Zahlungsverkehr und Bankkonten in der Insolvenz
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Zahlungsverkehr und Bankkonten in der Insolvenz
Antje Dietsch Zahlungsverkehr und Bankkonten in der Insolvenz Institut für Deutsches und Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht an der Universität Leipzig Autor: Stand der Arbeit: Antje Dietsch Juli 2004 Veranstaltung: Rechtsfragen des Bankvertrages, insbesondere des bargeldlosen Zahlungsverkehrs Seminar an der Ostdeutschen Sparkassenakademie Potsdam vom 14. bis 16. Juli 2004 Herausgeber: Institut für Deutsches und Internationales Bank- und Kapitalmarktrecht Burgstraße 27 (Petersbogen) 04109 Leipzig Direktoren: Prof. Dr. Franz Häuser / Prof. Dr. Reinhard Welter Zitiervorschlag: Dietsch, Antje, Zahlungsverkehr und Bankkonten in der Insolvenz, http://www.uni-leipzig.de/bankinstitut/dokumente/2004-07-16-01.pdf Umsetzung: Gunther Thomas / Anja Hennig / Vladimir Primaczenko / Ralf Herzog http://www.uni-leipzig.de/bankinstitut/ II LITERATURVERZEICHNIS Bork, Reinhard Die Rolle der Banken in der vorläufigen Insolvenz, ZBB 2001, 271 ff. Claussen, Carsten Peter Erne, Roland Bank- und Börsenrecht, 2. Auflage, München 2000 - zit.: Claussen, Bank- und Börsenrecht § ... Rn. ... Gößmann, Wolfgang van Look, Frank Die Banküberweisung nach dem Überweisungsgesetz, WM 2000, Sonderbeilage Nr. 1 - zit.: Gößmann/van Look, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 1, S. ... Hadding, Walther Anmerkung zu BGH, Urt. v. 15.6.1987 - WuB I D 2. 3.87 Häsemeyer, Ludwig Insolvenzrecht, 3. Auflage, München 2003 Häuser, Franz Vortrag auf dem Insolvenzrechtstag/Halle, Zahlungsverkehr in der Insolvenz, o.O., o.J. - zit.: Häuser, Zahlungsverkehr, S. ... Anmerkung zu OLG Hamm, Urt. v. 22.1.1985 WuB I D 2. 7.85 Heublein, Gerrit Gutschriften in der Krise - ein insolvenzfester Glücksfall oder anfechtbare Scheindeckung, ZIP 2000, 161 ff. Köndgen, Johannes Die Entwicklung des privaten Bankrechts in den Jahren 1999 - 2003, NJW 2004, 1288 ff. Kübler, Bruno Der Einfluß der Konkurseröffnung auf den Überweisungsverkehr des Gemeinschuldners, BB 1976, 801 ff. Kümpel, Siegfried Bank- und Kapitalmarktrecht, 3. Auflage, Köln 2004 Neuhof, Rudolf Kurzkommentar zu BGH, Beschl. v. 21.3.1995 - XI ZR 189/94, EWiR § 1 KO 1/95 Obermüller, Manfred Insolvenzrecht in der Bankpraxis, 6. Auflage, Köln 2002 - zit.: Obermüller, InsolvenzR Die Verrechnung von Zahlungseingängen und Zahlungsausgängen im Vorfeld der Insolvenz des Kontoinhabers, ZInsO 1999, 324 ff. Auswirkungen der Insolvenz des Bankkunden auf die Kontobeziehung und den Zahlungsverkehr, ZInsO 1998, 252 ff. III Paulus, Christoph Anmerkung zu BGH, Urt. v. 7.3.2002 - IX ZR 223/01, WuBVI B. § 59 KO 1.95 Schimansky, Herbert Bunte, Hermann-Josef Lwowski, Hans-Jürgen Bankrechts-Handbuch, 2. Auflage, München 2001, Band I - zit.: Autor in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § ... Rn. ... Schwintowski, HansPeter Schäfer, Frank A. Bankrecht Commercial Banking - Investment Banking, 2. Auflage, Köln u.a. - zit.: Schwintowski/Schäfer, BankR, § ... Rn. ... Smid, Stefan Anmerkung zu BGH, Urt. v. 25.2.1999 - IX ZR 353/98, WuB VI G. § 2 GesO 2.99 Steinhoff, Judith Die insolvenzrechtlichen Probleme im Überweisungsverkehr, ZIP 2000, 1141 ff. Tappmeier, Klaus Kurzkommentar zu BGH, Urt. v. 25.2.1999 - IX ZR 353/98, EWiR § 2 GesO 1/99 Uhlenbruck, Wilhelm Die Pflichten des Geschäftsführers einer GmbH oder GmbH & Co. KG in der Krise des Unternehmens, BB 1985, 1277 ff. Wessels, Peter Die Saldoklage, WM 1997, 1509 ff. IV GLIEDERUNG A. EINLEITUNG.................................................................................................................................1 I. Fragestellung................................................................................................................................1 II. Abgrenzung..................................................................................................................................2 III. Gang der Untersuchung.............................................................................................................3 B. BANKKONTEN IN DER INSOLVENZ .....................................................................................3 I. Das Verhältnis zwischen Kontoinhaber als Insolvenzschuldner und Bank ............................3 1. Giroverhältnis..........................................................................................................................3 a) Erlöschen des Giroverhältnisses......................................................................................3 b) Nachwirkungen des Giroverhältnisses - Zahlungseingänge nach Eröffnung .................................................................................................................................3 c) Neue Girokonten ................................................................................................................4 (1) Gemeinschuldner..........................................................................................................4 (2) Insolvenzverwalter.........................................................................................................5 2. Kontokorrentverhältnis...........................................................................................................5 a) Kausaler Saldo und dessen Vorausabtretung................................................................6 b) Ver- und Aufrechnung neu eingehender Zahlungen .......................................................7 II. Die Auswirkungen der Insolvenz auf den Zahlungsverkehr mit Dritten..................................7 1. Überweisungsverkehr in der Insolvenz nach dem Überweisungsgesetz.........................7 a) Nicht abgewickelte Überweisungsverträge ....................................................................8 (1) Insolvenzfestigkeit.........................................................................................................8 (2) Kündigungsrechte beider Seiten................................................................................8 b) Neue Überweisungsverträge nach Verfahrenseröffnung...............................................9 (1) Die bösgläubige Bank .................................................................................................9 (2) Gefahr in Verzug oder Gutgläubigkeit der Bank ....................................................10 (a) Gefahr in Verzug ....................................................................................................10 (b) Gutgläubigkeit der Bank ....................................................................................... 10 (3) Übersicht zu dem Erstattungsanspruch der Bank bei Überweisungen des Insolvenzschuldners nach Eröffnung - Lösung Fall 1 12 c) Überweisungseingänge für den Insolvenzschuldner ...................................................14 2. Lastschrift in der Insolvenz..................................................................................................14 a) Die berechtigte Lastschrift - Fall 2................................................................................ 15 b) Die unberechtigte Lastschrift .........................................................................................17 c) Lastschrift zugunsten des Insolvenzschuldners............................................................17 3. Anfechtbarkeit von Verrechnungen beim Kontokorrentkredit.........................................18 a) Die Verrechnung von Zahlungseingängen...................................................................19 (1) Inkongruente oder kongruente Deckung bei laufendem Kontokorrentkredit?.........................................................................................................19 (a) § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.........................................................................................19 (b) § 130 Abs. 1 InsO..................................................................................................20 (2) Bargeschäft bei Kenntnis der Bank und zeitnaher Belastung zugunsten Dritter.............................................................................................................. 21 b) Die Differenz der Tagessalden .....................................................................................21 c) Lösung Fall 3 ...................................................................................................................22 V C. ZUSAMMENFASSUNG ...........................................................................................................22 1 A. Einleitung I. Fragestellung • Fall 1: Ein Einzelkaufmann, Insolvenzverfahren eröffnet über ist, dessen überredet Vermögen den das befreundeten Bankangestellten, trotz der Eröffnung noch eine Überweisung auf das Konto der Freundin über 20.000 Euro auszuführen. Die Freundin weiss nämlich nichts von der Insolvenz und soll bei Laune gehalten werden. Die Freundin verbraucht das Geld sofort beim Glücksspiel. Die Bank belastet das Konto des Einzelkaufmanns mit dem Überweisungsbetrag. Der Insolvenzverwalter fordert empört, die Belastung rückgängig zu machen. Die Bank möge sich das Geld bei der Freundin zurückholen. • Fall 2: Der Insolvenzverwalter einer GmbH widerruft eine Lastschrift, mit der die Stadtwerke drei Tage vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens 10.000 Euro (das Entgelt für die Gaslieferung des vergangenen Jahres) eingezogen haben. Die Bank führt den Widerruf aus, die Stadtwerke wollen jetzt die Differenz aus der Quote und ihrem Anspruch vom Insolvenzverwalter zurückhaben. • Fall 3: Ebendieser Insolvenzverwalter verlangt von der Bank Zahlung in Höhe von 90.000 Euro: Die Bank hatte kurz vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dieser Höhe eingehende Zahlungen mit dem in Anspruch genommenen Kontokorrentkredit verrechnet. Diese wenigen Beispiele machen deutlich, worum es in dieser Arbeit gehen soll: Welche Insolvenzverfahrens auf Auswirkungen den hat Bankvertrag, die Eröffnung des insbesondere auf Überweisungsverträge und Lastschriften? Der praktische Stellenwert dieser Fragen ist enorm. Das liegt zum einen daran, dass auch wegen der vermehrt genutzten Verbraucherinsolvenz1 die Zahl der Insolvenzverfahren steigt. Zum anderen gibt es kaum einen Insolvenzschuldner, der keinen Bank-, insbesondere keinen Girovertrag hat2. 1 2 §§ 304 - 314 InsO. So schon Kübler für das Jahr 1976 in BB 1976, 801. 2 II. Abgrenzung Die vielfältigen Probleme des Bankvertrages im Zusammenhang mit einer Insolvenz füllen Bände. Hier soll sich nur auf Ausschnitte konzentriert werden. Zum einen soll der Augenmerk nur auf einer Art von Bankkonten liegen: dem Girokonto (§ 676 f BGB), über das auch ein eingeräumter Dispositionskredit abgewickelt wird. Andere Kontenarten, insbesondere Spar- oder Darlehnskonten bleiben ausgeklammert. Auch Anderkonten und andere Treuhandkonten3 werden nicht besprochen, ebensowenig Gemeinschaftskonten (und/oder-Konten). Bei den Fragen zur Überweisung wird nur die Rechtslage nach dem Überweisungsgesetz untersucht. Überweisungen i.S.v. § 676 c BGB müssen unbeachtet bleiben. Bei der Lastschrift wird nur das Einzugsermächtigungsverfahren besprochen. Denn das lastschriftspezifische Problem in der Insolvenz ist der Widerspruch des Insolvenzverwalters. Der Widerspruch ist nur im Einzugsermächtigungsverfahren überhaupt denkbar. Schließlich muss der Begriff der Insolvenz konkretisiert werden. Ein Schuldner kann insolvent sein, ohne dass ein Insolvenzverfahren eröffnet ist. Hier soll es weder um die Krise (die Dreiwochenfrist des § 64 Abs. 1 GmbHG nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und die Zeit nach Ablauf der Dreiwochenfrist)4 gehen noch um das Eröffnungsverfahren. Vielmehr steht die Rechtslage nach Eröffnung des Verfahrens im Mittelpunkt. Naturgemäß bildet der Abschnitt über die Anfechtung (B.II.3.) eine Ausnahme. Diese Anfechtung setzt zwar eine Eröffnung voraus. Aber es stehen Rechtsgeschäfte in Frage, die vor Eröffnung abgewickelt wurden. Aber auch bei der Anfechtung wird nur ein Teilbereich besprochen, die Anfechtung von Verrechnungen bei debitorischen Girokonten5. 3 4 5 Zu neueren Entscheidungen über Treuhandkonten in der Insolvenz: Köndgen, NJW 2004, 1288, 1293. Insolvenzrechtlicher Krisenbegriff, z.B. bei Häsemeyer, Rn. 21.48; auch zu den übrigen Krisenbegriffen: Uhlenbruck, BB 1985, 1277. Zum gegensätzlichen Fall, den kreditorischen Konten: Obermüller, ZInsO 1999, 324, 326 - 327. 3 III. Gang der Untersuchung Dem Problemkreis Bankkonto und Insolvenz wird sich genähert, indem die Auswirkungen der Verfahrenseröffnung auf Giro- und Kontokorrentverhältnis betrachtet werden. Denn die Auswirkungen im „Innenverhältnis“ zwischen Kontoinhaber und Bank bestimmen alle weiteren Rechte von Involvenzverwalter und Dritten. Dieser Abschnitt soll die Aufgaben eines allgemeinen Teils erfüllen. Sodann wird untersucht, wie Dritte betroffen sind. Denn das Girokonto ist Abwicklungsinstrument für Zahlungen. Konkret erfolgt diese Abwicklung typischerweise durch Überweisung und Lastschrift. Damit ist auch der weitere Aufbau vorgegeben. Schließlich wird sich noch den schwierigen Problemen gewidmet, die das debitorische Girokonto, über das ein Kontokorrentkredit abgewickelt wird, bei Zahlungseingängen im Vorfeld einer Insolvenz mit sich bringt. B. Bankkonten in der Insolvenz I. Das Verhältnis zwischen Kontoinhaber als Insolvenzschuldner und Bank 1. Giroverhältnis a) Erlöschen des Giroverhältnisses Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Giroverhältnis - §§ 115, 116 InsO6. Dazu bedarf es keinerlei Willenserklärungen eines der Beteiligten, die Wirkung tritt vielmehr kraft Gesetzes „von selbst“ ein. b) Nachwirkungen des Giroverhältnisses - Zahlungseingänge nach Eröffnung Allerdings kann das erloschene Giroverhältnis noch Nachwirkungen haben. Ein Beispiel ist der Zahlungseingang nach Eröffnung. Dann stellt sich die Frage, ob im Verhältnis zum Insolvenzverwalter eine Annahmepflicht besteht und wie der Eingang buchungstechnisch zu behandeln ist. Denkbar ist, dass es eine nachwirkende Verpflichtung aus dem vorangegangenem 6 Giroverhältnis gibt, den Zahlungseingang Obermüller, InsolvenzR, 2.53; Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 5 Rn. 94, BGH, WM 1991, 60, 61. 4 entgegenzunehmen7. Andererseits kann es aber auch eine kollidierende Pflicht geben, dem Absender mitzuteilen, dass das Konto erloschen ist8. Die Bank hat diese beiden Pflichten gegeneinander abzuwägen. Deshalb besteht nach richtiger Auffassung eine generelle Annahmepflicht nicht9. Eine andere Frage ist, ob die Bank das Recht hat, den Zahlungseingang entgegenzunehmen. Das wird allgemein bejaht 10. Denn dadurch schützt die Bank die Interessen insbesondere der Masse am besten11. Gegenüber dem Insolvenzschuldner und Insolvenzverwalter ergibt sich dieses Recht nachwirkend aus dem Girovertrag12. Nimmt die Bank Überweisungen entgegen, macht sie sich deswegen jedenfalls nicht schadenersatzpflichtig gegenüber dem Insolvenzschuldner 13. Nimmt die Bank an, dann kann mangels Giroverhältnisses nicht mehr gutgeschrieben werden (seltener Ausnahmefall: §§ 115 Abs. 2 S. 1, 116 InsO - Gefahr in Verzug). Sie hat den Zahlungseingang aber dem Insolvenzverwalter für die Masse herauszugeben (nachwirkende Pflicht aus dem Giroverhältnis 14). Es ist deshalb entweder ein CpD zu verwenden15 oder es ist auf dem vom Insolvenzverwalter fortgeführten Girokonto (dazu B.I.1.c)(2)) zu verbuchen. c) Neue Girokonten (1) Gemeinschuldner Indem das bisherige Giroverhältnis erlischt, verliert der Insolvenzschuldner die Möglichkeit, am bargeldlosen Zahlungsverkehr teilzunehmen. Er kann aber ein neues Giroverhältnis begründen16, das dann nicht Gegenstand des Insolvenzverfahrens ist17. Es ist eigentlich ausgeschlossen, dass dem Insolvenzschuldner aus diesem Giroverhältnis neue Verbindlichkeiten gegenüber der Bank erwachsen. 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 Kübler, BB 1976, 801, 802. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 9, 10. Obermüller, InsolvenzR, 3.85. BGH, EWiR § 1 KO 1/95 m. Anm. Neuhof = WM 1995, 745; Paulus, WuB VI B. § 59 KO 1.95. Obermüller, InsolvenzR, 3.85; ders. in ZInsO 1998, 252, 256. BGH, EWiR § 1 KO 1/95 m. Anm. Neuhof. = WM 1995, 745; Paulus, WuB VI B. § 59 KO 1.95. LG Nürnberg-Fürth, WM 1977, 852, 853, 854 für gekündigtes Girokonto. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 10. Kübler, BB 1976, 801, 802. Obermüller, InsolvenzR, 2.140. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 22. 5 Denn die Bank wird dem Insolventen einen Überziehungskredit weder einräumen noch die Überziehung dulden. Entstehen gleichwohl Verbindlichkeiten, haftet die Masse dafür nicht18, auch nicht mit der Quote. Erwirbt der Insolvenzschuldner aus einem solchen neuen Giroverhältnis aber Ansprüche gegen die Bank, dann stehen diese der Masse zur Verfügung (§ 35 2. Variante InsO) 19. (2) Insolvenzverwalter Der Insolvenzverwalter kann völlig unproblematisch ein eigenes Giroverhältnis zur bisherigen Bank des Insolvenzschuldners begründen20. Das kann dadurch geschehen, dass er ein neues Konto „eröffnet“. Nachteil eines solchen Vorgehens ist, dass nunmehr alle Schuldner und eventuellen (Lastschrift)Gläubiger über die neue Kontoverbindung informiert werden müssen. Weniger fehleranfällig ist es, wenn der Insolvenzverwalter einfach das bisherige Girokonto des Insolvenzschuldners weiterbenutzt. Das ist ihm nicht verwehrt, dann kommt zwischen ihm und der Bank (konkludent) ein neues Giroverhältnis zustande21. Verbindlichkeiten, die der Insolvenzverwalter gegenüber der Bank aus dem neuen Giroverhältnis eingeht, sind Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. 2. Kontokorrentverhältnis Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens endet das Kontokorrentverhältnis kraft gesetzlicher Anordnung (§§ 115, 116 InsO)22 zusammen mit dem Giroverhältnis. Auf die Kenntnis der Bank kommt es nicht an, §§ 115 Abs. 2, 3, 116 InsO gelten nicht23. Führt der Insolvenzverwalter ein Girokonto des 18 19 20 21 22 23 Insolvenzschuldners fort, entsteht deshalb ein neues Obermüller, InsolvenzR, 2.140. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 22. Zu eventuellen Beschränkungen durch Gläubigerversammlung oder Gläubigerausschuss: Obermüller, InsolvenzR, 2.141 - 2.147. Claussen, Bank - und Börsenrecht, § 5 Rn. 94; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 22, Obermüller, InsolvenzR, 2.149, ders. in ZInsO 1998, 252, 254. Obermüller, InsolvenzR, 2.55; Claussen, Bank- und Börsenrecht, § 5 Rn. 75; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3.56; a.A. Kübler, BB 1976, 801; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1142 m.w.N.: Beendigung wegen Unvereinbarkeit mit Insolvenzverfahren. Obermüller, InsolvenzR, 2.55; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 9. 6 Kontokorrentverhältnis24. Ein dem Insolvenzschuldner eingeräumter Kontokorrentkredit geht nicht auf den Insolvenzverwalter über25. a) Kausaler Saldo und dessen Vorausabtretung Mit dem Ende des Kontokorrents entsteht die sogenannte kausale Saldoforderung26. Das ist der rechnerische Überschuss, der sich bei Verrechnung der Zahlungseingänge und -ausgänge im Kontokorrent am Ende ergibt. Der kausale Saldo kann selbst Gegenstand einer Klage sein, auf die Einzelforderungen muss der Kläger im Nichtbestreitensfall nicht eingehen27. Allerdings verlieren die Einzelforderungen ihre rechtliche Selbständigkeit nicht28. Das zeigt folgendes insolvenzbezogenes Beispiel: Ergibt sich ein Schlusssaldo zugunsten des Insolvenzschuldners, so fällt dieser Anspruch in die Masse29, er steht also nicht mehr dem Insolvenzschuldner zur Verfügung, sondern kann nur noch vom Insolvenzverwalter im Gläubigerinteresse geltend gemacht werden. Praktisch wird der Anspruch aus dem kausalen Saldo vorweg zur Sicherung anderer Verbindlichkeiten abgetreten worden sein30 (entweder an die Bank selbst im Wege der Globalzession oder an Dritte, z.B. bei einem verlängerten Eigentumsvorbehalt). Erstreckt sich die Vorausabtretung aber überhaupt auf den kausalen Saldo? Dagegen könnte sprechen, dass dieser erst nach Erlöschen des Kontokorrentverhältnisses, also nach Insolvenzeröffnung entsteht31. Ansprüche, die nach Eröffnung entstehen, standen nie dem Insolvenzschuldner zu, sondern von vornherein nur der Masse. Deshalb könnte zweifelhaft sein, ob der Insolvenzschuldner sie vorab überhaupt abtreten konnte. 24 25 26 27 28 29 30 31 Obermüller, InsolvenzR, 2.149. BGH, WM 1991, 60. 61. Claussen, Bank - und Börsenrecht, § 5 Rn. 74; Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3.56; Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 10. Wessels, Die Saldoklage, WM 1997, 1509, 1513. Ähnlich wie im Fall des nicht anerkannten Saldos, dazu BGHZ 49, 25, 26. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3.56. So z.B. im Fall BGHZ 70, 87 ff. Anders Obermüller, InsolvenzR, 2.58: der Saldo entsteht nicht nach, sondern mit Verfahrenseröffnung. 7 Allerdings hat der BGH32 zurecht entschieden, dass dieser kausale Saldo Gegenstand der Vorausabtretung ist. Denn mit dem kausalen Saldo wird nichts anderes als die Einzelforderungen, die ja ihrerseits vor Eröffnung entstanden, geltend gemacht 33. Die Saldierung führt nicht zur Novation. Häufiger wird sich aber ein Sollsaldo ergeben. Diese Forderung ist nicht bevorrechtigt, sondern (falls nicht besichert) einfache 34 Insolvenzforderung . b) Ver- und Aufrechnung neu eingehender Zahlungen Gehen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens neue Zahlungen ein, dann ergibt sich aus dem nachwirkenden Giroverhältnis, ob diese entgegenzunehmen sind (dazu B.I.1.b)). Das Giroverhältnis sagt aber nichts über die Verrechenbarkeit aus. Vielmehr ergibt sich erst aus dem Ende des Kontokorrentverhältnisses, dass die Bank Eingänge nicht mehr verrechnen darf. Sie hat die Zahlungen vielmehr an den 35 Insolvenzverwalter auszukehren . Für die Bank ist diese Rechtslage besonders unangenehm, wenn der Kontostand im Soll ist. Sie muss den Eingang herausgeben, ohne ihre Ansprüche verringern zu können. Es könnte deshalb daran gedacht werden, mit der Tabellenforderung „kausaler Saldo“ gegen den Herausgabeanspruch aufzurechnen. Daran ist die Bank aber nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO gehindert36, denn die Bank hat Ansprüche aus dem kausalen Saldo erst nach Eröffnung erworben. II. Die Auswirkungen der Insolvenz auf den Zahlungsverkehr mit Dritten 1. Überweisungsverkehr in der Insolvenz nach dem Überweisungsgesetz In B.I.1.a) wurde festgestellt, dass durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Giroverhältnis endet. Damit können nach 32 33 34 35 36 BGHZ 70, 87, 93; zustimmend Schwintowski/Schäfer, BankR, § 7 Rn. 95. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 3.56. Obermüller, InsolvenzR, 2.59. Schwintowski/Schäfer, BankR, § 7 Rn. 95, BGHZ 74, 253, 255. BGHZ 74, 253, 255, 256; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 11. 8 Eröffnung keine neuen Überweisungsverträge durch den 37 Insolvenzschuldner mehr geschlossen werden . a) Nicht abgewickelte Überweisungsverträge (1) Insolvenzfestigkeit Allerdings bestehen vor Eröffnung geschlossene Überweisungsverträge die noch nicht ausgeführt wurden, kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung (§ 116 S. 3 InsO) mit Wirkung für die Masse fort38. Für die Bank bedeutet das: Sie hat die Überweisung auszuführen, kann dann aber Aufwendungsersatz von der Masse verlangen (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 2. HS. InsO)39. Allerdings kann die Bank auf dem Girokonto keine Belastung mit dem Überweisungsbetrag mehr buchen 40, denn das Giroverhältnis ist erloschen. Sie kann aber bei einem Guthaben auf dem Girokonto gegen den Auszahlungsanspruch des Insolvenzverwalters mit ihrem Ersatzanspruch aufrechnen. Die Aufrechnungsverbote der InsO können das nicht verhindern, denn sie gelten nur für Insolvenzgläubiger, nicht aber für Massegläubiger 41. (2) Kündigungsrechte beider Seiten Die Bank muss den Überweisungsvertrag nach Eröffnung aber nicht mehr erfüllen, vielmehr hat sie ein besonderes Kündigungsrecht (§ 676 a Abs. 3 S. 1 BGB). Das gilt unabhängig davon, ob die Ausführungsfrist des § 676 a Abs. 2 BGB schon begonnen hat oder nicht42. Die Kündigung ist gar nicht erforderlich, falls ein Guthaben oder verfügbarer Kredit zur Ausführung nicht ausreicht, dann braucht die Bank schon nach allgemeinen Regeln (§ 676 a Abs. 2 S. 3 BGB) die Überweisung nicht auszuführen. Der Insolvenzverwalter kann den Überweisungsvertrag nach allgemeinen Regeln ebenso kündigen43, also insbesondere vor Beginn der Ausführungsfrist (§ 676 a Abs. 4 BGB). Das ist richtig, denn zum einen muss 37 38 39 40 41 42 43 dem Insolvenzverwalter das Kündigungsrecht des Obermüller, InsolvenzR, 3.23; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 6. Kritisch zu dieser Gesetzeslage: Häuser, Zahlungsverkehr, S. 4. Gößmann/van Look, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 1, S. 35. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 5. Obermüller, InsolvenzR, 3.22 m.w.N. Kümpel, Bank- und Kaptialmarktrecht, 4.208, Gößmann/van Look, WM 2000, Sonderbeil. Nr. 1 S. 35 und Wortlaut der Norm. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 5. 9 Insolvenzschuldners erhalten bleiben. Darüber hinaus hat er kraft seiner besonderen Verantwortung für die Masse vielleicht sogar ein besonderes insolvenzrechtliches Interesse daran, dass der Überweisungsempfänger gegenüber den anderen Gläubigern nicht bevorteilt wird. Man wird daraus aber wohl keine Pflicht zur Kündigung ableiten können. b) Neue Überweisungsverträge nach Verfahrenseröffnung Es wurde festgestellt, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine neuen Überweisungsverträge mehr geschlossen werden können (B.II.1.). In der Praxis wird sich aber nicht ausschließen lassen, dass die Bank gleichwohl eingereichte Überweisungen ausführt (Fall 1). (1) Die bösgläubige Bank Wusste die Bank von der Verfahrenseröffnung und hat sie die Überweisung gleichwohl ausgeführt, dann hat sie nicht in Erfüllung eines Überweisungsvertrages gehandelt. Sie kann den Überweisungsbetrag nicht mehr auf dem Girokonto des Insolvenzschuldners als Belastung verbuchen. Eine solche Buchung ist allein durch das Giroverhältnis erlaubt und dieses besteht seit Eröffnung nicht mehr. Mangels tatsächlichem oder fingiertem Überweisungsvertrag entsteht auch kein Anspruch auf den Überweisungsbetrag, für den die Masse haften muss44. Es gibt weder eine Masseforderung (Umkehrschluss aus §§ 115, 116 S. 3 InsO) noch eine Tabellenforderung45. In Betracht kommen allenfalls Ansprüche aus Eingriffskondiktion gegen den Zahlungsempfänger.46. Der Zahlungsempfänger kann sich nicht gegen diese Ansprüche wehren mit dem Argument, er wäre gutgläubig gewesen47. Allerdings kann ihm die Gutgläubigkeit die Einrede der Entreicherung (§ 818 Abs. 3 BGB) erhalten48. Fällt die Bank mit dem Bereicherungsanspruch aus, bleibt ihr allenfalls der insolvenzrechtlich nicht gebundene Bereicherungsanspruch gegen den Insolvenzschuldner in dessen insolvenzfreies Vermögen49. Dieser Anspruch besteht, weil der Zahlungsempfänger die Zahlung letztlich infolge der Entreicherung 44 45 46 47 48 49 Häuser, Zahlungsverkehr, S. 7. Obermüller, InsolvenzR, 3.30. Kübler, BB 1976, 801, 805; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 7, Obermüller, InsolvenzR, 3.31; BGHZ 67, 75, 77 - 80 (für Scheckeinlösung). LG Gera, NZI 2001, 100, 101 m.w.N (Scheck). Obermüller, InsolvenzR, 3.32; LG Gera, NZI 2001, 100, 102 (Scheck). Obermüller, InsolvenzR, 3.32. 10 behalten darf, also nicht nochmals Erfüllung vom Insolvenzschuldner fordern kann. Dann wird dieser aber von seiner Verbindlichkeit frei zulasten der Bank. Er ist dieser deshalb zum Ausgleich verpflichtet. Dass er damit nur mit dem insolvenzfreien Vermögen haftet, wird daraus geschlussfolgert, dass der Bereicherungsanspruch erst nach Eröffnung (nämlich mit dem Ausfall beim Zahlungsempfänger) entstanden ist50. Ganz schlüssig ist dieses Ergebnis aber nicht: wenn der Gläubiger des Insolvenzschuldners wegen seiner Entreicherung nicht nocheinmal Erfüllung verlangen kann, hat das auch für die Masse etwas Gutes. Sie muss dann nämlich diese Forderung nicht mehr mit der Quote bedienen. Hätte sich die Bank rechtmäßig verhalten, wäre aber jedenfalls eine Quotenforderung des Überweisungsempfängers entstanden (falls dieser einen Anspruch auf den Überweisungsbetrag hatte). So gesehen ist die Masse zulasten der Bank bereichert. Ob dieses Ergebnis gerechtfertigt ist, entscheidet sich schließlich an den Wertungen des § 814 BGB. Ob diese Norm aber auch im Verhältnis Bank - Masse gilt, ist zumindest zweifelhaft. Diese Frage kann hier indess nicht vertieft werden. (2) Gefahr in Verzug oder Gutgläubigkeit der Bank (a) Gefahr in Verzug Nach §§ 115 Abs. 2 S. 1, 116 InsO werden Verträge als fortbestehend fingiert, wenn sonst für den Insolvenzschuldner Gefahr in Verzug droht. Diese Ausnahmenorm gilt nicht für Überweisungsverträge51, denn für diese ist in § 116 S. 3 InsO Sonderrecht normiert52. (b) Gutgläubigkeit der Bank Anders ist es hingegen, wenn die Bank hinsichtlich der Eröffnung gutgläubig war. Denn dann ist sie durch §§ 115 Abs. 3 S. 1, 116 InsO geschützt. Diese Norm ordnet an, dass der Girovertrag als fortbestehend gilt, solange die Bank von der Eröffnung unverschuldet nichts weiss. Dann kann auch auf Grundlage dieses fingierten Girovertrages ein Überweisungsvertrag geschlossen werden, der zumindest hinsichtlich der Bank als wirksam gilt53. 50 51 52 53 Oberhäuser, InsolvenzR, 3.32. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 7. Obermüller, InsolvenzR, 3.40. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 7. 11 Nun könnte man meinen, die Bank dürfe auf den Überweisungsvertrag vertrauen und habe deshalb wie bei § 116 S. 3 InsO einen Masseanspruch wegen ihrer Aufwendungen. So ordnet es aber das Gesetz nicht an, vielmehr ist die Bank bloße Insolvenzgläubigerin54 (§§ 115 Abs. 3 S. 2, 116 InsO). Die Vorschrift des § 116 S. 3 InsO (Massegläubiger) ist Spezialgesetz zu § 115 Abs. 3 InsO. Denn § 116 S. 3 InsO meint ausschließlich den Fall, dass der Vertrag schon vor Eröffnung zustande kam 55. In allen anderen Fällen bleibt es bei der Insolvenzforderung - § 115 Abs. 3 InsO. Anders soll es sein, wenn der Insolvenzschuldner ausnahmsweise über ein Guthaben auf dem belasteten Girokonto verfügt. Es wird § 82 InsO angewendet56 und diese Norm verdrängt § 96 InsO57. Nach dieser Vorschrift wird frei, wer gutgläubig statt an die Masse an den Insolvenzschuldner leistet. Auf den ersten Blick passt die Norm nicht, denn die Bank leistet ja nicht an den Insolvenzschuldner, sondern sie fordert im Gegenteil von ihm Erstattung. Aber die Leistung liegt darin, dass die Bank die Überweisung ausführt, also den Betrag dem Empfänger gutschreibt58 (Lehre von der „Simultanleistung“)59. Bestandteil dieser Leistung ist es auch, dass die Bank einen Guthabenkontostand um den Überweisungsbetrag verringern kann - ja sogar verringern muss. Denn es ist bei einer Überweisung aus einem Guthaben nicht anders als bei einer Barauszahlung aus einem Guthaben 60 - die Auszahlung ist untrennbar mit der Verringerung verbunden. 61 Es ergibt sich kein Aufwendungsersatzanspruch bei einem Guthaben, sondern eine „automatische“ Verringerung desselben. Dass dieses Guthaben der Masse zusteht, ändert nichts. Denn § 82 InsO setzt gerade die Leistungspflicht an die Masse voraus62. Deshalb gewährt § 82 InsO der Bank bei Guthabenkontostand im Ergebnis volle Befriedigung ihrer Ersatzansprüche. 54 55 56 57 58 59 60 61 62 BGHZ 74, 253, 258; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 8; Obermüller, ZInsO 1998, 252, 255. Obermüller, InsolvenzR, 3.25. Obermüller, ZInsO 1998, 252, 255; Kübler, BB 1976, 801, 805 für § 8 KO. Kübler, BB 1976, 801, 805 für § 55 KO. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 8; Obermüller, InsolvenzR, 3.26; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1142. Kübler, BB 1976, 801, 805; Bork, ZBB 2001, 271, 273 m.w.N. Bork, ZBB 2001, 271, 273. BGHZ 63, 87, 91. Obermüller, InsolvenzR, 3.26. 12 Damit liegt auf dem ersten Blick ein etwas verwirrender Befund vor: Überweist die Bank aus einem Guthaben, dann erlangt sie volle Befriedigung, die Masse wird geschmälert. Überweist sie aber aus einem Soll, dann bekommt sie nur eine Tabellenforderung, die Masse bleibt geschont. Zumindest hinsichtlich der Masse wird dieses Ergebnis relativiert: Geht sie nämlich wegen des Guthabens des Überweisungsbetrages verlustig, dann kann sie bereicherungsrechtlichen 63 Zahlungsempfänger verlangen Ausgleich vom (Eingriffskondiktion). Hintergrund dieses Anspruchs ist die Norm des § 81 InsO. Dort ist geregelt, dass Verfügungen des Schuldners nach Eröffnung unwirksam sind. Für Überweisungsverträge nach Verfahrenseröffnung bedeutete das: die Zahlung ist unwirksam64, der Gläubiger wurde ohne Rechtsgrund befriedigt und ist daher zur Rückerstattung an die Masse verpflichtet. Offen ist nun noch, wann die Bank konkret gutgläubig ist, wie also die Anforderungen an ihre Sorgfalt sind. Dazu ist entschieden, dass die Kenntnis oder das Kennenmüssen (Fahrlässigkeit) eines jeden vertretungsberechtigten Angestellten der Bank zur Bösgläubigkeit führt65. Es kommt also nicht auf den jeweiligen Kundenbetreuer oder die kontoführende Filiale an. Die Bank muss bis zu dem Zeitpunkt gutgläubig sein, in dem sie die Überweisung nicht mehr ohne die Behinderung anderer Vorgänge rückgängig machen kann 66, z.B. Gutschrift auf Empfängerkonto, Weiterleiten an Empfängerbank, Zusammenfassung mit anderen Überweisungsverträgen67. (3) Übersicht zu dem Erstattungsanspruch der Bank bei Überweisungen des Insolvenzschuldners nach Eröffnung - Lösung Fall 1 Bank war hinsichtlich Eröffnung ↓ gutgläubig 63 64 65 66 67 ↓ bösgläubig Kübler, BB 1976, 801, 806; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 9. Obermüller, InsolvenzR, 3.26. BGH, ZIP 1984, 809, 812 für einen Anfechtungsfall. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 8. Obermüller, InsolvenzR, 3.34 - 3.38. 13 ↓ ↓ Kontostand war Überweisungs- ↓ ↓ empfänger (§ 812) im Haben im Soll ↓ ↓ Masse Tabelle ↓ Rückgriff der Masse auf den Überweisungsempfänger (§ 812) Geschützt wird also in erster Linie die Masse zulasten der Bank. Die Masse steht entweder gar nicht für den Ersatzanspruch ein (Bank bösgläubig) oder nur mit der Quote (Bank gutgläubig bei Sollsaldo). Einzig in dem Fall, dass die Bank bei Habensaldo gutgläubig war, hat die Masse einzustehen und wird auf den Bereicherungsanspruch gegen den Überweisungsempfänger verwiesen, trägt also dessen Insolvenzrisiko. Das Ergebnis ist auch sachgerecht. Denn bei Bösgläubigkeit ist die Bank gar nicht schutzwürdig. Bei Gutgläubigkeit ist sie nur begrenzt schutzwürdig, wenn sie dem Kunden trotz debitorischen Kontostands die Überweisung gestattet. Allein in dem Fall, in dem die Bank gutgläubig war und die Überweisung auch durch einen entsprechenden Kontostand gedeckt zu sein schien, darf ihr Schutz gewährt werden. Die Lösung für den Fall 1 ist deshalb: Die bösgläubige Bank hat keinen Anspruch gegen den Insolvenzverwalter. Der Überweisungsbetrag kann weder als Masseforderung noch als Tabellenforderung geltend gemacht werden. Zur Belastung des Kontos mit dem Überweisungsbetrag war die Bank schon gar nicht befugt. Denn mit Verfahrenseröffnung erlischt das Giro- und das Kontokorrentverhältnis. Die Bank muss sich tatsächlich an die Freundin halten und kann von dieser 20.000 Euro aus Eingriffskondiktion verlangen. Allerdings kann die Freundin einwenden, sie sei entreichert. Es bleibt der Bank nur der Rückgriff auf den insolventen Einzelkaufmann. Bei diesem Anspruch ist schon fraglich, ob der Einzelkaufmann überhaupt bereichert ist, denn die Freundin hatte wohl keinen Anspruch auf das Geld. Selbst wenn - das insolvenzfreie Vermögen wird im Zweifel nicht ausreichen, um die Bank zu befriedigen. 14 Die Bank trägt deshalb rechtlich das Risiko, wirtschaftlich wohl stets den vollen Schaden allein. c) Überweisungseingänge für den Insolvenzschuldner Zu Überweisungseingängen für den Insolvenzschuldner kann auf B.I.1.b) und B.I.2.b) verwiesen werden. Das Problem der Verrechnung von Überweisungseingängen mit einem in Anspruch genommenen Kontokorrentkredit vor Verfahrenseröffnung wird unter B.II.3. besprochen. 2. Lastschrift in der Insolvenz Für die Frage, wie Lastschriften durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens betroffen sind, kann wieder auf den „allgemeinen Teil“ dieser Arbeit Bezug genommen werden. Dort wurde unter B.I.1.a) dargestellt, dass das Giroverhältnis mit Eröffnung erlischt. Die Folge für nach Eröffnung eingereichte Lastschriften ist, dass diese nicht mehr eingelöst werden können. Denn Grundlage für das Einlösen einer Lastschrift ist der Girovertrag 68. Lastschriften, die vor Eröffnung eingereicht, aber noch nicht eingelöst waren, „erlöschen“ mit Eröffnung. Denn mit Giroverhältnisses wird die Lastschrift gegenstandslos Erlöschen 69 des - es steht kein belastbares Konto mehr zur Verfügung. Die Ausnahmeregelung für Überweisungen in §§ 115, 116 S. 3 InsO gilt nach dem eindeutigen Wortlaut nicht für Lastschriften70 und ist nicht analogiefähig71. Löst die Bank die Lastschrift gleichwohl ein, dann erwirbt sie keinen Aufwendungsersatzanspruch, sie kann nicht im Kontokorrent verrechnen und erwirbt - wie bei der Überweisung - weder Masse- noch Tabellenforderung, falls sie bösgläubig war72. War die Bank dagegen gutgläubig, dann gelten §§ 116, 115 Abs. 3 InsO, sie kann den Aufwendungsersatz zwar nicht als Masse-, wohl aber als Tabellenforderung geltend machen. Hat sie aber bei Guthabenkontostand 68 69 70 71 72 Schwintowski/Schäfer, BankR, § 8 Rn. 57; OLG Hamm, WM 1985, 1130, 1140; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 24. Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 9; Obermüller, InsolvenzR, 3.468. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 22, 23. Obermüller, InsolvenzR, 3.20. Obermüller, InsolvenzR, 3.473. 15 überwiesen, dann wird sie - wie bei der Überweisung - nach § 82 InsO auch gegenüber der Masse frei, die Verrechnungswirkung tritt ein. Die interessantere Frage ist, was für Lastschriften gilt, die vor Eröffnung bereits eingelöst waren (Fall 2). Denn in diesen Fällen könnte der Insolvenzverwalter versuchen, durch Widerspruch gegen die Lastschrift „das Geld zurückzuholen“ und dadurch die Masse zu erhöhen. Für den Gläubiger wäre das fatal: Statt der vollständigen Erfüllung hätte er bei wirksamen Widerruf lediglich eine Tabellenforderung, die lediglich mit der Quote erfüllt wird. Kann der Insolvenzverwalter bereits eingelöste Lastschriften widerrufen? a) Die berechtigte Lastschrift - Fall 2 Herrschend ist die Auffassung, dass der Insolvenzverwalter ein Widerspruchsrecht gegen bereits eingelöste Lastschriften hat73. Das Widerspruchsrecht des Insolvenzschuldners geht auf ihn über, soweit es bei Verfahrenseröffnung bestand74. Dieser Auffassung liegt die „Genehmigungstheorie“ zugrunde, wegen der auf die Seminararbeit „Rechtsfragen der Lastschrift“ verwiesen und der hier gefolgt wird. Das Widerspruchsrecht bestand insbesondere dann nicht, wenn die Lastschrift bereits vom Insolvenzschuldner genehmigt war 75. Ob eine Lastschrift berechtigt ist oder nicht, richtet sich nicht nach insolvenzrechtlichen Kriterien, sondern nach den allgemeinen Regeln über Lastschriften. Der Widerspruch des Insolvenzverwalters unterliegt denselben Regeln wie der Widerspruch des Schuldners 76. Hierzu wird wiederum auf die Seminararbeit „Rechtsfragen der Lastschrift“ Bezug genommen. Widerruft ein Insolvenzverwalter gleichwohl eine berechtigte Lastschrift, stellt sich die Frage nach den Folgen (Fall 2). Zu denken ist zum einen daran, dass der Widerspruch von der Bank nicht zu beachten ist. 73 74 75 76 Schwintowski/Schäfer, BankR, § 8 Rn. 72; OLG Hamm, WM 1985, 1139, 1141; BGHZ 144, 349, 351. OLG Hamm, WM 1985, 1139, 1141 mit ausführlicher Diskussion der Gegenansicht; van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, BankrechtsHandbuch, § 59 Rn. 5; Obermüller, InsolvenzR, 3.447. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 25. Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 5. 16 Andererseits könnte der Widerspruch zwar wirksam, aber schadenersatzauslösend sein. Auch beim Insolvenzverwalter hat die Bank bei einem Widerspruch nicht zu prüfen, ob dieser berechtigt ist oder nicht77. Denn auch außerhalb der Insolvenz muss die Bank den widerrufenen Betrag dem Schuldner wieder gutschreiben 78, selbst wenn sie mit Missbrauch rechnet79. Das gilt selbst dann, wenn die Schuldnerbank den unberechtigten Widerspruch provoziert hat 80. Der Widerspruch ist deshalb wirksam 81. Allerdings kann der Insolvenzverwalter nicht die Auszahlung der Wiedergutschrift verlangen82. Denn durch die Wiedergutschrift wird nur der Kontostand korrigiert, nicht rechtsgestaltend verändert83. Deshalb stellt sich die Frage nach „Verrechnung“ oder „Auszahlung“ nicht84. Aber der Gläubiger hat Schadenersatzansprüche, wenn er den Lastschriftbetrag seiner Bank wieder vergüten muss. Ihm droht, wie soeben dargestellt, ein Schaden in Höhe der Differenz aus Erfüllungsanspruch und Quote. Ansprüche bestehen sowohl gegen den Insolvenzverwalter als auch gegen die Masse. Vom Insolvenzverwalter persönlich kann der Gläubiger Ersatz nach § 60 InsO i.V.m. §§ 280, 241 Abs. 2 BGB (pVV)85, verlangen, daneben kommt der engere § 826 BGB in Betracht86. Das erforderliche Verschulden (Fahrlässigkeit hinsichtlich des Widerspruchsmissbrauchs) wird dem Insolvenzverwalter wegen der insoweit gefestigten Rechtsprechung praktisch stets nachweisbar sein. Ebenso haftet die Masse87 aus §§ 280, 241 Abs. 2 BGB88. 77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 OLG Hamm, WM 1985, 1130, 1140. BGHZ 144, 349, 354. Schwintowski/Schäfer, BankR § 8 Rn. 58, OLG Hamm, WM 1985, 1139, 1141 für den damaligen § 82 KO; BGHZ 95, 103, 106. BGHZ 101, 153, 156 - 157; Hadding, WuB I D 2. 3.87. So im Ergebnis auch Häuser, Zahlungsverkehr, S. 27 und ders. in WuB I D 2. 7.85. Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 6. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 26 und ders. in WuB I D 2. 7.85. Ähnlich Häuser, Zahlungsverkehr, S. 26. Schwintowski/Schäfer, BankR § 8 Rn. 72; OLG Hamm, WM 1985, 1139, 1141; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 29. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 30. Obermüller, InsolvenzR, 3.453; Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 5. 17 Es kommt sogar eine Schadenersatzpflicht gegenüber der ersten Inkassostelle (Gläubigerbank) in Betracht 89. Dieser kann nämlich ein Schaden entstehen, wenn sie nach dem Lastschriftabkommen der Schuldnerbank die Lastschrift erstatten, selbst aber beim Gläubiger ihren Wiedervergütungsanspruch nicht erfolgreich geltend machen kann. Das kann der Fall sein, wenn der Gläubiger insolvent geworden ist. Dann trägt die Bank das Ausfallrisiko nicht nach dem Lastschriftabkommen, sondern aufgrund des missbräuchlichen Widerspruchs des Insolvenzverwalters. Dieser kann dann nach § 826 BGB haftbar sein90. Lösung Fall 2: Die Stadtwerke müssen den Widerspruch hinnehmen. Sie können nicht von der Schuldnerbank verlangen, den Widerspruch nicht zu beachten. Sie können aber vom Insolvenzverwalter und von der Masse die Differenz aus den geschuldeten 10.000 Euro und der Quote verlangen. Denn mit dem Widerspruch gegen eine eingelöste, berechtigte Lastschrift verletzt der Insolvenzverwalter die Nebenpflichten aus dem Gaslieferungsvertrag. b) Die unberechtigte Lastschrift Für die (nach allgemeinen Regeln) unberechtigte Lastschrift gilt: Wenn der Insolvenzschuldner noch widersprechen konnte, dann kann auch der Insolvenzverwalter das Widerspruchsrecht ausüben. Rechtsfolge ist wiederum, dass der Kontostand/Saldo korrigiert, also der Lastschriftbetrag wieder gutgeschrieben wird. Auszahlung kann der Insolvenzverwalter nicht verlangen 91, denn es handelt sich nicht um eine Zahlungseingang, sondern um eine buchungstechnische Korrektur. c) Lastschrift zugunsten des Insolvenzschuldners Von der Lastschrift zulasten des Insolvenzschuldners ist ein anderer Fall zu unterscheiden: Der Insolvenzschuldner ist Gläubiger einer Forderung im Valutaverhältnis. Er ist berechtigt, diese Forderung mittels Lastschrift einzuziehen. Besteht diese Berechtigung fort, wenn über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist? 88 89 90 91 Hadding, WuB I D 2. 3.87 für einen nichtinsolvenzrechtlichen Fall. Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 5. Häuser, Zahlungsverkehr, S. 28. Obermüller, InsolvenzR, 3.450. 18 Auch für diesen Fall gilt wieder der Grundsatz, dass das Giroverhältnis erlischt. Deshalb kann der Insolvenzschuldner auch keine Lastschriften mehr zum Einzug einreichen 92, Will der Insolvenzverwalter per Lastschrift einziehen, muss er dazu von der Bank zugelassen werden und benötigt darüber hinaus neue Einzugsermächtigungen der 93 Schuldner . Allerdings gelten für die Bank Lastschriftaufträge als fortbestehend, wenn die Bank gutgläubig hinsichtlich der Eröffnung war oder Gefahr in Verzug bestand (§§ 116, 115 Abs. 2, 3 InsO). Ansprüche aus der Lastschrift stehen dann aber nur dem Insolvenzverwalter zu94. 3. Anfechtbarkeit von Verrechnungen beim Kontokorrentkredit Bislang ging es um Fragen des Zahlungsverkehrs nach Verfahrenseröffnung. Jetzt wird sich der Frage zugewendet werden, wie Eingängen vor Verfahrenseröffnung zu beurteilen sind. Üblicherweise wird diese Frage der Anfechtbarkeit jeweils bei den einzelnen Zahlungsvorgängen (z.B. Überweisung, Lastschrift, Scheck) diskutiert95. Allerdings lassen sich die Regeln generalisieren. Der BGH spricht auch verallgemeinernd davon, dass „Zahlungseingänge“ verrechnet werden. Deshalb ist der Anfechtung hier ein spezieller Abschnitt gewidmet. Zur Verdeutlichung der Anfechtungsfragen soll Fall 3 aus der Einleitung ausgebaut werden: Der spätere Insolvenzschuldner unterhält bei seiner Bank ein Girokonto, über das ein Kontokorrentkredit (Kreditlinie 200.000 Euro) abgewickelt wird. Es gibt folgende Kontobewegungen: 1.2.2004 Stand: - 100.000 10.2.2004 + 90.000 (Überweisung) Stand: - 10.000 11.2.2004 - 80.000 (Lastschrift Lieferant) Stand: - 90.000 1.3.2004 Verfahrenseröffnung Stand: - 90.000 92 93 94 95 Van Gelder in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, § 59 Rn. 20b. Obermüller, InsolvenzR, 3.492. Obermüller, InsolvenzR, 3.499. Obermüller, InsolvenzR, 3.94 - 3.146; Häuser, Zahlungsverkehr S. 12 - 19. 19 Die Bank kannte bis zum 1.3.2004 weder die Zahlungsunfähigkeit noch die Überschuldung. Was kann der Insolvenzverwalter von der Bank verlangen? Die Insolvenzgläubiger haben ein Interesse daran, dass die Masse vergrößert wird. Deshalb ist anfechtbar, mithin kraft Gesetz unwirksam, was die Bank durch anfechtbares Rechtsgeschäft vor Verfahrenseröffnung erlangt hat (§§ 129 - 147 InsO). Für das debitorische Girokonto heisst das: Alles, was die Bank zu ihren Gunsten verrechnet hat, ist zunächst einmal anfechtungsgefährdet. a) Die Verrechnung von Zahlungseingängen Strittig ist nun, ob die Bank 90.000 Euro (Zahlungseingang) oder gar noch 110.000 Euro (offene Kreditlinie z.Z. der Eröffnung) oder etwa nur 10.000 Euro (Differenz der Tagessalden am Eröffnungstag und am gleichen Tag des Vormonats) an den Insolvenzverwalter zahlen muss. Diese Frage hat lange Zeit Rechtsprechung und Literatur entzweit96. Seit einem grundlegenden Urteil des BGH aus dem Jahr 200297 dürften die wesentlichen Unstimmigkeiten beseitigt sein. (1) Inkongruente oder kongruente Deckung bei laufendem Kontokorrentkredit? (a) § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO Anfechtungstatbestand könnte § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sein. Voraussetzung ist, dass die Befriedigung der Bank (durch Verrechnung und damit Verringerung des Sollsaldos) inkongruent war. Inkongruent ist eine Befriedigung insbesondere dann, wenn der Gläubiger sie nicht „zu der Zeit zu beanspruchen hatte“ (§ 131 Abs. 1 3. Variante InsO). Lange Zeit wurde vertreten, dass in Fällen wie diesen tatsächlich eine inkongruente Deckung vorliegt98. Denn der Kontokorrentkredit war z.Z. der Verrechnung nicht zur Rückzahlung fällig. Ein Kontokorrentkredit wird 96 97 98 Z.B. gegen eine Anfechtbarkeit in diesen Fällen: Heublein, ZIP 2000, 161, 170 - 173 (differenzierend); Bork, ZBB 2001, 271, 276; Obermüller, InsolvenzR, 3.101 - 3.104c, ders. in ZInsO 1999, 24 ff.; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 12 19; für eine Anfechtbarkeit: LG Bochum, ZIP 2001, 87 ff. BGH, WM 2002, 951 ff. Z.B. Heublein, ZIP 2001, 161, 166; Bork, ZBB 2001, 271, 274; LG Bochum, ZIP 2001, 87, 88; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1144; OLG Hamm, ZIP 2001, 1683, 1684, 1685. 20 nämlich zur Rückzahlung erst dann fällig, wenn er gekündigt, sonst beendet oder nur geduldet war99. Andererseits ist die Verrechnung von Eingängen Bestandteil der Kontokorrentabrede. Sie steht in quasisynallagmatischem Verhältnis zum Recht der Bank, auch Zahlungsausgänge zu verrechnen. Denn letztere Verrechnung geht zulasten der Bank. Nimmt die Bank also Verrechnungen vor, so handelt sie (lediglich) vertragsgemäß. Nun ist aber die inkongruente Deckung der insolvenzrechtlich anstößigere Fall. Das führt beim Kontokorrentkredit zu einer „verkehrten Welt“100: die vertragsgemäße Abwicklung ist inkongruent (anstößig), die gestörte Geschäftsbeziehung (Überziehung) ist kongruent und damit schwerer anfechtbar. Deshalb wurde auch vor dem entscheidenden BGH-Urteil101 schon vertreten, die vertragsgemäße Abwicklung des Kontokorrentkredits sei niemals inkongruent 102. Anders kann es sein, wenn die Bank zwar Eingänge und Verrechnungen zu ihren Gunsten zulässt und vornimmt, aber eine weitere Inanspruchnahme des Kredits versagt. Dann nimmt sie, ohne zu geben, und handelt nicht mehr vertragsgemäß - mithin inkongruent. Solange und soweit die Bank Zahlungsausgänge zulässt, darf sie auch Zahlungseingänge entgegennehmen und unanfechtbar verrechnen. Dieser Auffassung hat sich nun der BGH angeschlossen. Er hat entscheiden: „Verrechnungen im Kontokorrent sind kongruent, soweit die Bank ihren Kunden ... vereinbarungsgemäß wieder über Eingänge verfügen läßt ...103“. Damit scheidet der Anfechtungstatbestand des § 131 InsO aus, in Betracht kommt nur noch § 130 InsO. (b) § 130 Abs. 1 InsO Deshalb ist die Einstellung von Gutschriften in das Kontokorrent nur unter den viel engeren Voraussetzungen des §130 Abs. 1 InsO anfechtbar. Diese Norm setzt Kenntnis der Bank von der Zahlungsunfähigkeit oder vom Insolvenzantrag voraus. 99 100 101 102 103 Häuser, Zahlungsverkehr, S. 13; a.A. Obermüller, ZInsO 1998, 252, 256. Heublein, ZIP 2000, 161, 166. BGH, WM 2002, 951 ff. Z.B. von Häuser, Zahlungsverkehr, S. 13, 14. BGH, WM 2002, 951. 21 (2) Bargeschäft bei Kenntnis der Bank und zeitnaher Belastung zugunsten Dritter Aber selbst wenn auch die subjektiven Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO vorliegen, wenn also im laufenden Kontokorrent Gutschriften und Belastungen vorgenommen werden, obwohl die Bank von der Zahlungsunfähigkeit des Kunden weiss, wird in der Regel ein unanfechtbares Geschäft vorliegen104. Denn § 142 InsO bestimmt, dass kongruente Rechtsgeschäfte105 dann nicht anfechtbar sind, wenn der Schuldner für seine Leistung eine unmittelbare Gegenleistung erhält. Obwohl der Wortlaut eine synallagmatische Verbindung vorauszusetzen scheint, ist die wirtschaftliche Betrachtungsweise ausschlaggebend106. Und wirtschaftlich betrachtet erhält der Kunde für seine Gutschrift die weitere oder erneute Möglichkeit, das Kontokorrent auch zu belasten. Unmittelbar ist die Gegenleistung der Bank dann, wenn es einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Gutschriften und Belastungen gibt107. Zwei Wochen Abstand genügen jedenfalls noch108. Auf die genaue Reihenfolge kommt es nicht an109. b) Die Differenz der Tagessalden Allerdings kann der Insolvenzverwalter von der Bank im Fall 3 10.000 Euro verlangen, der Anfechtungstatbestand ist § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO110. Die Deckung ist deshalb in der Gesamtschau inkongruent, weil in dieser Höhe eben keine Belastungsbuchungen mehr vorgenommen wurden. Diese 10.000 Euro sind die Differenz aus den Tagessalden bei Insolvenzantragstellung und dem gleichen Tag des Vormonats. Was die Bank insoweit als Rückführung des Kredits erhalten hat, muss sie dem 104 105 106 107 108 109 110 BGH, WM 951, 954; BGH, WM 1999, 781, 784; Bork, ZBB 2001, 271, 275, 276; Heublein, ZIP 2000, 161, 173; Steinhoff, ZIP 2000, 1141, 1149, 1150; kritisch: Smid, WuB VI G. § 2 GesO 2.99; Obermüller, ZInsO 1999, 324, 325; Tappmeier, EWiR § 2 GesO 1/99. § 142 InsO gilt nicht für inkongruente Rechtsgeschäfte: BGH, WM 2002, 951, 954; Häuser, Zahlungsverkehr, S. 16; a.A. OLG Hamm, ZIP 2001, 1683, 1685. Bork, ZBB 2001, 271, 275. BGH, ZIP 2001, 524, 526. BGH, WM 2002, 951, 954. BGH ZIP 2001, 524, 526; BGH, WM 2002, 951, 954. Anerkannt z.B. in BGH, WM 2002, 951, 953: „in dem hier noch streitigen Umfang...“; OLG Hamm, ZIP 2001, 1683, 1687; BGH, ZIP 2001, 524, 526. 22 Insolvenzverwalter herausgeben. Auf Kenntnis kommt es nicht an. Abweichende Zwischensalden bleiben unbeachtet. Diese Rechtsprechung wird kritisiert111, sie führt aber zur wirtschaftlich vertretbaren Ergebnissen. Denn dadurch wird die Bank anderen Insolvenzgläubigern gleichgestellt. Auch diese müssen herausgeben, was sie innerhalb des letzten Monats vor Antragstellung erlangt haben. Deshalb ist diese Rechtsprechung zumindest im Ergebnis zu akzeptieren. c) Lösung Fall 3 Fall 3 ist also wie folgt zu lösen: Die Verrechnung der Gutschrift vom 10.2.2004 ist nicht anfechtbar. Die insoweit erlangte Befriedigung der Bank ist nicht inkongruent, denn die Bank hat auch Belastungen zugelassen, wie die Lastschrift am 11.2.2004 beweist. Als kongruente Befriedigung ist die Verrechnung auch nicht anfechtbar, denn die Bank kannte den Insolvenzantrag nicht und hätte ihn auch nicht kennen müssen. Die Bank hat also nur die Tagessaldendifferenz in Höhe von 10.000 Euro herauszugeben, insoweit hat sie eine inkongruente und damit anfechtbare Deckung nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO erlangt. C. Zusammenfassung Wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Girokunden eröffnet, hat das weitreichende Konsequenzen für alle Beteiligten: 1. Giro- und Kontokorrentverhältnis erlöschen. Es entsteht ein kausaler Saldo. Bei einem Habensaldo erwirbt der Insolvenzverwalter einen Auszahlungsanspruch, bei einem Sollsaldo erwirbt die Bank eine Tabellenforderung. 2. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlischt das Recht des Insolvenzschuldners, neue Überweisungsverträge abzuschließen. Geschlossene, noch nicht ausgeführte Überweisungsverträge sind noch auszuführen, sofern keine der Vertragsparteien von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch macht. Führt die Bank aus, erwirbt sie eine Masseforderung. 111 Obermüller, InsolvenzR, 3.104b. 23 3. Führt die bösgläubige Bank nach Eröffnung eingereichte Überweisungen aus, kann sie von der Masse nichts verlangen, nicht einmal die Quote. Sie ist auf Bereicherungsansprüche gegen den Empfänger angewiesen, deren Durchsetzung problematisch sein kann. Das Ausfallrisiko der Bank ist in diesem Fall sehr hoch, aber gerechtfertigt. 4. Führt die gutgläubige Bank nach Eröffnung eingereichte Überweisungen aus, kann sie volle Befriedigung erlangen, wenn sie aus einem Guthaben erfüllt. Erfüllt sie aus einem Kredit, erwirbt sie nur eine Tabellenforderung. 5. Mit Verfahrenseröffnung erlöschen die noch nicht ausgeführten Lastschriften. Führt die Bank bösgläubig dennoch aus, kann sie von der Masse nichts verlangen. Führt die Bank gutgläubig aus, wird sie bei einem Guthaben voll befriedigt, bei einem Kredit nur mit der Quote. 6. Das Widerspruchsrecht Insolvenzverwalter in dem gegen Lastschriften Umfang zu, in steht dem es dem der Insolvenzschuldner zur Verfahrenseröffnung hatte. Unberechtigte Widersprüche des Verwalters führen zu seiner persönlichen Haftung und zur Haftung der Masse wegen des Gläubigerschadens. 7. Verrechnet die Bank vor Insolvenzantragstellung zu ihren Gunsten in dem in Anspruch genommenen Kontokorrentkredit, dann ist die Differenz der Tagessalden am Tag der Eröffnung und gleichen Tag des Vormonats anfechtbar. Sonstige Verrechnung sind anfechtungsfest, soweit die Bank die Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits im Anfechtungszeitraum wieder zugelassen hat.