125 Jahre Reformhaus - Visit Downtown Peoria

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125 Jahre Reformhaus - Visit Downtown Peoria
porträt Seite 17
MUM Oktober 2012 Ein Zeichen von Qualität
Bevor ein Produkt allerdings das Neuform-Qualitätszeichen erhält, muss es
zahlreiche Standards, Richtlinien und
Bewertungen erfüllen. „Unser Anforderungskatalog umfasst eine Vielzahl
von Qualitätsaspekten“, erklärt Erwin
Perlinger, Vorstandssprecher der neuform Genossenschaft der Reformhäuser. „Für jede Warengruppe haben
wir produktspezifische Richtlinien
entwickelt, in denen unsere hohen
Anforderungen an die Rohstoffe, die
Herstellung und Verarbeitung formuliert sind. Die zentralen Aspekte
sind die inhaltsstoffliche Qualität, die
Gesundheitsverträglichkeit, die Naturbelassenheit der Produkte und der
Genusswert sowie die Ökologie.”
125 Jahre Reformhaus
Es war die Zeit, als das Grammofon erfunden wurde und die erste elektrische Straßenbeleuchtung Berlin erhellte. Damals, vor 125 Jahren, schlug die Geburtsstunde des Reformhauses. Doch Drogerien und Bio-Supermärkte haben die Reformhäuser in Deutschland in
Bedrängnis gebracht. Ein Imagewechsel und eine Neuausrichtung sind angesagt.
D
ie Geschichte der Reformhäuser geht zurück auf Carl
Braun, der im Herbst 1887
in Berlin ein Einzelhandelsgeschäft
mit dem Namen „Gesundheits-Zentrale“ eröffnete. Braun war gleichzeitig
Mitglied im Berliner Naturheilverein.
Auf Bitten seiner Vereinsfreunde
richtete er in seinem Laden eine „Abteilung für Mittel zur Ausübung der
Naturheilkunde“ ein. In der konnte
man unter anderem Badewannen und
verschiedene Tücher für Prießnitz-Packungen – die nach seinem Erfinder
Vincenz Prießnitz benannte Packung
basiert auf frisch zubereiteten Auszügen der Weißtanne und Nachtkerzenöl und soll den Stoffwechsel ankurbeln
– kaufen. Schon bald kamen die Anhänger der vegetarischen Bewegung
zu ihm und fragten nach pflanzlichen
Fetten, Trockenfrüchten und Brot aus
vollem Korn. Die Artikel ließen sich
nicht gut in das Sortiment eines Textilgeschäfts einfügen und so entschloss
sich Braun, einen Laden am Potsdamer Bahnhof zu eröffnen, in dem es
all diese Waren geben sollte. Er nannte
ihn Gesundheitszentrale. Diese Eröffnung legte den Grundstein für die
Entwicklung einer ganzen Branche.
Kaufleute mit Pioniergeist und Idealismus folgten seinem Beispiel. Sie
begannen, als Antwort auf die frühindustrielle Belastung der Umwelt
und der Menschen „alternative Produkte“ zu produzieren und zu vermarkten. Und sie unterstützten mit
ihrem Angebot pflanzlicher Artikel
die sogenannte Lebensreformbewegung, zu der Naturheilkundeanhänger genauso zählten wie Vegetarier,
Korsett- und Krawattenverweigerer,
Fürsprecher der FKK-Bewegung und
viele weitere politisch alternativ Engagierte. Die Bewegung fand mehr
und mehr Anhänger und so entstand
aus dem kleinen Verein Frankfurter
Reformhausinhaber die „Vereinigung
deutscher Reformhäuser“.
Im Wandel der Zeit
Heute zählt die Genossenschaft neuform Vereinigung Deutscher Reformhäuser e.G. mehr als 500 Einzelhändler mit über 1.500 Niederlassungen in
Deutschland und Österreich zu ihren
Mitgliedern. Ihren Zenith erlebten die
Reformhäuser in den 1980er-Jahren
mit rund 2.500 Geschäften. Drogerien
und Bio-Supermärkte setzten aber gerade hierzulande die Branche mächtig unter Druck. Neuform-Vorstand
Rainer Plum ist sich sicher: Umsatz
und Absatzstellen werden langsam,
aber stetig zunehmen. „Schon immer
standen eine gesunde Ernäh-
rung, natürliche Körperpflege, die
Tradition der Naturheilkunde und ein
gewissenhafter Umgang mit der Umwelt im Mittelpunkt unseres Strebens.
Aber der Umgang der Gesellschaft mit
dieser Idee hat sich verändert. Der Gedanke der Nachhaltigkeit und wertvollen Ernährung ist in der Mitte der
Gesellschaft angekommen“, so Plum.
Ein neues Profil
Wie sieht das moderne Reformhaus
nun aus? Für Plum ist es eine „Wellness-orientierte Einkaufsstätte“ und
eine „Bühne des Zeitgeistes“. Der Verbraucher soll das Reformhaus nicht
mehr mit dem „62 Jahre alten Mann
mit Blasenschwäche“ in Verbindung
bringen – neue Kernzielgruppe sind
die 20 Prozent der Bevölkerung, die
auf ökologische, nachhaltige und faire
Produkte Wert legen. Das wachsende
Gesundheits- und Umweltbewusstsein
sowie Lebensmittelunverträglichkeiten bieten aus seiner Sicht Wachstumschancen. Parallel steige die Zahl
der Teilzeit-Vegetarier, Hedonisten
und Ausdauersportler, die sich im
Reformhaus eindeckten.
Impulse erhofft sich der Neuform-Vorstand durch die „Kernkompetenz“ der
Reformhäuser, die freundliche Fach-
beratung der an der eigenen Akademie
ausgebildeten Verkäufer. Neuform sei
zudem nicht mehr nur die Eigenmarke der Reformhäusergenossenschaft,
sondern das neue Qualitätszeichen.
Seitdem können die Artikel auch im
ökologischen und qualitativen Handel
verkauft werden, betont Plum.
Zwischen 4.000 und 8.000 Produkte
stehen – je nach Größe – in den Regalen jedes einzelnen Reformhauses.
Nach wie vor liegt der Schwerpunkt
auf Lebensmitteln, knapp 20 Prozent
des Sortiments entfallen auf Naturkosmetik, der Rest auf Arznei und
Ergänzungsmittel natürlichen Ursprungs. 90 Prozent der Geschäfte
vertreten nach wie vor die vegetarischen Werte, nur ein paar verkaufen
inzwischen Bio-Fleisch und -Wurst.
Doch mit den gehobenen Ansprüchen der Kunden wächst auch die
Vielfalt der Reformhäuser. Geschäfte
in Innenstadtlage oder an Bahnhöfen
haben sich kleine Bistros zugelegt,
andere Bio-Supermärkte integriert.
Das Angebot der Großen reicht, so
Plum, längst von der Saft-, Wasserund Olivenöl-Bar über unterschiedlich gekühlte Weinregale bis zur Naturkosmetikbehandlung.
Soweit in der geforderten Qualität
verfügbar, kommen die Lebensmittel aus ökologischem Anbau und
entsprechen mindestens den Anforderungen der Bio-Verordnung. Alle
Neuform-Lizenzpartner haben sich
verpflichtet, keinerlei gentechnisch
hergestellte oder veränderte Rohstoffe
zu verwenden. Die Verarbeitung der
Lebensmittel und Produkte muss zudem schonend erfolgen. „Schonend“
heißt beispielsweise, dass für alle Öle,
soweit technisch möglich, eine Kaltpressung vorgeschrieben ist. Natürlich
lehnt Neuform chemisch-synthetische
Konservierungsstoffe genauso ab wie
künstliche Aromen.
Soziales Engagement
Für den Verband stehen aber nicht nur
gesunde Produkte im Vordergrund.
Die Reformhäuser unterstützten mit
Spenden und Aktionen die verschiedensten Hilfsaktionen, etwa „Hand
in Hand für Afrika“. In Mbinga, im
Südwesten Tansanias, ist ein Apothekensystem entstanden, das 300.000
Menschen medizinisch versorgt. Jeden
Tag ist die Wartebank vor der ErsteHilfe-Station voll besetzt mit Patienten. Viele kommen zu Fuß von weit
her, sie haben gebrochene Knochen,
Lungenentzündungen und Fieber.
Krankheiten, die in Deutschland gut
zu behandeln sind, werden in Ostafrika schnell lebensbedrohlich, wenn
entsprechende Medikamente fehlen.
Bis zum Start von „Hand in Hand für
Afrika“ gab es Arzneien in der Region
nur sporadisch. Immer wieder kam es
vor, dass an Marktständen ungetestete
oder wirkstofffreie Tabletten angeboten wurden.
Inzwischen sind 90 Lastwagenlieferungen voll mit Schmerzmitteln, Antibiotika oder Einwegspritzen nach
Mbinga gebracht worden. Da auch
gute Fachkräfte entscheidend für die
Nachhaltigkeit eines Projektes sind,
wird ein Teil der Spendengelder in
die Weiterbildung der Mitarbeiter investiert. Insgesamt 19 Krankenschwestern und Pfleger haben bisher Kurse
besucht. Autorin: Sandra Klein
MUM

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