Lajmet me te reja nga Shqiperia Neueste Nachrichten aus Albanien

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Lajmet me te reja nga Shqiperia Neueste Nachrichten aus Albanien
Lajmet me te reja nga Shqiperia
Neueste Nachrichten aus Albanien
Sommer/Vere 2015
sie auf unsicheren, meist illegalen Wohnplätzen mit
schlechter Wasser- und Stromversorgung. Es ist unendlich schwer für sie, Fuß zu fassen. Die wirtschaftliche Not
und die Perspektivlosigkeit führen zu Problemen wie
Gewalt, Drogenmissbrauch oder Prostitution.
An den Rand gedrängt
8.000 Menschen leben im Stadtteil Dobrac von Shkodra
in Albanien. 90 Prozent der Bewohner haben keine Arbeit, viele von ihnen sind verarmte Bauern aus den Bergen, die der Hunger in die Stadt getrieben hat. Von der
übrigen Bevölkerung misstrauisch beobachtet, wohnen
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Kinder in der Mitte
Ein Herzensanliegen der Schwestern sind der Kindergarten mit 75 Kindern und ein Jugendzentrum. Hier
wachsen die jungen Leute in einer liebevollen und beschützenden Umgebung auf. Kranke und traumatisierte
Kinder blühen auf. Über diesen Weg erreichen die Ordensschwestern schließlich auch die ganze Familie. Sie
hören von Missständen, Erkrankungen oder Fehden zwischen den Familien.
Schwester Christina und Schwester Michaela vom Orden
der Spirituellen Weggemeinschaft sind vor Jahren aus
der Schweiz nach Shkodra gekommen, um die Situation
der Menschen zu verbessern, die völlig an den Rand der
Gesellschaft gedrängt sind.
Ein Mosaik der Hilfe
Tag und Nacht bei den Notfällen
Das Gesundheitssystem in Albanien ist korrupt und marode. Arme Menschen haben kaum Chancen auf eine
Behandlung, da alles selbst bezahlt werden muss.
Schwester Christina ist Krankenschwester und auch
Schwester Michaela hilft bei Notfällen in der Ambulanz
mit: Verbrennungen, Brüche, Unfälle. Rund 170 Patienten versorgen sie im Monat. Mittlerweile haben sie auch
ein Netzwerk von Ärzten aufgebaut, die schwerere Fälle
kostenlos behandeln.
Die Schwestern sind starke Anwältinnen für die Sorgen
und Nöte der Menschen. Sie kämpfen für die soziale Entwicklung des Gemeinwesens, für die Achtung vor der
Schöpfung, für einen Zugang zum Gesundheitswesen
und für Versöhnung. Zusätzlich zu all diesen Aufgaben
haben sie auch noch zwei verlassene Jungen mit Behinderung als Pflegesöhne bei sich aufgenommen.
Partnerschaft mit Delvine
Eine Leipziger Pfarrei unterhält seit elf Jahren partnerschaftliche Beziehungen mit der katholischen Gemeinde
St. Marien in der albanischen Kleinstadt Delvine. Diese
Missionsgemeinde ist von deutschen Franziskane-rinnen
aus Thuine gegründet worden. Am Anfang der Koop-
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eration stand die Unterstützung des von den Schwestern
initiierten Internats. Leipzig-Reudnitz wie auch Maria Königin Lingen haben über Jahre einen Beitrag für das Konvikt geleistet, in dem Mädchen aus weit entfernten Dörfern wohnen, die in Delvine zur Schule gehen. Mittlerweile läuft das Konvikt gut und aufgrund der demographischen Entwicklung stagniert die Zahl der Schülerinnen. Daher auch die Äußerung von Schwester Relindis
2014 „Wir brauchen euer Geld nicht mehr!“. Dafür wird
die Hilfe für verarmte Familien und Rentner immer
dringlicher. Das gilt vor allem für die Kostenübernahme
bei unbedingt notwendigen Operationen und anderen
medizinischen Maßnahmen. Dagegen steht die Meinung
des zuständigen Bischofs, dass es Aufgabe der Schwestern sei, zu katechetisieren und keine Caritasarbeit zu
leisten. Die Schwestern arbeiten zur Zeit unter ihren
Möglichkeiten.
wäre dann ein von Schwestern initiierter und getragener
Leuchtturm in Delvine mithilfe der von ihnen ausgebildeten Mädchen und mit Unterstützung aus Deutschland.
Florinda (links) und Kristina (oben) haben gerade ein
Praktikum in Ankum und auf Borkum hinter sich und
kehren nun erfahren und von den Mitarbeitern hier
hochgelobt nach Albanien zurück. Welch ein Potential!
Aber ….
Balancieren in Tirana
Albanien soll die grösste Moschee des Balkans
bekommen – gebaut von der Türkei. Das Projekt zeigt, wie schwierig es für das Land ist,
zwischen der EU-Annäherung und seiner osmanischen Vergangenheit eine eigene Identität zu finden
Von ADIA PRANTEL
Tirana - Die Männer haben gerade ihr gemeinsames Gebet
beendet und die Moschee leert sich, als Matilda Dushku mit
vor Kälte geröteten Wangen in den Vorraum tritt. Sie ist auf
dem Weg zu einem Treffen mit Freundinnen, erzählt Dushku,
ihr Besuch in der Ethem Bey Moschee in Tiranas Innenstadt ist
nur ein kurzer Zwischenstopp. Dushku ist 29 Jahre alt, ihr Vater ist Katholik, ihre Mutter Muslima. Sie arbeitet bei der Post
und freut sich sehr, dass sich ihr Mantel über ihrem Bauch
nicht mehr schließen lässt. Im Februar erwartet sie ihr erstes
Kind: „Es soll Ikra heißen, so wie die erste Offenbarung des
Propheten Mohammed.“ Während Dushku erzählt, klingelt
ihr Handy, sie geht ran, spricht schnell und lacht viel. Wer
Sie haben ein sehr großes Haus, in dem eine Sozialstation eingerichtet werden könnte. Mit Florinda haben
sie eine Frau, die als bestens ausgebildete Krankenschwester Schwester Angela zur Hand gehen könnte,.
Außerdem würde das dem Wunsche des albanischen
Gesundheitsminsteriums und der Europäischen Gemeinschaft entsprechen (davon hat der deutsche Arzt Dr. Jaeger erzählt, der die Schwestern besuchte), im ganzen
Land Ersthilfestationen aufzubauen, damit die Krankenhäuser entlastet würden. Schließlich könnten nach dem
absehbaren Auslaufen des Internats Kurzzeitbetten in
ausreichender Zahl zur Verfügung gestellt werden. Das
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kein Albanisch kann, versteht nur immer wieder das Wort
„Tourist“. Matilda Dushku hat selten die Gelegenheit, Fremden über ihr Leben zu erzählen.
Die 29-Jährige hofft, dass Tirana bald eine neue Moschee bekommt, eine größere, die mehr Platz bietet als das 200 Jahre
alte Gebetshaus, in dem sie gerade steht. So schön die filigranen Malereien auf den Wänden sind: In die kleine Moschee passen nicht mehr als 60 Leute.
Die Türkei will das ändern. In Tirana will die türkische Religionsbehörde Diyanet die größte Moschee des Balkans bauen.
4500 Gläubige sollen dort Platz finden. Eine logische Reaktion
auf den Mangel - und gleichzeitig ein Symbol dafür, wie
schwierig es für Albanien ist, zu einer eigenen Identität zu finden.
Nach dem Ende der sozialistischen Diktatur 1990 begann für
die Muslime, Katholiken und Griechisch-Orthodoxen in Albanien ein langsamer Prozess des religiösen Erwachens. Zuvor
hatte der Diktator Enver Hoxha das Land 1967 zum ersten
offiziell atheistischen Land der Welt erklärt und jegliche
Religion verboten. Albanien hat sich davon bis heute nicht
erholt. Im Alltag hat die Religion nur wenig Platz. Ob ihre
Freunde und Kollegen auch für eine neue Moschee sind? Sie
weiß es nicht, sagt Dushku. „Wir sprechen selten über Religion. Vor allen Dingen nicht auf der Arbeit.“
Das schwierige Verhältnis Albaniens zu Religiosität beruht
nicht nur auf dem Vakuum, das durch die Zerstörung der Gotteshäuser und die Verfolgung der Geistlichen unter Enver Hoxha entstand. Es hat auch mit der latenten bis offenen IslamSkepsis Europas zu tun.
Das hat weniger mit der komplizierten Bevölkerungsstruktur
zu tun, als damit, dass Albanien eines der ärmsten Länder Europas ist. 17,7 Prozent der Albaner waren im Juni 2014 arbeitslos. Jene, die Arbeit hatten, verdienten im Durchschnitt
377 Euro im Monat. Erlösung soll langfristig der Beitritt zur Europäischen Union bringen. Seit August 2014 ist das Land Beitrittskandidat. Die aktuelle Regierung habe sehr erfolgreich
begonnen, die extrem hohe Korruption zu bekämpfen, finden
die Sprecher der EU in Tirana. Und sobald EU- Offizielle und albanische Politiker die Razzien gegen die organisierte Kriminalität und Reformen in der Justiz aufgezählt haben, führen sie
zusätzlich ein kulturelles Argument ins Feld: Das friedliche
Zusammenleben der Religionen mache Albanien zum idealen
Beitrittskandidaten. Als Papst Franziskus sich 2014 entschied,
Tirana zum Ziel seiner ersten innereuropäischen Reise zu
machen, nannte er Albanien ein Land, das „für viele Länder zu
einem Vorbild werden“ könne und das beweise, dass „das
friedliche und fruchtbare Zusammenleben von Menschen und
Gemeinschaften, die unterschiedlichen Religionen angehören,
konkret möglich und machbar ist“.
Ankara begreift sich immer noch als muslimische
Schutzmacht auf dem Balkan
Es stellt sich die Frage, wie sich dieser von innen und außen
beschworene Frieden entwickeln wird, wenn die Moschee
kommt. Mehmet Görmez, der Vorsitzende der türkischen Religionsbehörde, sagt deutlich, dass der Bau des Gotteshauses
nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Entscheidung ist: „Albanien und die Türkei teilen die gleiche
Geschichte, Kultur und Geographie.“ Görmez macht den Moscheebau somit nicht nur zur Staatsangelegenheit. Er stellt
auch klar, dass die Türkei sich auch lange nach dem Ende des
Osmanischen Reiches noch als muslimische Schutzmacht auf
dem Balkan begreift.
Dabei sehen die Pläne der Albaner selber anders aus. 90 Prozent der Bevölkerung wollen zur Europäischen Union gehören.
Sie hoffen auf Jobs, auf bessere Schulen und darauf, dass nicht
jeder, der noch Pläne hat, so schnell wie möglich auswandert.
Eine Studie der Universität Oslo zu Identität und Nation in Albanien ergab 2012, dass über die Hälfte der Bevölkerung das
Land gerne verlassen würde. 76 Prozent der Befragten gaben
dafür ökonomische Gründe an. Wie viele Erwartungen die
Menschen mit einem Beitritt zur EU verbinden, ist der politischen Elite Albaniens bewusst. Ebenso ist ihr klar, dass die
Chancen auf einen EU-Beitritt steigen, wenn Albanien sich als
multi-religiös bis christlich inszeniert.
Auch wenn Religion in Albanien nicht mehr verboten ist, ist sie
noch lange keine Privatsache. Sie bleibt politisch.
Die Anthropologin und Albanien-Expertin Cecilie Endresen beschreibt diese auf den Westen zielende Inszenierung als „Mutter-Teresifizierung“. Obwohl Mutter Teresa in Kalkutta die indische Staatsbürgerschaft annahm: Sie wurde als Albanerin
geboren. Ein Umstand, an den ausdauernd von den wechselnden Regierungen erinnert wird - mit Tiranas Mutter-TeresaFlughafen, mit einer Gedenktafel im Obersten Gerichtshof, auf
der ihr „Gebet für die Richter“ steht, mit zahlreichen Statuen,
die sie beseelt gen Himmel blickend zeigen. „Eine Kosten-Nutzen-Analyse“, sagt Endresen, die darauf abziele, das Land dem
EU-Beitritt näher zu bringen. Proteste gegen den Nonnen-Kult
regten sich erst, als die Regierung 2007 Mutter Teresa inklusive Kreuz auf die albanischen Personalausweise drucken woll-
Der Premier hat nun ein Grundstück in bester Lage für
den Bau freigegeben
Kein anderes Land in Europa hat einen so großen muslimischen Bevölkerungsanteil wie Albanien. 70 Prozent derEinwohner sind Muslime wie Matilda Dushku. Doch während
der Vatikan in Tirana bereits in den Neunzigerjahren eine Kirche baute, in der Tausende Katholiken Platz finden, und die
orthodoxen Christen von Griechenland ein Gotteshaus ähnlichen Ausmaßes finanziert bekamen, ist die einzige Moschee
in Tiranas Zentrum ein kleines Steinhaus aus osmanischen Zeiten.
Im Dezember hat Albaniens Premier Edi Rama nun ein
Grundstück in bester Lage für den Moschee-Neubau
freigegeben. Damit beginnt für das kleine Land auf dem
Westbalkan ein schwieriger Balanceakt.
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te. „Niemand würde ein Bild des Korans mit sich herumtragen
wollen. Personalausweise mit der Darstellung einer christlichen Seligen widersprechen der albanischen Verfassung,“
musste der Rat der Muslime die Regierung belehren. Das Projekt wurde beerdigt.
Auch der Bau der Moschee kann nun als Kosten-Nutzen-Analyse betrachtet werden. „Die Türkei ist für Albanien zu einem
wichtigen wirtschaftlichen Unterstützer geworden“, sagt der
Leiter der Soros-Open-Society-Foundation in Albanien, die sich
als Nichtregierungsorganisation für den Westkurs des Landes
einsetzt. Albanien profitiere im Bildungssektor von muslimischen Schulen. Und Ministerpräsident Edi Rama scheint gut zu
wissen, dass 70 Prozent Muslime auch 70 Prozent der Wahlberechtigten bedeuten. Rama wurde im September 2013 gewählt. Er ist der erste albanische Premier, dessen Wahl von
internationalen Beobachtern als frei und fair anerkannt wurde. Rama ist Katholik, seine Frau ist Muslimin. Dass er den
Bau der Moschee unterstützt, ist zunächst einfach als Zeichen
zu betrachten, dass die Regierung anerkennt, welcher Religion
die Mehrheit der Albaner angehört.
Erschüttert
Am Freitagabend ist es passiert – gestern Früh am Samstag dann war es in unser aller Bewusstsein. Am Kirifluss,
dem Eingang zum Dukagjin, den wilden Bergen, ist das
geschehen, was nicht geschehen darf. Es ist das geschehen, an diesem 3. Juli, was das Herz der Menschen
aus dem Norden trifft, was die uralte wunderbare Tradition des unantastbaren Schutzes des Fremden und
Gastes aus den Fugen reisst: ein junges tschechisches
Paar, Anna und Michal, wurden auf der schmalen Strasse überfallen und mit vielen Schüssen exekutiert.
Unsere Mitarbeiter sind fassungslos, Irena und Pranvera
weinen bitter, Marina, Aferdita, Sokol, Vitorja tragen
schwer. Irgendwie ist es, als darf es nicht sein. Schwester Michaela berichtet es mir und ist kreidebleich dabei.
Auch wir beide sind wohl in diesen Stunden Albanerinnen. Wir wissen, was Gastfreundschaft bedeutet. Wir
wissen, dass der Bruch der Gastfreundschaft so etwas
wie ein absolutes TABU ist. Es ist gebrochen! Man sagt,
der Täter sei ihr Reisebegleiter in die Berge gewesen.
Dammbruch total. Nichts hat mehr Gültigkeit. Sokol und
Irena kommen zu uns, als wollten sie eine Sicherheit.
Und sie schämen sich. Alle schämen sich. Wir sagen: „Ihr
seid doch nicht alle so!“
Sie übernehmen kollektiv das Schuldgefühl. Sokol sagt:
„Glaubt uns nichts mehr, geht nach Hause“. Ich verneine
bestimmt und möchte ihn schütteln. Aber ich senke mit
ihm den Kopf. Ich fühle nun wie die Albaner, stelle ich
fest.
Ich sage laut: „O Gott, habe Erbarmen mit deinem Volke!“ Und dann schaue ich Schwester Michaela an und
sage: „Heute um 17.00 h fahren wir dorthin, wir zünden
wenigstens eine Kerze für die Beiden an, wir geben ein
Zeichen“. Alle die da sind, wollen mit. Der Tag zieht sich
quälend dahin. In der Ambulanz haben die Patienten nur
dieses Thema. Sie schämen sich. Dann fahren wir um
17.00 h los: Schwester Michaela, Sokol, Irena, Pranvera,
Marina, Anna, Franziska und ich. Die Kinder bleiben mit
Aferdita hier.
Gleich am Kirifluss steht die Polizei. Es heisst, es darf
niemand durch. Aber wir dürfen ohne ein Problem passieren. Wir beten den Rosenkranz. Das Tal wirkt so friedlich. Die Strasse ist eng. Es kommen uns Polizeiautos entgegen. Dann sind wir am Tatort. Eben ist die Polizei weggefahren. Wir parken abseits und gehen die Strasse zurück. Die schmale Teerstrasse ist voller Blut, schon von
der Sonne in den Teer gebrannt. Wir alle schweigen. Es
ist still. Dann beschliessen wir, das Kreuz und das Foto
an der Leitplanke festzumachen. Sokol betoniert es dort
an der Haltestange ein. Alle bringen Steine, schreiben
drauf. Ein paar Blumen, ein paar Kerzen. Direkt daneben,
10 Meter den Hang runter, liegt von den Spurenermittlern der Kripo der weisse Plastikmantel, an der Strasse
klaube ich den ersten zurückgelassenen Plastikhandschuh auf. Mir wird fast übel. Ich empfinde dies als völlig
Auf dem „Boulevard der Märtyrer“ zeigt sich, was Albanien hat - und was nicht
Wie lückenhaft das albanische Selbstbild bislang ist, lässt sich
am besten mitten in Tiranas Zentrum beobachten. Wer etwas
auf sich hält, hat sich hier, auf dem „Boulevard der Märtyrer“,
seinen Platz gesichert. Am nördlichen Ende grüßt der Kriegerfürst Skanderbeg, am südlichen Mutter Teresa. Beide aus
Bronze, beide jeweils so, wie es zu ihrer Legende passt: Skanderbeg als überlebensgroße Reiterstatue, Mutter Teresa barfuß und mit mehr Kopftuch als Gesicht. Zwischen ihnen 530
Jahre und eine sechsspurige Straße. Dort stehen der Präsidentenpalast, die Neubauten der katholischen und der griechischorthodoxen-Kirche, das Nationalmuseum, das verrottende
Mausoleum des Diktators Enver Hoxha, und auf einem Grünstreifen schlafen ineinander geknäult die Strassenhunde. Der
Boulevard zeigt, was Albanien hat, aber auch, was es nicht
hat. Jedes Jahr, wenn der Fastenmonat Ramadan zu Ende
geht, versammeln sich hier Zehntausende Muslime zum gemeinsamen Fastenbrechen auf der Straße; ausgerechnet zwischen der katholischen Nonne Mutter Teresa und dem Nationalhelden Skanderbeg, der gegen die Osmanen und ihren
Islam kämpfte. Noch fehlt eine Moschee, in der all diese
Gläubigen Platz finden könnten.
Aus: Süddeutsche Zeitung von Nadia Prantl
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würdelos. Ich spreche mit Schwester Michaela. Die steigt
beherzt den Hang runter und sammelt diese Sachen ein.
Sie findet noch weitere Gummi-Handschuhe, ein Untersuchungsröhrchen und einen kleinen gelben blutigen
Notizblockzettel. Ein Satz in tschechischer Sprache ist
drauf geschrieben. Wir fragen uns, ob es die letzten
Worte waren. Beim Herrichten der kleinen Gedenkstätte für Anna und Michal blicke ich immer wieder auf die
Strasse mit dem Blut. Nichts wurde gesäubert. Ich stelle
mir vor, dass die Angehörigen der Opfer hier ankommen, ich stelle mir vor, dass die Kuhfladen das Blut
bedecken, das die Katzen kommen und auflecken usw.
Ich halte es nicht aus. Wir haben Wasserflaschen dabei,
sogar 7 Liter Behälter. Und einen Lappen. Franziska ist
bereit, das Wasser zu giessen und ich fange an, mit dem
Lumpen das Blut von der Strasse zu scheuern. Wenigstens soll es in die Erde versickern können. Nach kurzen
Minuten wird mir schlecht vom Geruch. Ich muss ein
Stückweit weg und Schwester Michaela nimmt den
Lappen. Sie hält es aus. Sokol holt mit dem Behälter
Wasser von der Kiri unten in der Schlucht. Irgendwann
scheuern alle mit Farnsträuchern das Blut weg. Sokol ist
weiter der Wasserläufer. Ich habe Rosmarinsträucher
gebracht und mit dem Geruch von Rosmarin schaffe ich
es auch wieder zu putzen. Dann kommt ein Polizeibus.
Wir gehen auf die Strassenseite, aber er hält an. Im
hinteren Teil des Busses sind Männer aus Prekal, dem
Dorf gleich beim Tatort. Sie sind alle zum Verhör unterwegs und wirken unendlich bedrückt. Ich erkläre dem
Polizisten am Steuer was wir machen. Er nickt. Wir kennen ihn. Nach einer Stunde ruft seine Frau bei uns an
und bedankt sich im Namen ihres Mannes für das, was
wir dort oben tun. Es ist für sie, wie ein Stück der Wiederherstellung einer total verlorenen Ehre. Wir putzen
immer noch; es wird langsam dämmerig. Wir putzen, als
wollten wir mit dem Blut auch das Blutvergiessen ungeschehen machen. Über dem Bergmassiv geht blutrot die
Sonne unter und ich sage wieder laut: „O HERR, ERBARME DICH“! Da kommt ein Ehepaar aus Kir an den Ort.
Sie wirken traurig und verstört. Der Mann sagt, er war
einmal der Bürgermeister hier. Die Frau sagt, sie mussten hierher kommen.
Sie schämen sich, aus dem Dukagjin zu sein und wissen
nicht weiter. Dann beginnen auch sie, das Blut wegzuputzen. Auch der Mann putzt – wohl zum ersten Mal in
seinem Leben. Anna zündet immer wieder die Kerzen
an, die vom Wind gelöscht werden. Ihr geht es nahe,
dass die Ermordete auch Anna heisst. Marina schreibt
auf den Stein: „Bitte vergebt uns“. Und dann putzen
wieder alle. Schwester Michaela und ich finden einen
Büschel blonder Haare im Blut. Anna war blond. Ich
nehme ihn, reinige ihn und begrabe ihn unter den
Steinen bei unserem Denkmal. Dann steige ich zu Sokol
hinunter in die Schlucht. Er sitzt dort und schaut in den
rauschenden Fluss. Das Wasser ist rein. Sokol gibt mir
einen Stein und sagt: „Nimm ihn, der kann nicht sündigen wie wir“. Wir schweigen.
Irgendwann dann bilden wir einen Halbkreis um das kleine Denkmal und beten alle für die Getöteten, ihre Angehörigen und Freunde und für die Täter und die Menschen aus dem Dukagjin. Inzwischen ist es dunkler geworden, die Kerzen flackern. Wir gehen.
Ob wir Anna und Michal ein wenig Würde zurückgegeben haben, ob wir das verwundete Herz des Dukagjin ein
wenig heilen durften? Dies weiss Gott allein.
Anna und Michal, Ihr werdet vielleicht nun wissen, was
Irena auf den Gedenkstein schrieb: „Ihr seid unsere Geschwister“.
Schwester Christina mit allen hier
Bitte umdenken!
Ist Albanien ein sicheres Herkunftsland?
Die Frauen, die von dort zu uns fliehen,
erleben es anders.
Eine Frau, die von ihrem Mann verprügelt wird, kann
sich glücklich schätzen, wenn in ihrem Land außerdem
noch ein Bürgerkrieg tobt.
Dann hat sie nämlich eine Chance, in Deutschland Asyl
zu bekommen. Wird sie aber in den albanischen Bergen
von ihrer Familie mit dem Tod bedroht, sieht es schlecht
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aus für sie. Wer deshalb weitere Länder, in denen Frauen massiv unterdrückt und bedroht werden, für sicher
erklärt, der weiß nichts von deren Lage dort - oder will
es nicht wissen.
Seit Juli hat das Bundesamt für Migration mehr als 5000
Asylanträge aus Albanien bearbeitet: Kein einziger wurde bewilligt. Deshalb, so der Zirkelschluss der CDU/CSU,
drohe den Antragstellern in ihrer Heimat keine Gefahr.
Letztes Jahr schon wurde entschieden, dass in Serbien,
Mazedonien und Bosnien-Herzegowina weder politische
Verfolgung noch unmenschliche Behandlung stattfinde.
Das bedeutet für die Flüchtlinge aus diesen Ländern,
dass sie kein vollwertiges Asylverfahren mehr durchlaufen und noch schneller abgewiesen werden. Beim Asygipfel am 9. September wird es darum gehen, auch Albanien, Montenegro und das Kosovo als sichere Herkunftsländer einzustufen. Die SPD, die sich um die Verdammten dieser Erde zu kümmern vorgibt, signalisiert Zustimmung.
So ganz sicher scheinen diese Herkunftsländer aber nicht
zu sein, sonst könnten sie ja sofort in die EU aufgenommen werden, was vor allem aus einem Grund nicht geschieht: mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Das klingt abstrakt, ist aber für viele Menschen dort eine Frage von
Sein oder Nichtsein. Mangelnde Rechtsstaatlichkeit trifft
immer die verletzlichen Gruppen. Auf dem Balkan sind
das nicht nur die Roma, es sind die Frauen, die leiden,
wenn der Staat nicht durchsetzungsfähig oder -willig ist.
In Albanien heißt das größte Problem der Frauen Kanun.
Das ist ein mündlich überliefertes Gewohnheitsrecht,
das man der Einfachheit halber die Scharia der Albaner
nennen kann. Demnach ist eine Frau nicht mehr als ein
Schlauch, in dem Ware transportiert wird. Wesentliche
Elemente des Kanun sind Selbstjustiz, Blutrache und
Zwangsehe. Seit dem Ende des Kalten Krieges steigt die
Zahl der Opfer. Der Kanun prägt sogar die heutige Rechtsprechung: Erst seit drei Jahren ist häusliche Gewalt eine
Straftat. Konsequenzen für die Täter hat das selten. Die
allermeisten Frauen ziehen ihren Antrag auf eine Schutzan--ordnung wieder zurück. Der albanische Staat schafft
es auch nicht, seine Bürgerinnen vor Menschenhändlern
zu schützen. Albanerinnen werden von Banden entführt
und in die Prostitution gezwungen. Außerdem werden
inzwischen so viele weibliche Föten abgetrieben, dass
sich das Geschlechterverhältnis nachhaltig verschobenhat.
Das alles könnte man wissen, wenn man den Albanerinnen zuhörte. So wie die Behörden in Belgien. Dort hatte
man Albanien 2012 zum sicheren Herkunftsland erklärt.
In den Monaten danach wurden trotzdem 17,2 Prozent
der Anträge bewilligt. Seit Oktober 2014 gilt Albanien in
Belgien nicht mehr als sicher.
Deutschland tut sich traditionell schwer mit weiblichen
Flüchtlingen, erst seit 2005 ist geschlechtsspezifische
Gewalt, die von Familienmitgliedern ausgeübt wird, ein
Asylgrund. Weil dieses Ziel vor zehn Jahren als erledigt
abgehakt wurde, geriet die Frage, wie es Frauen auf der
Flucht geht, in Vergessenheit. Entgegen einer verbreiteten Meinung jammern Frauen kaum über ihr Schicksal,
wenn sie beim Bundesamt vorsprechen: Viele, die Opfer
von Gewalt wurden, müssen ermutigt werden, über ihre
Erfahrungen zu reden. Rechtsanwälte beklagen, dass die
Gespräche mit Antragstellern aus den Balkanländern
nicht qualifiziert geführt würden. Sie dauerten oft nur 30
Minuten, dabei gehe es vor allem um den Reiseweg, damit in einen Drittstaat abgeschoben werden kann. Sich
in dieser Zeit den Entscheidern anzuvertrauen erscheint
vielen Frauen unmöglich.
Vielleicht ist es ein gedanklicher Spagat, das anzuerkennen. Die Genderdebatte hier wird dominiert von beleidigten Männern und jungen Frauen, die twittern, wer
was in welchem Ton zu ihnen gesagt habe. Albanien und
der Kanun sind davon sehr, sehr weit weg. Dabei könnten gerade die Frauen, die von dort herkommen, vom
geballten deutschen Genderwissen profitieren. Zuwanderung bringt Veränderung, vielleicht sogar für Feministinnen
Von: Elisabeth Raether in DIE ZEIT
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„Hurra, ich habe die MATURA, das Abitur
Auch wenn es nicht so gut war wie erhofft: Ich bin froh
und glücklich und stolz, dass ich nun das Abitur bestanden habe. Ohne zwischendurch sitzen zu bleiben. Das ist
doch auch eine Leistung!
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Warum? Weil ich gegen Ende der Hauptschule mich gegen meine Freunde durchsetzen musste, die keine Lust
zum Lernen hatten, faul waren und Krach machten oder
überhaupt nicht an jedem Tag zur Schule gingen. Sie
nannten mich „Mutterkind“ wenn ich meine Hausaufgaben machte und im Unterricht mitmachte. Das tut weh.
Ich wollte doch „Vaterkind“ sein. Aber ich musste und
wollte wegen der Verletzung meiner rechten Hand das
Abitur unbedingt machen. Denn ich hatte mit 10 Jahren
mit Munition am Strand gespielt und vier Finger abgesprengt. Ich bekam in Lingen einen neuen Daumen und
durch einen Sponsorenlauf der Schülerinnen und Schüler
der Marienschule die Unterstützung, in Shkodra aufs
Gymnasium und ins Internat zu gehen. Ihre Spende hat
mir das alles, weitere Reisen zu Operationen nach Lingen und Nachhilfeunterricht in Chemie, Physik und Mathe ermöglicht. Ihnen sage ich besonders DANKE.
Ich habe das Beten und Feiern der Heiligen Messe als für
mich wichtig gelernt. Und ich tue das gerne. Darum bin
ich den Patres dankbar, besonders Pater Nunzio, einen
Franziskaner.
Und etwas muss ich noch ergänzen: Ich habe die Abschlussfeier am Gymnasium nicht mitgemacht, weil ich
mir einen neuen Anzug (das ist Pflicht) nicht leisten
konnte und auch kein Geld für das viele Essen und
Trinken habe, das dazu gehört. Außerdem wollte ich mit
nach Assisi laufen und fahren; das war mir wichtiger.
Und so habe ich mich zuhause mit meiner Familie gefreut und nichts vermisst.
Auch hier noch einmal Danke an Pastor Warning, der
mich fast 10 Jahre lang begleitet und ermuntert hat,
auch so zu denken und zu leben. Euer Francescu.“
„Seid ihr bekloppt?– unsere Wallfahrt nach Assisi
Genau das wurden wir immer wieder auf unserer Fußwallfahrt in Albanien gefragt. Erst einmal machten wir
uns von Shkodra erst mit dem Bus und dann auf den 168
KM weiten Weg auf nach Vau i dejes in den Albaner Bergen. Die genaue Strecke: Shkodra mit dem Bus nach Koman, von dort mit der Fähre nach Fierza. Ab da gelaufen
über Fush Arez, Puke zurück nach Vau i dejes. Von dort
dann mit dem Bus über Montenegro, Bosnien, Herzegowina, Kroatien, Slovenien, Venedig nach Assisi. 27 Stunden im Bus.
Danke an Familie Budde, die zu meiner Familie wurde;
danke an Petra und Anni aus dem Pfarrbüro und den
Ärzten und Schwestern im Bonifatiushospital. Besonderen Dank an Pastor Warning, der das alles und alle miteinander verbunden hat. Auch das Internat in Shkodre
wurde für mich möglich.
Ich bin aber für eine Erfahrung besonders dankbar. Die
Erfahrungen im Internat. Dort habe ich gelernt, Rücksicht auf andere zu nehmen; nicht alles haben zu wollen,
sondern auch zu verzichten. Ich musste lernen, dass ich
auch bestraft werden kann, wenn ich Blödsinn gemacht
habe und für mein Tun gerade stehen musste. Ich habe
gelernt, konzentriert zu lernen und die Zeiten des Lernens und Spielens und der Freizeit einzuhalten. Ich weiß
nun, dass das Essen manchmal nicht so gut schmeckt
wie zuhause, dass ich es aber dennoch essen soll, denn
viele Menschen haben gar nichts zu essen.
Und was haben wir beim Gehen an diesen 6 Tagen gemacht? Gebetet und gegessen, Messe gefeiert und
nachgedacht. Am Nachmittag ein gemeinsames Gespräch und nach ihm mit Fragen in kleinen Gruppen uns
ausgetauscht über Fragen unseres Lebens, unserer Zukunft und dem Leben der anderen. Wir haben gespürt,
dass wir auch leben können ohne Fernsehen und Internet, ohne Handy und Auto, ohne Geld und immer Essen
und Trinken. Andere müssen darauf immer verzichten.
Was wir an diesen sechs Tagen gemerkt haben: sehr einfach leben geht doch. Ich fühle mich ganz reich in meinem Leben und brauche das alles nicht unbedingt; oder
ich bin dankbar für das Viele, das ich habe. Das wurde
für mich und die 50 mitgelaufenen Jungen ganz wichtig.
Dafür bin ich Pater Nunzio und auch den mitgelaufenen
Nonnen dankbar. Unterwegs haben wir immer wieder
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unseren ganzen Körper gespürt und die Malteser im
Jeep haben viel helfen müssen.
Danken möchte ich für diese Erfahrung, die uns der Pater und die Nonnen gegeben haben. Danken möchte ich
auch hier den Mädchen und Jungen in Lingen an der
Marienschule, die mir diese Wallfahrt aus dem Sponsorengeld geschenkt und ermöglicht haben. Francescu.“
(Texte von der Redaktion geglättet und korrigiert)
Neue Nachrichten von Aferdita - kurzgefasst
Angekommen in Assisi waren wir todmüde und blieben
doch neugierig. Die riesige Kathedrale, die kleine Kirche
darin des Hl. Franziskus. Auch die Kirche der Hl. Clara
„Der Laptop für Liliane ist angekommen. Den habe ich
sofort weiter gegeben. Danke. Ich bin mit Anna, unserer
Praktikantin, durch Südalbanien gereist. Da konnte ich
haben wir besucht. Und wieder viel gebetet und Messe
gefeiert. Das ging mir nicht auf die Nerven; ich fand es
sehr schön. Nach fast drei Tagen ging es dann 25 Stunden im Bus zurück nach Shkodra.
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ihr zeigen, wo ich gewohnt habe und und erwachsen
geworden bin.
Zur Zeit bin ich mit den Schwestern für einige Wochen in
der Schweiz in ihrem Kloster. Ich helfe mit, dass die Kinder Antonio und Abraham versorgt werden. Das macht
mir nach wie vor sehr große Freude. Mit uns ist auch die
meine Freundin Marina mitgefahren. Da können wir uns
gegenseitig helfen und miteinander sprechen. Aferdita“
haben uns auf den Fahrrädern ausprobiert und unterwegs viele andere Radfahrer getroffen.
Vier Wochen hier in Alfhausen/Ankum und vier Wochen
dort in Borkum im Mutter-Kind -Erholungsheim
Rina und Kristina haben fleißig ein Tagebuch geschrieben und dadurch ihre Erinnerungen und Erfahrungen
täglich bedenken können. Aus diesen Erinnerungen ist
ihr Bericht entstanden, in dem ihre wichtigsten Erfahrungen zusammengefasst sind.
Unsere erste größere Reise ging zum Pfarrfest nach Lage,
wo wir ganz viele nette Leute kennen lernen konn-ten,
die uns gleich zum Spielen eingeladen haben.
Acht Wochen in Deutschland – und es wurde
nie langweilig. Rina und Kristina bei uns
„Nach gutem Flug von Korfu nach Düsseldorf sind wir gut
angekommen, begrüsst und willkommen geheißen: Heidi
und Pastor Warning. Nichts war wichtiger als zu schlafen.
Hier auf dem Pfarrfest in Lage/Rieste
Und dann gleich unser erster Besuch: Schwester Luise ist
zu uns gekommen und hatte für uns einen ganzen Nachmittag Zeit. Da konnten wir viel erzählen. Und unser
weniges DEUTSCH ausprobieren. Die Verständigung ging
schon ganz gut: wir hatten ja unsere Hände und Füße
noch.
Zwei Fahrräder von unseren Nachbarn standen bereit
und wir haben sie sogleich ausprobiert. Mit Erfolg – wie
man sehen kann. Denn die Gegend um Alfhausen lädt
wirklich zum Radfahren ein – alles flach und mit
Radwegen – ungefährlich. Und alles Schöne so nah. Wir
Beim Kaffeetrinken mit Schwester Luise
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Und dann kam die lange Zeit der Arbeit, der Praktika in
Krankenhaus und Kindergarten, der hier „Kindertagesstätte“ heißt.
Mein Einleben im Kindergarten war nicht ganz einfach,
weil hier besondere Regeln gelten: Ich darf keine Kinder
fotografieren; ich darf die kleinen Kinder nicht zur Toilette begleiten. Ich musste das Frühstück und andere Mahlzeiten mit Handschuhen vorbereiten. Die Kinder konn-ten
sich bewegen und schaukeln und Purzelbäume schla-gen
– das alles hatte ich nie gelernt. Darum wurde das
Praktikum für mich zu einer guten Lehre.
Und ich, Rina. Die Tage im Krankenhaus vergingen wie
im Fluge. Ich konnte praktizieren, was ich theoretisch gelernt hatte. Ich konnte viele Dinge erlernen, die ich praktisch noch nie gemacht hatte. Ich wurde wegen meines
albanisch zur rettenden Hilfe für viele Situationen: Denn
fast täglich kamen Flüchtlinge zu uns, die erst einmal untersucht werden mussten. Auch viele Albaner. Gerade
auch die Frauen fassten zu mir Vertrauen und für die
Schwestern war es eine große Entlastung. Das haben sie
mir immer wieder gesagt. Auch die übrigen Arbeiten
konnte ich bald alleine und verantwortlich durchführen.
Es war für mich eine herrliche Zeit, die mir für meinem
Beruf, den ich sehr gerne ausübe, sehr geholfen hat.
Am Abend haben wir immer von unseren Erlebnissen am
Tage erzählt und gegessen, geredet und miteinander gespielt. Dass Heidi und Pastor so viel Interesse an unseren
Erlebnissen und Erfahrungen hatten, habe ich in meinem
bisherigen Leben noch nicht erlebt. Dafür sind wir sehr
dankbar.
Was mir sehr geholfen hat: Die Unbefangenheit der Kinder, die mich zu sich zum Spielen hinzogen und die
Freundlichkeit der Erzieherinnen. Außerdem war dort ein
Kind, das nur englisch sprach. Eine besondere Freude für
mich, weil ich auch als einzige mit der Mutter ange-regt
sprechen konnte. In englisch!
Neben unserer Arbeit gab es viel freie Zeit am Wochenende, wo wir ganz viel, unternommen haben. Was sollen
wir lange davon erzählen; besser, wir zeigen viele Bilder.
Besonders gefreut hat uns ein Besuch in Osnabrück gefreut in die Stadt und den Dom. Beim Gottesdienst trafen wir den Generalvikar Theo Paul, der schon einmal in
Delvine war. Und er hat uns persönlich begrüßt und mit
uns gesprochen.
uns gesprochen.
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Mit einem Eisessen in Osnabrücks bester Eisstube ging
dieser Ausflug passend zuende.
Dann haben wir an einem Tag eine lange Radtour gemacht und sind bei der Cousine vom Pastor eingekehrt
und zum Grillen dort einen ganzen Abend geblieben. Das
waren vielleicht nette Leute!
Im Inneren des großen Domes
Ein weiteres Highlight war der Besuch des sehr großen
Zoos in Osnabrück, der nicht nur wegen der Affen einen
Besuch wert ist. Denn der Zoo ist bemüht, den Tieren den
angemessenen Lebensraum zu schenken.
Im Kreuzgang des Domes mit dem „Herrenfriedhof“
auf dem auch zwei Onkel vom Pastor begraben liegen.
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Am beliebtesten und mit den meisten
Besuchern: Die verschiedenen Affengehege
Ein weiterer Ausflug führte uns zu den Dinosauriern
die vor Millionen Jahren hier gelebt haben.
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Zwischendurch die dramatische Rettung mit dem Hubschrauber eines Herzinfarktpatienten.
Es sieht fast so aus, als hätten wir hauptsächlich Freizeit
gehabt. Doch die freie Zeit wurde uns mit vielen Aktionen geschenkt und gestaltet. Das hat uns sehr erfreut. So
kam uns ein Besuch im Labyrinth und auf einem
Spielplatz sehr entgegen: Wir konnten dort einerseits
unsere Fähigkeit als Scout erproben, andererseits unsere
fehlende Motorik erleben im Schaukeln pp.
Gottesdienste an verschiedenen Orten, verschiedenen
Kirchen und zu verschiede-en
Zeiten. Davon können wir in
Borsh und Delvine nur
träumen. Doch auch hier wie
bei uns: Die Jugendlichen
fehlen oft ganz im Gottesdienst.
Eine besondere Freude war
die Einladung von Kaja zu
einem Rockkonzert, bei dem
sie selber mitgesungen hat.
Und dann die freundliche
Einladung von uns allen zu
einem
Nachmittag
bei
Kaffee und Kuchen in der
sehr großen und sehr
freundlichen Familie Eichhorn. Übrigens: Kaja möchte
sehr gerne ein Praktikum,
ein soziales Jahr in Albanien
machen, um dann Ärztin wie
ihre Mutter zu werden. Ob
das noch in ihrer Wartezeit klappt?
An einem Nachmittag haben wir das Kloster Dinklage
besucht und mit den Schwestern geredet und gebetet.
Sind die nett!
Und dann die große Freude, von der Kindergartenleitung zu einem längeren Shoppingbesuch mit Besichtigung und Eisessen nach Osnabrück eingeladen zu werden. Was war es ein Erstaunen und eine Freude zu sehen, wie hier Erzieherinnen ausgebildet werden und in
welchen Räumen. Wie gut es ist, hier zu sein!
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Dann ein weiterer Besuch im Kinderhospital, das eine
Atmosphäre zeigt, die Eltern und Kindern guttut.
Dann hieß es Abschied nehmen von Borkum. Ob wir noch
einmal wieder kommen dürfen oder andere Praktikantinnen aus Albanien?
Und dann kam BORKUM.
Von dort gibt es nicht so viel zu berichten, obwohl die
Zeit mit vielen Erlebnissen gefüllt war. Die vier Wochen
waren mit vielen Begegnungen gefüllt, mit sehr lieben
Schwestern, mit kranken Kindern und gestressten Müttern; mit liebevollem Umgang mit ihnen und den Erfahrungen des gesund Werdens. Wir wurden sehr
freundlich aufgenommen und begleitet; davon aber lässt
sich viel besser erzählen als schreiben.
Bevor wir noch von einem Erlebnis erzählen, das uns sehr
betroffen gemacht hat, weil es mit uns zu tun hat, hier
noch ein paar Bilder von Möglichkeiten, die uns die
freundlichen Nachbarn in Alfhausen ermöglichten. Sie
ließen uns reiten und haben uns zu einer Kutschfahrt ein
geladen. Das war einfach herrlich und wir sagen vielmals
Dank bei den vielen Nachbarn in Alfhausen-Heeke auf
dem Hadern für diese und andere Erlebnisse.
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Verdienstorden des Emslandes. Nach dem Essen ging es
in die Gedenkräume des Klosters.
Erster Eindruck vor der Wand mit dem Lied der „Moorsoldaten“ in einem hellen Raum. Hier der ergreifende
Text:
1. Wohin auch das Auge blicket,
Moor und Heide nur ringsum.
Vogelsang uns nicht erquicket,
Erlen stehen kahl und krumm.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|
2. Hier in dieser öden Heide
ist das Lager aufgebaut.
Wo wir fern von jeder Freude
hinter Stacheldrahtverhau.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|
3. Morgens ziehen die Kolonnen
in das Moor zur Arbeit hin.
Graben bei dem Brand der Sonnen doch zur Heimat steht ihr Sinn.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|
4. Heimwärts, heimwärts jeder sehnet
sich zu Eltern, Weib und Kind.
Manche Brust ein Seufzer dehnet,
weil wir hier gefangen sind.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|
Beim Reiten bei unseren Nachbarn
Auf der Kutschfahrt durch das
schöne Alfhausen-Heeke und
Umgebung. Rina durfte sogar
die Zügel in der Hand halten.
Und dann Esterwegen. Da holte uns unsere Vergangenheit mit Macht ein: Rina und ihre Familie wohnen in einem früheren Jugend-KZ. Die Familie wohnt in einem
Haus der Aufseher des KZ und gingen im früheren Jugendgefängnis zur Schule. Davon wurde uns nie etwas in
der Schule erzählt. Genau wie in Deutschland muss es
wohl lange dauern, bis darüber gesprochen werden
kann. Darum war für uns ESTERWEGEN so bedrückendeindrucksvoll. Wir wurden sehr freundlich von den beiden Schwestern empfangen und hatten erst einmal Gelegenheit, mit Ihnen zu Mittag zu essen und zu reden.
Das war auch interessant, weil Heidis Schwester die
Oberin im Kloster ist und Schwester Jacinta als Holländerin persönliche Erfahrungen mit den Nazis erzählen
konnte: Ihr Onkel wurde von den Nazis erschossen. Für
die Arbeit der Schwestern hier im Kloster des früheren
Arbeitslagers der Nazis erhalten die Schwestern bald den
5. Auf und nieder gehn die Posten,
keiner, keiner kann hindurch,
Flucht wird nur das Leben kosten!
Vierfach ist umzäunt die Burg.
|: Wir sind die Moorsoldaten
und ziehen mit dem Spaten
ins Moor. :|
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6. Doch für uns gibt es keine Klagen,
ewig kanns nicht Winter sein.
Einmal werden froh wir sagen:
Heimat, du bist wieder mein.
Dann ziehn die Moorsoldaten
nicht mehr mit dem Spaten
ins Moor.
linken Seite; der Bum konnte sich dahin nicht entfalten,
weiterwachsen. Nach rechts war Raum zum Wachsen.
Hoffnung auf ein Morgen aus der Verzweiflung, der Tode
und Folterungen.
Wie durch ein Schlüsselloch schauen wir nach draußen.
Im Mittelpunkt ein kleiner Tabernakel. Der Blick kann
noch den Baum dahinter und das Grün entdecken: Durch
Christus ist Leben; immerwährendes Leben uns gegeben.
Hier ist der Ort zum Gebet; in albanisch und deutsch:
VATER UNSER IM HIMMEL ….
Kerzen brennen auf den Säule, die wie eine Mauer des
Arbeitslagers aussehen. Stille kehrt ein und bleibt uns die
ganze Zeit,
Dann der Abstieg in den nächsten, sehr dunklen Raum.
Die Fenster sind mit Gittern verdunkelt, die an die Eingesperrten erinnern. Rundum grob gesägte Bänke, die
nach Arbeit riechen. Und in der Mitte die alles beherrschende Torflore auf den Schienen – erinnernd an die
schwere und vernichtende Arbeit im Torf. Sie ist der Altar in diesem Raum. Die Schienen formen sich zum
Schienenkreuz und geben dem Raum Weihe: Kein anderes Kreuz auf dem Altar und an den Wänden. Nur
dieses eine. Und Reliquien? „Sie liegen tausendfach unter diesem Raum: Die Toten des Lagers.“ Bedrückende
Stimmung und Stille.
Dann geht es wieder aufwärts in einen hellen Raum.
Zuerst fällt das Wandkreuz auf; aus einem Baum gesägt.
Und es trägt die Wunden der Granaten sichtbar auf der
Was uns bleibt ist nichts als SCHWEIGEN und die Hoffnung, dass auch wir in Albanien eines Tages solche Gedenkorte an unsere schreckliche Geschichte mit Folterungen und Gefängnis und Toden von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, von Muslimen und Christen haben werden. Vielleicht auch dort wo ich - Rina - wohne,
in Borsh an der Küste und oben in der Schule. Wir brauchen solche Orte und den Mut, unsere Geschichte auch in
der Schule zu erzählen. Dann wird hoffentlich keiner
mehr die Menschen verführen und einsperren, wenn sie
nicht seiner Meinung sind. Doch – wir denken – davon
sind wir noch weit, sehr weit entfernt! Aufatmen nun!
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Eine ganz andere Erfahrung haben wir gemacht zum Abschluss unserer langen Reise nach Deutschland: Uns
wurde ein besonderes Geschenk, ein besonderer Abend
im Hamburg zuteil: Beim Musical KÖNIG DER LÖWEN.
Erzieherinnen in Ankum, den freundlichen Nonnen und
den Menschen auf Borkum.“
(Text und Sprache redaktionell geglättet und korrigiert)
Bevor es aber losging, konnten wir mit dem Shuttleschiff
von der Hafenseite zum Musicaltheater fahren. Von dort
hatten wir einen herrlichen Panoramablick auf die Weltstadt HAMBURG, die halb so viele Einwohner hat wie
ganz ALBANIEN: Wahnsinn.
DANKE
Dann erst das Musical: Es war einfach umwerfend schön.
Die Musik, die einfachen Texte und Lieder, die wunderschönen Kostüme, in denen Menschen zu Tieren wurden. Und wie aus dem kleinen König der König der Löwen wurde. Eine ergreifende Geschichte.
Was nun folgt, sind noch einige Bilder aus dem riesigen
Fundus der Mädchen und von Heidi.
Und dann der letzte Tag, der Tag der Abreise aus Alfhausen. Mit einer Menge von Erinnerungen, die wir erst
einmal verdauen müssen. Was wir alles zu erzählen haben! Vor allem müssen wir Heidi Dank sagen, dem Pastor und den Nachbarn in Alfhausen; den Schwestern und
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E
EINE TYPISCHE WOHNGEGEND
IN ALBANIEN
Tod bedroht sind, da ihre Familien in Generationen alte
Fehden verstrickt sind. Das Komitee für Nationale Versöhnung in Albanien geht davon aus, dass seit 1991
etwa 10 000 Menschen durch Blutrache ums Leben kamen. Die Denktradition des Kanun erkennt zudem Frauen kaum Rechte zu. Fälle von häuslicher Gewalt werden
in Albanien daher so gut wie nie zur Anzeige gebracht
und den Frauen wird entsprechend wenig Schutz gewährt.
Emigration ist für die Albaner nichts Neues. Als 1991 die
kommunistische Diktatur endete, verließ ein Viertel der
Bevölkerung das Land. Zuvor war Albanien in einem System der Paranoia und Unterdrückung zum isoliertesten
Land Europas geworden. Zwischen 1945 und 1991 wurden mehr als 6000 Albaner aus politischen Gründen hingerichtet, Hunderttausende wurden verschleppt und
interniert. Die traumatischen Erfahrungen der Diktaturzeit lähmen die albanische Zivilgesellschaft bis heute.
Auch wenn die Wirtschaft des Landes einen Aufschwung
nahm, leben laut Weltbank immer noch sieben Prozent
der Albaner von monatlich weniger als 55 Euro. Ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung ist arbeitslos.
Im Juni 2014 wurde das Land zum EU- Beitritts-Kandidaten, seit September regiert Edi Rama mit der Sozialistischen Partei Albanien. Seitdem hat der Kampf gegen die
organisierte Kriminalität und die extreme Unzuverlässigkeit des Justizsystems zwar an Schwung gewonnen, doch
es gibt immer noch rechtsfreie Räume. In Albanien wird
keine Minderheit politisch verfolgt. Allerdings scheitert
der Staat immer wieder daran, seine Bürger zu schützen.
So heißt es zwar von offizieller Seite, die Blutrache existiere nicht mehr. Doch tatsächlich sind nach wie vor Tausende Albaner von den Gesetzen des mittelalterlichen
Gewohnheitsrechts „Kanun“ bedroht. Der Kanun verpflichtet einerseits zu Gastfreundschaft und regelt Besitzverhältnisse, gleichzeitig sieht er jedoch auch das
Recht auf Rache vor. Menschenrechtsorganisationen
schätzen, dass gut 1500 junge Männer in Albanien vom
Das waren einige Eindrücke und Berichte aus dem Sommer 2015. Wir waren gerne Gastgeber und danken allen, die den Aufenthalt der jungen Leute ermöglicht
und getragen haben. Sie sind nun in ihre Heimat zurückgekehrt und hoffen, dass sich auch für sie etwas
ändern wird: In ihrer Heimat. Denn dafür müssen wir
sorgen, dass sie gerne in ihrer Heimat bleiben und für
ihre Heimat arbeiten können. Dazu wollen wir gerne
beitragen und bitten Sie, für die Menschen in Albanien,
die jungen und die alten, erneut Ihre Spende großzügig
zu bemessen und zu geben. Jeder Euro hilft, den Sie
auf das Konto von Klaus Warning bei der DKM
Münster (400 602 65) 79 061 200 – BIC:
GENODEM1DKM –
IBAN: DE38400602650079061200 einzahlen.
Sie erhalten eine Spendenquittung, weiterhin Berichte.
Das Geld wird jeweils direkt zu den Schwestern gebracht, da Überweisungen zu teuer und noch nicht sijcher sind. Herzlichen Dank Ihr Pastor Klaus Warning
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