SUPERMARKET OF THE DEAD
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SUPERMARKET OF THE DEAD
SUPERMARKET OF THE DEAD Brandopfer in China und der Kult des globalisierten Konsums herausgegeben von Wolfgang Scheppe for die STAATLICHEN KUNSTSAMMLUNGEN DRESDEN Vol. 2 ESSAYS Mit Beitrtigen von FRIEDERIKE AsSANDRI C. FRED BLAKE DIETMAR GRUNDMANN PETRA MARTIN WOLFGANG SCHEPPE UTAWERLICH STAATLICHE, KUNSTSAMMLUNGBN DRESDEN VERLAG DER BUCHHANDLUNG WALTHER KCENIG SUPERMA~KET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD Geld verbrennen Der chinesische Brauch und seine mod erne Gestalt C. FRED BLAKE DIE BEDEUTUNG DER BRANDOPFER VON PAPIERGELD Seit taus end Jahren pflegen die Menschen in China gesellschaftlichen Umgangmit den denk- und empfindungsfahigen Geistern einer unsichtbaren Welt, indem sie ihnen irdische Giiter aus Papier senden. Der Brauch hat sich nach Siiden bis in Teile Indochinas verbreitetj er findet sich dort vor all em bei den Vietnamesen von Tonkin und Annam und bei den Sino-Khmer am unteren Mekong.1 Seine erste und bis heute andauernde Bliite erlebte er in den siid6stlichen Provinzen Chinas (Zhejiang, Fujian, Guangdong), wo die Kunst der Papierherstellung sich friih entwickelt hatte. Dort wie auch anderswo besitzt jeder Ort seine eigene Nomenklatur fUr die papierenen Opfergaben, doch fiir sie alle gilt der Oberbe griff zhrqian (Papiergeld), der im Chinesischen nicht mit der heutigen Bezeichnung fUr Banknoten (chaopicw) zu verwechseln ist. Papiergeld in diesem Sinne umfasst Repliken und Faksimiles historischer und moderner Zahlungsmittel ebenso wie aus Papier nachgebildete Kleidungsstiicke, Kamme,Hauser, Computer, Autos, Diener und alle nur vorstellbaren Objekte irdischer Bediirfnisse und Begierden. Sie werden den Bewohnern der Geisterwelt bei zahlreichen Anlassen in Form von Geschenken und Entgelten iibersandt, urn die Beziehungen zu ihnen giinstig zu beeinflussen und die sozialen Verpflichtungen ihnen gegeniiber zu erfUllen. Als Transportmittel zwischen den beiden Welten dient das auratische Feuer, ein alchemistischer Vorgang, der dem modernen Denken v611ig fremd geworden ist. Feuer wird in ihm auf den Begriff der schnellen Oxidation einer kohlenstoffhaltigen Substanz reduziert.Aber der gr6Bere Teil der Menschheit mit seinem noch im Archaischen verankerten Bewusstsein bewertet das Erleben von Feuer und die spirituelle Seite der Materie h6her als ein Modell, das das Stoffliche yom Geistigen trennt. Erlebt wird das Feuer in seinen mannigfachen Formen der Verbrennung verschiedener Materialien, deren Zweck es ist, verschiedene sinnliche Wahrnehmungen wie 138 Licht, Duft, Hitze, Beriihrungund Gerausch zu Vorahnungen der Unsterblichkeit zu sublimieren. Diese Alchemie des auratischen Feuers lasst sich leichter nachvollziehen an der Reihenfolge, in der Kerzen, Raucherwerk, Speisen, Papier und Feuerwerksk6rper geopfert werden: Sie versinnbildlicht das gebrauchliche Ritual.' Kurzum, im Brauch der Papiergeldverbrennung findet die materialistische Haltung, die fUr die chinesische Lebenswelt kennzeichnend ist, ihren elementaren und umfassenden Ausdruck. Sie griindet sich auf drei wechselseitig verkniipfte Erkenntnisse: 1} Der Vorhang, der die Welt der materiellen Wesenheiten vonjener der spirituellen Wesenheiten trennt, oder, nach volkstiimlichem Verstandnis, die Lebenden von den Toten, ist so diinn wie ein Blatt Papier. Sich zwischen der materiellen und der spirituellen Welt zu bewegen, ist so einfach, wie ein Blatt Papier zu verbrennen. 2} Etwas zu verbrennen, und sei es nur ein Papierschnipsel, so weiB es die chinesische Volkspsychologie, lindertAngste und Kummer, besonders Trauer- und Schuldgefiihle. 3} Ein Papieropfer ist eine einfache Gestej es ist der stoffliche Ausdruck einer spirituellen Verbundenheit mit anderen, die Essenz dessen, was es bedeutet, Mensch zu sein. In dies em Sinne ist das Papiergeldritual eine Volkssitte, die in die chinesische Lesart der menschlichen Natur eingebettet ist. 1m vorliegenden Essaywird die Verbrennung von Papiergeld als mystifizierte Erscheinungsform eines breiten Spektrums sozialer Verbindlichkeiten betrachtet, die urspriinglich die des einfachen Volkes waren, der Kleinerzeuger, Bauern und Handler, die sich lange Zeit unter den Bedingungen der Tributpflicht abmiihen mussten. 3 Weil jener Brauch aber den Umgang mit der papierdiinnen Grenze zwischen materieller und spiritueller Welt betraf, war er so allgemeingiiltigund zugleich so anpassungsfahig, dass seine Gestaltung sich mit dem Wandel der Produktionsverhaltnisse verandern konnte - yom Tributsystem bis hin zu einer zunehmend kapitalistisch gepragten Okonomie, die heute, in ihrer globalisierten und konsumistischen Phase, das beherrscht, was einmal die chinesische Kultur war. Wahrend des gesamten 20. Jahrhunderts wurde in China ein langwieriger Kampf urn die kapitalistische Produktionsweise ausgefochten. Es war ehi Kampf, der die chinesische Arbeiterklasse gegen das weltweit expandierende System der Kapitalakkumulation in Stellung brachte. Mitte des Jahrhunderts versuchte China, seine randstandige Abhangigkeit yom weltweiten Warenkreislauf in ein autonomes sozialistisches System umzuwandeln. Wie sich dann herausstellte, haben die anstrengendenJahre des Alleingangs das chinesische Yolk in Wirklichkeit darauf vorbereitet, die SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD kapitalistische Weltwirtschaft mit deren eigenen Waffen anzugreifen. Die vielfaltigen Veriinderungen im sozialen Beziehungsgeflecht von Produktion und Reproduktion hatten auchAuswirkungen auf die Gestaltung des Papiergeldrituals. Bevorwiruns diesem Thema zuwenden, mussen wiruns noch einmal die wesentlichenAspekte dieses Brauchtums in seiner mittelalterlichen und fruhneuzeitliehen Erscheinungsform vergegenwartigen. DER SPIELERISCHE ASPEKT DES PAPIERGELDES Fur den Ursprung und die Verbreitung des Papiergeldrituals bietet sieh eine Anzahl mehr oder weniger glaubwiirdiger Erklarungen an. Eine der plausibleren besagt, dass der Brauch die volkstiimliche Ideologie der kaufmannisch gepriigten Lebensform widerspiegelt, die sieh, historisch gesehen, im sud6stlichen China auJ3erhalb des imperialen Herrschaftsbereiehs entwickelte.4 Einleuchtend ist auch die Erkliirung, dass es nieht viel kostet, papierene Abbilder zu opfern. Eine umfassendere und fUr mieh uberzeugendere Deutung sieht in der Verbrennung des Papiergeldes eine Reak~~on des kritischen Alltagsverstandes der kleinen Leute auf die imperiale Ubermacht - es handelte sieh dabei um eine Vernunft, die yom Geist des Spiels durchdrungen war.5 Das spezifische Element der hegemonialen Ordnung, auf das die Papiergeldverbrennung reagierte, war das Aufkommen einer Art Meritokratie im Kontext des Beamten-Prufungssystems, die denjeweiligen Rang der kaiserlichenAmtstrager nach der H6he ihrer Ausgaben fUr die LebensfUhrung, besonders aber fUr die Bestattungen festlegte. Die Kaiserversuchten von Anfang an, den Wettstreit um die Luxusausgaben zu reglementieren. Der Ursprung des Papiergeldrituals lasst sieh vermutlich auf den Alltagsverstand des einfachen Volkes zuruckfuhren, das sieh darin uber die finanziellen Aufwendungen der Beamten lustig machte oder sie mithilfe von Attrappen imitierte. Ein allgemein bekanntes chengyu oder Vier-Zeiehen-Spriehwort besagt: Die Untergebenen ahmen das Verhalten ihrer Herren nach [shangx{ngxiaxiclO). Der Begriff xiao, nachahmen, wird wortgetreuer mit nachiiffen oder parodieren wiedergegeben. Das Chinesische besitzt einen reiehen Wortschatz fUr den Vorgang des Nachmachens, Nachiiffens und parodistischen Verspottens, del' uberall dort, wo er aufh6hergestellte Personen abzielt, sogleieh als Wasser auf die Lachmuhle verstanden wird. Aber um welche Art von Geliichter ging es hier? Von auJ3en betrachtet das ist eher eine Schlussfolgerung als eine bewiesene Tatsache - parodierte das Papiergeld die Luxusaufwendungen der privilegierten Schiehten; in diesem Sinne erinnert es an den Rabelais'schen Humor. Umso mehr, als die Parodie sieh in der Geldmetaphorik des Marktplatzes artikulierte statt in der physischen V611erei, die Miehail Bachtin mit der Spiegelung del' europiiischen Wirtschaft im Karneval assoziiert. 6 Die privilegierten Schiehten Chinas nahmen die Anst6J3igkeit des Vorgangs sehr wohl zur Kenntnis die implizite, wenn nieht gar explizite Verh6hnung ihrer Luxusausgaben als Totenopfer, reduziert auf den Verkehrswert von Zahlungsmitteln. Aber Zhfzhii-Laden fur Opfergaben aus Papier, Guangzhou. Fotografie: Sidney D. Gamble (1890-1968), 1917-1919 (142-802). Duke Universihj, Durham. 140 141 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD was blieb ihnen anderes tibrig, als das Ganze als Vulgaritat des gemeinen Volkes abzutun? Es war schlief3lich nur harmloses Papier. Allerdings wurde bei des sen Herstellung Arbeitskraft vergeudet, die eigentlich in die Produktion landwirtschaftlicher Gtiter hatte flief3en sollen, welche letzten Endes die Einnahmequelle flir das imperiale System und des sen Luxusausgaben darstellten. Die Debatte tiber die Verschwendung von Arbeitskraft auf Seiten der herrschenden Klassen ist so alt wie das Ritual der Papierverbrennung, und sie wurde tiber die J ahrhunderte hinweg bis heute geflihrU Malinowskis Hinweis lasst sich auch auf die Rolle des Papiergeldes im traditionellen Opferritual der Chinesen anwenden. Die chinesische Redensart yizhuangyixie (so viel wie Feierlichkeit und Frohlichkeit werden eins) umfasst die Einheit der gegensatzlichen Gemtitslagen von Feierlichkeit und Frahlichkeit. Diese Dialektikgelangt zu hachster emotionaler Wirkung im Opferritus, der feierlich mit demAnztinden der Kerzen beginnt, um das Tor zur Geisterwelt zu affnen, und mit dem Freudenfeuer des Geldes und dem frahlichen Krachen der Feuerwerkskarper endet, die das profane Diesseits wiederherstellen. Und dann ist da noch der mittelalterliche europaische Karneval in den Werken von Rabelais, wie Michail Bachtin sie deutet: Aus dem Inneren des Papierkarnevals heraus betrachtet geharte das Geld cler Geldwert - jedoch zur Alchemie des auratischen Feuers, dessen Entdeckung den Menschen zum Menschen gemacht und ihn befahigt hatte, die Gatter als Beherrscher irdischer Vorgange herauszufordern (oder sie eigentlich erst zu erschaffen}.8 Jeder, der einmal versucht hat, Feuer durch Reibung zu erzeugen, kennt die Geduldsprobe, die damit verbunden gewesen sein muss, die Alleinherrschaft der Gatter tiber die sichtbare Welt infrage zu stellen. So ist das Wiederentztinden des auratischen Feuers im tiblichen Ritual der Papierverbrennung eine Parodie, aber zugleich der feierliche Nachvollzugjenes entscheidendenAugenblicks der Menschwerdung. Nach meinem Daflirhalten ist dies die Essenz der Papiergeldtradition. Ihre Bedeutung liegt in ihrer alchemistischen Funktion beim Opferritual, dem Versuch, eine Ahnung von Unsterblichkeit zu vermitteln. In einer Epoche vor der Entzauberung der Welt, als archetypischeAblaufe die Ganzheit des Lebensalltags verbtirgten, als zum Beispiel die Bewohner der Trobriand-Inseln beim Gabentauschsystem des sogenannten KulaRings einen wirtschaftlichen Vorgang in eine Zeremonie kleideten, zielte das chinesische Opferritual auf etwas Ahnliches ab und machte dabei in einer Atmosphare ernster Feierlichkeit den heiteren Kern des Ganzen unverhtillt sichtbar. Zur gleichen Zeit stellte der europaische Karneval das Leben des Volkes in der Kunstform der Farce dar. Der Ethnologe Bronislaw Malinowski konstatierte, dass der Kula-Ring der TrobriandInsulaner "auf der Grenze zwischen der wirtschaftiichen und der zeremoniellen Sphiire" angesiedelt sei und eine '"komplexe und interessante Geisteshaltung" zumAusdruck bringe, die "mit Grundschichten der menschlichen Natur tief verbunden "sei. 9 Er behauptete sogar, dass das, was dem Europaer als exotische Besonderheit erscheinen mag, vielmehr ein menschliches Grundmuster sei, das man auch in anderen Kulturen finden kanne. 142 "Der karnevaleske Kern dieser [mitteialterlich-europiiischen] Kultur lag jedoch keineswegs in rein ,kunstlerischen' szenischen Formen, uberhaupt gehort er nicht in den Bereich der Kunst, er ist eher auf der Grenze zwischen Kunst und Leben anzusiedeln. 1m Grunde ist er das Leben selbst - in einer eigenen, spielerischen Ausformung. "10 Das Leben selbst als Modell eines bestimmten Spiels - das ist es! Es ist zu untersuchen, inwieweit das Papiergeldritual der Bachtin'schen Theorie des mittelalterlichen Karnevals entspricht, und zu verfolgen, wie das Phanomen des Gelachters sich mit dem Wandel der gesellschaftlichen Systeme verandert. In der sozialen Struktur der Kaiserzeit, die dem Respekt gegentiber den Vorfahren graf3te Bedeutung zumaf3, bezog das Papiergeldritual seine symbolische und entmystifizierende Kraft aus der Metaphorik des Marktplatzes. Es wirkte in beide Richtungen: Seine ernsthafte, das heif3t respektvolle Inszenierung fOrderte die Mystifikation, wahrend es fast im selben Atemzug die auf Entlarvung zielende Funktion des Spottgelachters, das heif3t der Parodie tibernahm. "Der Karneval ist das zweite, auf dem Lachprinzip beruhende Leben des Volkes, es ist sein ,festliches Leben '. Das Festliche ist eine Grundkomponente aller rituell-szenischen mittelalterlichen Lachformen. "n Und wieder findet sich die Entsprechung bei den Chines en, die sagen: ufeierlichkeit und Frohlichkeit werden eins"; Ehrerbietungund Parodie sind zwei Seiten einer Medaille. 143 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD DIE OPFERPRAXlS auBere Feuer neu entfacht - ein loderndes, prasselndes Freudenfeuer aus Papiergeld, und schlieBlich werden die Feuerwerkskorper geziindet, deren Larm die Riickkehr ins Diesseits signalisiert. Die langsam herunterbrennenden Kerzen machen die Welt flir die Geister sichtbar; das langsame Vergliihen des schwelenden Raucherwerks zieht mit dem urspriinglichen Geruch von Holzrauch die Geister an; der unsichtbare Stoffwechsel durch die geteilten Speisen sorgt flir die Lebenskraft der Tischgenossen (meist einer erweiterten Familie, die aIle empfindungsfahigen Geister einschlieBt, die der lebenden Mitglieder und derer, die ins Jenseits hiniibergegangen sind und sichjetzt auf der anderen Seite der papierdiinnen Grenze befinden). Dieses Essen ist das Zentrum des Rituals. 1m Entziinden des sichtbaren Feuers schlieBlich wird die Oxidation stark angefacht, wenn die gebiindelte.J?- Papierartikel knisternd in Flammen aufgehen. Das ist die Phase der Ubergabe, in der man den Geistern die spiritualisierten irdischen Giiter aushandigt und sie damit zugleich bittet, sich zu entfernen. Am Ende signalisieren die Feuerwerkskorper mit dezentem Knallen den bewussten Geistern der Lebenden, dass sie in die bliihende, summende Verwirrung der diesseitigen Welt zuriickgekehrt sind. Ich habe hier wie auch an anderer Stelle12 dargelegt,dass das Phanomen des Papiergeldes sich am pragnantesten durch die Rolle erschlieBt, die es im traditionellen Opferzeremoniell spielt. Dieses Zeremoniell soIl eine rituelle Passage zwischen dem materiellen Diesseits und der ewigen Welt der Geister offnen. Es kann von jedem frommen Menschen ausgeflihrt werden, iiberall und zujedem spirituellen Zweck, was aber auch profane Belange einschlieBen kann, wie etwa die Vorbeugung gegen den Verlust der Fruchtbarkeit, wenn eine Frau sich die Haare wascht. Das Ritual griindet sich auf eine Art volkstiimliche Alchemie, bei der es um die Verfeinerung der Sinne durch das Verbrennen verschiedener Substanzen in festgelegter Reihenfolge geht. Es beginnt mit der Entziindung flackernder Kerzen, die fiir das Licht stehen, gefolgt von schwelendem Raucherwerk flir den Duft; danach werden, als Hohepunkt im rituellenAblauf, die Speisen verzehrt, die flir innere Hitze sorgen (dieses unsichtbare Feuer ist das eigentliche auratische Feuer; es ist die Lebenskraft selbst). Dann wird das In der Gesamtheit des Rituals erhalten die papierenen Zahlungsmittel ihre eigentliche Bedeutung. Sie werden zu einem wesentlichen Element der menschlichen Fahigkeit, die materielle Welt mit der spirituellen zu verbinden, und verweisen dadurch auf die Unsterblichkeit. Dabei gilt, dass jedes der fiinf auratischen Feuer aus besonderemAnlass auch flir sich entziindet werden kann. Das gebrauchlichste Opferfeuer, das am haufigsten angeziindet wird, um mit den Geistern zu kommunizieren, ist das Verbrennen von Raucherwerk in Form von schwelendem Holz. Betende driicken es sich oft an die Stirn, wenn sie einer Tempelgottheit ihre Gedanken iibermitteln wollen.Papiergeld kann flir einen verstorbenenAngehorigen verbrannt werden, insbesondere als Antwort auf einen Auftragstraum, in dem der Geist des Toten ein Familienmitglied bittet, ihn an materiellen Giitern aus der Welt der Lebenden teilhaben zu lassen. Das Papiergeld als soIches ist nicht heilig. Es kann in verschiedenen Zusammenhangen zweckentfremdet werden, zum Beispiel als Filmrequisit, wie in dem Hollywoodstreifen The World of Suzie Wong von 1960 13 oder in dem chinesischen Film Hei Lou Gu Hun (Der einsame Geist in einem alten Haus)14 aus demJahr 1989. Die vielleicht einzige Ausnahme besteht darin, dass das Papiergeld nicht als Spiel geld flir Kinder dienen solI, aber nicht, weil es heiligware, und auch nicht, weil ihm zwangslaufig die Diisternis des Todes anhaften wiirde obwohl manche Eltern,je nach den Umstanden, deshalb Bedenken haben Karren mit Geistergeld, Beijing. Fotografie: SidneIJ D. Gamble (1890-1968), 1917-1919 (214-1196). Duke University, Durham. 144 145 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD konnten.1S Die meisten Leute, mit denen ich dariiber gesprochen habe, erklarten mir einfach, sie wollten nicht, dass das Papier gebraucht oder ramponiert aussahe, wenn sie es den Geistern opfern. Das Papiergeld ist eher ein SpielzeugjUr Erwachsene.16 Andererseits gibt man den Kindern oft eine Handvoll der sogenannten Hollenbanknoten, mit denen sie das Feuer flittern diirfen, und sie tun dies mit Begeisterung. Frei nach Bachtin: In alledem wird ein gewisses Spielmodell flir Erwachsene sichtbar. DAS PAPIERGELD UND DIE OBRIGKEIT Von der dynastischen Zeit bis zur Volksrepublikhat sich die offizielle Einschatzung des Rituals wenig, ich wiirde sogar sagen iiberhaupt nicht verandert. In Kurzfassung lautet sie, beim konfuzianischen Beamten wie beim kommunistischen Kader, etwa so: Die Tradition der Papiergeldverbrennung ist ein vulgarer landlicher Brauch. In der Neuzeit wird generell das importierte Wort Aberglaube (mixinl benutzt: Es besagt,dass die Tradition sich auf irrationale und widerspriichliche Denkweisen griindet. Am schwersten aber wiegt, dass es sich dabei um eine Verschwendung von Arbeitskraft handelt, die sinnvoller bei der Produktion von Nahrungsmitteln eingesetzt werden konnte. Wird der Brauch von Einzelpersonen privat und innerhalb der Familie gepflegt, um verstorbene Angehorige zu ehren, lasst sich wenig dagegen vorbringen. Die Obrigkeit wird dann aufmerksam, wenn das Ritual in auffalliger, herausfordernder oder schadlicher Form praktiziert wird, wobei Letzteres sich auch auf den Versuch bezieht, den Aberglauben anderer Menschen auszunutzen, um richtiges Geld zu verdienen. Als die Kommunistische Partei unter Mao Zedong 1949 an die Macht gelangte, geriet die Papiergeldtraditi()n in eine Grauzone. Die misstniuische Beobachtung durch die Obrigkeit, die von der Kaiserzeit bis in die nationalistische Periode angehalten hatte, wiederholte und verstarkte sich in der kommunistischen Kampagne und ihrem Bestreben, denAlltagjedes Einzelnen restlos zu durchdringen, um den Neuen Menschen zu erschaffen. Solange das Verbrennen von Papiergeld der kommunistischen Parteilinie und ihren Vorschriften zur Religionsausiibung folgte, die eineAngelegenheit des individuellen Gewissens bleiben sollte und weder die Bildung einer Gemeinde noch kommerziellen Gewinn mit sich bringen durfte, blieb das Ritual weitgehend unbeachtet. Das flihrte natiirlich dazu, dass seine Ausiibung an die Bediirfnisse und die Erfindungsgabe einzelner Personen 146 Kulturrevolution in China, urn 1968. Karnpagne gegen die, Vier Allen Dinge'. und Familien angepasst wurde. Das heiBt, manche Menschen waren in der Lage, Papier aufzutreiben oder sogar ihr eigenes Papier herzustellen und es ohne viel Brimborium (also weder auffallig noch herausforderndl in eher privaten als offentlichen Gedenkzeremonien zu verbrennen - eine Praxis, die es unterwahrhaft frommen Leuten immer gegeben hat und noch heute gibt. Das Verbrennen von Papiergeld ist in der chinesischen Lebenswelt und ihren gemeinschaftlichen Ritualen tief verankert, und unter normalen Umstanden bemerkt man es kaum, weil es so alltaglich und selbstverstandlich ist. Deshalb bot der Brauch wahrend der Kulturrevolution und ihrer Kampagne gegen die Vier AZten (sijiul wenigAngriffsflache, obwohl er offiziell verboten war, genau wie die traditionell aufwendigen, oft pomposen Formen der Autbahrungund Bestattung. Dass dieAnzahl papierener Opfergaben in jener Zeit mutmaBlich schrumpfte, war wohl ebenso dem Papiermangel geschuldet wie der Verdammung des Aberglaubens. Gleichwohl ist die Rolle des Papiergeldrituals wahrend der Kulturrevolution ein faszinierendes Thema. 147 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD DAS PAPIERGELD UND DIE KULTURREVOLUTION Das Jahrzehnt der Kulturrevolution (1966-1976) war eine Zeit, in der das Papiergeldopfer aus dem offentlichen Blickfeld und selbst aus dem privaten Brauchtum so gut wie verschwand. Als ich in den friihen 1970er-Jahren, auf dem Hohepunkt des kulturrevolutionaren Prozesses, in Hongkong lebte, nahm ich an, dass der Brauch nordlich der Grenze endgiiltig ausgestorben sei. Dort, wo ich wohnte, in den New Territories der Kronkolonie (Sai Kung Marketl, waren der Verkauf und der Gebrauch der tradition ellen Materialien fUr das Ritual stark eingeschrankt. Die Kulturrevolution, zum Klassenkampfhochstilisiert, war der Versuch, die sozialistische Revolution zu vollenden, die in den 1950er- und friihen 1960er-Jahren mit der bauerlichen Landreform und der Kollektivierung begonnen hatte. Auf internationaler Ebene war sie ein weiterer (und bis heute der letzte) Versuch der Neubildung einer sozialistischen Opposition gegen das internationale Kapital- ein Prozess, der fast einJahrhundert zuvor in Paris seinenAnfang genommen hatte. 1m Gegensatz zur Pariser Kommune, die yom stadtischen Proletariat getragen wurde, stUtzte sich die chinesische Kommune auf das landlich-bauerliche Proletariat, doch beide mussten sich letzten Endes dem Ansturm des internationalen Kapitals geschlagen geben. Die Initialziindung der Kulturrevolution war markiert durch einen aufwieglerischen Leitartikel in der Tageszeitung People's Daily yom 1. Juni 1966, der das Yolk anfeuerte, "eine Horde von Monstern und Diimonen wegzukehren, die sich in ideologischen und kulturellen Positionen verschanzt haben, die bourgeoisen Spezialisten, Gelehrten, Autoritiiten und ehrwilrdigen Meister zu zerschmettern, jeden noch so klein en Rest ihres Prestiges in den Staub zu treten und alle alten Denkweisen, Kulturen, Sitten und Gewohnheiten zu vernichten, die von den Ausbeuterklassen geniihrt worden sind und den Verstand des Volkes seit Tausenden von Jahren vergiften."17 Die hier aufgezahlten alten Denkweisen, Kulturen, Gewohnheiten und Sitten wurden bekannt als die Vier Alten (das heiBt feudalen) Dinge, denen spater die Vier Neuen (das heiBt proletarischen) Dinge gegeniibergestellt wurden; daraus entstand der Slogan: "Zerstort die Vier Alten und pflegt die Vier Neuen" (po sijiu Ii slxln). 148 Kulturrevolution in China, urn 1968. Karnpagne gegen die, Vier Alten Dinge'. Bei den Vier Alten Dingen, die von den Ausbeuterklassen genahrt worden waren und den Verstand des Volkes seit Jahrtausenden vergifteten, handelte es sich urn anti-proletarische Traditionen; die Neuen Dinge waren proletarischen Ursprungs. Aber die Richtlinien fiir die Unterscheidungvon Sitten, Kulturen, Gewohnheiten und Denkweisen waren vage und verschwommen und sogar aus marxistischer Sicht mit Widerspriichen durchsetzt. Das Papiergeldritual fie! unter die Rubrik der Vier Alten, doch gab es da ein Problem: Der Brauch war durch und durch plebejisch, und mari hatte kaum Anhaltspunkte dafiir, dass er von den herrschenden Klassen 149 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD unterstlitzt worden ware. 1m Gegenteil, die herrschenden Klassen hatten ihn stets abgelehnt und oft versucht, ihn zu unterdrlicken (obwohl natlirlich eine spitzfindigereAnalyse enthlillen konnte, dass die Oberschicht den Brauch mit einer Hand bekampfte und ihn mit der anderen forderte, urn das einfache Yolk davon abzulenken, sich selbst als gesellschaftliche Klasse zu begreifen). Ein weiterer Widerspruch in der anti-proletarischen Zuordnung der Vier Alten ergab sich daraus, dass die Horde der Monsterund Damonen vornehmlich aus den bourgeoisen Spezialisten bestand, die spater Wegbereiter des Kapitalismus (zi5u Z'ipai) genannt wurden und anjenen auslandsaffinen und hedonistischen Vorlieben zu erkennen waren, die in den Stadten und unter den Parteimitgliedern wieder FuB gefasst hatten. Die Kulturrevolution war, kurz gefasst, eineAttacke gegen alles Alte und Traditionelle, aber mehr noch ein Angriff auf alles Auslandische und Hedonistische, wahrend sie proletarisches Denken und des sen praktische UmsetzungfOrdern sollte. Obwohl die drei Kategorien - feudal, bourgeois und proletarisch - in der marxistischen Theorie yom historischen Fortschritt klar definiert waren, lieBen sie sich auf die Praxis der Ermittlung monstroser und damonischer Sitten und Denkweisen im China des mittleren 20. Jahrhunderts nicht so prazise anwenden. Angeblich war das Papiergeldritual eine alte feudale Tradition. Sie exi~tierte schon seit tausendJahren, aber es handelte sich dabei urn plebejisches Brauchtum, und das wurde von modernen bourgeois en Elementen in den Stadten genauso oder noch mehr gepflegt wie von der Landbevolkerung, die zum Zeitpunkt der Kulturrevolution ihre Produktionsbedingungen in sozialistische Verhaltnisse liberfiihrt hatte. Irgendwann mussten die Vorkampfer der Kulturrevolution, sofern sie sich als Marxisten verstanden,· diese Widersprliche zur Kenntnis nehmen. durch Ubertretung als durch Einhaltung gewiirdigt wurde. Wie das Biertrinken bei den Amerikanern war die Papierverbrennung bei den Chines en eine Gewohnheit, die sich nicht einfach durch amtliche Vorschriften oder politische Kampagnen abstellen lieB. Bereits in der frlihen Republik (19291949) hatte das Regime der Nationalen Volkspartei energisch versucht, den Brauch durch Gesetze zu bekampfen, wie librigens auch schon die koloniale Besatzungsmacht der Japaner in Taiwan (1895-1945), wo das Yolk sich einiges einfallen lieB, urn Verbote und Eingriffe seitens der Regierenden zu umgehen. Abgesehen von verborgenen Praktiken und vielen anderen taktischen Manovern, mit denen man sich liber Verbote und Achtungen hinwegsetzte, mlissen wir berlicksichtigen, dass viele Menschen in China sich fUr den Brauch der Papierverbrennung gar nicht interessieren und viele andere sich sofort der Meinung anschlieBen wiirden, dass das Verschwendung sei und fUr die Kommunikation mit Geistern hochstwahrscheinlich wirkungslos. 1m Allgemeinen handelt es sich dabei urn Manner und junge Leute, die unter normalen Umstanden trotzdem ein alteres . Familienmitglied, das den Brauch ausliben mochte, unterstlitzen wiirden. Doch urn es deutlich zu sagen: In der liberwiegenden Mehrheit der chinesischen Familien stand die Jugend l8 dem Papiergeldritual stets so fern, dass sie bei der Mobilisierung durch die Roten Garden oder bei drohender Denunziation schnell bereit war, den Brauch zu verunglimpfen. J edenfalls fielen die meisten Bestattungsbrauche unter die Vier Alten Dinge, die verboten waren. Begrabnisse und Gedenkzeremohien wurden damit zu einer beilaufigen, fllichtigenAngelegenheit. Das betraf auch das Papiergeldritual, das von seinen Anhangern, liberwiegend alteren Leuten und Frauen, nur mehr im Verborgenen praktiziert und durch Papiermangel ebenso behindert wurde wie durch Reglementierungen und die Wachsamkeit der Roten Garden. Vonjungen Familienmitgliedern wurde es zuweilen heftig kritisiert, wenn sie sich als Rotgardisten rekrutieren lieBen oder aber Denunziationen beflirchteten, und die Eltern oder noch altere Anhanger des Rituals fUgten sich dann demjugendlichen Furor. Ich mochte das Verbot des Papiergeldes wahrend der Kulturrevolution mit der amerikanischen Prohibition (1920-1933) vergleichen, die ebenfalls mehr 150 War auf dem chinesischen Festland unter dem Druck der Kulturrevolution das Papiergeldopfer weitgehend ausgemerzt worden, jedenfalls dem Anschein nach, lieB die Nationale Volkspartei in Taiwan, im Gegensatz zu der Regierungspolitik, die sie auf dem Festland zwischen 1927 und 1949 verfolgt hatte, den nun fUr harmlos befundenen Brauch wieder aufbllihen. 1975, im vorletztenJahr der Kulturrevolution, erschien eine bedeutende Studie zur taiwanesischen Praxis der Papiergeldverbrennung.19 Der Autor, Hou Chien-Lang, deutete an, ohne sich allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, dass die Kommunisten in der Republik damit beschaftigt seien, alte Volksbrauche wie das Papiergeldritual auszurotten, wahrend die Taiwanesen die ihrigen als Teil der taiwanesischen Identitat gewissenhaft bewahrten. Hou ging auf dieses interessante Thema nicht naher ein. Aber der Leser konnte ziemlich leicht schlussfolgern, dass ein Buch liber die eigene Papiergeldtradition als Katalysator fUr die nationale Identitat dienen sollte, nicht nur gegenliber den Kommunisten auf dem Festland, sondern auch, noch gewagter, gegenliber der nationalistischen Regierung Taiwans, die ihre Herrschaft im J ahr 1947 mit einem Massaker an Taiwanesen etabliert hatte. Es ist wohl bezeichnend, dass Hou sein Buch auf Franzosisch publizierte.20 151 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD Man konnte dieseArgumentationslinie verfolgen und darlegen, inwieweit das Papiergeld zu einem wirkungsmachtigen Symbol der Erinnerung an die unbekannten Toten der Kulturrevolution in CWna und die 1947verschwundenen oder massakrierten taiwanesischen Widerstandskampfer geworden ist. Der erwahnte chinesische Spielfilm Der einsame Geist in einem alten Haus von 1989 erzahlt, wie der Geist eines 14-jahrigen, wahrend der Kulturrevolution getoteten Madchens an den Mordern, die inzwischen angesehene Manner sind, Rache ubt. In einer Szene sturzt sie einen der Tater ins Verderben, indem sie ihn mit einem Pfad aus Papiergeld lockt, in dem papierene Repliken traditioneller Munzen (weiBe Papierscheibchen mit einem quadratischen Loch in der Mittel sich in echte 100-Dollar-Noten verwandeln, als er sich nach ihnen buckt (das ist eine der Moglichkeiten, geopfertes Papiergeld an die Lebenden zuruckzusenden, was in klassischen Geistergeschichten oft geschieht, um so etwas wie ausgleichende Gerechtigkeit herzustellenl 21 • Dass der Geist aus der Zeit der Kulturrevolution stammt, ist bedeutsam, denn es mussenja viele Geister aus jener Ara unterwegs sein Unschuldige undAktivisten, die in den Kampfen umkamen, undjene, die eines nattirlichen Todes starben und dann so beilaufigwie moglich entsorgt wurden. Der Film hat noch viele andere Aspekte, und man kann darin eine Allegorie auf das aktuelle Regime sehen, was zumindest teilweise dafUr gesorgt haben durfte, dass erverboten wurde. 22 In dies em Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass das Ritual der Papierverbrennung der erste der volksttimlichen Brauche war, die aus der Asche der Kulturrevolution wiederauferstanden. Das gilt ebenso fUr China wie fUr Vietnam und auch fUr das Gebiet der Sino-Khmer nach dem Sturz der Roten Khmer. War die Papiergeldtradition wahrend der Kulturrevolution ge1ichtet, spielte andererseits das Bestreben, die sozialistische Revolution zu mystifizieren, sie und ihre Fuhrer sogar zu vergottlichen, eine groBe Rolle. Der Versuch, unter dem Motto Dem Volke dienen eine sakulare Religion zu erschaffen, mit Heiligen und Weisen aus dem Pantheon der kommunistischen Revolutionare, bediente sich alterer Formen der religiosen Praxis, wenn auch ohne Raucherwerk und Papiergeldopfer. 1m letzten Jahrzehnt hat sich dieser Versuch weitgehend in Richtung einer Wiederbelebung oder sogar Wiedergeburt quasi-konfuzianischer Richtlinien verschoben, die soziale Harmonie und Respekt vor den alteren Generationen propagieren. Der 1. Mai als traditioneller sozialistischer Feiertagwurde von drei arbeitsfreien Tagen auf einen einzigen reduziert; dafUrwurde Qingming, das Fest der Ahnenverehrung, wieder als gesetzlicher Feiertag eingefuhrt. Das hat, wenn auch . inoffiziell, die Neubelebung des Papiergeldrituals vorangetrieben. 152 Reiter und Pferd aus Papier, Beijing. Fotografie: Sidney D. Gamble (1890-1968), 1917-1919 (214-1191). Duke University, Durham. 153 r SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD ! DAS PAPIERGELD IN DER GEGENWART Am Ende hat die Papiergeldtradition also die Kulturrevolution tiberlebt und ist zurtickgekehrt, nunmehr als Hure der kapitalistischen Internationale, um Chinas sozialistisches Experiment- alles Heilige wird entweiht _ zu unter?Taben. Eine klassische Serie von Hallenbanknoten zeigt Maos Konterfel neb en anderen Bertihmtheiten wie Konfuzius, John F. Kennedy Jackie Onassis, Marilyn Monroe, Humphrey Bogart undJames Dean. Ich' habe aber noch nicht gesehen, dass jemand sie fUr das Opferritual benutzt hat. Denn die wahrhaft volkstiimlichen Ritualgeldscheine sind immer noch die realistischen Faksimiles der 100-Renminbi-Note und des amerikanischen 100-Dollar-Scheins sowie einige andere mit haherem Sammlerwert, die lkonen des Daoismus abbilden, etwa den Jadekaiser der den kaiserlichen Hut der Han-Zeit {206 v.u.Z.-220 u.Z.J tragt. Di~se sind wie zahllose Varianten der alten Papiernachbildungen von Gold- und Sllberbarren und der allgegenwartigen Kupfermtinzen frtiherer Dynastien, weit verbreitet und werden in groBen Mengen verbrannt. Dazu kommen die Papiergebinde (zhzzhtl), mit Bambusstaben und Draht verstarkte Objekte aus Pappe und Papier, viele davon in LebensgraBe, die von vormodernen Gebrauchsgiitern bis zu modernsten Erzeugnissen alles nachbilden was akonomischen oder gesellschaftlichen Wert besitzt: Modeartikel, haufi~ mit Markennamen versehen, und neuerdings auch Gegenstande aus dem Kontext der sexuellen Revolution, die eine chinesische Zivilisation erfasst hat die von dem Krempel des globalisierten Kapitals gerade umgeformt wird: ~in neuerer ':.ersuch; die aktuellen Erscheinu~gsfor~en des PapiergeldrItuals zu erklaren, leltet aus dem Brauch eine Rltual-Okonomie ab die das globale Kapital in die Schranken weist".23 Die Autorin behauptet:' " "Falls der Staat seine Uberwachung des Rituals weiter Lockert und die ~rod~kti~e Akkumulation einen bestimmten Siittigungsgrad errelcht, lSt eme massenhafte Steigerung der rituellen Aufwendungen durchaus vorstellbar, eben so wie eine Explosion der Materialverschwendung und Zerstorung, zum Beispiel das Verbrennen echter Gebrauchsgater bei einem luxuriosen Begriibnis. "24 Natiirlich war die Verbrennung realer Gegenstande und Banknotel1 a~stelle der ~~pierattrappen stets maglich, obwohl viele Ritualexperten emwenden wurden, dass es wirkungslos sei, echte Werte in Flammen aufgehen zu lassen. Wahrend der Hyperinflation der 1930er-Jahre griffen die 154 Menschen beim Opferritual tatsachlich auf echte Banknoten zurtick, und es gibt viele Berichte dartiber, dass sie sich auch heute,. aus ganz u~ter schiedlichen Grtinden, zuweilen das Verfeuern von Reahen genehmlgen. Yang aber verfolgt dieses Szenario bis zu einer extremen These: Wenn der innere Mechanismus einer [Ritual-]Okonomie nach dem "Vorbild des liindlich gepriigten Wenzhou erst einmal enV~s~elt ist [ .. .], konnte er die Prinzipien der rationalen Produktlvltat und privaten Akkumulation im globalen Kapitalismus infrage stellen und untergraben. "25 Die Vorstellung, dass eine nach dem Vorbild von Wenzhou organisie~te Ritual-Okonomie der Verbrennung von Papierattrappen das weltwelte kapitalistische System ernstlich sabotieren kanne, ist bestenfalls ~unsch denken. Von der Theorie her ist sie nicht haltbar.26 Wenn das Paplergeldritual tiberhaupt in irgendeinem Verhaltnis zum Weltkapita~isn~u~ gesehen werden kann, dann vielleicht als Parodie des globalkapltahstlschen Konsums so wie es im imperialen System die Luxusaufwendungen der Beamten 'parodierte. Heute wie damals verspottet es auf spi.elerisc~e Art ein System menschlicher Beziehungen, das sich selbst ernst mmm~ - m der N euzeit ist es das Wirtschaftssystem. Aber der moderne Karnevallst durch das Wirtschaftssystem, tiber das er sic?, lustig macht, heillos gefahrdet. Denn das spatkapitalistische, durch die Uberproduktion und den K~nsu~ von Waren bestimmte System verleibt sich die Sabotage ebenso em Wle die Parodie deren Gegenstand es ist. Es parodiert sich sogar selbst, zum Beispiel mi~ Sexspielzeug fUr die verstorbenen Vorfahren. Die Wirtschaftsform die mit der Geldverbrennungverspottet wird, steht also bereit, das Verb;ennungsritual in ihr eigenes System der Produktion reale? Reichtu~s zu integrieren. Die Herstellung und Vermarktung von Paple~?eld Wl~d zunehmend zu einem Bestandteillokaler und globaler Warenokonomle. Die populare Verbreitung von Papiernachbildungen echter W~~r~ngen und Waren ist ein direkter Reflex auf diesen Prozess der Kommodlflzlerung und Kommerzialisierung - ein Vorgang, der immer mehr verdec~t wird von dem, was Jean Baudrillard Simulakren 27 nennt: 1m Fall des Paplergeldbrauchs bedeutet das, dass sogar die traditionellen Formen hand~em~ch tel' mit Stanniol beschichteter Papierzahlungsmitteljetzt schon slmuhert we~den durch industriell hergestellte elektronische Gerate, sogenannte Superstition Machines. 28 Diejenigen, die zuletzt lach~n, sind also die Kapitaleigner, die Unternehmen, die mit solchen Maschmen des Aberglaubens echtes Geld verdienen. ~ 155 SUPERMARKET OF THE DEAD SUPERMARKET OF THE DEAD Innerhalb Chinas sind die islamischen und christlichen Bevolkerungsgruppen die einzigen, die den Brauch des Papieropfers nicht pflegen, obwohl es auch in diesen religiBsen Gemeinschaften Ausnahmen bei einzelnen Familien geben mag. 2 Vgl. C. Fred Blake, Burning Money. The Material Spirit of the Chinese Lifeworld, Honolulu 2011; sowie ders., "Papa! What's Money?" An Enduring Question' Finds Answers in Burning It for the Spirits of the Dead in China, in: Cultural Encounters. Ethnographic Updates from Asia and the Pacific Islands, hrsg. von Mary Conran, Forrest Young, Guido Pigliasco, Suzanne Finney, Honolulu 2015 Um Druck]. 3 Vgl. Eric R. Wolf, Mills of Inequality, in: Pathways ofPower. Building an Anthropology of the Modern World, hrsg. von Eric R. Wolf, Sydel Silverman, Berkeley 2001, pp. 335-352; dort aber Produktionsverhaltnisse. 4 Diese Hypothese wurde vom strukturalistischen Marxismus der 1970er-Jahre beeinflusst und argumentiert vor allem mit "kleinkapitalistischen Produktionsverhaltnissen", deren" Volks-Ideologie" das Papiergeldopfer gewesen sei (vgl. Hill Gates, Money for the Gods, in: Modern China 13 (1987), Nr. 3, pp. 259-277; sowie ders., China's Motor. A Thousand Years of Petty Capitalism, Ithaca 1996). Ich finde das aus mehreren Granden wenig aberzeugend. "Kleinkapitalistische Produktionsverhaltnisse" gibt es nicht ("Kleinkapital" ist ein Oxymoron). In China war die aber lange Zeit existierende Kleinproduktion ein wesentlicher Bestandteil des Tributsystems im Kaiserreich (vgl. Wolf2001 (wie Anm. 3]). Zwar scheint das Papiergeldopfer, jedenfalls heutzutage, im Umkreis der Hauptstadt weniger verbreitet zu sein, andererseits ist es dort und an vielen - vermutlich allen - anderen Orten his torisch nachgewiesen, und die Produktionsverhaltnisse, unter denen es sich entwickelte, waren eben die des Tributsystems unter imperialer Herrschaft (vgl. Blake 2011 (wie Anm. 2]). Mehr noch: Der Brauch steht auch heute, unter globalkapitalistischen Bedingungen, wieder in Blate. Mit anderen Worten, er ist in dieser Hinsicht unspezifisch und so f1exibel, dass er Veranderungen des gesellschaftlichen Systems mit vollzieht. Wie das vor sich geh/, ist Thema dieses Essays. 5 Ich verwende Antonio Gramscis Begriffe des "buon senso" ("AlItagsverstand") oder "senso comune'~ (den er als "Folklore der Philosophie" bezeichnet), um auf ein grundlegendes Denken zu verweisen, das si~h vom "gesunden Menschenverstand" der herrschenden Klassen unterscheidet und womoglich dagegen aufbegehrt, wenn auch nicht in offenem Widerstand. 6 Michail Bachtin, Rabelais und seine Welt. Volkskultur als Gegenkultur {1965], abersetzt von Gabriele Leupold, Frankfurt am Main 1987. 7 Vgl. Blake 2011 (wie Anm. 2). 8 Die Entdeckung des Feuermachens brachte eine andere Welt ans Licht, eine unsichtbare Welt, die durch das Feuer erst sichtbar wurde. Der griechische Name Prometheus, der Vorausdenkende, war der Lehrmeister und brachte der Menschheit das Feuer. Der Name konnle sich auch aus dem Sanskrit-Wort ,pramantha' her/eiten, der Bezeichnung for den Stab, mit dem die Brahmanen Feuer enlfachten, indem sie ihn senkrecht in einem weiteren, liegenden Stab rotieren lieflen. Der chinesische Feuerbringer ,Suiren', einer von drei Herrschern (die beiden anderen sind ,Fuxi', der Lehrmeister des Fischens, Fallenstellens und Schreibens, und ,Shennong', der Uberbringer des . Ackerbaus) wird ebenjalls mit Techniken des Feuermachens assoziiert, mit dem Feuerstein oder mit dem Signalfeuer als einer der frahesten Feuervarianten. 16 Vgl. Johan Huizinga, Homo Ludens. Versuch einer Bestimmung des Spielelementes der Kultur, Amst~rdam 19~9. 17 People's Daily, 1. Juni 1966, hier zit. nach: Gucheng Li, A Glossary of Political Terms of the People s RepublIc of China, zusammengestellt von Kwok-sing Li, aberselzt von Mary Lok, Hongkong 1995, p. 153. . . 18 So wie sich beispielsweise auch hier in Honolulu junge Leute chinesischer Herkunft vom Paplergeldrttual eher fernhalten, bis sie ein mitt/eres Alter erreicht haben. .. .. . 19 Ching-Lang Hou, Monnaies d'offrande et la notions de tresorerie dans la relIgIOn C?tnOISe, Parts 1975. Hous Werk war die erste Studie in Buchform, die sich ausschliefllich mit dem Brauch des Paplergeldes befassle. 20 Auch andere chinesische Wissenschaftler haben anthropologische Studien auf Franzosisch ~att auf ch~nesisch veroffentlicht, um die genaue Prafung durch akademische und politische Autoriliiten zu vermel en; so lOur e es jedenfalls von Insidern berichtet. . . 21 VgI Jan Jakob Maria de Groot, The Religious System of China. Its Ancient Forms, EVOI7t~~H~~o§ a;~nd Present Aspect, Manners, Customs and Social Institutions Connected Therewith, Bd. 4: Buc I , n e ou Ancestral Worship {1894], Taipeh 1972, pp. 437-464. 22 Offiziell wurde der Film verboten, weil er zu gruselig war; eine betagte Person im Kinopublikum war vor Schreck gestorben. . . 23 Mayfair Mei-Hui Yang, Putting Global Capitalism in Its Place. Economic Hybridity, Batatlle and RItual Expenditure, in: Current Anthropologtj 41 (2000), Nr. 4, pp. 477-509. 24 Ebd., p. 495. . . 25 Ebd Wenzhou ist eine Stadt an der Sadkaste der Provinz Zhejiang, ~n der Yan? geforscht hat. In ~hrer .Studle behandeii sie die rituellen Ausgaben der Bewohner von Wenzhou fur Paplergeld. Dlese Ausgaben mac en emen betrachtlichen Teil der dortigen Wirtschaft aus. ~~~:~':fe~ ~!t;:.;::~:;~~~~;. ~~ ~~b~~;go~:~~:;~;:e;~~~;;~ ~:!~~c~:e~!~:~~;~~hts~r~~~;~:![~:~r-. a~: si~h Ge~rge Materialis~us" verwan~elt ~;;::bt d~r chine~isch~ paplergeldbr~uchc~as 26 d un res ist der historische Materialismus nach Marx, der es uns ermoglicht, dieses Szenar~o durc zu en en - ~me bar, die Yan entschieden ablehnt! Kaum zu glauben, aber sie ber.uft auf Batallles Konzept des "nteTheo das die Geschichte in ein endlos vermitteltes lrterartsches Phanomen - was Yang die Moglichk:it zu erwagen (ohne sich detailliert dazu zu auflern), dass globalkapitalistische System verdrangen kOnnte. Der Spielc~arabkte~ der ~e~ pap;erf:::;:~~:e:n;~~~~~~;r ;~au Yan s Poststrukturalismus beseelt, lasst ein so/ches SzenarlO a sur ersc emen. n . . dar!m - etwas ad absurdum zu fohren! Sollte es das sein, woraufYang hinaus wi/l, mussle sle das deutlrch sagen. 27 Jean Baudrillard, Simulacres et simulation, Paris 1981. 9 Bronislaw Malinowski, Argonauts of the Western Pacific. An Account of Native Enterprise and Adventure in the Archipelagoes ofMelanesian New Guinea {1922], Prospect Heights 1984, pp. 513. 10 Bachtin 1987 (wie Anm. 6), p. 55 {Hervorhebung im Original]. 11 Ebd., p. 56 {Hervorhebung im Original]. 12 Vgl. Blake 2011 (wie Anm. 2); Blake 2015 (wie Anm. 2). 13 Regie: Richard Quine, USA 1960. 14 Regie: Liang Ming, Mu Deyuan, China 1989. 15 Far viele Menschen ware die Gesle, einer lebenden Person Papiergeld als vorgebliches Geschenk zu aberreichen, durch den Todesgedanken kontaminiert, weil das Papiergeld far die Geister der Verstorbenen bestimmt ist. Ais ein chinesischer Student mir Exemplare von Papiergeld aus Kambodscha mitbrachte, sagte er mir, ich masse es ihm fur mindestens einen Penny "abkaufen ". Das illustriert wiederum die Macht des Tauschwerles (der Kommodifizierung), die Spur des Todes abzuwaschen, die im Gebrauch von Papiergeld enthalten ist. 156 . 28 VgI. C. Fred Blake, Lampooning the Paper Money Custom in Contemporary China, in: The Journal of ASian Studies 70 (2011), Nr. 2, pp. 449-469 . 157