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Jahrbuch 2010/2011 | Baines, John F. | Die Koevolution zw ischen W irt und Darmbakterien
Die Koevolution zwischen Wirt und Darmbakterien
Host - microbiota coevolution in the intestine
Baines, John F.
Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie, Plön
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Die
biomedizinische
Forschung
im
letzten
Jahrzehnt
hat
hervorgehoben,
w ie
w ichtig
die
Bakteriengemeinschaften in unserem Darm sind. Durch das schnell w achsende Feld der Metagenomik ist es
möglich gew orden, genetisches Material direkt aus seiner natürlichen Umgebung zu erforschen. Viele
Blutgruppenantigene w erden im Darm exprimiert und nehmen Einfluss auf die dort angesiedelten Bakterien.
Die derzeitige Forschung der Evolutionsgenetiker am MPI in Plön konzentriert sich auf die mit einer Blutgruppe
assoziierte Glykosyltransferase B4galnt2.
Summary
Research in a multitude of biomedical disciplines in the last decade has highlighted the importance of the
bacterial communities inhabiting our intestinal tract. This is in part due to the rapidly grow ing field of
metagenomics, w hich enables genetic material to be studied directly from the environment. Although they are
most w idely know n for their role in transfusion medicine and immunology, many blood group antigens are
expressed in the intestine and influence resident bacteria. Our current w ork in this field focuses on the bloodgroup related glycosyltransferase B4galnt2.
Die Mikrobiota im Darm
Die Forschung des letzten Jahrzehnts in mehreren biomedizinischen Bereichen hat unser Bew usstsein
daraufhin
geschärft, den
menschlichen
Körper
als
„w andelndes
Ökosystem“
w ahrzunehmen.
Unser
Darmsystem, die Mundhöhle und die Haut besitzen eine überw ältigend große Anzahl verschiedener
Mikroorganismen,
bezeichnet als „Mikrobiota“ [1]. Insbesondere das menschliche Darmsystem eines
Erw achsenen w eist eine atemberaubende Zahl an Bakterien auf, nämlich bis zu 100 Billionen. Dies ist in etw a
das 10-fache unserer eigenen Körperzellen [2]. Diese komplexen Ansammlungen von Bakterien, die unseren
Darm bevölkern, sind für zahlreiche physiologische Abläufe im W irt erforderlich, so zum Beispiel für die
Synthese von Vitaminen, den Abbau von nicht verdaulichen Pflanzenpolysacchariden oder die Abw ehr von
Krankheitserregern. Zudem tragen sie zur korrekten Entw icklung des Darmgew ebes und des Immunsystems
bei. Aufgrund dieser vielfältigen Funktionen
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w ird die Mikrobiota manchmal auch als „vergessenes Organ“
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bezeichnet [3]. Viele ihrer Mitglieder bilden stabile, interaktive Verbände mit ihrem W irt und w erden daher
auch als Kommensalen oder Symbionten bezeichnet. Obw ohl bekannt ist, dass die Darmbakterien eine
w ichtige Rolle für die Physiologie des W irtes spielen, stellt der Erhalt dieser w echselseitigen Beziehung eine
große Herausforderung für den W irt dar. So muss das Immunsystem beispielsw eise sow ohl tolerant
gegenüber „Freunden“ bleiben, gleichzeitig aber effektiv gegen „Feinde“, sogenannte Pathogene, vorgehen.
In Individuen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (engl.: inflammatory bowel disease, IBD) zeigt
sich etw a, dass ein Verlust der Toleranz gegenüber Antigenen der Darm-Mikrobiota zusammen mit dem
Versagen
der Barrierefunktion
der Darmw and
mit
einer chronisch-entzündlichen
Reaktion
auf diese
„Symbionten“ verbunden ist. Die Mikrobiota spielt also eine herausragende Rolle sow ohl im gesunden Zustand
des Darms als auch bei chronisch entzündlichen Krankheiten w ie den IBDs. Dabei sind einige genetische
Varianten, die zu einer erhöhten Anfälligkeit für IBD führen, durch evolutionären Selektionsdruck (z.B.
Pathogenresistenz) entstanden. Daher erforscht die Arbeitsgruppe um John Baines im Rahmen des DFGExzellenzclusters “Inflammation at Interfaces“ schw erpunktmäßig die Evolution und genetische Grundlagen
der W echselw irkungen zw ischen Säugetier-W irten und ihrer Mikrobiota.
Bakterielle Metagenomik
Die Bakteriengemeinschaften, die den menschlichen Darm bew ohnen, bestehen aus schätzungsw eise 500 bis
1.000 Arten. Eine Kultivierung von ungefähr der Hälfte der Arten ist bisher mit traditionellen mikrobiologischen
Techniken nicht möglich [4]. Jedoch stellt sich das schnell w achsende Feld der Metagenomik diesem Problem
und ermöglicht das Studium des genetischen Materials genau dieser Bakterien. Metagenomik ist ein
Forschungsgebiet der Biow issenschaften, das mit modernen molekularbiologischen Methoden die Gesamtheit
der Mikroorganismen eines Biotops zu erfassen versucht. Das Material kann direkt aus seiner natürlichen
Umgebung gew onnen w erden, Koloniebildungen sind nicht mehr nötig. Dies w urde durch die Reduzierung der
Sequenzierungskosten und insbesondere durch das Aufkommen des „Next Generation Sequencing“, also neuen
Sequenzierungstechnologien, möglich. Der bei w eitem vielseitigste und meist genutzte genetische Marker für
die Identifizierung von Bakterien auf dem Niveau von Sequenzen ist die kleine Untereinheit des ribosomalen
RNA (rRNA)-Gens (16S-rRNA in Bakterien und Archaeen und 18S-rRNA in Eukaryoten). Die PolymeraseKettenreaktion (engl.: polymerase chain reaction, PCR) stellt die Grundlage der Sequenzierung dar, mit der
bestimmte Regionen des Genoms vervielfältigt w erden können. Diese Regionen können sow ohl für Sequenzen
größerer Gruppen (so w ie die aller Bakterien) als auch spezifischer für kleinere Gruppen (w ie z.B. die des
einzigen Mitglieds der Gattung Lactobacillus) bestimmt w erden. Diese allgemeine oder spezifische Definition der
zu sequenzierenden Regionen w ird erst durch die einzigartige Evolution der RNA-Sequenz ermöglicht.
Die Rolle der Blutgruppenantigene im Darmsystem
Seit der Entdeckung des AB0-Blutgruppensystems von Karl Landsteiner im Jahr 1900 spielen Blutgruppen eine
w ichtige und vielseitige Rolle in der Biomedizin. Blutgruppensysteme w erden bestimmt durch die An- oder
Abw esenheit von W irtsproteinen oder Kohlenstoffw assermolekülen, die durch das Immunsystem erkannt
w erden können (sogenannte Blutgruppenantigene). Viele dieser Gene, die Blutgruppenantigene kodieren,
gehören zu den Glykosyltransferasen. Diese fügen Zuckermoleküle zu anderen Zuckern, Proteinen oder Fetten
hinzu.
Blutgruppensysteme sind hauptsächlich für ihre Rolle in der Transfusionsmedizin und Immunologie bekannt.
Auch sind einige Glykosyltransferasen, die bei der Synthese von Blutgruppen eine Rolle spielen, in der
Darmw and
aktiv. In
diesem Fall fungieren
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die
von
den
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Enzymen
produzierten
Zuckermoleküle
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Bindungsstellen oder auch als Nahrungsquellen für Mitglieder der Mikrobiota [4-5]. Die An- oder Abw esenheit
von Zuckermolekülen im Magen-Darm-Trakt beeinflusst unter anderem die Abw ehr von Pathogenen und die
Anfälligkeit für Krankheiten w ie Morbus Crohn, eine der zw ei bekanntesten Formen von chronischentzündlichen Darmerkrankungen [6].
Die Evolution des Gens B4galnt2 und sein Einfluss auf die Mikrobiota im Darm
A bb. 1: B4galnt2-Ex pre ssionsm uste r im Dünnda rm von
Mä use n m it W ildtyp-Alle l (link s) und Muta nte n-Alle l m it
Ex pre ssion de s Ge ns in de n Blutge fä ße n (re chts). De r
Fa rbstoff binde t spe zifisch die Zuck e r von B4galnt2, wodurch
da s bra une Fä rbungsm uste r zusta nde k om m t.
© P uge t Sound Blood C e nte r/Johnse n
Eines der laufenden Projekte in der Forschungsgruppe Baines konzentriert sich auf das mit einer Blutgruppe in
Zusammenhang stehende Gen B4galnt2. Das von B4galnt2 kodierte Enzym findet man bei den meisten
Säugetieren, den Menschen eingeschlossen, im Epithel des Darms. Ein erstaunliches Phänomen diesbezüglich
zeigt sich in Hausmäusen. Alternative Formen des Gens, bezeichnet als „Allele“, führen zu Unterschieden, in
w elchen Gew eben das Gen exprimiert (angeschaltet) w ird. Das “normale“ Allel (üblicherw eise als “W ildtyp“
bezeichnet) w ird im Magen-Darm-Trakt exprimiert, das alternative Allel hingegen (bezeichnet als “Mutant“) in
den W änden der Blutgefäße (Abb. 1).
Aus noch ungeklärten Gründen w eisen Mäuse, w elche eine Kopie des mutanten Allels besitzen, eine Art
Bluterkrankheit auf, die der Von-W illebrand-Krankheit beim Menschen ähnelt. Das Muster, das die DNASequenz in der das Gen umgebenden Region aufw eist, gibt Hinw eise darauf, dass die verschiedenen Allele
schon über mehrere Millionen Jahre in Hausmäusen konserviert sind [7]. Dies w iederum lässt vermuten, dass
entw eder der Gew inn der Expression des Gens in den Blutgefäßw änden und/oder der Verlust der Expression
im Magen-Darm-Trakt unter bestimmten Umständen einen Nutzen für die Mäuse darstellt, z.B. bei dem
Ausbruch einer Infektion. Andernfalls w ürden die Nebeneffekte des mutanten Allels (z.B. verlängerte
Blutungszeit) dafür sorgen, dass dieses Allel aus der Population verschw indet.
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A bb. 2: Die re la tive Hä ufigk e it e ine r Ba k te rie na rt de r Ga ttung
Barnesiella in se chs Knock out-Mä use n (k o1-k 06), de re n
B4galnt2 nicht funk tionie rt, und in se chs W ildtyp-Mä use n (wt1wt6) m it B4galnt2-Ex pre ssion im Ma ge n-Da rm -Tra k t.
© Ma x P la nck Institut für Evolutionsbiologie /Ba ine s
Um den Einfluss der An-/Abw esenheit der Zucker von B4galnt2 im Darmtrakt der Hausmaus auf die Mikrobiota
zu erforschen, arbeiten Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Baines mit Jill Johnsen vom Puget Sound Blood
Center in Seattle, Washington, USA, zusammen. Metagenomische Techniken, w ie das „ massive parallel
pyrosequencing“
der bakteriellen 16S-rRNA, w erden angew andt, um die Bakteriengemeinschaften zu
bestimmen. Hiermit kann zw ischen Mäusen mit dem W ildtyp-Allel (Darmexpression) und Mäusen, die ein nichtfunktionales Allel haben (bezeichnet als „knock-out“ für B4galnt2) unterschieden w erden. Die Ergebnisse
deuten darauf hin, dass der Verlust der Genexpression im Darm die Bakteriengemeinschaft signifikant
verändert. Einige Bakterienarten sind davon betroffen, z.B. ein noch zu beschreibendes Mitglied der Gattung
Barnesiella (Abb. 2). Zukünftige Experimente sollen helfen die Konsequenzen zu ermitteln, die Unterschiede in
der Zusammenstellung der Bakteriengemeinschaft auf die Fitness des W irts haben können.
[1] E. K. Costello, C. L. Lauber, M. Hamady, N. Fierer, J. I. Gordon, R. Knight:
Bacterial community variation in human body habitats across space and time.
Science 326 (5960), 1694-1697 (2009).
[2] D. C. Savage:
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[3] A. M. O’Hara and F. Shanahan:
The gut flora as a forgotten organ.
EMBO Reports 7, 688-693 (2006).
[4] L. V. Hooper and J. I. Gordon:
Commensal host-bacterial relationships in the gut.
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[5] S. M. Henry:
Molecular diversity in the biosynthesis of GI tract glycoconjugates. A blood group related chart of
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Transfusion Clinique et Biologique 8 (3), 226-230 (2001).
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[6] D. P. B. McGovern, M. R. Jones, K. D. Taylor, K. Marciante, X. Y an, M. Dubinsky, A., Ippoliti, E.
Vasiliauskas, D. Berel, C. Derkowski, D. Dutridge, International IBD Genetics Consortium, P. Fleshner, D.
Q. Shih, G. Melmed, E. Mengesha, L. King, S. Pressman, T. Haritunians, X. Guo, S. R. Targan, J. I. Rotter:
Fucosyltransferase 2 (FUT2) non-secretor status is associated with Crohn’s disease.
Human Molecular Genetics 19 (17), 3468-3476 (2010).
[7] J. M. Johnsen, M. Teschke, P. Pavlidis, B. M. McGee, D. Tautz, D. Ginsburg, J. F. Baines:
Selection on cis-regulatory variation at B4galnt2 and its influence on von Willebrand factor in house mice.
Molecular Biology and Evolution 26 (3), 567-578 (2009).
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