Schmerzen: reine Kopfsache?

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Schmerzen: reine Kopfsache?
Schmerzen:
reine Kopfsache?
Neue Erkenntnisse bahnen den
Weg für neue Therapieformen
Neue Erkenntnisse bahnen den Weg für neue
Therapieformen Jeder hat schon mal den einen
oder anderen Schmerz verspürt, oft sind es
beispielsweise Kopf- und Rückenschmerzen
nach einem langen Arbeitstag. Forscher sind
nun der Frage auf der Spur, welche Mechanismen
im Körper für die Entstehung von Schmerzen verantwortlich sind und warum sich
diese manchmal chronisch manifestieren.
E
s zwickt, juckt, zieht, sticht oder
beißt. Schmerzen können sich in
verschiedenen Formen und mit unterschiedlicher Intensität bemerkbar machen und kurzzeitig akut oder chronisch
auftreten. Der Sinn ist jedoch immer derselbe: unser Körper teilt uns mit, dass etwas
nicht in Ordnung ist. Aber wo kommt der
Schmerz eigentlich her und wovon ist sein
unterschiedliches Auftreten abhängig?
Wo Schmerzen entstehen
Ein stechender Schmerz im Rücken macht
sich bemerkbar. Dabei würde man mit
Bestimmtheit sagen, dass dieser genau
dort entsteht, wo man ihn vernimmt. Aber
erst, wenn das Schmerzsignal über das
Rückenmark weitergeleitet wird und in
bestimmten Hirnregionen ankommt, wird
es dort als Schmerz wahrgenommen. Mithilfe der funktionalen Magnetresonanztomografie (fMRT) ist es nun möglich, zu
messen, wie stark das Rückenmark durch
bestimmte Schmerzreize aktiviert wird.
Die Macht der Ablenkung
Geistige Ablenkung, beispielsweise
durch eine kniffelige Denkaufgabe in
Form von mathematischen Aufgaben,
können das Schmerzempfinden beeinflussen, sodass Betroffene Schmerzen deutlich schwächer wahrnahmen.
Dieses Phänomen ist auch messbar:
es zeigte sich, dass die Schmerzreize
den betreffenden Abschnitt im Rückenmark signifikant geringer aktivierten.
Ausschlaggebend für diese Reaktion
sind Prozesse, die während einer anspruchsvollen kognitiven Aufgabe im
Gehirn passieren. Der Hirnstamm aktiviert dabei ein System, das die eingehenden Schmerzsignale bereits auf
Ebene des Rückenmarks hemmt. Die
Entstehung von Schmerzen wird also
bereits auf einer frühen Stufe der zentralen Verarbeitung beeinflusst und
ist kein rein psychologischer Prozess.
Chronisch Schmerzen und die
Vernetzung des Gehirns
und sind dann – meistens zumindest
- wieder abrufbar. Beeinflusst werden
kann das Abrufen der Schmerzerfahrung, wie bereits erwähnt, z.B. durch
geistige Ablenkung. An dem Mechanismus der Entstehung und Speicherung
von gefühlten Schmerzen sind etwa
zwanzig Strukturen im Gehirn beteiligt,
die miteinander vernetzt sind und auf
eine bestimmte Weise zusammenspielen. Insbesondere zwei Bereiche spielen dabei eine zentrale Rolle, und zwar
der präfrontale Cortex, ein hinter der
Lösung aus Heft 3 | 2012
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Manche Menschen leiden chronisch unter Schmerzen, obwohl medizinisch keine Ursache hierfür zu finden ist. Wie es
dazu kommt, konnte nun ein Forscherteam aus den USA herausfinden. Die
Entstehung von Schmerz hängt mit einer
komplexen Schmerzmatrix im Gehirn zusammen. Empfundene Schmerzen werden als Erfahrung im Gehirn gespeichert
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Medizin Aktuell
Stirn liegender Bereich der Hirnrinde und
der sogenannte Nucleus accumbens. In
diesen Hirnzentren werden ankommende Reize und Informationen bewertet
und eingeordnet, außerdem finden dort
Lernprozesse statt. Dieser Bereich des
Gehirnes ist zudem an der Verarbeitung
von Gefühlen beteiligt. Bei Patienten mit
chronischen Rückenschmerzen konnte
man zeigen, dass diese beiden Gehirnbereiche intensiver miteinander kommunizieren als bei anderen.
Schmerzmatrix im Gehirn
Die Bedeutung der Gefühle
Ausschlaggebend dafür, ob Schmerzen
sich chronisch manifestieren oder nicht,
ist die emotionale Ebene. Je nachdem,
mit wie vielen Emotionen das erste Erlebnis des akuten Schmerzens verbunden ist, desto stärker wirkt sich dies auf
den Lernprozess und das Einprägen des
Schmerzens in das Gedächtnis aus und
desto eher bleiben die Schmerzen bestehen, auch wenn die Ursache bereits
verschwunden ist. Man geht davon aus,
dass dieser Lernprozess, also das intensive Interagieren der genannten Hirnregionen, sehr individuell ist und dass
sowohl Erbanlagen als auch Umwelteinflüsse mitspielen. Der emotionale
Aspekt spielt also bei der Schmerzentstehung eine erhebliche Rolle und muss
daher auch therapeutisch in Betracht
gezogen werden.
von Nathalie Podda
Neue Therapieansätze
Diese neuen Erkenntnisse gelten als Grundlage für ein neues Verständnis
der Schmerzentstehung im Gehirn, auf dessen Basis neue Konzepte der
Schmerztherapie entwickelt werden. So könnten zukünftig Schmerztherapien neben der medikamentösen Behandlung auch Ansätze der kognitiven
Verhaltenstherapie, der emotionalen Verarbeitung von erfahrenen Schmerzen oder gezielte „Schmerz-Ablenkungsmanöver“ als Basis nehmen, um so
Schmerzpatienten von ihrem Leiden zu befreien.