung ergänzt und unterstützt. Ergebnisse bei der Umsetzung
dieser Projektbausteine sowie Beispiele für erste Veränderungen der Pflegekultur bei den Mahlzeiten und im Rahmen der sozialen Betreuung werden
15
ebenfalls im vierten Kapitel präsentiert. Eine statistische Evaluation der erhobenen DCM-Daten findet sich im fünften Kapitel. Anhand von vier Fallbeispielen wird im sechsten Kapitel dargestellt, wie sich Organisationen im
Laufe des DCM-Prozesses strukturell verändern und entwickeln.
Der Bericht gibt in vielen Facetten Antworten auf die Frage, ob das DCMVerfahren geeignet ist, Qualitätsentwicklung in Pflegeeinrichtungen zu fördern. Klar aufgezeigt werden dabei die Rahmenbedingungen, die notwendig
sind, um DCM erfolgreich umzusetzen. Damit über den Modellverbund hinaus auch andere Einrichtungen von den Erkenntnissen profitieren können,
werden im Schlusskapitel ganz konkrete Empfehlungen für eine nachhaltige
Implementierung von DCM gegeben. Auch ein umfangreicher Anhang mit
verschiedenen Projektmaterialien soll zum Transfer der Modellerfahrungen
beitragen.
16
2.
Dementia Care Mapping – Theoretische und
methodische Aspekte
2.1
Personzentrierte Pflege bei Demenz
Die Ursprünge des Ansatzes personzentrierter Pflege und Betreuung gehen
auf den Psychologen Carl Rogers zurück, der in den fünfziger Jahren die
klientenzentrierte Psychotherapie entwickelte. Die Grundüberzeugungen der
Theorie Rogers waren die Akzeptanz des subjektiven Erlebens und Wahrnehmens sowie die vorbehaltlose Anerkennung der Einzigartigkeit jedes
einzelnen Menschen. Die Ansätze Rogers wurden für den Demenzbereich
zuerst von Naomi Feil aufgegriffen, die darauf aufbauend die Validationstherapie begründete.8 Da diese therapeutischen Verfahren auf Einzelinterventionen im Rahmen regelmäßiger Sitzungen beruhen, konnten sie für Menschen mit Demenz nur bedingt angewendet werden. Dies änderte sich durch
die Alltagsadaption der Therapie, bei der diese zunehmend als ein kontinuierlicher Prozess der Umfeldgestaltung und Interaktion verstanden wurde.
Ein bedeutender Vertreter dieser Haltung war der Sozialpsychologe Tom
Kitwood, der in den neunziger Jahren in Großbritannien mit der Entwicklung
des personzentrierten Ansatzes bei Demenz begann. Seiner Meinung nach
können Behinderungen, die im Rahmen einer Demenz entstehen, aus verschiedenen Gründen nicht mehr schlüssig durch organisch bedingte psychische Erkrankungen erklärt werden. Diese Definition sei durch ihre Fokussierung auf das Organ Gehirn zu einschränkend. Die Komplexität des Geschehens werde dadurch nicht erfasst. Um ein Demenzgeschehen zu verstehen
und therapeutisch zu begleiten, ist damit ein anderer Zugang notwendig.
Kitwood entwickelte einen erweiterten Verständnisrahmen zur Demenz, der
fünf Ursachenkomplexe umfasst und psychische, physische und Umwelteinflüsse verbindet. Dabei sind die einzelnen Komponenten in ihrer Beziehung
nicht trennscharf und wirken wechselseitig aufeinander:
8
vgl. Morton, I. (2002): Die Würde wahren. Personzentrierte Ansätze in der Betreuung von
Menschen mit Demenz. Stuttgart.
17
•
Personalität,
•
Biographie,
•
physische Gesundheit,
•
neurologische Einschränkungen und
•
Sozialpsychologie.
Das
Das ganzheitliche
ganzheitliche Bild
Bild der
der Demenz
Demenz
Persönlichkeit
Persönlichkeit
Neurologische
Neurologische
Behinderung
Behinderung
Biographie
Biographie
Gesundheit
Gesundheit
...Sozialpsychologie
...Sozialpsychologie
© Christine Riesner MScN
© Christine Riesner MScN
Im individuellen Verstehen der Befindlichkeit und der Bedürfnisse einer Person mit Demenz spielen die Persönlichkeit des Menschen, seine Biographie
sowie seine somatische Gesundheit eine wichtige Rolle. Die Art und die
Auswirkungen der neurologischen Behinderung sind ebenso entscheidend.
Das sozialpsychologische Umfeld stellt allerdings die entscheidende Variable beim Umgang mit einer Person mit Demenz dar. Denn alle vorgenannten
Komponenten sind nicht oder kaum beeinflussbar, wohingegen die Anpassung des Umfeldes umfassend gestaltet werden kann.
Der personzentrierte Ansatz bei Demenz geht davon aus, dass auch bei
fortschreitender Demenz das Wohlbefinden der Person nicht abnehmen
muss, wenn die sozialpsychologische Umfeldgestaltung an die Bedürfnisse
der Person angepasst wird. Diese Umfeldanpassung hat zur Folge, dass ein
Fortschreiten der neurologischen Behinderung Demenz aufgehalten und
durch zielgerichtete Interaktion kompensiert werden kann. Der Erhalt des
Personseins ist daher die entscheidende Aufgabe bei der Gestaltung des
sozialpsychologischen Umfeldes für Personen mit Demenz, denn die Anerkennung als Person bewirkt Wohlbefinden.9
Das persönliche Wohlbefinden ist abhängig von positiven Erfahrungen in
vier globalen Kategorien:
ƒ
Selbstwert - die Wertschätzung seiner selbst als Person spüren;
ƒ
Handlungsfähigkeit - spüren, dass man etwas tun und bewirken kann;
9
18
vgl. Kitwood, T.; Bredin, K. (1992a): Towards a theory of dementia care. Personhood and
well-being. In: Ageing and Society 12.1992.3: 269-287.
ƒ
ƒ
Soziales Vertrauen - Sicherheit im Umgang mit
zwischenmenschlichen Beziehungen; Kontakt zu anderen aufnehmen können
und sicher sein, eine Erwiderung zu erhalten;
Hoffnung - der Glaube an
eine sinnvolle Zukunft; der
Glaube an ein gutes Ende,
unabhängig von Problemen,
die
entstehen
können;
„Grundsicherheit“.10
Vier
Vierglobale
globaleKategorien
Kategoriendes
desWohlbefindens
Wohlbefindens
etwas
etwaswert
wertzu
zusein
sein(narzistische
(narzistischeZufuhr)
Zufuhr)
Das
DasGefühl
Gefühl
etwas
etwastun
tunzu
zukönnen
können(agency)
(agency)
mit
mitanderen
anderenininKontakt
Kontakttreten
tretenzu
zu
können
können
der
derHoffnung
Hoffnungoder
oderdes
desUrvertrauens
Urvertrauens
©Christine
©ChristineRiesner
RiesnerMScN
MScN
Durch eine Demenz entstehen zunehmende Behinderungen: Gegenwart
und Vergangenheit können nicht mehr trennscharf abgegrenzt werden, das
Planen des Tagesablaufs und des eigenen Lebens werden schwieriger,
Gedächtnisverluste sorgen für Unsicherheit usw. Die Abhängigkeit der Person mit Demenz von anderen wird größer. Die psychologischen Bedürfnisse
nach Trost, Identität, Bindung, Einbeziehung und Beschäftigung11 treten
deutlicher hervor:
Trost geben für Menschen mit Demenz heißt anerkennen, dass durch die
Demenz Verluste entstehen, die Trauer und Unsicherheit hervorrufen. Verluste können durch den Tod eines geliebten Menschen, durch den Verlust
des relativ unabhängigen Lebensstils oder auch als in sich bedeutsames
persönliches Thema vorhanden sein. Trost bedeutet Nähe und Beistand,
Linderung von Schmerzen und Sorge für ein sicheres, geborgenes Aufgehobensein.
Identität umschließt das Bewusstsein des eigenen Seins, der eigenen unverwechselbaren Geschichte. Die Person mit Demenz kann ihre Identität nur
mit Unterstützung durch andere aufrechterhalten. Sie braucht ein Umfeld, in
dem die eigene Lebensgeschichte in Form eines roten Fadens und durch
Familiengeschichten bekannt ist. Familiengeschichten sind typische Anekdoten, die im Beisammensein einer Familie immer wieder erzählt werden und
10
11
vgl. Bruce, E.; Wey, S. (2001): Looking after well-being: how it works in practice. In: Journal
of Dementia Care 9.2001.4: 27-29.
vgl. Kitwood, T. (2000).
19
die gesammelt werden müssen, um sie identitätserhaltend nutzen zu können. Weiter ist empathisches Agieren identitätserhaltend, weil durch Empathie die unverwechselbare Identität des anderen anerkannt wird.
Bindung bewirkt Sicherheit. Besonders in den ersten Lebensjahren ist die
primäre Bindung ein Sicherheitsnetz, welches individuelle Entwicklung erst
möglich macht. Der Mensch mit Demenz geht wieder in eine Welt ein, in der
Dinge nicht mehr verstehbar sind, in der eigene Entscheidungen in überschaubaren Zusammenhängen nicht mehr getroffen werden können. Dementsprechend groß ist oft das Bedürfnis nach primärer Bindung, die Halt und
Sicherheit in einer auseinander brechenden Welt gibt. So kann die Sehnsucht einer Person mit Demenz nach ihrer Mutter ein Wunsch nach diesem
mütterlichen Schutz sein.
Einbeziehung geht auf die Notwendigkeit ein, dass der Mensch ein Gruppenwesen ist und traditionell nur in Gruppen überleben kann. Die Gruppe
bietet Stabilität und wirkt über die Summe ihrer einzelnen Mitglieder hinaus.
Die Person mit Demenz kann sich immer weniger allein halten, so dass die
Gruppenzugehörigkeit persönlich stabilisiert und auch eine persönlichkeitserweiternde Funktion hat, wenn der Person ein fester Platz in der Gruppe
zugewiesen wird.
Beschäftigung bedeutet, etwas in der Welt zu bewegen. Das Gegenteil von
Beschäftigung ist Langeweile, Apathie und Bedeutungslosigkeit. Sich beschäftigen heißt auch, sich zu bestätigen, dem eigenen Sein eine Bedeutung
zu geben. Der Beschäftigung von Personen mit Demenz liegen zwei wesentliche Aspekte zugrunde: Erstens kann an vielfältige Alltagskompetenzen aus
dem bisherigen Leben angeknüpft werden, und zweitens braucht der
Mensch mit Demenz ein akzeptierendes Umfeld, welches seine Beschäftigungen kreativ unterstützt, ohne Lösungen vorzugeben, oder durch Sanktionen bzw. Verhinderung bestimmte Beschäftigungen unterbindet.
Kitwood ging davon aus, dass personzentrierte Pflege einen kulturellen
Wandel darstellt. Er beschreibt die traditionelle Kultur der Demenzpflege, die
Personsein nicht fördert, sondern im Rahmen bestehender sozialer Regularien Fehlverhalten stigmatisiert, als maligne12 Sozialpsychologie. Dagegen
stellt die personzentrierte Pflege, bei der Verhalten als individueller Ausdruck der Person respektiert und in der Interaktion deutend verstanden wird,
12
20
maligne = bösartig bezogen auf das Personsein.
seiner Meinung nach eine benigne13 Sozialpsychologie dar, die das Personsein von Menschen mit Demenz stärkt. Damit ist die konkrete Beziehungsgestaltung zwischen betreuender Person und der Person mit Demenz das
wichtigste Element der sozialpsychologischen Umfeldgestaltung.
Um die negativen Auswirkungen einer schlechten Pflege deutlich zu machen
und Möglichkeiten zur Verbesserung aufzuzeigen, hat Kitwood in Zusammenarbeit mit Kathleen Bredin das Assessmentinstrument Dementia Care
Mapping (DCM) entwickelt.
2.2
Dementia Care Mapping
Das Assessmentinstrument Dementia Care Mapping dient dazu, um in
(teil)stationären Einrichtungen die Pflege und Betreuung von Menschen mit
Demenz zu beobachten, abzubilden und zu beurteilen.14 Es „will eine alltagspraktische Methode an die Hand geben, die das relative Wohlbefinden
von dementen Menschen anhand ihres Verhaltens und Erscheinungsbildes
über einen längeren Zeitraum kontinuierlich, detailreich und möglichst objektiv abbildet.“15 Der Begriff Mapping wird im Sinne der Erstellung einer Landkarte (engl. = map) verstanden, die die Lebensqualität von Menschen mit
Demenz erkennbar werden lässt. DCM soll dazu beitragen, personzentrierte
Pflege in kleinen Schritten zu entwickeln, die in einer wiederkehrenden Abfolge von Mapping, Feedback, der Entwicklung eines konkreten Handlungsplans und erneutem Mapping bestehen.
Die Beobachtung (Mapping) erfolgt durch ausgebildete Beobachter (Mapper), die im öffentlichen Bereich einer (teil)stationären Einrichtung bei ca.
sechs Teilnehmern (Personen mit Demenz) über eine Zeitperiode von mindestens sechs Stunden je Teilnehmer Daten kodieren und Feldnotizen machen. Die Beobachter gehen dabei in Sicht- und Hörkontakt zu den Teilnehmern. Vor Beginn des Mappens werden die Teilnehmer begrüßt und die
Beobachter stellen sich vor. Sie bemühen sich um eine unauffällige Haltung
13
14
15
benigne = gutartig bezogen auf das Personsein.
th
vgl. Bradford Dementia Group (1997): Evaluating Dementia Care. The DCM Method. 7
Edition. University of Bradford. Bradford, England. (Dt. Übersetzung: Müller-Hergl, C.: Demenzpflege evaluieren. Die DCM Methode. 7. Auflage).
Müller-Hergl, C. (1998): De-menz und Re-menz. Positive Personenarbeit und Dementia
Care Mapping. In: Geriatrie Praxis 10.1998.6: 22.
21
und sind für die Teilnehmer ansprechbar, suchen aber von sich aus keinen
Kontakt.
Bei der regelgeleiteten Beobachtung werden vier Erhebungsraster miteinander verbunden:
1. Die Beobachtung des Verhaltens der einzelnen Personen mit Demenz
im öffentlichen Bereich einer Einrichtung anhand von 24 Verhaltenskategorien (Behaviour Category Coding/BCC). Die Kodierung erfolgt in 5Minuten-Takten.
2. Die parallel zum Kodieren der Verhaltenskategorien erfolgende Einschätzung des relativen Wohlbefindens (well- or ill-being/WIB) der einzelnen Personen mit Demenz. Hier stehen sechs Stufen von +5 bis –5
zur Verfügung. Kodiert wird gemeinsam mit den Verhaltenskategorien in
5-Minuten-Takten.
3. Positive Ereignisse werden als qualitative Beobachtung unkodiert aufgezeichnet, wenn sie auftreten (Positive Event Recording/PER). Positive
Ereignisse (PEs) halten einen wertschätzenden Kontakt im Sinne des
personzentrierten Ansatzes fest und belegen damit die positiven Potenziale der betreuenden Personen. Die positiven Ereignisse werden im
Feedback wiedergegeben, um durch diese positiven Beispiele konkrete
Ansätze der Entwicklung personzentrierter Pflege aufzuzeigen.
4. Personale Detraktionen werden als kodierte Beobachtung festgehalten
(Personal Detraction Coding/PDC). Personale Detraktionen (PDs) sind
Handlungen, bei denen Personen mit Demenz Erniedrigungen erfahren
und die Anerkennung als Person gemindert wird. Zur Kodierung der personalen Detraktionen stehen 17 Kategorien in je vier Schweregraden zur
Verfügung.
22
Übersicht über die DCM-Verhaltenskategorien, deren Typisierung und mögliche WIB-Wert-Kodierungen
Kategorie
Typ
A
Typ 1
+5 bis -5
Articulation
B
Typ 2
+3 bis +1
Borderline
C
Typ 2
-1 bis -5
Cool/Kalt
D
Typ 2
-1 bis -5
E
Typ 1
+5 bis -5
F
G
Typ 1
Typ 1
+5 bis -5
+5 bis -5
Distress
Expression/Selbstausdruck
Food/Essen
Games/Spiele
H
Typ 1
+5 bis -5
Handicraft/Werken
I
Typ 1
+5 bis -5
Intellectual
J
Typ 1
+5 bis -5
Joints/Gelenk
WIB-Wert
Stichwort
O
Typ 1
+5 bis -5
P
Typ 1
+5 bis -5
R
Typ 1
+5 bis -5
Kum & Go/Kommen &
Gehen
Labour/Arbeit
Media/Medien
Nod, Land of/
Schläfchen
Own Care/Selbstpflege
Physical Care/Körperpflege
Religion
S
Typ 1
+5 bis -5
Sex
T
Typ 1
+5 bis -5
U
Typ 2
-1 bis -5
W
X
Typ 2
Typ 1
+1 bis -5
+5 bis -5
Timalation/Basale
Stimulation
Unresponded to/ohne
Antwort
Withstanding/Aushalten
X-cretion/Ausscheidung
Y
Typ 2
+3 bis -5
Youself/Halluzination
+5 bis -5
Zero Option/Nulloption
K
L
M
+5 bis -5
Typ 1
Typ 1
N
Z
+5 bis -5
+5 bis -5
+1 bis -5
Allgemeine Beschreibung
Mit anderen interagieren - verbal oder
non-verbal (ohne offensichtliche andere
Aktivität, ohne K )
Sozial miteinbezogen sein, aber auf
passive Weise
Sozial nicht miteinbezogen sein, in sich
gekehrt
Stress ohne Begleitung
Mit einer kreativen Tätigkeit beschäftigt
sein
Essen und Trinken
An einem Spiel teilnehmen
An einer handwerklichen Tätigkeit teilnehmen
Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert
An einer sportlichen oder gymnastischen
Übung teilnehmen
Unabhängiges Gehen, Stehen oder
Fortbewegen
Arbeit oder Pseudo-Arbeit
Sich mit Medien beschäftigen
Schlafen oder Dösen
Sich unabhängig selber pflegen
Praktische, physische oder personale
Pflege erfahren
An einer religiösen Aktivität teilnehmen
Tätigkeit mit explizit sexuellem Selbstausdruck
Beschäftigung mit sinnl. Wahrnehmung
Kommunizieren ohne Antwort
Repetitive Selbststimulation
Ausscheidung
Mit sich selber oder einer imaginierten
Person sprechen
Verhalten, das in keine der Kategorien
passt
23
ad 1:
Das Kodieren von Verhaltenskategorien (BBC)
Durch das Kodieren anhand der 24 Verhaltenskategorien wird das Spektrum
möglichen Verhaltens abgebildet. Es entsteht ein Überblick darüber, wie
eine Person mit Demenz ihre Zeit verbracht hat, welche Angebote der Pflege und Betreuung es gibt. Interessen werden deutlich und das Erleben verschiedener Teilnehmer kann verglichen werden. So kann auch festgehalten
werden, ob stille und zurückgezogene Personen mit Demenz in gleichem
Maße in Beschäftigungen eingebunden werden wie eher fordernde und extrovertierte Menschen.
Im Bereich der 15 Typ 1-Kategorien (siehe vorstehende Übersicht) finden
sich Beschäftigungen16 mit „personnährendem“ Potenzial, wie z.B. das Interagieren mit anderen, der Umgang mit Medien, die Teilnahme an einem
religiösen Akt, wohingegen die sechs Typ 2-Kategorien introvertierte Beschäftigungen ohne offensichtliches Interaktionspotenzial darstellen, wie z.B.
das Beobachten ohne selbst beteiligt zu sein oder die repetitive17 Selbststimulation. Die Kategorien K (unabhängiges Stehen und Gehen) und N
(Schlaf) nehmen Sonderpositionen ein. Die Kategorie K wird ambivalent
beurteilt, da Gehen und Stehen einerseits ein positives Interaktionspotenzial
beinhalten, wenn eine Person z.B. durch Gehen einen personalen Kontakt
einleiten kann. Andererseits wurde durch die Auswertung von DCM-Daten
festgestellt, dass Gehen und Stehen häufig durch große Unruhe und Unwohlsein gekennzeichnet sind. Diese Erkenntnisse führten dazu, dass die
Kategorie K nicht den personnährenden Typ 1-Kategorien zugerechnet wird.
Die Sonderposition der Kategorie N (Schlaf) ergibt sich durch die Anwendung der Idee des „angemessenen Schlafes“. Sie trägt der Tatsache Rechnung, dass insbesondere im Alter bis zu einem gewissen Grad der Schlaf
am Tag Teil eines gesunden Lebensstils sein kann. So wird die Kategorie N
für Schlaf im öffentlichen Bereich der stationären Pflege für einen Gesamtzeitraum von 1,5 Stunden positiv gewertet. In der Tagespflege gilt eine
Stunde Schlaf für angemessen.
Es gibt klare Regeln, welche der Aktivitäten, die innerhalb von fünf Minuten
auftreten können, Vorrang bei der Kodierung erhalten sollen. Dabei sind die
16
17
24
Beim DCM wird nicht zwischen den Begriffen „Beschäftigung“ und „Verhalten“ unterschieden. Diese werden im Folgenden synonym benutzt.
repetitiv = sich rhythmisch wiederholende Bewegung und/oder Artikulation.
einzelnen Kategorien einer qualitativen Hierarchie zugeordnet. Die Reihenfolge bei der Zuweisung von Kodes der Verhaltenskategorien lautet:
1. Typ 1-Kategorien: A;E;F;G;H;I;J;L;M;O;P;R;S;T;X
2. Typ K: Unabhängiges Gehen, Stehen, Fortbewegen
3. Typ 2-Kategorien: B;C;D;U;W;Y
4. Typ N: Schlafen oder Dösen
Regel 1 besagt, dass eine beobachtete Typ 1-Kategorie innerhalb eines
fünfminütigen Zeitabschnittes immer Vorrang hat. Sie hebt die Bedeutung
derjenigen Kategorien hervor, die die Möglichkeit bieten, sich als Person
fühlen und verhalten zu können. Die Kodierung erfolgt stark ressourcenorientiert. Daher wird auch sehr kurzfristigen personnährenden Verhaltensweisen eine Vorrangsstellung eingeräumt.
Beispiel:
In einem fünfminütigen Zeitabschnitt wird eine Person mit Demenz beobachtet, die ca. vier Minuten am Tisch sitzt, die Umgebung beobachtet und dann
eine Minute eine Tasse Kaffee trinkt. Dieser Zeitabschnitt wird mit F (Essen
und Trinken) kodiert, weil F eine Typ 1-Kategorie darstellt. Die ersten vier
Minuten entsprechen der Typ 2-Kategorie B (Beobachten, auf passive Weise sozial miteinbezogen sein).
Werden in fünf Minuten zwei verschiedene Kategorien desselben Typs beobachtet, so wird diejenige Kategorie kodiert, welche die meiste Zeit in Anspruch genommen hat. Dies wird in der zweiten Kodierungsregel operationalisiert.
Beispiel:
In einem fünfminütigen Zeitabschnitt wird eine Person mit Demenz beobachtet, die ca. vier Minuten am Tisch sitzt, eine Zeitung liest und dann eine Minute eine Tasse Kaffee trinkt. Dieser Zeitabschnitt wird mit M (Beschäftigung
mit Medien) kodiert, weil die Typ 1-Kategorie M mehr Zeit in Anspruch genommen hat als die Typ 1-Kategorie F (Essen und Trinken).
ad 2:
Das Kodieren des Wohlbefindens oder Nicht-Wohlbefindens (WIBWerte)
Gleichzeitig mit dem Kodieren der Verhaltenskategorien wird für jeden 5Minuten-Abschnitt das relative Wohlbefinden der einzelnen Teilnehmer fest-
25
gehalten. Als Grundlage dafür dient eine sechsstufige Skala (+5, +3, +1, –1,
–3, –5). Bei +5 handelt es sich um außerordentliche Momente des Wohlbefindens, etwa gemeinsames ausgelassenes Lachen und Singen. Der Wert
–5 drückt außerordentliches Unwohlsein wie große Wut, Trauer oder Unglück aus.
Um den angemessenen WIB-Wert zuweisen zu können, muss der Beobachter sich empathisch in das Erleben der einzelnen Personen mit Demenz
einfühlen. Dabei stellt der WIB-Wert +1 die so genannte Affektbasislinie dar,
d.h. es sind keine Anzeichen gesteigerten Wohlbefindens und auch keine
Anzeichen von Unwohlsein zu beobachten. Die Affektbasislinie liegt für einzelne zu beobachtende Personen mit Demenz auf einem unterschiedlichen
Niveau, so dass z.B. bei einer sehr aktiven Person mit hohem Interaktionspotenzial auch eine höhere Affektbasislinie zugrunde gelegt wird, während
bei einer introvertierteren, immobilen Person von einer niedrigeren Affektbasislinie auszugehen ist.
Auch bei der Aufzeichnung der WIB-Werte folgt der Mapper bestimmten
Regeln. Grundsätzlich wird beim DCM angenommen, dass Interaktionen, die
das Personsein unterstützen, zu positiven WIB-Werten von +3 oder +5 führen. Demgegenüber kommt es zu einer Minderung des Wohlbefindens,
wenn eine Person mit Demenz über einen längeren Zeitraum keinen personfördernden Kontakt erleben kann. Diese Annahme wird in der so genannten
Degenerationsregel ausgedrückt, die besagt, dass der WIB-Wert zur nächst
niederen Stufe abfällt, wenn ein Zustand des Unwohlseins ohne Unterbrechung länger als 30 Minuten anhält. Ein WIB-Wert von –1 würde demgemäß
nach einer halben Stunde mit –3 kodiert. Diese Degeneration findet in der
Kombination folgender Verhaltenskategorien Anwendung: C (sozial nicht
miteinbezogen sein, in sich gekehrt), D (Stress), K (unabhängiges Gehen
und Stehen), L (Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeit), U (unbeantwortetes
Rufen) W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selbst oder einer
eingebildeten Person sprechen). Schlaf (N) durchbricht den Degenerationsverlauf nicht, nur positive Interaktionen können die Degeneration aufheben.
Schlaf (N) hat eine eigene Degenerationsregel, die - wie bereits erwähnt angemessenen Schlaf im öffentlichen Bereich einer stationären Einrichtung
mit 1,5 Stunden als erfüllt ansieht. In teilstationären Einrichtungen liegt der
Zeitraum für angemessenen Schlaf, der mit N+1 kodiert wird, bei einer Stunde. Weiterer Schlaf wird im 30-Minuten-Takt mit negativen WIB-Werten (–1 /
26
–3 / –5) belegt. Dabei werden einzelne Zeitabschnitte, die mit N kodiert wurden, über den Tag hin addiert. Da davon ausgegangen wird, dass Personen
mit Demenz nach einem mehr als zehnstündigen Aufenthalt in Gemeinschaftsräumen erschöpft sind, wird Schlaf in der stationären Pflege positiv
bewertet, sobald ein Teilnehmer länger als zehn Stunden im öffentlichen
Bereich anwesend war.
ad 3 und 4: Positive Ereignisse und personale Detraktionen
Die Aufzeichnung von positiven Ereignissen erfolgt ohne strukturierten Kodierungsrahmen. Das Ziel ist, einige wenige, aber entscheidende Augenblicke und Episoden auszuwählen, denen eine besondere Bedeutung zukommt oder die ein unerkanntes Potenzial erkennen lassen. Der positive
Ereignisbericht bietet die Möglichkeit, Beispiele von positiver Arbeit an der
Person zu erfassen.
Personale Detraktionen dagegen sind Beispiele maligner Sozialpsychologie.
Bei ihrer Kodierung wird festgehalten, wenn Menschen mit Demenz u.a. wie
ein Gegenstand oder wie ein Kind behandelt werden (zum Objekt machen
bzw. infantilisieren). Diese Erniedrigungen entspringen nur sehr selten dem
absichtlichen Versuch zu verletzen. Sie sind vielmehr Teil der traditionellen
Kultur der Pflege und Betreuung, bei der das Personsein immer wieder beschädigt wird.
Zeitnah nach dem Mapping werden die kompletten Beobachtungsdaten dem
Pflegeteam im Feedback übermittelt. Dies geschieht zum einen in Form
einer schriftlichen Ausarbeitung, zum anderen durch eine mündliche Rückmeldung. Das Feedbackgespräch ist vom Beobachter so zu gestalten, dass
den vorhandenen Kompetenzen ein breiter Raum gewidmet wird. Bei den
Informationen über die BBC- und WIB-Daten, über die positiven Ereignisse
und personalen Detraktionen ist das Einfühlungsvermögen des Mappers
gefragt. Denn insbesondere die Offenlegung von PDs ist für das Pflegeteam
anfangs gewöhnungsbedürftig und angstbesetzt.
Ideen und Maßnahmen für Veränderungen bzw. Verbesserungen werden
gemeinsam erarbeitet. Die sich daraus ergebenden nächsten Entwicklungsschritte sollten vom Team in einem konkreten Handlungsplan festgehalten
werden, der Schwerpunkte des Vorgehens erkennen lässt.
27
Zur Ethik der DCM-Methode gehört, dass sich der Beobachter während des
Mappings fortlaufend der Zustimmung der beobachteten Personen versichert. Eine „informierte Zustimmung“ der Personen mit Demenz vor der Beobachtung reicht nicht aus, da die einmal gegebene Zustimmung durch Gedächtnisverluste möglicherweise nicht dauerhaft gesichert ist oder die Zusammenhänge der Beobachtung nicht mehr verstanden werden können. Der
Beobachter muss in der Beobachtung sensibel auf mögliche Irritationen
eingehen, die seine Anwesenheit auslösen können. Dann sollte nochmals in
einfachen Worten erklärt werden, was der Beobachter hier tut. Entsteht dennoch durch die Beobachtung Unruhe oder Ablehnung bei einer Person mit
Demenz, muss diese aus der Beobachtung herausgenommen werden. Die
Beobachtung wird abgebrochen, wenn letztlich keine Vertrauensbasis hergestellt werden kann.
Eine wesentliche Voraussetzung für das Mappen ist auch das Einverständnis des Pflegeteams. Gegenüber den Pflege- und Betreuungskräften wird
eine wertschätzende Haltung eingenommen. Darin soll auch zum Ausdruck
kommen, dass sie die Experten der konkreten Demenzpflege sind. Das
Team gestaltet die Situation aktiv mit und entscheidet über den weiteren
Verlauf der Entwicklung. Die erhobenen Daten dürfen nicht dazu verwandt
werden, Schlussfolgerungen über die Arbeitsleistung einzelner Mitarbeiter
zu ziehen oder deren Fachlichkeit in Frage zu stellen. Die Daten werden
dem Team übergeben und dürfen nicht ohne dessen Einverständnis nach
außen weitergegeben werden.
Das Pflegeteam braucht Unterstützung und Stärkung in seinen sozialen
Rollen, braucht Sicherheit und Anerkennung, um seine positiven Potenziale
entwickeln zu können. Wenn das Pflegeteam seine alten Kulturanteile der
malignen Sozialpsychologie überwinden soll, so muss dieser Prozess auch
bezogen auf die sozialen Bedingungen der Einrichtung unterstützt werden,
indem insgesamt ein wertschätzender, kooperativer Stil entwickelt wird.
DCM wird als ein entwicklungsbezogenes Evaluationsinstrument der Pflegeund Betreuungsqualität im stationären Umfeld verstanden. Qualitätsmaßstab
ist das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz. Unter der Annahme, dass
das Anerkennen und die Stabilisierung einer Person mit Demenz zu deren
Wohlbefinden führen, ergibt sich ein intersubjektives Beziehungsgeschehen
als Hauptansatz der Qualitätsentwicklung. Beim DCM sind daher nicht wie
bei anderen Verfahren (z.B. Total Quality Management) standardisierte Ab-
28
läufe und Verfahrensweisen ein Beleg für Qualität. Die DCM-Methode ist
geeignet zur Evaluation von Pflegequalität in (teil)stationären Einrichtungen,
nicht geeignet ist sie jedoch zum linearen Vergleich verschiedener Einrichtungen (Benchmarking).
Die Grundlagen des Dementia Care Mapping werden in DCM-Basic-UserSchulungen vermittelt. Ein DCM-Basic-User ist nach erfolgreich bestandenem Kurs berechtigt, Mappings durchzuführen.
29
3.
Das Marburger Modellprojekt
3.1
Regionale Ausgangssituation
Der mittelhessische Landkreis Marburg-Biedenkopf zählt mit seinen rund
254.000 Einwohnern und einer Bevölkerungsdichte von durchschnittlich 200
Einwohnern je qkm zu den eher ländlich geprägten Flächenlandkreisen. Die
Altersgruppe der über 65-Jährigen stellt mit ca. 45.000 Personen knapp 18%
der Gesamtbevölkerung.18 Legt man gängige Prävalenzzahlen19 zugrunde,
so leben im Kreisgebiet ca. 3.200 Menschen, die an einer mittelschweren bis
schweren Demenz erkrankt sind.
Obwohl davon ausgegangen werden kann, dass eine hohe Zahl dieser
Menschen in Pflegeheimen lebt, ergab eine Befragung im Jahr 1999, dass
von den insgesamt 34 in der Region zugelassenen Pflegeheimen keine dieser Einrichtungen mit einem demenzspezifischen Pflegekonzept arbeitete.
Gleichwohl hatten die meisten ein großes Interesse an einer entsprechenden Weiterentwicklung signalisiert. Im Jahr 2000 wurde der „Gerontopsychiatrische Verbund Marburg-Biedenkopf“ gegründet. Es handelt sich um ein
Netzwerk engagierter Pflegeanbieter, Fachkräfte und Kliniken, die sich auf
den Weg gemacht haben, ihr Leistungsangebot für demenzkranke Bewohner zu verbessern und Standards für die Leistungserbringung zu verabreden. Die inhaltliche Arbeit im Verbund findet vorrangig in unterschiedlichen
Planungsgremien statt. In der „Arbeitsgruppe Stationär“ engagierten sich von
Beginn an 14 stationäre Pflegeeinrichtungen.
In Abstimmung mit diesen Einrichtungen legte die Stabsstelle Altenhilfe des
Landkreises Marburg-Biedenkopf Ende 2001 einen Antrag auf Förderung
des Projektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung in Einrichtungen der
Altenhilfe“ beim Bundesministerium für Gesundheit vor. Dieser Antrag wurde
zum 1. Januar 2002 bewilligt. Zwölf Pflegeeinrichtungen entschieden sich für
eine Projektbeteiligung.
18
19
30
vgl. Hessisches Statistisches Landesamt (2004): 25.06.2004. Wiesbaden.
Bezogen auf die 65-Jährigen und Älteren liegt nach Bickel der Anteil der mittelschwer bis
schwer erkrankten Personen bei 7,2%. (vgl. Deutscher Bundestag (2002): 161.)
3.2
Zielsetzung und Fragestellung
Zielsetzung des Marburger Projektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung
der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises
Marburg-Biedenkopf“ war es, das DCM-Verfahren in stationären Pflegeeinrichtungen zu implementieren und praktisch zu erproben.20 Das Projekt sollte Aufschluss geben über die Wirksamkeit dieser Methode zur Qualitätsanalyse, -beurteilung und -entwicklung.
Zu den wichtigsten Fragestellungen gehörten: Ist das DCM-Verfahren geeignet, einen Qualitätsentwicklungsprozess in Gang zu setzen, der insbesondere die Steigerung des Wohlbefindens der demenzkranken Bewohner
im Fokus hat? Gelingt es durch die Implementierung von DCM, gemeinsam
mit allen Beteiligten eine neue Kultur der personzentrierten Pflege zu begründen? Und schließlich: Welcher institutionellen Rahmenbedingungen
bedarf es, damit die DCM-Methode die gewünschte Wirkung entfalten kann?
3.3
Projektdauer und Finanzierung
Die Projektdauer war auf drei Jahre angelegt. Die Praxisphase begann im
Januar 2002 und endete im Dezember 2004.
Das Bundesministerium für Gesundheit trug den Hauptanteil der Gesamtkosten von rund 689.170 €. Das Finanzierungskonzept berücksichtigte Kosten für Mitarbeiterschulung und -begleitung, Eingangs- und Erfolgskontrolle
sowie begleitende Fachtagungen. Das Hessische Sozialministerium beteiligte sich mit einem Betrag von ca. 92.000 €. Dieser Betrag wurde ausschließlich für Maßnahmen zur Milieugestaltung verwendet. Der Landkreis Marburg-Biedenkopf leistete als Projektträger eine Eigenbeteiligung für das Projektmanagement in Höhe von 140.000 €. Mit diesen Mitteln konnten im Wesentlichen die Personal- und Sachkosten der regionalen Projektleitung21
(siehe Kap. 4.1.5) abgedeckt werden, eine Aufgabe, die durch die Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises geleistet wurde.
20
21
vgl. Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): DCM-gestützte
Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Projektantrag. Marburg.
Da es zur Aufgabe der Projektleitung gehörte, die regionale Verbundarbeit der projektbeteiligten Einrichtungen zu koordinieren, wird im Folgenden auch von Projektkoordination gesprochen.
31
3.4
Evaluation
An der wissenschaftlichen Begleitung und Evaluation des Projektes waren
unterschiedliche Institutionen und Personen beteiligt. Die Entscheidung für
eine mehrdimensional ausgerichtete praxisorientierte Evaluation basierte auf
dem Anspruch, die generierten („harten“) Daten in den Blick zu nehmen,
ohne die qualitative Prozessanalyse zu vernachlässigen. Der qualitativen
Prozessevaluation wurde insbesondere mit Blick auf eine mögliche Etablierung von DCM und der damit verknüpften Diskussion über Qualitätsstandards bei der Versorgung von Menschen mit Demenz eine besondere Bedeutung beigemessen.
An der Evaluation waren folgende Institutionen beteiligt:
ƒ iso: Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft e.V., Saarbrücken
Die Evaluation des Projektes durch das iso-Institut erfolgte im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit. Thematischer Schwerpunkt der wissenschaftlichen Begleitung war die Rolle der Mapper im Projekt. Vor dem
Hintergrund eines qualitativ ausgerichteten Forschungsdesigns wurden teilstandardisierte Interviews mit Mappern, Leitungspersonen und Fachexperten durchgeführt. Ziel war es, Einblick zu gewinnen in Selbst- und Fremdbild
von Mappern, relevante Aufgabenbereiche herauszuarbeiten sowie konzeptionelle und strukturelle Ansatzpunkte zur Sicherung eines zukünftigen Einsatzes von Mappern zu identifizieren.
ƒ inverso: Institut für Bildung und Entwicklung in der Altenhilfe, Mainz
Das Institut inverso. mit Sitz in Mainz führt vielfältige Projekte und Studien im
Bereich der Altenhilfe durch. Es erhielt vom Projektträger den Auftrag zur
qualitativen und quantitativen Auswertung verschiedener Datensätze. Auf
der Basis statistischer Berechnungen wurden die im Laufe des Projektzeitraums ermittelten Verhaltenskategorien, WIB-Werte und personalen Detraktionen ausgewertet. Durch die Kombination eines quantitativen und qualitativen Verfahrens (strukturierte Inhaltsanalyse) konnten Ergebnisse über die
Maßnahmeplanungen und die positiven Ereignisse gewonnen werden.
ƒ KDA: Kuratorium Deutsche Altershilfe, Köln
Der Initiative des KDA ist es zu verdanken, dass das Dementia Care Mapping Eingang gefunden hat in das BMG-Modellprogramm zur Verbesserung
der Versorgung Pflegebedürftiger. Unter der Koordination des KDA konnte
32
die DCM-gestützte regionale Qualitätsentwicklung der teil- und vollstationären Pflege von Menschen mit Demenz in Modellprojekten erprobt werden.
Neben der Koordinierung umfasste der Aufgabenschwerpunkt des KDA
noch die Dokumentation des Projektverlaufs, die Öffentlichkeitsarbeit sowie
die Erarbeitung einer Praxishilfe zur Unterstützung von Einrichtungen, die
das DCM-Verfahren implementieren wollen.
ƒ Institut für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke
Im Rahmen einer Masterarbeit der Pflegewissenschaft an der Universität
Witten/Herdecke setzte sich Christine Riesner22 mit Fragen der Implementierung von DCM auseinander. Anliegen war es, hemmende und fördernde
organisatorische Einflussfaktoren bei der Entwicklung personzentrierter Demenzpflege zu ermitteln und zu analysieren. Für die Untersuchung wurden
exemplarisch Daten und Sitzungsprotokolle von vier projektbeteiligten Einrichtungen ausgewertet. Um ein möglichst breites Kriterienspektrum zu erhalten, erfolgte die Auswahl nach dem Prinzip des Extremvergleichs.
ƒ Landkreis Marburg-Biedenkopf, Stabsstelle Altenhilfe
Grundlage für eine qualitative Auswertung des Gesamtprozesses durch die
Projektkoordinatorin bildeten die Abschlussberichte der projektbegleitenden
Supervisoren23 über gewonnene Erfahrungen und Ergebnisse ihrer Arbeit.
Beobachtungs- und Sitzungsprotokolle aus Feedback, Maßnahmeplanung,
„Runder Tisch“ und Heimleitertreffen lieferten ergänzende Informationen.
3.5
Die projektbeteiligten Einrichtungen
Das Motivationsspektrum im Hinblick auf die Teilnahme im Modellprojekt
war breit angelegt. „Offiziell“ dominierte der Wunsch, die Demenzpflege in
der eigenen Einrichtung zu verbessern und die neue Methode kennen zu
lernen. Eher verdeckt spielten auch marktstrategische Gesichtspunkte, wie
Zukunftsfähigkeit, Öffentlichkeitswirkung oder Imagegewinn eine gewisse
Rolle. Die Haltung der Leitung zum Modellprojekt und der Grad der Identifikation mit dem DCM-Verfahren stellte sich im Projektverlauf als prägend für
22
23
Riesner, C. (2005): Die Entwicklung personzentrierter Pflege im Rahmen eines Modellprojektes. Eine Evaluationsstudie ausgewählter Einrichtungen. Masterarbeit Pflegewissenschaft. Universität Witten/Herdecke.
Im Folgenden werden die Supervisoren auch „externe Berater“ oder „Prozessbegleiter“
genannt. Eine Auflistung der beteiligten Berater findet sich in Anhang 11.
33
die Entwicklungsbereitschaft und -fähigkeit der einzelnen Einrichtungen heraus.
Zu den Projektbeteiligten gehörten:
ƒ
vier Einrichtungen in privater Trägerschaft mit zwischen 37 und 56 Plätzen,
ƒ
fünf freigemeinnützige Einrichtungen mit zwischen 45 und 147 Plätzen,
davon eine Tagespflege mit 12 Plätzen und
ƒ
drei konfessionell gebundene Einrichtungen mit zwischen 49 und 61
Plätzen.24
Die demenzkranken Bewohner dieser Einrichtungen wurden zu Projektbeginn in der Regel nach dem Integrationskonzept betreut, d.h., sie lebten
gemeinsam mit somatisch Pflegebedürftigen in einer Gruppe. Dies wird an
dem von den Einrichtungen genannten prozentualen Anteil der demenzkranken Personen deutlich (siehe nachstehende Tabelle). Einige Einrichtungen begannen jedoch sehr früh mit Umstrukturierungsmaßnahmen: Demenzkranke Bewohner wurden schrittweise in eine Gruppe zusammengeführt und Mitarbeiter konnten sich für eine Arbeit mit demenzkranken Bewohnern bewerben. Mit dem dadurch angestrebten segregativen Betreuungsansatz wollten die Heimleiter günstige Bedingungen für die DCMAnwendung, für die Mitarbeiterqualifikation und damit für die Qualitätsentwicklung insgesamt schaffen.
Die Einrichtungen starteten im Hinblick auf Räumlichkeiten, Personal und
Leitungsstruktur mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in das Projekt.
Mit der Realisierung eines spezifischen Demenzkonzeptes standen jedoch
alle Einrichtungen ganz am Anfang.
24
34
Eine Adressliste der projektbeteiligten Einrichtungen findet sich in Anhang 10.
Strukturangaben der projektbeteiligten Einrichtungen
Einrichtung
Anzahl
Plätze
1
45
Trägerschaft
privat
Anteil der
Demenzkranken
in %
Pflegeorganisation
44,44%
Bezugspflege
25
2
50
privat
73,91%
Bezugs- und Funktionspflege
3
91
gemeinnützig
80,00%
Bezugspflege
4
12
gemeinnützig
47,36%
--
5
61
konfessionell
63,63%
Bezugspflege
6
37
privat
7
49
konfessionell
33,33%
Bereichspflege
8
45
gemeinnützig
73,33%
Bezugspflege
9
56
privat
84,61%
Bereichspflege
10
64
gemeinnützig
51,51%
Gruppenpflege
11
147
gemeinnützig
52,38%
Gruppenpflege
12
51
konfessionell
16,66%
Bezugspflege
3.6
100,00%
Bezugs- und Funktionspflege
Einführung von Projektstrukturen
Dem offiziellen Projektstart im Januar 2002 war eine ca. siebenmonatige
Vorbereitungsphase vorausgegangen, um die Leitungen, die Mitarbeiter und
Angehörigen der Bewohner über die DCM-Methode zu informieren, aber
auch, um sie auf die Belastungen und Chancen einzustimmen.
Nach Zugang der Förderzusage wurde zügig mit der Einführung von Projektstrukturen begonnen. Dazu gehörten folgende Maßnahmen:
ƒ
Der Landkreis Marburg-Biedenkopf schloss mit allen projektbeteiligten
Einrichtungen eine Kooperationsvereinbarung zur „Regelung der Zusammenarbeit und der Sicherstellung von Rahmenbedingungen für eine
einheitliche und verbindliche Qualitätsentwicklung in den DCMEinrichtungen“ ab (siehe Anhang 1). Auf der Basis einer „freiwilligen
25
Die Angaben der Einrichtungen zur Organisation der Pflege lassen keine zuverlässigen
Rückschlüsse auf das tatsächliche praktizierte Pflegekonzept zu.
35
Selbstverpflichtung“ wurden Aufgaben und Verantwortlichkeiten der Vertragspartner fixiert.
ƒ
Vor Projektbeginn erhielten alle Einrichtungen von der Projektkoordination das Angebot für eine Informationsveranstaltung in ihrem Haus, um
Mitarbeiter und auch interessierte Angehörige über Inhalt, Aufgabe und
Zielsetzung des DCM-Projektes aufzuklären. Dieses Angebot wurde unterschiedlich genutzt.
ƒ
Soweit es die Gesamtstruktur und die räumlichen Gegebenheiten zuließen, wählten die Einrichtungen einen Pflegebereich in ihrem Haus aus,
auf den sich die DCM-Beobachtungen und alle weiteren projektbezogenen Entwicklungsmaßnahmen konzentrierten.
ƒ
Jede Einrichtung wählte aus ihrer Belegschaft zwei für die Aufgabe der
zukünftigen DCM-Beobachtungen geeignete Mitarbeiter aus. Auswahlkriterien waren: persönliche und soziale Kompetenz, Freiwilligkeit, Motivation und Interesse, Neues zu lernen. Insgesamt erhielten 24 Mitarbeiter aus den Einrichtungen eine DCM-Basic-User-Schulung.
ƒ
Alle Heimleiter und Pflegedienstleiter absolvierten verpflichtend eine
dreitägige DCM-Basic-User-Schulung. Sie sollten die Grundprinzipien
des DCM-Verfahrens kennen lernen, um den Entwicklungsprozess im
Kontext ihrer Organisation kompetent unterstützen zu können.
ƒ
Für die externe Begleitung der Einrichtungen wurden vier Supervisoren
gewonnen und im DCM-Verfahren geschult. Ein „Vertrag über Beratung
und Begleitung“ (siehe Anhang 2) regelte Aufgaben und Arbeitsumfang
sowie weitere Grundlagen für das Arbeitsbündnis zwischen den Supervisoren, den Einrichtungen und dem Landkreis Marburg-Biedenkopf als
Projektträger.
ƒ
In allen Einrichtungen wurde eine externe Basisbefundung durch erfahrene DCM-Beobachter durchgeführt. Sie diente einer ersten Einschätzung zum Entwicklungsstand der Demenzpflege. Die ausführliche Datenauswertung und eine erste Reflexion erfolgten mit dem Team und
dem zuständigen Supervisor.
ƒ
Jede Einrichtung bekam per Losverfahren eine projektbeteiligte Partnereinrichtung zugeordnet. Diese „Paarbildung“ war die Voraussetzung für
die gegenseitige DCM-Beobachtung im Cross-Over-Verfahren.
36
ƒ
Die Einrichtungen schlossen sich zu verbindlichen Kooperationen in
Vierer-Gruppen zusammen, um entsprechend der Projektvorgaben gemeinsame Fortbildungen zu organisieren und Synergieeffekte zu nutzen.
Eine Themen- und Referentenliste für die Fortbildungen wurde allen Einrichtungen zur Verfügung gestellt.
3.7
Konzeption des Marburger Modells
3.7.1
Ausgangsüberlegungen
Die konzeptionellen Vorüberlegungen und die letztendliche Entscheidung,
das DCM-Verfahren in einen ganzheitlich angelegten Prozess der Organisationsentwicklung einzubinden, basierten auf der Überzeugung, dass DCM
nicht nur den Bewohner und das direkte Pflegegeschehen im Fokus hat,
sondern das gesamte institutionelle Umfeld in den Blick genommen werden
muss. Indem der DCM-Beobachter „in die Schuhe des Menschen mit Demenz schlüpft“, also konsequent dessen Perspektive einnimmt, erhält er
wichtige Hinweise über Umfeldfaktoren und deren Auswirkungen auf das
Wohlbefinden der Bewohner. Die Steigerung der Lebensqualität ist also
mehr als reine Pflegequalität; sie erfordert nicht selten - sozusagen als „Reflex“ auf die DCM-Erkenntnisse - Veränderungen auf institutioneller bzw.
struktureller Ebene. Anders formuliert: Während sich (demenzkranke) Heimbewohner bislang mehr oder weniger an die institutionellen Bedingungen
anzupassen haben, geht es nun darum, die institutionellen Umfeldfaktoren
zu beobachten und schrittweise an die Bedürfnisse der Bewohner anzupassen. Zu den wichtigsten Faktoren, die die Kultur einer Einrichtung prägen,
gehören insbesondere:
Die Mitarbeiter:
Ihr Selbstverständnis, ihre persönliche Reife, ihre „innere Haltung“ und
selbstverständlich auch ihre Fachlichkeit prägen Kontakt und Beziehungsfähigkeit sowie die Art, wie sie den Bewohnern begegnen: Fühlen sich die
Mitarbeiter für Beziehungs- und Betreuungsarbeit zuständig? Nehmen sie
unabhängig von den regelhaften pflegerischen Verrichtungen Kontakt zu
den Bewohnern auf? Begegnen sie den Bewohnern wertschätzend und einfühlend?
37
Das soziale Milieu:
Atmosphäre und Kontakt zwischen den Bewohnern, Betreuungsangebote
und Beschäftigungsmöglichkeiten geben Impulse für Eigenaktivität, vermitteln den Bewohnern das Gefühl, einbezogen und als Person anerkannt zu
sein: Wie ist die allgemeine Atmosphäre? Gibt es ein lebendiges Treiben
oder herrscht eher Totenstille? Können die Bewohner Kontakt zueinander
aufnehmen, oder wird dies, z.B. durch eine ungünstige Sitzordnung, eher
behindert? Sind die Betreuungsangebote wirklich an den Bedürfnissen und
Fähigkeiten der Bewohner orientiert, oder werden sie nur als „Programm“
schematisch abgespult?
Das räumliche Milieu:
Raumgröße und -ausstattung, Temperatur, Beleuchtung und Wohnlichkeit
wirken sich - das ist unbestritten - auf unser aller Wohlbefinden aus:
Herrscht drangvolle Enge oder können sich die Bewohner (auch mit Hilfsmitteln) ohne Hindernisse bewegen? „Klemmen“ die Bewohner ganztägig auf
dem Stuhl an einem Tisch, oder können sie sich in eine Ecke, auf ein Sofa
oder einen Sessel zurückziehen? Hat der Raum eine wohnliche, gemütliche
Atmosphäre oder eher den Charakter einer „Bahnhofshalle“?
Die Organisationsstruktur:
Personaleinsatzplanung, Organisations- und Ablaufstrukturen entscheiden
darüber, ob und in welchem Umfang die individuellen Bedürfnisse, Gewohnheiten und Fähigkeiten der Bewohner berücksichtigt werden: Dürfen die
Bewohner aufstehen und zu Bett gehen, wann sie wollen, oder geben
Dienstpläne den Rahmen vor? Können die Mahlzeiten selbständig und genussvoll eingenommen werden, oder bestimmen Tablettsystem und Zeitmanagement des Küchenpersonals Esskultur und den zeitlichen Rahmen?
Die Institution:
Tradition, Leitbild, Management- und Personalstrukturen beeinflussen Haltung und Berufsidentität aller in der Institution tätigen Mitarbeiter und damit
das alltägliche Leben in der Einrichtung: Sind institutionelle Regeln und Traditionen zeitgemäß oder eher Garanten für Privilegien und Status? Gibt es
ein Leitbild, das gelebt wird oder steht es nur auf dem Papier? Bestimmen
steile Hierarchien Entscheidungsprozesse und damit die Motivation von
Mitarbeitern? Wie erfolgen Personalauswahl und -aufstellung?
38
All dies sind Faktoren, die die Kultur einer Einrichtung prägen und die Lebensqualität der demenzkranken Bewohner nachhaltig beeinflussen. Im
Marburger Modellprojekt sollten diese Faktoren - ausgehend von den DCMErkenntnissen - zum Gegenstand eines ganzheitlichen Lern- und Veränderungsprozesses gemacht werden, an dem alle Mitarbeiter, Abteilungen und
Entscheidungsebenen von Beginn an zu beteiligen waren.
Das DCM-Verfahren bildete Ausgangs- und Schwerpunkt eines umfassenden Entwicklungsprozesses, der durch weitere Interventionen ergänzt und
unterstützt wurde. Zu den Interventionen, die im Folgenden skizziert werden,
gehörten daher
ƒ
die DCM-Beobachtung,
ƒ
teambezogene Fortbildungen,
ƒ
Maßnahmen der Milieugestaltung und
ƒ
Supervision/Coaching durch externe Berater.
Wie im folgenden Schaubild verdeutlicht, steht der Mensch mit Demenz in
einem DCM-gestützten Entwicklungsprozess im Zentrum der Betrachtung
und vermittelt - stellvertretend durch den Mapper - Hinweise auf Entwicklungs- und Anpassungsbedarf institutioneller Faktoren.
DCM
DCM-Beobachtung
Beobachtung
Teambezogene
Teambezogene
Fortbildung
Fortbildung
Soziales Milieu
Mitarbeiter
Z.B.Berufl. Selbstverständnis,
persönliche Reife, Haltung,
Fachlichkeit, Motivation
Z.B.:Soziale Betreuung,
Kontakt zwischen den
Bewohnern, Atmosphäre,
Räumliches Milieu
Institution
Z.B.:Raumgröße u. -ausstattung,
Temperatur u. Beleuchtung,
Wohnlichkeit
Z.B.:Leitbild, Leitungs-,
Hierarchie- u. Personalstruktur
Organisation
Z.B.:Tagesstruktur, Personaleinsatzplanung,
Mahlzeiten, Hauswirtschaft
Supervision
Supervision
Coaching
Coaching
MilieuMilieugestaltung
gestaltung
39
3.7.2
Interventionsmaßnahmen im DCM-gestützten Entwicklungsprozess
3.7.2.1 Anwendung des DCM-Verfahrens
Das Mapping:
Die DCM-Beobachtungen erfolgten im Cross-Over-Verfahren, das bedeutete, jede Einrichtung beobachtete über den gesamten Projektverlauf eine
Partnereinrichtung, die zuvor im Losverfahren festgelegt worden war. Dadurch sollte ein institutionsübergreifendes, regional vernetztes Lernen im
DCM-Projektverbund in Gang gesetzt werden. Indem (potenzielle) Mapper
aus ihrer aktiven Rolle als Pflegekraft aussteigen, die Perspektive wechseln
und die Pflegepraxis der Partnereinrichtung beobachten, werden Defizite
gespiegelt, Ideen aufgenommen und in die eigene Praxis übernommen.
Grundidee war es „einen Lernprozess in Gang zu setzen, der von Pflegenden für Pflegende gestaltet wird und dessen Ausgangspunkt die Anschaulichkeit von ´best practice`“ ist. Dabei wurde dem „darin enthaltenen Konfliktpotential eine der Veränderungsdynamik dienliche Komponente zugeschrieben.“ 26
Erste Überlegungen sahen zunächst eine Frequenz von vier Beobachtungen
pro Jahr vor. Um den Teams mehr Zeit und Freiräume für Reflexionsarbeit
und Entwicklungen zu geben, wurde die Zahl der DCM-Beobachtungen nach
dem ersten Projektjahr auf jährlich drei reduziert. Insgesamt fanden pro Einrichtung elf Mappings statt.
Alle Mappings wurden von jeweils zwei Beobachtern durchgeführt; auch
dadurch sollte ein gegenseitiger Lernprozess gefördert werden. Die Einsätze
dauerten jeweils rund sechs Stunden. Sie erfolgten zu unterschiedlichen
Tageszeiten, um Beobachtungsdaten über verschiedene Phasen des Pflegealltags zu erhalten.
Zu Beginn eines jeden Mappingeinsatzes machten sich die Bobachter mit
den Räumlichkeiten vertraut, in denen die Beobachtungen stattfanden. Dies
waren entsprechend der jeweiligen räumlichen Gegebenheiten der Speiseoder Aufenthaltsraum, der Ergotherapieraum, die Teeküche, das Nachtcafé,
der Flur oder andere öffentliche Räume. Um sich zu informieren, hatten die
26
40
Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): 4.
Mapper das Recht, Einsicht in die Dokumentation der gemeinsam ausgewählten Bewohner zu nehmen.
Das Feedback:
Das Feedback fand innerhalb von zwei Wochen nach der DCM-Befundung
statt. Die Sitzungen dauerten ca. 90 Minuten. Grundsätzlich waren alle
Teammitglieder zur Teilnahme verpflichtet. Entsprechend des Prinzips „die
Daten gehören dem Team“ nahm die Leitung an den Feedbacksitzungen
nicht teil, sofern dies nicht ausdrücklich vom Team gewünscht wurde.
Die Maßnahmeplanung:
Die Maßnahmeplanung erfolgte ebenfalls zeitnah zum Feedback. Sie diente
vorrangig der individuellen, also bewohnerbezogenen Planung und beinhaltete Überlegungen zu notwendigen organisatorischen und strukturellen Veränderungen. Zu den Sitzungen wurden die Leitungen eingeladen, um den
Planungen und Entscheidungen die erforderliche Legitimität und Verbindlichkeit zu geben.
Der „Runde Tisch“:
Um den Informations- und Entwicklungstransfer innerhalb der Einrichtungen
zu gewährleisten, wurde zusätzlich in jeder Einrichtung ein „Runder Tisch“
installiert. Dadurch sollten Ergebnisse und Auswirkungen von Veränderungen im größeren Zusammenhang der Gesamteinrichtung betrachtet und
eine breite Akzeptanz der Entwicklungen bei den Mitarbeitern erreicht werden.
3.7.2.2 Teambezogene Fortbildungen
Jeder Einrichtung stand ein Kontingent von elf Tagen für teambezogene
Fortbildungen zur Verfügung. Die Organisation der Fortbildungen erfolgte in
Eigenverantwortung der Träger. Eine Empfehlungsliste über qualifizierte
Referenten stand zur Verfügung. Als Themen wurden vorgegeben:
ƒ
medizinische Grundkenntnisse,
ƒ
Validation,
ƒ
Biographie-/Reminiszenzarbeit,
ƒ
Basale Stimulation,
ƒ
Kinästhetik,
ƒ
Bewegung/10-Minuten-Aktivierung.
41
3.7.2.3 Maßnahmen der Milieugestaltung
Zur Verbesserung räumlicher Lebensbedingungen z.B. durch Wohnraumgestaltung, Wohnraumausstattung oder die Gestaltung von Außenflächen
standen ab dem zweiten Projektjahr Finanzmittel in begrenztem Umfang zur
Verfügung. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass geplante Maßnahmen
auf der Grundlage gesammelter Prozesserkenntnisse konzipiert und verwirklicht werden.
3.7.2.4 Supervision/Coaching
Mit dem Gedanken einer DCM-initiierten Organisationsentwicklung kam der
externen Begleitung und Beratung durch Supervisoren eine besondere Bedeutung zu. Begleitet werden nicht nur die direkten DCM-bezogenen Arbeitsschritte. Gegenstand der Beratung sollten auch innerbetriebliche Arbeitsabläufe, strukturelle, personelle und bauliche Rahmenbedingungen
werden. Insgesamt hatte jede Einrichtung ein Kontingent von zehn Beratungsstunden pro Mappingzyklus zur Verfügung. Ein Beratungsvertrag definierte als Aufgaben die
ƒ
Vorbereitung und Begleitung des Feedback,
ƒ
Unterstützung bei der Fallbesprechung und Reflexion,
ƒ
Moderation der Maßnahmeplanung,
ƒ
Leitungsberatung und Krisenintervention.
42
4.
Der Prozess: Rollen, Aufgaben und Entwicklungen
4.1
Die beteiligten Akteure im Prozess
Das Marburger DCM-Projekt war mit seiner „Architektur“ und den damit verbundenen Interventionen nicht nur vielschichtig angelegt; es waren auch
verschiedene Personen und Personengruppen mit ganz unterschiedlichen
Aufträgen und Rollen in wechselnden Zusammenhängen und Settings involviert.
Im Folgenden sollen die wichtigsten Akteure im Entwicklungsprozess vorgestellt werden.27 Es geht um die Mapper, um Mitarbeiter bzw. Teams, die
Leitung, die externen Berater und schließlich die Projektleitung mit ihren
jeweiligen Aufgaben und Rollen bei der Implementierung von DCM und personzentrierter Pflege in den zwölf projektbeteiligten Institutionen. Die Bewohner sind hier nicht in besonderer Weise als „Beteiligte“ exponiert, denn
ihnen gelten alle Bemühungen der hier genannten Personen bzw. Personengruppen.
4.1.1
Die Mapper
Die konzeptionelle Anlage des Dementia Care Mapping bringt es mit sich,
dass den Mappern bei diesem Verfahren eine herausragende Rolle und
Verantwortung zukommt. Darauf wird in der einschlägigen Fachliteratur allenthalben hingewiesen.28 Denn die Mapper sind es, die mit Hilfe eines Rasters über einen bestimmten Zeitraum das Verhalten und das Wohlbefinden
einer ausgewählten Gruppe von demenzkranken Menschen im öffentlichen
Bereich von Einrichtungen beobachten und so überhaupt erst die Datengrundlage für alle weiteren Schritte liefern. Sie sind es, die die gesammelten
Daten aufbereiten, auswerten und dem Pflegeteam in einem Feedback zeitnah an das Mapping zurückmelden. Dabei nehmen die Mapper bei ihrer
Tätigkeit auch das pflegerische Umfeld mit in den Blick, die Pflegekultur
einer Einrichtung wird transparent. Aufgezeichnet und widergespiegelt werden zum einen positive Ereignisse, d.h. gelungene Beispiele personzentrier-
27
28
Datengrundlage für die Ausführungen sind neben Beobachtungs- und Sitzungsprotokollen
auch Berichte der projektbegleitenden Supervisoren sowie leitfadengestützte Interviews.
vgl. u.a. Innes, A. (Hg.) (2004): Die Dementia Care Mapping Methode (DCM). Anwendung
und Erfahrungen mit Kitwoods person-zentriertem Ansatz. Bern.
43
ter Arbeit, zum anderen personale Detraktionen, d.h. Verhaltensweisen von
Pflegenden, die die Person abwerten. Auf der Basis der zum Abschluss
eines Mappingzyklus vorliegenden Daten kann ein Handlungsplan erarbeitet
werden, der Veränderungsprozesse in der jeweiligen Einrichtung stützt und
forciert.
Auswahl der Mapper
Zu Beginn standen die Fragen der Heimleiter: Wer kann Mapper werden?
Und: Gibt es Kriterien für die Auswahl geeigneter Mitarbeiter? Christian Müller-Hergl, der Wegbereiter für DCM in Deutschland, gab erste Empfehlungen
bei einem Treffen mit den Heimleitern. Danach sollten die zukünftigen Mapper möglichst „geistig wache, lebendige und engagierte Menschen sein, die
sich nicht am Ende ihres pflegerischen Berufslebens wähnen.“ Reflexionsfähigkeit, Entwicklungsbereitschaft, eine flexible innere Haltung und Integrationsfähigkeit wurden als weitere Voraussetzungen genannt. Dies bedeutete:
In erster Linie entscheidet die Persönlichkeit. Eine pflegerische Ausbildung
bzw. Tätigkeit ist nicht zwingende Voraussetzung für eine Tätigkeit als Mapper.
Die Auswahl der Mapper im Vorfeld des Projektes erfolgte durch die Heimleitungen. Einige Führungskräfte warben Freiwillige aus der Mitarbeiterschaft, andere „benannten“ ihrer Meinung nach geeignete Mitarbeiter, die
diese Rolle künftig ausfüllen sollten. In der Regel handelte es sich um Personen mit einem großen Fortbildungsinteresse und guten fachspezifischen
und/oder sozialen Kompetenzen.
Die meisten Mapper erkannten in ihrer zukünftigen Rolle eine Entwicklungschance für sich selbst und manche äußerten die Hoffnung auf mehr Einflussund Gestaltungsmöglichkeiten im Rahmen ihres Pflegealltags. Nicht zuletzt
zeigten einige auch ein methodisches Interesse an dem für sie neuen Verfahren. Rückblickend wies die Gruppe der „Freiwilligen“ die höchste Motivation für die Arbeit an sich selbst und im Projekt auf. Mapper, die von den
Führungskräften benannt wurden und sich nur notgedrungen zur Teilnahme
bereit erklärt hatten, „weil irgend jemand das machen musste“, nahmen ihre
Tätigkeit eher als zusätzliche Belastung wahr.
44
Qualifizierung der Mapper
Das Projekt sah für jede Einrichtung mindestens zwei Mapper vor, die gemeinsam die Partnereinrichtung beobachten. Entsprechend absolvierten
zunächst 24 Mitarbeiter einen DCM-Basic-User-Kurs, der sie formal für die
Mapperaufgaben befähigte. Im Projektverlauf wurden noch weitere Personen nachqualifiziert.
Die DCM-Basisqualifizierung erfolgte in einem dreitägigen Seminar durch
anerkannte DCM-Trainer. Vermittelt wurden die Grundlagen personzentrierter Arbeit, der Umgang mit der DCM-Methode sowie ein Einblick in den Ablauf des Feedbacks. Nach der Absolvierung des DCM-Grundkurses fühlten
sich die Mapper jedoch nicht wirklich „fit“, mit dem DCM-Instrument umzugehen. Weitere Schulungen und kontinuierliche Begleitung während der
Projektphase waren notwendig.
Als unterstützende Weiterqualifizierung wurden eintägige Follow-up-Kurse
angeboten, um Fragen der Kodierung und Bewertung zu bearbeiten. Nach
Bedarf bestand darüber hinaus das Angebot, gemeinsam mit einer fachkundigen externen Mapperin aus dem Vorstand der Alzheimer Gesellschaft
Marburg-Biedenkopf DCM-Beobachtungen durchzuführen oder auch strittige
Kodierungen zu besprechen. Dieses Angebot wurde nach Angaben der Projektkoordination nicht im wünschenswerten Umfang genutzt.
Als Vorbereitung für die umfangreiche Auswertung der gesammelten DCMDaten erhielten alle Mapper eine Schulung im Umgang mit dem EDVAuswertungsprogramm. Nicht wenige mussten sich innerhalb kürzester Zeit
mit der Arbeit am Computer vertraut machen. Ansprechpartnerin für dabei
auftretende Probleme war hier ebenfalls die externe Mapperin aus dem Vorstand der Alzheimer Gesellschaft. Auch die regelmäßigen Mapper-Treffen
mit der Projektkoordination können als Unterstützung und Qualifizierung für
die DCM-Anwendung gewertet werden. Hier erhielten die Beteiligten einen
Rahmen, Erfahrungen auszutauschen, Probleme zu besprechen und Wünsche zu äußern. Rückblickend lässt sich sagen, dass insbesondere die Mapper der „ersten Stunde“ eine beachtliche Sicherheit in der Anwendung der
Methode entwickelt haben.
45
Aufgaben der Mapper
Beobachten, Daten aufzeichnen, Daten auswerten, und die Ergebnisse im
Feedback übermitteln - diese Handlungsschritte sind auch in der Wahrnehmung der Mapper im Marburger Modellprojekt ihre zentralen Kernaufgaben.
Dabei stellte für die meisten Mapper der Umgang mit dem DCM-Verfahren
zunächst eine große Herausforderung dar.
Die Beobachtung
Allein die ungewohnte Situation, viele Stunden lang als Beobachter in einer
fremden Einrichtung zu sitzen, nicht aktiv in Kontakt mit Bewohnern treten
zu können und im 5-Minuten-Takt Eintragungen zu machen, führte zu erheblichem Stress. „Sechs Stunden zu sitzen ist für mich das Schlimmste“, sagt
eine Mapperin. Mit dieser Aussage steht sie nicht allein. Vielen fällt das stille
Beobachten über diese „verdammt lange Zeit“ hinweg schwer. Sie sind daher froh, dass sie im Modellprojekt zu zweit im Einsatz sind und zwischendurch auch kurz Eintragungen vergleichen, Unsicherheiten besprechen können. Dennoch bedeutete es jedes Mal eine große Umstellung für sie, in die
Rolle des Mappers zu wechseln.
Denn traditionell sind Pflegekräfte in ihrem üblichen Berufsalltag ständig in
Bewegung. Ein kontinuierlich wahrnehmbares Bild in Heimen sind Mitarbeiter, die in hohem Arbeitstempo unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen
haben. Auch die Pflegenden selbst sehen sich in ihrer Arbeit „nur am Laufen, am Rennen.“ Dem sozialpflegerischen Anspruch (u.a. Normalität als
Grundprinzip der Gestaltung des Tagesablaufs) steht oftmals eine Wirklichkeit gegenüber, die geprägt ist von einer zeitintensiven körperbezogenen
Grundversorgung. Erst in den letzten Jahren hat sich durch die steigende
Zahl Demenzkranker in stationären Einrichtungen eine Verschiebung ergeben. Alltags- und lebensweltnahe Betreuungsleistungen, die sich nicht unmittelbar auf die Grund- und Behandlungspflege richten, werden zunehmend
als legitim und wichtig angesehen. Allerdings ist dabei auch deutlich geworden, dass nicht jede Person für die Versorgung von Menschen mit Demenz
geeignet ist und spezifische Kompetenzen für den personfördernden Umgang mit Demenzkranken erforderlich sind. Entsprechend geschultes Personal steht aber längst nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung, auch
nicht in Modelleinrichtungen.
Die Mapper müssen daher einen Pflegealltag abbilden, der durchaus nicht
immer den fachspezifischen Standards entspricht. Daraus resultieren Ängs46
te, sich und andere durch die detaillierte Darstellung einer Lebenswelt zu
beschädigen. Für die Mapper sind die in den Partnereinrichtungen gewonnenen Daten wie ein Einblick in die „Privatsphäre“ der jeweiligen Institution.
Ihnen ist bewusst, dass sie durch ihre Beobachtungen auch hinter die Kulissen schauen, dass eine Scheinwelt vor ihren Augen keinen Bestand hat. Vor
allem, weil sie als Pflegekräfte die strukturellen Bedingungen nur zu genau
kennen, „können die uns nichts vormachen“, bringt es eine Mapperin auf
den Punkt. Die Organisation wird durchsichtig, auch wenn - wie in der Konzeption des Dementia Care Mapping verankert - zum Schutz der Privatsphäre der Demenzkranken nur das Geschehen in öffentlichen Räumen aufgezeichnet wird. „Manchmal ist es schwer zu ertragen, was da schief läuft“,
beschreibt eine Mapperin ihre Situation. Es ist also nicht nur das ruhige Beobachten an sich, das den Mappern zu schaffen macht. Auch das, was sich
vor ihren Augen abspielt, wird zum Teil als anstrengend und belastend erlebt. Nicht zuletzt daher rührt die innere Unruhe beim Mappen, die von einigen geschildert wird.
Auf der anderen Seite haben viele das „Hinschauen“ als ihre Stärke erkannt.
Sie erleben die dadurch gewonnenen Einblicke in die Befindlichkeit anderer
Menschen und in die Arbeitswelt von Kollegen als Chance zur eigenen Weiterentwicklung. Mit geschärftem Blick gehen sie in ihre Einrichtungen zurück
und betrachten sich und ihr eigenes Handeln vor dem Hintergrund einer
veränderten Perspektive. Das gezielte, einfühlsame Beobachten - dieser
Teilbereich des Mappings sollte ihrer Meinung nach auch ein Bestandteil der
normalen, täglichen Arbeit sein. Auch wenn klar ist, dass es nicht in der gleichen Intensität möglich ist.
Die Datenaufzeichnung und Datenauswertung
Das lange Sitzen beim Beobachten und Datenaufzeichnen in den Einrichtungen findet eine Fortsetzung bei der Datenauswertung. Vor allem die Eingabe der Daten am Computer kostet in der Wahrnehmung der Mapper viel
Zeit. Einige sind im Projektzusammenhang das erste Mal mit elektronischer
Datenverarbeitung in Kontakt gekommen, so dass für sie der Umgang mit
dem PC neu ist und auch ganz allgemeine Berührungsängste mit diesem
Medium die Arbeit erschweren. Wieder andere berichten davon, dass Geräte in den Einrichtungen nur zu bestimmten Zeiten und nach vorheriger Anmeldung zu nutzen sind. Aus unterschiedlichen Gründen, z.B. um solchen
Engpässen zu entgehen, aber auch, „weil es auf dem Wohnbereich meis-
47
tens hektisch ist und man sich dann doch nicht konzentrieren kann“, nehmen
etliche das Datenmaterial mit nach Hause und übertragen dort ihre von
Hand gemachten Aufzeichnungen in einen PC. Sitzen die Mapper dagegen
stundenlang über ihre Daten gebeugt im Dienstzimmer, lernen ihre Kollegen
in der eigenen Einrichtung auch diesen Arbeitsschritt im DCM-Verfahren
kennen: Das Bild von der Arbeit und vom „Handwerk“ eines Mappers vervollständigt sich.
Bei allgemeinen EDV-Fragen greifen viele auf einrichtungsinterne Fachkräfte oder auf „Experten“ aus dem privaten Umfeld zurück. Doch es sind nicht
nur technische Schwierigkeiten, die zu bewältigen sind, einige Mapper haben ganz allgemein ihre Probleme damit, „Menschen in Kategorien einzuordnen.“ Auch die Tatsache, dass sie lediglich eine Momentaufnahme abbilden, die eben nur ein Puzzlestück eines Gesamttableaus sein kann, bereitet
ihnen Unbehagen. Sie sehen eine Diskrepanz zwischen ihrem Anspruch,
einen Menschen „ganz“ kennen zu wollen, und der punktuellen Datenaufzeichnung beim DCM. Deswegen sind sie froh, dass die lange Projektlaufzeit und das Cross-Over-Verfahren es ihnen ermöglicht haben, die gleichen
Personen in bestimmten Abständen immer wieder zu beobachten, und so
die jeweilige Tagesform besser einschätzen zu können. „Objektivität“ der
Beobachtung ist für viele nur dann gewährleistet, wenn sich ihnen der Gesamtkontext erschließt und möglichst viele Zusatzinformationen ihr Bild des
Geschehens abrunden.
Hilfestellung bei der Datenauswertung, die mit einem Bericht abzuschließen
ist, erhielten die Mapper auch von den Supervisoren, die im DCM-Verfahren
als Basic-User geschult sind. Sie diskutierten mit den Mappern z.B. Fragen
der Kodierung und besprachen die Abfassung der Mappingberichte. Nach
Angaben der Supervisoren sind die Berichte oft zu unpräzise und allgemein
oder zu knapp gehalten. Dies mag zum einen darin begründet sein, dass für
die meisten Mapper die Berichterstellung Neuland ist und sich entsprechend
schwierig gestaltet. Darüber hinaus stehen viele Pflegekräfte nach wie vor
Schreibarbeiten grundsätzlich eher ablehnend gegenüber und betrachten sie
als notwendiges Übel. Erschwerend kommt im Rahmen des Modellprojektes
hinzu, dass auch beim Abfassen der Berichte Ängste vor möglicher Provokation der Partnereinrichtung handlungsleitend sind. Dies spiegelt sich wider
in großer Vorsicht bei der inhaltlichen Auswahl der Beobachtungen und Zurückhaltung in der sprachlichen Darstellung. Die eigene Kompetenz im Hinblick auf eine strukturierte Analyse der Daten und eine verantwortungsvolle
48
Bewertung der Ergebnisse wird von den Befragten wohl gesehen, aber sie
ist für die Mapper stets gekoppelt an die Situation der Ergebnisvermittlung,
dem Feedback. Diese soziale Situation wird bei der Berichterstellung immer
mit gedacht.
Das Feedback
Die Mapper sind auf die Inneneinsichten, die sie aufgrund ihrer fachlichen
Kompetenz gewonnen haben und die eben auch Defizite deutlich machen
können, nicht immer stolz, vielmehr werden sie gerade beim Feedback als
Belastung erlebt. Voller Scham erkennen die Mapper im Spiegel der anderen die eigenen Schwächen, fühlen sich „ertappt“ und teilweise sogar als
„Nestbeschmutzer“, wenn sie das Team der Partnereinrichtung auf problematische Situationen aufmerksam machen sollen. „Das ist sicherlich das
Schwierigste an der ganzen Geschichte, gerade auch, weil man selber weiß,
dass man nicht fehlerfrei ist.“ Die Angst, sich ein Urteil über andere anzumaßen, wohl wissend, dass man selbst im Glashaus sitzt, hat vor allem zu
Beginn des Projektes viele Feedbacksituationen geprägt.
Hier erwies sich die Unterstützung durch die Supervisoren als besonders
hilfreich. Sie werden von den Mappern in der Mehrzahl als ausgleichendes
Regulativ wahrgenommen. Von ihnen haben sie z.B. nach und nach gelernt,
das richtige Maß zu finden: einerseits klar die eigene Meinung zu vertreten,
andererseits aber auch „nicht besserwisserisch mit der Tür ins Haus zu fallen“, sondern den Teams, an die die Rückmeldung gerichtet ist, Zeit zu lassen für die notwendigen Veränderungen. „Deshalb ist so ein Modellprojekt
von drei Jahren im Endeffekt auch was sehr Schönes, weil man die Teams
langsam heranführen kann an neue Verhaltensweisen“, resümiert ein Mapper. Zeit braucht es aber auch, um ungeschicktes Vorgehen beim Feedback,
wie z.B. „den Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun haben“, ohne das Potenzial im Team selbst aufzugreifen, wieder auszubügeln. Das dauert oft
lange. Alle müssen lernen, sich durch kritische Äußerungen „nicht gleich auf
den Schlips getreten zu fühlen.“
Vor allem die so genannten personalen Detraktionen (PDs) sind nach Angaben der Mapper immer wieder Anlass für Auseinandersetzungen beim
Feedback. Sie anzusprechen, kostete die Mapper insbesondere zu Projektbeginn große Überwindung. Aber auch nach mehreren Mappingrunden bestehen noch Ängste vor Ablehnung und Unmut. Diese emotionalen Reaktionen richten sich nicht nur gegen die Mapper selbst, sondern es kommt auch
49
im Team, dem solche missglückten Interaktionen rückgemeldet werden, zu
persönlichen Schuldzuweisungen, so dass u.a. der Dienstplan herangezogen wird, um festzustellen, wer einen „Fehler“ begangen hat.
Die oben angesprochene Identifikation mit den Kollegen der Partnereinrichtungen und die Befürchtung, schlechte WIB-Werte oder PDs könnten dazu
führen, dass in der eigenen Einrichtung besonders streng beurteilt und sozusagen „Gleiches mit Gleichem“ vergolten wird, ließen die Feedbackrunden
mitunter als unüberwindbare Hindernisse erscheinen. Durch vermeintlich
falsche Rückmeldungen entstanden Verletzungen, die nicht nur die persönliche Beziehungsebene tangierten, sondern sich auch auf das Verhältnis zwischen den Partnereinrichtungen als quasi konkurrierende Organisationen
auswirkten.
In solchen Situationen trugen die Supervisoren viel dazu bei, die Konflikte
auf eine systematischere Ebene zu heben und Hintergründe offen zu legen.
Im Wissen um diesen Rückhalt beim Feedback wagten sich die Mapper
mehr, sie konnten kritische Momente eher zulassen und aushalten. Ganz
eindeutig hat die enge Begleitung durch die Supervisoren den Mappern Sicherheit gegeben. Rollenspiele ermöglichten es, potenzielle Kontroversen
vorwegzunehmen, konfliktentschärfende Vorgehensweisen einzuüben bzw.
zu lernen, Konflikte sachlich auszutragen.
Gegen Ende der Modelllaufzeit haben sich die Mapper jedoch „freigeschwommen“. Sie melden mehrheitlich zurück, dass sie sich jetzt darauf
freuen, ihr professionelles Know-how alleine unter Beweis stellen zu können.
Sie vertreten selbstsicher ihre Einschätzungen zur Befindlichkeit von demenzkranken Menschen und haben Vertrauen gewonnen in ihre fachliche
Kompetenz. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, dass eine Feedbacksituation
sowohl von Seiten der Mapper als auch von Seiten des Teams immer wieder einmal mit Angst besetzt sein kann. Den Mappern ist bewusst, dass sie
auch in Zukunft mit Teams konfrontiert sein werden, die mauern, keine Lust
haben und DCM für „Firlefanz“ halten. Darauf sind sie eingestellt und kennen mittlerweile Handlungsvarianten, um solche Situationen aufzulösen. Nur
ein motiviertes Team als Gegenüber kann ihrer Meinung nach aber die positiven Effekte des DCM-Verfahrens voll nutzen, nur so ist es möglich, dass
die Leistung eines Mappers adäquate Anerkennung findet. „Dann denke ich,
sagt das Team auch, gut, dass Sie das gesehen haben, das bringt uns weiter. Wir haben monatelang gesucht, und das nicht erkannt, weil wir so nahe
50
dran waren. Da musste jemand von außen kommen und dieses Problem
lösen.“
Im Verlauf des Projektes haben alle Mapper an Sicherheit in den Feedbacksituationen gewonnen. Sicherheit bedeutet in diesem Zusammenhang vor
allem: Die eigenen Wahrnehmungen ernst nehmen, sie reflektieren und
souverän im Team vertreten zu können. Für die Mapper ist dies ein großer
Zugewinn an persönlicher Reife und fachlicher Kompetenz, der sich am
wirkungsvollsten dort entfaltete, wo sie auf verlässliche Unterstützung durch
die Leitung bauen konnten.
Status der Mapper im eigenen Team
In ihren eigenen Teams galten die Mapper überwiegend als Experten des
DCM-Verfahrens und als besonders kompetent im Umgang mit den demenzkranken Bewohnern. Dadurch sahen sie sich auch in herausragender
Weise mit in die Verantwortung genommen für einen erfolgreichen Verlauf
des gesamten Modellvorhabens. Vor allem zu Modellbeginn waren sie für
ihre Teamkollegen wichtige Ansprechpartner, wenn die Mapper aus der
Partnereinrichtung zum Einsatz kamen. „Was machen die da?“ wurde gefragt, aber auch: „Was müssen wir machen?“. Die Verhaltensunsicherheit in
den Einrichtungen war groß, und die Mapper, die sozusagen beide Seiten
des Prozesses kennen, konnten viel zur Klärung und Beruhigung beitragen.
Teilweise wurde ihnen als interne „DCM-Beauftragte“ die Terminkoordination
des Mappingprozesses übertragen. In dieser Rolle sicherten sie Verbindlichkeit und Informationstransfer, waren jedoch auch einer doppelten Belastung
ausgesetzt. Daher wählten manche Einrichtungen auch ganz bewusst eine
andere Variante. Sie delegierten die Verpflichtung zur Informationsweitergabe und Organisation der Terminplanung nicht an die Mapper, sondern an
andere Kollegen aus dem Team. Wesentlich mitbeteiligt an der Terminkoordination waren selbstverständlich auch die Supervisoren, nicht zuletzt deshalb, weil ihr enger zeitlicher Spielraum zu vereinbaren war mit der Teilnahme an nahezu allen Verfahrensschritten.
Die Verantwortung für die Umsetzung der geplanten Maßnahmen oblag
offiziell dem gesamten Projektteam, aber die Mapper verfügten durch ihre
Vernetzung mit den Kollegen aus anderen Einrichtungen über die neuesten
Informationen und die aktuellsten Good-Practice-Tipps, und waren daher oft
auch in diesem Bereich die „Agenten“ der Veränderung. Viele wertvolle An-
51
regungen für den Umgang mit dementen Menschen wurden von den Mappern aufgenommen und verbreitet. Sie waren damit sozusagen der personifizierte Transfer von Good-Practice-Beispielen. Sie wussten auch, welche
Fortbildungen und welche Dozenten gut „ankamen“, und machten Vorschläge für die Auswahl der Fortbildungsschwerpunkte.
Die angebotenen fachthematischen Fortbildungen für alle Teammitglieder
wurden von den Mappern als äußerst hilfreich angesehen, um mit ihrem
eigenen Wissen aus dem Basic-User-Kurs und den Mappingeinsätzen „nicht
so gegen den Strom schwimmen zu müssen“, wie es eine Mapperin formuliert. Vor allem in Einrichtungen mit flachen Hierarchien genossen die Mapper nach der gemeinsamen Fortbildung die Erfahrung, „wie schön es ist,
eine Sprache zu sprechen.“ Wenn auf annähernd gleiche Wissenbestände
zurückgegriffen werden kann, zieht die Belegschaft eher an einem Strang,
ein Zusammenwachsen mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen wird wahrscheinlicher. Das funktioniert sicherlich dann besonders gut, wenn möglichst
viele Mitarbeiter den DCM-Grundkurs besucht haben, bei dem die personenzentrierte Arbeit im Mittelpunkt steht und zentrale Begrifflichkeiten vorgestellt werden. Aber auch Mitarbeiter, die nicht an der DCM-BasisQualifikation teilnehmen können, profitieren vom direkten Austausch mit den
Mappern, der vor allem in kleinen Einrichtungen viel eher abteilungsübergreifend möglich ist. Unabdingbar für eine solche Entwicklung ist auf jeden
Fall, dass die Leitung die inhaltliche Ausrichtung voll akzeptiert und die notwendige Vermittlungsarbeit nicht ausschließlich auf den Schultern der Mapper ruht.
Besonders in motivierten Teams, die sich nicht durch exponierte Rollen Einzelner bedroht fühlten, hatten die Mapper im Modellprojekt ein gutes „Standing“. Die Bereitschaft, von DCM und dem Know-how der Mapper zu profitieren, war hier am deutlichsten ausgeprägt. Die Zuschreibung besonderer
Verantwortung beinhaltete jedoch auch die Gefahr, dass sich die Mapper
teilweise auf dem Prüfstand fühlten, was nicht selten mit einem Gefühl der
Überforderung einherging. In solchen Situationen war es wichtig, durch Aufgaben- und Rollenklärung Entlastung und Feiräume zu ermöglichen. Die
Mapper kamen den an sie gestellten Erwartungen vor allem dann gerne
nach, wenn sie eingebunden waren in ein allgemeines „Klima der Veränderungsbereitschaft“, das von allen mitgetragen wurde.
52
Rollenkonflikte
ƒ
Die Mapper im Modellprojekt sind Beobachter mit „Feldkompetenz“. Das
bedeutet, dass die Beobachtungen auf der Hintergrundfolie „Wie würde
ich handeln, wie würde in unserer Einrichtung gehandelt?“ erfolgen und
entsprechend bewertet werden. Hier entstanden teilweise „blinde Flecken“ bei den Mappern, wenn beobachtetes Verhalten der eigenen Alltagspraxis entsprach und damit nur bedingt kritisch reflektiert werden
konnte.
ƒ
Pflegekräfte sind meist in „geschwisterlicher Solidarität“ verbunden und
entschuldigen Fehler der Kollegen oft mit Mängeln im System. So wurden z.B. vor allem zu Beginn des Projektes personale Detraktionen während des Mappings nicht aufgezeichnet, weil sie lediglich als Ausdruck
der widrigen Verhältnisse und nicht als Beleg für eine mangelhafte Pflegeinteraktion bewertet wurden. Mapper, die einer anderen Berufsgruppe
angehörten, wie z.B. die Ergotherapeuten, hatten hingegen weniger
Hemmungen, kritische Rückmeldungen zu geben. Hier waren die Befürchtungen, aus der Gruppe „Gleicher“ ausgegrenzt zu werden, nicht so
ausgeprägt vorhanden.
ƒ
Das Cross-Over-Verfahren nährte die Befürchtung, dass eine kritische
Bewertung des Pflegealltags der beobachteten Partnereinrichtung die
Mapper dieser Partnereinrichtung umgekehrt auch zu einer explizit kritischen Bewertung verleiten könnte. Mapper und Team der Partnereinrichtung waren also wechselseitig abhängig, und die Mapper gerieten in
die Gefahr‚ „unfrei“ für objektive Beobachtungen zu werden, insbesondere dann, wenn es auf verschiedenen Ebenen zu Konkurrenz oder Konflikten mit der Partnereinrichtung kam.
ƒ
Die Mapper sahen sich mit vielfältigen Rollenerwartungen konfrontiert.
Zum einen hatten sie den Auftrag, neutral zu beobachten, zum anderen
fühlten sie die Verpflichtung, in ihrer eigenen Einrichtung dafür Sorge zu
tragen, dass personzentrierte Pflege möglich wird. Gab es Hindernisse
auf diesem Weg, waren sie die ersten, die meinten, sich rechtfertigen zu
müssen, oder aber tatsächlich von der Leitung zur Rechenschaft gezogen wurden. Sie mussten lernen, Diskrepanzen zwischen den Anforderungen an eine „gute Pflege“ und der beobachteten Realität in den Einrichtungen auszuhalten bzw. konstruktiv damit umzugehen.
53
Entwicklung der Mapper
Es ist festzuhalten, dass die Gruppe der Mapper im Modellverlauf die weitreichendsten Entwicklungen vollzogen hat. Die umfassende Qualifizierung
befähigte sie nicht nur zum Umgang mit dem DCM-Instrumentarium. Sie
lernten darüber hinaus Pflegeprozesse zu analysieren und das eigene Handeln deutend zu reflektieren, wie die Aussage eines Mappers veranschaulicht: „Ich sehe bei der Arbeit der Kollegen zu und denke oft, das mache ich
genauso falsch und ich merke es dann auch nicht. Ich frage mich dann, wie
das kommt, dass man was macht, obwohl man eigentlich weiß, dass es
falsch ist. Ob das dann mit mir, oder mit den Bewohnern, oder mit den Kollegen zu tun hat, oder weil das Wetter schlecht ist?“ Über die erhöhte Wertschätzung im Team hinaus hat die DCM-Fortbildung für einige Teilnehmer
auch ganz neue Perspektiven für die eigene Karriereplanung eröffnet. Sei
es, dass sie selbst Zutrauen in eigene Kompetenzen gewonnen und Lust auf
Veränderung bekommen haben, sei es, dass Führungskräfte ihre anscheinend hinlänglich bekannten Mitarbeiter in einem anderen Licht gesehen und
neue Potenziale entdeckt haben.
Trotz der vielschichtigen Rollenkonflikte und der damit verbundenen Belastungen und Krisen betrachten die meisten Mapper ihre Tätigkeit rückblickend als großen Gewinn für sich selbst und ihre Arbeit. Sie bescheinigen
sich mehr Selbstsicherheit und eine gestärkte Berufsidentität. Vor allem die
Einblicke in die anderen Enrichtungen erlebten die Mapper als Bereicherung
- auf einer fachlichen und einer persönlichen Ebene. Auch aus Sicht der
Leitungen sind die Mapper zum Ende des Projektes selbstbewusster, sensibler, kritischer und fachkompetenter. Qualifikation und Engagement ließen
die Mapper zu Katalysatoren des Veränderungsprozesses und zu „Schaltstellen“ von damit zusammenhängenden Abstimmungsprozessen werden.
Denn sie waren es, die die notwendigerweise mit einem Projekt verbundenen Unzulänglichkeiten frühzeitig wahrgenommen haben und die Korrektur
von Fehlentwicklungen anregen konnten. Sie waren es, die durch ihr soziales Gespür dazu beigetragen haben, dass die Begegnungen mit den Bewohnern und Mitarbeitern der Partnereinrichtungen einen guten Verlauf
nahmen. Und sie waren es auch, die in ihren eigenen Einrichtungen die
Modellidee „hochgehalten“ und weiter getragen haben. Eine erfolgreiche
Implementierung von DCM ist vor allem auf Veränderungsbereitschaft angewiesen. Für die Mapper galt und gilt dies in besonderer Weise. Einrich-
54
tungen, die die „neuen“ Kompetenzen ihrer Mapper gezielt zu nutzen wissen, werden in Zukunft maßgeblich von ihnen profitieren können.
4.1.2
Die Teams
Team- und Mitarbeiterstruktur
Die Teamstrukturen in den projektbeteiligten Einrichtungen waren unterschiedlich. So gab es Teams aus „freiwilligen“ Mitarbeitern, die sich eigens
für das DCM-Projekt gebildet hatten, sowie Teams, die in ihrer Grundstruktur
bereits seit längerem bestanden. Natürlich hatten Erstgenannte - bedingt
durch ein einheitlich hohes Motivationsniveau - einen Startvorteil. Sie waren
mitunter aber auch verstärkt Neid und Abgrenzungen durch Kollegen in der
Einrichtung ausgesetzt: „Die sind was Besonderes.“
Grundsätzlich lässt sich sagen: Die Bereitschaft und Fähigkeit der Mitarbeiter, sich auf den Lernprozess einzulassen, war dort am stärksten ausgeprägt, wo im Vorfeld eine intensive Informations- und Motivationsarbeit durch
die Leitung stattgefunden hatte. Während die „Informierten und Motivierten“
eine Chance sahen, die gemeinsame Zukunft nach ihrem Pflegeverständnis
neu zu gestalten („Jetzt kann ich endlich so arbeiten, wie ich es mir immer
gewünscht habe“), dominierten bei den uninformierten und unmotivierten
Skeptikern eher Befürchtungen, die Sicherheit der gewohnten Routine zu
verlieren. Damit wird deutlich, dass das Gefühl der Sicherheit im Team ein
entscheidender Entwicklungsfaktor ist.
Die Berufsgruppe der Ergotherapeuten stellte eine besondere Mitarbeitergruppe im Projekt dar. Ergotherapeuten galten in der Regel nicht als Mitglieder der Teams, aber als wichtige Betreuungspersonen für die demenzkranken Bewohner. Sie agierten allerdings eher als therapeutische Experten und
begaben sich weniger auf die Ebene der Bewohner im Sinne einer personzentrierten Arbeit. Auch wenn die ergotherapeutischen Mitarbeiter im DCMVerfahren gute Werte produzierten, mussten sie sich im Laufe des Projektes
ein personzentriertes Demenzverständnis erst erarbeiten. Sie handelten
häufiger mit einem Demenzverständnis, welches die kognitiven Einbußen in
den Mittelpunkt stellt. Dementsprechend förderten sie eher diejenigen Personen mit Demenz, die noch viele kognitive Fähigkeiten besaßen. Schwerkranke, die insbesondere Einzelbetreuung im Sinne von Bindung, Trost und
Identität benötigten, standen bei ihrer Arbeit nicht im Zentrum.
55
Bezogen auf die Zusammenarbeit zwischen ergotherapeutischen und pflegerischen Mitarbeitern wurden teilweise Schnittstellenprobleme deutlich, die
den Entwicklungsprozess verzögerten (siehe dazu auch Kap. 4.4.2.1).
Umgang mit dem Instrument DCM
Mapping
Vor allem zu Projektbeginn stellten Mappings für die Teams eine ungewohnte, zum Teil belastende Situation dar, in der sie sich „auf dem Präsentierteller“ beobachtet, unangemessen beschaut und zugleich bewertet fühlten. Die
Mitarbeiter der beobachteten Teams wiesen immer wieder darauf hin, dass
sie in der Mappingsituation kontrollierter arbeiteten, um möglichst gute DCMErgebnisse zu produzieren. Gleichzeitig formulierten alle Teams an sich den
Anspruch, das Mapping ohne Beeinflussung der Situation zu bestehen, um
realistische Ergebnisse zu erhalten. Dieser Anspruch fand in der Praxis nicht
immer seine Entsprechung.
So wurden Beobachtungssituationen z.B. in einigen Einrichtungen dahingehend „verzerrt“, dass am Mapping-Tag Personal aufgestockt wurde oder
geplant jene Mitarbeiter Dienst hatten, die aufgrund ihrer personzentrierten
Pflegehaltung zu guten Gesamtergebnissen beitrugen. Es gab andererseits
auch Teams, die vorzugsweise Praktikanten oder Zivis das „Feld“ überließen. Schlechte Ergebnisse konnten so gerechtfertigt werden, ohne sich
selbst einer Reflexion der eigenen Arbeit und der damit verbundenen Verantwortung stellen zu müssen.
Der Lernerfolg litt bei einem solchen „Selbstbetrug“ erheblich. Bereits Kitwood wies darauf hin, dass es eine weitaus stärkere Herausforderung ist,
sich der Realität zu stellen und bislang gemiedenen Themen ins Auge zu
blicken, als eine Bestätigung inszenierter Szenen zu erhalten.29 Eine realistische Diskussions- und Planungsgrundlage zur Verbesserung der Pflege
schließt letzteres aus.
Aufgrund dieser Erfahrungen erfolgten die letzten Mappings ohne vorherige
Ankündigung. Dies führte jedoch insgesamt nicht zu nennenswert anderen
Ergebnissen und Interpretationen als zuvor.
29
56
vgl. Kitwood, T. (2000).
Feedback
Grundsätzlich sollten alle Teammitglieder am Feedback teilnehmen, zumindest aber alle Mitarbeiter, die am Tag des Mappings gearbeitet hatten. Logischerweise war ihre Anwesenheit Voraussetzung dafür, dass sie von den
Mappern Rückmeldung über ihren Umgang mit den demenzkranken Bewohnern erhielten und Anregungen für ihre weitere Arbeit entwickeln konnten. Die Teilnahme an den Feedbacks lag bei 60 bis 80%. Die Beteiligungskultur in den Teams korrespondierte stark mit der jeweiligen Akzeptanz und
Ernsthaftigkeit gegenüber dem DCM-Verfahren. Als vorteilhaft erwies es
sich, Standards für Feedbacksitzungen gemeinsam festzulegen. In einem
solchen verbindlichen Rahmen entwickelte sich leichter eine vertrauensvolle
Atmosphäre, in der wertvolle Erkenntnisse über Bewohner, Arbeitsabläufe
und eigenes Verhalten gewonnen werden konnten.
Kritische Momente, in denen sich Mitarbeiter angegriffen, unverstanden und
in ihren Bemühungen um die Bewohner nicht gewürdigt fühlten, gab es immer mal wieder. „Hier wird nicht gemappt, hier wird gemobbt“, mit diesen
Worten verdeutlichte ein Teammitglied seine Verletztheit und die Angst,
durch kritische Rückmeldungen ausgegrenzt zu werden. In der Regel gelang
es aber, Missverständnisse und Gefühlsausbrüche gemeinsam zu verstehen, zu bearbeiten und solidarisch nach Lösungen zu suchen.
Beispiel:
„Zum vereinbarten Feedbacktermin erscheinen aus diversen Gründen nur
drei Mitarbeiter. Es wird angeführt, dass man zu spät davon erfahren habe,
einige krank oder in Urlaub seien. … Unter den Anwesenden ist eine Schülerin und eine neue Kollegin, die mit dem Begriff DCM nichts anzufangen
weiß. Nur eine Mitarbeiterin hat während des Mappings gearbeitet.
Das Feedback der Mapper fällt insgesamt sehr positiv aus. Sie haben beobachtet, dass die Bewohner aktiv und fröhlich an den angebotenen Aktivitäten teilnahmen. Kritisch angemerkt wird lediglich, dass die Angebote zu vielfältig waren und zu schnell wechselten. Darüber hinaus schildern die Mapper zwei Situationen, in denen sich die Mitarbeiterin nicht personzentriert
verhielt und zwei personale Detraktionen produzierte. In der nachfolgenden
Diskussion wird deutlich, dass die Mitarbeiterin sich kaum anders verhalten
konnte, da sie allein für zehn Bewohner zuständig war. In der Sitzung wurde
nicht deutlich, wie sehr sich die Mitarbeiterin durch das Feedback angegriffen und in Frage gestellt gefühlt hatte.
57
Erst im Nachhinein konnte sie ihre Kränkung und das Gefühl der Abwertung
formulieren. Aus Solidarität mit der Kollegin entwickelte sich im Team eine
Dynamik gegen das DCM-Verfahren und alles, was damit zusammenhing.
Erst in der folgenden Supervisionssitzung mit dem gesamten Team und der
Leitung gelang es, die Kollegin vom Druck ihrer einsamen Position zu entlasten. Sie hatte sich doppelt verlassen gefühlt, in der Arbeitssituation selbst
und im Feedback.“ (Auszug aus einem Sitzungsprotokoll)
In den Feedbacksitzungen wurde zunehmend mit Rückmeldungen positiver
Pflegeereignisse (PEs) gearbeitet. Solche Good-Practice-Beispiele ermöglichten über Bestätigung und Identifikation ein „Lernen am Erfolg“; sie würdigten die Mitarbeiter gleichzeitig als die „wahren Experten“ in der Pflege,
denen mit Respekt und Wertschätzung zu begegnen ist. Dieser Weg förderte Motivation und Bereitschaft, sich mit dem Pflegealltag konstruktiv auseinander zu setzen, und bereitete das Feld bei der Entwicklung neuer Denkund Handlungsmuster.
Maßnahmeplanung
Die Maßnahmeplanung fand in den meisten Einrichtungen unter reger Beteiligung der Mitarbeiter der verschiedenen Professionen statt. In der Regel
war auch die Leitung vertreten. Ihre Anwesenheit sollte gewährleisten, dass
gewünschte organisatorische und strukturelle Veränderungen oder aber
Neuanschaffungen entscheidungsnah besprochen werden können.
Die Bereitschaft, sich in der Maßnahmeplanung aktiv einzubringen, hing von
der allgemeinen Teamatmosphäre und selbstverständlich auch von dem
Binnenverhältnis zwischen Leitung und Mitarbeitern ab. In Teams, in denen
Ängste vor Entwertung oder sogar möglichen Sanktionen durch Kollegen
oder Leitung dominierten, fiel es einzelnen Mitarbeitern häufig schwer, sich
zu beteiligen und eigenständig Ideen zu entwickeln. Dagegen verliefen die
Maßnahmeplanungen in Teams mit einem hohen Vertrauenslevel beeindruckend lebhaft. Unterschiedliche Positionen und Ideen von allen Beteiligten
konnten hier geäußert und zusammengetragen werden, so dass sich ein
Puzzlestück nach dem anderen zusammenfügte und als Ergebnis eine umfassende Betreuungsplanung für Bewohner konzipiert werden konnte.
Nicht immer einfach gestaltete sich die Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Gemeinsam beschlossene Vorhaben wurden Opfer des Vergessens
oder des Widerstands einzelner Kollegen, auch gingen manche geplanten
Maßnahmen im Alltagsgeschäft „lautlos“ unter. Es bedurfte einiger Zeit und
58
auch verbindlicher Absprachen und Verantwortlichkeiten, bis alle Teilnehmer
vorbereitet in die Sitzungen kamen, d.h. den Mappingbericht gelesen hatten
und sich schon einmal gedanklich mit dem einen oder anderen Bewohner
auseinander gesetzt hatten.
Entwicklungen im Team
Alle Teams erlebten im Verlauf des Projektes Phasen der Ernüchterung und
der Selbstzweifel, aber auch Phasen des Aufbruchs und der Konsolidierung.
Die interessierten und motivierten Mitarbeiter lernten schnell und zeigten
eine hohe Bereitschaft, Erlerntes in die Praxis umzusetzen. Sie waren diejenigen, die sich durch DCM weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht
stärker belastet fühlten. Hier traf eher das Gegenteil zu: Durch erste sichtbare Erfolge stieg die Motivation und damit die Freude an der vielfältigeren und
abwechslungsreicheren Arbeit, in die sie sich mit Eigeninitiative einbringen
konnten.
Bei vielen Mitarbeitern zeigten sich erfreuliche Veränderungen in der Haltung gegenüber den Menschen mit Demenz. In den Dienstübergaben wurde
zunehmend mehr über die besonderen Bedürfnisse der Bewohner geredet.
Dabei nahmen die Mitarbeiter vermehrt biographische und bewohnerzentrierte Perspektiven ein. Sie konnten sich besser in die Situation der Bewohner hineinversetzen, deren Gefühlswelt nacherleben und zum Gegenstand
ihrer Reflexion machen. Die während einer Sitzung des „Runden Tisches“
zum Projektende gesammelten und in einem Protokoll dokumentierten „neuen Arbeitsprinzipien“ zeigen beispielhaft den Wandel und die Einstellungsveränderungen in den Teams.
Unsere Überzeugungen
ƒ Ein zurzeit geführtes Gespräch ist wichtiger als ein gut gemachtes Bett. (Nicht der
Inhalt, aber das Gespräch ist wichtig.)
ƒ Wir gehen so mit den Bewohnern um, wie wir wollen, dass mit uns umgegangen
wird.
ƒ Wir fragen, bevor wir eine Dienstleistung/eine Hilfe anbieten.
ƒ Wir interessieren uns für die Lebensgeschichte.
ƒ Wir sehen die Menschen nicht als „Fall“, sondern als Person.
ƒ Wir gestehen unseren Bewohnern größtmögliche Bewegungsfreiheit zu.
ƒ Wo ist der Bewohner? Wo und wie muss ich ihn „abholen“?
ƒ Unsere Ziele: Das Wohlbefinden der Bewohner.
59
Demenz wurde in Folge nicht mehr nur als ein schicksalhafter Zustand der
Bewohner beschrieben, sondern als Anlass für einen veränderten Umgang
mit den Bewohnern betrachtet. Der personzentrierte Ansatz bei Demenz
etablierte sich zum „Standard“, und Diskussionen fanden auch in Bereichen
statt, wo dieses Denken noch nicht Routine war.
Erfahrungen, als Person für die Bewohner wichtig zu sein und in ihrer Rolle
als Pflegekraft zugleich erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Lebensbedingungen zu haben, führten zu einem neuen Selbstbewusstsein vieler
Mitarbeiter. Es zeigte sich durchweg, dass es eine Korrelation zwischen
eigenem Zutrauen und Wohlfühlen einerseits und dem Wohlbefinden der
Bewohner andererseits gab. Je mehr sich die Mitarbeiter (zu-)trauten, desto
intensiver brachten sie sich mit ihren Gefühlen und Ideen ein, experimentierten mit kleinen und wenig aufwändigen Handlungen, die sehr schnell Freude
bei den Bewohnern auslösten. Die Stärkung des Selbstwertgefühls der Mitarbeiter führte zu mehr Eigeninitiative und selbstverantwortlichem Handeln
im gesamten Prozess. Verloren gegangene Ideale über eine „gute Pflege“
wurden reaktiviert und gelebt; DCM half, sie zu legitimieren und selbstbewusst zu vertreten. Die Beziehungsgestaltung wirkte sich auf beide Seiten
positiv aus: Für viele Mitarbeiter bekam die eigene Arbeit wieder einen Sinn,
die Bewohner vermittelten den Mitarbeitern bestätigende Rückmeldungen
für ihr Engagement.
Voraussetzung für diese erfreulichen Entwicklungen waren Freiräume zum
Experimentieren und ein grundsätzliches Gefühl der Wertschätzung durch
Leitung und Kollegen. Entsprechende Arbeitsbedingungen standen zugleich
in engem Zusammenhang mit einer besseren Kommunikation im Team. Sie
zeigten sich in intensiveren Übergaben sowie in einer kollegialen Gesprächsatmosphäre, in der sich einzelne Mitarbeiter vermehrt trauten, die
eigene Meinung zu äußern, fachliche Dialoge zu führen und in kontroversen
Auseinandersetzungen eine eigene Position zu entwickeln. Dass es mit Blick
auf berufliches Handeln gelungen ist, Einvernehmen herzustellen und eine
gemeinsame Werthaltung zu entwickeln, auch wenn es dabei zu Abgrenzungen einzelner Kollegen kam, spiegelt das Resümee eines Teams wider,
das in einem Sitzungsprotokoll festgehalten wurde:
60
Unsere eigene Entwicklung
ƒ Wir berücksichtigen Bewohnerwünsche stärker und fragen nach.
ƒ Wir sind mutiger geworden! Wir gestehen uns mehr Freiräume zu.
ƒ Wir können mehr erreichen, als wir dachten! Alle Fixierungen sind beendet.
ƒ Wir unterstützen uns gegenseitig und tauschen unsere Erfahrungen offener aus.
ƒ Wir denken neu und anders über Demenz nach.
ƒ Allerdings können wir feststellen, dass über das Bekenntnis zu DCM auch einige
Kollegen ausgeschieden sind bzw. im Haus gewechselt haben.
Dort, wo sich solch positive Entwicklungen manifestierten, kam es nach
Aussagen der Heimleitungen zugleich zu einer deutlichen Verminderung
krankheitsbedingter Ausfälle. In diesem Zusammenhang entstand eine qualitativ bessere Dialogebene auch zwischen examinierten und nicht examinierten Mitarbeitern, da alle am Prozess beteiligt waren.
Trotz dieser mehrheitlich positiven Entwicklungen blieben in einigen Teams
die erreichten (Einstellungs-)Veränderungen und damit auch personzentrierte Interaktionen hinter den Erwartungen zurück. Dies war insbesondere dort
der Fall, wo Ängste vor Entwertung durch Leitungskräfte und Arbeitskollegen
dominierten, wo unklare und ungeklärte Beziehungen Neid und Missgunst
förderten, wo gespaltene Teams aus DCM-Befürwortern und -Gegnern nicht
zusammenfanden, wo Veränderungswille an starren Strukturen scheiterte
und darüber „erlosch“ und schließlich dort, wo Teams so erschöpft und ausgebrannt waren, dass keine Ressourcen für Veränderungen mehr vorhanden waren.
Es zeigte sich, dass diese Teams ihre negativen Gefühle häufig äußerten,
ohne dass die Situation sich dadurch ändern konnte. Die Äußerung negativer Gefühle stand in engem Zusammenhang mit der Überforderung, sich
über die Bewohner Gedanken zu machen. In Teams mit positiven Einstellungen (Sicherheit und Motivation) gab es insgesamt weniger Gefühlsäußerungen, hier wurde schnell über die konkreten Bewohner gesprochen.
Probleme bereitete bis zum Schluss auch die gezielte Biographiearbeit. Interesse an der Biographie der Bewohner wurde - von Angehörigen und Pflegekräften gleichermaßen - nicht selten als grenzüberschreitende Neugier
betrachtet. Die Fähigkeit, die Erhebung biographischer Informationen (vor
61
sich selbst und anderen) fachlich zu begründen, musste häufig erst erworben werden.
Ähnlich problematisch gestaltete sich die Integration der individuellen Maßnahmeplanung in die Pflegedokumentation. Dies ist nicht nur als zusätzlicher Beleg für allgemein bekannte „Dokumentations-Widerstände“ zu sehen,
sondern zeugt zugleich von einem nach wie vor wenig ausgeprägten ganzheitlichen, prozesshaften Pflegeverständnis. Im Verlauf kam es darüber zu
interessanten Auseinandersetzungen in den Teams. In einigen Einrichtungen wurden zu diesem Thema eigene Arbeitsgruppen gebildet.
Ob der erreichte Entwicklungsstand bei der Verinnerlichung einer personzentrierten Pflegehaltung erhalten, ausgebaut und verstetigt werden kann,
wird entscheidend von den Freiräumen und Arbeitsbedingungen, die den
Mitarbeitern in den jeweiligen Institutionen in Zukunft gewährt wird, abhängen. Das resignative Fazit einer Mitarbeiterin: „Wenn Sie nur zu zweit auf
Station sind, sind sie nicht mehr neugierig auf DCM“ macht deutlich, dass
das zarte Pflänzchen „personzentrierte Pflege und DCM“ schnell im Alltagsstress untergehen und an institutionellen Routinen scheitern kann.
4.1.3
Die Leitungskräfte der Einrichtungen
Aufgaben der Leitung
DCM forderte allen Leitungskräften30 im Projekt eine große Bereitschaft zu
Transparenz und Kooperation ab und zwar nicht nur mit Blick auf die jeweilige Partnereinrichtung und den begleitenden Supervisor. Transparenz wurde
auch in Zusammenarbeit mit den anderen projektbeteiligten Einrichtungen,
der Koordinatorin und ganz besonders gegenüber den eigenen Mitarbeitern
gefordert.
Die Leitung hatte dafür Sorge zu tragen, dass Verantwortlichkeiten für die
hausinterne Planung und Durchführung des DCM-Prozesses delegiert und
festgelegt wurden. Dies war Voraussetzung für die Sicherstellung von Informationstransfer, Terminabsprachen, Sitzungsvorbereitung, Personalplanung
und Protokollführung. Einige Einrichtungsleiter benannten gleich zu Projekt30
62
Wenn hier von Leitung gesprochen wird, sind die verschiedenen Leitungsebenen - Heimleitung, Pflegedienstleitung und Wohnbereichsleitung - mit ihren jeweiligen Verantwortlichkeiten gemeint.
beginn einen internen DCM-Beauftragten, was sich rückblickend als sehr
empfehlenswert erwies. Gleichwohl reichte es nicht, Verantwortlichkeiten
durch Delegation festzulegen. Erst eine zuverlässige und großzügige Unterstützung durch die Leitung gewährleisteten ein sinnvolles Agieren des DCMBeauftragten während des Prozesses. Zu dieser Unterstützung zählten die
Nähe zum Team, ein kooperativer Führungsstil und offensichtliches Interesse an personzentrierter Pflege und DCM.
Die verbindliche Teilnahme an den Sitzungen zur Maßnahmeplanung und
am „Runden Tisch“ gehörte ebenfalls zu den „Pflichten“ der Leitung. Eine
regelhafte Beteiligung der Führungskräfte wurde von den Mitarbeitern nicht
nur als Wertschätzung ihrer Arbeit honoriert, sie war zugleich Garant für
strukturelle Veränderungen: Leitung muss Beschlüsse mittragen und umsetzen helfen, z.B. wenn es um erforderliche Neuanschaffungen, Baumaßnahmen oder Veränderungen in der Personal- und Ablauforganisation (z.B. Flexibilisierung von Essenszeiten, Freizeitgestaltung) geht.
Leitung sollte auch Vorbildfunktion übernehmen bei der Entwicklung einer
vertrauensvollen Kommunikationskultur, die Freiräume für Ideen und Experimente schafft. Ein solch wertschätzender Umgang der Leitung mit den
Mitarbeitern ist die „Seele“ des Verfahrens und Voraussetzung für eine personzentrierte Pflege. Entsprechend besteht die Rolle der Leitung nach Kitwood „mehr im Befähigen und Erleichtern als im Kontrollieren“.31 Gleichzeitig
müssen die Führungskräfte behutsam darauf achten, dass ein Zuviel an
Freiheit und Privilegien beim Personal nicht ein Gefühl des Alleinseins und
der Überforderung weckt, denn die latent vorhandenen „turbulenten“ Elemente im DCM-Prozess können auch rasch eine destruktive Dynamik entwickeln, z.B. wenn es zur Verunsicherung in alten Rollen kommt, ohne dass
Neues entwickelt werden kann. Leitung muss im Prozess immer dahingehend klar sein, dass sie die Gesamtentwicklung steuert und diese Steuerungsfunktion nicht delegiert werden kann. Mitarbeiter können nur im Rahmen der von der Leitung gesetzten Vorgaben agieren. Hier sind eine offene
Kommunikation und das Interesse von Leitung am Team wesentlich.
Die Leitungskräfte im Marburger DCM-Projekt gingen mit den an sie gerichteten Erwartungen recht unterschiedlich um: Wo Leitung sich nicht hinreichend mit DCM identifizierte, fehlte eine wichtige Antriebsfeder. Das Perso-
31
Kitwood, T. (2000): 153.
63
nal wurde dann von den Ambivalenzen auf der Führungsebene „angesteckt“,
was zu Handlungsunsicherheit und Frustration führte. Größere Umsetzungsprobleme zeigten sich in Einrichtungen mit weitgehend unklaren Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten im Personal- und Organisationsbereich. Dies erschwerte z.B. die Klärung interdisziplinärer Fragen, verzögerte
wichtige Entscheidungen und führte zu allgemeinen Lähmungserscheinungen mit der Gefahr, dass der Veränderungsprozess zwischen den Sitzungen
weitgehend „einfror“. Mitarbeiter auf allen Ebenen wurden dann schnell
„DCM-müde“.
In zwei Einrichtungen behinderte eine ausgeprägte Machtzentrierung auf der
oberen Ebene in Verbindung mit einem Leitungsvakuum im mittleren Management den DCM-Prozess erheblich. Hier war die Leitung zu „weit weg“,
DCM blieb auf der Agenda ein eher nachgeordneter Punkt. Zur Prestigeund Qualitätssicherung lag die Präferenz bei den vorwiegend „technischen“
Qualitätsentwicklungsverfahren. Hier wurde DCM für die Teams nicht „das,
was noch fehlte“, sondern „das, was uns gerade noch gefehlt hat“. Die Mitarbeiter empfanden die Beteiligung am DCM-Verfahren auf der einen Seite
als Zumutung, auf der anderen Seite als Chance, auf das eigene „Elend“
hinzuweisen. Es tauchte die Frage auf „Was haben wir davon?“ und nicht
„Was haben die Bewohner davon?“. Infolgedessen formierte sich eine verdeckt operierende Widerstandskultur gegen die Leitung und das Projekt, die
den DCM-Befürwortern im Team kaum eine Chance ließ. In diesen Einrichtungen äußerten Mitarbeiter ihre Überforderung und ihre Ängste in den Sitzungen, die Ebene der Personen mit Demenz wurde dementsprechend wenig thematisiert.
An den Beispielen zeigte sich deutlich, dass in Einrichtungen, in denen DCM
eher „verwaltet“ oder „pflegegemanagt“ wurde, d.h., in denen die Leitung
vorrangig auf Normierung und Standardisierung von Pflegeabläufen und
-produkten setzte, kaum eine Veränderungsdynamik im Sinne von Lebendigkeit, Experimentierfreudigkeit, Unvorhersehbarkeit und Toleranz entstehen konnte.
Aus diesen Erfahrungen lassen sich entscheidende Faktoren für eine gelingende DCM-gestützte Qualitätsentwicklung identifizieren, nämlich:
ƒ
eine flache hierarchische Struktur einer Einrichtung,
ƒ
ein „personzentriertes“ Leitungs- bzw. Mitarbeiterverständnis und
schließlich
64
ƒ
die identifikatorische Haltung der Leitung zu DCM.32
Entwicklung der Leitung
„Ich habe das Personal mehr schätzen gelernt“, sagte eine Heimleiterin.
Eine andere resümierte, „bei den Mitarbeitern bisher nicht erkannte Potenziale entdeckt“ zu haben. Beide Äußerungen lassen Rückschlüsse auf eine
sensiblere Wahrnehmung der Arbeitsinhalte und -abläufe und auf mehr Anerkennung der geleisteten Teamarbeit zu. Bei der Mehrzahl der Heimleiter
stieg zugleich das Verständnis für die Bedeutung einer ganzheitlichen Personal- und Organisationsentwicklung. Dies zeigte sich u.a. in einer bewussteren Personalauswahl. So wurden beispielsweise gezielt Familienpflegerinnen in Pflegeteams aufgenommen und Mitarbeiter mit unzureichenden
Deutschkenntnissen in andere Bereiche versetzt, um die Entwicklung einer
person- und bedürfnisorientierten Pflegekultur zu fördern.
Abgesehen von diesen insgesamt erfreulichen Entwicklungen zeigten sich
während des Projektes auch Schwachstellen in der Leitungskompetenz, so
z.B. im Hinblick auf Kommunikation/Interaktion, auf Strukturgebung und
-sicherung sowie Personalentwicklung. Auf der Basis dieser Erkenntnis entwickelten die begleitenden Supervisoren einen „Leitfaden für Führungskräfte“33 als Angebot, das eigene Führungsverhalten einschätzen und Entwicklungen in der Einrichtung sensibel wahrnehmen zu können. Das Angebot
wurde von der Mehrheit der Führungskräfte genutzt, was einen engagierten
und verantwortungsvollen Umgang mit diesem Themenbereich offenbarte.
Mit Blick auf die Leitung kann zusammenfassend festgehalten werden: DCM
ist ein beteiligungsorientierter Entwicklungsprozess „von unten“ mit dem Ziel,
gemeinsam eine neue Pflegekultur zu realisieren. Vor diesem Hintergrund
stellt die Implementierung von DCM als Qualitätsentwicklungsverfahren an
die Leitungskräfte besondere Anforderungen, die weit über „klassische“,
eher personal- und organisationsorientierte Leitungsaufgaben hinausgehen.
Es genügt nicht, DCM zu „verordnen“ und die Mitarbeiter darauf „einzuschwören“. Die Führungsebene muss - im Sinne eines Kultur- und Beziehungsmanagements - ein Bekenntnis zu DCM abgeben und dieses Bündnis
32
33
Zur Bedeutung der Leitung bei der Implementierung einer personzentrierten Pflege siehe
auch Kap. 6.
Landkreis Marburg-Biedenkopf (Hg.) (2003): Gräßle, R.; Hofmann-Eimer, G.; Müller, N.;
Rosenkötter, J.: Leitfaden für Führungskräfte im Modellprojekt „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung in Einrichtungen der Altenhilfe im Landkreis Marburg-Biedenkopf“. Marburg.
65
zwischen Leitung und Mitarbeitern pflegen und ggf. immer wieder erneuern.
Die Unterstützung der Pflege- und Betreuungsteams auf allen Ebenen ist
daher eine Kernaufgabe der Leitung.
4.1.4
Die externen Berater
Rolle und Aufgaben
Die Rolle der Beratung wurde definiert als eine Art „Reisebegleitung“, die
sowohl Moderation und Förderung des Veränderungsprozesses, als auch
Weichenstellung und Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten angesichts
erwartbarer Hürden und Stolpersteine beinhaltete. Dabei sollten die Berater
auf allen Ebenen der Institution begleiten und unterstützen, aber auch kritisch hinterfragen. Das Aufgabenfeld der Berater im Projekt umfasste im
Wesentlichen die
ƒ
Unterstützung der Mapper bei der Feedbackvorbereitung,
ƒ
Moderation von Feedback, Maßnahmeplanung und „Rundem Tisch“,
ƒ
Teamsupervision und Fallbesprechungen,
ƒ
Krisenintervention und
ƒ
Leitungsberatung.
Zu Projektbeginn gestaltete sich das Verhältnis zwischen den Mitarbeitern
und Beratern eher zögerlich und abwartend. Mitarbeiter waren es nicht gewohnt, mit externen Personen/Beratern das alltägliche Handeln zu reflektieren, fühlten sich leicht kontrolliert und verunsichert. Vereinzelt gründete diese Skepsis auf zurückliegenden negativen Erfahrungen mit Supervision, in
der man sich „bloßgestellt und angegriffen gefühlt“ hatte und nach der „alles
nur noch schlimmer“ geworden war. Diese Haltung veränderte sich im Prozess, in dessen Verlauf sich zunehmend gegenseitiges Vertrauen, Anerkennung und ein produktives Arbeitsbündnis entwickelte.
In „Sachen DCM“ wurde den Beratern zunächst eine Expertenrolle zugeschrieben. Sie waren es, von denen Antworten auf technische Fragen zur
DCM-Anwendung, wie z.B. Kodieren, Berichte schreiben und Feedback
geben erwartet wurden. In den Vorbereitungssitzungen für das Feedback
ging es darum, Mappingergebnisse zu analysieren, die „richtige“ Bewertung
anhand der Regeln des Instruments DCM zu eruieren und die wichtigsten
66
Inhalte für die Rückmeldung festzulegen. In gemeinsamer Reflexion lernten
die Mapper zu trennen zwischen „objektiver“ Beobachtung und persönlicher
Interpretation, in die eigene Werte, eigene Vorstellungen von Fachkompetenz und eigene institutionelle Erfahrungen einfließen.
In den Feedbacksitzungen selbst übernahmen die Berater strukturierende
Aufgaben. Dazu gehörten in erster Linie das Aufgreifen, Sammeln und Zusammenfassen von Themen. Die Berater legten großen Wert auf erfahrungsorientiertes Lernen. Rollenspiele erwiesen sich als eine passende Methode, um z.B. die Folgen personaler Detraktionen aufzuzeigen und sich in
die Situation der Bewohner einzufühlen. Diese Form der Rückmeldung und
Szenenbearbeitung eignete sich zugleich, die Gefahren von Kränkungen
und Widerstand, die einen Lern- und Veränderungsprozess behindert hätten, möglichst gering zu halten.
Die Berater waren „Geburtshelfer“, wenn es darum ging, Unaussprechliches
besprechbar zu machen. Die Mapper mussten lernen, Verantwortung für
ihre Rolle zu übernehmen und den Teams kritische Beobachtungen zurückzumelden. So wurden Lernprozesse bei den Mitarbeitern angeregt, durch
die gelerntes Pflegeverhalten und persönliche Haltung reflektiert und verinnerlicht werden konnten. Mit einem so begründeten „Auftrag“ konnten sich
die Mapper identifizieren.
In schwierigen Situationen ging es darum, zu unterstützen und zu schützen,
z.B. wenn Kränkungen, Verlassenheitsgefühle oder Konflikte die gemeinsame Arbeit zu blockieren drohten. Mit Unterstützung konnten die Mitarbeiter
lernen, Ärger und Unverständnis zu äußern und gemeinsam mit dem Berater
Bewältigungsstrategien für Konflikte zu entwickeln. Dabei erfuhren die Mitarbeiter, wie wichtig es ist, für sich selbst zu sorgen. Eine Mitarbeiterin beschrieb ihre Erkenntnis mit den Worten: „In der Pflege und Betreuung werde
ich als ganze Person gebraucht, nicht nur als Pflegekraft. Ich kann nur spüren, was die Bewohner brauchen, wenn ich mich selbst spüre, wenn’s mir
gut geht.“
Zur Klärung der Gruppendynamik gab es immer wieder das Angebot zur
Teamsupervision. Dieses Angebot nahmen vor allem Teams mit geringem
Angst- und Konfliktpotenzial in Anspruch, mit dem Ergebnis, dass die Kooperation im Team, Arbeitszufriedenheit und Qualität der Arbeit sichtbar
stiegen.
67
Fallbesprechungen waren häufig eng verknüpft mit der individuellen Maßnahmeplanung. In der Auseinandersetzung über einzelne Bewohner kam es
am ehesten zu Diskussionen über Pflegekultur, Pflegeethik und innerer Haltung. Die Beteiligten schätzten diese Diskussionen, weil im Alltag zu wenig
Raum für diese Gespräche war. Getragen waren diese Gespräche in allen
Einrichtungen von einer tiefen Wertschätzung für die Bewohner und von
einem Bemühen um gegenseitiges Verständnis. Mittels Übungen zur Einfühlung in sich selbst und andere erkundeten, entwickelten und vertieften die
Beteiligten ihr individuelles und ihr kollektives Pflegeselbstverständnis.
Im Verlauf des DCM-initiierten Lern- und Reflexionsprozesses wurden
zwangsläufig auch (verdeckte) Probleme offensichtlich. Ungünstige Rahmenbedingungen, starre, kontraproduktive Routinen, aber auch ungelöste
Konflikte aus der Vergangenheit kamen an die Oberfläche und gerieten in
den Blick. Solche Situationen wurden von den Mitarbeitern mitunter als sehr
krisenhaft und belastend erlebt. Sie erforderten nicht selten eine konstruktive
Begleitung durch die Berater, um eine sich entwickelnde destruktive Dynamik rechtzeitig aufzufangen.
Sitzungen ohne Beteiligung der Berater zeigten deutliche Qualitätsunterschiede in Struktur und Inhalt. Personale Detraktionen wurden wesentlich
seltener angesprochen, inhaltliche Diskurse kaum geführt, auch kamen Reflexion und Planung zu kurz. Diese Erfahrungen zeigen, dass ein Feedback
geübt und begleitet werden sollte, damit verwertbare und verbindliche Ergebnisse für die weitere Maßnahmeplanung erzielt werden können, eine
Erkenntnis, die sich insbesondere auf Einrichtungen mit einer nicht hinreichend entwickelten Gesprächs- und Reflexionskultur bezieht.
Erfahrungen
Als Verbindungsglied zwischen Mitarbeitern, Mappern, Leitern und anderen
Akteuren im Projekt waren die Berater vielfältigen Erwartungen, Wünschen,
aber auch Vorbehalten ausgesetzt, die selbst für erfahrene Berater eine
große Herausforderung an ihre professionelle Rolle darstellten. So war es
für sie manchmal mit erheblichen Anstrengungen verbunden, angesichts
sich zum Teil überlagernder Konflikte DCM selbst nicht aus dem Auge zu
verlieren. Zeitweise kamen in einzelnen Einrichtungen Auseinandersetzungen in Gang, die mit der Geschichte des Hauses, mit Regeln, Werten und
Konventionen zu tun hatten. Diese hingen nicht ursächlich mit dem DCM-
68
Verfahren zusammen, wurden aber dadurch deutlich oder/und an die Oberfläche getragen. Angesichts dessen war es für die Prozessbegleiter manchmal nicht leicht, sich abzugrenzen und sich lediglich auf die Begleitung des
DCM-Prozesses zu konzentrieren.
Auch war die Verführung groß, in Institutionen mit wenig ausgeprägter Leitungs- und Kommunikationsstruktur als Berater die Verantwortung zu übernehmen und sich von den Mitarbeitern als Sprachrohr instrumentalisieren zu
lassen, z.B. wenn es darum ging, gegenüber der Leitung Missstände aufzuzeigen. Spannungen gab es teilweise auch bei der Abwägung unterschiedlicher, gegensätzlicher oder gar unvereinbarer Interessenslagen von Leitung,
Mitarbeitern und Bewohnern. Wenn die Leitung mehr an einer „intakten Fassade“ interessiert war, die Mitarbeiter fehlerfrei zu „funktionieren“ versuchten
und die Bewohner sich mehr oder weniger selbst überlassen blieben, stellte
dies eine schwierige Gemengelage für die Berater dar.
Die Arbeit erforderte eine kontinuierliche Abklärung der Zuständigkeit als
DCM-Prozessbegleiter einerseits und - bezogen auf „allgemeine Probleme“ der Eigenverantwortung von Einrichtungen andererseits. Notwendig war
eine kontinuierliche Selbstreflexion, die die Berater im Rahmen kollegialer
Supervision und Beratung leisteten. Die regelmäßigen Treffen dienten vornehmlich dem Erfahrungsaustausch und der Abstimmung von Interventionsund Planungsschritten.
Insgesamt betrachtet hat die Arbeit der Berater die Etablierung des DCMVerfahrens in den Einrichtungen maßgeblich unterstützt und gefördert. Die
vielfältigen Beratungs- und Reflexionsangebote im Prozess hatten auch eine
aktiv personalentwickelnde Komponente, da sie fachliche Kompetenz,
Selbstbewusstsein, Kritik- und Konfliktfähigkeit beförderten. Die damit einhergehende Verinnerlichung neuer Handlungs- und Denkmuster waren
wichtige Schritte hin zu einer personzentrierten Pflegehaltung der Mitarbeiter.
Die gesammelten Erfahrungen zeigen, dass eine Prozessbegleitung durch
einen externen Berater unverzichtbar ist. In welcher Intensität diese letztendlich erfolgen sollte, ist unter verschiedenen Gesichtspunkten abzuwägen.
Wie viel Beratung ist förderlich, um die Einrichtungen zu befähigen, eigenverantwortlich einen Lern- und Entwicklungsprozess in Gang zu setzen und
zu erhalten? Ab wann kann ein Zuviel an Beratung die Entwicklung von Eigenverantwortung und Selbständigkeit einer Einrichtung behindern? Und
69
nicht zuletzt: Wie viel Beratung ist - auf der Grundlage der ausgehandelten
Pflegesätze - finanzierbar? All dies sind Fragen, die es für jede Einrichtung
individuell zu beantworten gilt.
4.1.5
Die Projektleitung
Die Verantwortung für die Gesamtorganisation des Modellprojektes lag bei
der Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Die Aufgabe
der Projektleitung war es, die regionale Verbundarbeit der projektbeteiligten
Einrichtungen zu koordinieren und einen abgestimmten Lern- und Entwicklungsprozess zu moderieren. Im Einzelnen gehörten dazu:
ƒ
die „Geschäftsführung“ der regelmäßigen Arbeitstreffen aller Leitungskräfte;
ƒ
die Organisation und Moderation der Treffen aller DCM-Beobachter;
ƒ
die inhaltliche und organisatorische Zusammenarbeit mit den Supervisoren;
ƒ
die Unterstützung der Einrichtungen bei der Organisation der Fortbildungen;
ƒ
die Teilnahme an überregionalen Projekttreffen im Kuratorium Deutsche
Altershilfe;
ƒ
die Verwaltung der Projektmittel;
ƒ
die Berichterstattung und Ergebnissicherung;
ƒ
die Öffentlichkeitsarbeit in Form von Vortragstätigkeit, Veröffentlichungen und Pressekontakten.
Die Projektleiterin pflegte in ihrer Rolle als Moderatorin, Koordinatorin und
Verantwortliche des Gesamtprozesses Kontakt zu allen Beteiligten auf den
unterschiedlichen Handlungsebenen. Sie fungierte als Schaltstelle für projektrelevante Informationen, als „Klärungs- und Schlichtungsstelle“ bei auftretenden Problemkonstellationen und als Entscheidungsinstanz in finanziellen Fragen.
Intensiv gestaltete sich die Arbeitsbeziehung zu den Einrichtungsleitern. In
den insgesamt 22 Arbeitstreffen mit den Leitungskräften wurden Berichte
und Informationen über den aktuellen Stand der Implementierung von DCM
gegeben und weitere Planungsschritte abgestimmt, Informationen zu Fort-
70
bildungen weitergeleitet, Zeitpläne für Mappingeinsätze festgelegt, Fragen
zur Dokumentation geklärt und andere projektrelevante Aspekte besprochen. Insgesamt verlief die Arbeit in diesem Gremium konstruktiv und harmonisch, für einige Heimleiter manchmal „zu harmonisch“. Rückblickend
hätte man sich untereinander „mehr Ehrlichkeit“ gewünscht, weil es „jeden
von uns weiter gebracht hätte“, so fassten einige Heimleiter ihre Einschätzung über das Klima in den Sitzungen zusammen. Ängste, vor der „versammelten Mannschaft“ von Kollegen, die - trotz des gemeinsamen Anliegens „DCM“ - zugleich auch als Konkurrenten gesehen wurden, Probleme
und Schwächen einräumen zu müssen, erschwerten einen offenen, vorbehaltlosen Kontakt untereinander. Sicherlich kamen aber nicht nur entsprechende Unsicherheiten gegenüber den Kollegen zum Tragen. Auch das
Wissen, dass die Projektkoordinatorin als Mitarbeiterin des Landkreises
gleichzeitig auf der Seite eines Kostenträgers zu verorten war, mag zu den
einen oder anderen Vorbehalten beigetragen haben, die eine offene Kommunikation schwerer machten.
Die Kontakte zu den Mappern beschränkten sich auf insgesamt vier Arbeitstreffen. Den Mappern boten diese Treffen Gelegenheit, mit der Projektleitung
ins Gespräch zu kommen, gemeinsame Erfahrungen auszutauschen und
allgemeine Fragen zum Verfahren und zur Projektorganisation zu stellen.
Die auf den ersten Blick gering erscheinende Zahl der Sitzungen stellte sich
rückblickend als vollkommen ausreichend dar, hatten die Mapper doch über
die gesamte Projektphase hinweg intensiven Kontakt zu „ihren“ Beratern, mit
denen sie direkt alle Fragen und Probleme klären konnten.
Die Arbeitsbeziehung zu den externen Beratern gestaltete sich im Rahmen
regelmäßig stattfindender Sitzungen. Sie dienten in erster Linie dem Informationsaustausch und der Abstimmung von einzelnen Projektschritten und
ggf. notwendigen Interventionen. In den Sitzungen wurde das Dilemma deutlich, das sich aus der Schweigepflicht der Berater gegenüber den Einrichtungen einerseits und der Berichtspflicht der Supervisoren gegenüber der
Projektleitung andererseits ergab. Für die Berater bedeutete dies eine verantwortungsvolle Gratwanderung. Der Projektleitung forderte es Respekt vor
der Beratungsarbeit ab und eine zurückhaltende Abwägung projektrelevanter Informationserfordernisse mit Blick auf die eigene Berichtspflicht gegenüber den Auftraggebern.
71
Die Projektleitung unterstützte die Einrichtungen bei der Organisation der
Fortbildungen. Dabei ging es insbesondere um Kontaktaufnahme und Vermittlung von Referenten und allgemeine Planungshilfen. Im Rahmen der
Öffentlichkeitsarbeit wurden neben regelmäßigen Pressekontakten (siehe
Anhang 12) auch Einladungen zu Tagungen genutzt, um die Arbeit im DCMProjekt vorzustellen. Die Vortragstätigkeit fand auch in Veröffentlichungen
ihren Niederschlag.
Schließlich gehörte die Teilnahme an den insgesamt zehn vom KDA organisierten überregionalen Projekttreffen zu den Aufgaben der Projektleitung.
Hier trafen sich Vertreter der anderen Projektregionen Main-Kinzig-Kreis,
Aachen, Brandenburg sowie Vertreter des Bundesministeriums, des Meinwerk-Instituts und des iso-Instituts zum Erfahrungsaustausch. Unterschiedliche Strategien in den Projektstandorten kamen ebenso zur Sprache, wie
fachpolitische Fragestellungen.
Die hier eher fragmentarische Beschreibung der Leitungs- und Koordinationsaufgaben macht dennoch ihre Komplexität deutlich. Die Arbeit der Projektleiterin erforderte Verständnis für die Belange Einzelner, ohne den Projektauftrag als Ganzes aus dem Auge zu verlieren. Die Auseinandersetzung
mit verschiedenen Interessenlagen und Sichtweisen verlangte strikte Neutralität, Verschwiegenheit, Verständnis und Loyalität. Wenn es um „die Sache“ ging, waren auch unliebsame Entscheidungen zu treffen und zu vertreten. Die „Positionierung“ zwischen den vielfältigen Rollenerwartungen einerseits und der eigenen Wahrnehmung, als Projektbeteiligte quasi auch „Verbündete“ zu sein, andererseits, war letztendlich nur durch eine stetige Reflexion zu handhaben. Die Kompetenz als ausgebildete Supervisorin erwies
sich dabei als äußerst hilfreich. Rollendiffusität konnte so weitgehend vermieden werden.
Die dargestellten Aufgaben des Projektmanagements verdeutlichen, dass
eine verantwortliche und neutrale Instanz immer dort unverzichtbar ist, wo
mehrere Einrichtungen im Rahmen einer DCM-Qualitätsentwicklung partnerschaftlich zusammenwirken möchten.
72
4.2
Fachtheoretische Fortbildungen
Bereits zu Projektbeginn war offensichtlich, dass die Verinnerlichung einer
personzentrierten Pflegehaltung nicht allein durch das DCM-Verfahren geleistet werden kann. Mitarbeiter benötigen ergänzend zu diesem Prozess
fachliche Fortbildungen, die sie in diesem Lernprozess unterstützen. Eine
ergänzende Basisschulung der Mitarbeiter wurde als wesentliche Voraussetzung gesehen, den gewünschten „Kulturwandel“ in der Pflege von Menschen mit Demenz zu erreichen.
Die Konzipierung der Fortbildungen erfolgte in dem Wissen, dass viele Pflegekräfte niemals zuvor eine angemessene Schulung im Umgang mit Demenzkranken erfahren hatten. Aus diesem Grund wurden für die Basisqualifizierung schwerpunktmäßig Themen ausgewählt, die - entsprechend Kitwoods Theorie der „positiven Personenarbeit“ - Verständnis, Empathie und
Sicherheit im praktischen Umgang mit demenzkranken Menschen fördern
helfen. Dazu zählten insbesondere:
ƒ
Validation,
ƒ
Biographie-,/Reminiszenzarbeit,
ƒ
Basale Stimulation,
ƒ
Kinästhetik,
ƒ
Bewegung/10-Minuten-Aktivierung und
ƒ
medizinische Grundkenntnisse.
Die Einrichtungen organisierten die Fortbildungen teambezogen, in Absprache auch einrichtungsübergreifend, um Synergieeffekte zu nutzen und Belastungen der Teams in Grenzen zu halten. Für die Planung stand eine Liste
mit empfohlenen Referenten zur Verfügung.
Die Möglichkeit zur Teilnahme erhielten alle Mitarbeiter, die als Pflege- oder
Hauswirtschaftskräfte, als Therapeuten oder Reinigungskräfte regelmäßigen
Kontakt zu Bewohnern hatten. Die Mitarbeiter wünschten sich vor allem
konkretes „Handwerkszeug“ für ihre Arbeit mit demenzkranken Bewohnern,
und so fanden besonders die praxisnahen Fortbildungsthemen großen Anklang. Die Praxisnähe der Seminare und das gemeinsame Lernen im Team
motivierten zur Umsetzung des Gelernten in den gemeinsamen Alltag und
vermittelten Erfolgserlebnisse entsprechend der Erkenntnis: „Es klappt ja
wirklich.“
73
Das Lernen im Team erleichterte auch den kollegialen Austausch über fachliche und persönliche Sichtweisen. So führte die Auseinandersetzung mit
biographischen Themen und deren Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten der Bewohner nicht nur zu höherer Sensibilität und Toleranz, sondern
auch zur persönlichen Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte und
der Rolle als Professioneller im Pflegeprozess. All dies förderte die fachliche
und persönliche Kompetenz der Mitarbeiter, was für sie selbst von Nutzen
war und sich zum Teil eindrucksvoll im Kontakt mit den Bewohnern zeigte.
Die Fortbildungsangebote wurden von den meisten Mitarbeitern rückblickend als sehr nützlich und hilfreich beschrieben.
Ergänzend zu den formalen Fortbildungen hatten auch informelle Kontakte
Qualifizierungswert: Mitarbeiter verschiedener Einrichtungen tauschten untereinander Good-Practice-Lösungen aus oder initiierten Projekte, wie z.B.
die systematische Integration eigener Hobbys in den Pflege- und Betreuungsalltag. Solche Versuche regten „neugierige“ Kollegen an und führten
mitunter zu internen Fortbildungsangeboten, von denen letztlich alle profitierten.
Um neu erworbenes Wissen nachhaltig in das Pflegehandeln zu integrieren,
musste der Qualifizierungsprozess in all seinen Ausformungen von der Leitung begleitet und unterstützt werden. Freiräume waren zu schaffen, damit
die Teams die Chance hatten, zu experimentieren und auch zwischen den
offiziellen DCM-Sitzungen an Fortbildungs- und Projektthemen arbeiten zu
können. Wo diese Freiräume nicht zur Verfügung standen, verloren sich neu
erworbene Kompetenzen im Nichts, entstanden Frustration und Demotivation bei den sonst engagierten Mitarbeitern.
Trotz dieser insgesamt positiven Bilanz der Fortbildungen ist kritisch anzumerken, dass keine spezielle Lerneinheit zum Thema „personzentrierte
Pflege“ angeboten wurde. Es stellte sich nämlich heraus, dass es - entgegen
der ursprünglichen Annahme - nicht zu einer automatischen Internalisierung
personzentrierter Haltung kam, sondern einer zusätzlichen systematischtheoretischen Fundierung bedurft hätte.
Auch Fortbildungen zum Thema „non-verbale Kommunikation“ mit schwer
demenzkranken Bewohnern fanden - rückblickend betrachtet - nicht hinreichend Berücksichtigung. Bezüglich dieser Gruppe kam es bis zum Projektende immer wieder zu größeren Differenzen in den Teams: Während die
Innovationsfreudigen auch hier Neuland beschreiten und nach Wegen su-
74
chen wollten, um diese Bewohner zu „erreichen“, bremsten andere Kollegen
den Elan mit der alt bekannten Argumentation: „Da ist doch nichts mehr zu
machen...“.
Intensiver Schulungsbedarf besteht nach wie vor auch im Bereich Kinästhetik. So kamen die externen Mapper in ihren Abschlussbefundungen häufiger
zu dem Ergebnis, dass personale Detraktionen in Transfersituationen (vom
Rollstuhl in den Sessel etc.) vorkamen, insbesondere im Kontakt mit schwer
demenzkranken Bewohnern ohne Sprachverständnis.
Die Ergebnisse bestätigen einerseits die unterstützende Wirkung von Fortbildung auf dem Weg zu personzentrierter Arbeit bzw. zur Professionalisierung im Allgemeinen. Sie machen aber auch deutlich, dass einmalige Schulungen häufig nicht ausreichen, das neu erworbene Wissen automatisch in
praktisches Handeln zu „übersetzen“. Dafür bedarf es stetiger Vertiefung
durch Nachschulungen.
Mit Blick auf die zukünftigen Aufgaben der Mapper bei der internen Steuerung des DCM-Prozesses in den Einrichtungen wäre es zudem sicherlich
vorteilhaft gewesen, den Mappern, aufbauend auf dem DCM-Basic-UserKurs, eine weiterführende Qualifizierung zum DCM-Advanced-Anwender zu
ermöglichen.
4.3
Maßnahmen der Milieugestaltung
„Unter armseligen Umständen wird vorzügliche Beziehungsarbeit geleistet,
weil das ´innere Team` gute Beziehung miteinander lebt und weitergibt; und
umgekehrt: unter vorzüglichen äußeren Bedingungen und exzellenten Strukturen wird ´kalt` gepflegt.“34 Diese Feststellung Müller-Hergls weist darauf
hin, dass ein adäquates räumliches Milieu nicht zwingende Voraussetzung
für eine gute Pflege und Betreuung ist. Unstrittig ist jedoch, dass ein räumliches Milieu, welches den speziellen Bedürfnissen von Menschen mit Demenz nach Orientierung, Sicherheit und Wärme gerecht wird, zur Steigerung
von Wohlbefinden und Lebensqualität beiträgt. Aus diesem Grund sollten
alle am Projekt beteiligten Einrichtungen bei der Gestaltung eines demenzgerechten Wohnumfeldes fachlich und finanziell unterstützt werden.35
34
35
Müller-Hergl, C. (2002): „Vorläufige Papiere“ zu DCM. Stand Juli 2002. URL: www.dcminternational.de.
vgl. Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001).
75
Voraussetzung für die Bewilligung des zur Verfügung stehenden Förderbetrags (siehe dazu Kap. 3.3) durch die Projektkoordinatorin war die Vorlage
eines Gesamtkonzeptes mit
ƒ
Empfehlungen zur Um- bzw. Neugestaltung, die sich aus den DCMBeobachtungen ergaben,
ƒ
einer entsprechenden fachlichen Begründung,
ƒ
einer nachweislichen Beteiligung der Mitarbeiter bei der Konzeptentwicklung und
ƒ
der Kalkulation eines Eigenanteils von rund 10% der Fördersumme.
Von den insgesamt zwölf projektbeteiligten Einrichtungen nutzten elf Einrichtungen die Chance, entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Dabei handelte es sich im Wesentlichen um Wohnraumgestaltung, Wohnraumausstattung und die Gestaltung von Außenanlagen.
Vor allem Einrichtungen, die aufgrund ihrer baulichen Historie bislang über
keinerlei adäquate Aufenthaltsmöglichkeiten für eine Gruppe verfügten und
in denen sich die Bewohner in ihren Zimmern, im Treppenhaus oder aber
auf dem Flur aufhalten mussten, profitierten von baulichen Veränderungen.
Das galt auch für Einrichtungen mit sehr beengten Räumlichkeiten, in denen
ein Umherlaufen, ein Wechsel der Sitzplätze oder gar ein Rückzug vom
Gruppengeschehen unmöglich war; hier mussten die Bewohner den ganzen
Tag am selben Tisch verbringen.
Durch bauliche Maßnahmen, wie z.B. Wanddurchbrüche, Nutzungsänderung von Räumlichkeiten, Integration von Flurraum etc., konnten Verbesserungen erreicht werden. In einigen Einrichtungen verhalf der Einbau von
Küchenzeilen den Wohngruppen zu mehr Autonomie, z.B. bei der Organisation der Mahlzeiten; gleichzeitig konnten dadurch Bewohner zur Mitarbeit
aktiviert werden. Die Anschaffung von kombinierbaren Tisch- und Sitzmöbeln oder bequemen Sofas und Sesseln förderte andernorts eine wohnliche
Atmosphäre und Kontakte untereinander. Wieder andere Einrichtungen
nutzten die Möglichkeit, vorhandene, bislang brachliegende Außenflächen
für Bewohner begeh- und nutzbar zu machen, indem ein spezieller Zugang,
eine Terrassenfläche oder Gartenanlage geschaffen bzw. gestaltet wurden.
76
Situation nach dem „ersten Schritt“: Vergrößerung nach Wanddurchbruch.
Entstanden ist ein gemütlicher Wohn-/Essraum für alle Bewohner.
77
Früher lebten die Bewohner tagsüber im Flur.
Heute steht ein eigener Aufenthaltsraum mit Küchenzeile zur Verfügung.
78
Leitung und Mitarbeiter nahmen die Herausforderung engagiert an. In einigen Einrichtungen bildeten sich Projektgruppen, die Vorschläge zur räumlichen Gestaltung erarbeiteten. Für viele Mitarbeiter war es die Gelegenheit,
sich selbst verantwortlich einzubringen, eigene kreative Ideen zu entwickeln
und diese gemeinsam mit dem Team umzusetzen. Zum Teil flossen dabei
Anregungen aus den Fortbildungen mit ein. Nicht selten waren die Projekte
zur Milieugestaltung Ausgangspunkt für weitergehendes Engagement. So
entschieden sich mehrere Träger und Mitarbeiter zu ergänzenden Eigenleistungen, die weit über das geforderte Maß hinausgingen.
Ideen und Engagement stießen jedoch auch an ihre Grenzen: Probleme
bereiteten zuweilen die Gleichzeitigkeit von Projektmaßnahmen und die
damit bedingten hohen Belastungen für Bewohner und Mitarbeiter. Die Frage kam auf: Wie viel Innovation können Bewohner und Mitarbeiter (ver-)tragen? Auch die Heimaufsicht machte der einen oder anderen Maßnahme
einen „Strich durch die Rechnung“, was zu Frustrationen führte: Veränderungen mussten zurückgenommen und Einrichtungsgegenstände abgebaut
werden. Grenzen gab und gibt es nicht zuletzt durch die vorhandenen räumlichen Gegebenheiten, die wünschenswerte Verbesserungen teilweise unmöglich machen. So konnte das „Optimale“ nicht immer erreicht, mussten
Kompromisse eingegangen werden. Insgesamt aber hat jede Einrichtung
das Beste aus dem gemacht, was ihr möglich war.
Es stellte sich schnell heraus, dass die größeren und kleineren Milieuveränderungen offensichtlich positive Auswirkungen auf die Bewohner und die
Arbeit der Mitarbeiter hatten und mit einem Zugewinn an Lebensqualität
verbunden waren. Durch die größere Bewegungsfreiheit und neu sich eröffnende Betätigungsfelder sind die Bewohner nach Angaben der Mitarbeiter
zum einen ruhiger und entspannter, zum anderen aber auch kommunikativer
geworden. So hat sich über die Projektarbeit „Milieugestaltung“ in allen Einrichtungen ein Bewusstsein und eine Sensibilität darüber entwickelt, welche
Auswirkungen das räumliche Milieu auf das Wohlbefinden der Bewohner
und nicht zuletzt auf die Qualität der Arbeit haben kann. Dieses neue Bewusstsein, verbunden mit den „sichtbaren“ Ergebnissen und der Erfahrung,
dass Veränderungen Spaß machen und nicht zwangsläufig mit hohen Kosten verbunden sein müssen, ist eine gute Grundlage für weitergehende Entwicklungen in diesem Bereich, zu denen sich die meisten Einrichtungen
auch nach Projektende verpflichtet fühlen.
79
Einen Überblick über die einzelnen Maßnahmen, deren Auswirkungen, das
Fördervolumen und die finanziellen Eigenleistungen der Träger liefert nachstehende Auflistung:
80
Maßnahmen der Milieugestaltung und ihre Auswirkungen
Einrichtung
Trägerschaft
1
privat
81
36
2
privat
3
gemeinnützig
4
gemeinnützig
Maßnahmen/Anschaffungen
- Ausbau und Gestaltung der Gartenanlage
- Schaffung eines Gemeinschaftsraumes (Wohnküche
Rosengarten)
- Gestaltung eines demenzgerechten Gartens
- Zugang zur Gartenanlage
- Anschaffung von Möbeln, Raumausstattung
- Anschaffung von Beleuchtungssystemen
- Raumvergrößerung
- Raumausstattung zur Förderung der Wohnlichkeit
- Beschäftigungsmaterialien für Erinnerungsarbeit und
aktivierende Betreuung
Auswirkungen
36
Aktivierung
Bewegungsfreiheit
Zusammenführung der Bewohner
gemeinsame Mahlzeiten
Entlastung der Mitarbeiter
Bewegungsfreiheit, „Aufenthaltsinseln“
Wohnlichkeit
Entlastung der Mitarbeiter
Wohnlichkeit
Aktivierung
- Umgestaltung des Wohnbereiches
- Abgrenzung des Aufenthaltsraumes zum Flur
- Wohlfühlbad
Wohnlichkeit, „Aufenthaltsinseln“
Überschaubarkeit durch Raumteilung
Förderung der Kontakte
-
Wohnlichkeit
Aktivierung
5
konfessionell
6
privat
7
konfessionell
8
gemeinnützig
9
privat
10
gemeinnützig
- Anschaffung von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen zur Entwicklung eines wohnlichen Milieus
11
gemeinnützig
- Anschaffung von Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen zur Entwicklung eines wohnlichen Milieus
Bau einer Gartenanlage, Rundlauf um das Haus
Küchenzeile
Raumausstattungs- und Beschäftigungsgegenstände
Schaffung eines Gemeinschaftsraumes durch bauliche
Zusammenführung von zwei Zimmern
- Wohnliche Ausgestaltung des Raumes
- Flurabtrennung zur Schaffung eines geschützten, wohnlichen Aufenthaltsraumes
- Anschaffung von Ausstattungs- und Beschäftigungsmaterialien
- Schaffung einer Gartenanlage für demenzkranke Bewohner
- Umgestaltung des Aufenthaltsraumes
Nach Angaben der Einrichtung/Mitarbeiter.
Zusammenführung der Bewohner
gemeinsame Mahlzeiten
Entlastung der Mitarbeiter
Wohnlichkeit
Aktivierung
Motivierung der Mitarbeiter
Flexible Sitzordnung
Bewegungsfreiheit
Rückzugsmöglichkeit, Freiheit, Mobilität,
Aktivität
Wohnlichkeit
Entlastung der Mitarbeiter
Bewegungsfreiheit
Wohnlichkeit
Förderung der Kontakte
Fördervolumen
Eigenbeteiligung
9.130,00 €
6.052,00 €
9.130,00 €
5.000,00 €
7.577,00 €
15.000.00 €
7.998,20 €
788,63 €
7.660,00 €
4.860,00 €
9.130,00 €
2.921,00 €
9.675,00 €
1.008,00 €
8.388,00 €
766,00 €
7.002,19 €
850,00 €
7.660,00 €
979,00 €
7.660,00 €
28.000,00 €
91.010,39 €
66.224,63 €
4.4
Veränderungen der institutionellen Pflegekultur
Der dreijährige DCM-Prozess hat in der Mehrzahl der Einrichtungen Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen bewirkt. Diese resultieren aus den
Erkenntnissen der DCM-Beobachtungen und aus dem Wissenserwerb der
Mitarbeiter in den Fortbildungen. Ebenfalls wirkten die Ergebnisse der intensiven Überlegungen zu Milieuveränderungen und nicht zuletzt die stetigen
Analysen und Reflexionen im Rahmen der externen Beratung. Die Verbindung all dieser Interventionen führte dazu, dass personelle, strukturelle und
räumliche Schwachstellen mehr oder weniger offen zu Tage traten und dadurch einer Bearbeitung zugänglich wurden.
Die erreichten Veränderungen in den Projekteinrichtungen sind im Hinblick
auf Umfang und Qualität sehr unterschiedlich. So gibt es zwei Einrichtungen,
in denen sich - außer der Erkenntnis, dass „sich etwas verändern muss“ kaum etwas getan hat, während andere Einrichtungen sich auf den Weg
gemacht haben, eine personzentrierte Pflegekultur umzusetzen: Traditionelles Pflegehandeln durchmischt sich hier mit Ansätzen der „neuen Pflegekultur“, wie es in einem Protokoll zur Abschlussbefundung durch externe Mapper heißt. Und schließlich ist es einigen Einrichtungen gelungen, bereits
während der Projektlaufzeit eine Kultur der personzentrierten Pflege zu etablieren, die es jedoch in Zukunft durch weiterführende Maßnahmen zu sichern
und zu verstetigen gilt.
Exemplarisch für viele weitere Alltagsbereiche werden im Folgenden Veränderungen bei den „Mahlzeiten“ und der „Sozialen Betreuung“ beschrieben,
da diese im stationären Setting eine herausragende Bedeutung für die Lebensqualität der Bewohner haben. Als Nachweis der Veränderungen werden
Zitate aus Mappingberichten und unterschiedlichen Sitzungsprotokollen (z.B.
über Feedback und Maßnahmeplanungen) sowie statistische Ergebnisse
der DCM-Daten angeführt.
82
4.4.1
Lebensbereich „Mahlzeiten“
4.4.1.1 Defizite der Mahlzeitenkultur zu Projektbeginn
Gemäß dem Ansatz der personzentrierten Pflege ist Essen und Trinken
mehr als eine biologische Energiezufuhr. Es ist ein außerordentlich intensives soziales und körperliches Ereignis: es „nährt“ Personsein. Mit anderen
Mahlzeiten einzunehmen, schenkt das Gefühl der Gemeinsamkeit, ist ein
Beschäftigen mit sich selbst und anderen und kann etwas sehr Sinnliches
sein. Eine genussvolle Mahlzeit ist mit einer positiv besetzten Wahrnehmung
der eigenen Person verbunden und hat dadurch eine große Wirkung auf das
Wohlbefinden des Menschen mit Demenz.
Überdies sind Mahlzeiten in Altenpflegeheimen ein strukturierendes Element
im Verlaufe eines Tages und nehmen zeitlich einen großen Raum ein. Wie
kaum ein anderer Lebensbereich lässt die Gestaltung der Mahlzeiten Rückschlüsse auf die Gesamtkultur und den Entwicklungsstand einer Einrichtung
zu.
Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum die Mahlzeitenkultur im Rahmen des Veränderungsprozesses immer wieder thematisiert wurde. In den
Mappingberichten und Sitzungsprotokollen konnten eine Vielzahl von Defiziten und entsprechende Veränderungen identifiziert werden, die nun kurz
benannt und daran anschließend anhand von Protokollauszügen verdeutlicht werden:
Defizite der Mahlzeitenkultur
n Mangelnde
Begleitung
während
Veränderungen der Mahlzeitenkultur
der n Personzentrierte Begleitung während der
Mahlzeiten
o Mahlzeiten ohne Bezug zur Lebenswelt
Mahlzeiten
o Orientierung an der Lebenswelt (Renormalisierung der Mahlzeiten)
p Enges zeitliches Korsett der Mahlzeiten
p Öffnung des zeitlichen Korsetts
q Mangelnde berufsgruppenübergreifende q Berufsgruppenübergreifende Kooperation
Kooperation und Koordination
r Verlust des Blicks für den Einzelnen
und Koordination während der Mahlzeiten
r Rückgewinnung des Blicks für den Einzelnen
s Hemmendes oder störendes Milieu wäh- s Förderliches Milieu während der Mahlzeiten
rend der Mahlzeiten
t Fehlende Transparenz und Verantwort- t Ritualisierung und Strukturierung der Mahllichkeiten während der Mahlzeiten
zeiten
83
ƒ
Mangelnde Begleitung während der Mahlzeiten
Gerade zu den Mahlzeiten benötigen viele Bewohner kontinuierliche persönliche Betreuung und Assistenz. Aufgrund der Aufgabendichte einerseits und
personeller Engpässe andererseits können die vielfältigen Möglichkeiten,
dabei Beziehung zum Bewohner zu gestalten, häufig nicht im wünschenswerten Umfang genutzt werden. Dies führt mitunter zu Missverständnissen,
zu Unruhe und Irritationen bei allen Beteiligten, wie im Fall von Herrn Schön:
„Sein Impuls zu gehen ist stärker als der zu essen. Immer wieder führt
man ihn zum Tisch. Er setzt sich, die Pflegekraft entfernt sich, er steht
wieder auf und geht ..., wird wieder ´eingefangen` etc. Dies erscheint
wenig sinnvoll: Entweder bleibt man bei ihm, oder man versorgt ihn mit
Speisen ´fliegend`. Alleine kann er seine Handlung nicht zu Ende zu führen.“
Auch im Beispiel von Frau Ost stellt das Essen unter solchen Bedingungen
für sie ein Problem dar:
„Sie will die Suppe nicht, bekommt sie dann gereicht, dann wieder wird
sie weggenommen. Die Unterstützung beim Essen ist zu kurz und zu
fragmentiert.“
ƒ
Mahlzeiten ohne Bezug zur Lebenswelt
Häufig wird „übersehen“, dass gerade Mahlzeiten vielfältige Chancen für
vertraute Alltagserfahrungen bieten:
„Das Mittagessen kommt im Schöpfsystem auf dem Servierwagen. Das
Essen wird von den Betreuenden portioniert. Es fallen die wenig geeigneten Portionsteller mit Unterteilung auf. Einige Bewohner haben Probleme, das Essen über den hohen Tellerrand zu bekommen. Zudem wirken die weißen Teller sehr nach Krankenhaus, besitzen wenig Alltagscharakter.“
ƒ
Enges zeitliches Korsett der Mahlzeiten
Die Kultur der Mahlzeiten wird häufig durch zeitliche Vorgaben des Küchenbzw. Hauswirtschaftsbereichs beeinflusst. Sehr oft kommt es dadurch zu
großem Zeitdruck und Stress für Bewohner und Mitarbeiter. Bei den Mappern drängte sich der Eindruck von „Abfertigung“ auf. Eine Atmosphäre von
84
Ruhe und Gelassenheit, in der sich Genuss, Eigenaktivität und soziales
Miteinander hätten entwickeln können, konnte so kaum entstehen:
„Die Essenssituation stellte sich für uns als äußerst unruhig dar, wobei
unserer Ansicht nach viel Unruhe und Hektik von den Mitarbeitern verursacht wird. Rückfragen bei den Kolleginnen ergaben, dass das Geschirr
bis spätestens 13.00 Uhr wieder in der Küche sein muss, weil das Küchenpersonal um ... Uhr Dienstschluss hat.“
ƒ
Mangelnde berufsgruppenübergreifende Kooperation und
Koordination
Eine problematische Mahlzeitenkultur liegt nicht allein im Verantwortungsbereich einer Berufsgruppe, geschweige denn einzelner Mitarbeiter. Sie ist in
hohem Maße auf Schwächen in der Ablauf- und Personalorganisation und
auf mangelnde Absprachen zwischen den einzelnen Professionen zurückzuführen. Dadurch kann es zu Engpässen in der Versorgung kommen:
„Zu wenig Essen, - Essensausgabe nicht organisiert, - Abläufe sind unklar. Auch scheint sich die Küche nicht hinreichend auf die Bedürfnisse
und Essgewohnheiten der Bewohner einzustellen (passierte Kost), und
es gibt Probleme, die sich aus der Verzahnung von pflegerischen und
hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beim Essen ergeben.“
Wichtig ist darüber hinaus ein weitgehend professionsunabhängiger „Blick
fürs Ganze“, verbunden mit der Bereitschaft „berufsfremde“ Aufgaben zu
übernehmen. Gelingt ein solch ganzheitliches Denken und Handeln nicht,
bleiben die Interessen und Belange der demenzkranken Bewohner weitgehend unberücksichtigt:
„Die Mitarbeiterzuständigkeit der verschiedenen Berufsgruppen scheint
traditionellen Regelungen zu unterliegen: Mitarbeiter der Pflege geben
ihre Verantwortung an der Stelle ab, wo der Bewohner an seinem Platz
ist. Das Anheben des Warmhaltedeckels, der auf dem Teller liegt, gehört
nicht mehr zu ihrem Zuständigkeitsbereich. Der Bewohner muss warten,
bis Betreuungsmitarbeiter diesen abhebt. Mitarbeiter der Hauswirtschaft
ignorieren hingegen völlig, dass sich Menschen im Raum befinden.“
85
ƒ
Verlust des Blicks für den Einzelnen
Des Weiteren besteht die Gefahr einer mangelhaften Berücksichtigung individueller Fähigkeiten und Ressourcen, wenn es zu einer mehr oder weniger
unreflektierten „Abfertigung“ kommt:
„Die Verteilung der passierten Kost scheint unreflektiert zu erfolgen. Die
gleichen Bewohner, die passierte Kost essen müssen, können nachmittags unproblematisch ihren Kuchen selbständig essen.“
ƒ
Hemmendes oder störendes Milieu während der Mahlzeiten
Nicht selten schließt das räumliche Milieu von vornherein aus, dass die
Mahlzeiten in einer gemütlichen Atmosphäre stattfinden und das Essen entspannt eingenommen werden kann:
„Der Raum, in dem sich die Bewohner aufhalten und die Mahlzeiten einnehmen, ist zugig und kalt. Weiter ist der Raum sehr klein, so dass die
Bewohner an ihren Esstischen sitzen bleiben. Andere Sitzgelegenheiten
sind nicht vorhanden. Die Stühle sind größtenteils eher Sessel, so dass
das Essen für einige Teilnehmer nicht direkt auf dem Tisch stehend eingenommen werden kann; sie müssen die Teller und Schalen auf den
Schoß nehmen.“
ƒ
Fehlende Transparenz und Verantwortlichkeiten während der Mahlzeiten
Sind im Team grundsätzliche Verantwortlichkeiten, Aufgaben und Handlungsabläufe nicht hinreichend geklärt, fehlt ein überschaubarer und verlässlicher Rahmen, der Orientierung und Kontinuität für Bewohner und Mitarbeiter gleichermaßen bewirkt:
„Obwohl Frau H. mehrfach auf sich aufmerksam zu machen versuchte,
wurde sie in der allgemeinen Hektik lange übersehen. Sie hatte ihr Gebiss in die Suppe gelegt und wusste nicht mehr weiter. ... Es fehlten klare Abläufe und Absprachen, die mehr Ruhe reingebracht hätten. Keiner
wusste recht, für was er zuständig war.“
4.4.1.2 Veränderungen der Mahlzeitenkultur im Projektverlauf
So umfangreich die beobachteten Schwächen bei der Gestaltung der Mahlzeiten auch waren, so ist dies zugleich der Bereich mit der offensichtlichsten
86
und vielleicht auch konkretesten Entwicklung im Projektverlauf. Entsprechend konzentrierten sich darauf viele Überlegungen, Ideen und konkrete
Maßnahmen der Mitarbeiter:
ƒ
Personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten
Entgegen alter Gepflogenheiten nehmen einige Mitarbeiter nun an den
Mahlzeiten teil und fungieren als „Gastgeber“. Bewohnern mit Assistenzbedarf wird das Essen in sitzender Haltung, auf Augenhöhe gereicht. Dafür
schafften einige Einrichtungen eigens leicht transportable Hocker an, die
einen unauffälligen Wechsel zu den bedürftigen Bewohnern ermöglichen.
Die sitzende Begleitung durch Mitarbeiter, aber auch eine bewusst gestaltete Sitzordnung, die bestehende Sympathien und Fähigkeiten der Bewohner
berücksichtigt, tragen zu einer familiäreren Atmosphäre bei den Mahlzeiten
bei:
„Verlässliche Assistenz/Begleitung beim Essen sicherstellen: Mitarbeiter
haben ´Gastgeberfunktion`, sitzen mit am Tisch und essen möglichst
mit. Konzentration und (personelle) Kontinuität im Kontakt.“
ƒ
Orientierung an der Lebenswelt (Renormalisierung der Mahlzeiten)
Statt das Essen portioniert auf Tellern zu verteilen, ist man in einigen DCMWohngruppen dazu übergegangen, Schüsseln auf den Tisch zu stellen, so
dass sich jeder Bewohner, der dazu fähig ist, selbst bedienen kann:
„Nach angeregter Diskussion wurde beschlossen, an einem oder zwei
Tischen mit ´fitteren` Bewohnern Frühstück und Abendessen nicht mehr
portioniert auf den Tellern zu reichen, sondern so, dass sich die Bewohner selbst bedienen können.“
Auch folgende Empfehlungen wurden aufgegriffen und realisiert: „Tischdecken und Tischschmuck sollen einer wohnlichen Atmosphäre dienen“; „buntes Geschirr macht wohnlich und ist besser zu erkennen“; „bunte Haushaltsschürzen (statt ´Lätzchen`) können Alltagsnähe und Normalität verstärken.“
Die Orientierung am Vertrauten, am Alltag vor dem Einzug in das Altenpflegeheim zeigt sich auch in den folgenden zwei Maßnahmen:
- „Frühstück wie zu Hause arrangieren“;
- „Immer etwas Kaltes zum Trinken zusätzlich zum Kaffee.“
87
Der „normalen“ Situation, dass zumeist alle Anwesenden am Tisch etwas zu
sich nehmen, wurde durch die nachstehende Maßnahme Rechnung getragen: „Ein Mitarbeiter soll regelmäßig am Tisch sitzen und auch selbst Kaffee/Tee trinken.“
ƒ
Öffnung des zeitlichen Korsetts
Der Zeitkorridor für die Mahlzeiten konnte in einigen Einrichtungen nach
Absprache mit dem Küchenpersonal ausgeweitet werden:
„Die Frühstückszeiten sind flexibilisiert worden, obgleich das harte Auseinandersetzungen mit der ´Küche` bedeutete. Es kann jetzt zwischen
8.00 und 11.00 Uhr gefrühstückt werden. Dazu mussten Abläufe neu definiert und geregelt werden. Das Personal hat dadurch ein Stück Entlastung erlebt, da ´Waschzwänge` und andere ritualisierte Abläufe in Frage
gestellt wurden. Das wird als Errungenschaft für Bewohner und Mitarbeiter erlebt.“
Neben der organisatorischen Öffnung wurde auch eine personelle Ausweitung während der Mahlzeiten vorgenommen, auf deren Notwendigkeit die
Mapper hingewiesen haben: „Ausreichend Personalressourcen sicherstellen, z.B. durch flexible Dienstplangestaltung oder die Einbindung von (externen) Helfern.“
ƒ
Berufsgruppenübergreifende Kooperation und Koordination während der
Mahlzeiten
In einigen Einrichtungen konnte Hauswirtschafts- und Küchenpersonal aktiv
in die Überlegungen zur Veränderung der Mahlzeitenkultur einbezogen werden. Wo dies funktionierte, fühlten sich die Mitarbeiter aufgewertet und zeigten sich entsprechend engagiert. So lässt sich in einem Protokoll lesen:
„Der Küchenchef und die Hauswirtschaftskräfte erweisen sich als kompetent darin, den personzentrierten Ansatz mit den eigenen Arbeitsbereichen zu verbinden. Die Küche fühlt sich in der eigenen Professionalität gefordert und aufgewertet, hat Spaß daran, auf die besonderen Bedürfnisse der dementen Bewohner einzugehen. Es entwickeln sich eigenständige Gedanken, wie man Bewohner mit einbeziehen kann.“
Eine hauswirtschaftliche Mitarbeiterin berichtet: „Wir haben immer furchtbar
viel zu tun, es bleibt wenig Zeit,…aber ab und zu kann ich mal eine Bewoh-
88
nerin validieren und das freut mich dann, das möchte ich in Zukunft öfter
hinkriegen.“ Auch andere Mitarbeiter aus dem Hauswirtschafts- und Küchenbereich nehmen jetzt einzelne Bewohner „unter ihre Fittiche“ und integrieren sie bei den täglich anfallenden Arbeiten.
Umgekehrt übernehmen Pflegemitarbeiter Aufgaben des Hauswirtschaftspersonals, z.B. bei der Versorgung verspäteter Frühstücksgäste, oder bei
der Vorbereitung des Mittagessens. In einigen Einrichtungen liegt die Zubereitung von Frühstück und Abendessen nun ganz im Verantwortungsbereich
der Wohngruppen.
ƒ
Rückgewinnung des Blicks für den Einzelnen
Es wurde erkannt, dass die Auswahl des Essens und Trinkens nicht pauschal erfolgen darf. Zu individuell sind die Vorlieben und Abneigungen; zu
bedeutend ist die sinnliche und körperliche Erfahrung während der Mahlzeiten:
„Das Essen wird mit persönlicher Ansprache gereicht: Wahlmöglichkeit
gewähren, Vorlieben beachten, Ressourcen fördern.“
Die hohe Komplexität in Altenpflegesettings scheint dazu beizutragen, nur
noch Ausschnitte jedes Bewohners wahrnehmen zu können. Die Reflexionen aufgrund der DCM-Beobachtungen führten dazu, dass Selbständigkeitsbereiche von einzelnen Bewohnern wieder gesehen werden konnten:
„So kam beispielsweise die Anregung, dass einige Bewohner durchaus
in der Lage wären, allein zu essen, bzw. sich selbst ihr Essen zurecht zu
machen, Brote zu schmieren etc.“
ƒ
Förderliches Milieu während der Mahlzeiten
Im Projektverlauf wurde deutlich, wie stark sich die soziale Umgebung und
deren „Geschwindigkeit“ auf das Wohlbefinden während des Essens auswirken: Fast-Food oder Gourmet-Dinner? Nach einem Feedbackgespräch wurde festhalten, dass es förderlich sei, „eine ruhige und entspannte Atmosphäre zu schaffen“ und eine positive „Rahmung des Essens“ zu gewährleisten.
Auch anderswo sind Veränderungen spürbar:
„Die Mahlzeiten werden im Essraum eingenommen. Es läuft kein Fernseher oder das Radio. Der Raum ist hell und freundlich.“
89
ƒ
Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten
Einzelne Teams trafen Regelungen zur Strukturierung der Mahlzeiten: ein
klarer Beginn, ein klarer Abschluss z.B. durch ein gemeinsames Gebet oder
ein Lied. Dies brachte mehr Ruhe in eine bislang oft hektische Veranstaltung. Es gab Vereinbarungen, die Mahlzeitengänge in abgegrenzter Abfolge
und von möglichst immer den gleichen Personen anzubieten:
„Den Ablauf der Mahlzeiten klar regeln: Die Mahlzeitengänge nacheinander servieren; Nachtisch kommt erst auf den Tisch, wenn die Bewohner ihre Hauptmahlzeit beendet haben; Medikamente werden erst zum
Nachtisch gereicht.“
4.4.1.3 Positive Ereignisse während der Mahlzeiten
Während der DCM-Beobachtungen werden auch so genannte positive Ereignisse (PEs) notiert (siehe dazu Kap. 2.2). Dabei sollen besonders gelungene Ereignisse der Beziehungsgestaltung zwischen einem Mitarbeiter und
einer Person mit Demenz beschrieben werden. PEs enthalten somit wichtige
Informationen für das Team, sie spiegeln die eigenen Ressourcen wider.
Anders als bei den personalen Detraktionen (PDs), die ein Verhalten oder
Handlungen charakterisieren, die das Personsein von Menschen mit Demenz untergraben, sind für die Aufzeichnung der PEs keine Kategorien festgelegt. Allerdings gibt das DCM-Verfahren einen Rahmen dafür vor, was als
positives Ereignis zu verstehen ist. Demnach sind solche Episoden guter
Pflegepraxis als PEs auszuweisen, die z.B. dem Menschen mit Demenz
eine positive Selbstwahrnehmung ermöglichen oder die ein bisher unerkanntes Potenzial erkennen lassen.37 Die Aufzeichnung der PEs im Projekt folgt
dieser Fokussierung auf die Qualität der Beziehungsgestaltung nicht immer.
Die Mapper in diesem Projekt bestimmten oftmals aufgrund ihrer eigenen
Wahrnehmung und Wertungen, was ein positives Ereignis ist, und hielten
sich nur zum Teil an die Vorgaben. So dokumentierten sie z.B. auch positive
Entwicklungen bei den organisatorischen Abläufen als PEs. Das heißt, im
Projekt geben PEs verschiedene Entwicklungen wieder, die auch eine passendere Milieugestaltung oder eine bessere Versorgung der Bewohner
betreffen, z.B. wenn berichtet wird, dass regelmäßig Getränke gereicht werden.
37
90
vgl. Bradford Dementia Group (1997).
Die folgende Analyse bezieht sich auf die „Definition“ von PEs, wie sie von
den Mappern im Projekt vorgenommen wurde. Insgesamt lagen 120 Mappingberichte zur Auswertung vor. Es ließen sich 537 Situationen identifizieren, die von den Mappern in der dreijährigen Projektlaufzeit als positive Ereignisse dokumentiert worden waren (siehe dazu auch Kap. 5.2.4). Davon
bezogen sich 29 auf die Mahlzeitenkultur (dies entspricht ca. 5% aller PEs).
ƒ
Selbsttätigkeit und Autonomie im Kontext der Mahlzeiten
In 15 Berichten über positive Ereignisse wurden Situationen aufgezeigt, in
denen sich die Menschen mit Demenz selbsttätig und autonom während der
Mahlzeiten empfinden konnten. Die Beobachter stellten dabei unterschiedliche Aspekte als bedeutsam für die Förderung der Selbsttätigkeit und Autonomie im Kontext der Mahlzeiten heraus.
Zunächst ist ein ausreichender zeitlicher Rahmen für die Mahlzeiten wichtig:
-
„viel Zeit für selbständiges Frühstück“;
-
„benötigte Zeit wurde beim Essen eingeräumt“;
-
„Zeit beim Essenanleiten“.
Des Weiteren bedürfen die Mitarbeiter einer entsprechenden Haltung, die
dem selbständigen Essen und Trinken einen hohen Wert beimisst:
-
„Bewohner erhält die Möglichkeit, selbständig zu essen“;
-
„selbständiges Essen wurde trotz Schwierigkeiten gewährt“;
-
„Bewohner werden gefördert bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens
(z.B. Kaffee einschütten; Abendbrot schmieren)“.
Darüber hinaus entscheidet die Art und Weise, wie der Kontakt zwischen
dem Bewohner und dem Mitarbeiter während der Mahlzeiten gestaltet ist,
mit über die Motivation des Bewohners:
-
„liebevolle und geduldige Motivation zur selbständigen Nahrungsaufnahme“;
-
„liebevolles Anreichen des Essens mit stetiger Anleitung zum selbständigen Essen“;
-
„aktivierende Anleitung beim Essen“;
-
„Trinkanreiz durch Zurufen von Trinkspruch: Mitarbeiter streichelt einer
Bewohnerin liebevoll lange die Hand“.
91
Und schließlich müssen die Bewohner auch bei den Mahlzeiten so unterstützt werden, dass sie in die Lage versetzt werden, etwas zu tun, was sie
ansonsten nicht tun könnten:
-
„Bewohner erhält Mithilfe und Anleitung beim Essen, später dann selbständig“;
-
„Anbieten von Hilfsmitteln zum leichteren Essen“;
-
„blindem Bewohner wird erklärt, wo der Teller steht und was es zum
Frühstück gibt“.
ƒ
Gestaltung der Mahlzeiten
Zwei weitere positive Ereignisse bezogen sich auf die Gestaltung der Mahlzeiten. So wurde in einem Bericht betont, dass das Mittagessen und auch
die passierte Kost appetitlich angerichtet waren. Ein positives Ereignis war
auch die „Rahmung des Mittagessens“.
ƒ
Häufigkeit des Getränkeangebots und der Zwischenmahlzeiten
Die Versorgung der Bewohner mit Getränken und Zwischenmahlzeiten wurde insgesamt zwölfmal als positives Ereignis bewertet. Dabei zeigten sich
die Attribute „häufig“ und „immer wieder“ als dominant:
-
„häufiges Angebot von Getränken“;
-
„stetiges Getränkeangebot“;
-
„immer wieder Obst-, Getränke und Snacks-Angebot“;
-
„immer wieder Angebot von Saft und Tee“;
-
„immer wieder Aufforderung zum Trinken“;
-
„häufiges Angebot von Getränken und Zwischenmahlzeiten“.
Interpretation
Die Analyseergebnisse der Berichte über positive Ereignisse lassen kein
generelles Bild der Projekteinrichtungen entstehen, denn es ist anzunehmen, dass nicht alle positiven Ereignisse wahrgenommen oder dokumentiert
wurden. Darüber hinaus haben die Mapper - wie bereits erwähnt - Situationen als positive Ereignisse klassifiziert, die im DCM-Verfahren nicht als solche zu benennen sind. Daher wird an dieser Stelle keine direkte Interpretation der PEs vorgenommen, sondern eine Interpretation dessen, was die
92
Mapper als positiv herausstellen wollten. Denn gerade die Auswahl und
Kennzeichnung dieser speziellen Situationen als positiv lässt Rückschlüsse
auf die Sensitivitäten der Mapper zu, die wiederum durch die bestehende
Pflegekultur mitgeprägt wurden. Die beschriebenen positiven Situationen
können quasi als Blaupause, als indirekter Hinweis auf die derzeitige Pflegekultur verstanden werden. Beispielsweise zeigt das Benennen des häufigen Getränkeangebots deutlich, dass dies etwas Besonderes ist, etwas, das
es hervorzuheben gilt. Zusammenfassend kann bezüglich der Mahlzeitenkultur auf gemeinsame Grundannahmen aller Mapper geschlossen werden:
Zum einen besteht eine zu geringe Fokussierung auf die Selbsttätigkeit und
Autonomie von Menschen mit Demenz während der Mahlzeiten und zum
anderen ist die Versorgung mit Getränken und Zwischenmahlzeiten defizitär.
Vor diesem Hintergrund wurden die oben benannten Situationen als positiv
bewertet, obwohl sie eigentlich als etwas Selbstverständliches angesehen
werden müssten.
4.4.1.4 Statistische Analyse der DCM-Daten bezogen auf die Mahlzeiten
Wie in Kapitel 2.2 dargelegt, wird beim DCM-Verfahren das Verhalten von
Menschen mit Demenz 24 verschiedenen Kategorien zugeordnet. Kodiert
wird in 5-Minuten-Takten. Die Kategorie F=Food bezieht sich explizit auf das
Essen und Trinken. In der nachstehenden Graphik wird anhand des Kurvenverlaufs deutlich, welchen prozentualen Anteil das Verhalten F (Essen und
Trinken) bei den Mappings im Verhältnis zu den restlichen 23 Kategorien
hatte.
Im Verlauf des dreijährigen Projekts wurde zu elf verschiedenen Zeitpunkten
in zwölf Einrichtungen beobachtet. Der Anteil, den die Kategorie F (Essen
und Trinken) dabei am Gesamtverhalten hatte, schwankt zwischen 18,2%
(Mapping 2) und 24,3% (Mapping 4). Der durchschnittliche Anteil liegt bei
21,1%. Der Kurvenverlauf zeigt keine auffällige Veränderung der Anteile von
F (Essen und Trinken) im Verlauf des Projekts.
93
F = Food (Essen und Trinken)
30,0
25,0
Anteil in %
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Auffallend ist der hohe Anteil, den die Kategorie F während des Tages einnimmt. Die Bewohner der Projekteinrichtungen beschäftigen sich etwa ein
Viertel der Tageszeit mit Essen und Trinken. Bei der Interpretation der Häufigkeit der Kategorie F müssen die Kodierungsregeln 1 und 2 mit bedacht
werden (siehe Kap. 2.2). Zum einen hat F als Typ 1-Kategorie Vorrang, zum
anderen wird in einem fünfminütigen Zeitabschnitt auch dann F kodiert,
wenn nur sehr kurz gegessen oder getrunken wurde, in der übrigen Zeit
dieses Zeitabschnitts aber keine andere Typ 1-Kategorie beobachtet wurde,
die mehr Zeit beansprucht hätte. Die Häufigkeit der Kategorie F sagt demnach entweder aus, dass im ganzen fünfminütigen Zeitabschnitt gegessen
oder getrunken wurde, oder dass keine andere zeitlich umfangreichere Typ
1-Kategorie vorkam.
In einer weiteren Berechnung wurde die Veränderung des Wohlbefindens
während des Essen und Trinkens im Projektverlauf überprüft. Wie in Kapitel
2.2 beschrieben, wird beim DCM-Verfahren gleichzeitig mit dem Kodieren
der Verhaltenskategorien alle fünf Minuten auch das relative Wohlbefinden
von Menschen mit Demenz kodiert. In der nachstehenden Graphik wird
deutlich, wie sich das durchschnittliche Wohlbefinden während des Essens
und Trinkens im Verlauf über die elf Beobachtungszeitpunkte hinweg veränderte:
94
So wurde für alle beobachteten Bewohner beispielsweise zum Zeitpunkt 1
ein durchschnittliches Wohlbefinden von 1,22, zum Zeitpunkt 6 von 1,06 und
zum Zeitpunkt 11 von 1,71 während des Essen und Trinkens ermittelt. Die
Kurve zeigt eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens ab dem siebten
Erhebungszeitpunkt, demnach etwa nach der Hälfte des Projektverlaufs.
Diese Entwicklung, die mit dem sechsten Mapping beginnt, ist statistisch
signifikant, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird:
Variable
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
Signifikanzniveau (p)
ØWIB/F
>= 6,00
358
1,4478
0,63217
< 6,00
0,000
294
1,1551
0,53271
38
Die Tabelle gibt an, welches durchschnittliche Wohlbefinden (arithmetischer
Mittelwert, AM) die Bewohner vor und nach dem sechsten Mapping (Zeitpunkt) beim Essen und Trinken (F) zeigten. So betrug das Wohlbefinden vor
dem sechsten Mapping 1,1551 und danach 1,4478. Die Standardabweichung (SD) ist das Maß für die Streuung der Werte einer Variablen um die38
N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser
Berechnung wurden die Ergebnisse für F (Essen und Trinken) von 294 Personen vor dem
sechsten Mapping mit 358 Personen ab dem sechsten Mapping verglichen.
95
sen Mittelwert (hier: ~0,53 bzw. ~0,63). Die Veränderung zeigt sich statistisch signifikant39 auf einem Signifikanzniveau (p) von 0,000. Demnach kann
eine zufällige Veränderung sicher ausgeschlossen werden.
Interpretation
Die aufgetretenen Schwankungen der Anteile von F (Essen und Trinken) am
Gesamtverhalten können unterschiedliche Ursachen haben, wie z.B.:
ƒ
Die Beobachtungen fanden unterschiedlich lange statt, so dass an manchen Zeitpunkten beispielsweise das Abendessen nicht mehr beobachtet wurde.
ƒ
Es wurden verschiedene Bewohner beobachtet, deren Ess- und Trinkverhalten sich unterschieden hat.
Die allgemein hohen Anteile von F (Essen und Trinken) am Gesamtverhalten sagen zunächst noch nichts über die Bedeutung dieser Verhaltenskategorie für die Bewohner aus. Einerseits könnten diese Ergebnisse ein Beleg
dafür sein, dass die Chance besteht, Essen und Trinken zu einer Quelle des
Wohlbefindens für Menschen mit Demenz werden zu lassen. Andererseits
wäre es aber auch möglich, dass die beobachtete Häufigkeit der Kategorie F
Kennzeichen einer totalen Institution ist, die die Essenszeiten zur eigenen
Strukturierung braucht.
Welchen Stellenwert Essen und Trinken für Menschen mit Demenz hat,
kann anhand der WIB-Werte erfasst werden. Die Untersuchung dieses Aspekts zeigte, dass sich das durchschnittliche Wohlbefinden im Verlauf des
Projekts nach dem sechsten Mapping statistisch signifikant erhöht hat. Die
Ursachen für diese erfreuliche Entwicklung sind im beschriebenen Wandel
der Mahlzeitenkultur zu finden, der im Verlauf des Projektes stattgefunden
hat.
Ganz allgemein ist zur Veränderung der Mahlzeitenkultur in Einrichtungen
die Beobachtung der Mahlzeiten zu empfehlen, um so auf Defizite und Res39
96
Signifikanz: Begriff aus der Statistik, mit dem die Sicherheit einer statistischen Aussage
charakterisiert wird. Eine Veränderung ist dann statistisch signifikant, wenn rechnerisch
ausgeschlossen werden kann, dass sie auf einem Zufall beruht. Das bedeutet, dass nicht
nachgewiesen wird, wie wahrscheinlich etwas ist, sondern wie stark ein Zufall ausgeschlossen werden kann. Ein Signifikanzniveau von 0,01 schließt zu 99% aus, dass die Ergebnisse
aus einem Zufall resultieren. In diesem Bericht wird ein Signifikanzniveau von 0,05 (= 95%)
verwandt.
sourcen aufmerksam zu werden. Auf dieser Basis sollte ein Konzept erarbeitet werden, das die Verantwortlichkeiten regelt und zugleich bewohnerzentrierte Standards für Gestaltung, Ablauf und Rahmen festlegt. Dies sollte
unter Einbindung von Mitarbeitern aus allen betroffenen Abteilungen erfolgen. Ein solches hausinternes „Projekt“ könnte Katalysator für weitergehende Veränderungsprozesse in der Einrichtung sein. Einen Überblick über die
Kriterien, welche zur Beobachtung der Mahlzeitensituationen herangezogen
werden könnten, liefert die folgende Tabelle:
Kriterien zur Beobachtung der jeweiligen Mahlzeitenkultur
n Personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten
o Orientierung an der Lebenswelt (Renormalisierung der Mahlzeiten)
p Öffnung des zeitlichen Korsetts
q Berufsgruppenübergreifende Kooperation und Koordination während der Mahlzeiten
r Rückgewinnung des Blicks für den Einzelnen
s Förderliches Milieu während der Mahlzeiten
t Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten
4.4.2
Lebensbereich „Soziale Betreuung“
4.4.2.1 Defizite in der sozialen Betreuung zu Projektbeginn
Durch das DCM-Verfahren entsteht ein Fremdblick auf die bestehende
Betreuungskultur. Diese umfasst sowohl die Interaktion zwischen den Menschen mit und ohne Demenz, als auch die Beschäftigungsangebote, welche
die Interaktionen einrahmen. Ausgelöst durch stetig kritische Rückmeldungen über nicht hinreichend personzentrierte Kontakt- und Betreuungsangebote, wurde auch der Lebensbereich „Soziale Betreuung“ ein intensives Feld
von Diskussionen, Auseinandersetzungen und Planungen in diesem Projekt.
Zu Projektbeginn gab es Einrichtungen, in denen Beschäftigungsangebote
noch weitgehend abgetrennt vom „Stationsalltag“ stattfanden, sozusagen als
„Sonderprogramme“. Die Verantwortung für deren Gestaltung wurde meist
Ergotherapeuten, Praktikanten/Zivildienstleistenden oder externen Betreu-
97
ungskräften, wie z.B. Referenten oder Ehrenamtlichen, übertragen. Die unterschiedlichen Settings brachten ihre jeweils eigenen Probleme mit sich.
Einerseits galten die Ergotherapeuten bei den Pflegemitarbeitern als „Experten“ in Sachen Therapie und Beschäftigung, andererseits hatten diese zu
Projektbeginn jedoch nicht immer hinreichend Wissen über angemessene
Beschäftigungsformen für Personen mit Demenz. Die „externen“ Mitarbeiter
für Beschäftigung brachten in der Regel gar keine Erfahrungen im Umgang
mit demenzkranken Bewohnern mit. Darüber hinaus fiel es in den Einrichtungen mit einer tradierten Aufgabenteilung zwischen Pflege und Betreuung
den Pflegekräften grundsätzlich schwerer, Mitverantwortung für soziale
Betreuung zu übernehmen, sich entsprechend einbinden zu lassen und eine
personzentrierte Pflegehaltung zu verinnerlichen. Soziale Betreuung gehörte
ihrem beruflichen Selbstverständnis nach nicht zu ihrem Aufgabenbereich.
Auch wenn sich die Einrichtungen und die mit Betreuungsaufgaben befassten Mitarbeiter - insbesondere während der DCM-Beobachtungen - große
Mühe gaben, ein vielfältiges und umfangreiches Angebot zu realisieren,
konnten diese Anstrengungen nicht über Schwachstellen im Hinblick auf
Umfang und Angemessenheit der Beschäftigungsangebote hinwegtäuschen.
Zu den typischen Problemen in der Anfangsphase des Projektes gehörte,
dass
ƒ
Bewohner über lange Strecken sich selbst überlassen waren,
ƒ
sehr ruhige Bewohner schnell „übersehen“ wurden und keinerlei Aufmerksamkeit durch die Mitarbeiter erfuhren,
ƒ
Fernsehsendungen zufällig gewählt waren oder als „Dauerberieselung“
dargeboten wurden,
ƒ
das Musikprogramm eher an den Bedürfnissen der Mitarbeiter als an
denen der Bewohner ausgerichtet war,
ƒ
Spiele und Vorlesetexte oft zu kompliziert oder zu umfangreich waren
und den Bewohnern eher Stress als Spaß bereiteten.
Es mangelte insgesamt an Angeboten, die die Bewohner tatsächlich „erreichten“, die situativ gestaltet und entsprechend in den Alltag integriert werden konnten.
98
Die Problematik der sozialen Betreuung von Menschen mit Demenz in Einrichtungen wird im Folgenden an Protokollauszügen beispielhaft verdeutlicht.
ƒ
Fehlendes offenes Angebot
Auch wenn die Verwirklichung einer stetigen Präsenz bei der Betreuung von
Menschen mit Demenz angestrebt wird, können immer wieder Zeiträume
entstehen, in denen es keine Begleitung gibt. Sollte zudem kein offenes
Angebot (z.B. greifbare Zeitungen, Kataloge oder sinnliches Material, wie
Stoffe, Kuscheltiere) in dieser Zeit vorhanden sein, wirkt dies verstärkt negativ auf Menschen mit Demenz:
„Während der Mitarbeiterbesprechung waren die Bewohner über eine ¾
Stunde alleine und ohne Kontakt. Sie hatten nichts, womit sie sich beschäftigen konnten. Ein Buch, mit Bildern, eine Zeitschrift oder etwas zu
spielen wäre sinnvoll.“
ƒ
Fehlende Berücksichtigung der ruhigen Bewohner
Tom Kitwood weist darauf hin, dass oft diejenigen Menschen mit Demenz
am wenigsten bekommen, die am meisten brauchen.40 Sehr deutlich wird
dies anhand der folgenden Protokollauszüge:
„Einige Bewohner sind sehr still und sie können schwer selbständig Kontakt aufnehmen bzw. so für sich sorgen, dass sie die nötige Zuwendung
bekommen. Hier sollte man immer wieder genau hinschauen und dafür
Sorge tragen, dass man entsprechende Bedürfnisse erspürt und diesen
Menschen positive Reize von außen zuführt und ihnen schöne Erlebnisse bereitet, wenn möglich mehrmals über den Tag verteilt.“
„Bei den Gruppenaktivitäten kommen nur die sozial aktiven, in der Regel
mittelschwer dementen Menschen zum Zuge. Besonders ruhige und
schwer demenzkranke Bewohner könnten von gezielten Kontakten profitieren.“
ƒ
Verengte Sichtweise
Zu Anfang des Projekts war der Blick vieler Mitarbeiter noch nicht geöffnet
für die Möglichkeiten und Chancen verschiedenster Angebote, die insbe40
vgl. Kitwood, T. (2000).
99
sondere dazu beitragen können, dass sich Menschen mit Demenz selbst
spüren können:
„Es gibt einige Beschäftigungsideen, aber es fehlen grundlegende Ideen
für kreative Impulse im Erfahrungsfeld Körpererfahrung, Wahrnehmung,
gemeinsames Tun, Bewegung, Entspannung etc. Ideen zur Beschäftigung im Einzelkontakt sind nur in Ansätzen vorhanden.“)
„Aktivitäten wie Spielen, Werken, aber auch Arbeit und Auseinandersetzung mit sinnenhaft anregendem Material kommt nicht, oder nur selten
vor. Die Arbeit mit den Sinnen, mit Bewegung, mit Objekten zum Betasten sollte weiter entwickelt werden. Die Bandbreite von Tätigkeiten und
Kontakte gilt es zu weiten.“
ƒ
Pauschale und unreflektierte Angebote
Alle Angebote für Menschen mit Demenz bedürfen eines individuellen Zuschnitts. In der Anfangsphase des Projekts wurden häufig pauschale und
darüber hinaus unreflektierte Angebote gemacht, die nicht nur an den Bedürfnissen der Menschen mit Demenz vorbei gingen, sondern zusätzlich
einen potenziell negativen Einfluss hatten:
„Um 14.15 Uhr wurde, ohne das Einverständnis der Bewohner einzuholen, der Fernseher angestellt. In dieser Zeit lief der Kriegsbericht über
den Irak. Es wurden erschreckende Bilder gezeigt, man hörte Sirenen
und Schussgeräusche. Vielleicht sollte man bedenken, dass alte Menschen alle den Krieg, Not, Leid erlebten. Wir meinen, dass man besonders demente Bewohner in dieser Zeit des Krieges nicht allein vor dem
Fernseher sitzen lassen darf.“
„Das Fernsehprogramm am Vormittag erschien zufällig gewählt, es
könnte sogar unangemessen erscheinen, denn in der gezeigten Talkshow wird u.a. über Sexualität und Brustvergrößerungen bei Frauen gesprochen.“
„Die Mitarbeiterin begann die Runde mit dem Vorlesen aus der Tageszeitung, sie las einen Reisebericht und anschließend einen Artikel über
Recyclingverfahren vor. Im Folgenden wurden Todesanzeigen und die
Wettervorhersage verlesen. Ein großer Teil der anwesenden Bewohner
schlief während dieser Zeit ein.“
100
ƒ
Fehlendes Wissen und fehlende Fertigkeiten
Wie erwähnt, ist die Betreuung von Menschen mit Demenz nach Kitwood
eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die unsere Gesellschaft zu vergeben
hat.41 Diesem Anspruch wurden zu Anfang nur wenige Einrichtungen gerecht, da häufig Mitarbeiter ohne entsprechendes Wissen und entsprechende Fertigkeiten die soziale Betreuung übernahmen:
„Die Betreuung entspricht nicht den Anforderungen einer Demenzgruppe. Die Mitarbeiter (BSHG-Kräfte und eine FSJlerin), die dauerhaft anwesend sind, haben keine angemessene Qualifikation und keine ausreichenden Informationen.“
„Später kam eine Praktikantin, die im Umgang mit Demenzkranken augenscheinlich keine Erfahrungen hatte und mit der Situation völlig überfordert war.“
ƒ
Überfordernde Abfolge der Angebote
Beschäftigungsangebote müssen inhaltlich („was“) und in der Form („wie“)
auf die konkreten Bedürfnisse der Menschen mit Demenz abgestimmt sein.
Das folgende Beispiel zeigt deutlich, dass eine gut gemeinte lückenlose
Aneinanderreihung von Angeboten Menschen mit Demenz eher überfordert
und das normale Bedürfnis nach Ruhe aus dem Blick geraten kann:
„Im Anschluss an die Zeitungsrunde wurde gesungen und danach fand
ein Tanz im Sitzen statt. Dann wurde mit einem großen Gymnastikball
´Fußball` gespielt, im direkten Anschluss folgte wieder ein Sitztanz."
4.4.2.2 Veränderungen in der sozialen Betreuung im Projektverlauf
Im Verlauf der Projektarbeit führten Diskussionen, Reflexionen und Maßnahmeplanungen zu einer neuen Sensibilität hinsichtlich der Bedeutung von
sozialer Betreuung. Es entstanden vielfältige Veränderungen auf unterschiedlichen Ebenen der sozialen Betreuung, die nun skizziert werden:
ƒ
„Weniger ist manchmal mehr“
Viele Mitarbeiter entwickelten ein neues Bewusstsein dafür, dass nicht das
„große Programm“ an sich zählt, sondern erst eine passgenaue Ausrichtung
41
vgl. Kitwood, T. (2000).
101
auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Bewohner Betreuungsqualität garantiert:
„Zusammenfassend fiel auf, dass kein großes Programm zum Wohlbefinden der Bewohner beitrug, sondern viele kleine Interaktionen
- Ansprache, Singen, Bücher reichen, Basale Stimulation. Mitarbeiter
strichen Bewohnern über Arme, Schulter. Normaler Umgang mit den
Bewohnern, keine übertriebene Freundlichkeit.“
Nach der Devise „Weniger ist manchmal mehr – Hauptsache, ich erreiche
die Bewohner“ entschied sich eine Einrichtung, das zweite große „Unterhaltungsangebot“ des Tages abzusagen zugunsten kleiner Gruppen. Dadurch
wurden Gespräche, gemeinsames Singen, Erzählrunden etc. unter Begleitung eines Mitarbeiters und in wechselnder Verantwortung möglich. Die Mitarbeiter sammelten Erfahrungen dahingehend, dass es anstelle von großen
Runden sinnvoller ist, sich zu einem Bewohner zu setzen, ihm die Hand zu
halten, gemeinsam ein Buch anzuschauen oder die Katze zu betrachten,
einen kurzen Spaziergang zu machen oder ihn in die täglich anfallenden
Arbeit einzubeziehen.
ƒ
Reflektierte Angebote mit individuellem Bezug
Die neue Sensibilität bei der Planung von Betreuungsangeboten zeigte sich
z.B. auch in einer sorgsameren Auswahl von Musik- und Filmprogrammen.
So wurden Videogeräte und -kassetten angeschafft, um die Angebote gezielter präsentieren zu können. Ein Team investierte in eine FernsehProgrammzeitschrift, um die Programme vorausschauend auszuwählen.
ƒ
Personzentrierte Haltung
Insgesamt nahmen zum Projektende mehr Mitarbeiter eine personzentrierte
Haltung ein, die sowohl Raum für „aktives Mitmachen“ als auch Toleranz
gegenüber denjenigen, die sich Gruppenaktivitäten verweigerten, zuließ:
„Der Beobachtungstag ist geprägt von Präsenz der Betreuenden, die die
vielfältigen Bedürfnisse der Bewohner wahrnehmen. Die Kontakte zu
den Bewohnern werden überwiegend personzentriert gestaltet. Auf die
Bedürfnisse der Bewohner wird immer wieder zugewandt eingegangen.
Zum Beispiel äußert eine Bewohnerin ihren Unwillen zum Mitmachen.
Nachdem der Betreuer sich zu ihr gesetzt hat, ihre Hand hält und ein
102
paar freundliche Wort mit ihr gewechselt hat, ist auch sie motiviert zum
Mitmachen.“
Allgemein zeichnete sich gegen Projektende die Tendenz ab, die soziale
Betreuung zum integrierten Bestandteil der Alltagsgestaltung zu machen –
einem Alltag, in dem für die Bewohner sinnentleerte Angebote keinen Platz
mehr haben:
„Die Anerkennung und Wertschätzung der Betreuenden bestärken die
Bewohner in ihrer Freude/Wohlbefinden; es wird viel zusammen gelacht
und geredet. Sehr positiv fallen die guten Ideen zur Beschäftigung und
zur Einbeziehung der Bewohner auf. Auch auf die ruhigeren Personen
wird personfördernd eingegangen. Die Betreuungssituation hat sich annähernd zur ´neuen Pflegekultur` entwickelt, die den personzentrierten
Ansatz als Grundlage der gerontopsychiatrischen Pflege verinnerlicht
hat.“
„Der Kontakt zu den Personen wirkt immer freundlich, angemessen, zuvorkommend, höflich, respektvoll. Es gibt eine Reihe unspektakulärer
positiver Ereignisse und eine spürbare Sicherheit im Umgang mit den
demenzkranken Bewohnern. Insgesamt wirkt das Team ruhig, zugewandt, ´weich`: es werden keine harten Grenzen gesetzt, es wird nicht
insistiert, es gibt keine eisernen Prinzipien, kein aufgeregtes, hysterisch
anmutendes Getue. Der Tag wirkt auf den Beobachter wie ein Fluss, in
dem das eine sanft ins andere gleitet. Insgesamt kann die Betreuung der
Bewohner als gut bis sehr gut bezeichnet werden.“
Verbunden war diese Haltung mit der Erkenntnis, dass die besten Ideen und
Angebote bedeutungslos sind, wenn sie nicht zum Wohlbefinden der Bewohner beitragen.
Die in den Protokollen immer wieder zur Sprache kommenden Empfehlungen zur Verbesserung der sozialen Betreuung sind insbesondere:
103
Empfehlungen zur Entwicklung der sozialen Betreuung:
ƒ Bewusste und gezielte Kontaktaufnahme in Alltagssituationen („Bienchendienste“);
ƒ besonderes Augenmerk richten auf die „stillen“ Bewohner; Wünsche und Bedürfnisse erforschen und „erfühlen“;
ƒ Sofaecke/Rückzugsräume schaffen zur Förderung der Kommunikation untereinander;
ƒ Beschäftigungsmaterial auslegen: Zeitschriften, Bücher, Postkarten, Materialien
aus Stoff, Holz, Plüsch, Samt, Leder etc.;
ƒ individuelle Angebote in Anlehnung an Biographie;
ƒ Bewegungsangebote;
ƒ Themenecken einrichten bzw. Themenkisten anschaffen;
ƒ gezieltes Einbeziehen in Alltagsaktivitäten (Tisch decken, Wäsche legen etc.);
ƒ Nachtcafé für spätaktive Bewohner;
ƒ Videorekorder und Videokassetten für gezielte Angebote;
ƒ Musik gezielt als atmosphärisches Element und zur Tagesstrukturierung einsetzen;
ƒ „dosierte“ und auf Fähigkeiten der Bewohner abgestimmte Angebote;
ƒ Beschäftigung mit biographischen Daten;
ƒ Schulung in Basaler Stimulation, Kinästhetik.
4.4.2.3 Positive Ereignisse im Rahmen der Betreuungskultur
Von den insgesamt 537 Situationen, die die Mapper im Projektverlauf als
positive Ereignisse (PEs) identifizierten, ließen sich 55% der Betreuungskultur zuordnen. Diese 298 PEs wurden verschiedenen Unterkategorien zugeordnet, die nachfolgend dargestellt und beispielhaft anhand von Zitaten aus
Berichten über positive Ereignisse beschrieben werden:
104
Betreuungskultur
ƒ
298
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Allgemeine Beziehungsarbeit
Bedürfnisorientiertes Handeln
Wahrnehmung von Bedürfnissen
Körperbezogene Beziehungsarbeit
Wertschätzung
Bienchendienste
Validation
Interaktionsstil
Anerkennung
Personzentriertheit
Biographiearbeit
20
39
21
22
32
24
20
18
14
14
10
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Motivation
Facilitation/Erleichterung
Care
Sensibilität
Allgemeine Freundlichkeit
Abwesenheit von personalen Detraktionen
Konfliktinterventionen
Miteinbeziehen
Beziehungsunterstützung: Bewohner - Bewohner
Non-verbale Kommunikation
Flirten
Vertrautheit
Geborgenheit
9
6
9
4
4
11
6
4
2
3
2
2
2
Allgemeine Beziehungsarbeit
Unter allgemeiner Beziehungsarbeit wurden PEs zusammengefasst, die
allgemeine positive Situationen widerspiegeln (20-mal). So wurde während
eines Mappings beispielsweise der „Kontakt des Teams zu den Bewohnern
als liebevoll, körpernah, aufmerksam und natürlich“ beschrieben und ein
anderes Mal ein „guter persönlicher Zugang“ gesehen.
ƒ
Bedürfnisorientiertes Handeln
Sehr häufig wurde auch ein bedürfnisorientiertes Handeln der Mitarbeiter
(39-mal) als positives Ereignis geschildert. Die Bewohner bekamen dabei
105
z.B. „viel Zeit zum Essen“, einer Bewohnerin wurde die „vergessene Handtasche besorgt“ oder es konnten insgesamt „viele unterschiedliche Wünsche
während des Frühstücks erfüllt werden“.
Wahrnehmung von Bedürfnissen
ƒ
Auch die Wahrnehmung von Bedürfnissen wurde oft als positives Ereignis
gedeutet (21-mal), wie die folgenden zwei Beispiele belegen:
-
„zittrig und sich schwach fühlende Bewohnerin wird schnell bemerkt“;
-
„aufmerksames Beobachten und Erkennen von Bedürfnissen“.
Körperbezogene Beziehungsarbeit
ƒ
Eine eher körperbezogene Beziehungsarbeit wurde insgesamt 22-mal als
positiv zurückgemeldet. Darunter finden sich Situationen, in denen „auf
Wunsch herzlicher Körperkontakt dem Bewohner“ zuteil wurde oder dem
Team bescheinigt wurde, dass es eine „ausgeprägte Fähigkeit zum nonverbalen und körperlichen Kontakt“ besitzt.
Wertschätzung
ƒ
Sehr häufig wurde auch das wertschätzende Handeln (32-mal) der Mitarbeiter herausgestellt, z.B.:
-
„dass Bewohner die Spülmaschine ausräumt, wird gelobt und bestätigt“;
-
„Kontakt ist zugewandt und wertschätzend“.
ƒ
Bienchendienste und Validation
Als eine besonders gelungene Form der Beziehungsgestaltung fanden auch
die so genannten Bienchendienste (24-mal) Erwähnung, die für häufige kurze Kontakte stehen, bei denen die Menschen mit Demenz stimuliert werden.
20-mal werteten die Mapper ein validierendes Verhalten als positives Ereignis. Darunter ist z.B. eine Situation, in der ein „Bewohner nach seiner Tochter ruft und daraufhin ein Telefonat mit ihr ermöglicht wird“.
ƒ
Interaktionsstil und Anerkennung
Auch im Hinblick auf den Interaktionsstil (18-mal) konnten vielfältige Situationen als positiv zurückgemeldet werden: „Umgang miteinander in familiärem
Ton“ und „Mitarbeiter haben oft passende Redewendungen parat“. Situatio-
106
nen, in denen „ die Bewohner herzlich und persönlich begrüßt“ werden, oder
das „geduldige und erklärende Anreichen der Medikamente“ wurden als
Momente der Anerkennung (14-mal) gedeutet.
ƒ
Personzentriertheit und Biographiearbeit
Eine Personzentriertheit (14-mal), wie es dem Ansatz von Kitwood entspricht, wurde in folgenden beispielhaften Formulierungen deutlich: „unbeachteter Bewohner erfährt auf liebevolle Weise Zuwendung“ und „hohe Kontaktbereitschaft, sehr personenzugewandt“. Insgesamt 10-mal wurde Biographiearbeit als positives Ereignis erkannt:
-
„Bewohnerin wird persönliches Bilderbuch angeboten und gemeinsam
angesehen“;
-
„sehr positives Gespräch mit Bewohner über seinen Beruf“.
ƒ
Motivation und Facilitation/Erleichterung
Die Motivation (9-mal) der Bewohner erfolgte in unterschiedlichen Bereichen. Beispielhaft stehen dafür folgende zwei PEs: „liebevolle und geduldige
Motivation zur selbständigen Nahrungsaufnahme“ und „immer wieder
freundliche Aktivierung zum Mitmachen“. Auch die Facilitation/Erleichterung
fand 6-mal als positives Ereignis Erwähnung. Damit ist ein unterstützendes
Verhalten gemeint, das dem Menschen mit Demenz ein Handeln erleichtert,
zu dem er sonst nicht mehr fähig wäre.
ƒ
Care, Sensibilität und allgemeine Freundlichkeit
Situationen, in denen die Mitarbeiter körperbezogen intervenierten, wurden
in der Kategorie Care (9-mal) zusammengefasst. Darin finden sich z.B. folgende Beispiele: „das Aufwärmen von kalten Füßen“ oder „Schmerzen im
Knie, die direkt wahrgenommen und mit Kühlkissen bedacht wurden“. Eine
allgemeine Sensibilität (4-mal) der Mitarbeiter wurde in Notizen wie z.B.
„behutsamer Umgang“ deutlich. Eher generelle Eindrücke zeigten sich auch
in anderen positiven Ereignissen, die mit allgemeiner Freundlichkeit (4-mal)
umschrieben wurden.
ƒ
Abwesenheit von personalen Detraktionen
Auch die Abwesenheit von personalen Detraktionen (11-mal) wurde als positives Ereignis gedeutet. Beispiele hierfür sind:
107
-
„Fehlen der Prothese wurde nicht angemahnt, sondern gefragt, ob sie
geholt werden soll“;
-
„es werden keine harten Grenzen gesetzt, nicht insistiert, keine eisernen
Prinzipien, kein aufgeregtes hysterische Getue“.
ƒ
Konfliktinterventionen
Beim Zusammenleben von Menschen entstehen notwendigerweise Konflikte, denn unterschiedliche Bedürfnisse müssen ausgehandelt werden. Positiv
wurden während der Mappings verschiedene Konfliktinterventionen (6-mal)
seitens der Mitarbeiter erkannt. So wurde z.B. ein „sensibles Eingreifen in
eine Krisensituation (Bewohner schlägt einen anderen)“ oder eine „geschickte Konfliktintervention (eine Bewohnerin in Arbeit miteinbezogen)“ dokumentiert.
ƒ
Miteinbeziehen und Beziehungsunterstützung: Bewohner - Bewohner
Das gemeinsame Handeln oder auch Miteinbeziehen (4-mal) ist für Menschen mit Demenz besonders bedeutend. Daher wurden auch solche Situationen als positive Ereignisse hervorgehoben: „Miteinbeziehen der Bewohner (Kaffee eingießen; Tisch decken)“ oder „selbstverständliches Einbeziehen der Bewohner in tägliche Arbeiten“. Im Hinblick auf die Beziehung Bewohner - Bewohner wurden zwei positive Beobachtungen zurückgemeldet:
„zwei Bewohner werden in die Sitzrunde aufgenommen“ und „Ressourcen
werden erkannt und dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl gestärkt
(Bewohner schiebt Rollstuhl einer anderen)“.
ƒ
Non-verbale Kommunikation und Flirten
Besonders positive non-verbale Kommunikation wurde dreimalig von den
Mappern als positives Ereignis notiert. Flirten (2-mal), als eine wunderbare
Form des sozialen „so tun als ob“, verbirgt sich in den folgenden PEs:
„männlicher Mitarbeiter begeistert weibliche Bewohnerinnen“ und „Bewohnerinnen flirten mit zulassendem Mitarbeiter“.
ƒ
Vertrautheit und Geborgenheit
Die besondere Vertrautheit (2-mal) zwischen Bewohnern und Mitarbeitern
wurde zweimal in Berichten über positive Ereignisse explizit benannt. Ein
weiterer wichtiger Aspekt einer personzentrierten Betreuungskultur zeigte
108
sich nach Ansicht der Mapper im Geben von Geborgenheit (2-mal), z.B.:
„Mitarbeiter strahlen Ruhe aus und geben dadurch Sicherheit und Geborgenheit“.
Interpretation
In den Berichten der Mapper werden die positiven Ereignisse als nachahmenswerte Beispiele hervorgehoben. Die unterschiedlichen PEs im Rahmen
der Betreuung von Menschen mit Demenz zeigen die vielfältigen Facetten
auf, die zu einer personzentrierten Betreuungskultur gehören. Betreuung,
die eine positive Wirkung erzielen möchte, ist auf die Wahrnehmung der
individuellen Eigenheiten jedes Einzelnen angewiesen (z.B. bedürfnisorientiertes Handeln, Biographiearbeit), sie muss in einer bestimmten Haltung
erfolgen (z.B. Wertschätzung, Personzentriertheit) und dabei grundlegende
Bedürfnisse des Menschen zu verwirklichen suchen (z.B. Geborgenheit,
Vertrautheit). Betreuung kann dabei besondere Wege der Interaktion beschreiten (z.B. Flirten, Motivation, körperbezogene Beziehungsarbeit), sofern bestimmte Kompetenzen (z.B. Sensibilität, Wahrnehmung von Bedürfnissen) vorhanden sind.
Die Ergebnisse der Analyse der PEs im Kontext der Betreuungskultur lassen
wiederum das geschulte, hoch sensitive und differenzierende Auge der
Mapper deutlich werden. Die grundlegende Voraussetzung für diese Wahrnehmungsleistung ist das passive Beobachten, das die Mapper befähigt,
ganz offen und ohne den Handlungsdruck der täglichen Praxis wahrnehmen
zu können.
109
4.4.3
Veränderungen der Organisationen am Beispiel der Lebensbereiche „Mahlzeiten“ und „Soziale Betreuung“
Die oben beschriebenen Veränderungen in den Lebensbereichen „Mahlzeiten“ und „Soziale Betreuung“ konnten sich zum einen auf der Basis einer
sich langsam entwickelnden Einstellungsänderung und einer damit verbundenen Kompromissbereitschaft bei den Mitarbeitern vollziehen. Zum anderen waren aber auch organisatorische und strukturelle Weichenstellungen
erforderlich, die insbesondere im Verantwortungsbereich der Leitung lagen.
Um hinreichende Rahmenbedingungen zugunsten einer personzentrierten
Pflegekultur schaffen zu können, ging es insbesondere um die Bündelung
und Reorganisation von Personalressourcen. Einrichtungen erprobten neue
Dienstplan- und Arbeitsmodelle, trafen Absprachen zur integrierten Zusammenarbeit verschiedener Abteilungen oder machten sich auf den Weg, Konzepte für die Gewinnung und regelhafte Einbindung von Laien zu erstellen.
Die Neuordnung der Arbeitszeit, wie z.B. die Verlängerung der Dienstzeiten
in den Abendstunden, geteilte Dienste oder die Neuregelung von Pausen,
ermöglichten eine bewohnerorientierte flexiblere Tagesstruktur und zusätzliche Angebote. Durch die Flexibilisierung konnte den Bewohnern ein eigenes
Tempo, eine „Eigenzeit“ zugestanden werden, die nicht zwingend mit den
Abläufen eines weitgehend institutionell durchgeplanten Alltags synchron
sein musste. Aufgehoben wurden z.B. starre Aufsteh- und Nachtzeiten. Mitarbeiter gingen dazu über, die Bewohner morgens ausschlafen zu lassen
und das Frühstück bis mindestens 10.30 Uhr oder gar unbegrenzt anzubieten. Einige Einrichtungen setzten sich erstmals mit Möglichkeiten einer Abendbetreuung für spätaktive Bewohner auseinander und gestalteten ein
Nachtcafé. Dadurch entstanden Freiräume, die Bewohner und Mitarbeiter
gleichermaßen ein Stück von Zeitdruck und Stress befreien konnten.
Durch eine verbesserte systematische Abstimmung und Zusammenarbeit
der an der Alltagsgestaltung beteiligten Abteilungen Pflege, Betreuung und
Hauswirtschaft bemühten sich die Einrichtungen, weitere Voraussetzungen
für personzentrierte Pflege zu schaffen. Dabei ging es häufig um eine Neudefinition von Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Rollen mit dem Ziel, dass
alle Abteilungen zum Wohlbefinden der Bewohner beitragen können und
müssen. Unterstützt wurden diese Bemühungen durch den Versuch, Ehrenamtliche in die alltägliche Arbeit zu integrieren und dadurch zusätzliche per-
110
sonelle Ressourcen zur Verfügung zu haben. So entstanden teilweise multiprofessionelle Teams, in denen die speziellen professionellen Kenntnisse
und Fertigkeiten ineinander fließen.
Wo Mitarbeiter Einsicht in die fachliche Notwendigkeit von Veränderungen
gewinnen konnten und neue Dienstplanmodelle, Verantwortlichkeiten und
Aufgaben gemeinsam mit der Leitung aushandelten, wurden die Umstrukturierungsmaßnahmen solidarisch getragen, ja vielfach sogar als Gewinn betrachtet, ermöglichten sie doch zugleich auch Entspannung, Entlastung,
mehr Autonomie und Eigenverantwortung bei der Arbeitsbewältigung. Viele
Mitarbeiter entwickelten im Verlauf des DCM-Projektes einen Blick fürs Ganze und begannen, auch in diesem Sinne mehr ressourcenorientiert auf die
Bewohner zu schauen.
Selbstverständlich gingen nicht alle Umstrukturierungsmaßnahmen lautlos
„über die Bühne“. Widerstand formierte sich anfangs dort, wo lieb gewonnene Privilegien und vertraute Routinen zur Disposition standen, oder wo sich
Mitarbeiter in ihrer „Kompetenz und Berufsehre“ in Frage gestellt fühlten.
War es doch für einen Küchenchef ungewohnt, von Kollegen aus dem Pflegebereich Vorschläge zur Aufbereitung von Speisen entgegen zu nehmen.
Genauso schwer war es anfangs für „die Pflege“, Vorschläge für Beschäftigungs- und Betreuungsangebote durch das Betreuungspersonal zu akzeptieren. Allerdings bedurfte es nur in Einzelfällen zur Durchsetzung neuer
Absprachen und Arbeitsformen klarer (Dienst-)Anweisungen durch die Leitung.
Der „Runde Tisch“ erwies sich in dem Veränderungsprozess als hilfreiches
Gremium, in dem die Möglichkeit gegeben war, innerhalb eines geschützten
Rahmens schwierige institutionelle und interaktive Fragestellungen zu klären. Für Mitarbeiter aller Abteilungen innerhalb einer Einrichtung war der
„Runde Tisch“ eine gute Gelegenheit, tiefere Einblicke in Zusammenhänge,
Kooperationen, Störfaktoren und Befindlichkeiten zu gewinnen. Auch als
Möglichkeit einer regelmäßigen Bestandsaufnahme und des Monitorings der
Fortschritte im Projektverlauf war dieses Gremium eine wichtige Instanz.
Thematisch ging es beim „Runden Tisch“ oft um eine Ausweitung des DCMThemas auf größere organisatorische Zusammenhänge. Es wurden gewissermaßen Metathemen reflektiert und diskutiert, kulturelle Veränderungen
wahrgenommen, Bewertungs- und Interpretationsmuster abgeglichen,
Selbst- und Fremdwahrnehmung überprüft. Es liegt die Vermutung nahe,
111
dass - aus der Gesamtsicht der Einrichtungen - die Organisationen hier die
interessantesten Erkenntnisse über sich selbst gewinnen konnten.
Insgesamt führten die exemplarisch dargestellten Entwicklungen zu „Klimaveränderungen“ in den meisten Einrichtungen, die auch von Außenstehenden wahrgenommen wurden. Vor allem die Angehörigen waren Repräsentanten einer kritischen „Außen-Sicht“, da sie Veränderungen aus der Nähe,
zugleich aber mit der notwendigen Distanz miterlebten. Rückmeldungen, wie
z.B.: „Hier geht es aber lebendig zu, hier ist ja richtig was los, die Stimmung
hat sich verändert, es wirkt leichter“, motivierten die Mitarbeiter. Das positive
Feedback war das Ergebnis vorausgegangener Einbindung und Information
der Angehörigen in das DCM-Projekt. Dies versetzte sie in die Lage zu tolerieren, dass ihre Väter, Mütter, Großmütter, Onkel oder Geschwister auch
einmal mit den Fingern aßen, vormittags im Nachthemd herumliefen, stärker
in die Aktivitäten des Alltags einbezogen und mit kleinen Arbeiten und Aufgaben im Dienste der Gruppe betraut wurden. Es machte ihnen zudem möglich, das dadurch entstehende höhere Aktivitätsniveau schätzen zu lernen.
Neben den Angehörigen waren es die externen Mapper, die im Zusammenhang mit der Abschlussbefundung allen Einrichtungen zum Projektende eine
Rückmeldung über den erreichten Entwicklungsstand gaben. Als Indikatoren
einer sich entwickelnden neuen Pflegekultur werden in den Abschlussbefundungen genannt:
ƒ
sehr wenige negative WIB-Werte; Schwerpunkt liegt auf Werten von +3,
bedeutsamer Anteil von +5;
ƒ
geringer Anteil von Typ 2-Kategorien, hoher Anteil von Typ 1-Kategorien;
ƒ
wenige personale Detraktionen;
ƒ
viele positive Ereignisse;
ƒ
alltagsbezogene Ansätze in der Biographiearbeit;
ƒ
eine positive Entwicklung des Teams hin zu personzentrierter Grundhaltung;
ƒ
ein Mehr an spontanen Kontakten zu Bewohnern („Bienchendiensten“);
ƒ
die Tagesstruktur ist abwechslungsreich, die Fähigkeiten der Bewohner
werden mit eingebunden;
ƒ
Vertiefung des Wissens über Demenz;
112
ƒ
Veränderung des Milieus.
Auch die Teams haben Fortschritte erkannt - bezogen auf ihr professionelles
Handeln, auf die kollegiale Zusammenarbeit und nicht zuletzt bezogen auf
die Lebensqualität der Bewohner. Dies zeigt sich an Äußerungen der Mitarbeiter, die im Rahmen einer rückblickenden Selbsteinschätzung gesammelt
wurden:
Einschätzung der Mitarbeiter bezogen
auf die Entwicklung der Teamarbeit:
ƒ Der Zeitdruck verteilt sich gleichmäßiger auf das ganze Team.
ƒ Das Team hat gelernt, selbstverantwortlich zu planen und Strategien zu entwickeln.
ƒ DCM hinterlässt Spuren auf der Teamebene: die Chaostoleranz ist größer geworden.
ƒ Die Solidarität untereinander hat zugenommen.
ƒ Das Team ist experimentierfreudiger geworden.
ƒ Es besteht ein Interesse an gemeinsamer Reflexion.
ƒ Die Situation ist durch DCM turbulenter und chaotischer geworden, dadurch aber
auch lebendiger, weniger starr und schematisch.
ƒ Es gibt weniger Regeln und mehr Risikobereitschaft.
ƒ Mitarbeiter sind gelassener, können mehr zulassen.
ƒ Ideenreichtum und Phantasie haben zugenommen.
ƒ Die Interaktion ist verbessert, die Absprachen sind klarer, Arbeitsteilung funktioniert besser.
ƒ Die Atmosphäre ist angstfreier (Leitung).
ƒ Das Stresspotenzial ist durch DCM nicht geringer geworden. Es wird aber aufgewogen durch eine klare Fokussierung und entsprechende Erfolge. Es gibt flexiblere Arbeitszeit, entspanntere Atmosphäre im Alltag der Gruppe.
ƒ DCM schlägt weite Wellen bzw. zieht weite Kreise in der Organisation.
113
Einschätzung der Mitarbeiter bezogen
auf den Umgang mit den Bewohnern:
ƒ Wir entdecken neue Fähigkeiten an den Bewohnern, indem wir sie stärker fordern.
ƒ Der Umgang mit den Bewohnern ist grundsätzlich zwangloser, bedürfnisorientierter, wärmer und liebevoller.
ƒ Frühere Maxime: Waschen und Pflege – heute verbunden mit der Frage: Fühlen
Sie sich wohl dabei, so wie wir das machen?
ƒ Wir fördern Selbstbestimmung und Aktivitäten, gehen größere Risiken ein.
ƒ Die Kontakte sind weniger „professionell“, dafür menschlicher gestaltet.
ƒ Wir gewinnen mehr Eigenverantwortlichkeit und stehen nicht mehr so unter „Produktionsdruck“ im Sinne der Produktion pflegerischer Dienstleistungen.
ƒ Wir gehen stärker in den Körperkontakt, arbeiten weniger manipulativ.
ƒ Es gibt mehr „Begegnungen im Unscheinbaren“, kleine, aber wichtige Gesten.
Einschätzung der Mitarbeiter bezogen
auf die Entwicklung der Bewohner:
ƒ Die Bewohner sind ausgeglichener geworden und beziehen sich stärker aufeinander.
ƒ Die Bewohner haben mehr Bewegungsfreiheit, Fixierungen sind überflüssig geworden.
ƒ Die Bewohner sind stärker einbezogen in die Gestaltung der Alltagssituation (Einbeziehung in Hausarbeiten, Essensvorbereitung, Service etc.).
ƒ Stille Bewohner beteiligen sich stärker, sind aktiver und kontaktfreudiger geworden.
ƒ Die Bewohner haben mehr Lust am Essen.
Ob diese Entwicklungsansätze erhalten und weiter ausgebaut werden können, liegt nicht zuletzt im Entscheidungs- und Verantwortungsbereich der
Einrichtungsleiter und an deren Fähigkeiten, das Personal „mitzunehmen“
auf den Weg zu einem gemeinsamen Ziel: der Steigerung des Wohlbefindens der Bewohner verbunden mit einer erhöhten Arbeitszufriedenheit der
Mitarbeiter.
114
5.
Evaluation der DCM-Daten
5.1.
Darstellung der Datengrundlage
Die Evaluation der im Rahmen des Projektverlaufs erhobenen DCM-Daten
basiert auf Datenmaterial, das vom 07.02.2002 bis 18.01.2005 erhoben
wurde. Die nachstehende Übersicht dokumentiert die Zeiträume und Zeitabstände, in denen die DCM-Beobachtungen (Mappings) durchgeführt wurden.
Insgesamt fanden in jeder der zwölf Einrichtungen elf Mappings statt (=
132). Die Zeitabstände zwischen den einzelnen Mappings, die im Mittel zwischen zwei und fünf Monaten schwankten, boten dabei den nötigen Raum,
um das Veränderungspotenzial von DCM wirksam werden zu lassen. Entwicklungen in den Einrichtungen konnten sich entfalten und damit abbildbar
werden.
Mapping
Zeiträume
Abstand im Mittel zum
nächsten Mapping
(Monate)
1
07.02.2002 - 07.03.2002
2
2
15.04.2002 - 29.04.2002
4
3
06.08.2002 - 22.08.2002
3
4
21.10.2002 - 14.11.2002
5
5
04.03.2003 - 21.03. 2003
3
6
05.06.2003 - 26.06.2003
4
7
23.09.2003 - 15.10.2003
4
8
03.02.2004 - 10.03.2004
3
9
16.04.2004 - 15.06.2004
4
10
08.09.2004 - 05.10.2004
4
11
05.01.2005 - 18.01.2005
Jede Beobachtung zog einen dreischrittigen Prozess nach sich (siehe auch
Kap. 3.7.2.1): Zunächst wurden die Beobachtungsergebnisse jedes einzelnen Mappings in einem Mappingbericht dokumentiert und zeitnah in einem
Feedback42 mit den Mitarbeitern besprochen. Auf der Grundlage der Ergebnisse aus dem Feedback wurde nach ca. zwei Wochen eine Maßnahmepla42
Die Inhalte des Feedbacks wurden ebenfalls protokolliert. Diese Protokolle wurden nicht
gesondert ausgewertet, sondern dienten als Ergänzung der Analyse der Mappingberichte.
115
nung durchgeführt. In einer weiteren Besprechung, ebenfalls ein paar Wochen später, wurden die Ergebnisse der Maßnahmeplanung während des so
genannten „Runden Tischs“43 erörtert. Insgesamt konnten folgende Dokumente in die Analyse einbezogen werden:
ƒ
Mappingberichte (darin enthalten sind auch Daten über positive Ereignisse und personale Detraktionen). Es konnten 120 von 132 Mappingberichten analysiert werden (= 91%).
ƒ
Maßnahmeplanungen. Für die Analyse waren 103 von insgesamt 108
Maßnahmeplanungen zugänglich (= 95%).
ƒ
Des Weiteren wurden alle Beobachtungsdaten, die während der Mappings erhoben wurden - Verhaltenskategorien (BCC) und Angaben zum
relativen Wohlbefinden (WIB-Werte) - analysiert. Allerdings lagen nicht
von allen zwölf Einrichtungen die vollständigen Datensätze vor, so dass
nur 123 Mappings in die Auswertung eingehen konnten. Dies entspricht
93% aller bei der Beobachtung ermittelten Verhaltenskategorien und
WIB-Werte.
Das breit gefächerte Datenmaterial lieferte somit eine fundierte Basis, um
ein repräsentatives Bild für alle Einrichtungen zu zeichnen.
Da beim DCM-Verfahren das Verhalten und das Wohlbefinden/NichtWohlbefinden von Menschen mit Demenz im Abstand von fünf Minuten dokumentiert werden, ergaben sich für die Auswertung insgesamt 76.682 Einzeldaten (je 38.341 BCC und WIB). Die nachfolgende Tabelle weist den
Umfang der Einzeldaten für jede der zwölf Projekteinrichtungen aus. Es wird
deutlich, dass der Datenumfang stark schwankt. Beispielsweise wurden in
Einrichtung 4 lediglich 1.893 Daten erhoben (minimales Ergebnis), in Einrichtung 6 dagegen 4.829 (maximales Ergebnis). Die anderen zehn Einrichtungen schwanken zwischen diesen beiden Extremwerten. Im Durchschnitt
wurden über die dreiährige Projektlaufzeit hinweg pro Einrichtung 3.195
Daten aus 10,3 Mappings generiert.
Der unterschiedliche Datenumfang in den einzelnen Einrichtungen hat verschiedene Ursachen. So unterscheidet sich z.B. Einrichtung 4 von allen
anderen Einrichtungen dadurch, dass sie als Tagespflege wesentlich kürzere Betreuungszeiträume hat. Somit konnten in Einrichtung 4 schon aufgrund
dieser strukturellen Bedingungen weniger Daten erhoben werden.
43
Die Protokolle des “Runden Tischs” wurden nicht in diesen Teil der Analyse einbezogen.
116
Einrichtung
Beobachtungsdaten
(BCC und WIB)
Anzahl der analysierten Mappings
Einrichtung 1
2.570
9
Einrichtung 2
3.216
10
Einrichtung 3
3.004
9
Einrichtung 4
1.893
11
Einrichtung 5
3.951
11
Einrichtung 6
4.829
11
Einrichtung 7
3.380
11
Einrichtung 8
3.433
10
Einrichtung 9
2.912
9
Einrichtung 10
2.887
10
Einrichtung 11
3.166
11
Einrichtung 12
3.100
11
Gesamt:
38.341
123
min.
1.893
9
Ø
3.195
10,3
max.
4.829
11
Die Unterschiede in der Datenquantität bei den anderen elf stationären Einrichtungen lassen sich folgendermaßen begründen:
ƒ
Die Mapper fühlten sich unterschiedlich sicher in der Anwendung des
DCM-Verfahrens und beobachteten demnach kürzer oder länger und
mehr oder weniger Bewohner.
ƒ
Die Atmosphäre in den Einrichtungen war nicht immer freundlich gegenüber den Mappern. Eine unfreundliche Atmosphäre während der Mappings in manchen Einrichtungen reduzierte die Bereitschaft der Mapper,
besonders lange zu beobachten.
Die folgende Tabelle verdeutlicht, dass der Umfang der Daten auch bei den
einzelnen Beobachtungen sehr differierte. In einem Mapping wurden lediglich 51 Daten (Minimalwert), in einem anderen dagegen 604 (Maximalwert)
erhoben. Im Durchschnitt konnten 309 Daten während eines Mappings an
einem Beobachtungstag generiert werden.
117
Ø- Daten pro Beobachtungstag
309
min.
51
max.
604
Grundsätzlich waren die Mappings zu Anfang des Projekts weniger umfangreich, da zum einen erst eine Eingewöhnung in die Methode stattfinden und
zum anderen die Beobachtungsfähigkeit geschult werden musste, so dass
zunächst nur wenige Bewohner gleichzeitig beobachtet werden konnten. Die
geringste Anzahl an Daten (51) wurde während einer zweiten Beobachtungsrunde44 erreicht, die maximale Zahl von 604 Daten wurde während
eines Mappings gegen Ende des Projekts erhoben. Insgesamt zeigten die
Mapper im Projektverlauf einen deutlichen Kompetenzgewinn in der Anwendung des DCM-Verfahrens: Sie beobachteten nach und nach mehr Bewohner und dies auch über größere Zeiträume hinweg.
5.2
Allgemeine Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation
5.2.1
Analyse der WIB-Werte
Wie in Kapitel 2.2 ausgeführt, wird während einer DCM-Beobachtung sowohl
das Verhalten einer Person mit Demenz als auch deren relatives Wohlbefinden ermittelt. Das Kodieren der so genannten WIB-Werte erfolgt anhand
einer sechsstufigen Skala. Den einzelnen Stufen sind Werte von +5 bis –5
zugeordnet. Bei der Evaluation der DCM-Daten wurden diese Werte verschiedenen statistischen Berechnungen zugrunde gelegt. Um die Interpretation der Ergebnisse besser nachvollziehbar zu machen, wird die inhaltliche
Bedeutung der einzelnen Werte nachfolgend in einer Übersicht präsentiert:45
44
45
Das erste und das letzte Mapping in einer Einrichtung wurden in diesem Projekt durch
erfahrene externe Mapper durchgeführt.
vgl. Bradford Dementia Group (1997).
118
+5
+3
außerordentliches Wohlbefinden - etwas besseres ist kaum vorstellbar; sehr
hoher Ausdruck von Beteiligung, Selbstausdruck oder sozialer Interaktion
erhebliche Anzeichen des Wohlergehens; z.B. in Bezug auf Beteiligung, Interaktion oder Aufnahme von Sozialkontakten
der/die Beobachtete wird mit der gegenwärtigen Situation ganz gut fertig;
+1
gelegentliche Kontakte zu den anderen gegeben; Zeichen des Unwohlseins
nicht vorhanden
-1
leichtes Unwohlsein sichtbar; z.B. Langeweile; Rastlosigkeit oder Frustration
beträchtliche Anzeichen von Unwohlsein; z.B. Traurigkeit, Angst oder nach-
-3
haltiger Ärger; allmähliches Abstürzen in Apathie und Rückzug: anhaltende
Vernachlässigung über eine halbe Stunde hinaus
-5
Extreme (erhebliche) Zustände von Apathie, Rückzug, Wut, Trauer oder Verzweiflung; anhaltende Vernachlässigung für mehr als eine Stunde
5.2.1.1 Einrichtungsübergreifende Ergebnisse
Die erste Berechnung ermittelte das durchschnittliche relative Wohlbefinden
aller Personen mit Demenz in allen Einrichtungen. Die folgende Graphik
bildet den Verlauf der durchschnittlichen WIB-Werte aller Einrichtungen ab verteilt über die elf verschiedenen Zeitpunkte, an denen Mappings stattfanden:
1,600
1,400
1,200
WIB-Wert
1,000
0,800
0,600
0,400
0,200
0,000
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
119
Die Kurve zeigt ein relativ moderates Wohlbefinden (1,2) zu Beginn des
Projekts, eine Absenkung bis zum sechsten Mapping und eine Erhöhung
des Wohlbefindens ab dem siebten, mit einem geringen Einbruch im neunten Mapping. Bis zum sechsten Mapping schwankte das durchschnittliche
Wohlbefinden der Bewohner aller Einrichtungen zwischen 1,20 und 0,97.
Nach dem siebten bis zum elften Mapping differierte das Wohlbefinden zwischen 1,18 und 1,42. Die Entwicklung des Wohlbefindens ist signifikant46 (p=
0,000), wie ein Vergleich der Ergebnisse vor und nach dem siebten Mapping
zeigt:
Variable
Ø-WIB
Zeitpunkte
N47
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
56
1,3270
0,29867
<7
65
1,0605
0,21630
Signifikanzniveau (p)
0,000
Interpretation
Die hier ermittelten Ergebnisse bezogen auf die WIB-Werte sind hoch abstrakt. Das bedeutet, dass keine Aussagen über den einzelnen Bewohner
getroffen werden können und die Ergebnisse nur auf Gruppen von Menschen mit Demenz oder auf die jeweiligen Einrichtungen zu beziehen sind.
Ob sich das Wohlbefinden eines einzelnen Bewohners verändert hat, war
aufgrund der anonymisierten Datenanalyse nicht zu eruieren. Die Ergebnisse zeigen aber, dass sich das Wohlbefinden der Menschen mit Demenz in
den Projekteinrichtungen im Verlauf des Projekts positiv verändert hat. Dies
kann statistisch signifikant ab dem siebten Mapping (p = 0,000) belegt werden kann.48 Die Modifikationen können nur multikausal erklärt werden, d.h.
dass nicht einzelne, sondern vielfältige Ursachen diese Veränderungen bewirkt haben, die auf unterschiedlichen Ebenen darstellbar sind:
46
47
48
Wie bereits in Kapitel 4.4.1.4 dargelegt, wird in diesem Bericht ein Signifikanzniveau von
0,05 (= 95%) verwandt.
N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser
Berechnung wurden die Ergebnisse für das durchschnittliche relative Wohlbefinden von 65
Mappings vor der siebten Beobachtungsrunde mit 56 Mappings ab der siebten Beobachtungsrunde verglichen.
Während der Mappings entstanden zwar nachweisbare Kodierungsfehler (siehe dazu Kap.
5.3.3), die aber durch ihre geringe Anzahl die Gültigkeit der Gesamtergebnisse nicht gefährden.
120
Ebene - Bewohner:
ƒ
Die Veränderungen des Milieus wurden nach und nach vorgenommen,
wodurch sich das Wohlbefinden der Bewohner auch erst sukzessive
steigern konnte.
Ebene - Mitarbeiter:
ƒ
Die Inhalte der Fortbildungen konnten nur langsam eine Haltungsänderung bei den Mitarbeitern bewirken und daher auch erst nach und nach
für die Menschen mit Demenz spürbar werden. Ab dem sechsten Mapping empfanden die Mitarbeiter mehr Sicherheit im personzentrierten
Arbeiten und der Transfer des theoretischen Konzepts in die Praxis
machte Fortschritte.
ƒ
Menschen ändern sich nur langsam. Jede Haltung ist durch Erfahrungen
entstanden, die unverzichtbar sind „für eine halbwegs stabile Identität
und Lebensgeschichte - und gleichzeitig sind Erfahrungen Barrieren für
neue innovative Problemlösungen.“49 Solche Barrieren mussten auch im
Verlaufe des Projekts von Mitarbeitern und Leitungspersonen überwunden werden.
Ebene - Mapper/Mapping:
ƒ
Zum sechsten Mapping fand eine Nachschulung der Mapper (ein so
genanntes Follow-Up) statt, durch die zum einen eine veränderte Wahrnehmung bewirkt wurde als auch ein anderes Vorgehen bei der Kodierung, insbesondere der Verhaltenskategorien N (Schlaf), W (repetitive
Selbststimulation) und Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person
sprechen). Die Mapper deuteten diese Verhaltenskategorien ab diesem
Zeitpunkt weniger generell als gefährdend für das Personsein, sondern
erkannten auch deren mögliche, das Personsein nährende Wirkung.
ƒ
Ab dem neunten Beobachtungszyklus wurden die Mappings nicht mehr
angekündigt, sondern sie fanden unangemeldet statt. Dies bewirkte einen „Überraschungseffekt“, der zum einen die Mitarbeiter verunsicherte.
Zum anderen war den Einrichtungen die Möglichkeit genommen, sich
beispielsweise durch eine quantitativ und qualitativ verbesserte Personalbesetzung auf das Mapping vorzubereiten.
49
Siebert, H. (Hg.) (1996): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Berlin: 109.
121
Ebene - Organisation:
ƒ
Organisationen sind auf Stabilität und Kontinuität ausgelegt, sie wollen
sich selbst erhalten. Veränderungen können demnach notwendigerweise nur kleinschrittig bewirkt werden.
5.2.1.2 Einrichtungsbezogene Ergebnisse
Durchschnittliches relatives Wohlbefinden für die gesamte Projektlaufzeit bezogen auf jede Einrichtung
Die nachstehende Graphik zeigt den durchschnittlichen Wohlbefindenswert
aller Bewohner über alle Beobachtungsrunden hinweg bezogen auf die zwölf
Projekteinrichtungen. Dabei wird deutlich, dass die durchschnittlichen WIBWerte bezogen auf die gesamte dreijährige Projektlaufzeit stark differieren.
So zeigten die Bewohner in Einrichtung 8 ein durchschnittliches relatives
Wohlbefinden von 0,839 (minimaler Durchschnittswert). In Einrichtung 4
hingegen konnte ein wesentlich höheres durchschnittliches Wohlbefinden
von 1,436 (maximaler Durchschnittswert) beobachtet werden. Die Werte für
die anderen Einrichtungen schwanken zwischen 0,97 und 1,36.
Einrichtung 12
Einrichtung 11
Einrichtung 10
Einrichtung 9
Einrichtung 8
0,839
Einrichtung 7
Einrichtung 6
Einrichtung 5
Einrichtung 4
1,436
Einrichtung 3
Einrichtung 2
Einrichtung 1
0
0,2
0,4
0,6
0,8
WIB-Wert
122
1
1,2
1,4
1,6
Interpretation
Mit den hier ermittelten Gesamtwerten für jede Einrichtung werden die kodierten WIB-Werte von einer Vielzahl unterschiedlicher Bewohner zusammengefasst, die an unterschiedlichen Tagen und über eine Zeitspanne von
drei Jahren beobachtet wurden. Dementsprechend abstrakt ist die Aussagekraft. Hervorzuheben ist Einrichtung 4 als teilstationäre Tagespflegeeinrichtung mit einem erwartbaren50 höheren Durchschnittswert von 1,436. Versprachlicht bedeutet dieser Wohlbefindenswert, dass die Bewohner über die
Projektlaufzeit hinweg mit ihrer Situation ganz gut fertig werden (WIB-Wert
+1), weniger Anzeichen von Unwohlsein zeigen und dass anteilig höheres
Wohlbefinden kodiert wurde (WIB-Werte +3 und +5). Begründet werden
kann dieses Ergebnis mit den strukturellen Unterschieden von teilstationären
und stationären Einrichtungen. So ist z.B. die Gruppengröße in Tagespflegeeinrichtungen häufig geringer als in stationären Einrichtungen, was eine
das Wohlbefinden steigernde Wirkung auf die Gäste haben kann. Darüber
hinaus sind die körperpflegerischen Bedarfe der Tagesgäste oftmals nicht so
groß, so dass die Betreuung im Vordergrund stehen kann.
Dass nicht nur in Tagespflegeeinrichtungen höhere Wohlbefindenswerte
erreicht werden, sondern dass dies auch in stationären Einrichtungen möglich ist, verdeutlichen die positiven Ergebnisse von Einrichtung 3 (1,37) und
6 (1,29). In diesen Einrichtungen zeigten die vielfältigen Interventionen des
DCM-Projekts - z.B. Fortbildungen, Milieuveränderungen, Mappings, Maßnahmen der Organisationsentwicklung - eine Wirkung, die durch eine Erhöhung des relativen Wohlbefindens von Menschen mit Demenz wahrnehmbar
wurde.
Den geringsten durchschnittlichen Wohlbefindenswert erzielte Einrichtung 8
(0,839). Dieser Wert bedeutet, dass die Bewohner grundsätzlich mit der
Situation fertig werden (WIB-Wert +1), aber auch Tendenzen des NichtWohlbefindens zeigen (WIB-Werte -1 und -3). Anzeichen eines höheren
Wohlergehens (WIB-Werte +3 und +5) sind eine Seltenheit.
50
Kitwood und sein Team gehen allgemein von höheren WIB-Werten in teilstationären Einrichtungen aus (vgl. Bradford Dementia Group (1997)).
123
Durchschnittliches relatives Wohlbefinden im Projektverlauf bezogen auf jede Einrichtung
Im Folgenden wird die Entwicklung der durchschnittlichen WIB-Werte bezogen auf jede einzelne Einrichtung und im Verlauf über die elf Erhebungszeitpunkte hinweg dargestellt. In jeder der drei nachfolgenden Graphiken sind
die Ergebnisse von jeweils vier Einrichtungen zu ersehen:51
2,500
Gruppen-WIB-Wert
2,000
1,500
Einrichtung 1
Einrichtung 2
Einrichtung 3
Einrichtung 4
1,000
0,500
0,000
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mappings
Der Verlauf der Kurve von Einrichtung 1 ist nach einem kurzen Abfallen zu
Anfang des Projekts kontinuierlich und langsam ansteigend mit einer Ausnahme während des neunten Mappings. Die Verlaufskurve von Einrichtung
2 ist stark schwankend: Es zeigt sich sowohl eine Erhöhung, als auch eine
Reduzierung des durchschnittlichen relativen Wohlbefindens, das sich aber
im Verlauf des Projekts insgesamt steigert. Einrichtung 3 dagegen zeigt eine
schnelle und intensive Erhöhung des Wohlbefindens bis zum vierten Mapping, danach ein Einpendeln auf einem etwas geringeren WIB-Wert, der
zum neunten und zehnten Mapping etwas mehr abfällt und sich während
des Abschlussmappings deutlich erhöht. Das Wohlbefinden der Bewohner in
Einrichtung 4 liegt zu Anfang des Projekts sehr hoch, fällt danach jedoch
stark ab bis zum sechsten Mapping. Nach diesem sechsten Mapping erhöht
51
Fehlende Punkte in den Kurven zeigen jeweils die fehlenden Datensätze auf.
124
sich das Wohlbefinden wieder sehr. Allerdings kann diese Tendenz beim
abschließenden elften Mapping nicht bestätigt werden.
2,500
Gruppen-WIB-Wert
2,000
1,500
Einrichtung 5
Einrichtung 6
Einrichtung 7
Einrichtung 8
1,000
0,500
0,000
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mappings
Die Kurve für Einrichtung 5 zeigt eine gewisse Kontinuität des Wohlbefindens der Bewohner bis zum siebten Mapping auf, erhöht sich danach stark
bis zum zehnten Mapping und fällt beim Abschlussmapping wieder ab. Einrichtung 6 zeigt leichte Schwankungen des WIB-Wertes bis zum sechsten
Mapping und danach eine sehr starke Erhöhung des Wohlbefindens. Zum
neunten Mapping hin fällt das Wohlbefinden wieder, steigert sich noch einmal und fällt dann im letzten Mapping wieder ab. Eine kontinuierliche Reduzierung des Wohlbefindens bis zum sechsten Mapping zeigt sich in Einrichtung 7. Anschließend steigert sich das Wohlbefinden zunächst leicht, pendelt sich bei einem Wert um 1,0 ein, bevor es eine sehr starke Wohlbefindenssteigerung im letzten Mapping gibt. In Einrichtung 8 zeigt sich eine stark
schwankende Veränderung im Wohlbefinden der Bewohner, bevor eine
Steigerung des Wohlbefindens ab dem achten Mapping beginnt, mit einer
kleinen Unterbrechung während des neunten Mappings.
125
2,500
Gruppen-WIB-Wert
2,000
1,500
Einrichtung 9
Einrichtung 10
Einrichtung 11
Einrichtung 12
1,000
0,500
0,000
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mappings
In Einrichtung 9 zeigt sich ein relativ kontinuierlicher Verlauf des Wohlbefindens der Bewohner bis zum fünften Mapping. Daran anschließend ist
zunächst eine sanfte, dann stärkere Erhöhung des Wohlbefindens zu verzeichnen, das sich dann wiederum im achten und neunten Mapping reduziert, um während der letzten beiden Mappings anzusteigen. Eine sukzessive Abnahme nach einem relativ hohen Wohlbefinden zu Anfang des Projekts verzeichnet Einrichtung 10. Ab dem sechsten Mapping folgt eine leichte Steigerung, dann eine stärkere bis zum Abschlussmapping, mit einem
kleineren Einbruch bei der neunten Beobachtung. Die Kurve für Einrichtung
11 beginnt mit einem Wert um 1,2, fällt leicht ab, pendelt sich dann auf dem
Anfangswert ein, bevor das Wohlbefinden während des sechsten Mappings
wieder abfällt. Danach steigt das Wohlbefinden der Bewohner noch einmal
an, bleibt auf einem gleich hohen Niveau während des achten und neunten
Mappings, und fällt anschließend sogar unter den Anfangswert zurück
(1,08). Einen relativ konstanten Wohlbefindenswert um 1,0 zeigt Einrichtung
12 bis zum fünften Mapping. Anschließend steigt das Wohlbefinden bis zum
siebten Mapping, fällt wieder ab bis zum neunten und steigt in den letzten
beiden Mappings wieder an.
126
Interpretation
Zunächst ist festzuhalten, dass die Verläufe der WIB-Werte in allen Einrichtungen insgesamt sehr heterogen sind und sich kaum generelle Entwicklungen abzeichnen lassen. Lediglich eine leichte Tendenz der Erhöhung der
WIB-Werte ab dem sechsten Mapping ist in der Gesamtbetrachtung der drei
Graphiken zu erkennen.
Um die Ergebnisse der durchschnittlichen WIB-Werte besser deuten zu
können, haben Kitwood und sein Team eine Tabelle zur Interpretation der
individuellen und gruppenbezogenen WIB-Punktzahlen entwickelt. Aus dieser Tabelle wird ersichtlich, dass die durchschnittlichen WIB-Werte während
eines Mappings für stationäre Einrichtungen und Einrichtungen der Tagespflege unterschiedlich zu interpretieren sind, da angenommen wird, dass
Gäste einer Tagespflege eher in der Lage sind, ihr eigenes Wohlergehen
durch Interaktion (mit) zu erzeugen. Beispielsweise würde ein durchschnittlicher Wohlbefindenswert aller beobachteten Menschen von 1,5 ein gutes
Ergebnis für eine stationäre und ein befriedigendes Ergebnis für eine Tagespflege bedeuten.
Tabelle für individuelle und gruppenbezogene WIB-Punktzahlen52
Interpretation
exzellent
sehr gut
gut
befriedigend
viel Verbesserung nötig
WIB-Wert
stationäre Pflege
2,7 und mehr
2,1 – 2,6
1,5 – 2,0
0,9 – 1,4
weniger als 0,9
WIB-Wert
Tagespflege
3,0 und mehr
2,4 – 2,9
1,8 – 2,3
1,2 – 1,7
weniger als 1,2
Betrachtet man die durchschnittlichen WIB-Werte bezogen auf alle stationären Einrichtungen im Verlauf des DCM-Projekts - die Tagespflegeeinrichtung
wurde hier nicht berücksichtigt - vor dem Hintergrund der obigen Tabelle, so
ergibt sich folgendes Bild:
52
vgl. Bradford Dementia Group (1997).
127
Interpretation nach der Tabelle
für WIB-Punktzahlen in %
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
exzellent
sehr gut
gut
befriedigend
viel Verbesserung notwendig
Das Säulendiagramm zeigt auf, dass kein einrichtungsbezogener WIB-Wert
über die gesamte Projektlaufzeit im „exzellenten“ oder „sehr guten“ Bereich
lag. Die Ergebnisse aller stationären Einrichtungen bewegten sich demnach
in den Bereichen „gut“, „befriedigend“ bis hin zu „viel Verbesserung nötig“, in
jeweils unterschiedlichen Anteilen. Beispielsweise lag der Anteil der Einrichtungen, deren durchschnittlicher WIB-Wert die Notwendigkeit zu „viel Verbesserung“ deutlich macht, vom ersten bis zum siebten Mapping zwischen
9% und 30%. Eine positive Entwicklung ist dadurch belegt, dass sich keine
Einrichtung ab dem achten Mapping - mit Ausnahme des elften Mappings in einem Bereich befand, der viel Verbesserungen notwendig erscheinen
lässt. Weiterhin bemerkenswert ist, dass erst ab dem siebten Mapping - mit
Ausnahme des ersten Mappings - Einrichtungen in einem guten WIB-WertBereich lagen. Klar wird, dass es keine Garantie für gute Ergebnisse gibt,
sondern dass vielmehr eine stetige Entwicklungsbereitschaft und Anpassung
an die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz gefragt ist.
Für die Tagespflegeeinrichtung im Projekt hat sich ergeben, dass bis auf
Ausnahmen während des sechsten Mappings („viel Verbesserung nötig“)
und des zehnten Mappings („gut“) alle anderen durchschnittlichen WIBWerte ein „befriedigendes“ Niveau erreichten.
Auch hier gilt, dass Ursachen, die zu den abgebildeten Ergebnissen geführt
haben, vielfältig sein können:
128
Ebene - Bewohner:
ƒ
Es wurden in jedem Mapping andere Bewohner beobachtet.
ƒ
Einzelne Bewohner mit besonders geringen oder besonders hohen WIBWerten senkten bzw. erhöhten das durchschnittliche Wohlbefinden.
Ebene - Mitarbeiter:
ƒ
Einzelne Mitarbeiter und auch manche Teams zeigten sich vornehmlich
in der Mitte des Projekts geringer motiviert, was die Supervisoren in ihren Protokollen mit „es ist Luft raus“ umschrieben. Erklärt werden kann
dies durch überhöhte Erwartungen an die Effekte der Fortbildungen und
Milieuveränderungen, an DCM allgemein und vor allem an das eigene
Wirken. Dies führte zu Enttäuschungen.
ƒ
Andere Mitarbeiter und Teams hingegen spürten im Verlauf des Projekts
(insbesondere in der zweiten Hälfte) die Wirkung der unterschiedlichen
Maßnahmen, was motivierend wirkte und „neuen Mut“ entstehen ließ.
ƒ
Die Personalbesetzung an den Beobachtungstagen variierte in Quantität
und Qualität.
ƒ
Ein kooperatives und koordiniertes Team ist die bedeutendste Kraftquelle für jeden Mitarbeiter. In den Teams der zwölf Projekteinrichtungen
gab es unterschiedliche Prozesse und Zeitverläufe bei der „Teamfindung“.
Ebene - Organisation:
ƒ
In einzelnen Einrichtungen wurden tief greifende Umstrukturierungsmaßnahmen durchgeführt, wie z.B. ein Umzug in ein anderes Gebäude
oder auch eine Reduzierung des Personals.
ƒ
Die Organisation forderte an den Beobachtungstagen zusätzliche Leistungen der Mitarbeiter (z.B. Fortbildung, Feste, Vorbereitung auf externe
Qualitätsprüfungen).
129
5.2.2
Analyse der Verhaltenskategorien
Wie in Kapitel 2.2 beschrieben, wird beim DCM-Verfahren das Verhalten von
Menschen mit Demenz in 24 Kategorien eingeordnet. Dabei wird innerhalb
dieser 24 Kategorien noch einmal differenziert. So werden Typ 1-Kategorien
ausgewiesen, die dem Verständnis der personzentrierten Pflege nach das
Potenzial haben, das Personsein von Menschen mit Demenz zu nähren.
Des Weiteren gibt es Typ 2-Kategorien, die das Personsein gefährden können. Daneben gibt es zwei Sonderkategorien: K (unabhängiges Gehen,
Stehen oder Fortbewegen) und N (Schlaf). Die nachstehenden Schaubilder
geben Aufschluss darüber, wie sich das Verhalten der Bewohner aller Einrichtungen bezogen auf alle Verhaltenskategorien über die gesamte dreijährige Projektlaufzeit hinweg verändert hat.
Veränderung Typ 1-Kategorien (1. Teil)
30,0
in % aller Kategorien
25,0
20,0
A
E
F
15,0
G
H
I
10,0
5,0
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Die Häufigkeiten der Verhaltenskategorien E (kreative Tätigkeit), G (Spiele),
H (handwerkliche Tätigkeit) und I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) bewegen sich zwischen 0 und 5% aller beobachteten
Verhaltenskategorien während der einzelnen Mappings. Verhaltenskategorie
A (verbale und non-verbale Interaktion) zeigt sich bis zum sechsten Mapping
relativ konstant um einen Wert von 14%. Danach steigert sich der Anteil von
130
A (verbale und non-verbale Interaktion), fällt bis zum neunten Mapping leicht
ab und steigt bis zum elften Mapping wieder an. Das Verhalten F (Essen
und Trinken) nimmt einen relativ großen Teil am Gesamtverhalten ein (zwischen 18% und 24%). Der Verlauf von F (Essen und Trinken) ist zunächst
stark wellenförmig und pendelt sich ab dem neunten Mapping auf einem
Niveau von etwa 20% ein.
Veränderung Typ 1-Kategorien (2. Teil)
30,0
in % aller Kategorien
25,0
J
20,0
L
M
15,0
O
P
T
10,0
X
5,0
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Die Verhaltenskategorien J (sportliche oder gymnastische Übung), L (Arbeit
oder arbeitsähnliche Tätigkeit), M (Beschäftigung mit Medien), O (Selbstpflege), P (praktische, physische oder personale Pflege erfahren), T (Beschäftigung mit sinnlicher Wahrnehmung) und X (Ausscheidung) zeigen nur
leichte Veränderungen während der dreijährigen Projektlaufzeit. Ihr Anteil an
allen Verhaltenskategorien bewegt sich zwischen 0% und 5%.
131
Veränderung Typ 2-Kategorien (1)
30,0
in % aller Katgorien
25,0
20,0
B
C
D
15,0
U
W
10,0
Y
5,0
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Der Verlauf von B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive
Weise) zeigt sich relativ konstant bis zum neunten Mapping bei einem Wert
von etwa 25% und fällt während der letzten beiden Mappings ab.
Zur besseren Verdeutlichung werden die Kategorien C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt), D (Stress ohne Begleitung), U (Kommunizieren ohne Antwort), W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selber
oder einer imaginierten Person sprechen), die prozentual nur sehr gering
auftraten (1% und 2,8%) in einer weiteren Graphik aufgezeigt, die ein anderes Skalenniveau besitzt:
132
Veränderung Typ 2-Kategorien (2)
3,5
in % aller Kategorien
3,0
2,5
C
2,0
D
U
W
1,5
Y
1,0
0,5
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Deutlich wird, dass mit Ausnahme der Kategorie U (Kommunizieren ohne
Antwort), die Verläufe aller anderen Kategorien stark schwankend sind. Für
die Verhaltenskategorie C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt)
ist eine sichtbare Abnahme in den letzten Mappings zu verzeichnen. Bei
Kategorie D (Stress ohne Begleitung) war im Projektverlauf ein Anteil zwischen 0,1 und 0,6% zu beobachten, mit Ausnahme des sechsten Mappings,
bei dem in 1,9% das Verhalten D augenscheinlich wurde. Kategorie U
(Kommunizieren ohne Antwort) zeigte sich im Projektverlauf relativ konstant
mit einer leicht abnehmenden Tendenz während der letzten Mappings.
Ebenfalls eine Reduzierung erfuhr das Verhalten W (repetitive Selbststimulation), auf einen Wert von etwa 0,8% ab dem siebten Mapping. Eine Steigerung des Anteils von Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen) am Gesamtverhalten ist vor und nach dem achten Mapping zu ersehen.
133
Veränderung Sonderkategorien
30,0
in % aller Kategorien
25,0
20,0
K
15,0
N
10,0
5,0
0,0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Die Verhaltenskategorie K (unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen) zeigt sich über die elf Mappings relativ konstant bei einem Wert von
5%. Verhalten N (Schlaf) war zu Beginn des Projekts häufiger zu beobachten (10 bis 11%), senkte sich dann auf ein Niveau um 5% und stieg im letzten Mapping wieder bis auf 8% an.
Statistische Berechnungen
Aus den nun folgenden fünf Tabellen geht hervor, welche dieser Verhaltensveränderungen ab welchem Zeitpunkt innerhalb des Projektzeitraums statistisch signifikant waren. D.h. es wurde rechnerisch ausgeschlossen, dass die
Veränderungen auf einem Zufall beruhen. Dabei sind in den Tabellen53 jeweils unterschiedliche Arten von Veränderungen dargestellt:
53
In den folgenden Tabellen steht N für die Anzahl der Datensätze, die miteinander verglichen
wurden. Hier ist es die jeweilige Anzahl der Mappings, deren Ergebnisse verglichen wurden. Es wird ein Signifikanzniveau von 0,05 (= 95%) verwandt.
134
Tabelle 1: Positive Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein nährt
Tabelle 2: Positive Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein gefährdet
Tabelle 3: Negative Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein nährt
Tabelle 4: Negative Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein gefährdet
Tabelle 5: Neutrale Veränderung der Sonderkategorie N
Tabelle 1:
BCC
A
I
Positive Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhaltens,
das Personsein nährt
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
56
17,225
6,6872
<7
67
13,388
7,8331
>= 8
44
2,439
3,6278
<8
79
0,970
2,2195
Signifikanzniveau (p)
0,05
0,006
Anhand der Tabelle wird deutlich, dass sich die Häufigkeit von zwei Verhaltenskategorien, die das Potenzial haben, Personsein zu nähren, im Verlauf
des Projektes signifikant steigerte. Die Häufigkeit des Verhaltens A (verbale
und non-verbale Interaktion) veränderte sich im Vergleich der Zeiten vor und
ab dem siebten Mapping statistisch signifikant (p = 0,05). Vor dem siebten
Mapping ergab sich ein Mittelwert von 13,388% (N = 67) bei einer Standardabweichung von 7,8331% und ab dem siebten Mapping ein Mittelwert von
17,225 bei einer Standardabweichung von 6,6872% (N = 56). Die weitere
positive und statistisch signifikante Entwicklung ist die Steigerung des Verhaltens I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) von
0,97% (AM) vor dem achten auf 2,439% (AM) ab dem achten Mapping (p =
0,006).
135
Tabelle 2:
BCC
W
C
B
Positive Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens,
das Personsein gefährdet
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
56
0,889
1,1553
<7
67
2,088
3,4453
>= 8
44
0,609
1,2173
<8
79
2,000
2,9112
>= 9
32
21,969
7,3520
<9
91
25,149
7,5210
Signifikanzniveau (p)
0,014
0,03
0,041
Die Häufigkeit der Verhaltenskategorien W (repetitive Selbststimulation), C
(sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) und B (Beobachten, sozial
miteinbezogen sein, aber auf passive Weise), die alle das Potenzial haben,
das Personsein von Menschen mit Demenz zu gefährden, reduzierte sich
erfreulicherweise im Projektverlauf. Verhalten W (repetitive Selbststimulation) war vor dem siebten Mapping zu 2,088% (AM) und danach nur noch zu
0,889% (AM) zu beobachten. Diese Veränderung ist statistisch signifikant
mit einem Signifikanzniveau von 0,014 (p), bei Standardabweichungen von
3,4453% (N = 67) vor dem siebten und ab dem siebten Mapping von
1,1553% (N = 56). Eine weitere signifikante Veränderung (p = 0,03) ergab
sich für das Verhalten C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt).
Der Anteil der Verhaltenskategorie C am Gesamtverhalten änderte sich von
2,000% (AM) auf 0,609% (AM) ab dem achten Mapping. Auch der prozentuale Anteil von Verhalten B (Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf
passive Weise) nahm ab. So zeigten die Bewohner vor dem neunten Mapping noch zu 25,149% und danach zu 21,969% das Verhalten B. Diese Veränderung ist ebenfalls statistisch signifikant (p = 0,041).
136
Tabelle 3:
BCC
G
Negative Veränderung: Abnahme der Häufigkeit eines Verhaltens,
das Personsein nährt
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung
(SD)
>= 7
56
0,711
1,6106
<7
67
2,709
4,7591
Signifikanzniveau (p)
0,003
Tabelle 3 zeigt die Berechnung des Signifikanzniveaus der Veränderung der
Verhaltenskategorie G (Spiele) auf (p = 0,003). Zu 99,7% kann hier ein Zufall der Veränderung von 2,709% (SD = 4,7591) vor dem siebten Mapping
auf 0,711% danach (SD = 1,6106) ausgeschlossen werden. Die Abnahme
des Auftretens von G (Spiele) ist negativ zu bewerten, da diese Verhaltenskategorie potenziell Personsein nähren kann.
Tabelle 4:
BCC
Y
Negative Veränderung: Steigerung der Häufigkeit eines Verhaltens, das Personsein gefährdet
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung
(SD)
>= 9
32
0,931
1,5930
<9
91
0,362
0,6743
Signifikanzniveau (p)
0,006
Eher negativ ist zu beurteilen, dass sich das Verhalten Y (mit sich selber
oder einer imaginierten Person sprechen) im Verlauf des Projekts häufiger
zeigte. Vor dem neunten Mapping betrug der Anteil am Gesamtverhalten
0,362% (AM), danach stieg er auf 0,931% (AM). Auch diese Veränderung ist
statistisch signifikant (p = 0,006).
Tabelle 5:
BCC
N
Neutrale Veränderung der Sonderkategorie N
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung
(SD)
>= 4
91
5,515
3,9822
<4
32
8,778
8.0918
Zeitpunkte
Signifikanzniveau (p)
0,004
137
Eine neutrale Veränderung ist für das Verhalten N (Schlaf) vor (AM =
8,778%) und ab dem vierten Mapping (AM = 5,515) festzuhalten. Die Veränderung ist zwar statistisch signifikant (p = 0,004), aber in der Bewertung ist
sie neutral. Denn das Schlafen oder Schlummern (N) kann etwas Positives
für den Menschen mit Demenz sein, im Sinne von Ausruhen und Kräfte
sammeln, aber auch negativ wirken, wenn dies ein Ausdruck dafür ist, dass
sich die Person selbst verliert oder sich nicht mehr spürt.
Interpretation
Insgesamt zeigten fünf Verhaltenskategorien eine positive und statistisch
signifikante Veränderung im Projektverlauf über elf Beobachtungsrunden
hinweg:
ƒ
Das Auftreten der Verhaltenskategorie A (verbale und non-verbale Interaktion) hat sich gesteigert, was in erster Linie durch zwei Aspekte zu
begründen ist. Zum einen wurde das Präsenzprinzip mehr und mehr
verwirklicht, das eine kontinuierliche Betreuung der Menschen mit Demenz und beständigen Kontakt möglich macht. Zum anderen wurden die
Beziehungen der Bewohner untereinander häufiger in den Blick genommen. Dadurch konnten positive Kontakte gefördert werden, die die
Interaktion anregten.
ƒ
Des Weiteren konnte im Projektverlauf vermehrt das Verhalten I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) beobachtet werden. Auch dies ist positiv zu werten, da diese Kategorie den Menschen
mit Demenz in einer Weise fordert, dass er sich selbst dabei spüren und
als kompetent erfahren kann. Als Begründung für das Ansteigen kann
das durch Fortbildungen und Reflexionsprozesse erweiterte Verständnis
und Handlungsrepertoire der Mitarbeiter angeführt werden.
ƒ
Eine statistisch signifikante Abnahme des Verhaltens W (repetitive
Selbststimulation) ist ebenfalls als wertvoll für Menschen mit Demenz zu
betrachten. Allerdings gilt es hier zu beachten, dass die Kategorie W
(repetitive Selbststimulation) zwar grundsätzlich eher eine Gefährdung
des Personseins beinhaltet, dass sie aber auch mit Wohlbefinden besetzt sein kann. Für eine abschließende Bewertung müssen daher die
WIB-Werte mit einbezogen werden (siehe dazu auch Kap. 5.3.3).
138
ƒ
Wenn Menschen mit Demenz sozial nicht miteinbezogen und in sich
gekehrt sind (C), ist dies nach dem personzentrierten Ansatz negativ zu
deuten. Erfreulich ist demnach die Abnahme der Verhaltenskategorie C
(sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) im dreijährigen Projektverlauf. Die Ursachen hierfür sind wiederum in der Umsetzung des
Präsenzprinzips und der veränderten Wahrnehmung der Mitarbeiter zu
finden. Diese erkannten auf Grundlage eines personzentrierten Verständnisses die destruktive Kraft des Verhaltens C und waren um einen
vermehrten Kontakt zu den Bewohnern bemüht (u.a. durch so genannte
Bienchendienste).
ƒ
Ebenfalls positiv ist die Reduzierung des Verhaltens B (Beobachten,
sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) über die elf Mappings hinweg zu beurteilen. Das aktive Handeln ist für Menschen mit
Demenz sehr bedeutend, geht es doch einher mit einer intensiven
Selbstwahrnehmung des eigenen Personseins, welche der Kraft der
Demenz entgegentreten kann. Erklärt werden kann diese Entwicklung
durch eine intensivere Hinwendung zu bedürfnisorientierten Angeboten
für Menschen mit Demenz in den Einrichtungen. Die Mitarbeiter wurden
dazu durch die Fortbildungen sowie die regelmäßigen Feedbacks befähigt.
Eine statistisch signifkante negative Veränderung ergab sich in zwei Verhaltenskategorien:
ƒ
So zeigte sich leider im Projektverlauf eine Reduzierung der Verhaltenskategorie G (Spiele). An einem Spiel teilzunehmen, ist etwas sehr Soziales und beinhaltet das Potenzial, Personsein zu nähren. Gründe für das
Abnehmen dieses Verhaltens können nur vermutet werden. Einerseits
könnten die Anteile von G (Spiele) am Gesamtverhalten durch größere
Anteile z.B. von A (verbale und non-verbale Kommunikation) oder von I
(Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert) ersetzt
worden sein. Aufgrund vieler anderer positiver Veränderungen während
des Projekts können eine vermehrte Arbeitsbelastung, ein sich wieder
reduzierendes personzentriertes Verständnis oder eine Abkehr vom
Präsenzprinzip nicht als Begründungen für die Abnahme von G (Spiele)
herangezogen werden.
ƒ
Eine weitere Entwicklung, die eher negativ betrachtet werden muss, ist
die Zunahme des Verhaltens Y (mit sich selber oder einer imaginierten
139
Person sprechen). Dieses Verhalten kann zwar nach dem DCMVerfahren auch mit Wohlbefinden besetzt sein, dennoch zeigt es grundsätzlich eher eine Vernachlässigung von Menschen mit Demenz oder
eine Abkehr in eine nicht reale Welt. Auch hier muss daher geprüft werden, welches Wohlbefinden/Nicht-Wohlbefinden während des Verhaltens Y (mit sich selber oder einer imaginierten Person sprechen) Menschen mit Demenz empfinden, um eine abschließende Bewertung der
Zunahme geben zu können.
Ähnliches gilt für das Verhalten N (Schlaf). Im Verlauf des Projekts zeigte
sich eine Abnahme von (N) innerhalb der Beobachtungszeiträume. Wie in
Kapitel 2.2 ausgeführt, erkennt das DCM-Verfahren einen „angemessenem
Schlaf“54 während des Tages an, der jedoch, wenn er zeitlich überschritten
wird, als negativ für den Menschen mit Demenz erachtet wird. Demnach
kann die Entwicklung der Abnahme des Verhaltens N (Schlaf) nicht bewertet
werden, da nur ein Blick auf jeden einzelnen Bewohner eine Antwort darauf
geben könnte, ob der Schlaf der jeweiligen Person noch angemessen war.
Insgesamt können die Veränderungen im Verhalten der Bewohner als positiv gedeutet werden. Die negative Entwicklung der Kategorie G (Spiel) wirkt
nicht dominant. Zum größten Teil hat sich eine Verschiebung von Anteilen
eines Typ 2-Verhaltens in Richtung eines Typ 1-Verhaltens gezeigt, gleichbedeutend einer prozentualen Abnahme von W (repetitive Selbststimulation), C (sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt) und B (Beobachten,
sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise) und einer Zunahme von
A (verbale und non-verbale Interaktion) und I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten konzentriert).
5.2.3
Analyse der Maßnahmeplanungen
Anhand des Verfahrens der strukturierten Inhaltsanalyse nach Mayring55
wurden insgesamt 103 Protokolle von Maßnahmeplanungen analysiert und
440 einzelne Maßnahmen identifiziert. In einem weiteren Schritt wurden die
Einzelmaßnahmen acht Überkategorien zugeordnet. Wie viele einzelne
54
55
Angemessener Schlaf ist zeitlich definiert mit 1½ Stunden für die stationäre Pflege und mit
einer Stunde für die Tagespflege innerhalb eines Zeitrahmens von zehn Stunden nach dem
ersten Erscheinen in den Gemeinschaftsräumen (vgl. Bradford Dementia Group (1997)).
vgl. Mayring, P. (2000): Qualitative Inhaltsanalyse. 7. Aufl. Weinheim.
140
Maßnahmen in Prozent unter die acht Bereiche subsumiert werden konnten,
ist anhand nachstehender Graphik zu erkennen:
Maßnahmeplanungen
8%
6%
2%
1%
0,4%
8%
11%
64%
Kooperation mit anderen Einrichtungen
Angehörigenebene: Maßnahmen für/mit Angehörigen
Gruppenebene: Maßnahmen für die Bewohnerschaft
individuelle Ebene: Maßnahmen für Bewohner
Milieuveränderungen
Organisationsentwicklung
Personalentwicklung
Qualitätssichernde Maßnahmen
Interpretation
Die Graphik veranschaulicht, wie groß der Anteil der Maßnahmen ist, die für
einzelne Bewohner geplant wurden (64%). Darüber hinaus bezogen sich
11% der Maßnahmen auf Milieuveränderungen, weitere 8% auf die Organisationsentwicklung und 6% auf die Personalentwicklung. Maßnahmen, die
auf eine Gruppe von Menschen mit Demenz oder die ganze Bewohnerschaft
bezogen waren, hatten einen Anteil von 8%. Der Blick für die soziale Umwelt
der Bewohner zeigt sich in den 2% der Maßnahmen auf Angehörigenebene.
Zu kleinen Anteilen wurden Maßnahmen der Qualitätssicherung (1%) und
der Kooperation mit anderen Einrichtungen (0,4%) geplant.
Sehr deutlich wird hier das Potenzial, das DCM besitzt: Es fordert dazu auf,
am einzelnen Menschen mit Demenz anzusetzen und individuelle Maßnahmen für die Bewohner anzubieten. Allzu oft werden in der gängigen Praxis
der Altenhilfe Konzepte oder Ideen implementiert, die keine Wirkung auf den
Einzelnen haben, weil sie so abstrakt sind und damit den Bezug zum Indivi-
141
duum verloren haben. Sie bleiben „Papiertiger“, die den Weg der Konkretisierung nicht bewältigen können. In Kapitel 5.3.1 wird näher auf verschiedene Beispiele von Einzelmaßnahmen, die im Projektverlauf entwickelt wurden, eingegangen, um so die eher abstrakte Ebene der acht vorgestellten
Überkategorien um eine anschaulichere Darstellung zu ergänzen.
5.2.4
Analyse der positiven Ereignisse
Während der Beobachtungszeiträume notierten die Mapper positive Ereignisse (PEs), die sie den Mitarbeitern zurückmeldeten und im Mappingbericht
dokumentierten. Dabei wird davon ausgegangen, dass sich Betreuende vor
allem durch die Unterstützung ihrer Stärken im Sinne der personzentrierten
Pflege weiterentwickeln können. Anders als bei den personalen Detraktionen (PDs) werden für die PEs keine festen Kategorien vorgegeben (siehe
dazu Kap. 2.2). Dennoch gibt es im DCM-Verfahren schriftlich festgehaltene
Richtlinien, welche Situationen als positive Ereignisse zu bewerten sind, z.B.
„Fähigkeiten eines Teilnehmers werden hervorgelockt“ oder „ein so genanntes ´Problemverhalten` wird umgewandelt.“56 Dagegen sind positive Aspekte
beispielsweise der Organisation oder der Versorgung nicht als PEs im Sinne
des DCM zu verstehen. Die Beobachter in diesem Projekt hielten sich aber
nur zum Teil an die Vorgaben (siehe dazu auch Kap. 4.4.1.3). Bei der folgenden Analyse wurden die spezifischen Interpretationen der Mapper mit
berücksichtigt.
Insgesamt lagen 120 Mappingberichte zur Auswertung vor. Darin ließen sich
537 als positive Ereignisse erachtete Situationen identifizieren. In der folgenden Graphik wird deutlich, wie viele dieser Situationen sich z.B. auf die
Betreuungskultur und auf andere Bereiche bezogen.
56
Bradford Dementia Group (1997): 70.
142
Positive Ereignisse
4%
7%
16%
2%
5% 1%
55%
4%
6%
Betreuungskultur
Besondere Interventionen für Menschen mit Demenz
Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit
Angebote
Organisation und Personal
Milieu und Architektur
Allgemeine Atmosphäre
Angehörige und Besucher
Sonstige
Der Anteil der positiven Ereignisse (PEs) im Bereich Betreuungskultur betrug 55%. Weitere 6% bezogen sich auf Interventionen, die speziell auf die
Bewältigung der Demenzsymptomatik bezogen waren. Die PEs, die explizit
die Selbstbestimmung und Selbsttätigkeit der Bewohner fokussierten, hatten
einen Anteil von 4%. Angebote, die einen positiven Effekt auf die Menschen
mit Demenz hatten (16%), wurden gleichfalls zurückgemeldet. Ebenso wurden Ereignisse im Hinblick auf die Organisation und das Personal (7%) sowie in Bezug auf das Milieu und die Architektur (4%) als positiv empfunden.
In einigen Berichten über PEs wurde eine positive allgemeine Atmosphäre
(5%) herausgestellt. Auch Situationen, in denen Angehörige oder Besucher
(1%) etwas Positives bewirkten, wurden als PEs dokumentiert. Unter „Sonstige“ (2%) wurden PEs zusammengefasst, die keinem anderen Bereich zugeordnet werden konnten und nur sehr selten benannt wurden.
Interpretation
In dieser Gesamtsicht auf alle PEs des dreijährigen Projektverlaufs wird
deutlich, was von den Mappern als positiv erachtet und an die Mitarbeiter
143
zurückgemeldet wurde. PEs sind demnach einerseits ein Beleg für positive
Momente der Praxis im Sinne der personzentrierten Pflege und andererseits
geben sie auch einen Hinweis auf die „Brille“, durch die die Mapper diese
Praxis betrachten.
Auffallend ist, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen Positives stattgefunden hat. Es wurde quasi ein ökologischer Blick auf die Bewohner gerichtet,
der vielfältige Umweltbedingungen (z.B. Milieu, Architektur, Angehörige) mit
umfasst, die alle eine direkte oder indirekte positive Wirkung auf den Menschen mit Demenz haben können.
Die starke Fokussierung der Betreuung durch die Mapper wird anhand der
PEs zur Betreuungskultur deutlich, die mehr als die Hälfte aller PEs betrugen (siehe dazu auch Kap. 4.4.2.3). DCM bewirkt demnach bei den Mappern, dass sie sich speziellen Bereichen der Wirklichkeit zuwenden, insbesondere der Betreuung von Menschen mit Demenz bzw. den Angeboten, die
sich darauf beziehen. Dies sind PEs im Sinne der personzentrierten Pflege.
Andere PEs, die die Mapper z.B. im Bereich von Organisation und Personal
wahrgenommen haben, sind keine PEs, auf die in den DCM-Schulungen
hingewiesen wurde, sondern sie sind Beleg für eine spezielle Sichtweise der
Mapper, die sie über andere Wege erworben haben.
5.2.5
Analyse der personalen Detraktionen
Personale Detraktionen (PDs) bezeichnen ein Verhalten oder Handlungen
des sozialen Umfelds, die das Personsein von Menschen mit Demenz untergraben, demnach negativ wirken (siehe dazu auch Kap. 2.2). Im DCMVerfahren werden 17 personale Detraktionen unterschieden, die in jeweils
vier Schweregraden kodiert werden. Im Folgenden wird dargestellt, wie häufig welche PDs zu beobachten waren und welche Schweregrade vorherrschten. Weiterhin wird ersichtlich, wie sich die Anzahl der PDs über den Projektzeitraum hinweg verändert hat.
Art und Häufigkeit der personalen Detraktionen
Die PDs wurden von den Mappern in den Feedback- und Mappingberichten
dokumentiert. Insgesamt konnten in 120 Berichten genau 300 personale
Detraktionen identifiziert werden, was einer durchschnittlichen Anzahl von
2,5 PDs pro Mapping entspricht. Die nachstehende Graphik verdeutlicht die
144
Häufigkeit des Auftretens der 17 unterschiedlichen PDs bezogen auf die
gesamte Projektlaufzeit.
Ignorieren
52
Überholen
44
Zum Objekt machen
40
Entrmächtigen
33
Vorenthalten
24
Zwingen
19
Betrügen
15
Unterbrechen
15
Invalidieren
15
Infantilisieren
14
Spotten
9
Anklagen
6
Herabsetzen und verächtlich machen
6
Verbannen
2
Stigmatisieren
2
Etikettieren
1
Einschüchtern
0
0
10
20
30
40
50
60
Aus der Graphik geht hervor, dass das Ignorieren (52-mal) die häufigste
aller personalen Detraktionen darstellt. Am zweithäufigsten konnte das Überholen (44-mal) beobachtet werden. Ebenfalls sehr oft wurden das zum
Objekt machen (40-mal) und das Entmächtigen (33-mal) als PDs dokumentiert. Menschen mit Demenz etwas vorzuenthalten (24-mal) oder sie zu etwas zu zwingen (19-mal), sind weitere PDs, die während der dreijährigen
Projektlaufzeit auftraten. Jeweils 15-mal wurden das Betrügen, das Unterbrechen und das Invalidieren als PDs beobachtet. Jemanden in der Interaktion wie ein Kind zu behandeln (Infantilisieren) wurde 14-mal als eine personale Detraktion benannt. Weniger häufig nahmen die Mapper ein Spotten (9mal), Anklagen (6-mal) oder ein Herabsetzen und verächtlich Machen (6mal) wahr. Sehr selten zeigten sich personale Detraktionen des Verbannens
(2-mal), des Stigmatisierens (2-mal) und des Etikettierens (1-mal). Eine Einschüchterung wurde über die ganze Projektlaufzeit hinweg nicht beobachtet.
Schweregrad der personalen Detraktionen
Zusätzlich zur Art der personalen Detraktion wird beim DCM-Verfahren auch
der Schweregrad der jeweiligen PD dokumentiert. Unterschieden werden
145
vier Grade: mild (a), mäßig (b), schwer (c) und sehr schwer (d). Anhand der
nachstehenden Graphik wird ersichtlich, wie sich die im DCM-Projekt beobachteten Schweregrade darstellen:
0,3%
mild
7,4%
mäßig
schwer
27,6%
sehr schwer
64,6%
Fast zwei Drittel aller personalen Detraktionen waren in ihrer Intensität mild
einzustufen (64,6%). Weitere 27,6% aller PDs zeigten den Schwergrad mäßig. Schwere Detraktionen wurden in 7,4% aller Fälle beobachtet. Lediglich
eine personale Detraktion wurde als sehr schwer eingestuft (0,3%).
Zeitliche Effekte der personalen Detraktionen
Hier wurde die Anzahl der beobachteten PDs pro Mapping auf zeitliche Effekte hin untersucht, d.h. es wurde berechnet, ob sich die Anzahl der PDs
über den Projektzeitraum hinweg signifikant veränderte. Dabei blieb der
Schweregrad der personalen Detraktionen unberücksichtigt.
In der Betrachtung jeder einzelnen der zwölf Einrichtungen zeigten sich keine signifikanten Veränderungen in der Anzahl der beobachteten personalen
Detraktionen, aufgrund der geringen Daten je Einrichtung. In der Gesamtsicht auf alle Einrichtungen ergibt sich jedoch folgendes statistisch signifikantes (p = 0,002) Ergebnis:
146
Variable
PD
Zeitpunkte
N57
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 6
60
1,6667
2,36977
<6
60
3,3333
3,26079
Signifikanzniveau (p)
0,002
Vor der sechsten Beobachtungsrunde wurden durchschnittlich 3,3333 personale Detraktionen pro Mapping und danach durchschnittlich 1,6667 PDs
beobachtet. Die Standardabweichungen betrugen vor dem sechsten Mapping 3,26079 und ab dem sechsten Mapping 2,36977.
Im folgenden Schaubild wird die Veränderung der Anzahl der beobachteten
PDs im zeitlichen Verlauf sichtbar.
60
Anzahl der PDs
50
40
30
20
10
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
Mapping
Die Kurve zeigt, dass beim ersten Mapping zu Anfang des Projekts viele
PDs in allen Einrichtungen beobachtet werden konnten, die sich daraufhin
etwas reduzierten, um dann im dritten Mapping auf den höchsten Wert anzusteigen. Nach dem dritten Mapping reduzierte sich die Anzahl der PDs
allmählich bis zum sechsten Mapping und blieb dann über zwei weitere Beobachtungsrunden relativ konstant. Im neunten Mapping stieg die Anzahl
57
N steht für die Anzahl der Datensätze, die hier miteinander verglichen wurden. In dieser
Berechnung wurden die Ergebnisse für die Anzahl der PDs von 60 Mappings vor der sechsten Beobachtungsrunde mit 60 Mappings ab der sechsten Beobachtungsrunde verglichen.
147
noch einmal, bevor sie auf ein paar wenige PDs während der beiden letzten
Mappings zurückfiel.
Interpretation
Die Analyse hat gezeigt, dass die Häufigkeit des Auftretens der beobachteten PDs stark differiert. Die beiden Extremwerte waren das Ignorieren, das
52-mal auftrat, und das Etikettieren, das nur 1-mal beobachtet wurde. Die
personale Detraktion des Einschüchterns wurde gar nicht nachgewiesen.
Die Gründe für die unterschiedlichen Häufigkeiten sind nicht eindeutig zu
erschließen, jedoch lassen sich Vermutungen darüber anstellen. Denkbar
ist, dass insbesondere die PDs Ignorieren, Überholen und Unterbrechen
eine Folge des engen zeitlichen Korsetts sind, in das die Mitarbeiter in der
Altenpflege tagtäglich eingebunden sind. Einen Menschen mit Demenz zu
einem Objekt zu machen, ihm etwas vorzuenthalten, ihn zu entmächtigen,
zu betrügen, zu invalidieren oder zu infantilisieren, könnte auf ein lückenhaftes sozialpsychologischen Verständnis von Demenz hindeuten. Handlungen
des Zwingens, Spottens, Anklagens, Betrügens, Verbannens, Etikettierens,
Stigmatisierens, Herabsetzens und verächtlich Machens können als Reaktion auf eine starke psychische Belastung der Mitarbeiter in der Altenpflege
gedeutet werden.58
Die Ergebnisse bezüglich der Schweregrade der PDs lassen sich nicht interpretieren, da hierzu eine Vergleichsmöglichkeit bestehen müsste. D.h. es
kann nicht beurteilt werden, ob im Vergleich bestimmte Schweregrade in
diesem Projekt besonders häufig oder selten zu beobachten waren.
Eine monokausale Erklärung der positiv zu bewertenden und statistisch
signifikanten Reduzierung (p = 0,002) der PDs über den Projektzeitraum
hinweg kann nicht gegeben werden. Wahrscheinlich ist jedoch, dass vielfältige Maßnahmen der Personal- und Organisationsentwicklung ihren Beitrag
dazu geleistet haben. Einfluss auf die Reduzierung der PDs im Projektlauf
hatten z.B.:
ƒ
die Sensibilisierung der Mitarbeiter für die destruktive Wirkung von PDs
durch die Fortbildungen und die Feedbackgespräche;
58
vgl. u.a. Schwartze, G. (1998): Beziehungen und Gefühle in der Pflege. München, Wien,
Baltimore.
148
ƒ
die Reduktion der Komplexität der täglichen Arbeit durch klare Verantwortungszuweisungen (z.B. Präsenzprinzip), wodurch auch die Arbeitsbelastung gemindert wurde.
Fraglich ist, ob alle stattgefundenen PDs wahrgenommen und des Weiteren,
ob alle wahrgenommenen PDs auch dokumentiert wurden. Einige Berichte
lassen dies vermuten. Vor diesem Hintergrund können die oben beschriebenen zeitlichen Effekte nur bedingt als valide (gültig) angesehen werden. Im
Hinblick auf den Anspruch von DCM, ein Abbild der Demenzpflege in teilstationären und stationären Einrichtungen zu erstellen, muss eine lückenhafte
Dokumentation der PDs kritisch gesehen werden. Wird jedoch die erhoffte
Wirkung von DCM - eine Veränderung der Pflegekultur - betrachtet, so kann
das exemplarische Dokumentieren von PDs durchaus sinnvoll sein. Die
dabei leitenden „Hintergedanken“ sind der Wunsch, die Mitarbeiter bei der
Rückmeldung der PDs nicht zu beschämen, und das Wissen darüber, dass
auch exemplarische PDs einen Reflexions- und Veränderungsprozess bewirken können.
5.3
Spezifische Ergebnisse im Rahmen der DCM-Evaluation
5.3.1
Individuelle Maßnahmen
In den Protokollen der Maßnahmeplanungen wurden 440 Maßnahmen identifiziert (siehe dazu auch Kap. 5.2.3), von denen 279 einen individuellen
Zuschnitt hatten (64%). Diese wurden nochmals in 25 Untergruppen zusammengefasst. Um zu belegen, auf wie vielen unterschiedlichen Ebenen
individuelle Maßnahmen entwickelt wurden, die alle eine Steigerung des
Wohlbefindens zum Ziel hatten, werden diese im Folgenden beschrieben
und exemplarisch verdeutlicht:
149
Maßnahme
ƒ Beobachten der Bewohner zur Abklärung
Anzahl
3
ƒ Bewusste Unterlassung von Maßnahmen
5
ƒ Arztbesuche/Konsultationen
5
ƒ Organisation von therapeutischen Maßnahmen
4
ƒ Medikationsmaßnahmen
5
ƒ Individuelle Tagesstrukturierung
2
ƒ Maßnahmen zum Schlaf-/Wach-/ Ruherhythmus
7
ƒ Räumliche Positionierung
2
ƒ Hauswirtschaftliche Angebote
7
ƒ Medien
ƒ Externe Aktivitäten
ƒ Ästhetik
ƒ Musische Angebote
ƒ Religiöse Maßnahmen
3
10
3
12
2
ƒ Validation
11
ƒ Biographiearbeit/ Erinnerungspflege
49
ƒ Sterbebegleitung
2
ƒ Interaktions-/Kommunikationsregeln
7
ƒ Motivierende Maßnahmen
3
ƒ Mobilisation und Bewegungsbedürfnisse
ƒ Ernährung
ƒ Beschäftigungsangebote
15
4
24
ƒ Hochindividuelle Maßnahmen
29
ƒ Körperstimulierende Maßnahmen
28
ƒ Köperpflegebezogene Maßnahmen
5
In einigen Sitzungen zur Maßnahmeplanung waren gewisse Aspekte über
die Bewohner unklar, so dass ein weiteres Beobachten der Bewohner zur
Abklärung (3-mal) vereinbart wurde, wie aus den folgenden Beispielen hervorgeht: „weiterhin genaues Beobachten einer affektierten Bewohnerin“;
Abklärung der Impulse, die zu aggressivem Verhalten einer Bewohnerin
führen“. Geplant wurde darüber hinaus, zukünftig gewisse Maßnahmen bewusst zu unterlassen (5-mal), z.B.: „für sehr aktive und selbständige Bewohner wird keine Maßnahme der Aktivierung getroffen“ oder „Bewohnerin wird
nicht an einen anderen Tisch gesetzt, da die Veränderung zu groß wäre“.
150
Es wurde ein „Augenarztbesuch für eine Bewohnerin“ geplant oder ein „Experte geholt, um über einen Rollstuhl zu entscheiden“, was Maßnahmen
unter der Rubrik Arztbesuche/Konsultationen (5-mal) entspricht. Weiterhin
wurden therapeutische Maßnahmen organisiert (4-mal), wie z.B. die „Beantragung“ oder das „Einfordern von Ergotherapie“ für bestimmte Bewohner.
Auch die Medikation einiger Bewohner wurde während der Besprechungen
thematisiert und Maßnahmen davon abgeleitet (5-mal). Bei einer Bewohnerin wurden z.B. „Medikamente abgesetzt, um mehr Wachheit zu erreichen“,
in einem anderen Fall wurde „geprüft, ob Medikament abgesetzt werden
soll“.
In zwei Maßnahmeplanungen wurden individuelle Tagesstrukturierungen
geplant, so sollte beispielsweise eine „Bewohnerin, die früh aufsteht und
alleine im Flur sitzt, nun schon früher in die Gruppe des Ergotherapeuten“
gehen können. Um den Schlaf-/Wach-/Ruherhythmus zu fördern oder um
ihn entsprechend zu beachten, wurden 7-mal Interventionen geplant:
-
„auf Anzeichen von Müdigkeit bei ihr achten und reagieren“;
-
„Bewohnerin ist morgens müde: deshalb länger schlafen lassen“;
-
„Bewohnerin wird in Nachtcafé-Angebot integriert“.
Während der Maßnahmeplanungen entschieden sich die Mitarbeiter auch
für zwei Interventionen, die einer veränderten räumlichen Positionierung
einzelner Bewohner galt. So wurde ein „neuer Sitzplatz für eine Bewohnerin
geplant, um ihr größere Beobachtungsmöglichkeiten“ zu schenken und in
einem anderen Fall wurde dazu aufgefordert, einem „Bewohner einen anderen Platz am Tisch zu ermöglichen, um mehr Überblick zu geben“. Ingesamt
sieben Maßnahmen wurden beschlossen, die ein hauswirtschaftliches Angebot für bestimmte Menschen mit Demenz vorsahen. So sollte „ein Bewohner in den Haushalt: backen, Marmelade kochen“ eingebunden werden.
Eine andere Bewohnerin sollte „vermehrt beim Abtrocknen helfen und mitgehen, wenn Wäsche ausgeteilt wird“. Besondere Maßnahmen für einzelne
zur Beschäftigung mit Medien (3-mal) waren zum Beispiel:
-
„verschiedene Zeitschriften für eine Bewohnerin (Mode/Tageszeitungen)“
bereitlegen;
-
„Medium Fernsehen für eine Bewohnerin stärker und spezifischer nutzen“.
Angebote an die Bewohner wurden jedoch nicht nur auf den begrenzten
151
Bereich der Altenpflegeeinrichtung bezogen, sondern auch auf externe Aktivitäten (10-mal). Mehrmals wurde geplant, mit einer „Bewohnerin Eis essen
zu gehen“, „ein Gast soll einmal in der Woche mit Zivi einkaufen gehen“ oder
es soll „ab und zu mal mit Bewohnern auf den Markt gegangen“ werden.
Das Ästhetikbedürfnis wurde durch drei Maßnahmen zu befriedigen gesucht,
z.B.: „Bewohnerin schöne Kleider anziehen, Schmuck anziehen, Komplimente bekommen“ oder „schöne Kleider und Schmuck ansehen und anziehen“. Weiterhin wurde eine Vielzahl von Maßnahmen geplant, um den Bewohnern musische Angebote (12-mal) machen zu können:
-
„mit Bewohnerin Lied singen, im Takt der Musik bewegen“;
-
„Hörspielkassetten anbieten“;
-
„Freude einer Bewohnerin an Musik mehr aufgreifen“;
-
„Bewohner sollen neue Lieder und Gedichte zur Verfügung gestellt bekommen“.
Zweimal wurden während der Maßnahmeplanungen Ideen entwickelt, um
religiösen Bedürfnissen zu entsprechen: „Bewohnerin wenn möglich wöchentlich zum Gottesdienst begleiten“ oder „Bewohnerin in den Gottesdienst
mitnehmen und bekannte Kirchen aufsuchen“. Der Ansatz der Validation
und deren Wirkungsweise sind den Mitarbeitern der Projekteinrichtungen
bekannt, denn insgesamt elf Maßnahmen wurden dahingehend geplant:
-
„Bewohnerin viel direkte und validierende Ansprache geben“;
-
„diese Dame weiterhin validieren“;
-
„aufgrund von Angstattacken viele kleine validierende Kontakte ermöglichen".
Im Kontext der Validation stehen auch die Konzepte der Biographiearbeit
und Erinnerungspflege, wozu eine große Zahl von individuellen und kreativen Maßnahmen geplant wurde (49-mal). So wurden z.B. „Angehörige um
Alben mit Fotos gebeten; „eine Stickkarte“, „eine Schreibmaschine“ oder „ein
Stenoblock besorgt“ sowie „ein „Dackelbesuch organisiert“. Zweimal wurden
Maßnahmen der Sterbegleitung geplant. Beispielsweise wurde die „Entwicklung von Ideen für eine Sterbebegleitung: wenig alleine lassen, schöne Gefühle vermitteln“ als Maßnahme benannt oder auch „mit Angehörigen soll
besprochen werden, ob einer sterbenden Bewohnerin ein religiöses Angebot
gemacht werden soll“. Des Weiteren wurden individuelle Interaktions/Kommunikationsregeln (7-mal) während der Maßnahmeplanungen entwor152
fen, wie z.B. „langsamer mit Bewohnerin reden; einfach klare Sätze“ oder
„häufiger Platt mit Bewohnerin sprechen“. Auch um die Bewohner zu motivieren, wurden neue Wege gesucht (3-mal). So sollte „mit Bewohnerin beim
Essen geredet werden, um zu motivieren; langsames Anreichen im gleichmäßigem Rhythmus des Löffels“. Bei einer anderen Bewohnerin wurde vorgeschlagen: „Bewohnerin soll ein Stück in den Arm genommen und dann in
die Gruppe geführt werden“.
Dem Bewegungsbedürfnis wurde durch vielfältige Maßnahmen der Mobilisation (15-mal) entsprochen. So wurde ein beispielsweise ein „Angebot an
Ballspielen geplant, um aggressive Stimmungen abzubauen“; einer anderen
Bewohnerin sollten „kleine Spaziergänge über den Wohnbereich ermöglicht
werden“ und „ein Mitarbeiter schützend hinter ihr sein“. Im Hinblick auf die
Ernährung einzelner Menschen mit Demenz wurden insgesamt vier Maßnahmen geplant, die unterschiedliche Schwerpunkte hatten: Beispielsweise
sollte eine „Bewohnerin aufgrund hohen Kalorienverbrauchs immer etwas zu
essen bekommen, wenn sie es verlangt (Kekse und Joghurt)“; einer anderen
sollte „trotz Sondennahrung weiterhin konventionelles Essen ermöglicht
werden“.
Bei den zahlreichen Beschäftigungsangeboten (24-mal) gab es viele vereinzelte Ideen, wie z.B.:
-
„Bewohnerin Umgang mit Tieren ermöglichen“;
-
„Puzzle mit größeren Teilen anbieten“;
-
„ihr Beschäftigung mit Wolle ermöglichen“;
-
„Angebot von handwerklichen Tätigkeiten (z.B. Hausmeistertätigkeit)“.
Die Fruchtbarkeit der Maßnahmeplanungen zeigt sich deutlich in den 29
Maßnahmen, die einen so starken hochindividuellen Zuschnitt haben, dass
sie in keine der anderen Kategorien eingebunden werden konnten, z.B.:
-
„umgebundene störende Serviette wird durch Anklammern befestigt“;
-
„Bewohnerin mit geringem Sehvermögen das Essen von links anreichen“;
-
„jeden Morgen Tasse Kaffee ans Bett“;
-
„Bewohner, der langsam isst, erhält einen Wärmeteller;
-
„mit Bewohnerin über Puppe Paul kommunizieren“.
153
Ein Wohlfühlen der Menschen mit Demenz über körperstimulierende Maßnahmen wurde ebenfalls sehr häufig geplant (28-mal): „Ansprache einer
Bewohnerin über leichte Massagen“; „Bewohnerin olfaktorische Angebote
machen: Gerüche, schminken“; „Angebote mit Körperkontakt für Bewohnerin
sowie Snoezelangebot“. Auch Beispiele für Maßnahmen, die eher in den
körperpflegebezogenen Bereich (5-mal) zu integrieren sind, ließen sich finden: „Bewohner häufiger von Rollstuhl auf wirkliche Sitzmöbel setzen“ oder
„Schamgefühl beachten: zu zweit arbeiten, schnell bedecken, ablenken,
besondere Ansprache“.
Interpretation
Dieser große Anteil der individuellen Maßnahmen (64%) an allen Maßnahmen zeigt deutlich das Potenzial von DCM: Der Fremdblick und der Austausch darüber stimulieren eine Hinwendung zu individuellen Lösungen und
Maßnahmen, ganz im Sinne einer personzentrierten Pflege. Die Vielzahl von
individuellen Maßnahmen ist des Weiteren ein Nachweis der Unterschiedlichkeit der Menschen mit Demenz, denen lediglich Symptome gemeinsam
sind. Jedes Angebot, jede Kommunikation, jeder Kontakt benötigt einen
individuellen Zuschnitt, um die einzelne Person zu berühren und so zu einer
positiv besetzten Subjektwahrnehmung beizutragen.
5.3.2
Entwicklung des Verhaltens, das Personsein nährt
Das DCM-Verfahren weist eine ganze Reihe von Verhaltenskategorien aus,
die das Potenzial besitzen, das Personsein von Menschen mit Demenz zu
nähren (siehe auch Kap. 2.2 und 5.2.2). Diese werden als Typ 1-Kategorien
bezeichnet. Bei der Evaluation der DCM-Daten wurde auch untersucht, wie
sich das durchschnittliche Wohlbefinden während einer bestimmten Verhaltenskategorie im Projektverlauf geändert hat und ob diese Veränderungen
der WIB-Werte statistisch signifikant59 sind. Die Ergebnisse für die Kategorie
F (Essen und Trinken) wurden bereits im Kapitel 4.4.1.4 dargestellt. Nachfolgend werden die Ergebnisse für die anderen Typ 1-Kategorien präsentiert.
Zusätzlich wird hier auch die Sonderkategorie K mitberücksichtigt.
59
Wie bereits an anderen Stellen erwähnt, wird in diesem Bericht ein Signifikanzniveau von
0,05 (= 95%) verwandt.
154
Verhaltenskategorie A (verbale und non-verbale Interaktion)
Der Verlauf der Kurve ist zunächst sehr schwankend. Nach einem relativ
hohen Wohlbefinden zu Anfang des Projekts (Zeitpunkt 1) reduziert sich das
Wohlbefinden bis zum dritten Zeitpunkt, steigt dann an, um bis zum sechsten Mapping wieder abzufallen. Deutlich ist der stetige Anstieg des Wohlbefindens während des Verhaltens A (verbale und non-verbale Kommunikation) ab dem siebten Mapping zu ersehen.
Die nachstehende Tabelle dokumentiert die statistische Berechnung dieser
Entwicklung, die sich hoch signifikant zeigt (p = 0,000). Verglichen wurden
die Mittelwerte von 317 (N) Daten vor dem siebten Mapping (AM = 1,1956)
mit 313 Daten (N) ab dem siebten Mapping (AM = 1,4997).
Variable
ØWIB/A
60
Zeitpunkte
N60
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
313
1,4997
0,57982
<7
317
1,1956
0,53614
Signifikanzniveau (p)
0,000
In den folgenden Tabellen steht N für die Anzahl der Datensätze, die miteinander verglichen
wurden. Hier wurden die Ergebnisse für die verschiedenen Verhaltenskategorien für eine
bestimmte Anzahl von Personen vor und nach dem siebten (A, E, G, I, L, M, P), sechsten
(O), fünften (X) oder achten Mapping (K) verglichen.
155
Verhaltenskategorie E (mit einer kreativen Tätigkeit beschäftigt sein)
Die Verlaufskurve zeigt keine durchgehende Systematik. Das Wohlbefinden
während des Verhaltens E (kreative Tätigkeit) zeigt während des ersten
Erhebungszeitpunkts einen Wert von 1,80, steigt danach leicht an, bevor
sich das Wohlbefinden in Abstufungen bis zum sechsten Zeitpunkt reduziert.
Danach ergibt sich eine starke Steigerung des Wohlbefindens, mit einem
nochmaligen deutlichen Absinken während des neunten Zeitpunkts. Die
letzten beiden Mappings (Zeitpunkt 10 und 11) zeigen wieder einen Anstieg
des Wohlbefindens. Durch die nachfolgende Berechnung wird deutlich, dass
die Veränderungen ab dem siebten Mapping statistisch signifikant sind (p =
0,047). Es wurden die Mittelwerte von 136 Daten vor dem siebten und von
131 Daten ab dem siebten Mapping miteinander verglichen. Die Standardabweichungen betrugen ~0,90 bzw. ~0,92.
Variable
ØWIB/E
156
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
131
1,8145
0,92313
<7
136
1,5912
0,90484
Signifikanzniveau (p)
0,047
Verhaltenskategorie G (Spiele)
Das Wohlbefinden während des Verhaltens G (Spiele) änderte sich im Verlauf des Projektes stark. Nach einem relativ hohen Wohlbefinden zu Projektbeginn, reduzierte es sich in Stufen bis zum sechsten Mapping, mit Ausnahme einer kleinen Steigerung während des vierten Erhebungszeitpunktes.
Danach steigt das Wohlbefinden zunächst sehr stark, dann ein wenig, dann
wieder stärker an, bevor es sich im zehnten Mapping noch einmal reduziert.
Das letzte Mapping zeigt eine erneute Steigerung bis zu einem WIB-Wert
von 2,2. Berechnet man die entsprechenden Daten, so ergibt sich ein durchschnittliches Wohlbefinden von 1,2992 (AM) vor dem siebten Mapping und
von 2,0049 (AM) danach. Die Veränderung erweist sich als statistisch signifikant (p = 0,000).
Variable
ØWIB/G
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
47
2,0049
1,12755
<7
111
1,2992
0,67960
Signifikanzniveau (p)
0,000
157
Verhaltenskategorie I (Aktivität, die sich auf intellektuelle Fähigkeiten
konzentriert)
Die Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens I verläuft im
Zickzack, mit größer werdenden Amplituden. Auf eine Erhöhung des Wohlbefindens folgt immer wieder eine Reduzierung. Nach dem sechsten Erhebungszeitpunkt kommt es zu einer deutlichen Wohlbefindenssteigerung, die
allerdings während des neunten Mappings wieder deutlich abnimmt. Trotz
des diffusen Verlaufs der Kurve zeigt sich die Berechnung der Veränderung
statistisch hoch signifikant (p = 0,000). Es wurden dabei 60 Daten (N) mit
einem Mittelwert von 1,4498 mit 100 Daten (N) mit einem Mittelwert von
1,9765 verglichen.
Variable
ØWIB/I
158
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
100
1,9765
0,88836
<7
60
1,4498
0,81563
Signifikanzniveau (p)
0,000
Verhaltenskategorie L (Arbeit oder arbeitsähnliche Tätigkeit)
Während die Menschen mit Demenz arbeiteten oder sich mit Pseudo-Arbeit
(L) beschäftigten, empfanden sie stark unterschiedlich ausgeprägtes Wohlbefinden. Zunächst ergibt sich ein WIB-Wert von ~1,3, der dann sinkt, sich
wieder steigert und dann zweistufig abnimmt bis zum sechsten Mapping. Im
Anschluss steigert sich das Wohlbefinden während der Verhaltenskategorie
L sehr stark und bleibt auf einem hohen Niveau, mit einer kleinen Absenkung während des zehnten Mappings. Auch hier lässt sich die Veränderung
im Wohlbefinden als statistisch hoch signifikant berechnen (p = 0,000). Das
durchschnittliche Wohlbefinden während der ersten sechs Mappings betrug
1,0889 (AM), bei einer Standardabweichung von ~0,54. Für die Mappings 7
bis 11 errechnete sich ein mittlerer Wohlbefindenswert von 1,4176 (AM), bei
einer Standardweichung von ~0,72.
Variable
ØWIB/L
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
159
1,4176
0,71366
<7
153
1,0889
0,54430
Signifikanzniveau (p)
0,000
159
Verhaltenskategorie M (sich mit Medien beschäftigen)
Der Anfangswert des Wohlbefindens während des Verhaltens M liegt bei
etwa 1,20, fällt dann ab, steigert sich wieder, bevor er auf den geringsten
durchschnittlichen Wohlbefindenswert abrutscht (~0,9). Danach steigt er
stark an bis zum achten Mapping. In den letzten drei Mappings reduziert
sich das Wohlbefinden dann wieder sukzessive bis zu einem Wert von
~1,28. Der Vergleich der Ergebnisse vor und ab dem siebten Mapping ergibt
eine statistisch hoch signifikante Veränderung (p = 0,000). Der Mittelwert der
119 Daten vor dem siebten Mapping lag bei 1,1286 (AM), ab dem siebten
Mapping lag der Mittelwert der 135 Daten bei 1,4459 (AM).
Variable
ØWIB/M
160
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
135
1,4459
0,68062
<7
119
1,1286
0,64966
Signifikanzniveau (p)
0,000
Verhaltenskategorie O (sich unabhängig selber pflegen)
Die Menschen mit Demenz zeigten im Verlauf des Projekts sehr unterschiedliche durchschnittliche Wohlbefindenswerte während des Verhaltens
O (Selbstpflege). Zunächst lag das Wohlbefinden bei etwa 0,9, steigerte sich
danach auf einen kurz stabilen Wert von 1,0 und fiel dann in zwei Stufen ab
bis zum fünften Mapping. Danach zeigt sich eine intensive Steigerung des
Wohlbefindens bis zum siebten Zeitpunkt auf einen Wert von ca. 1,23. Anschließend reduziert sich das Wohlbefinden wieder, bevor es dann im zehnten und elften Mapping erneut steigt. Die Mittelwerte vor dem sechsten Mapping (AM = 0,9363) wurden mit denen ab dem sechsten Mapping (AM =
1,0843) verglichen. Diese Veränderung zeigte sich statistisch signifikant (p =
0,008).
Variable
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
Signifikanzniveau (p)
ØWIB/O
>= 6
178
1,0843
0,51997
0,008
<6
135
0,9363
0,43838
161
Verhaltenskategorie P (praktische, physische oder personale Pflege
erfahren)
Die Verlaufskurve des Wohlbefindens während des Verhaltens P ist sehr
diffus. Stetige Schwankungen zwischen dem ersten und sechsten Mapping
werden durch eine starke und tendenzielle Steigerung des Wohlbefindens
unterbrochen, die zwischen dem neunten und zehnten Mapping ein wenig
geringer ist, aber dennoch auf einem deutlich höheren Niveaus als zu Anfang des Projekts liegt. Das durchschnittliche Wohlbefinden (AM) vor dem
siebten Mapping lag bei 1,1183 (N = 208) und ab dem siebten Mapping bei
1,4805 (N = 200). Die Berechnung des Signifikanzniveaus ergab ein hoch
signifikantes Ergebnis (p = 0,000).
Variable
ØWIB/P
162
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
200
1,4805
0,83116
<7
208
1,1183
0,80015
Signifikanzniveau (p)
0,000
Verhaltenskategorie X (Ausscheidung)
Aus der Abbildung geht hervor, dass bei dieser Verhaltenskategorie jeder
Senkung des durchschnittlichen Wohlbefindens eine Steigerung folgt, mit
abnehmenden Amplituden. Ab dem fünften Mapping zeigt sich eine generelle Tendenz der Wohlbefindenssteigerung während der Beschäftigung mit
der Ausscheidung (X), mit Absenkungen während des siebten und zehnten
Mappings. Das durchschnittliche Wohlbefinden steigerte sich im Vergleich
der Mappings 1 bis 4 (AM = 0,4444) und 5 bis 11 (AM = 0,9068). Die Berechnungen ergaben eine statistisch signifikante Veränderung (p = 0,029).
Variable
ØWIB/X
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 5
73
0,9068
1,09295
<5
45
0,4444
1,12423
Signifikanzniveau (p)
0,029
163
Verhaltenskategorie K (unabhängiges Gehen, Stehen oder Fortbewegen)
Das durchschnittliche Wohlbefinden während des Verhaltens K fällt vom
ersten bis zum sechsten Mapping. Danach steigt es bis zum letzten Mapping
relativ stark an, mit einer kleinen Ausnahme während des zehnten Mappings. Im Vergleich der Mittelwerte der 231 Daten vor dem achten Mapping
(AM = 1,1017) mit den 152 Daten ab dem achten Mapping (AM = 1,3737)
ergibt sich eine hoch signifikante statistische Entwicklung (p = 0,000).
Variable
ØWIB/K
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 8
152
1,3737
0,67311
<8
231
1,1017
0,56206
Signifikanzniveau (p)
0,000
_____________________________________________________________
Für folgende Typ 1-Kategorien konnten bei der Evaluation der DCM-Daten
keine statistischen Signifikanzen nachgewiesen werden:
H (handwerkliche Tätigkeit), J (sportliche oder gymnastische Übung), R (an
einer religiösen Aktivität teilnehmen), S (Tätigkeit mit explizit sexuellem
Selbstausdruck) und T (Beschäftigung mit sinnlicher Wahrnehmung).
164
Interpretation
Alle Typ1-Kategorien besitzen das Potenzial, Menschen mit Demenz eine
positive Wahrnehmung ihrer selbst zu ermöglichen. Die Ergebnisse in Bezug
auf das durchschnittliche Wohlbefinden bei Tätigkeiten, die zu den Typ 1Kategorien zählen, zeigen eine deutliche Steigerung des Wohlbefindens im
Verlauf des Projekts. D.h. es konnte nachgewiesen werden, dass nicht nur
die Häufigkeit eines bestimmten Verhaltens zugenommen hat, sondern auch
die Qualität desselben.
So ist insbesondere die Erhöhung des durchschnittlichen Wohlbefindens
während der verbalen und non-verbalen Kommunikation (Verhaltenskategorie A) sehr positiv zu bewerten. Kommunikation bedeutet immer, sozial einbezogen zu sein, gleich ob im Kontakt mit anderen Bewohnern, Angehörigen
oder Mitarbeitern. Anhand der Auszüge aus den Protokollen der Maßnahmeplanungen wurde deutlich, auf welch unterschiedlichen Ebenen Kommunikation auf das Gegenüber, in diesem Fall auf Menschen mit Demenz, angepasst werden muss: Kontaktaufnahme, Wortwahl, Sprachgeschwindigkeit,
Sprachstil.
Die Gründe für die Steigerung des Wohlbefindens während der Verhaltenskategorien A, E, G, I, L, M, O, P, X und K als Sonderkategorie, sind vielfältig:
ƒ
Die bereits gemachten Angebote an die Menschen mit Demenz (z.B.
Spielen, Arbeiten und Pseudo-Arbeit) wurden feiner auf die individuellen
Bedürfnisse und Fähigkeiten abgestimmt, was den Menschen eine positivere Wahrnehmung ihrer selbst ermöglichte.
ƒ
Über Wege der Biographie-Erforschung und durch die DCM-stimulierten
Beobachtungsergebnisse wurden alternative Angebote gefunden, die
eine größere individuelle Passung zeigten.
ƒ
Durch die Verwirklichung des Präsenzprinzips und andere organisatorische Veränderungen wurde es möglich, mit den Bewohnern intensiver
und kontinuierlicher Kontakt zu halten.
ƒ
Die Haltung und Wahrnehmung der Mitarbeiter wurde durch Fortbildungen und den DCM-Prozess im Sinne eines Paradigmenwechsels verändert, was eine andere Qualität der Begleitung bei den unterschiedlichen
Beschäftigungen ermöglichte.
165
5.3.3
Entwicklung des Verhaltens, das Personsein gefährdet
In diesem Teil des Berichts werden die Typ 2-Kategorien näher betrachtet,
die, dem Ansatz der personzentrierten Pflege nach, das Personsein des
Menschen mit Demenz gefährden oder untergraben können (siehe auch
Kap. 2.2 und 5.2.2). Zu diesen zählen: B (Beobachten, auf passive Weise
sozial einbezogen sein), C (sozial unbeteiligt und zurückgezogen sein), D
(Stress ohne Begleitung, vernachlässigter Distress), U (Kommunizieren ohne Antwort), W (repetitive Selbststimulation) und Y (mit sich selber oder
einer imaginierten Person sprechen).
Für die Typ 2-Kategorien U (Kommunizieren ohne Antwort) und Y (mit sich
selber oder einer imaginierten Person sprechen) konnten aufgrund der wenigen Daten keine statistischen Berechnungen angestellt werden. Für das
Wohlbefinden während der Sonderkategorie N (Schlaf) wurde keine statistisch signifikante Veränderung erkennbar. Die Veränderung des Wohlbefindens bei den Kategorien B, C und D konnte aufgrund von Kodierungsfehlern
nicht berechnet werden. Bei der Evaluation der DCM-Daten war deutlich
geworden, dass die Mapper beim Kodieren bestimmte Regeln des DCMVerfahrens nicht beachtet hatten. So ist u.a. festgelegt, dass es für die Verhaltenskategorie B keine negativen Wohlbefindenswerte geben kann und
umgekehrt gilt für die Kategorien C und D, dass sie nicht mit positiven Werten belegt werden können.61 Die Mapper haben ausweislich des vorliegenden Datenmaterials aber offensichtlich einige Zeiteinheiten fälschlicherweise
mit B -1, C +1 und D +1 kodiert. Durch diese Kodierungsfehler ist keine
durchgängige Glaubwürdigkeit der erhobenen Daten bezogen auf diese
Verhaltenskategorien gegeben. Demnach wurden in diesem Bericht keine
statistischen Untersuchungen hierzu angestellt.
Insgesamt konnte nur für das Verhalten W (repetitive Selbststimulation) eine
statistisch signifikante Veränderung des durchschnittlichen Wohlbefindens
festgestellt werden (p = 0,039). Die nachstehende Graphik verdeutlicht den
Verlauf des Wohlbefindens während repetitiver Selbststimulation (W) über
die dreijährige Projektphase hinweg.
61
vgl. Bradford Dementia Group (1997).
166
Verhaltenskategorie W (repetitive Selbststimulation)
Deutlich wird ein sehr heterogener Verlauf. Zu Beginn zeigten die Menschen
mit Demenz ein sehr geringes Wohlbefinden von etwa 0,2, das sich im darauf folgenden Mapping erhöht, dann wieder zweistufig abfällt, um wieder auf
einen Wert von 0,68 anzusteigen. Der weitere Verlauf innerhalb der letzten
sechs Mappings ist ebenfalls wieder durch ein Steigen und Fallen geprägt,
aber auf einem grundsätzlich höheren Niveau, verglichen mit den Werten
der ersten fünf Mappings. Das mittlere Wohlbefinden (AM) betrug vor dem
siebten Mapping 0,4383 und danach 0,7229. Vergleicht man diese Werte
auf der Grundlage der Datensätze (N = 60 und 48) ergibt sich eine statistisch signifikante Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens
W (p = 0,039).
Variable
ØWIB/W
Zeitpunkte
N
Mittelwert
(AM)
Standardabweichung (SD)
>= 7
48
0,7229
0,63589
<7
60
0,4383
0,75399
Signifikanzniveau (p)
0,039
167
Interpretation
Die Veränderung des Wohlbefindens während des Verhaltens W (repetitive
Selbststimulation) hin zu höheren Wohlbefindenswerten ist erfreulich. Denn
obwohl dieser Verhaltenskategorie nach dem Ansatz der personzentrierten
Pflege eher eine destruktive Wirkung auf Menschen mit Demenz zugesprochen wird, hat dieses Verhalten mit einem im Projekt erreichten Mittelwert
von 0,72 (AM) kaum noch das Potenzial, Personsein zu gefährden. Eine
Erklärung für das Ansteigen der WIB-Werte könnte sein, dass eine mit Unwohlsein besetzte repetitive Selbststimulation (W) im Verlauf des Projekts
durch die Mitarbeiter vermehrt wahrgenommen und entsprechend interveniert werden konnte (z.B. durch Beschäftigungsangebote). Dagegen wurden
die repetitiven Selbststimulationen, die von einem Wohlbefinden begleitet
waren, als nicht veränderungsnotwendig erachtet. Diese These kann durch
die Ergebnisse über die Veränderung der Quantität von W im Verlauf des
Projekts gestützt werden, da sich die Häufigkeit von W von durchschnittlich
~2,1% vor dem siebten auf ~0,9% ab dem siebten Mapping statistisch signifikant reduzierte (siehe Kap. 5.2.2).
168
6.
Organisationsentwicklung im DCM-Projekt:
vier Fallbeispiele
Im Rahmen einer Masterarbeit der Pflegewissenschaft mit dem Titel „Die
Entwicklung personzentrierter Pflege im Rahmen eines Modellprojekts“ an
der Universität Witten/Herdecke62 wurden vier ausgewählte Einrichtungen
des Projektverbundes Marburg-Biedenkopf intensiver untersucht.
Die zugrunde liegende Forschungsfrage dieser Evaluationsstudie lautete:
Welche Entwicklungsaspekte werden in ausgewählten Einrichtungen des
Projektverbundes Marburg-Biedenkopf durch die prozesshaften DCM-Evaluationen und durch die schriftlich dokumentierten Diskussionen verschiedener Akteure ersichtlich?
Methodisches Vorgehen
Alle beteiligten stationären Einrichtungen63 des Modellprojekts wurden über
den Wunsch, die Entwicklung personzentrierter Pflege zu evaluieren, informiert und um ihr Einverständnis gebeten, auf ihre Daten zugreifen zu dürfen.
Alle angeschriebenen Einrichtungen gaben die Einwilligung zur Nutzung
ihrer Daten, die in anonymisierter Form erfolgte. Ausgewertet wurden die
digitalisierten Daten der DCM-Beobachtungen und die prozessbegleitenden
Sitzungsniederschriften. Zu Beginn dieser Evaluationsstudie lagen die Daten
von neun bis zehn DCM-Beobachtungszyklen vor.
Die Auswahl von Einrichtung I und II erfolgte zufällig. Die dort erhobenen
DCM-Daten wurden bezogen auf die Entwicklung der WIB-Werte und der
Verhaltenskategorien analysiert. Bei der Auswahl von Einrichtung III und IV
wurden gezielt Einrichtungen mit DCM-Beobachtungen gesucht, die anders
verliefen als in Einrichtung I und II, um einen kontrastierenden Verlauf in die
Analyse einbeziehen zu können. So entstanden vier „DCM-Verlaufstypen“,
welche das Verlaufsspektrum der DCM-Daten aller beteiligten stationären
Einrichtungen repräsentierten.
Die Analyse der DCM-Daten aus den Einrichtungen umfasste folgende
Schritte:
62
63
vgl. Riesner, C. (2005).
Im Projekt war auch eine teilstationäre Einrichtung beteiligt, die für diese Evaluation allerdings ausgeschlossen wurde. Der Auftrag und die Tagesstruktur in einer teilstationären Einrichtung unterscheiden sich von denen in stationären Einrichtungen, so dass kein linearer
Vergleich möglich ist.
169
ƒ
Eine Quartilsberechnung der WIB-Werte jeder Beobachtung von Einrichtung I bis IV: die Berechnung des Streuungsmaßes der WIB-Werte für
jede Beobachtung in jeder Einrichtung.
ƒ
Die individuellen und gruppenbezogenen WIB-Punktzahlen: die Berechnung des Durchschnitts der WIB-Werte für eine Person/für eine Gruppe
von Personen.
ƒ
Das WIB-Wert-Profil: die Berechnung der sechs Stufen der WIB-Werte
als proportionale Anteile.
ƒ
Das Gitter der Verhaltenskategorien: die Auszählung aller vorgekommenen Verhaltenskategorien.
ƒ
Das Gruppenverhaltensprofil: die Berechnung des WIB-Wert-Durchschnitts in jeder Verhaltenskategorie.
ƒ
Zusätzlich wurden die jeweilige Beobachtungszeit und die Anzahl der
beobachteten Teilnehmer festgehalten.
Nach der Analyse der DCM-Daten der vier Einrichtungen wurden die Niederschriften von Sitzungen analysiert, die im Projektverlauf stattgefunden
haben. Diese Sitzungsprotokolle, die der Projektkoordinatorin vorlagen, waren von den jeweils zuständigen externen Beratern der Einrichtung erstellt
worden. Sie dokumentierten Diskussionen, Befindlichkeiten, Entwicklungen
und Einschätzungen im Projektverlauf. Damit gab dieses Material Aufschluss über die konkreten Themen der Organisationsentwicklung jeder
Einrichtung. Das gesamte Textmaterial wurde zuerst gesichtet, um einem
Überblick über die enthaltenen Themen zu erhalten. Die Seitenzahl der Texte lag zwischen 70 und 110 Seiten. Für eine intensivere Analyse dieser
Textmaterialien erfolgte eine Auswahl von 20% bis 25% der Seiten, die den
Diskussionsverlauf repräsentierten. Das ausgewählte Material wurde anhand der qualitativen Inhaltsanalyse von Philip Burnard analysiert, wobei ein
Kategoriensystem gebildet wird, um ein tieferes Verständnis über den Inhalt
der Texte zu erhalten.64
Im Folgenden werden Aussagen von Tom Kitwood zu fördernden und hemmenden Faktoren der Organisationsstruktur für personzentrierte Pflege bei
Demenz skizziert. Es folgt ein komprimierter Überblick über die Entwicklungsmerkmale von Einrichtung I bis IV, die mit Kitwoods Thesen zur Orga64
vgl. Burnard, P. (1991): A method of analysing interview transcripts in qualitative research.
In: Nurse Education Today 11.1991.6: 461-466.
170
nisationsstruktur verbunden werden. Abschließend wird der Zusammenhang
zwischen Merkmalen des Wohlbefindens für Personen mit Demenz und für
Mitarbeiter hergestellt.
Personzentrierte Pflege und Organisationsstruktur
Für das Dementia Care Mapping wurde Kitwoods Theorie des Wohlbefindens operationalisiert. Mit DCM, das als prozesshaftes Instrument der Praxisevaluation konzipiert ist, wird das relative Wohlbefinden von Menschen
mit Demenz ermittelt (siehe Kap. 2). Dabei stellte Kitwood folgende Gleichung auf: Relatives Wohlbefinden entspricht guter Pflegequalität.65 Diesen
Zusammenhang spezifizierte er mit der Aussage, dass es in jeder Organisation, die einen Dienst am Menschen leistet, Parallelen gibt zwischen der Art,
wie Mitarbeiter behandelt werden, und der Art, wie diese die Klienten behandeln.66
Kitwood geht davon aus, dass Organisationsstil und -struktur die Entwicklung personzentrierter Pflege beeinflussen. Er entwarf zwei Typen von Pflege-Settings, die unterschiedliche Organisationsmerkmale aufweisen. Während die Typ A-Organisation sich für die Entwicklung personzentrierter Pflege nicht eignet, fördern die Organisationsmerkmale bei Typ B die Entwicklung personzentrierter Pflege.
Zwei Arten des Pflege-Settings67
Rolle des Managers
Statusunterteilungen unter
dem Personal
Typ A
autoritär, distanziert
Typ B
beispielhaft, zugänglich
groß, rigide
gering, flexibel
Status der Klienten
am niedrigsten von allen
Kommunikation
in eine Richtung,
unpersönlich
Gefühle und Verletzlichkeiten
Machtgefälle
65
66
67
verborgen, unverarbeitet
hoch
dem Personal gleichgestellt
in beide Richtungen,
zwischenmenschlich
offen zutage liegend,
bearbeitet
gering
vgl. Bradford Dementia Group (1997).
vgl. Kitwood, T. (2000).
vgl. Kitwood, T. (2000).
171
6.1
Fallbeispiel I
Analyse der DCM-Daten
Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung I ergab, dass sich das Wohlbefinden der Personen mit Demenz im Prozessverlauf hauptsächlich im WIBWert +1 bewegte. Der WIB-Wert +1 besagt, dass keine Anzeichen für Unwohlsein vorhanden sind, aber auch keine Anzeichen für deutliches Wohlbefinden. Ein gesteigertes Wohlbefinden wurde selten kodiert, negative WIBWerte sind in fast allen Beobachtungen ebenfalls in geringer Zahl vertreten.
Die deutlichste Entwicklung auf der WIB-Wert-Ebene zeigt sich in der relativen Anhebung der niedrigsten individuellen WIB-Punktzahlen von minimal
0,5 auf maximal 1,0.
Gruppenbezogenes WIB-Wert Profil in Einrichtung I (absolute Häufigkeit)
WIB-Wert
DCM-Beobachtung
2
3
4
5
6
7
8
9
+5
0
0
2
0
0
0
0
0
+3
0
6
8
19
18
36
48
24
+1
51
124
152
362
344
310
349
335
-1
0
19
11
9
15
20
10
10
-3
0
0
1
0
0
0
3
1
-5
0
0
0
0
0
0
0
0
Auf der Ebene der Verhaltenskategorien tritt außer F (Essen und Trinken =
571 Kodierungen) und P (physische Pflege erfahren = 118 Kodierungen) von
den erwartbaren Kategorien nur A (verbale und non-verbale Interaktion =
360 Kodierungen) quantitativ in den Vordergrund. Die Typ 1-Kategorie M
(Beschäftigung mit Medien = 79 Kodierungen) findet sich fast kontinuierlich.
Dies kann durch Fernsehen, Beschäftigung mit Zeitschriften oder Ähnlichem
geschehen sein. Andere Typ 1-Kategorien (siehe Kap. 2.2) treten in einzelnen Beobachtungen auf. Gerade in diesen Kategorien kommt es jedoch zu
häufigeren Steigerungen des WIB-Wertes +3, so bei der Kategorie E (kreative Tätigkeit = 35 Kodierungen), G (Spiele = 82 Kodierungen) und J (Gymnastik = 8 Kodierungen). Allerdings wurde im vierten Beobachtungszyklus
einmal Unwohlsein in der Kategorie I (intellektuelle Aktivität = 31 Kodierungen) kodiert (WIB-Wert-Durchschnitt: –1,7).
172
Analyse der Sitzungsprotokolle
Die Analyse der Sitzungsprotokolle zeigt einen interessierten und kreativen
Beginn des Projektes. Verschiedene Professionen sind beteiligt, es entstehen Diskussionen um die Selbständigkeit beim Essen und Beschäftigungsangebote werden ausgeweitet. Ebenso dokumentieren die Textmaterialien,
dass insbesondere zu Beginn des Projektes Kommunikations- und Kooperationsprobleme im Team vorhanden waren. Nach einer Intervention scheint
eine kurze Entspannung einzutreten, die Stimmung verbessert sich und
Zuständigkeiten sind geregelt. Im weiteren Verlauf des Projektes nehmen
die Kommunikations- und Kooperationsprobleme allerdings wieder zu.
Nach der Anfangsphase des Projekts tritt eine räumliche Umstrukturierung in
den Vordergrund. Mitarbeiter machen sich nun Sorgen über die Personalsituation nach der Umstrukturierung und sind später unzufrieden mit der Personalaufteilung. Es entsteht ein Erschöpfungszustand, der dazu beiträgt,
dass DCM eher als Belastung empfunden wird. Erschöpfung wird hier parallel auf der Leitungsebene geäußert. Weiter ist die Leitung in Besprechungen
nicht mehr anwesend und wird von den Mitarbeitern vermisst. Die Mitarbeiter fühlen sich vernachlässigt. Während die Leitung zum Beginn des Prozesses gemeinsam mit den Mitarbeitern Themen bearbeitet, kommt es später zu Forderungen der Leitung gegenüber den Mitarbeitern. Sie erwartet
mehr kreative Eigenverantwortung und die Umsetzung des Ziels, Bewohner
so zu pflegen, wie man es sich für sich selbst und seine Familie wünscht.
Die Mitarbeiter können diese Erwartung der Leitung nicht erfüllen, sie erhoffen sich hier mehr Anleitung und positive Kritik. Möglich ist, dass die Leitung
mit anderen belastenden Inhalten beschäftigt ist und deswegen die selbständige Übernahme der Entwicklung personzentrierter Pflege durch das
Team fordert. Die Leitung zeigt sich mehr und mehr distanziert.
Die Gruppe der Mitarbeiter agiert nicht geschlossen. Die Aussagen in den
Protokollen zeigen, dass trotz der zwischenzeitlichen kurzen Entspannung
die Kooperationsprobleme im Team während des gesamten Prozesszeitraums bestehen bleiben. Es wird aber auch festgehalten, dass es integrative
Mitarbeiter gibt, die mit allen gut zurechtkommen.
Die Befindlichkeit der Personen mit Demenz wird im Prozess nur zu Beginn
thematisiert, im weiteren Prozessverlauf sind die Ebenen der Mitarbeiter und
Leitung dominant.
173
Die Analyse der Entwicklung personzentrierter Pflege in Einrichtung I zeigt,
dass notwendige Veränderungen der Arbeitsroutinen nicht vollzogen wurden. Fördernde Faktoren der Entwicklung personzentrierter Pflege konnten
daher nicht identifiziert werden. Dagegen wurden hemmende Faktoren der
Organisationsentwicklung in Einrichtung I deutlich:
ƒ
Die Beziehungsebene der Mitarbeiter lässt keine sicheren Absprachen
bei der Entwicklung neuer Arbeitsformen zu.
ƒ
Die Entwicklungen bestehen in den Anforderungen personzentrierter
Pflege und parallel dazu in der organisatorischen Umstrukturierung auf
räumlicher Ebene. Die Mitarbeiter sind verunsichert, weil sie die räumlichen Veränderungen bezogen auf ihre Tätigkeiten nicht hinreichend einschätzen können und in diese Entwicklung nicht genug eingebunden
sind. Die Inhalte personzentrierter Pflege treten dadurch in den Hintergrund.
ƒ
Während die Leitung zu Beginn des Prozesses beteiligt war, fehlte sie
im letzten Drittel des Prozesses. Das Fehlen der Leitung bewirkt Unsicherheit, die Mitarbeiter erwarten Anleitung. Sie fordern auch positive
Kritik im Sinne einer Antwort auf die Frage „Was machen wir richtig?“
ƒ
Die Leitung erwartet eigenständiges, begründetes Handeln der Mitarbeiter. Ideen und Kreativität sollen von den Mitarbeitern ausgehen. Die
Verantwortung der Mitarbeiter soll sich nach eigenen familiären Gesichtspunkten richten. Diese Erwartung könnte eine Übertragung der
Leitungsrolle an die Mitarbeiter darstellen.
ƒ
Die Ebene der Personen mit Demenz, die den eigentlichen Fokus des
DCM-Projektes darstellen, konnte nicht ausreichend bewusst gemacht
werden. Sie sind in Einrichtung I nicht in die Rolle von aktiv Beteiligten
gehoben worden, weil Themen, die die Unsicherheit, die Abhängigkeit
und die Verlassenheit der Mitarbeiter betrafen, zu mächtig waren, um
sich auch die Abhängigkeit der Personen mit Demenz bewusst machen
zu können.
Merkmale der Organisationsstruktur
In Einrichtung I wird der Prozessverlauf durch strukturelle Veränderungen
belastet, die auch dazu führen, dass die Leitung in der zweiten Hälfte des
Prozesses abwesend ist, aber nicht im Sinne einer autoritär distanzierten
Haltung, wie sie Kitwood bei einer Typ A-Organisation beschreibt. Die Sta174
tusunterteilungen der Mitarbeiter sind in Einrichtung I nicht groß. Am deutlichsten werden hier die nicht verarbeiteten Gefühle und Verletzlichkeiten
(Überforderung, Frustration, Unsicherheit und Unzufriedenheit, Erschöpfung), die einer Typ A-Organisation entsprechen. Die Kommunikation im
Team ist gestört und zeigt sich durch mangelnde Kooperation und Abwesenheit von Mitarbeitern auf Sitzungen. Zusammengefasst entspricht der
Beginn des Projektes in Einrichtung I eher der Typ B-Organisation, denn
Leitung und Mitarbeiter agieren hier noch gemeinsam. Während der zweiten
Hälfte des Prozesses treten durch Strukturveränderungen und Abwesenheit
der Leitung eher Merkmale einer Typ A-Organisation auf.
In Einrichtung I wirken sich die Strukturveränderungen als Krise für die Mitarbeiter aus, der sie sich hilflos ausgesetzt fühlen. Die Abwesenheit der
Leitung und deren Forderung an die Mitarbeiter, nun den Prozess selbst in
die Hand zu nehmen, erinnert an ein krisenhaftes Familiengeschehen, in der
die Kinder plötzlich sich selbst überlassen sind. Die Situation legt nahe, an
eine Familienkonstellation zu denken, die durch fordernde und abwesende
Eltern (Leitung) einerseits und sich ungeliebt und verlassen fühlende Kinder
(Mitarbeiter) andererseits repräsentiert wird. Es muss hier betont werden,
dass der Familienvergleich nicht infantilisierend verstanden werden darf,
sondern die Beziehungsebenen und Abhängigkeiten zwischen Leitung und
Mitarbeitern zum Ausdruck bringen soll. Mitarbeiter in Unternehmen sind
gemäß Rechtsstatus abhängig Beschäftigte. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis sind eine Tätigkeit nach Weisungen
und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.68
Dieser Sachverhalt wirft interessante Fragen auf, wenn die Arbeitsorganisation verändert werden soll, wie es im Rahmen des DCM-Projektes der Fall
war.
Die täglich zu erbringende Leistung der Beschäftigten verändert sich teilweise grundlegend, wenn personzentrierte Kriterien eingeführt werden. So kann
z.B. die definierte Leistung einer Ganzwaschung aus personzentrierter Sicht
ggf. nicht standardisiert erbracht werden, wenn die Person mit Demenz sich
nicht waschen lassen möchte. Dieser Wunsch muss respektiert werden, weil
die Person mit Demenz als wichtigstes Prinzip Anerkennung erfahren muss,
um sich wohl zu fühlen. Hier wird deutlich, dass personzentrierte Pflege bei
Demenz eine grundlegende Anpassung der Arbeitsorganisation erfordert
68
vgl. Ströer, H. (Hg.) (2005): Sozialgesetzbuch (SGB). 33. Auflage. München.
175
und nicht nur als betreuerische Aufgabe zwischen den traditionellen pflegerischen Versorgungszeiten verstanden werden kann. Das Beobachtungsinstrument DCM bringt ein personzentriertes Verständnis in das Team, welches über die im öffentlichen Bereich der Einrichtung gemachte Beobachtung hinausgeht.
Die Beziehung zwischen abhängig Beschäftigten und Leitung mit einer Familienkonstellation zu vergleichen, bedeutet unter diesem Gesichtspunkt,
dass bei einer grundlegenden Umstrukturierung der organisatorische Rahmen nur durch die Leitung geschaffen werden kann. Die Leitung ist weisungsgebend und legt damit unternehmerische Handlungsfreiräume und
Grenzen fest. Im übertragenen Sinn nimmt sie die Rolle der Eltern in einer
Familie ein. Geschieht dies nicht eindeutig genug, so sind die abhängig beschäftigten Mitarbeiter nicht in der Lage zu erkennen, was unter diesen neuen Bedingungen erlaubt-gefordert oder verboten-unerwünscht ist. Die Übertragung der Rolle der Beschäftigten ist die von Kindern, die abhängig vom
familiären Rahmen sind, den die Eltern vorgeben. Dieser Rahmen muss in
der Familie wie auch im Beschäftigungsverhältnis verstanden werden, um
sicher ausgefüllt werden zu können. Dies wird nicht allein durch Anweisungen erreicht, sondern muss auf der Beziehungsebene gestaltet werden.
Allerdings gestalten sich die Beziehungen in Einrichtungen der Altenhilfe
selten ausschließlich nach einem „Top-Down“-Prinzip. Mitarbeiter haben hier
durchaus die Möglichkeit, ihren Arbeitsbereich kreativ zu gestalten und im
Team eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen. Hier ist die Beziehungsebene der Mitarbeiter zueinander und zwischen Mitarbeitern und Leitung entscheidend, denn gemeinsam muss eine Einigung über Handlungen
erzielt werden. Die Pflegemitarbeiter erbringen eine Teamleistung und keine
abgrenzbare Einzelleistung, wie die Erstellung und Umsetzung jeder Pflegeplanung deutlich macht.
6.2
Fallbeispiel II
Analyse der DCM-Daten
Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung II ergab, dass sich eine negative
Entwicklung der WIB-Werte abzeichnete. Der sechste und siebte Beobachtungszyklus enthielt besonders niedrige individuelle und gruppenbezogene
WIB-Punktzahlen. Die Tabelle des WIB-Wert-Profils zeigt, dass in diesen
176
Beobachtungen jeweils 67-mal WIB-Werte von –1 kodiert wurden. Eine
deutliche Steigerung des WIB-Wertes +3 gab es nicht. Die Streuung der
WIB-Werte lag bezogen auf den Gesamtprozess bei +1.
Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung II (absolute Häufigkeit)
WIB-Wert
DCM-Beobachtung
2
3
4
5
6
7
8
9
+5
0
0
1
0
0
0
0
0
+3
27
19
16
15
6
31
23
5
+1
184
300
232
323
223
262
314
316
-1
4
16
17
22
67
67
0
7
-3
0
1
0
4
3
6
0
0
-5
0
0
0
0
0
5
0
0
Die höchste Anzahl der Nennungen bei den Verhaltenskategorien wurde in
der Kategorie F (Essen und Trinken = 678) verzeichnet. Kategorie B (Beobachten = 650) folgt an zweiter Stelle. Die Kategorie A (verbale und nonverbale Interaktion = 273) steht an dritter Stelle, gefolgt von N (Schlaf im
öffentlichen Bereich = 240). Andere Typ 1-Kategorien wurden gelegentlich
kodiert, lassen jedoch keine Entwicklung erkennen. Verschiedene Typ 1Kategorien sind nicht vertreten. So kommen G (Spiele), I (intellektuelle Aktivität) und R (Religion) nicht vor.
Insgesamt zeigt sich in Einrichtung II ein negativer Entwicklungsverlauf. Auf
der Ebene des Wohlbefindens der Personen mit Demenz entsteht keine
Verbesserung. Die Anzahl der negativen WIB-Werte nimmt in der sechsten
und siebten Beobachtung zu, die WIB-Werte +3 und +5 sind kaum vertreten.
Die Beschäftigung der Personen mit Demenz findet überwiegend durch Essen und Trinken und passives Beobachten statt. Auch diese Beschäftigungen könnten mit gesteigertem Wohlbefinden erlebt werden, dies wird in Einrichtung II jedoch nicht erreicht.
Analyse der Sitzungsprotokolle
Die Analyse der Sitzungsprotokolle ergab ein bedrückendes Bild der Hilfsund Hoffnungslosigkeit. Negative Gefühle und Stimmungen werden in den
Kategorien Bedrückung, Hemmung, Misstrauen, Stress, Angst und Hoffnungslosigkeit geäußert. Positive Gefühlsäußerungen kommen nicht vor.
177
Die Kommunikation zwischen Leitung und Mitarbeitern wie auch innerhalb
der Mitarbeitergruppe ist stark gestört. Die Betreuung der Personen mit Demenz wird eher durch junge Praktikanten und Zivildienstleistende übernommen und stellt keinen qualifizierten Anteil der Leistungen dar. Die Befindlichkeit von Personen mit Demenz wird nicht thematisiert. Auch wenn im Prozessverlauf Verbesserungen geplant sind, so z.B. die Übernahme von
Betreuungsaufgaben durch pflegerische Mitarbeiter oder die Verbesserung
der Einhaltung von Absprachen, so können diese doch nicht wirkungsvoll
umgesetzt werden.
Fördernde Faktoren der Entwicklung personzentrierter Pflege fanden sich
nicht. Die Gründe für hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung in
Einrichtung II konnten in der Analyse der Textmaterialien erarbeitet werden:
ƒ
Die Mängel in Einrichtung II entstehen durch den autoritären Führungsstil der Leitung, durch ständig wechselnde Mitarbeiter und durch nicht
verbindlich erfolgende Absprachen hinsichtlich der durchzuführenden
Tätigkeiten.
ƒ
In Bezug auf die Leitung konnte festgestellt werden, dass deren Entscheidungen zu Orientierungslosigkeit führen. Mitarbeiter wissen nicht,
welchen Weg sie gehen sollen. Der konkrete Kontakt zur Leitung wirkt
sich bedrohlich für die Mitarbeiter aus.
ƒ
Die fehlende Orientierung der Mitarbeiter führt zu Angst und Unsicherheit. Es existiert ein Tabu, über Fehler und Schwächen nicht sprechen
zu dürfen.
ƒ
Der Leitung fehlen durch das Verschweigen von Fehlern und Schwächen entscheidende Informationen, denn Prozesssteuerung ohne Offenlegung von Schwächen im System kann nicht gelingen.
ƒ
Der Kommunikationsstil ist zwischen den Mitarbeitern und zwischen
Leitung und Mitarbeitern eher verletzend als verstehend. Unter diesem
Klima leiden auch die Ablaufprozesse in Einrichtung II.
Merkmale der Organisationsstruktur
Die Evaluationsergebnisse belegen, dass Einrichtung II alle Merkmale einer
Typ A-Organisation zeigt. Die Leitung agiert autoritär und distanziert. Sie
bewirkt dadurch negative Gefühle bei den Mitarbeitern, wie z.B. Anspannung, Hemmung, Kontrolle, Misstrauen und Orientierungslosigkeit.
178
Die Statusunterteilungen bei den Mitarbeitern sind in Einrichtung II bezogen
auf das DCM-Projekt zu finden. Die Verantwortung für die Übernahme der
DCM-Entwicklung ist nicht Teamaufgabe, sondern wird delegiert. Der Status
der Mitarbeiter zueinander ist eher diffus. Hier ist keine Weisungsstruktur
vorhanden. Dementsprechend kämpfen einzelne Individuen im Team gegeneinander. Es entsteht eine offene und verdeckte Konkurrenz der Mitarbeiter. Gegenseitiges Misstrauen kennzeichnet die Atmosphäre und das
Aufgabenvolumen führt zu Rollen- und Arbeitsüberlastung.
Der Status der Klienten ist am niedrigsten von allen. Deren Befindlichkeit hat
in Einrichtung II keine nachweisliche Bedeutung. Bei den Diskussionen geht
es nicht um die Bewohner, sondern um Strukturen, Zuständigkeiten, Arbeitsorganisation. Das Team kommuniziert nicht häufig mit den Bewohnern,
eher untereinander.
Die Kommunikation ist unpersönlich und geht nur in eine Richtung. Die Leitung in Einrichtung II kommuniziert unpersönlich und weisungsgebend an
die Mitarbeiter, Mitarbeiter delegieren die Betreuung für Personen mit Demenz, deren wesentlicher Faktor die Kommunikation ist, an Praktikanten.
Personen mit Demenz haben im System keine Stimme. Die Mitarbeiter
kommunizieren ebenso wenig mit der Leitung. Versäumnisse, Irrtümer und
Fehler der Mitarbeiter können nicht thematisiert werden, weil Konsequenzen
der Leitung befürchtet werden. Die Anwesenheit der Leitung bedeutet Verdoppelung der Kontrolle. Das Machtgefälle ist hoch, Gefühle und Verletzlichkeiten bleiben verborgen und unverarbeitet. Das Team hat eine lange
Geschichte der Kränkungen und enttäuschten Hoffnungen, es bestehen
ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit.
Bereits 1996 weist Buckland darauf hin, dass die Furcht vor Kritik, vor Veränderung und Verlust des Arbeitsplatzes hemmende Faktoren sind. In einem furchtsamen Klima kann DCM, wenn es aggressiv und unreflektiert
eingesetzt wird, sogar die Furcht verstärken und demotivierend wirken.69
Rahmenbedingungen wie in Einrichtung II machen die Praktizierung personzentrierter Pflege unmöglich. Packer hält DCM unter solchen Voraussetzungen nur für eine Pflichtübung, die aus marktstrategischen Überlegungen
69
vgl. Buckland, S. (1996): Dementia Care Mapping: looking a bit deeper. In: Signpost
32.1996: 5-7.
179
durchgeführt wird.70 Dies könnte auch hier zutreffend sein, denn vor dem
Hintergrund der regionalen Entwicklung der Pflegequalität ist eine Teilnahmeentscheidung vermutlich auch aus marktstrategischen Überlegungen
heraus getroffen worden.
Aus dem Datenmaterial für Einrichtung II treten die organisatorischen Bedingungen und die negativen Gefühle der Mitarbeiter deutlich zu Tage. Sie
drücken sich in insgesamt 16 Kategorien negativer Stimmungen und organisatorischer Missstände aus, dem steht keine Kategorie mit positiven Gefühlen gegenüber. Des Weiteren ist keine Kategorie vorhanden, die Kodes der
inhaltlichen Beschäftigung mit Bewohnern beinhaltet.
Die Inhalte von DCM, die ja das Erleben der Personen mit Demenz in den
Mittelpunkt stellen, können unter den geschilderten Bedingungen nicht aufgenommen werden. Die Mitarbeiter sind nicht in der Lage, sich den Personen mit Demenz zuzuwenden. Das persönliche Unwohlsein der Mitarbeiter
bewirkt in der Regel, dass man sich nicht empathisch und offen anderen
Menschen nähern kann, insbesondere keinen Menschen mit Demenz, die
eine gesteigerte empathisch offene Haltung benötigen.
Allein der Umstand, dass in der Regel recht junge Menschen, die keinerlei
Erfahrung in der professionellen Betreuung von Menschen haben und einen
klar begrenzten Zeitraum in einer Einrichtung verbringen, diejenigen sind,
die Schlüsselpositionen in der personzentrierten Pflege bei Personen mit
Demenz übernehmen, spiegelt die fehlende Wertschätzung, die diesen Aufgaben im Unternehmen zukommt. Vergleicht man die Pflege als Dienstleistungsunternehmen im Gesundheitssektor zum Beispiel mit einer Massagepraxis, so würde es niemandem in den Sinn kommen, einem Praktikanten
die Massage bei einem Klienten mit Bandscheibenvorfall zu übertragen.
6.3
Fallbeispiel III
Analyse der DCM-Daten
In Einrichtung III zeigt sich eine typische Entwicklung personzentrierter Pflege. Während zu Beginn des Prozesses noch relativ viele negative WIB-
70
vgl. Packer, T. (2000): Does person-centred care exist? In: Journal of Dementia Care
8.2000.3: 19-21.
180
Werte auftreten, die im WIB-Wert –1 hier einmal ein Quartil71 bilden, steigert
sich das beobachtete Wohlbefinden später deutlich in Richtung des WIBWertes +3. Auch hier bildet dieser Wert einmal ein Quartil. In der zweiten
Beobachtung ist das Wohlbefinden besonders niedrig, hier ist ein quantifizierbarer Anteil im WIB-Wert –1 vorhanden. In der achten Beobachtung
steigert sich das Wohlbefinden auf einen quantifizierbaren Anteil der +3
WIB-Werte.
Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung III (absolute Häufigkeit)
WIB-Wert
DCM-Beobachtung
1
2
3
4
5
6
7
8
9
+5
1
0
0
0
0
0
0
1
0
+3
39
13
34
45
27
12
20
133
43
+1
353
188
215
281
355
293
357
306
220
-1
43
64
38
3
24
20
9
12
17
-3
12
5
6
0
1
0
6
0
2
-5
4
0
0
0
0
0
9
0
0
Die häufigste kodierte Verhaltenskategorie in Einrichtung III ist B (Beobachten = 1067), die Kategorie F (Essen und Trinken = 621) wurde als zweithäufigste Kategorie kodiert und als dritthäufigste Kategorie steht A (verbale und
non-verbale Interaktion = 431). Andere Typ 1-Kategorien wie L (arbeitsähnliche Tätigkeiten = 85), O (Selbstpflege = 62) und T (sinnliche Wahrnehmung
= 149) sind regelmäßig in allen Beobachtungen kodiert worden. Dies ist ein
positives Zeichen personzentrierter Pflege. Damit wird deutlich, dass Personen mir Demenz unterschiedlichen Beschäftigungen nachgehen und ihnen
dazu die Möglichkeit gegeben wird. Kategorien wie E (kreative Beschäftigung = 65), G (Spiele = 136), H (handwerkliche Tätigkeit = 24) und I (intellektuelle Aktivität= 65) wurden nicht regelmäßig kodiert. Hier ist zu vermuten,
dass es sich um organisierte Beschäftigungen handelte, die nicht in jeder
Beobachtung angeboten wurden. Außer bei der Typ 1-Kategorie R werden
verschiedene Typ 1-Beschäftigungen beobachtet, die sich abwechseln und
eine Vielfalt verschiedener Angebote darstellen.
71
Ein Quartil ist eine statistische Einheit, die hier besagt, dass ein Viertel der Werte vom WIBWert –1 gebildet wurde.
181
Analyse der Sitzungsprotokolle
Aus der Textanalyse gehen die Schwierigkeiten hervor, welche die Entwicklung personzentrierter Pflege in Einrichtung III hemmen. Ebenso können die
positiven Entwicklungen benannt werden. Die Pflege- und Betreuungsaufgaben werden in Einrichtung III durch verschiedene Professionen ausgeführt. Zu Beginn des Prozesses sind pflegerische Mitarbeiter ausschließlich
für körperbezogene Pflegeleistungen verantwortlich, während Betreuungsaufgaben von ergotherapeutischen Mitarbeitern wahrgenommen werden.
Das Pflegesystem ist zu Beginn des Prozesses funktional ausgerichtet und
wird im Prozessverlauf auf ein Bezugspflegesystem umgestellt. Pflegerische
Mitarbeiter sind nur teilweise motiviert, personzentrierte Pflege anzunehmen.
Besonders langjährige Mitarbeiter können ihr somatisches Pflegeverständnis
nur schwer überwinden.
Insgesamt zeigten sich folgende hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung in Einrichtung III:
ƒ
Besonders in der Gruppe der pflegerischen Mitarbeiter gibt es DCM-Befürworter und DCM-Bremser. Letztere bestehen eher aus examinierten
Mitarbeitern, die in Einrichtung III für Pflegeplanungen zuständig sind.
Weiter gibt es eine Gruppe langjähriger Mitarbeiter in der Pflege, denen
die psychosoziale Betreuung auch gegen Ende des Prozesses noch
schwer fällt.
ƒ
Die Organisation, insbesondere die der Pflege, erfolgt zu Beginn des
Prozesses in einer traditionellen, funktionsgeleiteten Weise. Die somatischen Verrichtungen werden als Auftrag verstanden und die Abarbeitung dieser Tätigkeiten ist zwischen den Schichten eindeutig geregelt.
Die bestehende Ordnung verhindert Flexibilität. Auch die Aufgabenverteilung zwischen examinierten Pflegemitarbeitern und ungelernten Kräften zeigt sich als Hemmnis, weil wichtige Aufgaben in der Pflegeplanung
von Mitarbeitern geleistet werden, die DCM kritisch gegenüber stehen.
Dieses starre System bewirkt, dass die Umstellung auf personzentrierte
Pflege und damit verbunden die Einführung eines Bezugspflegesystems
starke Widerstände bei den Mitarbeitern hervorruft, die sich im bestehenden System sicher fühlen.
ƒ
Erschwerend kommt in Einrichtung III hinzu, dass die Kommunikation
unter den Mitarbeitern nicht offen stattfindet. Es wird eher übereinander
als miteinander gesprochen. Die DCM-Kritiker entziehen sich der Dis-
182
kussion durch Fernbleiben. Sie nehmen nur teil, wenn sie eine Dienstanweisung erhalten.
Daneben lassen sich in Einrichtung III aber auch fördernde Faktoren der
Entwicklung personzentrierter Pflege finden:
ƒ
Die Leitung vermittelt Sicherheit und Kontinuität im Entwicklungsprozess.
ƒ
Die Leitung sorgt für Verantwortungstransparenz und stellt kompetente
Mitarbeiter ein.
ƒ
Die Erwartung der Leitung, dass die Pflegemitarbeiter eigenverantwortlich Betreuungsangebote wahrnehmen, wird erfüllt. Die Pflegemitarbeiter
erleben diesen Erfolg positiv.
ƒ
Die Gruppe der DCM-Bremser wird kleiner, mehr und mehr wird von der
gemeinsamen Verantwortung gesprochen.
ƒ
Ungelernte Pflegemitarbeiter, die sich durch die Umstellung eine Verbesserung ihrer Arbeitssituation erhoffen, unterstützen die Entwicklung.
Merkmale der Organisationsstruktur
In Einrichtung III fungiert die Leitung wie die in einer Typ B-Organisation,
wohingegen die Statusunterteilungen der Mitarbeiter Merkmale der Typ AOrganisation zeigen. Unterschiede gibt es zwischen Ergotherapie und Pflege, der besondere Umgang mit dementen Personen wird an die „Familiengruppe“ delegiert. Statusunterschiede sind auch im Pflegeteam vorhanden
und wirken sich auf DCM aus. Qualifizierte Mitarbeiter sind eher DCMBremser, während engagierte DCM-Befürworter keine formale Qualifikation
haben und keine Pflegeplanung schreiben dürfen. Im Prozessverlauf verringern sich diese Statusunterschiede durch die qualifiziertere Übernahme
betreuerischer Aufgaben durch die Pflegemitarbeiter. Negative Gefühle und
Verletzlichkeiten sowie Kommunikationsstörungen sind vorhanden und drücken sich in sechs Kategorien aus.
Die Befindlichkeit der Personen mit Demenz wird im Prozessverlauf zunehmend diskutiert. Der Umgang der Mitarbeiter mit den Bewohnern wird dadurch zugewandter und aufmerksamer. Es entwickeln sich mehr Diskussionen über die Zusammensetzung der Gruppe der Personen mit Demenz und
über die Wechselwirkungen der Beziehungen. Wie in Einrichtung I findet in
Einrichtung III während des DCM-Projektes ein struktureller Umbruch statt,
183
in dem hier das funktionale Pflegesystem durch ein Bezugspflegesystem
ersetzt wird. Diese Entwicklung fällt besonders langjährigen Mitarbeitern
nicht leicht, die somatische Pflege nur schwer mit psychosozialen Anteilen
ergänzen können. Ein Problem für alle pflegerischen Mitarbeiter entsteht
durch die klare Zuständigkeit im Bezugspflegesystem, die auch nicht erfüllte
Maßnahmen transparent macht. Obwohl diese Veränderungen erheblich
sind, zeigt sich insgesamt ein positiver Verlauf. Anders als in Einrichtung I, in
der die Veränderung als Krise erlebt wird, steuert die Leitung in Einrichtung
III den Prozess.
Aus den in Einrichtung III erhobenen Daten geht die hemmende Wirkung
von Veränderungen in der Organisation, die parallel zu DCM erfolgen, deutlich hervor. Entscheidend für die Bewältigung der Veränderung ist die Leitung, die den Prozess steuern und begleiten muss. Zusammenfassend zeigt
sich in Einrichtung III, dass es trotz traditionellen Pflegeverständnisses und
gestörter Kommunikation im Verlauf des DCM-Projektes möglich ist, das
Wohlbefinden der Personen mehr und mehr in den Blick zu nehmen und
organisatorische Abläufe auf dieses Ziel auszurichten. Die Steigerung des
Wohlbefindens wurde deutlich erreicht.
6.4
Fallbeispiel IV
Analyse der DCM-Daten
Die Analyse der DCM-Daten in Einrichtung IV zeigte, dass es hier im Vergleich zu den anderen drei Einrichtungen die größte Menge der Zeiteinheiten mit Kodierungen gab, da durchschnittlich mehr Teilnehmer in die Beobachtung aufgenommen wurden. Auf der Ebene der WIB-Werte wurde gegen Ende des untersuchten Prozesses im siebten und achten Beobachtungszyklus eine deutliche Steigerung der WIB-Werte +3 festgestellt. Hier
bilden die WIB-Werte +3 ein Quartil. In der neunten Beobachtung sanken
diese Werte wieder leicht. Insgesamt nehmen negative WIB-Werte im Prozess deutlich ab.
184
Gruppenbezogenes WIB-Wert-Profil in Einrichtung IV (absolute Häufigkeit)
WIB-Wert
DCM-Beobachtung
2
3
4
5
6
7
8
9
+5
0
0
0
0
0
4
0
3
+3
16
29
51
2
4
141
248
64
+1
176
557
351
366
487
325
279
322
-1
28
18
11
31
13
1
0
7
-3
0
0
2
0
0
0
0
2
-5
0
0
0
0
0
0
0
0
Die Analyse der Verhaltenskategorien ergab, dass die Typ 1-Kategorie A
(verbale und non-verbale Interaktion = 755) die zweithäufigste Verhaltenskategorie nach der Typ 2-Kategorie B (Beobachten = 906) war. Die dritthäufigste Kategorie wird durch F (Essen und Trinken = 685) gebildet. Die einzigen Typ 1-Kategorien, die nicht vorkamen, sind R (Religion) und S (explizit
sexueller Selbstausdruck). Im durchschnittlichen Wohlbefinden konnte festgestellt werden, dass eine Bandbreite von Typ 1-Kategorien mit Durchschnitts-WIB-Werten kodiert wurde, die über dem WIB-Wert +1 lagen. Damit
zeigt sich auf der Ebene der DCM-Daten eine deutliche Entwicklung personzentrierter Pflege bei Demenz.
Allerdings wurde auch festgestellt, dass eine Reihe von Kodierungsfehlern
vorhanden sind, die nachweislich bei den Typ 2-Kategorien entstanden.
Erkennbar waren Kodierungsfehler durch Verwechslung der WIB-Werte +1
und –1 bei einer geringen Zahl von Kodierungen. Inwieweit weitere Fehler
vorlagen bzw. wie diese Fehler entstanden, konnte im Nachhinein nicht erfasst werden.
Analyse der Sitzungsprotokolle
Die Textanalyse in Einrichtung IV ergab, dass bei Leitung und Mitarbeitern
ein wertschätzendes, kommunikatives Klima vorhanden war, welches sich
deutlich auf die Kommunikationsfreudigkeit der Personen mit Demenz übertrug. Dies wurde auch in den DCM-Daten erfasst. Aus den Materialien geht
hervor, dass keine negativen Gefühle thematisiert wurden, sondern positive
Gefühle und verschiedene arbeitsbezogene Themen. Ein hoher Anteil der
Themen beschäftigt sich mit Bewohnern und Biographie. Negative Gefühle
(Stress) finden sich allerdings bei den DCM-Beobachtern in Einrichtung IV.
185
In gewissem Umfang mangelt es in dieser Gruppe auch an Kompetenzen
bezogen auf die Tätigkeit des DCM-Anwenders.
Hemmende Faktoren der Organisationsentwicklung konnten in Einrichtung
IV nicht identifiziert werden. Bei der Organisation von Pflege und Betreuung
kristallisierten sich jedoch verschiedene Ressourcen heraus. Der kooperative Führungsstil der Leitung bewirkte, dass allen Mitarbeitern Wertschätzung
entgegengebracht wurde. Dienstzeiten wurden angepasst, um die gemeinsame Entwicklung der Pflegeplanungen durch alle Mitarbeiter zu erreichen.
Dinge des täglichen Gebrauchs wurden gemeinsam mit Bewohnern vor Ort
eingekauft. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter traten deutlich hervor. Insgesamt
lassen sich folgende fördernde Faktoren bei der Entwicklung personzentrierter Pflege in Einrichtung IV benennen:
ƒ
Theoretisches Wissen kann in routinierte, zugewandte Kontaktgestaltungen zu Personen mit Demenz umgesetzt werden. Durch professionelles Wissen nimmt die persönliche Betroffenheit der Mitarbeiter ab.
Das Nachdenken über Bewohner gelingt nur im Zusammenhang mit
dem Nachdenken über sich selbst.
ƒ
Reflexionen der Rollen der Mitarbeiter in Bezug auf Bewohner ohne
Demenz ergeben, dass Mitarbeiter in die Rolle von Ersatzangehörigen
schlüpfen und Anzeichen einer beginnenden Demenz nicht annehmen
können.
ƒ
Tiefergehende Auseinandersetzungen mit Biographien führen zu der
Erkenntnis, dass die Angaben der Angehörigen nicht die Sicht der Person mit Demenz, sondern die Sicht der Angehörigen wiedergeben. Mit
beiden Gruppen werden nun Interviews durchgeführt und die eigene
Biographie der Mitarbeiter wird erarbeitet.
ƒ
Ein Haustier zeigt herausforderndes Verhalten, woraufhin ein Teil der
Mitarbeiter eine Maßnahmeplanung durchführt. Dadurch wird anerkannt,
dass die sozialpsychologische Umfeldgestaltung auch bei Tieren Wohlbefinden oder Unwohlsein bewirkt. Herausforderndes Verhalten ist auch
hier ein Kommunikationsversuch.
Merkmale der Organisationsstruktur
Einrichtung IV entspricht dem Organisationstyp B in allen Merkmalen. Die
Leitung strebt einen kollegialen Führungsstil an und gibt möglichst viel
186
Handlungsspielraum. Sie unterstützt und fördert die Entwicklung und ist
damit beispielhaft und zugänglich.
Statusunterteilungen sind bei den Mitarbeitern gering und flexibel. Das Team
ermuntert sich gegenseitig, Aufgaben zu übernehmen und sich zu Themen
zu äußern. Dies bewirkt auch im Team eine flache Hierarchie. Es finden sich
in Einrichtung IV keine Hinweise über Unwohlsein von Mitarbeitern im Team.
Der Status der Personen mit Demenz ist den Mitarbeitern gleichgestellt. Die
Kommunikation gelingt zwischen Mitarbeitern und Bewohnern und Bewohnern untereinander. Die Bewohner profitieren insgesamt von der Kommunikationsfreudigkeit.
Die Kommunikation ist zwischenmenschlich und geht in beide Richtungen.
Gefühle und Verletzlichkeiten sind offen und bearbeitet. Die Hinwendung zu
personzentrierter Pflege hat zuerst viel Unruhe und Verunsicherung gebracht, durch das Anstreben von Veränderungen fiel es jedoch leicht, die
unruhige Zeit zu überstehen. In Einrichtung IV findet sich keine Kategorie,
die negative Gefühle ausdrückt, auch positive Gefühle werden kaum benannt. Kategorien, welche auf die inhaltliche Beschäftigung mit Bewohnern
und Biographie verweisen, belegen, dass durch eine positive Grundstimmung auf der Organisationsebene eine inhaltliche Auseinandersetzung mit
dem Veränderungsprozess erreicht wird.
In Einrichtung IV bestätigen sich Ergebnisse anderer Forscher. So zeigt sich
auch hier: der personzentrierte Ansatz muss für alle Beteiligten gepflegt
werden;72 die professionellen Kontaktbarrieren zu Personen mit Demenz
können durch DCM abgebaut werden;73 Mitarbeiter sind zu Beginn des Prozesses ängstlich, machen aber insgesamt lohnende Erfahrungen.74
6.5
Wohlbefinden in Organisationen
Aus den Ergebnissen dieser Evaluation geht hervor, dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Befindlichkeit der Mitarbeiter und deren Zuwendung zu den Personen mit Demenz. Wie die DCM-Daten zeigen, bewirkt die
Zuwendung eine Steigerung des Wohlbefindens. Die Befindlichkeit der Mit72
73
74
vgl. Barnett, E. (1995): A window of insight into quality of care. In: Journal of Dementia Care
3.1995.4: 23-26.
vgl. Buckland, S. (1996).
vgl. Barnett, E. (1995).
187
arbeiter lässt sich anhand der Mitschriften ablesen. Je häufiger negative
Gefühle der Mitarbeiter geäußert werden, desto weniger Raum ist vorhanden für die Zuwendung zu Personen mit Demenz. Positive Gefühle hingegen
werden wenig benannt, diese äußern sich in einer direkten Aufnahme der
Zuwendung zu Personen mit Demenz.
Grafik 1 : Organisation und personzentrierte Pflege bei Demenz
Leitung
Mitarbeiter
Leitung
Selbstwert
Handlungsfähigkeit
Soziales Vertrauen
Hoffnung
Personen mit
Demenz
Autoritärer Führungsstil
Gestörte Kom munikation
Breite Hierarchie
ICH - ES Beziehungen
Mitarbeiter
Personen mit
Demenz
Beispielhafter und zugänglicher Führungsstil
Gelungene Komm unikation
Flac he Hierarc hie
ICH - DU Beziehungen
Die obige Graphik zeigt die Zusammenhänge zwischen Wohlbefinden und
bestimmten Organisationsmerkmalen auf den Ebenen Leitung, Mitarbeiter
und Personen mit Demenz. Wie in Kapitel 2.1 dargelegt, geht Kitwood davon
aus, dass die Anerkennung als Person Wohlbefinden bewirkt. Dabei basiert
das persönliche Wohlbefinden von Menschen mit und ohne Demenz auf
positiven Erfahrungen in den globalen Kategorien Selbstwert, Handlungsfähigkeit, soziales Vertrauen und Hoffnung.75
Diese Kategorien haben in der gesamten Organisation Bedeutung. Wenn
Mitarbeiter Selbstwert, Handlungsfähigkeit, soziales Vertrauen und Hoffnung
empfinden, wird dies maßgeblich durch die Führungsqualität der Leitung
erreicht. Diese Qualität zeigt sich in
75
vgl. Bruce, E.; Wey, S. (2001).
188
ƒ
einem kooperativen und beispielhaften Führungsstil,
ƒ
gelungener Kommunikation auf allen Ebenen,
ƒ
einer flachen Hierarchie und
ƒ
Beziehungen, die durch die Anerkennung des gegenseitigen Personseins (Ich-Du-Beziehungen) geprägt sind.
Treffen diese Voraussetzungen zu, dann können Personen mit Demenz hier
ebenso subjektiv wahrgenommen und einbezogen werden.
Sind die globalen Kategorien für Mitarbeiter nicht erfüllt, so spüren sie keinen Selbstwert, ihre Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt, soziales
Vertrauen fehlt und das Klima wird eher als hoffnungslos empfunden. Die
Ebenen der Leitung, der Mitarbeiter und der Personen mit Demenz sind
separiert und können nicht zueinander finden. Die prägenden Organisationsmerkmale sind hier
ƒ
ein autoritärer Führungsstil,
ƒ
breite, kaum zu überwindende Hierarchien,
ƒ
gestörte Kommunikationen auf allen Ebenen und
ƒ
eine Beziehungsgestaltung, die das Gegenüber zum Objekt macht.
Die Leitung nimmt die Mitarbeiter nicht als Personen wahr, sondern als Objekte, die ein Soll erfüllen müssen. Die Mitarbeiter behandeln Personen mit
Demenz ebenfalls als Objekte, an denen dieses Soll erfüllt werden muss.
Durch die Separierung der Ebenen in diesem Organisationstyp kann die
subjektive Wirklichkeit der Personen mit Demenz nicht wahrgenommen werden, weil auch die subjektive Wirklichkeit der Mitarbeiter nicht wahrgenommen wird.
189
7.
Zusammenfassung und Fazit
Die Einschätzung des Wohlbefindens der Bewohner durch einen DCM-Beobachter erlaubt Aussagen darüber, wie sich das pflegerische und räumliche
Milieu sowie organisatorische Abläufe in der Einrichtung auf das Wohlbefinden der dort lebenden Menschen mit Demenz auswirken. Indem der Mapper
das (Er-)Leben im Heim aus der Perspektive eines Bewohners wahrnimmt,
geraten diese Umfeldfaktoren in den Blick und werden Gegenstand potenzieller Veränderungen im Sinne personzentrierter Pflege(-kultur). Vor diesem
Hintergrund wurde das DCM-Verfahren im Marburger Modellprojekt in ein
ganzheitliches Konzept der Team- und Organisationsentwicklung eingebettet und durch Maßnahmen der Fortbildung, Milieugestaltung und externen
Beratung ergänzt.
Das Projekt „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreis Marburg-Biedenkopf“ ging
der Frage nach, inwieweit das DCM-Verfahren geeignet ist, die personzentrierte Pflege als Leitbild pflegerischen Handelns in stationären Pflegeeinrichtungen zu verankern und das Wohlbefinden der Bewohner zu steigern. Weiterhin sollte in Erfahrung gebracht werden, welche institutionellen Voraussetzungen bzw. Rahmenbedingungen erforderlich sind, um das DCM als
Qualitätsentwicklungsverfahren in Pflegeeinrichtungen wirksam werden zu
lassen.
Das systemisch angelegte Projektdesign brachte es mit sich, dass unterschiedliche Personen und Personengruppen als verantwortlich Agierende
und Lernende in ganz unterschiedlichen Handlungszusammenhängen involviert waren: Zu nennen sind hier insbesondere die als DCM-Beobachter
ausgebildeten Mitarbeiter (Mapper), die Mitarbeiter bzw. Teams, die Leitungskräfte und Berater und schließlich die Projektleitung. Ihre Erfahrungen
und Erkenntnisse waren es, die Rückschlüsse auf die Wirkungsweise und
die Voraussetzungen von DCM ermöglichten.
Die Anwendung des DCM-Verfahrens - Mapping, Datenauswertung und
Feedback - stellte an die Mapper hohe Anforderungen, für die sie, unterstützt durch begleitende Fortbildung und Beratung, erst sensibilisiert und
geschult werden mussten. Der Grad der Motivation und der Konzentration
auf den notwendigen Perspektivenwechsel hing maßgeblich davon ab, ob
diese Aufgabe freiwillig übernommen und als eine Chance beruflicher Wei-
190
terentwicklung erkannt wurde. Die Mapper erlebten ihre Rolle rückblickend
als große Herausforderung und zugleich als bereichernd für sich selbst und
ihre Arbeit. Mapper mit einem guten Status im eigenen Team wurden als
„DCM-Experten“ anerkannt, als Rollenvorbilder für die personzentrierte Pflege geschätzt und damit zu wichtigen Katalysatoren im strukturellen Veränderungsprozess. Ihre neuen Kompetenzen konnten sie am wirkungsvollsten
dort entfalten und für das Team vorteilhaft einbringen, wo ihnen Freiräume
und Verantwortlichkeit durch die Leitung zugestanden wurden. Die kontinuierliche Begleitung durch die externen Berater bei der Bewältigung der vielschichtigen Aufgaben und der neuen Rollenidentifikationen erwies sich, insbesondere in der Anfangsphase, als notwendig und hilfreich. Schwachstellen und Krisen konnten dadurch bearbeitet und aufgefangen werden, Veränderungspotenzial identifiziert und für die Einrichtung praxisrelevant „übersetzt“ werden.
Auch mit Blick auf die Mitarbeiter/Teams war das Prinzip der Freiwilligkeit
wichtigster Indikator für Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit. Eine besonders hohe Motivation zeigten Teams, die von der Leitung von Beginn an
in Entscheidungsprozesse und Planungsmaßnahmen mit eingebunden wurden. Die Beobachtung durch die Mapper löste bei den beobachteten Kollegen zumindest anfänglich und nachvollziehbar, Angst vor Bewertung und
damit Unsicherheit und Unbehagen aus. Das Feedback der Mapper konfrontierte die Mitarbeiter/Teams mit ihren eigenen Schwachstellen und „blinden
Flecken“. Insbesondere die Rückmeldungen der WIB-Werte und personalen
Detraktionen waren problembehaftet. Einige Teams unterlagen der Versuchung, den Pflegealltag durch geplante Personalaufstockung und aufgesetzte Programme zu verfälschen, um „gute“ Ergebnisse zu erzielen. Die Mitarbeiter mussten erst lernen, sich von der Fixierung auf die „harten“ DCMDaten als „Schulnoten“ zu lösen und kritische Rückmeldungen als konstruktive Lernchancen zu begreifen. Die Berater setzten dabei auf das Prinzip
„Lernen am Erfolg“, das in der Folge zu mehr Sicherheit im Team führen
sollte. Die Auseinandersetzung mit Good-Practice-Beispielen erschloss den
Weg zum gemeinsamen Nachdenken und zwar sowohl über das Team
selbst, seine Arbeit und Arbeitsbedingungen, als auch über die Bewohner
und deren Lebensbedingungen in der Einrichtung. Ob die aus diesen Reflexionen resultierenden Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der
Bewohner tatsächlich realisiert wurden, war stark davon abhängig, inwieweit
191
entsprechende Verantwortlichkeiten für deren Umsetzung zuvor abgeklärt
worden waren.
In der Auseinandersetzung mit dem DCM-Verfahren und mit den Anforderungen einer personzentrierten Pflege, erkannten viele Mitarbeiter die Chance, eigene - häufig verloren gegangene - Ansprüche an eine „gute Pflege“
wieder zu beleben und zu legitimieren. Die im Prozess gewonnene Erkenntnis, über die Wirksamkeit der eigenen Person wichtig zu sein, stärkten Eigenverantwortung, Selbstbewusstsein und Motivation der Mitarbeiter. Der
Zuwachs an Wissen und Einfühlungsvermögen erleichterte den Perspektivenwechsel nicht nur für die Mapper, sondern auch für andere Teammitglieder. Die eigene Arbeit konnte zunehmend mit den Augen der Bewohner
betrachtet werden - die eigentliche Grundlage für eine personzentrierte Haltung.
Bei der Evaluation wurde festgestellt, dass der angestrebte Umfang der
Veränderungen stark mit den Freiräumen und der Wertschätzung korrelierte,
die die Mitarbeiter durch die Leitung erfuhren. So waren Mitarbeiter, die sich
in ihrem Engagement unterstützt wussten, schneller in der Lage, personzentrierte Pflege Wirklichkeit werden zu lassen. Teams, denen DCM „von
oben“ verordnet worden war und die sich selbst nicht aktiv teilnehmend und
mitgestaltend in den Prozess einbringen konnten, erlebten DCM hingegen
eher als Zumutung und teilweise als sehr krisenbehaftet und belastend. Es
wurde auch deutlich, dass Mitarbeiter, die sich in ihren Arbeitszusammenhängen unwohl und nicht geachtet fühlten, sich weniger auf die Bedürfnisse
von Menschen mit Demenz konzentrieren konnten.
Die zentrale Bedeutung der Leitung bei der Implementierung von DCM und
der damit verbundenen Entwicklung einer personzentrierten Pflegekultur
zeichnete sich im Projekt früh ab. Der Grad der Identifikation mit dem DCMVerfahren, verbunden mit einem echten Veränderungswillen, entschieden
wesentlich darüber, mit welcher Ernsthaftigkeit die Leitungskräfte ihre Steuerungsaufgaben ausfüllten. Mangelte es an Rückhalt und Wertschätzung als
Grundlage für die Mitarbeiter, sich vertrauensvoll und motiviert auf das „Experimentierfeld“ DCM einzulassen, gelang es nur sehr eingeschränkt, Lernund Entwicklungsschritte in den Heimalltag zu integrieren. Insgesamt bestätigte sich auch hier die in anderen Projekten gewonnene Erkenntnis, dass
sich steile Hierarchien und eine eher operativ-technokratische Aufgabener-
192
füllung seitens der Leitung kontraproduktiv auf den DCM-Entwicklungsprozess auswirkten.
Waren die Leitungskräfte offen und interessiert, förderten die durch das
DCM-Verfahren initiierten Lernprozesse eine realistische Selbsteinschätzung der eigenen Stärken und Grenzen, eine erhöhte Sensibilität für den
„Wert“ ihrer Mitarbeiter und nicht zuletzt eine systemische Sicht- und Denkweise, wenn es beispielsweise um strukturverändernde Entscheidungen
ging. Das begleitende Beratungsangebot der externen Prozessbegleiter
wurde von den Leitungen in unterschiedlichem Umfang genutzt. Die Inanspruchnahme hing nicht selten von der Grundeinstellung zu DCM und von
der Beurteilung der eigenen Leitungskompetenz ab; das Angebot nahmen
eher souveräne Leitungspersonen in Anspruch, die darin zusätzliche Entwicklungschancen sahen.
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Prozessbegleitung
durch externe Berater eine zentrale Bedeutung zukam. Die Supervisoren
unterstützten die Einrichtungen bei der operativen Umsetzung der DCMSchritte, moderierten Analyse- und Reflexionsschritte der Mappingergebnisse und halfen bei der „Übersetzung“ in die Pflegepraxis. Die Prozessbegleiter trugen auch entscheidend dazu bei, dass die Teams - neben den gewohnten Arbeitsbesprechungen über Pflegeabläufe und -routinen - eine
neue Lernebene mit selbstreflexiven Anteilen entwickeln konnten. Eine besondere Unterstützung erhielten zudem die Leitungskräfte bei der Implementierung von DCM. Allerdings wäre auch eine intensivere fachliche Begleitung durch versiertere DCM-Anwender, wie z.B. DCM-Advanced-User
oder DCM-Evaluatoren, für die weitere Entwicklung hilfreich gewesen. So
hätten bei der Analyse der DCM-Daten Kodierungsfehler früher erkannt und
der Prozess noch effektiver gesteuert werden können.
Fest steht, dass das DCM-Verfahren tief in die Organisations- und Beziehungsebenen der Einrichtungen hinein gewirkt und dort Veränderungs- und
Entwicklungsperspektiven aufgezeigt hat. Inwieweit diese Möglichkeiten
jedoch aufgegriffen wurden, hing sehr stark von der Veränderungsbereitschaft und der strategischen Kompetenz der jeweiligen Leitungen ab. Im
Zentrum aller Modifikationen standen auch Kompetenzzuwachs und Einstellungsveränderung bei den Mitarbeitern. Nicht zuletzt als Folge davon waren
auf der organisatorisch-strukturellen Ebene zunehmend Veränderungen zu
beobachten:
193
ƒ
In den meisten Einrichtungen hat sich eine neue Mahlzeitenkultur entwickelt. So gab es in unterschiedlichen Abteilungen Interventionen, um eine personzentrierte Begleitung während der Mahlzeiten und eine Orientierung an bisherigen lebensweltlichen Gepflogenheiten zu erreichen.
Auch die Ritualisierung und Strukturierung der Mahlzeiten sowie das
Schaffen eines ansprechenden Milieus haben dazu beigetragen, dass
sich im Projektverlauf das durchschnittliche Wohlbefinden der Menschen
mit Demenz während des Essens und Trinkens (Verhaltenskategorie F)
deutlich erhöhte.
ƒ
Weiterhin entwickelte sich ein neues Bewusstsein für die Anforderungen
an soziale Betreuung und Beschäftigung. Nach dem Motto „Weniger ist
manchmal mehr“ wurde deutlich, dass kleine, bewusst eingesetzte Aktionen, die die Bewohner tatsächlich erreichen, von weit höherem Wert
sein können als eine Reihe gut gemeinter Standardangebote. Viele
Maßnahmeplanungen belegen die verstärkte Hinwendung zu individuell
zugeschnittenen Angeboten, deren positiver Effekt sich in einer Zunahme des Wohlbefindens bei den Bewohnern zeigte.
ƒ
In vielen Einrichtungen wurden die organisatorischen Voraussetzungen
für eine Flexibilisierung der Alltagsstruktur geschaffen. Dabei wurden
Arbeitsabläufe verändert, Verantwortungen neu geregelt sowie berufsgruppenübergreifend kooperiert und koordiniert. Dadurch konnte zum
einen besser den zeitlichen Bedürfnissen der Menschen mit Demenz
entsprochen werden, zum anderen sind auch Freiräume für Mitarbeiter
entstanden. Von einer überwiegenden Zahl der Einrichtungen wurde das
Präsenzprinzip verwirklicht, d.h. eine durchgängige Betreuung der Menschen mit Demenz war gewährleistet.
Bei der Evaluation der DCM-Daten hat sich gezeigt, dass zum einen die
Häufigkeit von zwei Verhaltenskategorien, die das Personsein von Menschen mit Demenz fördern können, im Projektverlauf signifikant zugenommen hat (A = verbale und non-verbale Interaktion; I = Aktivität, die sich auf
intellektuelle Fähigkeiten konzentriert). Zum anderen konnte eine Abnahme
von drei Kategorien nachgewiesen werden, die das Personsein gefährden
können (B = Beobachten, sozial miteinbezogen sein, aber auf passive Weise; C = sozial nicht miteinbezogen sein, in sich gekehrt; W = repetitive
Selbststimulation). Bei zwei weiteren Verhaltenskategorien kam es zu einer
negativen Entwicklung: Abnahme von G (Spiele) und Zunahme von Y (mit
194
sich selber oder einer imaginierten Person sprechen). Reduziert haben sich
die personalen Detraktionen, d.h. Verhalten oder Handlungen des sozialen
Umfelds, die das Personsein beschädigen, sind zurückgegangen. Im Gegenzug hat sich das durchschnittliche Wohlbefinden bei zehn Verhaltenskategorien bzw. Tätigkeiten, die das Potenzial besitzen, Menschen mit Demenz eine positive Wahrnehmung ihrer selbst zu ermöglichen, signifikant
erhöht. Trotz teilweise stark differierender Verläufe für die einzelnen Einrichtungen wurde über den Projektzeitraum hinweg insgesamt ein Ansteigen
des relativen Wohlbefindens ermittelt. Mehr Einrichtungen erzielten „gut“ zu
interpretierende Wohlbefindenswerte und weniger Einrichtungen ließen „viel
Verbesserung nötig“ erscheinen. Beim letzten Mapping gab es einen durchschnittlichen WIB-Wert bezogen auf alle Einrichtungen von 1,42. Versprachlicht bedeutet dieses Ergebnis, dass die Menschen mit Demenz zu diesem
Zeitpunkt mit ihrer Situation gut zurechtkamen, wenige Momente des Unwohlseins zeigten und gelegentlich ein höheres Maß an Wohlbefinden zu
beobachten war.
Die Mitarbeiter konnten das stärkere Wohlbefinden der Bewohner durch
diverse Veränderungen erfahren. So beschreiben sie die von ihnen betreuten Menschen als ausgeglichener und ruhiger als früher, zugleich aber auch
als aktiver und aufgeschlossener. Auffälliges Verhalten und Krisen sind seltener geworden, weil eine gemeinsame „Ursachenforschung“ im Team das
Aufzeigen und Umsetzen von Lösungswegen erleichtert. So sind beispielsweise Fixierungen jeglicher Art weitgehend überflüssig geworden, was nicht
nur den Bewohnern zugute kommt, sondern zugleich auch die Pflegekräfte
mit Stolz erfüllt, weil sie eine größere Befriedigung durch die Wirksamkeit
ihrer Arbeit erfahren.
Zukunft
Rückblickend betrachten die durchführenden Einrichtungen das DCM-Projekt als einen großen Gewinn, den sie nicht missen möchten. Da die Einrichtungen allerdings auch um die große Gefahr wissen, dass bisher Erreichtes
im Pflegealltag leicht wieder „untergeht“, haben sie sich entschlossen, das
DCM-Verfahren auch in Zukunft weiter zu praktizieren. Dafür wurden auf der
Basis einer freiwilligen Selbstverpflichtung gemeinsam verbindliche Anwen-
195
dungsstandards76 vereinbart. Der neu gegründete regionale DCM-Verbund
ist für alle interessierten Einrichtungen der Region offen und wird von der
Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf moderiert.
Die DCM-Einrichtungen sollen in Zukunft ermutigt werden, gemeinsam ein
DCM-basiertes Leistungs- und Personalkonzept zu erarbeiten, um mit Blick
auf anstehende Kostenverhandlungen Chancen für eine Refinanzierung der
Kosten77 zu nutzen.
Fazit
Das DCM-Verfahren hat in allen projektbeteiligten Einrichtungen Bewusstseins- und Veränderungsprozesse initiiert, allerdings auf einem jeweils recht
unterschiedlichen Niveau. Während sich in einigen Einrichtungen eine personzentrierte Pflegekultur bereits erkennbar etablieren konnte, haben andere Einrichtungen dahingehend erste Ansätze oder zumindest eine neue
Sicht in Bezug auf ihren weitergehenden Entwicklungsbedarf entwickeln
können.
Das Projekt bestätigte DCM als ein voraussetzungsvolles Verfahren, dessen
Wirkungsgrad maßgeblich von der Lernbereitschaft aller Beteiligten, von
(der Entwicklung) struktureller Flexibilität sowie einer solidarischen und wertschätzenden Atmosphäre abhängt. Sind diese Voraussetzungen gegeben,
lässt sich die Einschätzung, DCM sei nur etwas für „reife“ Organisationen,
erweitern um die Aussage: Organisationen/Teams können mit und durch
DCM reifen.
Das Projekt hat insgesamt deutlich gemacht:
ƒ
DCM initiiert einen Qualitätsentwicklungsprozess in kleinen Schritten,
der alle und alles berührt. Es ist ein eher langsamer Lernprozess, der
die Leitungs- und Mitarbeiterebene gleichermaßen betrifft. Veränderungswille, Offenheit und die Bereitschaft aller Beteiligten, solidarisch die
damit zunächst verbundenen Belastungen zu tragen, sind entscheidende Voraussetzungen dafür, dass ein solcher Prozess gelingen kann.
76
Vereinbarung zur Regelung der Zusammenarbeit und der Sicherstellung von Rahmenbedingungen für eine einheitliche und verbindliche DCM-Qualitätsentwicklung in Einrichtungen
der Altenhilfe. Marburg-Biedenkopf. (siehe Anhang 9).
In Anhang 8 findet sich ein exemplarischer Kostenplan für eine DCM-gestützte Qualitätsentwicklung.
77
196
ƒ
DCM unterstützt die Mitarbeiter bei der Auseinandersetzung mit der
eigenen Einstellung und Haltung und erweist sich als hochgradig effektiv, wenn es um eine systematische Sensibilisierung der Mitarbeiter
geht. Darüber hinaus bringt DCM Mitarbeiter in die Rolle von verantwortlich handelnden Personen. Personzentrierte Pflege lässt sich nicht „verordnen“, sondern zeichnet sich durch eine „innere Haltung“ der Mitarbeiter aus, die es durch geeignete institutionelle Strukturen zu ermöglichen
und zu erhalten gilt. Reflexion und Fortbildung fördern persönliche und
fachliche Kompetenz, beugen dem Burn-out-Syndrom vor und wirken
potenziell emanzipatorisch.
ƒ
Das DCM-Verfahren benötigt visionäre und mutige Führungskräfte, die
Vertrauen in die Lernfähigkeit ihrer Mitarbeiter haben und bereit sind,
sich auf einen längeren Entwicklungsprozess einzulassen. Die Leitung
muss nah beim Team sein, es in seiner alltäglichen praktischen Arbeit
unterstützen und wertschätzen. Zugleich tragen die Leitungskräfte die
Gesamtverantwortung für den Veränderungsprozess auf der strukturellen Ebene. Nicht alle Leitungen bringen von vornherein die strategische
Kompetenz mit, Prozesse eigenständig und selbstverantwortlich zu
steuern und zum Abschluss zu führen. Diese Kompetenz kann aber jede
ausreichend motivierte Leitung durch Unterstützung externer DCM- und
Organisationsberater gewinnen.
ƒ
Die im DCM-Verfahren als Mapper ausgebildeten Mitarbeiter können zu
Protagonisten einer neuen Pflegekultur werden und so eine zentrale
Rolle im Qualitätsentwicklungsprozess übernehmen. Wenn sie ausreichend Unterstützung erfahren, werden sie auch im eigenen Team zu
Vorbildern und Katalysatoren für eine personzentrierte Pflege. Besonders interessierten Mitarbeitern sollten weitere Ausbildungsschritte (zum
DCM-Advanced-User oder DCM-Evaluator) angeboten werden, um die
Einrichtungen und die DCM-Basic-User fachlich noch kompetenter begleiten zu können.
ƒ
Damit die Lern- und Entwicklungsschritte auf den verschiedenen Handlungsebenen als strukturelle Veränderungen in den Pflegealltag transformiert und verstetigt werden können, ist es förderlich, dass DCM in ein
Gesamtentwicklungskonzept mit einer prozessbegleitenden Team- und
Organisationsberatung und flankierenden Fortbildungsangeboten für die
Mitarbeiter eingebettet wird. Mit diesen Voraussetzungen könnte das
197
DCM-Verfahren zu einem zukunftweisenden Wegbereiter für einen modellhaften, (pflege-)kulturellen Wandel von Pflegeeinrichtungen werden.
ƒ
DCM hat das Potenzial, das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz
zu erhöhen. Dabei können die Ursachen für die Zunahme vielfältig sein.
Das bedeutet, dass nicht linear nachgewiesen werden kann, welche einzelne Intervention eine Wohlbefindenssteigerung bewirkt. Es sind mehrere, aufeinander bezogene und ausgerichtete Interventionen, die zu
positiven Veränderungen führen.
ƒ
Die Etablierung einer personzentrierten Pflegekultur mit DCM ist ein
Prozess, der faktisch nie abgeschlossen ist. Da DCM grundlegend an
den Haltungen, Routinen und Traditionen ansetzt, sind die damit verbundenen Maßnahmen vor allem in der Anfangsphase personal- und
zeitintensiv, zuweilen aufdeckend und konfliktträchtig. Gelingt es aber,
DCM auf der operativen Ebene zu implementieren und darüber eine Reflexions- und Kommunikationskultur zu initiieren, können Einrichtungen
zu einem selbstlernenden System werden und somit eine konstante, lebendige Qualitätsentwicklung „aus sich selbst heraus“ schaffen. So gesehen ist DCM eine „lohnende Investition“ und langfristig nicht kostenintensiver als andere Qualitätsentwicklungsverfahren.
ƒ
Auch für Kostenträger, Kontrollbehörden und nicht zuletzt Kommunen
als Verantwortliche bei der Entwicklung regionaler Altenhilfestrukturen
lohnt sich ein Blick in die Pflegeeinrichtungen, die DCM ernsthaft und
konstant praktizieren. Hier werden sie auf eine neue, wünschenswerte
Lebendigkeit, auf Kreativität und großes Engagement treffen, die in vielen Einrichtungen durch institutionalisierte Routinen oft auf der Strecke
geblieben sind.
ƒ
Es darf jedoch kein Anspruch an DCM erwachsen, Pflegeeinrichtungen
dadurch im Sinne eines Benchmarking vergleichbar zu machen. DCM
wurde entwickelt, um die Qualität der Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz abzubilden und um durch die Auseinandersetzung
mit den Ergebnissen Veränderungsprozesse in Einrichtungen anzustoßen, die sich an den individuellen Bedürfnissen der Bewohner orientieren. DCM zielt daher auf eine andere Wirkung ab als das Benchmarking.
ƒ
Mit Blick auf die Diskussionen über Pflegequalität und auf die Dominanz
gängiger Qualitätsentwicklungsverfahren scheinen Träger und Leitun-
198
gen, die mit DCM einer personzentrierten Pflegequalität Vorrang einräumen, eher eine Minderheit zu sein. Vielleicht werden sie aber perspektivisch Zeichen setzen für ein in Deutschland sich langsam entwickelndes Bewusstsein dafür, dass Lebensqualität in Pflegeeinrichtungen
mehr ist als (standardisierte) Pflegequalität: Die Menschen, die in den
Einrichtungen leben und leben werden, brauchen Respekt, Wertschätzung, Angenommensein und Geborgenheit (Wohlbefinden). Das kontinuierlich steigende Interesse der Kostenträger und der politisch verantwortlichen Akteure an DCM und einer personzentrierten Pflege gibt Anlass zur Hoffnung.
199
8.
Empfehlungen für die Praxis
Vorbereitung des DCM-Prozesses
ƒ
Einrichtungen, die eine DCM-gestützte Qualitätsentwicklung für sich in
Erwägung ziehen, sollten Veränderungswillen und Lernbereitschaft mitbringen. Sie müssen auch offen dafür sein, sich in Frage stellen zu lassen. Eine endgültige Entscheidung sollte nicht nur auch auf der Grundlage von Informationen über das DCM-Verfahren und seine Implikationen erfolgen, sondern auch unter Einbeziehung der Mitarbeiter aus den
verschiedenen Abteilungen. Wichtig ist eine breite Diskussion, die erste
Hinweise dafür liefert, welche Erwartungen und ggf. Befürchtungen vorhanden sind. Widerstände, die häufig in der Angst vor Unbekanntem
begründet sind, müssen ernst genommen werden, sonst wirken sie sich
hemmend auf den Prozess aus. Vor allem bei den Leitungskräften muss
ein Bewusstsein über die Komplexität des Entwicklungsprozesses vorhanden sein und die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.
ƒ
Zur Vorbereitung zählt auch die Frage, ob auf regionaler oder überregionaler Ebene gleich gesinnte Partner gefunden werden können. Empfehlenswert ist die Gründung eines Netzwerks, in dem DCM-interessierte Einrichtungen kooperieren. Durch ein Cross-Over-Verfahren können in den Einrichtungen entwickelte (Mapper-)Kompetenzen gegenseitig abgerufen und weitgehend kostenneutral genutzt werden. In einem
Verbund lassen sich auch bei Fortbildungen Synergieeffekte nutzen.
ƒ
Die Zusammenarbeit mehrerer Einrichtungen in einem DCM-Verbund
soll auf der Grundlage gemeinsamer Standards erfolgen, durch Rahmenvereinbarungen gesichert sein und von einer verantwortlichen Person/Institution koordiniert werden. Die Koordinationsarbeit könnte in einem rotierenden Verfahren von Einrichtungsleitern oder Qualitätsbeauftragten übernommen werden. Auch die Heimaufsicht als beratende Institution oder eine kommunale Planungsstelle kommen für diese Aufgabe
in Betracht.
ƒ
In der eigenen Einrichtung ist im Vorfeld abzuklären, ob der DCMProzess in der gesamten Institution oder nur in einer speziellen Wohngruppe durchgeführt wird. Diese Entscheidung hängt stark von den
strukturellen Ausgangsbedingungen ab. Es empfiehlt sich, eine Veranstaltung mit externer Begleitung durchzuführen, um konzeptionelle Ent-
200
wicklungspotenziale zu identifizieren. Als nicht sinnvoll hat sich erwiesen, größere Umstrukturierungsprozesse durchzuführen, die parallel
zum DCM-Prozess ablaufen.
Beginn des DCM-Prozesses
ƒ
Alle relevanten externen Personengruppen im Umfeld der Einrichtung
sollten über die Entscheidung, mit DCM personzentrierte Pflege bei Demenz entwickeln zu wollen, informiert werden. Eine strategisch gut geplante Öffentlichkeitsarbeit bindet Heimaufsicht und MDK genauso ein
wie Angehörige und die Gemeinde.
ƒ
Damit die Einrichtung Eigenkompetenz für die Reflexions- und Entwicklungsarbeit aufbauen kann, sollten sich zwei oder drei Personen aus der
Gruppe der Mitarbeiter in einem DCM-Basic-User-Kurs als DCMBeobachter (Mapper) schulen lassen. Auswahlkriterien sind Freiwilligkeit, Lernbereitschaft, Souveränität, Integrität und nicht zuletzt ein gutes
„Standing“ im Team. Pflegefachlichkeit ist keine Voraussetzung für eine
qualifizierte Anwendung des DCM-Instruments.
ƒ
Auch Leitungspersonen (Heimleiter, Pflegedienstleiter) sollten einen
DCM-Basic-User-Kurs absolvieren, um die Methodik des Verfahrens, die
Philosophie personzentrierter Arbeit und die damit zu erwartenden Aufgaben und Entwicklungen beurteilen zu können. Nur mit entsprechenden Grundinformationen können sie ihre Mitarbeiter richtig unterstützen,
Belastungen abschätzen und den Veränderungsprozess solidarisch begleiten. Es ist zu empfehlen, dass Mitarbeiter und Leitung gemeinsam
einen Kurs besuchen, da dadurch bereits zu Beginn Diskussionen über
DCM gefördert werden.
ƒ
Angeraten wird die Erarbeitung eines Fortbildungskonzeptes mit praxisbezogenen gerontopsychiatrischen Themenstellungen, die spezielle
Kompetenzen beim Umgang mit demenzkranken Menschen vermitteln.
Die Fortbildungen sollten möglichst als In-house-Schulungen teambezogen und prozessbegleitend organisiert werden. Ein ein- bis zweitägiges
Seminar über theoretische und praktische Aspekte personzentrierter
Pflege empfiehlt sich als Einstieg.
ƒ
Empfohlen wird auch die Verpflichtung eines externen Beraters (Supervisors), der die Einrichtung bei der Entwicklung einer Kommunikations-
201
und Reflexionskultur unterstützt und mit dem Team die operative Umsetzung der einzelnen DCM-Schritte einübt. Der Berater sollte selbst im
DCM-Verfahren geschult sein. Der Beratungsbedarf ist im Einzelfall abzuwägen und hängt von der Reife und strategischen Kompetenz der
Einrichtung ab.
ƒ
Die Leitung sollte den Veränderungsprozess aktiv begleiten und unterstützen, sie muss Ressourcen zur Verfügung stellen, Rahmenbedingungen für Konzeptarbeit sichern und dafür Sorge tragen, dass gewonnene
Erkenntnisse in organisatorische und institutionelle Strukturen Eingang
finden. Die Leitung trägt die Gesamtverantwortung für den Veränderungsprozess und muss „gegensteuern“, wenn es sich als notwendig
erweist.
ƒ
Wie in keinem anderen Qualitätsentwicklungsverfahren definiert sich der
DCM-Prozess über die fachliche und persönliche Kompetenzerweiterung der Mitarbeiter, die diese durch Schulungen, Fortbildungen und Reflexionsarbeit erreichen und die sie strategisch für die eigene Berufskarriere nutzen können. Hier sollte das Ziel sein, diese Mitarbeiter langfristig an die Einrichtung zu binden. Da zusätzliche finanzielle Anreize selten möglich sein werden, sollte kreativ über andere Formen der Anerkennung nachgedacht werden (z.B. Gutscheine für Freizeitaktivitäten).
Gerade wenn es notwendig ist, mit den Mitarbeitern darüber zu verhandeln, inwieweit diese bereit sind, Eigenleistungen zu erbringen, z.B. in
Form einer finanziellen Beteiligung an den Fortbildungskosten, in Form
„freiwilliger“ Teilnahme an Sitzungen oder aber durch vertragliche Verpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber, sind solche Anerkennungen
wichtig.
Stabilisierung des DCM-Prozesses
ƒ
202
Die praktizierenden DCM-Beobachter sollten ein regelmäßiges Angebot
an Nachschulungen in Form von „Follow-ups“ wahrnehmen können, um
Sicherheit im Kodierungsverfahren zu erlangen. Das begleitende Angebot könnte im Rahmen (über-)regionaler Mappertreffen (ca. zwei Mal im
Jahr) organisiert werden oder aber in Form eines Coachings durch einen
erfahrenen DCM-Experten erfolgen. Um die Nachhaltigkeit und Effektivität des DCM-Prozesses zu sichern, sollte mindestens einer der Mapper
einen DCM-Advanced-Kurs besuchen. Der DCM-Advanced-User über-
nimmt eine Kontrollfunktion und greift korrigierend ein, wenn die Dokumentation der DCM-Daten die Leitlinien personzentrierter Pflege verlässt
und wenn Kodierungsfehler auftreten.
ƒ
Es sollte ein Konzept erarbeitet werden, wie die neu gewonnene Kompetenz der DCM-Beobachter effektiv und nutzbringend für die Einrichtung einzusetzen ist. Damit der Prozess im „Alltagsgeschäft“ nicht untergeht oder ins Stocken gerät, ist eine klare Aufgabenbeschreibung für die
Verfahrens-Organisation und die Ergebnissicherung unerlässlich. Ob
diese Funktion in Personalunion durch einen Mapper oder von einer anderen Person wahrgenommen werden soll, ist abzuwägen. Idealerweise
könnte ein DCM-Advanced-User diesen Aufgabenbereich übernehmen.
ƒ
Empfehlenswert ist die Konstituierung eines „Runden Tisches“, um einen innerbetrieblichen berufsgruppen-, funktions- und wohnbereichsübergreifenden Informations- und Erkenntnistransfer zu sichern. Alle
Mitarbeiter sollten einmal pro Quartal zum „Runden Tisch“ eingeladen
werden, bei dem Erfahrungen, Fragen, Wünsche, „Frust und Lust“ zur
Sprache kommen können.
ƒ
Bei der Zusammenarbeit mehrer Einrichtungen in einem DCM-Verbund
müssen regelmäßige, moderierte Treffen für alle Mapper eingerichtet
werden. Die DCM-Beobachter nehmen im Prozess eine bedeutende
Rolle ein und sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Ein gemeinsamer Austausch und die damit verbundene Möglichkeit zur Reflexion und
Standortbestimmung sind daher wichtige stabilisierende Faktoren.
ƒ
Qualitätsentwicklung durch DCM ist für die Einrichtung mit finanziellen
Aufwendungen verbunden. Kalkulierbare Kosten, z.B. für die DCMBasic-User-Schulung, für Fortbildungen und begleitende Beratung/Supervision, sollten in ein Gesamtfinanzierungskonzept Eingang finden
und im Rahmen von Pflegesatzverhandlungen gegenüber Kostenträgern
genauso geltend gemacht werden, wie dies bei marktgängigen Qualitätsentwicklungsmaßnahmen bereits praktiziert wird. Eine konzeptionelle
Erläuterung der DCM-Entwicklungsschritte und -ziele sollte in der
Leistungs- und Qualitätsvereinbarung (LQV) erfolgen. Hilfreich ist auf jeden Fall die frühzeitige Information und Einbindung von Kostenträgern.
203
204
Literatur (Auswahl)
Barnett, E. (1995): A window of insight into quality of care. In: Journal of Dementia
Care 3.1995.4: 23-26.
Bauer, J. (2002): Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile
unsere Gene steuern. Frankfurt a.M.
Bell, V.; Troxel, D. (2004): Personenzentrierte Pflege bei Demenz. Das Best-FriendsModell für Aus- und Weiterbildung. München.
Bolton, J. et al. (2000): Stepping back to move forward with DCM. In: Journal of Dementia Care 8.2000.4: 26-28.
Bosch, C.F.M. (1998): Vertrautheit. Studie zur Lebenswelt dementierender alter
Menschen. Wiesbaden.
Bradford Dementia Group (1997): Evaluating Dementia Care. The DCM Method. 7th
Edition. University of Bradford. Bradford, England. (Dt. Übersetzung: MüllerHergl, C.: Demenzpflege evaluieren. Die DCM Methode. 7. Auflage).
Brooker, Dawn: Looking at them, looking at me. A review of observational studies
into the quality of institutional care for elderly people with dementia. In: Journal
of Mental Health 4.1995.2: 145-156.
Bruce, E.; Wey, S. (2001): Looking after well-being: how it works in practice. In:
Journal of Dementia Care 9.2001.4: 27-29.
Buckland, S. (1996): Dementia Care Mapping: looking a bit deeper. In: Signpost
32.1996: 5-7.
Burnard, P. (1991): A method of analysing interview transcripts in qualitative research. In: Nurse Education Today 11.1991.6: 461-466.
Der Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf (2001): DCM-gestützte
Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen
des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Projektantrag. Marburg.
Deutsche Expertengruppe Dementenbetreuung (2003): Stellungnahme der Deutschen Expertengruppe Dementenbetreuung (DED) zum DCM (Dementia Care
Mapping). In: Deutsche Expertengruppe Dementenbetreuung e.V.: Aus der
Arbeit der DED: 49-51.
Deutscher Bundestag (Hg.) (2002): Vierter Bericht zur Lage der älteren Generation in
der Bundesrepublik Deutschland. Risiken, Lebensqualität und Versorgung
Hochaltriger - unter besonderer Berücksichtigung demenzieller Erkrankungen.
Berlin.
Eisenburger, M. (2005): „Zuerst muss die Seele bewegt werden...“. Psychomotorik im
Pflegeheim. Ein theoriegeleitetes Praxisbuch. Dortmund.
Gräßle, R. (2002): Erfahrungen aus der Prozessbegleitung des DCM-Modellprojektes
im Landkreis Marburg-Biedenkopf. In: iso-Institut (Hg.): Auslaufmodell Pflege-
205
heim? Die Zukunft der stationären Pflege und innovative Ansätze im BMGModellprogramm. Dokumentation der Fachtagung des iso-Instituts. 3. bis 5.
Juni 2002. Internationales Jugendforum, Bonn. Saarbrücken: 133-136.
Gröning, K. (1998): Entweihung und Scham. Grenzsituationen in der Pflege alter
Menschen. Frankfurt a.M.
Hessisches Statistisches Landesamt (2004): 25.06.2004. Wiesbaden.
Innes, A. (Hg.) (2004): Die Dementia Care Mapping Methode (DCM). Anwendung
und Erfahrungen mit Kitwoods person-zentriertem Ansatz. Bern.
Kern, A.O.; Beske, F. (1999): Entwicklung der Zahl von Demenzpatienten in
Deutschland bis zum Jahr 2030. Hg. vom Institut für Gesundheits-SystemForschung. Kiel.
Kitwood, T. (2000): Demenz. Der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen. Bern.
Kitwood, T.; Bredin, K. (1992a): Towards a theory of dementia care. Personhood and
well-being. In: Ageing and Society 12.1992.3: 269-287.
Kitwood, T.; Bredin, K. (1992b): A new approach to the evaluation of dementia care.
In: Journal of Advances in Health and Nursing Care 1.1992.5: 41-60.
Klie, T.; Schmidt, R. (2002): Begleitung von Menschen mit Demenz. In: Zeitschrift für
Gerontologie und Geriatrie 35.2002.3: 199-209.
Landkreis Marburg-Biedenkopf (Hg.) (2003): Gräßle, R.; Hofmann-Eimer, G.; Müller,
N.; Rosenkötter, J.: Leitfaden für Führungskräfte im Modellprojekt „DCMgestützte Qualitätsentwicklung in Einrichtungen der Altenhilfe im Landkreis
Marburg-Biedenkopf“. Marburg.
Mayring, P. (2000): Qualitative Inhaltsanalyse. 7. Aufl. Weinheim.
Morton, I. (2002): Die Würde wahren. Personzentrierte Ansätze in der Betreuung von
Menschen mit Demenz. Stuttgart.
Müller, I. (2001): Verstehen kommt von Beobachten: Ein Bericht aus der Praxis vom
Dementia Care Mapping. In: Heim und Pflege 32.2001.10: 353-356.
Müller-Hergl, C. (1998): De-menz und Re-menz. Positive Personenarbeit und Dementia Care Mapping. In: Geriatrie Praxis 10.1998.6: 18-23.
Müller-Hergl, C. (1998): Positive Personenarbeit. In: Altenpflege 31.1998.6: 35-37.
Müller-Hergl, C. (1999): Oft trügt der Schein. Fühlen sich Demenzkranke tatsächlich
wohl? Ermitteln Sie es mit dem DCM-Verfahren. In: Heim und Pflege
30.1999.3: 98-103.
Müller-Hergl, C. (2000): Demenz zwischen Angst und Wohlbefinden. Positive Personenarbeit und das Verfahren des Dementia Care Mapping. In: Tackenberg, P.;
Abt-Zegelin, A. (Hg.): Demenz und Pflege. Eine interdisziplinäre Betrachtung.
Frankfurt a.M.: 248-262.
206
Müller-Hergl, C. (2002): Dementia Care Mapping. In: Alzheimer Info 2.2002: 8.
Müller-Hergl, C. (2002): „Vorläufige Papiere“ zu DCM. Stand Juli 2002. URL:
www.dcm-international.de
Müller-Hergl, C. (2004): Wohlbefinden und Methode: Dementia Care Mapping. Zur
Analytik zentraler Begriffe. In: Bartholomeyczik, S.; Halek, M. (Hg.): Assessmentinstrumente in der Pflege. Möglichkeiten und Grenzen. Hannover: 115129.
Neel, Andrew (2002): How DCM may affect caregiver mappers. In: Journal of Dementia Care 10.2002.4: 26-28.
Packer, T. (2000): Does person-centred care exist? In: Journal of Dementia Care
8.2000.3: 19-21.
Raabe, H. (2002): Dementia Care Mapping: Beobachten, Verstehen, Verändern. In:
Pro Alter 35.2002.3: 7-11.
Re, S. (2001): Gute oder schlechte Pflege: Ist das Dementia Care Mapping ein geeignetes Beurteilungsverfahren? In: Alzheimer Info 4/2001: 8-9.
Riesner, C. (2002): Dementia Care Mapping als Verfahren zur Qualitätsbeurteilung.
In: iso-Institut (Hg.): Auslaufmodell Pflegeheim? Die Zukunft der stationären
Pflege und innovative Ansätze im BMG-Modellprogramm. Dokumentation der
Fachtagung des iso-Instituts. 3. bis 5. Juni 2002. Internationales Jugendforum,
Bonn. Saarbrücken: 106-124.
Riesner, C. (2004): Personenzentrierte Pflege im Spiegel von Broschüren zur Demenz. KDA-Schriftenreihe thema 187. Köln.
Riesner, C. (2005): Die Entwicklung personzentrierter Pflege im Rahmen eines Modellprojektes. Eine Evaluationsstudie ausgewählter Einrichtungen. Masterarbeit Pflegewissenschaft. Universität Witten/Herdecke.
Rückert, W. (2000): Beobachtungsmethode „Dementia Care Mapping“ ermittelt: Wie
zufrieden sind altersverwirrte Menschen? In: Pro Alter 33.2000.1: 53-55.
Rüsing, D. (2001): Die Reliabilität und Validität des Beobachtungsinstruments „Dementia Care Mapping“, Bachelorarbeit Pflegewissenschaft. Universität Witten/Herdecke.
Schindler, U. (Hg.) (2003): Die Pflege demenziell Erkrankter neu erleben. Mäeutik im
Praxisalltag. Hannover.
Schlichting, R. (2002): Dementia Care Mapping - ein neuer Weg der Qualitätsentwicklung in der stationären Betreuung von Menschen mit Demenz. Erste Erfahrungen aus dem Modellprojekt im Landkreis Marburg-Biedenkopf. In: isoInstitut (Hg.): Auslaufmodell Pflegeheim? Die Zukunft der stationären Pflege
und innovative Ansätze im BMG-Modellprogramm. Dokumentation der Fachtagung des iso-Instituts. 3. bis 5. Juni 2002. Internationales Jugendforum,
Bonn. Saarbrücken: 125-132.
207
Schnell, M.W. (Hg.) (2002): Pflege und Philosophie. Interdisziplinäre Studien über
den bedürftigen Menschen. Bern.
Schwartze, G. (1998): Beziehungen und Gefühle in der Pflege. München, Wien,
Baltimore.
Siebert, H. (Hg.) (1996): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Berlin.
Ströer, H. (Hg.) (2005): Sozialgesetzbuch (SGB). 33. Auflage. München.
Stuhlmann, W. (2004): Demenz - wie man Bindung und Biographie einsetzt. München.
208
Autoren
André Hennig
Diplom-Pflegewirt (2000). Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Frankfurt am Main (2000-2004). Tätig in der wissenschaftlichen Begleitung des Projekts „Wohngemeinschaft psychisch veränderter Menschen
im Alter“ (2000–2002) und Entwicklung des Qualifizierungskonzepts: „LiSa“
– Lernen in Strukturen ambulanter Pflege (2003–2004). DCM-Basic-User
(2001); DCM-Advanced-User (2002). Gründung von inverso.-Institut für Bildung und Entwicklung in der Altenhilfe/Mainz (2004) mit den Weiterbildungsund Beratungsschwerpunkten: Pflege von Menschen mit Demenz und neue
Wohn- und Lebensformen für Menschen mit Demenz. Promotion (2006) in
Pädagogik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz mit dem Titel:
Wirklichkeitskonstruktionen von AltenpflegerInnen.
Kontakt: inverso.
Institut für Bildung und Entwicklung in der Altenhilfe
Bebelstr. 56
55128 Mainz
Tel.: 06131/58 48 078
E-Mail: [email protected]
Christine Riesner
Pflegewissenschaftlerin MScN (2005). Krankenschwester. DCM-Trainerin
(2000), DCM-Evaluatorin (2001). Beschäftigt an der Universität Witten/
Herdecke, Institut für Pflegewissenschaft, Dialogzentrum Demenz. Freiberuflich tätig in den Bereichen Implementierung von Demenzkonzepten, Organisationsentwicklung, Kommunikation mit Menschen mit Demenz, personzentrierte Pflege bei Demenz. Fortbildung in systemischer Organisationsentwicklung (2004). Mitarbeit im Programm „Gemeinsam für ein besseres Leben mit
Demenz“ der Robert Bosch Stiftung.
Kontakt: Universität Witten/Herdecke
Institut für Pflegewissenschaft – Dialogzentrum Demenz
Stockumer Str. 10
58453 Witten
Tel.: 02302/926-306
E-Mail: [email protected] oder [email protected]
209
Ruth Schlichting
Dipl. Sozialpädagogin (1975), Dipl. Supervisorin (1989). Ausbildung am Institut für Gruppenanalyse Heidelberg e.V. (1985–1989). Mitarbeit im Forschungsprojekt der Robert Bosch Stiftung zur „Lebenssituation älterer Menschen und ihrer pflegenden Angehörigen auf dem Lande“ (1986–1990). Seit
1990 kommunale Altenhilfeplanung im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Im
Rahmen dieser Tätigkeit Initiierung und fachliche Begleitung zahlreicher
Modellvorhaben und Projekte zur Weiterentwicklung der regionalen Pflegeinfrastruktur, u.a.: Seniorenrat Marburg-Biedenkopf (1992), Bundesmodellprojekt „Mobile ambulante geriatrische Rehabilitation“ (1993–1996), Gerontopsychiatrischer Verbund Marburg-Biedenkopf (1999), Alzheimer Gesellschaft Marburg-Biedenkopf e.V. (2000), Bundesmodellprojekt: „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung in stationären Einrichtungen“ (2002–2004), Beschwerdestelle Altenpflege (2003), Beteiligung am Bundesmodellprojekt der
Spitzenverbände der Pflegekassen „Persönliches Pflegebudget“ (seit 2004).
Kontakt: Kreisausschuss des Landkreises Marburg-Biedenkopf
Stabsstelle Altenhilfe
Im Lichtenholz 60
35034 Marburg
Tel.: 06421/405-1632
E-Mail: [email protected]
Maria Zörkler
Studium der Soziologie, Germanistik und Philosophie an den Universitäten
Tübingen und Wien; Magister Artium (1986); Wissenschaftliche Mitarbeiterin
im Fach Soziologie an der Universität Trier mit dem Schwerpunkt „Sozialpolitik und Sozialverwaltung/Services, Administration and Management“ (19861991). Seit 1992 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso) in Saarbrücken. Arbeitsschwerpunkte:
Soziologie des Alter(n)s und der Pflege, Beratung von Politik und sozialen
Dienstleistungsunternehmen. Wissenschaftliche Begleitung des BMG-Modellprogramms zur Verbesserung der Versorgung Pflegebedürftiger (seit
1992). DCM-Basic-User (2001). Seit 2005 wissenschaftliche Begleitung und
Auswertung von Modellprojekten zur Verbesserung der Versorgung demenzkranker Menschen und der Erprobung einer wirksamen Vernetzung der
Versorgungsangebote in sechs Regionen im Land Hessen.
Kontakt: Institut für Sozialforschung und Sozialwirtschaft (iso)
Trillerweg 68
66117 Saarbrücken
Tel.: 0681/9 54 24-18
E-Mail: [email protected]
210
Anhang: Projektmaterialien
Inhalt
1
Kooperationsvereinbarung
213
2
Vertrag über Beratung und Begleitung
216
3
„Erstbefundung“ - Dokumentation für Projektkoordination
219
4
„Mapping“ - Dokumentation für Heimleiter/Projektkoordination
221
5
„Feedback-Sitzung“ - Dokumentation
224
6
„Maßnahmeplanung“ - Dokumentation
225
7
„Runder Tisch“ - Dokumentation
226
8
Exemplarischer Kostenplan für eine DCM-gestützte
Qualitätsentwicklung
227
9
Entwurf - Vereinbarung für eine einheitliche und
verbindliche DCM-Qualitätsentwicklung
228
10
Beteiligte Modelleinrichtungen im DCM-Projekt
230
11
Externe Berater im DCM-Projekt
231
12
Pressespiegel (Auswahl)
233
211
212
Anhang 1
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Kooperationsvereinbarung
zwischen dem
Landkreis Marburg-Biedenkopf,
vertreten durch den Kreisausschuss,
35034 Marburg, - im folgenden: Kreis und
Altenpflegeheim „........“ –
- im folgenden: Einrichtung zur Durchführung des Bundesmodellprojektes „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung
der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises MarburgBiedenkopf“.
1. Vorbemerkung/Zielsetzung
Das Bundesministerium für Gesundheit gewährt dem Landkreis Marburg-Biedenkopf eine
zweckgebundene Förderung für die Durchführung des auf drei Jahre angelegten Modellvorhabens „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“. Die den Beteiligten bekannte Modellbeschreibung ist Teil der Vereinbarung.
Anliegen des Modellvorhabens ist die praktische Erprobung des in Großbritannien entwickelten Verfahrens des Dementia Care Mapping (DCM) in insgesamt zwölf Pflegeheimen im
Landkreis Marburg-Biedenkopf. Das Projekt verfolgt dabei insbesondere das Ziel, die Qualität
der Pflege und Betreuung demenzkranker Heimbewohner zu evaluieren und weiter zu entwickeln. Erfahrungen und Ergebnisse der Projektarbeit werden dokumentiert und nach Abschluss des Projektes einer breiten Fachöffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden.
Der Landkreis Marburg-Biedenkopf übernimmt als Projektträger die Verantwortung für eine
fachlich qualifizierte, wirtschaftliche und sparsame Mittelverwendung. Den Beteiligten ist bekannt, dass der Zuwendungsbescheid, der Anlage dieser Vereinbarung ist, vom Bundesgesundheitsministerium widerrufen werden kann, wenn das Projekt während der Laufzeit an der
mangelnden Bereitschaft der teilnehmenden Pflegeheime zur Zusammenarbeit zu scheitern
droht.
Die Vertragsparteien verpflichten sich zur Verschwiegenheit. Die Verschwiegenheitspflicht gilt
insbesondere für personen- und institutionsbezogene Daten, die die Schutzbedürfnisse aller
Projektbeteiligten berühren.
213
Anhang 1
Seite 2
__________________________________________________________________________________________
2. Leistungen für die projektbeteiligte Einrichtung durch den Projektträger
Im Rahmen der Projektbeteiligung erhält die Einrichtung umfassende Leistungen, die sie in die
Lage versetzen wird, die Qualität ihres Pflege- und Betreuungsangebots und damit die Lebensqualität der Heimbewohner mit Demenz, gezielt weiter zu entwickeln. Insbesondere
handelt es sich um folgende Leistungen:
1. Schulung der Heimleitung und Pflegedienstleitung in den Grundlagen des DCMVerfahrens,
2. Schulung von zwei von der Einrichtung zu benennenden Mitarbeitern in den Grundlagen
des DCM-Verfahrens,
3. Basisqualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die im ausgewählten Projektbereich der Einrichtung regelmäßige Kontakte zu den Bewohnerinnen und Bewohner haben,
4. Erst- und Abschlussbefundung durch einen externen DCM-Kundigen,
5. Kontinuierliche Befundung und Datenrückmeldung durch ausgebildete DCM-Kundigen
von Partner-Einrichtungen (3 bis 4 /Jahr),
6. Coaching des Prozesses durch einen qualifizierten Supervisor/Organisationsberater (insbes. Datenrückmeldung und Maßnahmenplanung im Projektteam, Krisenintervention,
„Runder Tisch“ in der Gesamteinrichtung),
7. Beratung und Begleitung des im DCM-Verfahren geschulten Personals,
8. Ermöglichung der Teilnahme an projektbezogenen Fachtagungen,
9. Investive Unterstützung für Maßnahmen der Milieugestaltung im Rahmen verfügbarer Projektmittel, wenn die geplante Maßnahme der Milieugestaltung projektbezogen und konzeptionell begründet ist.
3. Aufgaben der projektbeteiligten Einrichtung
Die Einrichtung verpflichtet sich, organisatorische und strukturelle Rahmenbedingungen zu
schaffen und zu sichern, um während der dreijährigen Laufzeit eine optimale Projektdurchführung zu gewährleisten. Dazu gehören insbesondere:
1. die Verpflichtung zur konstruktiven Begleitung und Unterstützung des projektbeteiligten
Teams und seiner Mitarbeiter bei allen projektbezogenen Fragen,
2. die Auswahl und Sicherstellung eines geeigneten „Beobachtungsfeldes“ in der Einrichtung für die Evaluation (Erstbefundung, wiederkehrende Datenerhebung, Abschlussbefundung),
3. die Verpflichtung, das Personal für alle projektbezogenen Aktivitäten (z.B. Mappen, Teamsitzungen, Fortbildungen) freizustellen und deren verbindliche Teilnahme an diesen Aktivitäten zu gewährleisten;
4. die gemeinschaftliche Organisation der Basisqualifikation in Absprache mit den Partnereinrichtungen,
5. die Bereitschaft, mit allen projektbeteiligten Einrichtungen vertrauensvoll zusammen zu
arbeiten,
6. die Verpflichtung zur Durchführung von einrichtungsübergreifenden Diskussionsrunden
(„Runder Tisch“), mindestens vier mal pro Jahr,
7. die Einwilligung zur Weitergabe projektrelevanter Informationen zur Dokumentation (Ausnahme: personenbezogene Informationen), durch z.B. Koordinator, Supervisor, Kuratorium
Deutsche Altershilfe,
214
Anhang 1
Seite 3
__________________________________________________________________________________________
8. die Bereitschaft, an im Prozessverlauf sich ergebenden Fragestellungen aktiv mitzuwirken
und gewonnene Erkenntnisse zur Verbesserung der Pflegequalität in die Pflegepraxis umzusetzen.
4. Aufgabe der Koordinatorin
Die Stabsstelle Altenhilfe des Landkreises Marburg-Biedenkopf übernimmt die Leitung und
Koordination des Gesamtprojektes. Dazu gehören insbesondere:
1. die Sicherung von Rahmenbedingungen für eine enge Abstimmung und Kooperation
aller projektbeteiligten Einrichtungen (z.B. AG Heimleiter),
2. die Information der Einrichtungen über alle projektrelevanten Maßnahmen und Entscheidungen,
3. die Organisation von Treffen der Mapper zwecks Erfahrungsaustausch und Ergebnissicherung (mind. 2 / Jahr),
4. die Erarbeitung einer Dokumentationssystematik in Abstimmung mit den Einrichtungen,
die Aufbereitung der Dokumentationsergebnisse und die Weiterleitung an die für die Begleitforschung verantwortlichen Institutionen,
5. die begleitende und abschließende Öffentlichkeits- und Pressearbeit in Absprache mit
den Einrichtungen und dem Bundesgesundheitsministerium,
6. die Verwaltung der Projektmittel.
5. Abschlusserklärung
Die Vereinbarung wird für den Zeitraum der bewilligten Projektmaßnahme geschlossen. Sie
gilt vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2004.
Die Vereinbarung ist nur aus wichtigem Grund vorzeitig kündbar. Diese kommt nur in Betracht,
wenn einem der Beteiligten die weitere Durchführung der Vereinbarung nicht mehr zuzumuten ist. Die Beteiligten verpflichten sich, vor einer Kündigung alle Möglichkeiten auszuschöpfen, eine Kündigung aus wichtigem Grund zu umgehen.
Die Kooperationspartner sind sich der Verantwortung, die mit der Projektbeteiligung, der Projektorganisation und der Verwendung der Projektmittel verbunden ist, bewusst. Sie verpflichten sich, ihre Entscheidungen und ihr Handeln an dieser Verantwortung auszurichten.
Marburg, Februar 2002
Landkreis Marburg-Biedenkopf
_______________________
Robert Fischbach
Landrat
Altenpflegeheim
_______________________
_________________________
Dr. Karsten McGovern
Kreisbeigeordneter
215
Anhang 2
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Frau/Herrn
- im folgenden: Auftragnehmer und
das Altenpflegeheim ...
- im folgenden: Einrichtung und
der Landkreis Marburg-Biedenkopf,
vertreten durch den Kreisausschuss, 35034 Marburg
- im folgenden: Kreis schließen folgenden
Vertrag über Beratung und Begleitung
1. Aufgaben und Arbeitsumfang
Im Rahmen des auf drei Jahre angelegten Modellvorhabens „DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Versorgung in Pflegeheimen des Landkreises MarburgBiedenkopf“ wird der Auftragnehmer mit der Beratung und Begleitung der vertragsbeteiligten
Einrichtung für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2004 beauftragt. Begonnene aber noch nicht
beendete Aufträge, die innerhalb des vereinbarten Beratungskontingents liegen, werden
auch nach dem 31.12.2004 auf der Grundlage dieses Vertrages zu Ende geführt. Der Auftragnehmer führt diese Beratung und Begleitung als selbständige/r BeraterIn durch. Durch
diese Beratung und Begleitung wird ein Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten nicht begründet.
Dabei geht es um die fachliche Unterstützung und Begleitung bei der Implementierung und
praktischen Erprobung des DCM-Verfahrens. Insbesondere sind folgende Leistungen zu
erbringen:
•
Beratung und Begleitung der im DCM-Verfahren ausgebildeten Pflegekräfte bei der:
- Vorbereitung ihrer Mapping-Einsätze in Partnereinrichtungen (Zeit- und Ablaufplanung, methodische Beratung, Rollenklärung etc.),
- Nachbereitung der Mapping-Einsätze (Sichtung und Interpretation der MappingErgebnisse, Aufarbeitung schwieriger Situationen),
- Vorbereitung der Feedback-Sitzung und Begleitung beim Feedback,
- Maßnahmenplanung im Team auf der Grundlage der Mapping-Ergebnisse,
- Begleitung bei der Umsetzung,
•
Krisenintervention im Team im Zusammenhang mit dem DCM-Verfahren und unverzügliche Weiterleitung der Dokumentation an die Projektkoordinatorin,
•
Begleitung bei der Durchführung des „Runden Tisches“ als gesamtinstitutionelle Maßnahme,
•
Dokumentation der Arbeit nach vereinbartem Dokumentationssystem,
216
Anhang 2
Seite 2
__________________________________________________________________________________________
•
Zusammenarbeit mit der Projektkoordinatorin (Erfahrungsaustausch, Beratung, Abstimmung der Arbeitsschritte).
2. Auftragsrahmen
Für diese Tätigkeit wird pro Jahr ein Zeitbudget von 9 Tagen à 8 Std., inklusive Fahrzeit, Vorund Nacharbeitung sowie Gremienarbeit vereinbart. In diesem Zeitbudget sind die Arbeitstreffen mit der Projektkoordinatorin (4 / Jahr, à 2,0 Std.) enthalten.
Vergütet wird die tatsächlich geleistete Beratung und Begleitung.
3. Organisation der Beratung
Die Beratungstermine werden zwischen dem Auftragnehmer und den unter Ziffer 2 Einrichtungen vereinbart. Eine Durchschrift dieser Vereinbarung erhält die Projektkoordinatorin.
Kommt eine vereinbarte Beratung aus Gründen, die die Einrichtung zu vertreten hat, nicht
zustande, behält der Auftragnehmer seinen Anspruch auf volle Vergütung.
4. Zusammenarbeit mit der Koordinatorin und im Coach-Team
Es finden vierteljährlich Treffen zwischen der Koordinatorin und dem Auftragnehmer bzw. der
Gesamtheit der Auftragnehmer statt (s. Punkt 2).
5. Verschwiegenheitspflicht
Der Auftragnehmer verpflichtet sich, alle ihr/ihm während seiner/ihrer Tätigkeit bekannt gewordenen Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse, insbesondere die Daten der DCM - Erhebung,
sowie sonstige geschäftliche und betriebliche Tatsachen, nur im Rahmen der Beratungstätigkeit zu verwenden. Personenbezogene Informationen der DCM-Erhebung sind als vertrauliche
Daten „Eigentum“ der BewohnerInnen, respektive der Teams der jeweiligen Einrichtung. Weder die Einrichtungsleitung noch die Koordinatorin können gegen deren Willen hierin Einsicht
erhalten.
Zur Weitergabe oder Offenbarung einer solchen Information bedarf der Auftragnehmer der
Zustimmung der beteiligten Person(en). Diese Pflicht zur Verschwiegenheit besteht über das
Vertragsende hinaus.
6. Konzept- und Dokumentenschutz
Eine Weitergabe der gemeinsam erarbeiteten Konzepte an Dritte ist ausdrücklich verboten.
Konzepte, die von einer der Vertragspartner/innen erarbeitet wurden, dürfen von dem/der
anderen VertragspartnerIn nur unter Nennung der Quelle verwendet werden. Jede/r der VertragspartnerInnen ist frei, gemeinsam erarbeitete Konzepte und Materialien für eigene Auftragsbearbeitung zu verwenden.
7. Vergütung und Abrechnung
Das Honorar für einen Beratungstag (8 Stunden) beträgt 818,07 € (incl. MwSt.). Die Fahrtkosten
werden mit 0,30 €/km (incl. MwSt.) vergütet. Die Fahrzeit wird mit 0,30 €/km einer Beratungsstunde vergütet. Die Vergütung ist jeweils nach Erbringung der Leistung und monatlicher
Rechnungsstellung fällig. Die Rechnung geht zu Händen der Projektkoordinatorin.
217
Anhang 2
Seite 3
__________________________________________________________________________________________
8. Vertragsänderung und salvatorische Klausel
Eine Änderung dieses Vertrags ist nur schriftlich möglich, mündliche Nebenabreden sind ausgeschlossen. Sollten einzelne Bestimmungen ungültig sein, so wird dadurch die Gültigkeit des
gesamten Vertrags im Übrigen nicht berührt. Der Vertrag ist in diesem Falle so zu ergänzen,
dass der mit der ungültigen Bestimmung beabsichtigte Zweck erreicht wird.
9. Kündigung
Dieser Vertrag kann nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
10. Gerichtsstand
Gerichtsstand ist Marburg.
Marburg, den
_______________________________
Landkreis Marburg-Biedenkopf
Robert Fischbach
(Landrat)
_______________________________
Dr. Karsten McGovern
(Kreisbeigeordneter)
218
____________________________
Herr/Frau
Anhang 3
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Landkreis
Marburg-Biedenkopf
„Erstbefundung“
Dokumentation für Projektkoordination
1. Rahmendaten
Einrichtung, in der gemappt wurde:
Datum d. Mappens: ______________von: ____________Uhr
bis ____________Uhr
Ort d. Mappens:
(z.B. Flur, Essecke, Wohnbereich;
Kurzbeschreibung des Milieus)
Anzahl der dort lebenden Bewohner: _______________
Anzahl der gemappten Bewohner:
_______________
Anzahl der MA im Beobachtungsfeld: _______________
Letzte Basisschulung am: __________ Thema:
2. Ergebnisse
WIB-Punktzahl: _______________
Gruppenbez. WIB-Wert Profil:
____________
Gruppenbez. Verhaltensprofil:
____________
Art, Häufigkeit u. Schweregrad der Detraktionen:
Positive Ereignisse:
219
Anhang 3
Seite 2
__________________________________________________________________________________________
3. Bericht
(z.B. allgemeine Stimmung/Atmosphäre, Akzeptanz b.d. MA; besondere Vorkommnisse; Veränderungen während der Beobachtungszeit; erste Vorschläge zu Veränderungen, usw.)
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
________________________
Datum, Unterschrift (Mapper)
220
Anhang 4
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Landkreis
Marburg-Biedenkopf
„Mapping“
Dokumentation für Heimleiter/Projektkoordination
1. Rahmendaten
Einrichtung, in der gemappt wurde:
Datum d. Mappens: ______________von: ____________ Uhr
bis ____________ Uhr
Ort d. Mappens:
(z.B. Flur, Essecke, Wohnbereich;
Kurzbeschreibung des Milieus)
Anzahl der dort lebenden Bewohner: _____________
Anzahl der gemappten Bewohner: _______________
Anzahl der MA im Beobachtungsfeld: _____________
Letzte Basisschulung am: __________ Thema:
2. Ergebnisse
WIB-Punktzahl: _______________
Gruppenbez. WIB-Wert Profil:
________________________________________
Gruppenbez. Verhaltensprofil:
_________________________________________
Art, Häufigkeit u. Schweregrad der Detraktionen:
Positive Ereignisse:
221
Anhang 4
Seite 2
__________________________________________________________________________________________
3. Bericht
(Inhaltliche Gliederung siehe Anlage)
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
__________________________________________________________________________________
________________________
Datum, Unterschrift (Mapper)
222
Anhang 4
Seite 3
__________________________________________________________________________________________
Anlage zum Mappingbogen:
Inhaltliche Gliederung für den Mappingbericht:
1. Allgemeine Stimmung und Atmosphäre von Seiten der MitarbeiterInnen
(z.B. Freundlichkeit, Ruhe, Hektik)
2. Örtlichkeit und äußere Gegebenheiten (z.B. Raumbeschreibung und -atmosphäre, Geräuschpegel (läuft der Fernseher, das Radio etc.)
3. Aktivitäten der MitarbeiterInnen
- bezüglich der ganzen Gruppe
- bezüglich der einzelnen BewohnerInnen
Auswirkungen auf die
- Tätigkeiten ohne Begegnung
Befindlichkeit der BW
4. Aktivitäten der BW untereinander
5. Eigenaktivitäten der BW ohne Unterstützung der MA
6. Anwesenheit von MA während der Mapp-Zeit
7. Veränderungen gegenüber dem letzten Mappen
8. PDs und PEs in kurzer szenischer Darstellung
9. Dank an die MA der gemappten Einrichtung
223
Anhang 5
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Landkreis
Marburg-Biedenkopf
„Feedback-Sitzung“
Dokumentation
1. Rahmendaten
Name der Einrichtung: _________________________________________________________
Datum d. Sitzung: _______________ von: __________Uhr
bis ___________Uhr
Anzahl der Teilnehmer: ___________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen)
Ort und Datum des Mappens: _________________________________________________
Name des Mappers/Supervisors: _______________________________________________
_________________________________________________________________________
Bericht
(z.B. Wie ist das Feedback gelaufen? Welche Themen wurden diskutiert? Was lief positiv? Was
waren die Probleme? Welche Probleme sind lösbar? Welche Probleme sind nicht lösbar?)
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
________________________
Datum, Unterschrift (Mapper/Supervisor)
224
(2. Seite ggf. hinzufügen)
Anhang 6
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Landkreis
Marburg-Biedenkopf
„Maßnahmeplanung“
Dokumentation
1. Rahmendaten
Name der Einrichtung: _________________________________________________________
Datum der Sitzung: ________________ von: __________Uhr
bis ___________Uhr
Anzahl der Teilnehmer: ___________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen)
Ort und Datum des Mappens: _________________________________________________
Ort und Datum des Feedbacks: ________________________________________________
Name des Mappers/Supervisors: _______________________________________________
_________________________________________________________________________
Bericht
(z.B. Welche Themen wurden aufgegriffen, welche zurückgestellt? Welche Problemlösungsideen gab es? Welche Maßnahmen wurden geplant? Wer im Team ist verantwortlich für Umsetzung? Welcher Zeitrahmen wurde vereinbart? Allgemeine Stimmung)
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
__________________________
(2. Seite ggf. hinzufügen)
Datum, Unterschrift (Mapper/Supervisor)
225
Anhang 7
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Landkreis
Marburg-Biedenkopf
„Runder Tisch“
Dokumentation
1. Rahmendaten:
Name der Einrichtung: ________________________________________________________
Datum d. Sitzung: ______________
von: __________Uhr
bis: _____________Uhr
Anzahl der Teilnehmer: ________________ (Teilnehmerliste bitte beifügen)
Moderation durch:
HL †
SVsor †
Sonst. †
__________________________________________________________________________
Bericht
(z.B. Wie war die Stimmung/Gruppendynamik; angesprochene Themen; positive Aspekte;
besondere Probleme; Ergebnisse; Vereinbarungen; Besonderheiten)
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
________________________
Datum, Unterschrift (HL/SVsor)
226
(2. Seite ggf. hinzufügen)
Anhang 8
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Exemplarischer Kostenplan* für eine
DCM-gestützte Qualitätsentwicklung
Grundannahmen:
ƒ
Neueinstieg der Einrichtung
ƒ
personzentrierte Pflege soll prozesshaft entwickelt werden
ƒ
Einrichtung möchte auf Dauer DCM-Eigenkompetenz implementieren
ƒ
Aufbau- bzw. Entwicklungsprozess 2 Jahre
ƒ
3 DCM-Zyklen pro Jahr
ƒ
primär beteiligte Mitarbeiter: 10 Personen
ƒ
ergänzende Fortbildungen der Mitarbeiter (10 Tage)
ƒ
externe Prozessbegleitung durch externen Berater
(2 Sitzungen á 90 Min./DCM-Zyklus)
1. Jahr
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Basic-User-Kurs für Leitungsebene (2 Personen/3 Tage)
1.136,00 €
Basic-User-Kurs für Mapper (2 Personen/3 Tage)
1.136,00 €
Erstbefundung, Kurz-Feedback und Kurz-Bericht durch
einen externen Mapper (1 Person/2 Tage)
1.200.00 €
Fortbildung: 10 Tage à 600 €
6.000,00 €
Follow-up: 2 Tage/Jahr
1.920,00 €
Prozessberatung: ca. 153 €/90 Min., incl. MwSt., Vor- und
Nachbereitung, Berichterstattung
mind. 6 Sitzungen/Jahr
918,00 €
Gesamt:
12.310,00 €
2. Jahr
ƒ
Fortbildung: 10 Tage/à 600 €
6.000,00 €
ƒ
Follow-up: 2 Tage/Jahr
1.920,00 €
ƒ
Ausbildung eines DCM Advanced Users (1 Person/4 Tage)
1.000,00 €
ƒ
Prozessberatung: ca. 155 €/90 Min., incl. MwSt., Vor- und
Nachbereitung, Berichterstattung
mind. 6 Sitzungen/Jahr
Gesamtkosten für einen zweijährigen
DCM-gestützten Qualitätsentwicklungsprozess:
Gesamt:
930,00 €
9.850,00 €
22.160,00 €
_________________________________________
*
Die Zahlenangaben beruhen auf derzeit marktüblichen Preisen; sie stellen keine verbindlichen Angaben dar. Fahrtkosten
und -zeiten, Hotelkosten f. Referenten sowie Kosten für Literatur etc. wurden nicht einberechnet. Kalkuliert wurden auch
nicht die betriebswirtschaftlichen Kosten für die Personalfreistellung.
227
Anhang 9
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
E N T W U R F
Vereinbarung
zwischen dem
APH XY
und dem
Landkreis Marburg-Biedenkopf, Stabsstelle Altenhilfe
Vorbemerkung
Von Januar 2002 bis Dezember 2004 nahm o.g. Einrichtung an dem Bundesmodellprojekt
„DCM-gestützte Qualitätsentwicklung der gerontopsychiatrischen Pflege in stationären Einrichtungen des Landkreises Marburg-Biedenkopf“ teil. Ziel war es, mit dem Verfahren des Dementia Care Mapping ihr Leistungsangebot für demenzkranke Bewohner zu qualifizieren und
stetig weiter zu entwickeln. Ergänzend zu dem DCM-Verfahren wurden zur Vertiefung der
gerontopsychiatrischen Kenntnisse teambezogene Fortbildungen und begleitende Supervision durchgeführt.
In einer Abschlussbefundung durch einen externen DCM-Beobachter wurden die Ergebnisse
des Entwicklungsprozesses evaluiert. Um die erreichte Ergebnisqualität zu sichern und weiter
auszubauen, erklärt die Einrichtung ihren Willen, das DCM-Verfahren im Rahmen einer freiwilligen Selbstverpflichtung weiter zu praktizieren. Damit ist die Bereitschaft verbunden, mit allen
DCM-praktizierenden Einrichtungen im regionalen DCM-Netzwerk vertrauensvoll und fair zusammen zu arbeiten. Dies schließt neu hinzukommende Einrichtungen mit ein, die es in „Patenschaften“ mit DCM-erfahrenen Pflegeheimen zu unterstützen gilt.
Die Stabsstelle Altenhilfe unterstützt die Einrichtungen in ihrer Arbeit und sichert Kooperation
und Koordination durch die Moderation der DCM-Netzwerkarbeit.
Die vorliegende Vereinbarung dient der Regelung der Zusammenarbeit und der Sicherstellung von Rahmenbedingungen für eine einheitliche und verbindliche DCM-Qualitätsentwicklung in den DCM-Einrichtungen auf der Grundlage einer freiwilligen Selbstverpflichtung.
228
Anhang 9
Seite 2
__________________________________________________________________________________________
Verpflichtungen der Einrichtung
Die Einrichtung verpflichtet sich:
1. institutionelle Voraussetzungen zu sichern durch:
•
Verbindliche Zusage für einen Zeitraum von einem Jahr
•
Verbindliche Teilnahme an den Koordinationstreffen der Heimleiter
(4 x / Jahr)
•
Unterstützung des DCM-Prozesses durch die Leitungsebene
•
Benennung eines einrichtungsinternen DCM-Beauftragten
•
Freistellung der Mitarbeiter für die Durchführung des DCM-Verfahrens
(Mapping, Auswertung, Berichterstellung, Feedback/Maßnahmeplanung)
•
Übernahme der Fahrtkosten für die MapperInnen
•
Erarbeitung eines Einarbeitungskonzeptes für neue MitarbeiterInnen
•
Erarbeitung eines Konzeptes zur Integration der Maßnahmeplanung in die Pflegedokumentation
•
Evaluation der Ergebnisqualität durch einen externen DCM-Beobachter nach zwei
Jahren
2. das DCM-Verfahren nach vereinbarten Standards durchzuführen. Dazu gehören:
•
DCM-Beobachtung in einer Partnereinrichtung, die durch Losverfahren ausgewählt
wird
•
Mapping 2 x im Jahr, mind. 6 Stunden durch einen Mapper
•
Feedback und Maßnahmeplanung innerhalb 14 Tage nach dem Mapping
•
Prozessbegleitung und -beratung durch einen DCM-erfahrenen Supervisor
•
Teambezogene gerontopsychiatrische Fortbildung, mind. 3 Tage im Jahr
Verpflichtungen der Stabsstelle Altenhilfe
•
Allgemeine Beratung und Unterstützung der Einrichtungen
•
Organisation und Moderation der Heimleitersitzungen (4 x / Jahr)
•
Organisation und Moderation der Mappertreffen (mind. 1 x / Jahr)
•
Unterstützung und Beratung bei der Organisation der Fortbildungen
•
Kennzeichnung der DCM-praktizierenden Einrichtungen in dem „Wegweiser für ältere
Menschen und pflegende Angehörige“.
•
Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit
Marburg, den ........................
__________________________
__________________
229
Anhang 10
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Beteiligte Modelleinrichtungen im DCM-Projekt
Einrichtung
Telefon/Fax
Altenwohn- und Pflegeheim Hannich GmbH
Tel:
(0 64 21) 96 30-54
Hainweg 6
Fax:
(0 64 21) 96 30 46
35037 Marburg
Altenheim „Haus Tabor“
Tel: (0 64 21) 96 75 00
Dürerstraße 30
Fax: (0 64 21) 96 75 01
35039 Marburg
Altenheim „Tannhäuser“
Tel:
(0 64 61) 70 60
Am Altenberg 2
Fax:
(0 64 61) 70 62 60
35216 Biedenkopf
St.-Elisabeth-Verein e.V.
Tel: (0 64 23) 8 09 11
Altenhilfe Wetter
Tel: (0 64 23) 8 09 47
Schulstraße 29
Fax: (0 64 23) 8 09-30
35083 Wetter
Alten- und Pflegeheim
Tel: (0 27 76) 9 15 60
„Haus Waldesruh“
Fax:
(0 27 76) 91 56 25
Sebastian Kneipp Str. 39 + 41
35080 Bad Endbach
Ev. Alten- und Pflegeheim
Tel: (0 64 21) 93 50 14
„Elisabethenhof“
Tel: (0 64 21) 93 50 46
Rotenberg 60
Fax: (0 64 21) 93 50 13
35037 Marburg
Altenzentrum St. Jakob
Tel:
Sudetenstr. 24
Fax: (0 64 21) 9 51 98 88
(0 64 21) 9 51 90
35037 Marburg
Tagespflege AurA e.V.
Tel:
(0 64 21 ) 4 76 75
Simmestraße 30
Fax: (0 64 21) 48 56 13
35043 Marburg
Altenwohn- und
Tel: (0 64 65) 17 76
Altenpflegeheim
Tel: (0 64 65) 14 74
„Haus Maria“ GmbH
Fax: (0 64 65) 13 11
Buchenstraße 3 – 5
35236 Breidenbach
Altenhilfezentrum Auf der Weide
Tel: (0 64 21) 1 71 40
Auf der Weide 6
Fax: (0 64 21) 1 71 42 24
35037 Marburg
DRK
Tel:
Seniorenzentrum Wallau
Fax: (0 64 61) 80 87 17
(0 64 61) 8 82 55
Alte Straße 14
35216 Biedenkopf
Altenpflegeheim
Tel.: (0 64 25) 92 32 11
„Haus Rauschenberg“
Fax: (0 64 25) 92 32 50
Auf dem Flur 38
35282 Rauschenberg
230
Anhang 11
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Externe Berater im DCM-Projekt
Name
Jochen Rosenkötter
Telefon
E-Mail
06426-966860 [email protected]
Bornbach 1
35096 Weimar
Norbert Müller
06420-1886
[email protected]
Im Boden 9
35041 Marburg-Michelbach
Rosemarie Gräßle
06421-686172 [email protected]
Deutschhausstraße 36
35037 Marburg
Gabriele Hofmann-Eimer
06421-14207
[email protected]
Schwanallee 35
35037 Marburg
231
232
Anhang 12
Seite 1
__________________________________________________________________________________________
Pressespiegel (Auswahl)
233

Documentos relacionados