Geographen – Arbeitsmarktkonkurrenten für Raumplaner?
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Geographen – Arbeitsmarktkonkurrenten für Raumplaner?
Fortbildung Geographen als Raumplaner Prof. Dr. Christian Diller Geographen – Arbeitsmarktkonkurrenten für Raumplaner? Die Geographie hat viele fachliche Nachbarn, die Raumplanung zählt zu ihren engsten (vgl. Abb. 1). Der Beitrag beleuchtet die Frage nach den Berührungspunkten zwischen Geographen und Raumplanern (hier verstanden als Oberbegriff der querschnittsorientierten raumbezogenen Planung in allen Maßstabsebenen) auf dem Arbeitsmarkt. Damit zusammen hängen auch Überlegungen zum jeweiligen Selbstverständnis dieser beiden „interdisziplinären Disziplinen“. Weiterhin wird betrachtet, welchen Stellenwert das Arbeitsfeld Raumplanung in der universitären Ausbildung der Geographen einnimmt. Abschließend werden Überlegungen angestellt wie eine kooperative Konkurrenz zwischen Raumplanern und Geographen bei der Lösung von Aufgaben in der Raumplanung ausgestaltet sein könnte. „Es ist nichts, was den geschulten Verstand mehr kultiviert und bildet, als Geographie“ (Immanuel Kant). Dieses Zitat ziert bemerkenswerterweise kein Geographielehrbuch und auch keine Geographie-Verbandsfestschrift, sondern eine Broschüre der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung Agentur für Arbeit (Bundesagentur 2005, S. 2) zum Arbeitsmarkt für Geographinnen und Geographen. Gehobene raumbezogene Allgemeinbildung als Qualifikationsmerkmal im modernen Berufsleben? Reicht das aus? Offenbar sind aber die Qualifikationen der Geographen ausreichend, dass sie auf dem Arbeitsmarkt durchaus bestehen können. Zumindest kommen aktuelle Studien zu eher positiven Einschätzungen der Arbeitsmarktperspektiven von Geographen und der darauf vorbereitenden Studiengänge (Seckelmann/Heinrich/ Marschner 2014). Berufe Beschäftigte Geographen 1.963 Stadt- und Raumplanung 3.772 Geologen 4.471 Kartographie Architekten 656 46.766 Abb. 2: Registrierte Beschäftigte in Deutschland nach ausgewählten Berufsgruppen 2014 (Quelle: Statistikangebot, Bundesagentur für Arbeit, 2015, Nürnberg) dem SRL und dem IfR über zwei Berufsverbände und können zudem noch in den zahlreichen Architektenkammern organisiert sein. Von den drei großen Verbänden, in denen die Geographie organisiert ist, kann dagegen nur der Deutsche Verband für Angewandte Geographie (DVAG) als Berufsverband bezeichnet werden.1 Wie stellen sich nun die Situationen auf den Arbeitsmärkten dar? Es gibt keine aussagekräftigen Arbeitsmarktstatistiken, die einen direkten Vergleich der Berufschancen von Geographen und Raumplanern ermöglichen würden. Abbildung 2 enthält jedoch einen wichtigen ersten Hinweis: Es gibt in Deutschland doppelt so viele registriert in Beschäftigung befindliche Raumplaner wie Geographen. Abb. 1: Die Geographie und ihre fachlichen Nachbarn (Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2005, S. 5) Geographen und Raumplaner auf dem Arbeitsmarkt Alleine der Blick auf die fachlichen Institutionen macht einen wesentlichen Unterschied zwischen Raumplanern und Geographen deutlich: Raumplaner verfügen in Deutschland mit Bezieht man noch jeweils benachbarte Berufsgruppen wie Architekten und Geologen in die Betrachtung mit ein, so erstaunt es weniger, wie viele Raumplaner als beschäftigt registriert sind als vielmehr, wie wenige Geographen es sind. Wenn man berücksichtigt, dass Geographie an 63 Universi1Die Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG) vertritt die Geographie als Dachverband in der Breite, der VGDH – Verband der Geographen an deutschen Hochschulen – ist auf die Hochschulen fokussiert (was freilich nicht impliziert, dass für diese Organisationen der Arbeitsmarkt für Geographen außerhalb von Lehreinrichtungen irrelevant ist). vhw FWS 2 / März – April 2015 97 Fortbildung Geographen als Raumplaner täten Deutschland gelehrt wird, Raumplanung dagegen nur an neun Standorten, werden darin bereits zwei Unterschiede deutlich: Zum einen ist die Absolventenzahl in den geographischen Instituten jeweils geringer – zum andern scheint die Berufsbezeichnung des Geographen verglichen mit dem Raumplaner eine eher flüchtige. Viele studieren Geographie, aber sie arbeiten nicht dezidiert als Geograph. Das bedeutet nicht, dass Geographen eine geringere Möglichkeit haben, einen Job zu finden. Studien deuten auf Wartezeiten zum Berufseinstieg nach dem Abschluss von drei Monaten und Gehälter hin, die etwas über denen von Sozialwissenschaftlern liegen (Seckelmann/Heinrich/Marschner 2014) und sich damit vermutlich von Raumplanern nur wenig unterscheiden. Abbildung 3 zeigt die Beschäftigungsstellen der Geographen. Hier werden durchaus Überschneidungen mit Raumplanern deutlich, vor allem in dem großen, hier nicht näher differenzierten Bereich der öffentlichen Verwaltung. Planungsbüros sind ein Bereich, in dem Geographen ebenfalls tätig sind, jedoch nur einer von vielen; Unternehmensberatungen werden z.B. häufiger genannt. Die umgekehrte Perspektive nimmt eine 2014 durchgeführte bundesweite Untersuchung unter Raumplanern ein, die mit insgesamt 1.501 Vollantworten als repräsentativ gelten kann (ISR 2014). Hier wurden die Befragten auch nach der Ausbildungsrichtung ihrer Kollegen gefragt (ISR 2014, S. 112). Schwerpunkte dabei waren: Verwaltungswesen (77%), Raumplanung (66%), Bauingenieurwesen (64%), Architektur (61%). Seltener genannt – aber durchaus relevant – waren noch Landschaftsplanung (26%), Geographie (25%), Verkehrswesen (20%), Umweltplanung (17%), Jura (13%). Es gibt jedoch eine Raumplanungsebene, auf der Geographen sogar stärker vertreten sind als Raumplaner: die Regionalplanung (ISR 2014, S. 90). Eine größere Präsenz als Raumplaner dürften Geographen auch in den benachbarten, stärker entwicklungs- und weniger ordnungsorientierten Bereichen der Regionalentwicklung, aber auch des Stadtmarketing haben. 0 Öffentliche Verwaltung FuE - Natur-/Ingenieur/-Agrarwiss./Medizin Ingenieurbüros - techn. Fachplanung/Ingenieurdesign Ingenieubüros - bautechn. Gesamtplanung Unternehmensberatung Sonsge freiberuf./wiss./techn. Tägkeiten Techn./physikal./chem. Untersuchung Architekturbüros für Orts-/Regional-/Landesplanung Architekturbüros für Garten und… Interessenvertretungen/Vereinigungen Verlegen von sonsger Soware Sonsge Ingenieurbüros Vermessungsbüros Wirtschasförderung/-ordnung/-aufsicht Organisaonen der Bildung/Wiss./Forschung 98 Alle diese Zahlen belegen das Klischee. Geographen sehen sich vor allem als flexible Allrounder. „Geographie ist eine breit gefächerte Disziplin an der Schnittstelle zwischen Natur- und Sozialwissenschaften. Die Polyvalenz der Qualifikation lässt das Profil eines Geographen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt und die beruflichen Einsatzfelder zunächst als eher diffus erscheinen. (…) Deshalb ist der Arbeitsmarkt für Geographen nicht homogen zu beschreiben.“ (Bundesagentur 2005, S. 3). Aber gilt das nicht auch für Raumplaner? Nachfolgend wird ein vertiefter vergleichender Blick auf das Selbstverständnis der beiden Disziplinen geworfen. Geographie und Raumplanung: zwei interdisziplinäre Disziplinen mit Raumbezug Scheint das Berufsbild der Raumplaner stärker konturiert als das der Geographen, so gibt es dennoch wichtige Gemeinsamkeiten: Die erste und wichtigste Gemeinsamkeit ist der Raumbezug – die Dimension Raum ist für diese beiden Diszi plinen ein so konstitutives Merkmal wie für kaum eine andere. Allerdings scheint dieses Merkmal an Bedeutung in dem Maße zu verlieren, wie angesichts sinkender Raumwiderstände die Bedeutung des Raumes als prägende und differenzierende Größe zu schwinden scheint. Dieser Bedeutungsverlust des Raumes ist vor allem in der Geographie schon seit langem beklagt worden. Durch extrem konstruktivistische Ansätze haben Teile der Geographie eine objektive Bedeutung des Raumes allerdings auch selbst „wegkonstruiert“, während umgekehrt Disziplinen wie die Wirtschaftswissenschaft und die Soziologie den Raum z.T. entdeckt haben. Die zweite Gemeinsamkeit der beiden Disziplinen ist der oben angesprochene selbst wahrgenommene Generalistenstatus. Die nachfolgenden Zitate von Raumplanern könnten ebenso von Geographen stammen: Ich hab mir mal immer gesagt „Planer können alles!“ (…) Das war ja einerseits das Problem, dass man von vielen Dingen immer nur ein bisschen wusste und dann muss man eben gucken, wo man landet. (ISR 2014, S. 6) Beschäigtenanteile in % 5 4 3 3 2 2 2 2 2 1 10 5 5 6 6 vhw FWS 2 / März – April 2015 15 20 16 25 22 Abb. 3: Beschäftigungsstellen der Geographen in Deutschland 2014 (Quelle: Statistikangebot, Bundesagentur für Arbeit, 2015, Nürnberg) Fortbildung Geographen als Raumplaner Ein Stadtplaner ist eine spezielle Form des Generalisten. Wir haben eine spezielle Form der „Halbbildung“, die relativ breit angelegt ist. Das ist auch gut so. Solche Leute wie uns muss es geben. Aber wir müssen eben schauen, wo wir wirklich originäre Kompetenz haben. Da müssen wir auch richtig gut sein, weil man an einer Stelle wirklich die Vollkompetenz haben muss. (ISR 2014, S. 6) Diese Selbstbezeichnung „Generalist“ seitens der Raumplaner ist vermutlich dadurch zu erklären, auf welche Referenzfächer sie sich beziehen. Und verglichen mit Architekten oder richtigen Ingenieuren sind Raumplaner vermutlich tatsächlich eher Generalisten. Verglichen mit Geographen jedoch sind sie wiederum Spezialisten. vielen Bundesländern in relativ neue gesellschaftswissenschaftliche Fächern integriert. Sie gilt aber dort nicht als das integrierende Teilfach oder das Fach, das die Brücke zur Naturwissenschaft schlägt, sondern vor allem als das Fach zur räumlichen deskriptiven und bestenfalls vergleichenden Verortung und Visualisierung (im Extremfall: „die Kartenmaler“). So ist es nicht verwunderlich, dass die Geographie als Einheitsfach von Natur- und Gesellschaftswissenschaften immer weiter zerrissen wird. In Ländern wie Großbritannien und den Niederlan- Mit dem Generalistenstatus zusammen hängt auch das Thema der Interdisziplinarität. Die Einrichtung der Studiengänge der Raumplanung war Anfang der 1970er Jahre der Versuch, den städtebaulichen Zugang zur Stadtplanung durch andere Wissenschaftsdisziplinen zu fundieren: vor allem Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaften. Die Geographie geht, was den Anspruch der Interdisziplinarität angeht, noch weiter, was ebenfalls in ihrer Historie begründet ist. Sie entstand als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zur Erkundung der Erdoberfläche im 18. Jahrhundert in einer Zeit, in der sich Disziplinen soweit auseinanderentwickelt hatten, dass es einer Disziplin bedurfte, die die Natur- und Gesellschaftswissenschaften „zusammenhielt“. Dies ist auch noch heute der zentrale Anspruch, den die institutionalisierte Geographie in Deutschland in weiten Teilen verfolgt. In den Studiengängen wird dies auch deutlich an dem breiten Katalog an Nebenfächern, die etwa 1/3 des Workloads ausmachen und – angesichts des z. T. deutlich größeren Schwierigkeitsgrades – den Studienverlauf der Studierenden stärker prägen als das Hauptfach Geographie. Problematisch wird der Anspruch der Interdisziplinarität allerdings, wenn er zum Alleinstellungsmerkmal erhoben wird und sich die Geographie gar zum wichtigsten Fach erklärt, das die Natur- und Gesellschaftswissenschaften verbinde. Denn auch andere Disziplinen haben sich ja so weit entwickelt, dass sie längst selbst die integrierte Betrachtung von Gesellschaftsund Naturwissenschaften in ihren Bindestrich-Teilfächern (z.B. Umweltsoziologie, Umweltökonomie) vornehmen und dazu der Geographie als verbindendem Element nicht mehr zwingend bedürfen. Das könnte ein Grund sein, warum die Geographie sowohl in den Naturwissenschaften als auch den Gesellschaftswissenschaften in der Großforschung in Deutschland kaum vertreten ist; wenn sie in Naturwissenschaftlichen Fakultäten zugeordnet ist, gilt sie dort meist als drittmittelschwächste Disziplin. Offenbar wird sie von anderen Disziplinen als Vermittler nicht so häufig gebraucht, wie sie es selbst gerne hätte. Aber auch die Schulgeographie ist in Deutschland seit langem in der Defensive: Das eigenständige Fach Geographie ist in Abb. 4: Standorte der Studiengänge Raumplanung und der Studiengänge Geographie mit raumplanerischen Inhalten (Quelle: eigene Zusammenstellung) den sind die beiden zentralen Ausrichtungen der Geographie in Studiengängen und Instituten längst getrennt. In Deutschland ist die Trennung in natur- und humanwissenschaftliche MSC-Studiengänge inzwischen eher die Regel als die Ausnahme und der Erfolg neuer innovativer brückenschlagender „Mensch-Natur“-Geographie-Studiengänge bleibt abzuwarten. Sogar institutionell und räumlich hat sich die Geographie an einzelnen Standorten wie in Frankfurt am Main bereits in ihre beiden Hauptrichtungen separiert. vhw FWS 2 / März – April 2015 99 Fortbildung Geographen als Raumplaner Verglichen mit der Geographie scheint die Raumplanung als interdisziplinäres Fach ingenieurwissenschaftlicher Herkunft seit einigen Jahrzehnten in einer ungebrochenen Blütephase zu sein. Diese bedeutet nicht, dass es nicht auch ähnliche Probleme wie die Geographie aufweist. Die Bedeutung des Raumes und damit der Raumplanung als strukturbildende Kraft scheint in Zeiten der Globalisierung, Vernetzung und Beschleunigung eher zu schwinden. Und auch das Selbstverständnis der Raumplanung als „der interdisziplinären raumkoordinierenden und -gestaltenden Disziplin“ erodiert. So haben sich die Fachplanungen wie Verkehrsplanung und Landschaftsplanung längst so ausdifferenziert, dass sie sich selbst als interdisziplinär begreifen und in der Praxis den umfassenden Integrationsanspruch der Raumplanung nicht durchweg akzeptieren. Zusammen mit den methodisch technischen Bereichen Kartographie und Geoinformatik ist die Stadtplanung also der auf dem Arbeitsmarkt wichtigste geographische Schwerpunktbereich. Dies ist vor allem insofern bemerkenswert, als die hier betrachteten Geographiestandorte Bochum und HU Berlin mit der Universität Dortmund und der TU Berlin zwei Raumplanungsstudiengänge in unmittelbarer Nähe aufweisen (die auch als Nebenfach belegt werden können). Andere Erhebungen für andere Standorte kommen zu ähnlichen Ergebnissen, was die hohe Bedeutung der Ausrichtung Raumplanung innerhalb der Geographie für den Arbeitsmarkt angeht (Hennemann 2008; Strambach/Kohl 2009; Sternberg 2012). Die Raumplanung kann aber offenbar mit diesen Veränderungen besser leben, weil sie insgesamt gesellschaftlich handlungsorientierter und damit zweckmäßiger erscheint als die in weiten Teilen eher kontemplative Geographie, die aber dennoch in der Spitzenforschung von ihren „tiefer bohrenden“ Nachbarfächern zu selten gebraucht wird. Die Raumplanungsausbildung in Geographischen Hochschulinstituten in Deutschland – gibt es räumliche Arbeitsteilungen? Welchen Stellenwert hat das Berufsfeld Raumplanung nun im Hochschulfach Geographie? Abbildung 4 zeigt die 15 Geographischen Institute in Deutschland, die in ihren Studienordnungen einen erkennbaren Anteil von Inhalten der Raumplanung bzw. Stadt- und Regionalplanung enthalten. Bei insgesamt 63 Geographischen Instituten in Deutschland bedeutet dies, dass immerhin ein Viertel der Geographischen Institute zumindest einige Module zur Raumplanung im BSC und/oder MSC laufend anbietet. Dieses Angebot wird in der Regel von den Bereichen wahrgenommen, die auch die Teilgebiete Stadtgeographie, seltener Wirtschafts- und Verkehrsgeographie bedienen. Unter den Professoren sind gelernte Stadt- und Regionalplaner (Ingenieure) eine Ausnahme, fast alle sind Geographen. Das Spektrum der angebotenen Module reicht von Pflichtvorlesungen zur Raumplanung im Bachelor bis hin zu einzelnen spezialisierten Wahlmodulen in den spezifischen Master. Dabei sind die Angebote der geographischen Studiengänge z.T. mit Rücksicht auf räumlich benachbarte Studiengänge der Raumplanung konzipiert und verstehen sich als eher ergänzendes, denn als konkurrierendes regionales Angebot. Nicht repräsentativ, aber dennoch interessant sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer von den Universitäten Bochum und Berlin durchgeführten Befragung unter Absolventen der neuen BSCund MSC-Studiengänge der beiden Standorte (Abb. 5). 100 vhw FWS 2 / März – April 2015 Abb. 5: Berufsrelevante Kenntnisse von Geographieabsolventen aus Berlin und Bochum 2013 (Quelle: Seckelmann/Heinrich/Marschner 2014, S. 30) Stellen Ruhrgebiet und Berlin Beispiele für Ergänzungen von Studiengängen für Raumplanung und Geographie mit Überschneidungen dar, so ist z. B. die Region Mittelhessen frei von Raumplanungsstudiengängen. Auffallend ist aber, dass hier die beiden direkt benachbarten Universitäten Marburg und Gießen an ihren relativ kleinen Geographischen Instituten Professuren mit den Schwerpunkten Raumplanung haben. Damit können sie den mittelhessischen Markt für Raumplaner zwischen den Raumplanungsinstituten Kassel (Entfernung von Gießen: 140 km), Dortmund (180 km), Kaiserslautern (180 km) theoretisch zumindest zum Teil abdecken. Als letztes Geographisches Institut in Deutschland stellte Gießen erst im Jahr 2008 von der Diplom- auf die BSC und MSCAusbildung in Deutschland um. Dabei wurde die Steigerung der „Employability“ zum Leitziel der Konzeption der Studiengänge erhoben (Hennemann/Liefner 2010). In den Lehrinhalten bedeutete dies gegenüber dem alten Diplomstudiengang eine Neugewichtung der Komponenten Kenntnisse, Kompe- Fortbildung Geographen als Raumplaner tenzen und Fähigkeiten zugunsten der beiden letzten Komponenten. Sowohl BSC als auch MSC wurden als ein jeweils konsequenter Projektstudiengang eingeführt, der sich z.T. an den etablierten Projektstudiengängen aus der Raumplanung orientierte und die Idee des Projektstudiums sogar noch weiter führte. In diesem in der Geographie in Deutschland einmaligen „Gießener Modell“ werden in den Projekten theoretische, methodische und praktische Kenntnisse und Fähigkeiten themenund aufgabenbezogen zusammengeführt. Damit werden die Anteile abstrakteren Frontalunterrichts deutlich reduziert: Die praxisorientierte kommunikative Projektarbeit in handhabbaren Gruppen ist das prägende Merkmal des Studiengangs, ab dem 2. Studienjahr BSC wird nur noch in (sechs) Projekten studiert und auch im MSC werden drei Projekte belegt. Innerhalb der Geographie kann die Ausrichtung Raumplanung durchaus attraktiv für Studierende sein, worauf Abbildung 6 hindeutet: In den ersten vier Abschlussjahren wies die Ausrichtung Raumplanung/Stadtgeographie kontinuierlich die höchsten Absolventenzahlen (gemessen an den Erstbetreuungen der BSC-Abschlussarbeiten) auf. Gemeinsam mit der ihm inhaltlich am nächsten stehenden Wirtschaftsgeographie hat der Bereich Raumplanung in Gießen auch im Masterstudiengang Geographie bislang auch die höchste Attraktivität für Studierende aufzuweisen. Abb. 7: Modelle des Planungsprozesses: klassisches linear-sequenzielles Modell und Modell der strategischen Planung (Quelle: Wiechmann 2008) aus einer bundesweiten, praktisch repräsentativen Befragung unter Raumplanern (ISR 2014, S. 98).2 Demnach lassen sich klassische rationale (ingenieurwissenschaftliche) Methoden von kommunikativen Methoden unterscheiden. Hohe Bedeutung haben: ■■ klassische rationale (ingenieurwissenschaftliche) Planungs- methoden: Bauleitplanung, Bestandsaufnahme und Bewertung, Integrierte Stadtentwicklung, Entwerfen, Bedarfsplanung /-ermittlung, Bewertungsmethoden, Umweltprüfung; 60 50 ■■ kommunikative Methoden: (karto)graphische Darstellung, 40 Moderation, Partizipationsmethoden, zielgruppenangepasste Kommunikation, Texte verfassen und Rhetorik, Präsentation, Planungskommunikation und -vermittlung. 30 20 10 0 2011 2012 2013 Physische Geographie Klimageographie Wirtschasgeographie Raumplanung/Stadtgeographie 2014 Anthropogeographie Abb. 6: Abschlussarbeiten am BSC-Studiengang der Justus-Liebig-Universität Gießen nach betreuenden Professuren (Quelle: eigene Erhebung, Stand: 1.12.2014) Gemeinsame Methodenkompetenzen und mögliche Arbeitsteilungen von Raumplanern und Geographen in Planungsprozessen Trotz der dargelegten Unterschiede zwischen den Fächern Geographie und Raumplanung gibt es auf dem Arbeitsmarkt Gemeinsamkeiten und Bedarfe vor allem in den nachgefragten methodischen Kompetenzen, die – im günstigen Fall – auch in den entsprechenden Studiengängen vermittelt werden. Für das Tätigkeitsfeld der Raumplanung ergeben sich Aufschlüsse über die am Arbeitsmarkt gefragten Methoden Die kommunikativen Methoden haben in der Raumplanung im Zuge des von der Planungstheorie seit langem diagnostizierten Communicative Turn deutlich an Bedeutung gewonnen. Allerdings sind diese weniger spezifische Methoden der Raumplanung, sondern es sind eher Methoden, die in modernen Arbeitsgesellschaften mit beschleunigter Kommunikation generell unverzichtbar sind und daher zu den Kompetenzen aller Universitätsfächer, also selbstverständlich auch der Geographie, gehören sollten. Größer sind die Unterschiede zwischen Raumplanern und Geographen dagegen bei den klassischen rationalen Planungs methoden. Auch hier gibt es zwar eine Schnittmenge: Vor allem Bewertungsmethoden (Nutzwertanalyse, Nutzen-KostenAnalysen, Umweltprüfung) werden mehr oder minder intensiv auch in den geographischen Studiengängen vermittelt. Auf der anderen Seite gibt es aber einen spezifischen Kompetenzbereich der Raumplanung vor allem in der Bauleitplanung und des städtebaulichen Entwurfs inkl. Bestandsaufnahme und 2 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt in einer Umfrage Diller 2009. vhw FWS 2 / März – April 2015 101 Fortbildung Geographen als Raumplaner der Bedarfsplanung, der selbst in den Geographiestudiengängen, die mit raumplanerischen Inhalten angereichert sind, kaum abgedeckt ist. Vor dem Hintergrund der Überschneidungen und Unterschiede in den Methodenkompetenzen ergeben sich Anhaltspunkte der Zusammenarbeit zwischen Raumplanern und Geographen in Raumplanungsprozessen, die anhand der Planungsprozessmodelle systematisiert werden können (vgl. Abb. 7). Im direkten Vergleich haben, inspiriert durch ihre Herkunft aus der Architektur und dem Städtebau, Raumplaner gegenüber Geographen sicherlich ihre Stärken, wenn es um die normativen und prozeduralen Anteile von Planungsprozessen geht. Geographen haben verglichen damit ihre Stärken eher in der Analyse, alleine schon in methodischer Hinsicht (z.B. die quantitative und qualitative Empirische Sozialforschung, die Raumplaner gemessen an den Anforderungen im Berufsalltag in den Studiengängen sogar überrepräsentiert empfinden). Geographen sollten eher in der Lage sein, komplexe Systemzusammenhänge unter Einbezug der diese erforschenden natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen zu verstehen. Raumplaner sollten dagegen eher in der Lage sein, sich, auf der Basis der Kenntnis der rechtlichen Grundlagen, in politischen Rahmenbedingungen geschickt zu bewegen und Akteure zu kooperativen Lösungen von Raumnutzungsproblemen zu bringen. Geographen können also in Planungsprozessen ihre fachlichen und methodischen Kompetenzen vermutlich am besten in den Phasen des Planungsprozesses zur Geltung bringen, die eher analytisch ausgerichtet sind: nämlich Problemidentifizierung, Datenanalyse, Bewertung der Alternativen, Monitoring/Evaluation. In den vor allem normativ und prozessgestaltend ausgeprägten Phasen der Zielsetzung, Alternativenentwicklung, -auswahl und Implementation haben dagegen eher die Raumplaner Kompetenzvorsprünge. Fazit Geographie ist ein Fach, Stadt- und Regionalplanung ein Berufsfeld. Dieser Satz markiert zugespitzt die wesentlichen Unterschiede zwischen der beiden Disziplinen. Verglichen mit dem eher diffusen Berufsfeld der Geographen scheint das der Raumplaner klar strukturiert und die Hochschulausbildung berufsorientiert ausgerichtet. Ob sich diese breitere Ausrichtung der Geographen verglichen mit den Raumplanern eher als Vorteil oder als Nachteil erweist, kann mangels gesicherter Zahlen bezogen auf entsprechend Beschäftigungsverhältnisse und Einkommen nicht schlüssig belegt werden. Sicher ist: Natürlich haben Raumplaner im engeren Berufsfeld der Raumplanung Kompetenzvorsprünge gegenüber Geographen. Die Kompetenztrennlinie für Geographen gegenüber Raumplanern ist sehr wahrscheinlich durch den städtebaulichen Entwurf markiert, der in der Geographieausbildung kaum Bedeutung hat. Aber raumbezogenes Handeln umfasst 102 vhw FWS 2 / März – April 2015 mehr Aspekte als „Raumplanung“ im engeren Sinne. Die Tatsache, dass eine Reihe von Geographiestudiengängen raumplanerische Vertiefungen ermöglicht, macht deutlich, dass die großen Raumplanerstudiengänge nicht alle Arbeitsmärkte in Deutschland abdecken. Auf der anderen Seite haben Geographen gegenüber den latent „normativ durchtränkten“ Raumplanern ihre methodischen Stärken und Wissensvorsprünge sicherlich in den eher analytischen Phasen des Planungszyklus: von der Problemdefinition bis hin zur Evaluation. Ansatzpunkte produktiver Konkurrenz wie Kooperation zwischen Geographen und Raumplanern sind somit genügend vorhanden, das Denken und Handeln im Raum ist die wichtigste verbindende Klammer. Interdisziplinarität, dies sollte für beide Disziplinen gelten, zeigt sich vor allem in der Toleranz gegenüber den (Inter-)Disziplinaritätsverständnissen der anderen Disziplinen. Prof. Dr. Christian Diller Bereich Kommunale und Regionale Planung, Institut für Geographie, Justus-Liebig-Universität Gießen Quellen: Bundesagentur für Arbeit (2005): Der Arbeitsmarkt für Geographinnen und Geographen, Arbeitsmarkt-Informationen, Nürnberg. Diller, Christian (2009): Methoden der Raumplanung in der Praxis, Ergebnisse einer bundesweiten Befragung in Raumplanungsinstitutionen, Berlin. http://www.isr. tu-berlin.de/publikationen/popups/gr/gr23.html. Hennemann, Stefan/Liefner, Ingo (2010): Employability of German Geography Graduates: The Mismatch between Knowledge Acquired and Competences Required, in: Journal of Geography in Higher Education, Vol. 34, No. 2, May 2010; S. 215–230. Hennemann, Stefan (2008): Arbeitsmarkt und Beschäftigung Gießener Geographen. Absolventenbefragung 2008. http://fss.plone.unigiessen. de/fss/fbz/fb07/ fachgebiete/geographie/bereiche/lehrstuhl/wirtschaft/pdfbilder/absolventen/file/ absolventen.pdf ISR (2014): Abschlussbericht des selbstbestimmten Master-Auftragsprojekts Stadtplanung heute – Stadtplanung morgen. Eine Berufsfeldanalyse, Institut für Stadt und Regionalplanung, Technische Universität Berlin. Seckelmann, Astrid/Heinrich, Daniel/Marschner, Bernd (2014): Auf dem Arbeitsmarkt angekommen. Verbleib und Akzeptanz von Geographieabsolventen mit Bachelor- und Masterabschlüssen, RUB Bochum (Materialien zur Raumordnung 77). Bochum. Sternberg, Rolf (2013): Ergebnisse der Absolventenbefragung der Wirtschaftsgeographie in Hannover 2012. Strambach, S./Kohl, H. (2009): Vom Studium in den Beruf – Berufssituation, Kompetenzen und Mobilität Marburger Geographieabsolventen/innen, Marburg. Wiechmann, Thorsten (2008): Planung und Adaption, Dortmund.