Ländliche Gegenden zunehmend unterversorgt Von Bianca

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Ländliche Gegenden zunehmend unterversorgt Von Bianca
Ländliche Gegenden zunehmend unterversorgt
Von Bianca Belouanas
Landkreis Verden. Die Geburtshilfeversorgung im Landkreis Verden hat sich weiter verschlechtert.
Fragt man den Hebammenverband Niedersachsen nach Beleghebammen im Landkreis, die eine Frau
zur Geburt ins Krankenhaus begleiten, lautet die Antwort: "Keine bekannt". Und die Zahl der
Geburtshäuser schrumpft. So musste auch Hebamme Anja Struß-von Bargen zum 1. Juli ihre
Geburtshilfepraxis in Fischerhude schließen. Kostendeckendes Arbeiten war ihr angesichts der
fortschreitenden Explosion der Berufshaftpflichtversicherungsbeiträge nicht mehr möglich.
© Bianca Belouanas
Anja Struß-von Bargen, Hebamme aus Ottersberg, hat ihr Geburtshaus geschlossen und hofft mit
ihren freiberuflichen Kolleginnen auf einen Sinneswandel in der Politik, um die finanzielle Situation
der Hebammen zu verbessern.
Lag der Jahresversicherungsbeitrag 1981 noch bei umgerechnet 30,68 Euro, stieg er 1992 auf 178,95
Euro und lag 2003 bereits bei 1218 Euro. Für 2010 galt es, 3689 Euro Prämie zu berappen. Nicht
eingerechnet die zusätzliche Versicherungsgebühr für das Geburtshaus in Höhe von 919 Euro pro
Jahr.
"Wir sind ein kleines Haus. Bei durchschnittlich zehn Geburten im Jahr rechnet sich das nicht", sagt
die 40-Jährige, die mit ihrer Kollegin Sabine Gans (47) rund 150 Frauen im Jahr betreut. Zum Stichtag
1. Juli wären für das Geburtshaus zudem enorme Investitionen in Qualitätsmanagementmaßnahmen
fällig gewesen. "5000 Euro noch in diesem Jahr und 1000 Euro in jedem weiteren - für Qualifizierung
und Audit", sagt sie kopfschüttelnd. Dabei habe der Amtsarzt in Verden das Geburtshaus ohnehin
jedes Jahr überprüft. "Es gab also schon immer ein Qualitätsmanagement."
Dass sie überhaupt noch Geburtshilfe - wenn auch ausschließlich bei Hausgeburten - anbietet, ist
ihrem Zusatzangebot an Yoga- und Geburtsvorbereitungskursen geschuldet, mit dem sie die
Haftpflichtprämien quasi querfinanziert. Denn beispielsweise eine Gebührenerhöhung für
Hausgeburten von 2009 auf 2011 um 27 Prozent sei von der Haftpflicht gleich wieder aufgefressen
worden, als diese den Beitragssatz um 56 Prozent anhob. "Die Situation ist von der Politik und den
Krankenkassen so gewollt", sagt die Hebamme. Kleine Geburtshäuser seien eben nicht gewünscht.
Deshalb würden für sie, unabhängig von der Geburtenzahl, die gleichen Maßstäbe angesetzt wie für
Kliniken. "Der Trend geht zu großen Klinikzentren", ist Struß-von Bargen überzeugt.
In Irland sei die Situation bereits besonders prekär: "Wer dort als Hebamme Geburtshilfe leistet,
steht ohne Versicherungsschutz da und haftet mit seinem Privatvermögen", sagt die Freiberuflerin.
Folge: Die Geburtshilfe bleibt auf der Strecke. Auch in Deutschland hängen immer mehr Hebammen
die Geburtshilfe an den Nagel, beschränken sich nur noch auf Geburtsvorbereitung und Nachsorge.
"Ich bekomme mittlerweile schon Anrufe aus Regionen wie Bremerhaven und Stade, in denen Frauen
verzweifelt nach einer Hebamme suchen. Aber alles, was über 20 Kilometer Umkreis hinausgeht,
muss ich schon aus wirtschaftlichen Gründen ablehnen", kalkuliert Struß-von Bargen.
Gerade einmal 7,50 Euro betrage der durchschnittliche Stundenlohn einer freiberuflichen Hebamme,
rechnet der Deutsche Hebammenverband vor. "Für die Geburtsbetreuung veranschlagt die
Krankenkasse pauschal elf Stunden und entlohnt das mit 237 Euro. Dauert es länger, gibt es einen
Zuschlag", sagt Struß-von Bargen. Dabei sei die Geburtshilfe der Bereich ihres Berufs, der sich am
wenigsten mit dem Privatleben vereinbaren lasse, nicht nur wegen der Dauerrufbereitschaft und
nächtlicher Einsätze. Auch die Urlaubsplanung sei schwierig, da sich Geburten nicht nach dem
Kalender richteten. "Man kann also nicht beliebig viele Frauen annehmen, sonst schafft man es nicht,
sie alle zu betreuen. Quantität geht in diesem Beruf gar nicht. Dass ich als Hebamme arbeiten kann,
verdanke ich meinem Mann, der sich um unsere beiden Söhne und den Haushalt kümmert", verrät
die Hebamme.
Unterdessen sei die freie Wahl des Geburtsortes längst nicht mehr gegeben, ist sie überzeugt. Einige
Frauen, die sich für die kommenden Monate für eine Geburt in ihrem Geburtshaus entschieden
hatten, hätten sich mit dessen Schließung für eine Hausgeburt entschieden. "Dabei war das
Geburtshaus eine gute Alternative. Eine Frau zum Beispiel wohnte in einem Bauwagen und wollte
deshalb nicht zuhause entbinden. Andere wollten ins Geburtshaus, damit Geschwisterkinder oder die
Schwiegermutter nebenan die Geburt nicht mitbekommen", berichtet die Hebamme und blickt
wehmütig auf die Geburtswanne, die sie noch 2007 hatte einbauen lassen und für die es nun keine
Verwendung mehr gibt.
"Es kann natürlich sein, dass ich eine Hausgeburt bei Komplikationen in die Klinik verlege. Allerdings
bin ich dann nur noch zur Unterstützung dabei. Geburtshilfeleistungen in der Klinik habe ich nicht
versichert, also würde dort eine Klinikhebamme übernehmen", erklärt Struß-von Bargen. Die müsse
pro Stunde laut Stellenplan aber bis zu vier Geburten betreuen und leiste damit "Fließbandarbeit"
am Rande des Burn-Outs, was wiederum zu künstlichen Eingriffen in den natürlichen Geburtsverlauf
führe - etwa durch Kaiserschnitt.
Wie ihre Kolleginnen, hofft auch Anja Struß-von Bargen auf einen Sinneswandel in der Politik, um die
finanzielle Situation der Hebammen zu verbessern. "Ich sehe keine Entspannung der Situation, wenn
die Politik nicht umdenkt. Bisher ist das ein Kampf David gegen Goliath", sagt sie.