01.01.2011

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01.01.2011
G 9638
Schlesische Nachrichten
Zeitung für Schlesien
Herausgeber: Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien
Das Jahr 2011
Redaktionsanschrift: Dollendorfer Str. 412, 53639 Königswinter, Tel. (0 22 44) 92 59-0
Nummer 1/2011
Einzelpreis 2,20 Euro
1. Januar 2011
Bilanz und Aufruf
Rudi Pawelka – Bundesvorsitzender der Landsmannschaft Schlesien
D
as Jahr 2010 hat gezeigt, dass die
Vertreibung auch nach 65 Jahren ein
Streitfall ist. Gestritten wird vor allem
deshalb, weil die Vertreiberstaaten,
namentlich Polen, sich nicht zu den von
ihnen begangenen Verbrechen bekennen wollen. Allerdings haben Verdrängung und einseitige Vergangenheits-
bewältigung auch bei uns dazu geführt,
dass sich in der Politik und in den Medien eine breite Phalanx von Unterstützern herausgebildet hat. Als wir am
5. August an die Verkündung der Charta der Heimatvertriebenen vor 60 Jahren erinnerten, gab es deshalb nicht nur
Anerkennung für das Schicksal der
Rückseite des Schlosses derer von Ballestrem in Plawniowitz
im Oktober 2010
Foto: ma
Auf Seite 11 erinnert Helmut Neubach an den früheren
Reichtsagspräsidenten, Graf Franz von Ballestrem.
Vertriebenen oder für das einzigartige
Dokument der Verständigungsbereitschaft, sondern auch Kritik. Man vermisse Hinweise auf die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen
und es wäre vermessen, auf Rache und
Vergeltung zu verzichten, denn hierauf
gäbe es kein Recht. Vorwürfe, die nicht
nur aus der damaligen Situation unverständlich sind. Wer denkt als Opfer
eines grauenhaften Verbrechens schon
daran, dass Verbrechen gegeneinander
aufgerechnet, folgende Taten also damit entschuldigt oder zumindest relativiert werden sollen. Richtig ist, jedes
Schneeflocken Titelseite: istockphoto.com/ Larysa Dodz Lorado
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Verbrechen steht für sich; deshalb verbieten sich derartige Gedankenspiele.
Da die Vertriebenen selbst Rache und
Vergeltung erlebt hatten, war es schon
ein wichtiges Zeichen, dass sie selbst
diesen Kreislauf unterbrechen wollten.
Wie sehr allein die Erinnerung an die
Vertreibung Erregung verursacht, erlebten wir bei einer neuerlichen Diskussion um die Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“. Erst nahm man
die BdV-Präsidentin Steinbach aufs
Korn und überzog sie mit nicht nachvollziehbaren Vorwürfen aus ihrem politischen Verhalten. Eine unrühmliche
Rolle spielte dabei der FDP-Vorsitzende Westerwelle, der letztlich verhinderte, dass Steinbach in den Beirat der
Stiftung einziehen konnte. Es folgten Angriffe auf zwei stellvertretende Beiratsmitglieder sowie ein Antrag der Fraktion der Grünen, der Stiftung ein völlig
anderes Gesicht zu geben. Es verwundert deshalb nicht, wenn inzwischen ein
Eckpunktepapier für die Dauerausstellung vorgelegt wurde, das der Aufrechnung das Wort redet, ja eine einzige Anklage gegen Deutschland ist,
auch für das Deutschland der Weimarer Republik. Einher gehen viele Geschichtsklitterungen, gespickt mit
falschen Fakten und Relativierungen des
Vertreibungsverbrechens. Das Wort
Verbrechen taucht auch nur auf, wenn
es um deutsche Taten, nicht aber wenn
es um Taten an Deutschen geht. Sollte
die Konzeption nicht grundlegend verändert werden, wäre es besser, auf das
Projekt gänzlich zu verzichten. So würde man den Vertriebenen eine erneute
Demütigung ersparen und die Würde der
Opfer nicht weiter beschädigen.
Wenn die Kanzlerin immer wieder betont, man müsse sich zur Wahrheit bekennen, wird diese Forderung nun ad absurdum geführt. Wenn man weiß, welche Vorgaben die Politik für die Gestaltung der Stiftung gemacht hat,
wundert man sich über das Papier nicht.
Entsetzen löst lediglich aus, wie sehr
Worte und Handeln auseinanderklaffen.
Während bei uns Geschichtslosigkeit
dominiert, der Wert der eigenen Nation regelrecht missachtet wird, konnte
die Welt soeben erleben, wie Polen und
Russland mit Geschichte und Nation umgehen. Das Treffen der beiden Präsidenten Anfang Dezember, Medwedew
und Komorowski, befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Massaker von Katyn, zu dem die russische Staatsduma
einige Tage zuvor auf polnisches Drängen eine Erklärung verabschiedet hat-
Schlesische Nachrichten 1/2011
POLITIK
te. Das Thema hatte über Jahrzehnte wie
ein Mühlstein auf den Beziehungen gelegen. Medwedew bewies seinerseits
ebenfalls Geschichtsbewusstsein und
erinnerte an den Tod tausender Russen
in polnischer Gefangenschaft nach
dem polnischen Überfall 1920 auf die
Sowjetunion. Deutschland ist sicher gut
beraten, wenn es Belastendes ebenfalls
nicht unter den Teppich kehrt und Geschichte nicht verfälscht.
Mit Empörung mussten wir zur
Kenntnis nehmen, dass die Bundesregierung bei der Frage der Entschädigung
deutscher Zwangsarbeiter inzwischen
auf die Linie von Rot-Grün eingeschwenkt ist und selbst eine symbolische Entschädigung für die Opfer ablehnt, die für eine Anerkennung des
Leids sowie für eine Rehabilitierung
wichtig wäre. Rehabilitiert hat dagegen
der Bundestag alle Wehrmachtsdeserteure, selbst die, die sich feige gedrückt
haben, anstatt flüchtende Frauen und
Kinder vor der Roten Armee zu schützen. Diese Politik liegt ganz auf der Linie, nicht an deutscher Alleinschuld zu
kratzen, sondern ungestört möglichst
viel zu bekennen, ja einen Schuldstolz
aufzubauen.
Zuversicht gibt uns die Entwicklung
auf europäischer Ebene. Der Zusammenschluss von Vertriebenenverbänden
aus acht Ländern hat Aufmerksamkeit
erregt. Die Vereinigung wurde bei der
EU akkreditiert und findet Unterstützer
bei anderen Regierungen, während
man sich in Deutschland weigert, bestehende offene Fragen überhaupt anzusprechen.
Schlesien war für das Patenland
Niedersachsen im letzten Jahr ein besonderes Thema. Vor allem die dreitägige Veranstaltung zum 60-jährigen
Bestehen der Patenschaft für die
Landsmannschaft Schlesien zeigte die
Wertschätzung gegenüber den Schlesiern. Im nächsten Jahr werden wir mit
Unterstützung des Landes am 25./26.
Juni das Deutschlandtreffen veranstalten. Ministerpräsident McAllister und Innenminister Schünemann werden auf
den Veranstaltungen sprechen. Machen wir das Treffen wieder zu einem
eindrucksvollen Heimatfest, ja auch zu
einem Bekenntnis zu Schlesien.
Wir können stolz sein auf unsere Heimat, denn sie war ein reiches Kulturland,
das Deutschland viel gegeben hat.
Ohne den bedeutenden Beitrag Schlesiens wäre die deutsche Identität nicht
die, die sie heute ist. Was wäre die deutsche Romantik ohne Joseph von Eichendorff? Was wäre der deutsche Naturalismus ohne Gerhart Hauptmann?
Was wäre die deutsche Arbeiterbewegung ohne Ferdinand Lassalle, den
Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, dem Vorläufer der SPD.
Was wäre die Dichtung des Barock ohne
die dominierenden schlesischen Dichter? Selbst das Brandenburger Tor sähe
wohl anders aus, wenn es nicht vom
schlesischen Baumeister Carl Gotthard
Langhans erbaut worden wäre. Wie arm
wäre Deutschland ohne die 13 schlesischen Nobelpreisträger?
Die Schlesier haben dieses kulturelle Erbe einzubringen und zu pflegen.
Dies werden wir auch künftig mit aller
Kraft tun. Die Landsmannschaft Schlesien wird auch unsere Landsleute in der
Heimat dabei unterstützen, die kulturellen Traditionen Schlesiens zu bewahren. Es ist sicher für uns ein Lichtblick, wenn wir hören, dass auch junge
Polen heute danach fragen, wer früher
in Schlesien gelebt hat. Dies gibt Hoffnung, nachdem über lange Zeit versucht
wurde, die deutsche Vergangenheit
Schlesiens auszulöschen. Zwar finden
wir andererseits noch viele Fälschungen
der Geschichte, der Selbstfindungsprozess der Polen ist aber eingeleitet.
Durch die kulturellen Verbrechen ist das
Land ärmer geworden, stellte kürzlich
der bekannte polnische Historiker Bogdan Musial fest. Er meinte damit die von
Polen nach dem Krieg betriebene Auslöschung der deutschen Vergangenheit.
Wir sollten aufpassen, dass wir nicht alle
ärmer werden, vor allem in Deutschland.
Die Landsmannschaft Schlesien wird mit
ganzer Kraft gegen diese Verarmung arbeiten, sie bleibt für Schlesien und die
Schlesier in der Pflicht.
Ich wünsche Ihnen ein gutes und
erfolgreiches Jahr 2011.
Polnisches
Der Kniefall von Warschau. 40 Jahre ist es
her, seit der damalige Kanzler Willy Brandt
am 7. Dezember 1970 am Ehrenmal des Warschauer Ghettos niederkniete. Bundespräsident Christian Wulff nahm dies zum Anlass für einen Besuch in Warschau, bei dem
er der Toten des Aufstandes im jüdischen
Ghetto 1943 gedachte. In seiner Begleitung
befand sich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der für seine Partei die damalige Tat
seines Vorgängers im Parteiamt würdigte.
Der Kniefall war in Deutschland umstritten.
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VERMISCHTES / TERMINE / ANZEIGEN
Der tschechische Filmemacher David
Vondracek erhält Franz-WerfelMenschenrechtspreis 2010
Nach einer einstimmig getroffenen Entscheidung der Jury des
Franz-Werfel-Menschenrechtspreises wird der tschechische Filmemacher David Vondracek mit dem Franz-Werfel-Menschenrechtspreis 2010 der Stiftung ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN ausgezeichnet.
Das ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN würdigt damit sein
mutiges Eintreten für Wahrheit und Anteilnahme. In seinem Dokumentarfilm mit dem Titel „Töten auf Tschechisch“ behandelt
der Regisseur David Vondrá ek die Ermordung deutscher Zivilisten in der Tschechoslowakei kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Darin zeigt er auch Amateuraufnahmen eines
Massakers an deutschen Zivilisten mutmaßlich durch tschechische Milizionäre und Soldaten der Roten Armee. Der Film ist eine
mutige Tat, sowohl seitens des Regisseurs als auch des tschechischen Fernsehen, das diesen Film im Mai zu besten Sendezeit gezeigt hat. Für diese Zeichen der Anteilnahme gebührt allen Beteiligten Dank. Die Aufnahmen sind erschütternd und die
Tatsache, dass sie von Tschechen in Tschechien gezeigt werden belegt, dass in Tschechien ein Aufarbeitungsprozess in Gang
gekommen ist, der auch die bitteren Seiten der eigenen Geschichte nicht ausspart.
Die Preisverleihung erfolgte am 28. November 2010 in der
Frankfurter Paulskirche. Die Veranstaltung steht unter der Schirmherrschaft des Staatsministers und Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien Bernd Neumann.
Der Franz-Werfel-Menschenrechtspreis
Die Auszeichnung ist benannt nach dem großen Schriftsteller
Franz Werfel (1890 – 1945), der mit seinem Roman „Die 40 Tage
des Musa Dagh“ die Vertreibung der Armenier aus der Türkei
und den Genozid an den Armeniern eindringlich, wirkungsvoll
und mit großer künstlerischer Gestaltungskraft dargestellt hat.
Der große jüdische Lyriker und Romancier Franz Werfel ist auch
in seinem persönlichen Leben ein sprechendes Beispiel für das
Schicksal der Vertreibung. 1933 wurde er von den Nationalsozialisten aus der preußischen Dichterakademie ausgeschlossen.
1938 musste er nach Frankreich flüchten. Von dort entkam er
in abenteuerlicher Flucht über die Pyrenäen. 1940 kam er von
Portugal aus nach Amerika, wo er bis zu seinem Tod 1945 in
Beverley Hills lebte. Die Erbin Franz Werfels, Marina Mahler, hat
dem ZENTRUM GEGEN VERTREIBUNGEN die Benutzung des
Namens mit Brief vom 17.1.2002 gestattet.
Der Franz-Werfel-Menschenrechtspreis wird an Einzelpersonen, Initiativen oder Gruppen verliehen, die sich gegen die Verletzung von Menschenrechten durch Völkermord, Vertreibung und
die bewusste Zerstörung nationaler, ethnischer, rassischer oder
religiöser Gruppen gewandt haben. Der Preis wird alle zwei Jahre verliehen. Er ist mit 10.000 € dotiert.
Pressemitteilung ZgV
Schlesische Nachrichten 1/2011
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vertreten durch den Bundesvorsitzenden Rudi Pawelka, Dollendorfer Straße 412, 53639 Königswinter, Telefon (0 22 44) 92 59-0, Fax (0 22 44) 92 59-290.
Die Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien e.V. – Bundesleitung – im Internet:
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Texte und Redaktion: Dr. Michaela S. Ast – ma – (Chefredakteurin). Die Redaktion behält sich
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TERMINE
Bezirksverband Oberbayern, in der Landsmannschaft Schlesien
Termine und Gedenktage
9. Januar 2011, 14 Uhr: Festgottesdienst des Kreisverbandes München und des Bezirksverbandes Oberbayern der Sudetendeutschen
Landsmannschaft, in der Michaeliskirche, München, Neuhauserstraße
6. Die Mitglieder aller Landsmannschaften sowie Freunde und Bekannte sind herzlich eingeladen.
16. Januar (1811) Johann Dzierzon, der „schlesische Bienenvater“
geb. 16. Januar 1811 in Lowkowitz, Bienendorf, Kreis Kreuzburg,
Oberschlesien, gest. 26. Oktober 1906 ebendort
31. Januar 2011, 18 Uhr: Neujahrsempfang im Sudetendeutschen
Haus, München, Hochstraße 8; ausgerichtet von der Sudetendeut-
schen Landsmannschaft, Kreisverband München und dem Bezirksverband Oberbayern, vom BdV – Bezirksverband Oberbayern, vom
Bezirksverbands Oberbayern in der Landsmannschaft Schlesien und
von der Paneuropajugend. Festredner ist Johann Böhm, Landtagspräsident a. D.
Anmeldung ist erforderlich: Fax: 089 / 480003138 oder [email protected] oder SL BZG Obb, Hochstraße 8,
81669 München; Sudetendeutsches Haus, Hochstraße 8, München
Landsmannschaft Schlesien, Kreisgruppe Bonn
15. Januar 2011, 15 Uhr: Schlesische Runde, Stadthalle Bad
Godesberg