Wörter des Jahres 2005
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Wörter des Jahres 2005
Bachelor in de Taal- en letterkunde: twee talen "Duitse taalvaardigheid II" (Ba2) Kursleiter: Dr. Torsten Leuschner Studienjahr 2005-2006 Wörter des Jahres 2005 4. Heuschrecken von Vicky Haentjens Joke De Leeuw überarbeitet von Torsten Leuschner Inhalt 1. Einleitung ............................................................................................................ 3 2. Heuschrecken als viertwichtigstes Wort des Jahres 2005................................... 5 2.1. Die „Heuschreckendebatte“ .....................................................................6 2.2. Reaktionen auf den Vergleich ..................................................................6 2.3. Meinungsverschiedenheiten in der rot-grünen Koalition .........................7 3. Heuschrecken als Börsenunwort des Jahres 2005............................................... 8 4. Quellen ............................................................................................................... 9 2 1. Einleitung Das Wort Heuschrecke hat mehrere Bedeutungen. Normalerweise denkt man bei diesem Wort zuerst an Insekten. Heuschrecke in diesem Sinne bezieht sich auf Vertreter verschiedener Insektenordnungen innerhalb der Geradeflügler. Sie haben lange, starke Hinterbeine, mit denen sie weit springen können. Das Bild der Heuschreckenschwärme, die große Felder abgrasen, ist weit verbreitet. Die zweite Bedeutung hat mit der Armee zu tun. Beim Militär bezieht sich das Wort auf einen Typ von Panzern. Die Panzerhaubitze Heuschrecke war eine deutsche Selbstfahrlafette, die 1942 bis zur Prototypenreife entwickelt wurde. Aber nicht die biologische oder militärische Bedeutung hat das Wort Heuschrecken zum viertwichtigsten Wort des Jahres gemacht, sondern die politische. 2. Heuschrecken als viertwichtigstes Wort des Jahres 2005 2.1. Die „Heuschreckendebatte“ Im Jahre 2005 erlebte Deutschland die „Heuschreckendebatte“. Franz Müntefering, der frühere SPD-Vorsitzende und jetziger Vizekanzler und Bundesminister für Arbeit und Soziales, hatte das Wort Heu-schrecken in die deutsche Politik eingeführt. Am 22. November 2004 erwähnte er es erstmals anlässlich der Aktualisierung des Parteiprogramms der SPD: „Wir müssen denjenigen Unternehmern, die die Zukunftsfähigkeit ihrer Unternehmen und die Interessen ihrer Arbeitnehmer im Blick haben, helfen gegen die verantwortungslosen Heuschreckenschwärme, die im Vierteljahrestakt Erfolg messen, 3 Substanz absaugen und Unternehmen kaputtgehen lassen, wenn sie sie abgefressen haben. Kapitalismus ist keine Sache aus dem Museum, sondern brandaktuell.“ Aber der eigentliche Auslöser der Heuschreckendebatte war ein Interview mit Müntefering, das am 17. April 2005 in Bild am Sonntag erschien. Dort sagte Müntefering: „Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter. Gegen diese Form von Kapitalismus kämpfen wir.“ Mit dieser Aussage wollte Müntefering seine kapitalismuskritische Position illustrieren. Der Anlass war die Ankündigung der Stilllegung einiger Betriebe bei gleichzeitigen hohen Vergütungen für Topmanager. Müntefering verglich anonyme Investoren, vor allem PrivateEquity-Gesellschaften, mit Heuschreckenschwärmen. Sie fielen über Unternehmen her wie die Insekten über Felder, grasten sie ab und zögen weiter. Sie seien nur auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus und schadeten oft dabei den Unternehmen, in die sie investiert haben. Die Private-Equity-Gesellschaften kamen so in Verruf. Private-Equity bedeutet übersetzt so viel wie „privates Eigenkapital“ und stellt eine Form der Unternehmensfinanzierung dar. Gemeint ist das haftende Eigenkapital, mit dem sich private Investoren für einen beschränkten Zeitraum mit dem Ziel der Wertsteigerung an einem Unternehmen beteiligen. Dies geschieht zumeist, indem so genannte Private-Equity-Gesellschaften das Geld ihrer Anleger, zum Beispiel Pensionskassen oder Versicherungen, sammeln und dann nach geeigneten Beteiligungsmöglichkeiten suchen. Sie beteiligen sich an Unternehmen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Meistens sind die Unternehmer jung und technologie- 4 orientiert. Oft sind es etablierte Mittelständler und Unternehmensteile, die in den Strategien großer Konzerne keine Zukunft haben. Der Name der Branchenvertretung der Private-EquityGesellschaften lautet Bundesverband deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, der Verbandspräsident heißt Thomas Pütter. Neben der Einzahlung des Stamm- oder Grundkapitals durch die Firmengründer gibt es vielfältige Finanzierungsformen und -gründe. Während Private-Equity-Firmen im angloamerikanischen Wirtschaftsraum bereits seit mehr als 20 Jahren tätig sind, sind diese Finanzinvestoren in den letzten Jahren auch stark zunehmend in Europa tätig. Müntefering übte also vor allem Kritik an den geschäftlichen Strategien ausländischer Beteilungsgesellschaften und an den Hedgefonds, d.h. Unternehmen mit dem Geschäftszweck der Spekulation. Als Konsequenz aus seiner Kritik an überzogener Profitgier mancher Firmen nannte Müntefering vier konkrete politische Maßnahmen: – die Öffnung des Entsendegesetzes für alle Branchen – die Veröffentlichung von Managergehältern – die Versorgung kleiner und mittlerer Unternehmen mit günstigen Krediten – die Schaffung einheitlicher Steuersätze in der EU Auch der Chef der Deutschen Bank, Ackermann, spielte eine Rolle in der Debatte. Der Grund dafür war, dass Ackermann eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zum Ziel erklärt und am selben Tag angekündigt hatte, bei gewachsenen Gewinnen 6400 Menschen zu entlassen. Auf diese Weise deprimierte er die Menschen und raubte ihnen das Vertrauen in die Demokratie. Im Laufe der Debatte machte Münterfering deutlich, dass sich der Heuschreckenvergleich nur gegen eine kleine Gruppe von Unternehmen richtete. Er nannte aber keine konkreten Beispiele. Stern.de veröffentlichte am 28. April 2005 eine Liste und bezog sich 5 dabei auf ein Hintergrundpapier, das von der Planungsgruppe der SPD-Bundestagsfraktion erstellt worden war. Der Artikel nannte einige Beteiligungsgesellschaften wie KKR und WCM, eine Bank, Goldman Sachs, und einige Private-Equity-Firmen wie Apax, Carlyle Group usw. 2.2. Reaktionen auf den Vergleich Münteferings Ausdruck übte nicht nur Kritik, sondern wurde auch selber Gegenstand von Kritik. Diese bezog sich jedoch eher auf die Form des Vergleichs als auf den Inhalt. Die meisten Kritiker nahmen Anstoß an der Tiermetapher und nicht so sehr an der Kapitalismuskritik. Einer der Kritiker war Michael Wolffsohn. Er ist Jude und lehrt als Historiker an der Bundeswehr-Universität in München. In der Rheinischen Post veröffentlichte er am 23. Mai 2005 einen Essay zum 8. Mai, dem 60. Jahrestag des Endes der nationalsozialistischen Diktatur. Er kritisiert, dass im Nationalsozialismus verbreitete „Denkmuster“ immer noch vorhanden seien, und führt im letzten Teil des Essays Münteferings Vergleich als Beispiel an: „60 Jahre ‚danach‘ werden heute wieder Menschen mit Tieren gleichgesetzt, die – das schwingt unausgesprochen mit – als ‚Plage‘ vernichtet, ‚ausgerottet‘ werden müssen. Heute nennt man diese ‚Plage‘ ‚Heuschrecken‘, damals ‚Ratten‘ oder ‚Judenschweine‘. Worte aus dem Wörterbuch des Unmenschen, weil Menschen das Menschsein abgesprochen wird.“ 6 Wolffsohn vertritt die Position des deutsch-jüdischen Patrioten in der Tradition der Emanzipation. Er wird auch als Konservativer bezeichnet. In der Heuschreckendebatte kritisiert er die Gleichsetzung von Menschen mit Tieren: Münteferings Hetze gegen Unternehmer sei vergleichbar mit derjenigen der Nazis gegen Juden. Auch unterstellte er der SPD Antisemitismus. Dieser Vergleich stieß bei der SPD auf heftige Empörung. Auch Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, fand, der Nazivergleich in Zusammenhang mit Müntefering und der SPD sei absurd. Aber Vergleiche von Menschen mit Tieren seien immer grundsätzlich unglücklich gewählt. Jedoch fand der Vergleich vereinzelt auch Zustimmung. Später hat sich Wolffsohn wegen seiner Aussage aber entschuldigt. Katrin Göring-Eckardt, die damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen, erkannte in dem Vergleich eine Geschichte des Alten Testaments wieder. Jahwe wollte, dass der Pharao sein Volk ziehen ließ. Wenn er sich weigerte, wollte Jahwe eine Heuschreckenplage über das Gebiet bringen. Der Pharao weigerte sich: „Der Herr schickte den Ostwind über Ägypten - und als es Morgen wurde, hatte der Ostwind die Heuschrecken ins Land gebracht. Dann folgte der Kahlschlag. Die Insekten fraßen und fraßen.“ Göring-Eckardts Meinung nach billigte Müntefering die Heuschreckenplage: Sie sei eine gerechte Strafe für zu viele bürokratische Vorschriften. Auch aus anderen Ländern kamen Reaktionen. US-Finanzminister John William Snow sagte, er denke nicht in diesen Begriffen. Kapital sei eine Quelle des Wachstums. Es gebe keinen Konflikt zwischen Kapital und Jobs. 7 2.3. Meinungsverschiedenheiten in der rot-grünen Koalition In der damaligen rot-grünen Koalition unter Bundeskanzler Gerhard Schröder führte Münteferings Heuschreckenvergleich zu Meinungsverschiedenheiten. Führende Grüne wie Parteichef Reinhard Bütikofer und Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nahmen die Unternehmen vor der drastischen Kritik des SPD-Chefs in Schutz. SPD-Spitzenpolitiker wie der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck reagierten mit Unverständnis auf die Kritik des kleineren Koalitionspartners. Beck sagte sogar, die Grünen schwankten zwischen allen Positionen wie ein Rohr im Wind. Trotzdem waren die Meinungen in der SPD geteilt. Der damalige Bundeskanzler Schröder tat das genaue Gegenteil von Müntefering: Er hob das Waffenembargo gegen China auf und erhielt Aufträge für Investoren. Die Zeit wies auf den Unterschied mit dem Titel „Müntefering beschimpft die Heuschrecken, Schröder will sie füttern“ hin. Angela Merkel meinte, Worte und Taten stimmten nicht überein. Sie warf der SPD daher Doppelzüngigkeit bei der Kapitalismuskritik vor, weil die Partei einerseits die Investoren mit Steuersenkungen verwöhne und ihr andererseits doch vorwerfe, sie vernichteten Arbeitsplätze. Auch heute kommt der Begriff Heuschrecken noch immer im politischen Sprachgebrauch vor. Er richtet sich aber nicht mehr nur gegen Private-Equity-Gesellschaften, sondern auch gegen andere Formen der Kapitalbeteiligung. 3. Heuschrecken als Börsenunwort des Jahres 2005 Heuschrecken war nicht nur das viertwichtigste Wort des Jahres 2005, sondern auch das Börsenunwort dieses Jahres. Jedes Jahr wird das Börsenunwort von Kursmaklern, Wert- 8 papierhändlern und Analysten an der Börse Düsseldorf gewählt. Ihrer Meinung nach zeichnet der Begriff Heuschrecken erstens ein völlig falsches Bild von Finanzinvestoren und beleidigt damit eine ganze Branche. Firmen, die mit Beteiligungskapital finanziert worden seien, wüchsen selbst schneller, schafften meistens mehr Arbeitsplätze und erwirtschafteten eine signifikant höhere Rendite. Zweitens sei der Begriff irreführend. Insekten träten in Schwärmen auf, aber Finanzinvestoren täten das nur selten. Sie seien auch nicht so gefräßig. Und schließlich spielten die Private-Equity-Gesellschaften häufig eine wichtige Rolle bei der Finanzierung und Sanierung von Unternehmen. Dass hierbei Gewinnoptimierung im Vordergrund steht, sei auf dem Kapitalmarkt durchaus legitim. Das Wort Heuschrecken hat also Aufruhr gestiftet. 4. Quellen http://de.wikipedia.org/wiki/Heuschrecken_(Politik) http://ftd.de/meinung/kommentare/40101.html http://stern.de/politik/deutschland/539759.html http://www.3sat.de/3sat.php?http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/79162/index.html http://www.netzeitung.de/spezial/geldanlage/344160.html http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4296234,00.html 9