Vom Schaukeln der Dinge - medienfrauen

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Vom Schaukeln der Dinge - medienfrauen
Die Welt: Ein ewiges Schaukeln
In ihrem Dokumentarfilm »Vom Schaukeln der Dinge« portraitiert Beatrix Schwehm
den Schauspieler Rudolf Höhn
Die Arme ineinander verschlungen, die Köpfe in der Mitte zusammen gesteckt, stehen die Rugby-Spieler im Kreis und bündeln ihre Kräfte. Das Spiel beginnt: Rennen,
fangen, rammen, stürzen. Schwitzende Männerkörper, Dreck und Schlamm. Rugby
hat seine eigene Choreografie, sagt man. Am Spielfeldrand steht Rudolf Höhn mit
roter Schlägerkappe und schaut zu. »Auf dem Rugby-Platz fühl ich mich leicht, leicht,
leicht.«, sagt er. »Ich hoffe, dass etwas von der unverschämten Gesundheit dieser jungen Männer auf mich rüberspringt.«
Bereits im Jahr 2004 feierte die Bremer Produktionsfirma Trifilm mit ihrem
Fernsehfilm »Dritte Halbzeit« Premiere. Auf die für Arte konzipierte Dokumentation
über den Schauspieler Rudolf Höhn wurde damals auch der Berliner Kinofilmverleih
Ventura sowie die Hamburger Filmförderung aufmerksam. Mit zusätzlicher
Unterstützung von Nordmedia und Radio Bremen, konnte der Film, der am 16.
November Bundesstart hat, auf eine 80-minütige Kinofassung gebracht werden. Mit
dem neuen Titel »Vom Schaukeln der Dinge« feierte er am Wochenende mit Machern
und Akteuren in der Bremer Gondel eine neue Premiere.
»Mit dreizehn überragt er alle. Er ist 1,98 Meter groß«, hören wir den Off-Text, mit
sonorer Stimme gesprochen von Schauspieler und Ex-Company-Mitglied Peter
Kaempfe. »Mit 20 verlässt er die Schweiz gegen den Willen seiner Eltern. Er wird
Shakespeare entdecken.« Der 1948 geborene Schauspieler, Kabarettist, Autor und
Rugby-Fan Rudolf Höhn ist in Bremen stadtbekannt: Von seinen früheren Rollen bei
der Bremer Shakespeare Company oder von seinen im Fernsehen übertragenen
Kabarettnummern als Mitglied der Münchner Lach- und Schießgesellschaft. Derzeit
spielt er bei der neuen Produktion der Bremer Shakespeare Company »Warten auf
Godot« den Lucky.
In dieser Rolle führt Rudolf Höhn einen genauso absurden wie passenden Namen.
Denn geübt in scharfzüngigem Humor und Provokation, erscheint uns das Wort
Glück bei seiner Biografie selbst wie eine Provokation, stellt sie nicht genau dieses
vehement in Frage. Denn, 1997, auf dem Höhepunkt seiner Karriere bricht für den
damals 48-jährigen eine Welt zusammen. Man diagnostiziert bei ihm Morbus
Parkinson.
Alles, was bis dahin sein Leben bestimmte, gerät ins Wanken. Doch anders als viele
Menschen, nimmt Rudolf Höhn die Erschütterung an. Als stachele sie seinen
Widerstandsgeist nur an, erweckt sie seine Leidenschaft für das Theater neu. »Ich
muss mich nach außen orientieren, andere Themen finden, um der Krankheit die
Chance zu nehmen, Macht über mein Leben zu bekommen.«, lautet seine Devise. Im
Jahre 2000 gründet Rudolf Höhn bei der Bremer Shakespeare Company das
Behinderten-Theater »Pschyrembel«. Außerdem wird er Pressesprecher des Bremer
Rugbyclubs.
Schauspielerei und Rugby haben für Höhn viele Gemeinsamkeiten. Vor allem das
Archaische reizt ihn: »Rugby weigert sich, wie das Theater, mit aller Vernunft gegen
die moderne Zeit anzukommen«, erklärt Rudolf Höhn im Film. »Beim Rugby und beim
Theater sind Schmerz und Lust vereint. Das macht das Leben aus.«
Beatrix Schwehm zeigt mit »Vom Schaukeln der Dinge« eine abwechslungsreiche wie
einfühlsame Biographie einer ungebrochenen Persönlichkeit. Für ihren Film begleitete
sie Rudolf Höhn einen Sommer lang in die vielfältigen Bereiche seines Lebens: Die
Kindheit in der Schweiz, das Leben im Theater gestern und heute mit Pschyrembel
sowie die Tage beim Rugby oder bei einer äußerst amüsanten dramaturgischen
Beratung von zwei Pastoren, wie sie ihren Gottesdienst interessanter gestalten können.
Das Portrait ist aus aktuellen Aufnahmen, Archivmaterial aus TV und Theater,
Interviews mit Weggefährten sowie gestellten, assoziativen Szenen zusammengesetzt, in denen Schwehm Situationen nachstellt – teilweise in Zusammenhang mit
eigenen Texten von Höhn, was das Gesamtbild seiner Figur auf poetische Weise vervollständigt. Dabei fließen seine alltäglichen Beobachtungen und Erlebnisse als
Parkinson-Patient mit ein, was den Zuschauern eine andere Perspektive auf die Welt
eröffnet.
Dieser sehr persönliche Film interessiert sich zutiefst für das Lebensthema eines
Menschen. Dabei vermittelt er dennoch eine gewisse Allgemeingültigkeit. Denn
Rudolf Höhns Schicksal steht exemplarisch für viele andere. Nur macht seine
Geschichte darüber hinaus Mut.
Martina Burandt
Filmkritik/Portrait,11-2006, veröffentlicht im Weser Kurier
und in Diabolo Oldenburg