Was ist zumutbar? - WILA Arbeitsmarkt

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Was ist zumutbar? - WILA Arbeitsmarkt
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rechtliches
 ARBEITSAUFNAHME
Was ist zumutbar?
Empfänger von Arbeitslosengeld müssen aktiv bei der Arbeitsaufnahme mitwirken. Was ist dabei zumutbar, um nicht
die Ansprüche auf Unterstützung über Sperrzeiten zu verlieren? | Andreas Pallenberg
W
er nach einer Tätigkeit in einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung arbeitslos wird,
bekommt in der Regel Lohnersatzleistungen, genauer Arbeitslosengeld I von der
Agentur für Arbeit. Dies ist eine Versicherungsleistung, auf die man Anspruch hat.
Die Zahlung von Arbeitslosengeld I ist dabei (im Gegensatz zum Arbeitslosengeld
II) auch völlig unabhängig von Bedürftigkeit, von Vermögen oder von vorrangigen
Unterhaltsansprüchen gegenüber Angehörigen. Somit hat auch ein Millionär
grundsätzlich einen rechtlich korrekten
Anspruch auf Arbeitslosengeld I, wenn er
arbeitslos wird. Dennoch – egal ob Millionär oder mittellos – es müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Dazu zählt zunächst die Dauer der
bisherigen Beschäftigung als Anspruchsgrundlage. Jeder, der mindestens zwölf
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Monate gearbeitet hat, hat Anspruch auf
Arbeitslosengeld I. Neben diesen rechnerischen Grundlagen gibt es weitere
Voraussetzungen, um in den Genuss
dieser Lohnersatzleistung zu gelangen.
So muss der Leistungsempfänger dem
Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, darf
also beispielsweise nicht arbeitsunfähig
sein oder ohne festen Wohnsitz irgendwo unerreichbar für die Arbeitsvermittlung in der Weltgeschichte herumreisen.
Der Arbeitslose muss auch immer ein
Arbeitsuchender sein und seine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt aktiv
und mitwirkend betreiben. Derartige
Aktivitäten muss er z.B. bei regelmäßig anberaumten Gesprächen mit der
Arbeitsvermittlung angeben und ggfs.
nachweisen können. Wenn er dies nicht
hinreichend unter Beweis stellt, kann ihm
die Unterstützung zumindest zeitweilig
gekürzt werden. Diese Mitwirkungspflicht
gehört zu den vielen Spielregeln beim
Bezug von Arbeitslosengeld I, bei denen
die Frage der Zumutbarkeit eine große
Rolle spielt.
Wer z.B. eine zumutbare Beschäftigung ohne wichtigen Grund aufgibt, wer
eine zumutbare neue Stelle nicht antritt,
die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit
vereitelt, eine zumutbare Trainingsmaßnahme abbricht oder eine zumutbare
Tagespendelzeit zu einer neuen Arbeitsstelle ablehnt, hat mit Sanktionen seitens
der Arbeitsverwaltung zu rechnen.
Und das kann schneller gehen, als
man zunächst glauben möchte. Wenn
zum Beispiel einem gekündigten Redakteur von der Arbeitsagentur eine
Stelle angeboten wird, dann kann das ein
großer Segen sein, besonders wenn diese neue Beschäftigung in wesentlichen
Merkmalen wie Umfang, Tätigkeit und
dem Gehalt den bisherigen Verhältnissen
entspricht. Das ist der Idealfall, bei dem
alle Beteiligten zufrieden sein dürften.
Der Arbeitsuchende hat etwas Passendes
gefunden, die Arbeitsverwaltung ist stolz
auf ihre Vermittlung, und ein Arbeitgeber
hat hoffentlich einen guten neuen Mitarbeiter. Die Realität sieht aber meistens
etwas anders aus: Einen nahtlosen
Anschluss mit einem neuen Job gibt es
selten, oft gibt es – gerade für freigestellte Journalisten – gar nichts außer freie
Mitarbeit. Manchmal gibt es zwar eine
neue Jobaussicht, aber nur weit weg
vom Heimatort. Ebenso kommt es vor,
dass der neue Job schlechter bezahlt ist
und von minderer Qualität, dass es ein
Teilzeitjob ist, dass er befristet ist oder
.... alles zusammen. Und dann lautet die
Reaktion durchaus nachvollziehbar: Nein
danke! Das ist nicht zumutbar!
Sperrzeit als Sanktion
Die typische Sanktion der Agentur für Arbeit gegenüber Arbeitslosengeld-I-Empfängern ist dann die Sperrzeit. Sie wird
immer dann verhängt, wenn gegen bestimmte Regeln verstoßen wird bzw.
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wenn zumutbare Aktivitäten oder Mitwirkungen der Arbeitslosengeldempfänger
unterbleiben. In dieser Sperrzeit wird kein
Arbeitslosengeld gezahlt. Zusätzlich verringert sich der stets zeitlich begrenzte
Anspruch auf Arbeitslosengeld mindestens um diese Zeit.
Sperrzeiten sind aber keine Strafen
im rechtlichen und schon gar nicht im
moralischen Sinn, sondern sie gehören
quasi zu den Geschäftsbedingungen,
wenn man Arbeitslosengeld beziehen
möchte. Wenn man sich auf bestimmte
„Zumutungen“ bei der Arbeitsaufnahme
nicht einlassen möchte, dann kann man
sich eben auch unter Berücksichtigung
der Konsequenzen bewusst auf Sperr-
einfach „sperren“, wohl aber empfindlich
kürzen. Auch die Frage der Zumutbarkeit wird bei diesem Personenkreis z.T.
anders bewertet (vgl. Literaturtipps für
ALG-II-Bezieher).
Arbeit geht vor
Hinter der Verhängung von Sperrzeiten
steckt nicht böser Wille oder Behördenwillkür, sondern – ganz positiv betrachtet
– das Primat der Vermittlung in Arbeit.
Erst wenn alle zumutbaren Möglichkeiten
der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ausgeschöpft worden sind, sollen
die Unterstützungsleistungen uneingeschränkt fließen. Wer dabei nicht kon-
Der Besuch einer Jobmesse ist nicht nur für einen selbst eine wichtige Orientierung, sondern auch eine „nennenswerte Aktivität“ bei der Arbeitssuche.
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zeiten einlassen. Man ist anschließend
kein schlechterer Kunde als vorher, muss
aber aufpassen, da bei wiederholten
Sperrzeitanlässen die Leistung komplett
wegfallen kann. Für ArbeitslosengeldII-Empfänger, die hier nicht näher betrachtet werden, gelten teilweise ganz
andere „Spielregeln“. Sie erhalten ja
keine Versicherungsleistungen, die man
mal aussetzen könnte, sondern Hilfe zum
Lebensunterhalt. Den kann man nicht so
struktiv mitwirkt, muss eben mit entsprechenden Nachteilen rechnen. Völlig einsichtig ist dies, wenn zum Beispiel jemand seine unbefristete Arbeitsstelle von
sich aus ohne wichtigen Grund kündigt
und anschließend Arbeitslosengeld beantragt, um vielleicht eine Auszeit zu
nehmen. Um solche vielleicht auch
leichtfertigen Spontanausstiege aus zumutbarer Arbeit abzubremsen, muss der
dann Arbeitslose mit einer Sperrzeit von
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drei Monaten rechnen, in der er ohne
Bezüge zurecht kommen muss. Kritisch
dagegen ist es, wenn einem Arbeitslosen
schon nach wenigen Monaten eine Tätigkeit zugewiesen wird, die deutlich unter
seinem Qualifikationsniveau ist, dabei
schlechter bezahlt wird und dazu noch
weit entfernt liegt von seinem Lebensmittelpunkt. Das alles kann nach den Richtlinien und Bestimmungen der Arbeitsverwaltung zumutbar sein und bei Ablehnung mit Sperrzeiten bestraft werden. Mit
der modernen Philosophie eines kundenorientierten
Dienstleistungsunternehmens haben solche Verwaltungsakte
jedoch nichts zu tun. Sie sind eher Ausdruck einer unflexiblen und repressiven
Arbeitsmarktpolitik, die von den meisten
Mitarbeitern der Agentur für Arbeit auch
nicht praktiziert wird. Im realen Bewilligungsalltag gibt es aber trotzdem immer
wieder Auseinandersetzungen über die
Rechtmäßigkeit von Sperrzeitverhängungen, und das liegt eindeutig an den unterschiedlichen Positionen der Beteiligten. Ein Arbeitsuchender wird die Frage
der Zumutbarkeit tendenziell immer anders beantworten als das vorrangig an
Vermittlung interessierte Amt. Für die mit
Sperrzeiten belegten Betroffenen gibt es
in solchen Fällen grundsätzlich zwei mögliche Reaktionen. Man nimmt die Sperrzeit hin und versucht irgendwie über die
Runden zu kommen, oder man legt Widerspruch ein und bemüht sich die Sperrzeit abzuwenden.
Eine Zumutung
Die Zumutbarkeit ist also der Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit Leistungsbezug, Sperrzeiten, Arbeitsaufnahme etc.
Gleichzeitig schreit dieser Begriff förmlich
nach Präzisierung im Einzelfall und beschäftigt schon deshalb immer wieder
Anwälte und Gerichte.
Nicht zumutbar und damit eher eine
Zumutung sind alle Fälle von Verstößen
gegen geltendes Recht. Eine Arbeit ist immer dann unzumutbar, wenn sie gegen
Vorschriften des Arbeitsschutzes, gegen
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geltendes Tarifrecht verstößt, menschenunwürdig oder sittenwidrig ist. Wer
solche Jobs nicht annimmt, dem kann
keine Sperrzeit aufgebrummt werden.
Der Verstoß gegen geltendes Recht muss
aber im Bedarfsfall vom Betroffenen
selbst bzw. von seinem Rechtsvertreter
angezeigt und belegt werden.
Schwieriger wird es, wenn es keine
eindeutigen Gesetze, Fakten oder Maßstäbe gibt, nach denen beurteilt werden
kann, ob eine Arbeitsaufnahme zumutbar
ist. Hinzu kommt der subjektive Faktor.
Wer zum Beispiel bisher seinen Arbeitsplatz am Ort, womöglich sogar fußläufig,
erreichen konnte, wird eine tägliche
Fahrtzeit von insgesamt 60 Minuten als
unzumutbar betrachten. Das sieht die
Arbeitsverwaltung aber ganz anders,
denn die hat in ihren Durchführungsbestimmungen deutlich großzügigere Maßstäbe der Zumutbarkeit für die maximale
Tagespendelzeit festgelegt. Aber da gibt
es wenigstens Richtwerte, an denen man
sich abarbeiten kann.
fall vielleicht begründbar, aber keine feste Richtschnur.
In der Eingliederungsvereinbarung
kann eine solche Zahl festgeschrieben
werden. Das liegt im Ermessen des Vermittlers. Ob das im Einzelfall sinnvoll ist,
sollte im Gespräch geklärt werden. Dabei
ist es immer wichtig, das Amt davon zu
überzeugen, dass man sich aktiv um
Arbeit bemüht. Das können eben auch
Anrufe bei möglichen Arbeitgebern sein
oder andere nicht belegbare Aktivitäten.
werden. Aber solche – oft als Schikane
empfundenen – Zielvorgaben führen
nicht selten zu Aktionismus und absurdem Rollenspiel. Das wissen erfahrene
Arbeitsvermittler ebenso wie die Betroffenen. Deshalb sollte man es erst gar
nicht so weit kommen lassen und die
Eingliederungsgespräche nicht grundsätzlich als lästige Pflicht und überflüssig
abtun, sondern erst einmal sehen, was
möglich ist.
Erst wenn jemand nicht den Eindruck
Aktivität ist gefragt
Deutlich komplizierter wird es bei der
Bewertung zumutbarer Bewerbungsaktivitäten. Wer Arbeitslosengeld erhalten
will, muss dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und sich aktiv um neue Arbeit kümmern. Aber was ist hinreichend
in diesem Zusammenhang. Die Antwort
ist ganz klar und gleichzeitig uneindeutig:
Es kommt auf den Einzelfall an. Ganz
besonders auf die tatsächlichen Chancen auf dem jeweils aktuellen Arbeitsmarkt, auf die persönlichen Voraussetzungen des Suchenden und auf qualifikationsadäquate bzw. branchenübliche
Suchstrategien. Ein studierter Chemiker
muss nicht die schwarzen Bretter in Supermärkten nach Jobs absuchen, und
ein promovierter Politikwissenschaftler
muss nicht die Job-Aushänge an Werkstoren durchforsten. Ebenfalls gibt es keine feste Anzahl von Bewerbungen nachzuweisen. Die Auflage, jeden Monat fünf
Bewerbungen vorzulegen, ist im Einzel-
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Wird oft als lästige Pflicht angesehen – das Warten bei der Arbeitsagentur. Wer sich aktiv
auf die Gespräche vorbereitet, kann aber meistens profitieren.
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Wer sich die Mühe macht, über solche
Gespräche und andere Aktivitäten bei der
Arbeitsplatzsuche kurze schriftliche Vermerke (Datum, Uhrzeit, Gespräch mit ....
wegen ..... Ergebnis .... Verbleib ..... etc.)
anzufertigen, wird auch sein Gegenüber
beim Amt überzeugen. Wer allerdings immer nur „beabsichtigt“, solche Aktivitäten
zu entfalten („morgen fange ich an!“),
wird vielleicht eine handfeste Anzahl an
„Beweisen“ beibringen müssen.
Solche engen Vorgaben, die der
„Kunde“ ja schließlich mit seiner Unterschrift unter den Eingliederungsvertrag
akzeptiert, sind später gegebenenfalls
die Grundlage für eine Sanktion bzw.
Sperrzeit, wenn nämlich die geforderten
Mitwirkungsbeweise nicht beigebracht
vermittelt, hinreichend Eigenaktivitäten
zu entwickeln und diesem Gebot auch
nach mehrfachen Aufforderungen nicht
nachkommt, kann mit einer Sperrzeit gerechnet werden. Dies ist aber immer ein
Verwaltungsakt, der mit einem Bescheid
schriftlich zugeht und gegen den man
Rechtsmittel, in der Regel Widerspruch
einlegen kann. Und diese haben ziemlich
häufig Aussicht auf Erfolg, besonders
dann, wenn man hinreichend Bemühungen nachweisen kann.
Arbeit unter Niveau
Wenn jemand von der Arbeitsagentur
schon nach kurzer Arbeitslosigkeit Stellen
zugewiesen bekommt, für die er über-
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qualifiziert ist, so ist dies zwar nicht gängige Praxis, aber grundsätzlich möglich. Einen Berufsschutz, so wie er vor einigen
Jahren bei ALG-I-Beziehern noch galt,
gibt es nicht mehr. Es muss grundsätzlich
jede zumutbare Arbeit angenommen
werden. Im Gesetz liest sich das so: „Eine
Beschäftigung ist nicht schon deshalb
unzumutbar, weil sie befristet ist, vorübergehend eine getrennte Haushaltsführung erfordert oder nicht zum Kreis der
Beschäftigungen gehört, für die der Arbeitnehmer ausgebildet ist oder die er
bisher ausgeübt hat.“(§ 121 Abs. 5 SGB
III) Damit ist eine Herunterqualifizierung
der Arbeitsuchenden grundsätzlich und
jederzeit möglich. Aber auch in diesem
Zusammenhang lohnt sich fast immer
das Gespräch mit dem persönlichen Ansprechpartner in der Agentur, um ihn davon zu überzeugen, dass es für alle Beteiligten sinnvoller ist, zunächst im angestrebten bzw. erlernten Beruf Stellen zu
suchen bzw. zuzuweisen. Auch die Arbeitsagentur ist bei übereilten Dequalifizierungen zurückhaltend. Sie will ihre
Kunden grundsätzlich so gut wie möglich
vermitteln, um nicht Gefahr zu laufen,
dass der gestern Vermittelte schon morgen wieder vor der Tür steht.
Wer damit keinen Erfolg hat, sollte sich
nicht scheuen, Widerspruch einzulegen
und sich z. B. auf die Vermittlungsgrundsätze nach § 35 Abs. 2 SGB III berufen,
nach dem die vorschnelle Herabstufung
nur sehr zurückhaltend vorgenommen
werden darf. (vgl. hierzu Leitfaden für
Arbeitslose von 2010 S. 143 ff.).
Gehalt unter Niveau
In den ersten drei Monaten nach Eintritt
der Arbeitslosigkeit müssen auch Stellen
angetreten werden, bei denen man bis
zu 20 % weniger verdient. Anschließend
geht es dann munter weiter abwärts. Ab
dem vierten Monat sind Abschläge von
bis zu 30 % zu verkraften und ab dem
siebten Monat heißt die Faustregel: Das
Nettoeinkommen muss dem Arbeitslosengeld entsprechen, und schon muss
ein Job von der Einkommensseite betrachtet akzeptiert werden.
Das mögen manche Betroffene als
ungerecht oder zumindest als höchst
unattraktiv betrachten, besonders angesichts der Tatsache, dass sie womöglich
jahre- oder jahrzehntelang Zwangsbeiträge in die Arbeitslosenversicherung
gezahlt haben. Wie bei anderen Versicherungsverträgen ist man schnell geneigt, auch einmal davon profitieren zu
wollen und solche Arbeitsplatzangebote
als nicht zumutbar abzulehnen. Solche
Härte ist aber nicht die Regel und kommt
wohl eher dann zum Zuge, wenn die
Mitwirkungsbemühungen generell als
unterentwickelt eingeschätzt werden.
Nicht zumutbar sind nach gängiger
Rechtssprechung übrigens 400 EuroJobs. Im Gegensatz zu ALG-II-Beziehern,
die diese annehmen müssen, bleiben
ALG-I-Bezieher von dieser Verpflichtung
verschont.
Und es lohnt sich, das erzielbare Nettoentgelt einer zukünftigen Arbeitsstelle
genau zu berechnen, um die Zumutbarkeit des Stellenantritts bewerten zu
können. Dabei können nämlich noch
Werbungskosten (z. B. Fahrtkosten) vom
erzielbaren Nettoeinkommen abgezogen
werden, da diese ja bei Arbeitsaufnahme
tatsächlich anfallen würden.
Vereitlung von Arbeitsaufnahme
Es gibt Vorschläge zur Arbeitsaufnahme,
die die Agentur für Arbeit entsprechend
dem Qualifikationsprofil herausfiltert und
dem Arbeitsuchenden umgehend anbietet. Eigentlich der Idealfall. Aber die Realität sieht manchmal etwas weniger rosig
aus. Der angebotene Job ist schlechter
bezahlt, weit unter der Qualifikation, weit
weg und bei einem Arbeitgeber, mit dem
man nicht so gut kann. Angesichts der
drohenden Sperrzeiten bei Ablehnung
des Jobs, kommen manche auf die Idee,
sich im Rahmen des Bewerbungsverfahrens so zu verhalten, dass der Arbeitgeber von sich aus lieber auf die Arbeitsaufnahme verzichtet. Er will eben auch nie-
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manden, der völlig uninteressiert ist, der
nur kommt, weil er das muss, aber deutlich macht, dass er diesen Job nicht will.
Dieses Spiel wird von den Arbeitgebern
schnell durchschaut und ggfs. sogar offen
– natürlich unter vier Augen – angesprochen. Von solchen Fällen wird gerne berichtet, wahrscheinlich aber öfter als sie
tatsächlich passieren. Die Arbeitsverwaltung weiß um diese Tücke und kann ein
solches Verhalten, sofern es erkannt wird,
auch mit Sperrzeiten wegen „Vereitlung
von Arbeitsaufnahme“ ahnden. Dazu
werden nicht selten die Arbeitgeber zum
Verhalten der Kandidaten in den Vorstellungsgesprächen befragt.
Damit es gar nicht erst so weit kommt,
sollte man zunächst prüfen, ob es nicht
ganz akzeptable „wichtige Gründe“ für
die Ablehnung eines unzumutbaren
Arbeitsplatzangebotes gibt. Das können
frühere arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen mit dem potenziellen Arbeitgeber sein, vielleicht sogar unzumutbare
Arbeitsbedingungen oder auch familiäre
Gründe. Solche begründeten Ablehnungen werden vom Amt selbst bei aller Berechtigung natürlich nicht ohne weiteres
akzeptiert, sondern bedürfen der ausführlichen Begründung und nicht selten
des Widerspruchs nach ablehnendem
Bescheid. Dann aber sind meistens besser geschulte Sachbearbeiter mit dem
Vorgang betraut, die nicht nach Schema
entscheiden, sondern mit etwas mehr
Hintergrund.
Fern der Heimat
Wer einen Job zugewiesen bekommt, der
deutlich weiter entfernt ist als der bisherige, muss dies unter Umständen in Kauf
nehmen. Was zählt, ist mal wieder die
Zumutbarkeit, die in diesem Fall recht
eindeutig geregelt ist. Bis zu 2,5 Stunden
Tagespendelzeit gelten bei einer Beschäftigung von mehr als sechs Stunden pro
Tag als zumutbar. Unter sechs Stunden
sind es immer noch zwei Stunden. Das
bedeutet für Teilzeitkräfte eine zunehmend unannehmbare Härte. Wer z.B. nur
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drei Stunden am Tag auswärts arbeitet,
muss dafür max. weitere zwei Stunden
An- und Abfahrt auf sich nehmen. Unter
bestimmten Voraussetzungen können
aber zur Förderung der Arbeitsaufnahme
die Fahrtkosten (max. sechs Monate)
durch die Arbeitsagentur übernommen
werden.
Umzug
Gibt es im Tagespendelbereich nachweislich keine Jobs, kann ein Umzug
grundsätzlich als zumutbar gelten. Allerdings nicht bei von vornherein befristeten
Beschäftigungen.
Die Kosten dafür können (also kein
Anspruch!) im Rahmen der Förderung
aus dem Vermittlungsbudget erstattet
werden (§ 121 Abs. 4 SGB III ). Allerdings
gibt es bei familiärer Bindung durchaus
„wichtige Gründe“, mit denen ein Umzug als unzumutbar abgelehnt und eine
Sperrzeit abgewendet werden kann. Der
Schutz von Ehe und Familie wird dabei in
der Regel als das höherwertigere Gut bei
der rechtlichen Abwägung eingeschätzt.
Fördern und Fordern
Im Rahmen der Vermittlungs- und Beratungsgespräche, besonders bei länger
andauernder Arbeitslosigkeit, werden in
der Regel Eingliederungsvereinbarungen
geschlossen. Diese sind eine Art Vertrag
auf Gegenseitigkeit und kein einseitiges
Diktat. Wenn dort nur Forderungen an
den „Kunden“ formuliert werden, so sollte man als solcher vor der Unterschrift
nachfragen, wie man sich seitens der
Agentur die individuelle Förderung vorstelle und um entsprechende Vorschläge
und Eintragungen bitten. Dann wird gerne die Nutzung der gesamten Infrastruktur der Arbeitsverwaltung inklusive der
Jobvermittlung angeführt. Da diese aber
offensichtlich bisher nicht erfolgreich war
– sonst säße man ja nicht mehr zusammen –, sollte man sich damit nicht zufrieden geben. Interessanter wären zum
Beispiel gemeinsame Aktivitäten zur Po-
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tenzialanalyse und zum Profiling, evtl.
mit Hinweisen auf hauseigene Seminare
oder externe Fortbildungen. Noch besser
kann es laufen, wenn man als Betroffener etwas vorrecherchiert hat und konkrete Vorschläge unterbreitet wie z.B. die
Möglichkeiten, einen Bildungsgutschein
für einen selbst ausgewählten BusinessEnglish-Kurs im Sinne der Qualifizierung
zu beantragen. Wer dann einen passenden förderfähigen Fortbildungskurs vorstellen kann, sollte seinen Vermittler davon überzeugen. Das kann mühsam
werden, denn es ist und bleibt Ermessenssache des Vermittlers, ob er sich
darauf einlässt oder nicht. Wenn man
dabei trotz guter Argumente gegen Beton redet, sollte man sich die Ablehnung
des Bildungsgutscheins schriftlich geben
lassen. Dann hat man die Möglichkeit,
dagegen Widerspruch einzulegen und
mit ausführlicher Begründung evtl. eine
neue Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Also kann sich auch hier Hartnäckigkeit auszahlen.
Training ohne Wert
Wer sich dagegen wenig kümmert um
die eigene weitere Qualifizierung, der
läuft Gefahr, in absurden Bewerbungstrainings zusammen mit einem Querschnitt der Gesamtarbeitslosen geparkt
zu werden. Nicht, dass man dort nichts
lernen könnte, aber die Zusammensetzung solcher Kurse ist teilweise so haarsträubend heterogen, dass gemeinsamer
Unterricht kaum möglich ist. Und das hat
System, da solche Kandidaten damit offiziell aus der Statistik sind, und wenn
auch nur für ein paar Wochen. Und wer
sich weigert an solchen Veranstaltungen
teilzunehmen oder diese abbricht, der
spürt schnell die Strafe in Form von
Sperrzeiten. Die Unzumutbarkeit einer
solchen Maßnahme nach der Ermessensentscheidung des Arbeitsvermittlers
anzumahnen ist meistens nur mit hohem Aufwand möglich, aber nicht aussichtslos. Das Hessische Landessozialgericht befand z.B. 2003, dass eine Trai-
ningsmaßnahme immer dann als nicht
zumutbar gelte, wenn mehr als die Hälfte des Unterrichtsinhaltes den Teilnehmenden krass unterfordere. (in info also
2004 S. 160). Besser ist es also, im Vorfeld gemeinsam geeignetere Maßnahmen zu finden oder andere Strategien
vorzuschlagen. Wer dagegen passiv
bleibt, findet sich eher in solchen Maßnahmen als jemand, der Pläne mitbringt,
Ideen hat und aktiv ist.
LITERATURTIPPS
Arbeitslosenprojekt TuWas (Hrsg.):
Leitfaden für Arbeitslose – Der
Rechtsratgeber zum SGB III . Dieser
Ratgeber richtet sich an Arbeitslosengeld-I-Bezieher. Mit zahlreichen Erläuterungen zum Thema Mitwirkung, Zumutbarkeit und Sperrzeiten inkl. Musterbriefen für Widersprüche etc. Fachhochschulverlag Frankfurt/M. 2010,
700 S. 15,00 Euro
Arbeitslosenprojekt TuWas (Hrsg.):
Leitfaden zum Arbeitslosengeld II –
Der Rechtsratgeber zum SGB II. Dieser Ratgeber richtet sich an Arbeitslosengeld-II-Bezieher. Ebenfalls gespickt
mit Fallbeispielen, Gerichtsurteilen
und Tipps „von unten“.
Rolf Winkel, Hans Nakielski: 111
Tipps für Arbeitslose – Arbeitslosengeld I – BUND Verlag, 13 Auflage 2011
mit zahlreichen Geld werten Tipps
Rolf Winkel, Hans Nakielski: 111 Tipps
zu Arbeitsklosengeld II und Sozialgeld,
BUND Verlag, 4. Auflage 2011, und
hier die Version für ArbeitslosengeldII-Empfänger
Info also; Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht, mit
aktuellen
Rechtsentscheidungen,
Kommentaren und Standpunkten; erscheint als Zeitschrift sechs mal jährlich im Nomos Verlag, Jahresabo:
48,00 Euro (30,00 Euro für Studierende)
arbeitsmarkt BILDUNG | KULTUR | SOZIALWESEN_18|2011