"Englisches Vollblut in der Reitpferdezucht" Züchterabend in

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"Englisches Vollblut in der Reitpferdezucht" Züchterabend in
"Englisches Vollblut in der Reitpferdezucht" Züchterabend in Fehrenbötel
von Rudolf Drünert 30. 10. 2011
Am 14. 10. 2011 veranstaltete der Verein hannoverscher Warmblutzüchter in SchleswigHolstein seinen 4. Züchterabend auf dem Hof Hellmold in Fehrenbötel. Die Beteiligung war
mit ca. 100 Leuten nicht ganz so gut wie im letzten Jahr. Aber diejenigen, die trotz
zeitgleichem Verdener Galaabend den Weg zu uns gefunden hatten, brauchten dies sicher
nicht zu bereuen. Mit Dr. Görbert als Referenten hatten wir ganz offensichtlich eine gute
Wahl getroffen. Sein Vortrag war spannend, praxisorientiert und unterhaltsam dargebracht.
Das Thema wurde ergänzt durch Vermittlung manches allgemeinen tierzüchterischen
Hintergrundwissens.
Zunächst skizzierte er die Ursprungsgeschichte des Englischen Vollblutes: Alle Welt redet
von den berühmten Stammhengsten Darley Arabian, Godolphin Arabian und Byerley Turk.
Außer Acht gelassen wird trotz dieser schmalen männlichen genetischen Ausgangssituation
die nicht unbeträchtliche Inhomogenität der Ursprungsstutenbasis. Hier waren auch eine
ganze Reihe schwererer, typmäßig wenig ansprechender Exemplare unterschiedlicher
Herkunft dabei, deren Gene auch heute noch in der Vollblut-Gesamtpopulation existieren.
Deshalb sei es wichtig, sich für eine Verwendung in der Warmblutzucht auf die edleren
Individuen zu konzentrieren.
Gerade aber den Stuten müsse trotz 50:50 der Gene insgesamt eine deutlich stärkere
Weitergabe-Wirkung (bis 60%) zugeschrieben werden. Hierzu brachte er zwei untermauernde
Beispiele: 1. Man kann z. B. eine Ponystute mit einem Kaltbluthengst anpaaren. Die hierbei
theoretisch zu erwartenden Schwierigkeiten hinsichtlich der Größe des Fohlens im Verhältnis
zu den Maßen der Geburtswege der Stute treten in aller Regel nicht auf. Die Stute lässt das
Fohlen nur so groß werden, dass es ohne Komplikationen den Geburtskanal passieren kann.
2. Beispiel: Bei den Experimenten mit Klonen und Embryotransfer werden regelhaft Einflüsse
der Trägerstuten erkennbar, welche zu deutlichen Abweichungen von einer 1:1-Reproduktion
führen. Die tatsächlichen Ergebnisse von Embryotransfer bleiben aufgrund dieser Einflüsse
während der Trächtigkeit und Laktation deutlich hinter den Erwartungen zurück. Klone von
E.T. oder Quidam de Revel zeigen deutliche Abweichungen zum Original.
In der Zucht sollte daher nicht nur auf die Hengste geachtet werden, sondern vor allem den
Stuten allerhöchste Bedeutung beigemessen werden.
Zu empfehlen sei etwa im Schnitt jede 10. Bedeckung mit einem Vollblüter zu tätigen.
Nachkommen mit einem Vollblutanteil um 25% seien statistisch gesehen im Sport am
erfolgreichsten. Einer der Gründe hierfür könnte sein, dass sich bei Vollblütern tatsächlich ein
signifikant deutlich größeres Herzvolumen und eine niedrigere Herzschlagfrequenz finden als
beim Warmblüter, ein leistungsstärkerer Motor sozusagen. Dieses wird auch in der F1
Generation, geringer in F2 wirksam und schwächt sich in den nachfolgenden Generationen
immer weiter ab. Den F1-Nachkommen verschaffe dies Vorteile z. B. gegenüber den
Anforderungen in der Vielseitigkeit.
Für die Anpaarung an einen Vollbluthengst sollten nicht irgendwelche zweitklassigen,
typschwachen, übriggebliebenen Stuten verwendet werden, sondern die allerbesten! Nur mit
diesen besteht eine akzeptable Wahrscheinlichkeit auf ein Produkt, welches anspruchsvollere
Erwartungen rechtfertigt. Ansonsten folgen die Resultate den Gesetzmäßigkeiten von Versuch
und Irrtum. Die Ergebnisse folgen etwas der Gauß'schen Verteilung: 5-10% die gewünschten
Spitzenprodukte, der bei weitem größte Anteil Durchschnittspferde und 10-20% mehr oder
weniger Ausfälle. Dies weicht gar nicht so sehr von der Erblichkeitsverteilung warmblütiger
Hengste ab. Auch hier bekommen wir in aller Regel nur einen kleinen Prozentsatz wirklicher
Spitzenpferde. Aufgrund der viel höheren Bedeckungszahlen fällt dies aber weit weniger auf
als bei den Vollbluthengsten. Während man in der Umzüchtungsphase zahlenmäßig aus dem
Vollen schöpfen konnte, besteht heute das Problem der erschwerten Selektionsmöglichkeit
aufgrund einer viel zu geringen Basis direkter Vollblutnachkommen. Trotzdem: planvolles
Züchten bedeutet immer Selektieren. Deshalb ist nach wie vor das Ziel die Gewinnung der 510% Spitzenprodukte auch und gerade schon in der F1-Generation. (Beispiele: Herzruf v.
Königspark xx, Mahagoni v. Pasteur xx oder Consul v. Swazi xx)
Diese bieten neben ihren hohen eigenen Qualitäten auch genetisch eine höhere
Wahrscheinlichkeit für hochwertigere F2-Nachkommen als die Durchschnittlichen oder
Unterdurchschnittlichen.
Allerdings sind angesichts des Zuchtfortschrittes heute die Ansprüche insgesamt sehr viel
größer geworden.
In der Rinderzucht haben wir eine völlig andere Situation als in der Reitpferdezucht:
während das eng zu umschreibende Merkmal Milchleistung durch reine genetische Selektion
relativ einfach zu beeinflussen ist, beträgt der durch Genetik veränderbare Anteil am
Zuchtfortschritt in der Pferdezucht lediglich 25%. Der Rest sind hier Umweltfaktoren
(Fütterung, Aufzuchtbedingungen, Ausbildungsmethoden, reiterliche Kompetenz etc.) Unter
Umständen kann ich durch die Verbesserung dieser Faktoren mehr erreichen als durch
genetische Selektion. Die Erblichkeit der relevanten Eigenschaften in der Pferdezucht liegt in
einem niedrigen Bereich, z.B. für Korrektheit der Gliedmaßen ca. bei 0,14; Vorderbein: 0,16;
Hinterbein: 0,18; bei den Grundgangarten: 0,2 bis 0,3; beim Freispringen: 0,4. (1=100%).
Beim Vollblüter ist es auch nicht so, dass die im Rennen praktizierte, effektiv auf
Schnelligkeit ausgerichtete Galoppade automatisch zu einem entsprechend genetisch relevant
veränderten Galopp führt. Hier bestehen bei anderer Reitweise und anderen Anforderungen
erhebliche Umstellungsmöglichkeiten.
Im 18. Jahrhundert züchtete man vorrangig Pferde, die größtmögliche Rennleistung zeigen
sollten. Heute dagegen werden Vollblüter vorrangig für bestimmte Rennen gezüchtet, in
denen es das meiste Geld zu verdienen gibt. Dabei spielen kurze Distanzen eine viel größere
Rolle. Dies hat Auswirkungen auf die anatomischen Proportionen und die Art der Bewegung.
Für die Warmblutzucht ist dies kein Vorteil. Steher werden hier meistens lieber gesehen als
Sprinter. Jedoch gibt es auch genügend Beispiele segensreich wirkender Sprinter.
Das GAG sollte zwar nicht ignoriert aber auch nicht überbewertet werden. Für die
Reitpferdezucht ist es ein Merkmal von vielen und dabei sicher nicht das Wichtigste.
Diskutiert wurde auch die Benachteiligung von Blutpferden in den heute üblichen
standartisierten Prüfungsformen der HLP durch ihre Spätreife und die Erforderlichkeit von
mehr Zeit, Ruhe und Geduld in der Ausbildung. Eine längerdauernde Ausbildung ist
obendrein mit höheren Kosten verbunden. Manches Blutpferd dankt aber später diesen
Mehraufwand durch Langlebigkeit und hohe Haltbarkeit.
Es ist ein Trugschluss, aus der im Rennsport üblichen frühen Prüfung in Rennen eine
Frühreife der Vollblutrasse abzuleiten. Der Vollblüter ist spätreifer als der Warmblüter. Der
Rennsport kommt allerdings den Gegebenheiten eines noch nicht voll ausgereiften
Skelettsystems weit mehr entgegen als beispielsweise der Springsport mit seinen hohen
Stoßbelastungen und meist sehr viel höherem Reitergewicht. Grundsätzlich ist es das
Interesse jeder Zucht, im Sinne eines größtmöglichen Zuchtfortschrittes die
Generationsintervalle so kurz wie möglich zu halten.
Über die Eignung oder Nichteignung bestimmter Vollbluthengste außerhalb seines
Zuständigkeitsbereiches Graditz und Moritzburg wollte sich Dr. Görbert nicht äußern. Dies
empfände er gegenüber seinen Mitanbietern als unfair. Er zeigte aber eine ganze Reihe
interessanter Graditzer oder Moritzburger Vollblüter und berichtete anhand von Fotos über
Erfolge und Misserfolge. Besondere Hoffnungen setzt er z. Z. in Tipsy's Pet xx und Kubaner
xx (beide v. Zinaad xx), die sich durch besonders gutes Springen auszeichnen würden. Tipsy's
Pet xx hat einen sehr guten 70-TT absolviert und Turniererfolge in Spring- und
Vielseitigkeitsprüfungen aufzuweisen. Er wird mit ca. 40 Stuten in diesem Jahr auch sehr gut
angenommen. Leider stehe z. Z. für einen weiteren Turniereinsatz kein geeigneter Reiter zur
Verfügung.
Nach seinem mit viel Beifall aufgenommenen Vortrag stellte sich Dr. Görbert den vielen
Fragen seiner interessierten Zuhörer, so dass es ein langer Abend wurde.