Etwa um 1200 errichteten askanische Markgrafen an

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Etwa um 1200 errichteten askanische Markgrafen an
1216 - 2016
Etwa um 1200 errichteten askanische Markgrafen an der
Stelle des heutigen Oranienburger Schlosses eine Burg, um
den schmalen Havelübergang zu schützen. Die durch die
Havel sowie durch einen Graben mit Zugbrücke gesicherte Burg Bötzow bildete den Abschluss der Eroberung des
Havellandes und der deutschen Besiedlung im slawischen
Siedlungsgebiet. Am 28. Dezember 1216 stellte der Brandenburger Bischof Siegfried II. eine Urkunde aus, in der er
dem dortigen Domkapitel seine Besitzungen bestätigte. Von
dieser Urkunde existieren zwei Fassungen. In der zweiten,
in Ziesar ausgestellten Ausfertigung wird „Bothzowe“ neben Bellin (Fehrbellin), Kremmen und Zehdenick als einer
der östlichen Grenzorte der Diözese Brandenburg genannt.
Die namentliche Nennung in der Urkunde des Brandenburger Bischofs weist auf eine gewisse Bedeutung des Ortes
hin, auf eine Siedlung mit Kirche und Pfarrei, die schon seit
einiger Zeit bestanden haben muss.
BÖTZOW · ORANIENBURG
Wappen und Siegel der Stadt Oranienburg, links: Stadtwappen seit 1980, oben von links: Stadtsiegel von 1618 und1653, Stadtwappen um
1860; unten von links: Stadtwappen um 1925, 1930, 1932, 1937. Aus dem Bestand des Kreismuseums Oberhavel
Around 1200, Ascanian margraves built a castle on the
site of today’s Oranienburg Castle. Bötzow concluded the
conquest of the Havelland and the German settlement of
the Glint Plateau, where castle buildings had already been
built in Kremmen, Schwante and Vehlefanz. On 28 December 1216, Bishop Siegfried II of Brandenburg issued a certificate, attesting to the possessions and income of the local
cathedral chapter. Two versions exist of this certificate. The
second copy, issued in Ziesar, mentions “Bothzowe” in addition to Bellin (Fehrbellin), Kremmen and Zehdenick as
comprising the eastern border municipalities of the Diocese of Brandenburg. The identification by name suggests
a certain importance of the place, a settlement with a parish church, which must already have been in existence for
some time. In the east, Bötzow Castle was protected by
the River Havel and a moat with drawbridge. It was also
naturally located in the middle of a marshy lowland. It is
probable that Slavs had safeguarded the important pass of
the Havel, which also explains the Slavic name “Bötzow”.
Urkunde des Bischofs Siegfried II., Ziesar - 28. Dezember 1216, darin die Ersterwähnung Bötzows (Oranienburgs), Domstiftsarchiv
Brandenburg
oben: Modell von Bötzow, um 1200, angefertigt von Kurt Rücker,
1931/32, Kreismuseum Oberhavel
unten: Bötzow und seine Verbindungsstraßen um 1200, Federzeichnung von Max Rehberg, Kreismuseum Oberhavel
William van Honthorst. Allegorie auf die Gründung Oranienburgs, um 1660, Kreismuseum Oberhavel
Gründungsmythos oder die Landschenkung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm an die Gemahlin Louise Henriette
In der Bildmitte befindet sich die Kurfürstin Louise Henriette mit
dem Zepter, neben ihr Kurfürst Friedrich Wilhelm im antiken Imperatoren-Gewand des trojanischen Prinzen Anaeias. Rechts von ihm
der erste Amtshauptmann von Oranienburg, Otto von Schwerin,
der eine Ochsenhaut in Riemen schneidet, mit der eine fünfköpfige
Dienerschaft im Hintergrund ein Terrain absteckt, in dessen Mitte
sich der Schlossbau von Louise Henriette erhebt.
Die Darstellung erinnert an die Gründung Karthagos. Die Gründungslegende berichtet, wie die phönizische Prinzessin Elissa (römisch: Dido),
Schwester des tyrischen Königs Pygmalion, vor ihrem machtgierigen
Bruder flieht und an der afrikanischen Küste landet. Der ortsansässige
Häuptling verspricht ihr soviel Land, wie sie mit einer Kuhhaut umspannen kann. Daraufhin schneidet Dido die Kuhhaut in hauchdünne Streifen,
legt sie aneinander und kann so ein beträchtliches Stück Land markieren.
Dieses bildet, so die Legende, die Keimzelle Karthagos.
1216 - 2016
Nach dem Dreißigjährigen Krieg lag die Stadt verwüstet.
Die Bewohner waren geflüchtet oder von durchziehenden
Truppen ermordet oder von der Pest dahin gerafft. Erst mit
dem Wirken von Kurfürstin Louise Henriette von Brandenburg setzte nach 1650 der Wiederaufbau ein, verbunden
mit einem wirtschaftlichen Aufschwung.
1718 wurde für Kolonisten die westlich des Stadtkerns gelegene Neustadt angelegt. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte die Stadterweiterung nach Süden und Westen durch Ansiedlung von Textilfabriken und chemischen
Werken. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich Oranienburg zu einer prosperierenden Industrie- und Villenstadt
entwickelt. Die Landschaft rund um den Lehnitzsee wurde
zur beliebten Sommerfrische für die Berliner Stadtbevölkerung. Diverse Ausflugslokale, Seeterrassen und ein reger
Touristenschiffsverkehr belebten den Ort zu dieser Zeit. Ab
1936 entstanden im Zuge der nationalsozialistischen Rüstungspolitik weiträumige Werksiedlungen, wie die so genannte Weiße Stadt des Architekten Herbert Rimpl. 1944/45
wurde die historische Altstadt zu großen Teilen zerstört
und nach 1963 das Verbliebene großzügig abgerissen. Ab
den 1970er Jahren entstanden über den Stadtraum verteilt
neue Wohngebiete mit Typenbauten.
BÖTZOW · ORANIENBURG
Luftbild der Oranienburger Altstadt, 1930er Jahre, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Repeated fires and lootings during the Thirty Years’ War
left the town devastated. The residents fled or were killed, either by passing troops or the plague. Princess Louise
Henriette of Brandenburg initiated reconstruction during a
period of economic growth after 1650.
In 1718, the new town, located west of the town centre,
was created for colonists. From the beginning of the 19th
century, the town was extended to the south and west by
the settlement of textile factories and chemical plants.From
1936, large-scale workers’ settlements, such as the so-called White Town designed by architect Herbert Rimpl, emerged in the wake of the Nazi armaments policy. In 1944/45
the historic old town was largely destroyed and after 1963
the remnants were mostly demolished. From the 1970s onwards, new residential areas with standardised constructions emerged across the whole town area.
Isometrische Darstellung Oranienburgs (Alt- und MIttelstadt), vor 1945, Dipl.-Arch. Wolf-Rüdiger Thäder, Halle (Saale), Repro: Stadt Oranienburg
Luftbild der Oranienburger Mittelstadt, 1930er Jahre, Foto: Kreismuseum Oberhavel
1650 - 2016
SCHLOSS UND PARK
Schloss
Im Auftrag der Kurfürstin Louise Henriette baute der Architekt Johann Arnold Nering das Jagdhaus von Kurfürst
Joachim II. um. Er plante eine hufeisenförmige Anlage, die
aus einem Mittelbau und zwei Seitenflügeln mit Endtürmen bestehen sollte. Nach Nerings Tod 1695 führte Martin
Grünberg die Arbeiten fort und ergänzte die Anlage durch
eine beide Flügel verbindende Arkaden-Galerie. Als Johann
Friedrich Eosander um 1700 die Bauleitung übernahm, ließ
er auf den nördlichen Kopfbauten Türme errichten und die
Südpavillons mit offenen Kolonnaden-Gängen mit dem
Mittelbau verbinden, wodurch die geometrische H-Form
entstand. Aus dem holländisch inspirierten Bauwerk von
Louise Henriette war um 1700 ein von französischen und
italienischen Vorbildern geprägtes Schloss geworden, das
fortan zu den prachtvollsten in Brandenburg gehörte.
Castle
Architect Johann Arnold Nering rebuilt Elector Joachim II’s
hunting lodge by order of Electress Louise Henriette. He
planned a horseshoe-shaped complex, comprising a central building and two wings with end towers. After Nering’s death in 1695, Martin Grünberg continued the work
and completed the complex with an arcade gallery connecting both wings. When Johann Friedrich Eosander took
over management of the construction around 1700, he
had towers built on the northern front buildings and the
south pavilions were connected with the central building
through open colonnaded walkways, which resulted in the
geometric form of the letter H. The original Dutch-inspired
building of Louise Henriette had become a palace around
1700, characterised by French and Italian influences, which
has since been counted among the most magnificent buildings in Brandenburg, Germany.
Lustgarten
Der 1652 angelegte Garten wurde durch Grundstücksankäufe bis 1654 erweitert. Einen Eindruck der ursprünglichen
Gartengestaltung vermittelt die zeitgenössische Ansicht
von Matthäus Merian. Sie zeigt eine ummauerte Fläche mit
einem mittig gelegenen Lusthaus. Außerdem entstanden
in den folgenden Jahren eine Orangerie, Grotten, Wassergräben mit Schwänen und Wasserkunst. Ab 1689 ließ Friedrich III. den Garten erweitern und nach französischem Vorbild in eine barocke Gartenanlage mit Hecken und breiten
Wegen umgestalten. Im Westen erfolgte die Anlage einer
„Plantage“, die von einer breiten Hauptallee durchzogen
wurde. Das noch heute erhaltene Eingangsportal zum Park
mit den allegorischen Darstellungen der Jahreszeiten Sommer und Herbst ist die einzige Architektur des Gartens, die
sich aus dieser Zeit erhalten hat.
Pleasure Garden
The garden, created in 1652, was expanded by land
purchases until 1654. A contemporary view by Matthäus
Merian gives an impression of the original garden design.
It shows a walled area with a centrally located summer
house. An orangery, caves, water ditches with swans and
water art came into being in the following years. From
1689 Frederick III had the garden expanded and remodelled into a baroque garden with hedgerows and wide paths based on the French model. A “plantation”, which is
crossed by a wide main avenue, was built in the western
part. The entrance portal to the park with the allegorical
depictions of the seasons of summer and autumn is the
only architecture of the garden that has still preserved
from this period until today.
Matthias Merian. Schloss und Lustgarten (Bötzau) Oranienburg, 1652, Kupferstich aus: „Topografia Electoratus Brandenburgici et Ducatus
Pommeraniae“, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Parktor zum Lustgarten, erbaut 1690, © Rudolf Hartmetz, 1990
Johann F. Wentzel. König Friedrich I. von Preußen,
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Prinzessin Louise Henriette von Oranien (16271667), ab 1646 Kurfürstin von Brandenburg
Johann Wilhelm Schleuen. Ansicht des königlich-preußischen Lustschlosses zu Oranienburg, wie selbiges sich gegen die Stadt präsentiert, Stahlstich um 1690, Stiftung
Preußische Schlösser und Gärten
Johann Arnold Nering. Planung von Oranienburg, um 1690, aus: Jean Baptiste Broebes, Vues des Palais et Maisons des Plaisans de S. M. le
Roy de Prusse“, herausgegeben von Johann G. Merz, Augsburg 1733. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
1802 - 2016
NUTZUNG DES SCHLOSSES
Schloss als Industriestandort
1802 erfolgte der Verkauf des Schlosses an den Berliner
Arzt und Apotheker Dr. J. G. Hempel zwecks Einrichtung
einer Baumwollfabrik mit 50 Webstühlen. Ab 1814 ließ
Hempels Sohn hier Schwefelsäure produzieren. Friedlieb
Ferdinand Runge stellte im Schloss mit den so genannten
Oranienburger Palmwachslichtern die ersten Stearinkerzen her. 1842 brannte das Schloss, danach wurde der an
der Havel gelegene Südostflügel abgerissen. 1848 wurde
die Chemische Produktenfabrik vom Schloss ins Mühlenfeld (Sachsenhausener Straße) verlegt. Das Schloss verfiel. 1858-61 veranlasste König Friedrich Wilhelm IV. den
Umbau zum Lehrerseminar, an dem bis 1925 rund 2.240
Lehrer ausgebildet wurden.
The castle as an industrial site
In 1802 the castle was sold to the Berlin doctor and pharmacist Dr. J. G. Hempel who established a cotton mill with
50 looms.From 1814 Hempel’s son produced sulphuric acid
here. Friedlieb Ferdinand Runge manufactured the first stearin candles in the castle, the so-called Oranienburg Palm
wax candles. In 1842 the castle caught fire, following which
the southeastern wing over the River Havel was demolished. In 1848 the Chemische Produkten-Fabrik (a chemical
production factory) was relocated from the castle to the
mill field (at Sachsenhausener Straße). Decay set in. From
1858 to 1861, prompted by King Frederick William IV, the
castle became a teachers’ training college where more than
2,240 teachers were trained until 1925.
Hort des Militärs
1935-37 wurde das Schloss als Kaserne durch den SS-Wachverband „Brandenburg“ genutzt. Ab 1938 erfolgte der
Umbau zur Kolonial-Polizei-Schule, wofür der angepasste
Erweiterungsbau an der Nordseite erfolgte. 1943 verlegte
die Offiziersschule der Ordnungspolizei ihren Sitz aus Berlin nach Oranienburg. 1952-54 wurde die Schlossanlage
durch das Ministerium des Innern der DDR saniert und eine
Offiziersschule der Kasernierten Volkspolizei (bis 1956 Vorläufer der NVA) darin untergebracht. 1956 quartierte sich
die Funkmess-Offiziersschule der Funktechnischen Truppen
der NVA-Luftstreitkräfte ein. Schließlich nahmen 1959-63
die Zivil-Luftschutzkräfte das Schloss in Besitz. Ab 1963
wurde das Grenzausbildungsregiment 40 aus Schneeberg hierher verlegt. Heute teilen sich die Stadtverwaltung
sowie das Kreismuseum Oberhavel und die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten mit ihren Ausstellungen das
1999 aufwändig restaurierte Schloss.
Military Stronghold
Between 1935 and 1937 the SS guard association “Brandenburg” uses the castle as its barracks. From 1938 the castle
was converted to a colonial police academy (Kolonialpolizeischule), to which end the architecturally adapted extension building on the north side was completed. In 1943 the
school for officers of the Ordnungspolizei relocated from
Berlin to Oranienburg. In 1952-54 the GDR’s Ministry of
the Interior renovated the castle complex and accommodated an officers’ school of the Kasernierte Volkspolizei (until 1956 predecessor of the National People’s Army NVA).
In 1956 the officers’ school for radio measurement of the
radio-technical forces of the NVA air force was stationed
here. Then, from 1959 to 1963, civilian air-raid protection forces took possession of the castle, following which,in
1963, the Border Training Regiment 40 from Schneeberg
relocated here. Today, the town administration, the District
Museum of Oberhavel and the Prussian Castles and Gardens Foundation share the castle, which was elaborately
restored in 1999, for their exhibitions.
Absolventen der Seminarklasse des Königlichen Schullehrerseminars zu Oranienburg, 1899-1902, zweite Reihe von unten, fünfter von
rechts: Max Rehberg, Foto: Kreismuseum Oberhavel
oben: General der Infanterie a. D. und Bundesführer des Reichskolonialbundes Franz Ritter von Epp besucht die Kolonial-Polizeischule im Oranienburger Schloss, Foto: BArch
unten: Schlossmuseum, Porzellangalerie, Teppichserie von Pierre
Mercier, Berlin 1686-1700, Foto: Stiftung Preußische Schlösser
und Gärten
oben: Waffenübergabe im Grenzausbildungsregiment 40 (Truppenteil
„Grohmann“), 1972, Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Kreismuseum Oberhavel, Sonderausstellung Wilhelm Groß,
Foto: Kreismuseum Oberhavel
Schlossmuseum Oranienburg, Silberkammer, Foto: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
1653 - 2016
BAROCKE STADT
Barocker Stadtplan
Vom Schloss als Mittelpunkt verlaufen drei nach Westen
radial ausstrahlende Straßenzüge, deren Beginn jeweils
durch repräsentative Kopfbauten markiert war, die den
Schlossplatz begrenzten (ursprüngliche Planung erst 2009
mit der Einrichtung der Neringstraße vollendet). Die barocke Anlage setzte sich mit meist zweistöckigen Barockhäusern fort. Auf der Ostseite des Residenzschlosses erstreckte sich der gleichfalls dem barocken Zeitgeschmack
entsprechende Lustgarten. Linkerhand der Havel gab es
neben Wohnhäusern auch Wirtschaftsgebäude sowie
landwirtschaftlich genutzte Flächen und Gärten zur Versorgung der Bürger. Nach dem Stadtbrand von 1688 und
der Neueröffnung der Berliner Straße entstand an deren Ende das hölzerne Berliner Tor. An der Ostseite wurde
1699 der neue Marstall und 1704 das Amtshaus sowie an
der Havel der Wasserturm errichtet.
Baroque town map
From the castle at the centre, three streets extend in a
southerly direction, whose beginnings were marked by
representative front buildings, which delimited the castle
square. (The original design was finally completed with
the establishment of the Neringstraße only in 2009). The
baroque complex comprised mostly two-storey Baroque
houses. On the east side of the residential castle there
was a pleasure garden, which also matched the Baroque
taste. On the left of the River Havel in addition to residential buildings there were also agricultural buildings,
farmland and gardens for supplying the citizens. After the
town fire of 1688 and the re-opening of the Berliner Straße, the wooden Berlin gate was built at the end of the
street. On the eastern side in 1699 the new stables and
in 1704 the administrative building as well as the water
tower beside the River Havel were erected.
Amtshauptmannshaus
Die Errichtung des frühbarocken Amtshauptmannshauses
in der Breiten Straße initiierte noch Kurfürstin Louise Henriette. Hier residierte der Amtshauptmann, der das Amt Oranienburg und die umliegenden Dörfer verwaltete. Bis 1654
tat dies Geheimrat Freiherr Otto von Schwerin. Ende des
17. Jahrhunderts entstand ein zweigeschossiger Breitbau
von fünf Achsen unter einem Mansardwalmdach, dessen
Untergeschoss mit Streifenquaderung strukturiert ist. Repräsentativ ist auch die Rückfront des Gebäudes, dessen
Fassade sich in sieben Achsen gliedert. Nach unterschiedlichen Nutzungen als Sparkasse, Museum und Landesgartenschau-Büro unterhält die Industrie- und Handelskammer (IHK) seit 2011 hier ihr Regionalcenter.
Daniel Petzold. Ansicht von Schloss, Garten und Stadt Oranienburg, Federzeichnung von 1711, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Anmutung des barocken Stadtgrundrisses heute, Luftbildservice Berlin-Brandenburg, © Reinhard von Wegerer, Archiv TKO gGmbH
House of the Senior Civil Servant
Electress Louise Henriette initiated the establishment of
the early-baroque House of the Senior Civil Servant in the
Breite Straße. The Senior Civil Servant, who governed the
department of Oranienburg and the surrounding villages,
resided here. Privy Councillor Baron Otto von Schwerin
held this post until 1654. At the end of the 17th century
a two-storey wide construction with five axes under a
hipped mansard roof was built, the basement of which
is structured with a striped facing.The rear of the building, whose façade is divided into seven axes, of which
the three middle ones in both floors protrude as a triply
elevated risalit with concave curved wall areas, is likewise representative. After various uses as a savings bank, a
museum, and as office for the State Horticultural Show,
the Chamber of Commerce and Industry (CCI) has operated its regional centre here since 2011.
Schlossplatz mit Wasserturm, Amtshaus, Neuem Marstall und Rathaus, Aquarell, unbezeichnet, um 1795, Kreismuseum Oberhavel
Amtshauptmannshaus von 1657, Vorder- und Rückseite, 1993 und um 1935, Foto: Kreismuseum Oberhavel
1653 - 2016
BAROCKE STADT
Vom Amtshaus zur Bildungsstätte
1704 ließ Friedrich I. an der Havel das neue Amtshaus im
Stil eines großen Bürgerhauses errichten. Zweistöckig mit
einer abgewalmten Ziegelmansarde und mit seiner breiten
Fensterfront zum Schlossplatz gewandt, besaß die Hausfront die schlichte Ausstrahlung eines öffentlichen Bauwerkes. Ein betontes Hauptgesims mit Andeutungen von
Balkennägeln, ein knappes Profil um die Fenster und ein
Portal, das von zwei Konsolen einen schmückenden Abschluss tragen ließ, verstärkten diesen Eindruck, den die
gemauerte Vortreppe mit einem schmalen eisernen Gitter
und die einfache Tür unterstrichen. Nach der Auflösung
des Amtes öffnete das Haus 1834 als Schule, später als 1.
Gemeindeschule. Im Jahr 1974 fiel das Gebäude (ab 1949
Goethe-Schule) der Spitzhacke zum Opfer.
From an Administrative Building to an Educational Facility
In 1704, Frederick I had the new administrative building
in the style of a large town house built on the River Havel.
The front of the house, being two-storeyed with a hipped
brick mansard and with its large window front to castle
square, had the simple look of a public building.A prominent entablature with hints of bar nails, a narrow profile
around the windows and a portal whose consoles wore
a decorative end, reinforced this impression, which was
emphasised by the brick staircase with a narrow iron grating and the simple door. Following the closure of the office,
the house opened in 1834 as a private school, which later
became a municipality-funded school.The building (since
1949 Goethe-Schule) was torn down in 1974.
Amtshaus 1704 erbaut, von 1834 - 1934, 1. Gemeindeschule, ab 1949 Goethe-Schule, 1974 abgerissen, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Ehemaliges Hofgärtnerhaus
Veranlasst durch den Prinzen August Wilhelm wurde 1770
direkt am Lustgarten ein eingeschossiges Haus für den Hofgärtner erbaut. Das hohe Kuppelwalmdach verfügte über
eine Fledermausgaube. Seit 1884 im Besitz des Tuchhändlers und Bankiers Louis Blumenthal, ließ dessen Sohn 1905
das Haus um zwei Fensterachsen nach Süden erweitern
und eine zweite Fledermausgaube einbauen. Nach dem
Konkurs des Bankhauses Blumenthal erwarb der Zahnarzt
Fritz Sperber das Gebäude. Nach unterschiedlichen kommunalen Nutzungen beherbergt das ehemalige Hofgärtnerhaus heute das italienische Restaurant L´Oasi.
Former Court Gardener Lodge
Prompted by Prince August Wilhelm, a one-storey house
or lodge for the court gardener was built in 1770 in the
pleasure garden. The high hipped dome roof had an eyebrow dormer. From 1884 the house was owned by the cloth
merchant and banker Louis Blumenthal, whose son Martin
had the house enlarged by adding two window axes to
the south and the addition of a second eyebrow dormer in
1905. The dentist Fritz Sperber acquired the building after
the bankruptcy of Blumenthal’s bank. The former lodge
of the court gardener, after various municipal uses, today
houses the Italian restaurant L’Oasi.
oben: Ehemaliges Hofgärtnerhaus, erbaut 1770, von 1884 bis 1929
im Besitz der Bankiersfamilie Blumenthal, heute Restaurant L´Oasi,
Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Orangerie, seit 1666 als Pommeranzenhaus errichtet, 1792
durch König Wilhelm II. in ihrer heutigen Gestalt vollendet.
Archiv: TKO gGmbH
oben: Luisenplatz, um 1934, von rechts: Rathaus von 1711 (Hotel
Eilers), daneben Nachfolgebau des 1699 errichteten Neuen Marstalls, ganz links: Amtshaus von 1704, dazwischen Lückenbebauung, Mitte 19. Jh., Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Königliches Forsthaus, erbaut 1772, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
Rathaus am Schlossplatz
Im Jahr 1711 nahm der Magistrat von Oranienburg das
neue Rathaus in Besitz. In Anlehnung an die niederländische Backsteinarchitektur erstrahlte die Fassade des
zweistöckigen Gebäudes ursprünglich in hellem Ziegelrot. Bereits 1817 vergaben die Stadtväter das Rathaus
in Erbpacht. Von 1867 bis 1959 führten drei Hoteliers in
Folge das jeweils erste Haus am Platz, dem später eine
überdachte Terrasse hinzugefügt wurde. Im Jahr 1963 beendete ein unnötiger Abriss die Geschichte dieses Stadtbild prägenden Gebäudes.
Town Hall at the Castle Square
In 1711, the magistrate of Oranienburg took possession
of the new town hall. Built in the Dutch style of brick architecture, the façade of this two-storey building originally
shone in pale brick red. From 1867 until 1959, three hoteliers in a row ran the ’number one’ house in town, to which
a covered terrace was added later. In 1963, an unnecessary
demolition ended the history of this building which had so
characterised this town.
Rathaus am Schlossplatz, erbaut 1711, (von 1867 bis 1959 Hotel), 1963 abgerissen, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
1653 - 2016
Krankenhaus
1653 stiftete Kurfürstin Louise Henriette das erste Krankenhaus Oranienburgs. Bis 1903 diente es als Siechenhaus.
Das heute bekannte Krankenhaus wurde erst 1903 mit 30
Betten eingeweiht. Zwanzig Jahre später wurde es Kreiskrankenhaus des Niederbarnim. Nachdem 1926 die Bettenzahl mehr als verdoppelt wurde, musste 1929 ein Erweiterungsbau her. Bei der letzten Bombardierung Oranienburgs
1945 wurde der zuvor beräumte Mittelbau zerstört. 1959
wurde ein Neubau übergeben, im Jahr darauf folgte mit
den Stationen Physiotherapie, Gynäkologie und Pädiatrie die Erweiterung des Behandlungsprofils. Der veraltete
Operationssaal wurde 1981 rekonstruiert. Nach dem Ende
der DDR wurden ein Bettenhaus und ein Funktionsgebäude errichtet. Seit 1990 wurden 13 Mio. DM investiert. Aus
dem Kreiskrankenhaus wurde ein Regelkrankenhaus mit
verschiedenen Spezialisierungen und dem Rettungsdienst.
Hospital
In 1653 Electress Louise Henriette donated Oranienburg’s
first hospital, which served as an infirmary until 1903, when
the hospital we see today was inaugurated, initially with 30
beds. Twenty years later, it became the district hospital of
Niederbarnim. The number of beds was more than doubled
in 1926, and an extension was built in 1929. During the final bombing of Oranienburg in 1945, the central building,
which had been previously evacuated, was destroyed. In
1959, a new building was opened. The following year the
treatment profile was widened by wards for physiotherapy,
gynaecology and pediatrics. The antiquated operating theatre was reconstructed in 1981. After the end of the GDR,
a ward block and a functional building were established.
Since 1990, 13 million Deutschmarks have been invested,
and the district hospital turned into a polyclinic with a variety of specialisations and an emergency service.
SOZIALES ORANIENBURG
Einweihung des Krankenhauses (Louise-Henriette-Krankenhaus),
1903, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Das 1653 von Louise Henriette gestiftete erste Spital, bis 1903 Siechenhaus (Armenhausgrundstück), Gartenstraße 2, Repro: Stefan Latotzke
Klinik Oranienburg (Oberhavel Klinikum GmbH), 2016, © Herbert Schirmer
Waisenhaus
Ebenfalls gestiftet von Kurfürstin Louise Henriette wurde 1665 das Oranienburger Waisenhaus eingeweiht. Nur
sechs Jahre später wurde es durch Feuer zerstört. Der 1675
errichtete Neubau erhielt 1912 einen zweigeschossigen
Backsteinanbau mit Walmdach im Stil des holländischen
Frühbarocks. Die Fassade des auf das Schloss bezogenen
Bauwerks ist durch Mauerblenden und rechteckige Fenster mit hölzernen Schmuck-Girlanden gegliedert. Auf der
Hofseite gab es Wirtschaftsgebäude wie Ställe, Einrichtungen zum Backen, Schlachten, Waschen und Brauen. Bis
1923 waren hier jeweils 24 Waisenkinder untergebracht
und erfuhren eine Ausbildung. Am 15. März 1945 wurde
der Westflügel des Waisenhauses durch Bomben zerstört,
der Wiederaufbau erfolgte erst Anfang der 1990er Jahre.
Zurzeit befindet sich hier das Gesundheitsamt des Landkreises Oberhavel.
Orphanage
Likewise donated by Electress Louise Henriette, the orphanage of Oranienburg was inaugurated in 1665. Only six years later, it was destroyed by fire. The new building established in 1675 was a larger, two-storied brick building with a
hipped roof in the early-baroque Dutch style in 1912. The
façade of the building that resembles a castle is divided by
brick pilaster strips and rectangular windows with wooden
jewellery garlands. On the courtyard side, there were farm
buildings such as stables and baking, slaughtering, washing and brewing facilities. Until 1923, 24 orphans were
accommodated and educated here. On 15 March 1945 the
west wing of the orphanage was destroyed by bombs; it
was rebuilt only in the 1990s. It currently houses the health
department of the district of Oberhavel.
oben: Ärzte und Schwestern übernehmen die renovierte Intensivstation im Kreiskrankenhaus, 1984, Foto: Archiv Hans Biereigel
unten: 1945 zerstörtes Waisenhaus, Zustand 1954, Foto: Kreismuseum Oberhavel
oben: 1976 eröffnete Poliklinik II in der Straße des Friedens, Foto:
Archiv Hans Biereigel
unten: Schüler des Waisenhauses, um 1900, Foto: Kreismuseum
Oberhavel
Gesundheitsamt des Landkreises Oberhavel im restaurierten Gebäude des Waisenhauses, Havelstraße 29, 2015 © Herbert Schirmer
1653 - 2016
SOZIALES ORANIENBURG
Annagarten
1926 richtete der Deutsche Gemeinschafts-Diakonieverband neben dem Louisenhof ein Heim für gefährdete junge Frauen ein. Im Erdgeschoss wohnten 20 Mädchen, zumeist aus Berlin. Im Obergeschoss lagen die Schlaf- und
Arbeitsräume. Hier erhielten die so genannten „gefallenen Mädchen“ Unterricht in Hauswirtschaft (Kochen,
Waschen, Nähen), aber auch Deutschunterricht, Anstandslehre, Buchführung und Schriftverkehr sowie Anleitung in
der Kranken- und Säuglingspflege. Die von den Nevandsburger Diakonissen betriebene Ausbildung sollte den jungen Frauen eine Rückkehr ins bürgerliche Leben ermöglichen. 1956-1958 wurde aus der Besserungsanstalt eine
Behinderteneinrichtung für 28 Kinder und Jugendliche.
1993 übernahm das Evangelische Johannesstift Berlin mit
sozialer und diakonischer Ausrichtung die Trägerschaft.
Mithin werden in sieben Wohngruppen Erwachsene mit
geistiger Behinderung pädagogisch betreut.
Annagarten
In 1926, the German communal diaconal federation
established a home for wayward young women near
the Louisenhof.20 girls, mostly from Berlin, lived on the
ground floor, and on the upper floor were bedrooms and
workrooms. Here, the so-called ‘fallen women’ received
lessons in home economics (cooking, washing, sewing),
but also lessons in German, “decency”, accounting, correspondence, and the care of patients and infants. The
training run by the Nevandsburg deaconesses was intended to allow the young women to return to civil life.
Between 1956 and 1958 the reformatory became a disabled facility for 28 children and teenagers. In 1993,
the Evangelische Johannesstift Berlin with its social and
diaconal orientation took over the sponsorship. Thus,
adults with learning disabilities receive pedagogical
care in seven residential groups.
Sankt Johannesberg
Von den Arenberger Dominikanerinnen als Erholungsheim für Berliner Kinder gegründet, übernahmen ab
1917 die katholischen Ordensschwestern die Pflege von
Körperbehinderten. Nach 1945 wurden rund 160 an Tuberkulose erkrankte Kinder aufgenommen und gesund
gepflegt. Ab 1954 lebten über 100 Kinder mit geistiger
Behinderung in einem Komplex von Wohn-, Lern- und Arbeitsstätten. 1991 übernahm die Caritas Familien- und
Jugendhilfe gGmbH den Komplex und gründete Schule
und Werkstätten. Inzwischen sorgen 83 Mitarbeiter für
115 Bewohner, z. T. auch ambulant. In den Werkstätten
gehen 370 Menschen einer Arbeit nach und 67 Schüler
werden von 25 Mitarbeitern unterrichtet.
Mit dem Gut „Annagarten“ wurde 1826 ein Heim des Deutschen Gemeinschafts-Diakonie-Verbandes übergeben. Heimbewohner waren zu
Beginn straffällig gewordene junge Frauen aus Berlin. Foto: Archiv Renate Buß
Diakonissen aus Neuvandsburg unterrichten im „Annagarten“ die Heimbewohnerinnen in Hauswirtschaft, Deutsch, Buchführung und Schriftverkehr sowie Kranken- und Säuglingspflege, um 1930, Foto: Archiv Renate Buß
Haupthaus Annagarten, 1930er Jahre, Foto: Kreismuseum
Oberhavel
St. Johannesberg
This facility was founded by Arenberg Dominican nuns
as a rest home for Berlin children. From 1917, Catholic
nuns cared for physically disabled persons. After the end
of WW2, approximately 160 children with tuberculosis
were admitted and nursed back to health. Since 1954,
over 100 children with learning difficulties lived here in
a complex of living, learning and working places. In 1991
the Caritas Familien- und Jugendhilfe gGmbH took over
the complex and founded school and workshops. Today,
83 employees care for 115 residents, a part of whom are
mobile.370 people work in the workshops and 67 pupils
are taught by 25 employees.
1899 entstand das katholische Kinderheim Sankt Johannesberg. Von Dominikanerinnen als Erholungsstätte für Berliner Kinder gegründet,
befinden sich hier seit 1963 Schule und Werkstätten für Behinderte. Heute gehört es zur Caritas Familien- und Jugendhilfe GmbH. Postkarte:
Kreismuseum Oberhavel
Eingangssituation zur Caritas Familien- und Jugendhilfe GmbH,
2016, © Herbert Schirmer
Wohngebäude Caritas Familien- und Jugendhilfe GmbH,
2016, © Herbert Schirmer
1893 - 2016
EDEN. PARADIES AUF ERDEN
Paradies auf Erden
Im Jahr 1893 gründeten Berliner Vegetarier und Weltverbesserer in Oranienburg die Obstbaukolonie Eden. Fünf
Grundsätze sollten in der Vegetarischen Obstbaukolonie
Eden e.G.m.b.H. gelebt werden: Ernährungsreform, Gemeinschaftsbesitz an Grund und Boden, Genossenschaftsbewegung, alternativer Gartenbau und Siedlungsbewegung. Die
ersten Siedler bauten sich einfache Gartenhäuser mit Wohnküche, Stube, zwei Schlafkammern, Trockenboden, Waschküche und Vorratskeller. Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden
80 »Heimstätten«, umgeben von einer kleinen Obstplantage mit Apfelbäumen und Beerensträuchern, Rhabarber,
Erdbeeren und Gemüse zur Selbstversorgung. In den 1920er
Jahren erfolgte die Umstrukturierung in die Bereiche Gartenbetrieb, Obstverwertung und Vertriebsabteilung.
Paradise On Earth
Berlin vegetarians and starry-eyed idealists founded the
Eden Fruit Growing Colony in Oranienburg in 1893. This fruit
growing colony, named Vegetarische Obstbaukolonie Eden
e.G.m.b.H., adopted five principles: A reformed diet, the communal ownership of land, a cooperative movement, alternative gardening and settlement movement. The first settlers
built simple garden houses with kitchen-diner, parlour, two
small bedrooms, an attic drying-room, a laundry room, and
a storage cellar for their own use. By the commencement of
World War I, 80 “homesteads” had emerged, surrounded by
a small orchard with apple trees and berry bushes, rhubarb,
strawberries and vegetables for self-sufficiency. A restructuring into the areas of horticulture, fruit-processing, and sales
was carried out in the 1920s.
Titelseite der Ausgabe des „Praktischen Ratgebers im Obst- und Gartenbau“, vom 19. Mai 1901, Repro: Archiv Rita Scherwinski
Sportfest in Eden, 1920er Jahre, © Gontz-Kilian
Verwaltungsgebäude der Genossenschaft, 1925 © Gontz-Kilian
oben: Erntezug von 1925
unten: Kinderfest 1920er Jahre © Gontz-Kilian
1893 - 2016
EDEN – LEBENSREFORM
Die im Jahr 1897 eröffnete reformpädagogische Schule in
Eden gehörte zu den ersten ihrer Art in Deutschland. Neben
dem Unterricht lernten die Berliner Stadtkinder vor allem
die Natur kennen und feierten Brauchtumsfeste im Jahreslauf. Für mehr als drei Jahrzehnte waren das Reform-Erholungsheim wie auch das Genossenschaftshaus mit großem
Saal und der Bibliothek Mittelpunkt des kulturellen Lebens,
an dem viele Künstler aus Berlin und Oranienburg mitwirkten. Hier feierte Anna Rubners „Edener Heimatbühne“ ihre
Erfolge. Nach vielen Unwägbarkeiten feierte Eden 2003
seinen 100. Geburtstag. Die Satzung von 2015, die eine
Neuausrichtung der Genossenschaft zum Ziel hat, zitiert
mit dem Bekenntnis zur natürlichen Grundstücksnutzung,
zur ökologischen Landschaftspflege und zur Erziehung der
Jugend zu gesunder Lebensweise die einstige Grundidee.
The reform-pedagogic school that opened in Eden in 1897
was one of the first of its kind in Germany. In addition to
the lessons, Berlin’s children got to know nature and celebrated various traditional festivals throughout the year. For
more than three decades, the reform rest home as well as
the Cooperative House with its large hall and the library
had been the centre of cultural life, in which many artists
from Berlin and Oranienburg played a part. It was also the
location where Anna Rubner’s “Eden Home Stage” celebrated its successes. After many uncertainties Eden celebrated its 100th birthday in 2003.The statute of 2015, which
aims at a realignment of the cooperative, cited the former
fundamental principles: a commitment to natural land use,
ecological landscape management and education of the
young to a healthy way of life.
Werbung 1939: Für dein Wohlbefinden - Edener Apfelsaft - das köstliche Tafelgetränk aus voll reifen Winteräpfeln - natursüß - naturtrüb - erfrischend nervenstärkend - von Ärzten empfohlen. Darum trinke jeden Tag Edener Apfelsaft. Repro: Kreismuseum Oberhavel
oben: Postkarte mit Gasthaus „Zum Windrad“ und Genossenschaftshaus, Repro: Kreismuseum Oberhavel
unten: Edener Volkstanzkreis beim Frühlingsfest auf der Festwiese,
nach 1933, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Grüne Abgrenzung, 2015, © Herbert Schirmer
Obstverwertungsfabrik mit Kesselhaus der Eden-Mosterei, Rückseite, Obstbausiedlung Eden, Struveweg 503 - 505, © Herbert Schirmer, 2015
1900-1945
Bernauer Straße
Unter dem Einfluss von Eisenbahn und Industrialisierung
entwickelte sich Oranienburg zu einem vitalen Wirtschaftsstandort. Die Stadt dehnte sich rasant aus und die industrielle Massenfertigung konkurrierte mit der traditionellen
Heimarbeit und dem Handwerk. Das urbane Leben, durch
die Verlagerung von Unternehmen aus Berlin und den massenhaften Zuzug von Industriearbeitern beflügelt, verlagerte sich zunehmend von der Altstadt in die Mittel- und Neustadt. Die Altstadt verlor ihre Funktion als Mittelpunkt des
Wirtschafts- und Alltagslebens. Diese Phase in der Stadtbildung führte dazu, dass kleinstädtisch geprägte Häuser,
nicht zuletzt der Grundstücksspekulationen wegen, einer
höheren und dichteren Bebauung weichen mussten. Die historische Bausubstanz und die ehedem dörflich geprägten
Strukturen fielen verkehrsbedingten Begradigungen und
Straßenverbreiterungen zum Opfer. Neue Geschäftszentren
sowie der Bahnhof als Verkehrsknotenpunkt veränderten
das Stadtbild und den Alltag. Im Zuge dessen erfuhr die
Bernauer Straße als wichtige Verbindung zwischen dem historischen und den neuen Stadtteilen eine bis dahin nicht
gekannte Aufwertung als Einkaufs- und Flaniermeile. Handel und Gaststättengewerbe entdeckten die belebte Straße
ebenso wie Banken und Vergnügungsstätten.
Bernauer Straße
Under the influence of the railways and industrialisation,
Oranienburg evolved into a vital business location. The city
expanded rapidly as industrial mass production competed
with traditional homework and crafts. Urban life, inspired
by the relocation of companies from Berlin and the large-scale influx of industrial workers, shifted increasingly
from the old town to the middle and new town. The old
town lost its function as the focal point of economic and
everyday life. This phase in the formation of the town meant that provincial houses had to make way for a higher
and more densely built-up area, partially because of land
speculation. Historical buildings and the formerly rural
structures fell victim to traffic-related road straightening
and widening. New business centres, as well as the station
as a transport hub, changed the urban landscape and everyday life. This led to Bernauer Straße becoming a vital link
between the historic and the new districts and experiencing an unprecedented appreciation as a shopping street
and promenade. The busy street became a centre for retail
outlets, restaurants, banks and places of entertainment.
GESICHTER EINER STRASSE
Hölzerne Havel-Klappbrücke, errichtet 1823, mit Blick in die Bernauer Straße um 1890, links: das Mühlenfeld mit der Chemischen Fabrik
Oranienburg, Foto: Kreismuseum Oberhavel
oben: Bernauer-Ecke Lehnitzstraße mit Blickrichtung Schlossbrücke, 1920er Jahre, Archiv: Burkhard Schwarz
unten: Blick von der Schlossbrücke in die Bernauer Straße
vor 1945, links das Kaufhaus von Isidor Abraham, Archiv:
Burkhard Schwarz
oben: Stallgebäude, um 1930, Foto: Archiv Biereigel
unten links: Melniker Hof (bis 1977 Oranienburger Hof), heute Ristorante Paganini, Foto: Archiv Biereigel
unten rechts: Das Traditionsunternehmen der Eisen- und Wirtschaftswarenhandlung Otto Brückner zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Foto: Kreismuseum Oberhavel
In den 1920er Jahren war die Bernauer Allee die beliebte und belebte Einkaufsstraße der Mittelstadt mit Kaufhäusern, Restaurants, Cafés,
Kinotheater und Banken, Postkarte, 1920er Jahre, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Automobilverkauf, Reparaturwerkstatt und Waffenhandlung in den 1920er Jahren, Archiv: Rita Scherwinski
1945-2016
GESICHTER EINER STRASSE
Hatten die 1920er Jahre für einen Höhepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung und Nutzung der Bernauer Straße gesorgt, so war nach der Bombardierung der Stadt
1944/45 vieles von der städtischen Infrastruktur, Kanalisation, Leitungen und Straßen zerstört. Die Wiederaufbaujahre sind geprägt vom existenziellen Bedarf nach einfachen
Wohn- und Geschäftshäusern. Was die Kriegsjahre halbwegs intakt überstanden hatte, fiel bis in die 1970er Jahre
der Spitzhacke zum Opfer. Das Alte sollte um jeden Preis
überwunden werden. Bis in die 1980er Jahre spiegelt die
Bernauer Straße neben der Weiternutzung der Kaufhausbauten und eingezogener, schmuckloser Lückenbebauung
die Nachkriegs-Provisorien in Gestalt von Kiosken, Baracken und Ruinen. Einen spürbaren Aufschwung erfuhr die
Straße erst nach 1990, als sie wieder zur Hauptgeschäftsstraße avancierte und neben den restaurierten Bauwerken
die verbliebenen Baulücken geschlossen wurden.
Bernauer Straße’s heyday in the public perception and
use was in the 1920s, but much urban infrastructure, sewer connections, electrical lines and streets were destroyed by the bombing of the town in 1944/45. The years of
reconstruction were characterised by the need for simple residential and commercial buildings. Buildings that
had survived the war years more or less intact, were torn
down up into the 1970s. Past principles were to be abandoned. Until the 1980s, Bernauer Straße, with its department store buildings and indented unadorned in-fill
buildings, reflected ad hoc provisional post-war arrangements in the form of kiosks, shacks and ruins. The street
experienced a noticeable upturn only after 1990, when it
again became a main street and remaining gaps alongside the restored buildings were developed.
Bernauer Straße, Ecke (1961-1992 Straße des Friedens), mit Konsum-Kaufhaus, ehemals Nebe, 1970er Jahren, Foto: Stadt Oranienburg
Bernauer Straße (Straße des Friedens), 1978, Foto: Stadt Oranienburg
Bernauer Straße, 2015, © Herbert Schirmer
oben: Bernauer Straße (Straße des Friedens) vor der Errichtung der fünfgeschossigen Plattenbauten, 1970er Jahre,
Foto: Stadt Oranienburg
mitte: Boulevard, 1980er Jahre, Foto: Stadt Oranienburg
unten: Die 1902 gebaute II. Gemeindeschule, 1907 erweitert,
beherbergt heute die Fördereinrichtung Lindenschule,
2015, © Herbert Schirmer
1603 - 1914
WASSERSTRASSEN·SCHLEUSEN
Wasserstraßen
Bereits 1603 ließ Kurfürst Joachim Friedrich von Brandenburg die Flüsse Havel und Oder durch einen Kanal verbinden, dessen Bau 1619 vollendet wurde. 1787/88 erfolgte der
Bau des Ruppiner Kanals vom Kremmener See bis zur Havel
bei Sachsenhausen. Notwendig wurden Kammerschleusen
in Hohenbruch, Tiergarten und Friedenthal. Beginnend in
Sachsenhausen wurde bis 1837 der Oranienburger Kanal
gebaut. Das Verkehrsaufkommen auf dem Finowkanal wies
um 1800 ca. 4.000 Kähne auf, 1841/43 waren es schon
ca. 13.350 Schiffsbewegungen. Um Berlin besser mit Baustoffen zu versorgen, wurden im gleichen Zeitraum etwa
48.000 Stämme Floßholz geschleust. Von1908 wurde mit
dem Großschifffahrtsweg Berlin-Stettin ein Jahrhundertprojekt begonnen. Auf dieser rund 100 km langen Wasserstraße gab es fünf Schleusenanlagen, darunter die 85 Meter lange Lehnitz-Schleuse, die vier Finowkähne mit 880
Tonnen oder einen 600 Tonnen Kahn samt Schleppdampfer
aufnehmen und um 5,80 Meter heben konnte.
Waterways
By 1603, Elector Joachim Friedrich of Brandenburg had
planned to link the rivers Havel and Oder by a canal, the
building of which was completed in 1619. In 1787/88 the
Ruppin Canal from Lake Kremmen up to the River Havel at
Sachsenhausen was built. Chamber locks were necessary in
Hohenbruch, Tiergarten and Friedenthal. Starting in Sachsenhausen, the Oranienburg Canal was built between 1830
until 1837. Traffic on the Finow Canal saw some 4,000 boats
in 1800. In 1841/43 there were about 13,350 vessel movements. In order to better provide Berlin with building materials, 48,000 trunks of raft wood were transported along
the canals during the same period. From 1908, a centennial project was launched to connect Berlin and Stettin by a
great waterway. On this waterway, some 100 km in length,
there were five canal lock systems, including the 85 metre
long Lehnitz lock that could accommodate four Finow barges of 880 tons, or a 600-ton barge along with tugboat,
and raise them by 5.80 meters.
Schifffahrt
Um 1900 verkehrten drei Schiffstypen. Die Zillen waren kleine, leicht gebaute und offene Lastschiffe, die über einen Segelmast verfügten und ca. 150 Tonnen Ladung aufnehmen
konnten. Die Schuten, Schiffe ohne eigenen Antrieb, mussten geschoben oder gezogen werden. Sie konnten bis zu
100 Tonnen Frachtgut befördern. Jeder Kahn verfügte über
ein Segel, stromaufwärtz musste die meist zweiköpfige
Besatzung treideln. Betuchte Bootseigner spannten Pferde
an, die erst durch die Einführung der Dampf- und Motorschifffahrt (ab 1850 und 1910) verdrängt wurden. Transportiert wurden vor allem Schüttgut wie Kohle, Kies, Getreide,
Kartoffeln, aber auch Baumaterialien wie Ziegelsteine und
Holz. Ab 1880 fuhr der hölzerne Kaffenkahn (Kaffe wird
der vordere und hintere Abschluss des Kahns genannt). Im
Verhältnis zur Schiffsgröße war der Mast sehr hoch. Darum
waren die meisten Brücken als Klappbrücken ausgelegt
oder mit Mastdurchlässen versehen. Kaffenkähne wurden
bis 1914 vor allem für die märkischen Wasserstraßen gebaut. Für den Personen-Ausflugs-Verkehr standen hingegen Dampfer und Motorboote bereit.
Nach holländischem Vorbild gebaute hölzerne Klappbrücke über den Ruppiner Kanal bei Sachsenhausen, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
oben: Der Kaffenkahn - auch Zille genannt, war bis Ende des 19.
Jahrhunderts die verbreitete Schiffsform auf den Wasserstraßen
der Mark Brandenburg. Die märkische Zille war ein Spitzkahn, mit
langer Vorderkaffe und den Butzern, mit kurzen, gedrungenen Kaffen. Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Warten vor der Lehnitzer Schleuse, Foto: Kreismuseum
Oberhavel
Lastkahn mit Segel, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Seafaring
Around 1900, three ship types were in use. The barges
were small, slightly built and open freighters that had a
sailing mast and could take a load of approximately 150
tons. The dumb barges, having no motive power, had to
be pushed or pulled. They could haul up to 100 tons of
cargo. Each barge had a sail; upstream they were usually
towed by a crew of two. Well-heeled boat owners harnessed horses until they were replaced by the introduction
of steam and motor boats (from 1850 and 1910, respectively). The craft mostly transported bulk materials such as
coal, gravel, grain, potatoes, but also construction materials such as bricks and wood. From 1880, wooden barges,
called Kaffenkähne, were used. In relation to the size of
the ship, its mast was very high. Hence most bridges were
designed as drawbridges or were equipped with a gap for
the mast. Such barges were built especially for the Brandenburg waterways until 1914. On the other hand, steamers and motor boats were available for excursion traffic.
Klassenfahrt von vier Jahrgängen der 1. Gemeindeschule mit dem Personendampfer „Lehnitz“ und dem Motorboot „Iduna“ am Rhin vor der
Schleuse Alt-Ruppin, 1907, © Robert Radtke, Neuruppin, Kreismuseum Oberhavel
1890 - 2016
SCHIFFBAU · FLÖSSEREI
Malzer Werft
Am Ende des 19. Jahrhunderts war aus dem Büdnerdorf
Malz ein wohlhabendes Schifferdorf geworden. Mit der Verlängerung des Malzer Kanals 1836, mehr noch nach dem
Einbau einer zweiten Schleusenkammer 1857 in Malz, entstanden gegen Ende des Jahrhunderts erste Dockanlagen.
Die sich rasch entwickelnde „Malzer Schiffs- und Bootsbauwerft GmbH“ verfügte über vier hölzerne Trockendocks,
die 1921/22 umgebaut wurden. Die Malzer Werft überlebte
die Schiffsbaustellen in Glashütte, Sachsenhausen und
Friedenthal, die nur bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts
existierten. Hier werden bis heute Kähne und Schiffe gebaut, mehr noch repariert. Nach der Modernisierung und
seit dem Bau der großen Halle im Jahr 1989 können in der
Malzer Werft per Slipanlage Kähne bis zu 67 Metern Länge
an Land geholt, repariert bzw. neuaufgebaut werden.
Malz Wharf
At the end of the 19th century, the Büdner cottage Malz
had become a prosperous village of boatmen.With the extension of the Malz Canal in 1836 and especially after the
installation of a second lock chamber in Malz in 1857, the
first docking facilities emerged towards the end of the century. The rapidly developing “Malzer Schiffs- und Bootsbauwerft GmbH” had four wooden dry docks, which were
modified in 1921/22. The Malz Wharf survived the ship
construction sites in Glashütte, Sachsenhausen and Friedenthal, which existed only until the beginning of the 20th
century.Today, barges and ships are still built and even repaired here. Following modernisation and the construction
of the great hall in 1989, barges up to 67 meters in length
can be brought ashore via a slipway and repaired or newly
constructed in the Malz Wharf.
FLößer
Über die Havel führte eine ganze Reihe von Flößerstrecken.
Im Winter wurde das Holz geschlagen, dann mit Pferdegespannen zu Sammelstellen gebracht oder geschleift. Hier
kauften Händler und Schneidmühlenbesitzer ein. Im Frühjahr
erschien der Floßführer mit seiner zwei- oder vierköpfigen
Besatzung. Bis zu fünf Lagen übereinander banden sie die
Stämme zusammen und richteten Holzkonstruktionen aus
Stangen, Keilen und Holzseilen her. Seit dem Ende des 19.
Jahrhunderts wurden auch Nägel, Draht, Ketten und Krampen genutzt. Ruder und Einfahrhölzer dienten zum Steuern
und Abbremsen. Das wichtigste Werkzeug der Flößer war
der Floßhaken, ein Universalwerkzeug für Waldarbeit, Floßbau und zum Lenken der Flöße. Bei trägem Wasser musste
das Floß vom Ufer aus mit langen Staken vorwärtsgeschoben oder gar getreidelt werden. Leichter war es, über die
großen Seen zu segeln. Später erleichterten Schlepper die
schwere Arbeit der Flößer. Eisenbahn und Dampfschiffe ersetzten schließlich den traditionellen Transport zu Wasser.
Raftsmen
The River Havel provided a route for floating timber downstream. In winter, wood was harvested, then brought or
dragged to collection points by horse-drawn wagons. Here
salesmen and cutting mill owners would place their orders. In spring, a rafting guide with his two- or four-man
crew appeared. They tied up the trunks in up to five layers,
thereby constructing a raft from bars, wedges and wood
ropes. From the end of the 19th century nails, wire, chains
and cramps were also used.Oars were used for steering
and retractable posts for decelerating. The rafters’ most
important tool was the raft hook, a universal tool for forest work, raft building and for steering the rafts. If caught
in stagnant water, a raft had to be pushed from the shore
with long poles or even towed. It was much easier to sail
on the great lakes. Later, tugboats facilitated the hard work
of the rafters. In the end, railways and steam ships replaced traditional waterborne transport.
Trockendocks der 1892 eröffneten „Malzer Schiffs- und Bootsbauwerft GmbH“, 1930er Jahre, Foto: Kreismuseum Oberhavel
oben: Flößer bei ihrer schweren körperlichen Arbeit, Quelle:
Unbekannt
unten: Die „Sehnsucht“ auf großer Havelfahrt, 2009, Foto:
Archiv TKO gGmbH
oben: Flöße auf den Rhin in Altruppin, Foto: Kreismuseum
Oranienburg
unten: „WerftMalz GmbH“. Historisch getreuer Nachbau der
Staats-Yacht „Sehnsucht“, des Flaggschiffs der geplanten
Flotte von Kurfürst Friedrich Wilhelm durch den Kurbrandenburgischen Marineverein e. V., 2007, Foto: Archiv TKO gGmbH
Die „Sehnsucht“ vor großer Kulisse, 2009, © Frank Liebke, Archiv THO gGmbH
1752 - 1836
INDUSTRIESTANDORT
Heimarbeit als Auslöser
Begonnen hat alles mit einer Anordnung König Friedrich
II. von 1752, in der Gegend von Oranienburg 50 sächsische und württembergische Feinspinner anzusiedeln, die
in Heimarbeit die Berliner Woll- und Baumwollhersteller
beliefern sollten. 1802 eröffnete im Schloss eine Baumwollweberei und ab 1814 eine Schwefelsäurefabrik.
Zum ersten Mal in Preußen wurde das in England entwickelte Bleikammerverfahren eingesetzt. 1832 kam der
Chemiker und Unternehmer Friedlieb Ferdinand Runge
(1794-1867) als technischer Leiter der 1814 gegründeten Chemischen-Produkten-Fabrik nach Oranienburg. Er
begründete die Teerfarbenchemie und begann mit der fabrikmäßigen Produktion. Als erster in Deutschland stellte
er Stearinkerzen mit dem Namen „Oranienburger Palmwachslichte“ her. Seine 1836 erschienene „Einführung in
die Technische Chemie für jedermann“ war ein Bestseller.
1862 wurde Runge auf der Londoner Weltausstellung mit
einer Verdienstmedaille ausgezeichnet.
Cottage Industry as a Trigger camp
It all started with an order of King Frederick II in 1752 to
settle 50 Saxon and Württembergian fine spinners in the
area of Oranienburg, who were intended to supply the Berlin
wool and cotton manufacturers as homeworkers. In 1802,
a cotton weaving mill, and in 1814 a sulphuric acid factory,
opened in the castle. For the first time, the lead chamber
process, developed in England, was used in Prussia. In 1832,
the chemist and entrepreneur Friedlieb Ferdinand Runge
(1794–1867) came to Oranienburg as the technical director of the chemical production factory founded in 1814.
He founded the chemistry of coal-tar dyesand its industrial
production. He was the first in Germany who produced stearin candles named “Oranienburg Palm wax candles”. His
“Introduction to Technical Chemistry, for Everyone” published in 1836, was a bestseller. Runge was awarded a medal
of merit at London’s world exhibition in 1862.
Alte Friedrichstraße im Spinnerdorf Sachsenhausen, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
Museale Inszenierung einer historischen Heimarbeitsstätte mit Spinnrädern
Oranienburger Bockwindmühle (Iden-Mühle) in der Kremmener Straße früher Galgenberg. Sie musste 1911 der Stahlfedernfabrik Heintze &
Blankertz, dem späteren Kaltwalzwerk, weichen. Foto: Kreismuseum Oberhavel
1850 - 1913
INDUSTRIESTANDORT
Infrastruktur und neue Fabriken
Im Gefolge der Industriellen Revolution wurde seit Mitte
des 19. Jahrhunderts die Infrastruktur entwickelt. Straßen und Schienenbau sowie der Ausbau von Wasserwegen beschleunigten den industriellen Aufschwung Oranienburgs. Die seit 1877 errichtete Nordbahn verkehrte
zwischen Berlin und Stralsund. Zusätzlichen Schub brachte 1891 die Einführung des Vorortverkehrs Berlin – Oranienburg, der ab 1925 elektrifiziert war. Vor allem der
1914 eröffnete Großschifffahrtsweg Berlin-Stettin (heute:
Oder-Havel-Kanal) und der Lehnitzsee als Bestandteil der
Havel-Oder-Wasserstraße beförderten den Gütertransport auf dem Wasser. Aus der Stadt im Grünen wurde ein
überregional bedeutsamer Standort der Metall- und Holzverarbeitung sowie des Maschinenbaus. 1874 zerstörte
ein Feuer die Königlichen Wassermühlen. Im Jahr darauf
wurde die großen Dampfmühle in der Lehnitzstraße an
der Havel errichtet. 1885 verlegte Dr. Heinrich Byk seine
Chemische Fabrik von Berlin nach Oranienburg. Mit Heintze & Blankertz eröffnete 1913 der größte Stahlfedernhersteller in Deutschland seinen Firmensitz in Oranienburg.
Infrastructure and New Factories
The infrastructure has been developed since the middle of
the 19th century in the wake of the industrial revolution.
Road and rail construction and the development of waterways accelerated the industrial boom of Oranienburg.
The Northern Railway, built in 1877, ran between Berlin
and Stralsund. In 1891, the introduction of a suburban service linking Berlin and Oranienburg, electrified from 1925,
brought additional impetus. The major Berlin – Stettin waterway (today’s Oder-Havel canal) opened in 1914, and the
Lake Lehnitzsee, a part of the Havel-Oder waterway, facilitated the transport of goods by water. The ‘town in the
countryside’ became a nationally significant site for the
metal and wood processing industry, and for mechanical
engineering. In 1874, a fire destroyed the royal water-mills.
A large steam mill was built in the Lehnitzstraße on the River
Havel in the following year. In 1885, Dr. Heinrich Byk moved
his chemical factory from Berlin to Oranienburg. Heintze &
Blankertz, the largest manufacturer of steel springs in Germany, opened his headquarters in Oranienburg in 1913.
Schleusentreppe des seit 1905 errichteten Hohenzollernkanals im Festschmuck zur Eröffnung (17. Juni 1914), Postkarte: Archiv Bodo Becker
oben: Beim Bau der Lehnitzer Schleusenbrücke (OranienburgSchmachtenhagen) 1908-1914, Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Schleuse Sachsenhausen, Postkarte Kreismuseum
Oberhavel
oben: Der erste elektrisch betriebene S-Bahn-Zug startete am
6. Oktober 1925 in Richtung Berlin. Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Kremser vor dem alten Bahnhof, um 1910, Foto: Kreismuseum
Oberhavel
Der mit der Eröffnung der Nordbahn 1877 errichtete Bahnhof mit Gleisanlagen, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
1880-1913
Made in Germany
In der auf die Gründerzeit folgenden Phase der Hochindustrialisierung entwickelte sich Deutschland zur größten
Industrienation Europas. Zwischen 1871 und 1914 versechsfachte sich die industrielle Produktion und überflügelte damit das bis dahin führende Großbritannien. Aus
der englischen Kennzeichnung „Made in Germany“, die
für minderwertige deutsche Produkte stehen sollte, wurde binnen kurzem ein Qualitätssiegel. Prägend für die industrielle Entwicklung Oranienburgs bis zum Ersten Weltkrieg waren v. a. die mittleren und kleinen Unternehmen
der Chemie, Farben- und Medikamentenherstellung sowie
metallverarbeitende Fabriken. Die Zahl der Industriearbeiter nahm ebenso zu wie der Bedarf an Wohnraum, der die
Städte nach dem Motto schnell und billig bauen, wachsen ließ. Im Gegensatz zu Silvio Gesells Vorstellungen von
einer egalitären Gesellschaft freier und gleichberechtigter
Bürger nahmen existenzielle Konflikte in der Arbeiterschaft
zu, was wiederum zur Gründung politischer Volksparteien
und diesen nahestehenden, berufsständisch organisierten
Gewerkschaften führte. Im Ergebnis früher Arbeitskämpfe
wurde 1883 die Krankenversicherung, 1884 die Unfall- und
Invaliditätsversicherung sowie die Altersversicherung zur
Linderung sozialer Not eingeführt.
INDUSTRIESTANDORT
Mühlenfeld, Chemische Fabrik Oranienburg, links: frühere Palmwachslichtfabrik (Stearin-Kerzen), Federzeichnung von Ernst Meyer, um 1890,
Repro: Kreismuseum Oberhavel
Made in Germany
During increased industrialisation following the period
known by Germans as Gründerzeit, ending with the stock
market crash of 1873, Germany became Europe’s largest
industrial nation. Between 1871 and 1914, industrial production sextupled, thereby surpassing that of the former
leader, Britain. The label “Made in Germany”, which had
stood for low-quality German products, shortly became a
seal of quality. Medium-sized and small enterprises of chemicals, paint, and drug production, as well as the metal-working factories were especially characteristic of the industrial development of Oranienburg until WW1. The number
of industrial workers increased as did demand for housing,
which led to a suburbanisation based on the motto “build
quickly and cheaply”. In contrast to Silvio Gesell’s idea of
an egalitarian society of free and equal citizens, existential
conflicts in the working class increased, which in turn led
to the founding of political parties and related professionally-organised trade unions. As a result of earlier labour
disputes, in 1883 health insurance, and in 1884 accident
and disability insurance and an old-age pension scheme
were introduced to ease social hardship.
oben: Image-Werbung für Stahlfedern von Heintze & Blankertz,
1920er Jahre, Stadtarchiv Oranienburg
unten: Elektrizitäts- und Wasserwerk in der Neustadt, nach 1904
erweitert, 1945 zerstört, Postkarte: Kreismuseum Oberhavel
oben: Stahlfedernfabrik Heintze & Blankertz, Werktor, um 1915
Foto: Stadtarchiv Oranienburg
mitte: Hannalin Fabrik von Richard Wibelitz, historische Ansicht, Foto:
Kreismuseum Oberhavel
unten: Compound-Ventildampfmaschine für das Elektrizitätswerk in Oranienburg, Leistung 850 PS, Fa. Schickau GmbH, SLUB Dresden, Deutsche
Fotothek, unbekannter Fotograf, um 1900
Blick auf die 1875 erbaute Dampfmühle, dahinter der 1916/17 erbaute Kornspeicher zwischen Lehnitzstraße und Havel, Nutzung bis 1980er
Jahre, seit 2015 Wohnanlage geplant, Repro: Stefan Latotzke
1933 - 1945
INDUSTRIESTANDORT
Nationalsozialistischer Industrieschwerpunkt
In den 1930er Jahren war Oranienburg ein Kernsitz der
chemischen und pharmazeutischen Industrie. Seit 1936
zum nationalsozialistischen Industrieschwerpunkt erklärt,
bestimmte nunmehr die Rüstungsproduktion das Profil der
Fabriken. Neben den Auer-Werken und dem Byk-Gulden
Pharmaunternehmen entstanden unter Einbeziehung der
umliegenden Orte Lehnitz und Siedlung Leegebruch innerhalb nur eines Jahres die zum Stammbetrieb Rostock gehörenden Heinkel-Flugzeugwerke. Hier wurde ab 1937 das
Bombenflugzeug He 111 produziert. Dabei kamen tausende Zwangsarbeiter aus Mittel- und Osteuropa zum Einsatz.
Als Lieferant für die Bauvorhaben der Nationalsozialisten
in Berlin wurde 1938 in Oranienburg das Klinkerwerk errichtet. Unter unmenschlichen Bedingungen schufteten
hier in Strafkommandos hauptsächlich Häftlinge aus dem
benachbarten Konzentrationslager Sachsenhausen, nach
Kriegsbeginn 1939 zunehmend auch Zwangsarbeiter und
Kriegsgefangene aus den besetzten Ländern Europas.
National Socialist Industry Centre
In the 1930s Oranienburg was a key location for the chemical and pharmaceutical industries. Oranienburg was
declared a centre of industry by the Nazis in 1936, following which armament production determined the profile of the factories. The Auer-Werke and pharmaceutical
company Byk-Gulden were joined by the Heinkel-Flugzeugwerke (owned by the parent company in Rostock),
linking neighbouring Lehnitz and the settlement of Leegebruch within a year. From 1937 the He 111 bombers
were produced here, largely by thousands of forced labourers from Central and Eastern Europe. As supplier
for the construction projects of the National Socialists in
Berlin, the clinker plant was built in Lehnitz in 1938. The
workforce consisted mainly of prisoners from the nearby
Sachsenhausen concentration camp and, after the outbreak of war in 1939, forced labourers and prisoners of
war from the occupied countries of Europe toiled here in
punishment squads under inhuman conditions.
Auerwerke Oranienburg, im Hintergrund Byk-Guldenwerke, um 1930, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Das vom Architekten Herbert Rimpl in Oranienburg errichtete Flugzeugwerk. In den hochmodernen Produktionsstätten wurde seit 1937 das berüchtigte Bombenflugzeugt He 111 gebaut, Foto:
Kreismuseum Oberhavel
Ernst Heinkel, Flugzeugkonstrukteur, Patriarch und überzeugter Nationalsozialist
(1888-1958) am Reißbrett. Heinkel galt als Vorreiter in der Flugzeugindustrie, der für
Experimente (z. B. Entwicklung Schleudersitz) Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen
einsetzte Foto: BArch
Blick in die Fertigungshalle. Im Vordergrund das Bombenflugzeug He 111 - P 4, dahinter das Wasserflugzeug Heinkel He 115 im Bau, Foto:
Hanns Hubmann, 1939/40, BArch
1945-1990
INDUSTRIESTANDORT
Produzieren um jeden Preis
Neben Kriegsschäden, Reparationsleistungen und Besatzungskosten waren es vor allem die fehlende Grundstoffindustrie sowie der Mangel an Rohstoffen, Transportmitteln
und Brennstoffen, welche die Entwicklung der Volkswirtschaft in der SBZ/DDR seit 1946 belasteten. Hinzu kamen
Enteignungen, Umwandlung in Volkseigentum und die Einführung der Planwirtschaft. In den vier Jahrzehnten der DDR
produzierten in Oranienburg die Pharmaindustrie, wie auch
der Leuchtfolienhersteller Hannalin, der VEB Infrarot-Anlagenbau zur Erwärmung von Trockengut, der VEB Plastimat zur Kunststoffverarbeitung und das Kaltwalzwerk, das
zuletzt allein an die 7.000 Mitarbeiter beschäftigte. Hierzu zählen mit dem Rußwerk auch der größte Umweltverschmutzer der Kreisstadt, in dem Aktivruß für die Reifenund Farbenindustrie hergestellt wurde, sowie das Konsum
Bekleidungswerk und die Möbelfabrik.
Produce, no matter what the cost
In addition to war damage, reparations and occupation
costs, especially the lack of basic industries, raw materials, adequate transport and fuel impacted the development of the economy in the Soviet occupation zone
and in the GDR from 1946.On top of this there were the
challenges from expropriation, nationalisation and the
introduction of a planned economy. In the four decades
of the GDR, the pharmaceutical industry, as well as
the luminescent film company Hannalin, the VEB Infrarot-Anlagenbau (dealing with the heating of dry goods),
the VEB Plastimat (processing plastics) and the cold-rolling mill, latterly employing some 7,000 people, were
located in Oranienburg. There were also a carbon black
facility, the town’s largest polluter, in which active soot
was produced for the tyre and paint industry,the Konsum clothing factory, and a furniture factory.
VEB Kaltwalzwerk Oranienburg, Halle 7, Innenansicht von Süden, um 1988, Foto: Stadtarchiv Oranienburg
oben: Ofenhaus der Hüttenwerke Kayser & Co,
vor 1945, Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Werbeprospekt des VEB Spezialfarben
Oranienburg. SLUB Deutsche Fotothek Dresden
VEB Chemiewerk „Friedlieb-Ferdinand-Runge“, Sachsenhausener Straße, Schwefelsäure-Anlage, nach 1946, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Sitzgruppe (Modell 584) des VEB Polstermöbelwerk Oranienburg, Leipziger Messe 1977, SLUB Dresden, Deutsche Fotothek, Aufnahme:
Friedrich Weimer
1990 - 2016
Neuorientierung nach 1990
Nach der Einführung der D-Mark am 1. Juli 1990 kollabierte die DDR-Wirtschaft. Überalterung der meisten Anlagen, geringe Produktivität und der Wegfall der Märkte
beschleunigten den Zusammenbruch. Nach Schließung
vieler Betriebe, darunter auch das von Krupp gekaufte,
hochmoderne Kaltwalzwerk und dem Verlust von vielen
Arbeitsplätzen, sind nach der Privatisierung seit 1990 mittelständische Unternehmen in Oranienburg entstanden.
Hierzu zählen Firmen wie Takeda Pharmaceutical Compagny, die Orafol Europe GmbH zur Herstellung selbstklebender Spezialfolien, mit 700 Mitarbeitern inzwischen
Weltmarktführer, aber auch Plastimat oder das REWE-Logistikzentrum mit mehr als 500 Beschäftigten. Aus dem
Institut für Milchforschung ist inzwischen die modernste
Lehrmolkerei Europas hervorgegangen. Oranienburg
ist heute Mittelzentrum und Teil des regionalen Wachstumskerns O-H-V, einer von 15 im Land Brandenburg.
INDUSTRIESTANDORT
Eingang zum Takeda-Werkgelände an der Lehnitzstraße, 2014, Foto: Archiv Takeda
Reorientation after 1990
After the introduction of the Deutschmark on 1 July 1990,
the East German economy collapsed. The collapse was accelerated by over-aging of most assets, low productivity, and
the loss of former markets. After the closure of many companies, including the ultra-modern cold-rolling mill purchased by Krupp and the loss of numerous jobs, medium-sized
companies emerged in Oranienburg following privatisation from 1990. These include companies such as the Takeda Pharmaceutical Company; ORAFOL Europe GmbH, the
world’s leading producer of self-adhesive films with 700
employees; Plastimat and the REWE Logistics Centre with
more than 500 employees. The most advanced teaching
dairy of Europe emerged from the Institute for Dairy Research. Oranienburg today is a regional centre point and one
of 15 regional growth centres in the state of Brandenburg.
oben: REWE-Logistikzentrum im Gewerbegebiet Oranienburg Süd,
2013, Foto: Archiv REWE
unten: Stammsitz der ORAFOL Europe GmbH im Gewerbepark Nord
(Detail), Foto: Archiv ORAFOL
oben: Pharmaunternehmen Takeda in der Lehnitzstraße, 2014,
Foto: Stadt Oranienburg
unten: Orafol-Folienlagerhalle, 2014, Foto: Archiv Orafol
Hauptsitz der Stadtwerke Oranienburg und Heizkraftwerk, Klagenfurter Straße 41, © Herbert Schirmer 2016
1933 - 1945
KONZENTRATIONSLAGER
Konzentrationslager Oranienburg
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde am 31. März 1933 im Oranienburger Stadtzentrum
eines der ersten Konzentrationslager Deutschlands eingerichtet. In der ehemaligen Kindl-Brauerei in der Berliner Straße organisierte die örtliche SA-Standarte 208
ein Lager für politische Gegner des NS-Systems und zur
Umerziehung von linken Politikern und Medienvertretern.
Binnen kurzem waren mehr als 3.000 Inhaftierte aus Berlin und dem Umland unmenschlichen Bedingungen und
Misshandlungen ausgesetzt. Die meiste Zeit mussten die
Gefangenen auf öffentlichen Baustellen der Stadt arbeiten. Ortsansässige Händler und landwirtschaftliche Betriebe sicherten die tägliche Versorgung der SA-Wachmannschaften und der Gefangenen ab. Am 10. Juli 1934
wurde hier der Publizist, Anarchist und Antifaschist Erich
Mühsam von der SS ermordet.
Concentration Camp Oranienburg, 1933–34
After the Nazi takeover one of the first German concentration camps was established in the town centre of Oranienburg on 31 March 1933. The local SA unit 208 created
a camp for political opponents of the Nazis and for the
re-education of left-wing politicians and media representatives in the former Kindl brewery in Berliner Straße. Soon
more than 3,000 detainees from Berlin and the surrounding area were subjected to inhuman conditions and mistreatment. Most of the time the prisoners had to work
on the town’s public construction sites. Local dealers and
farms ensured the daily supply for the SA guards and the
prisoners. On 10 July 1934, the publicist, anarchist and anti-fascist Erich Mühsam was murdered here by the SS.
Konzentrationslager Sachsenhausen
Mit dem Modellbeispiel Sachsenhausen wurde ab 1934
das KZ-System im großen Stil entwickelt. Neben politischen
Gegnern wurden auch so genannte soziale, biologische und
ethnische Feinde der NS-Herrschaft dauerhaft isoliert und
„durch Arbeit vernichtet“. Neben der Bedeutung als Ausbildungsort für spezielle SS-Verbände hatte bis 1945 die
zentrale „Inspektion der Konzentrationslager“ (IKL) ihren
Sitz in Sachsenhausen. Hier wurden Lebensmittelrationen
festgelegt und Prügel- oder Todesstrafen verhängt. Bereits
1935 waren in den Baracken 3.000 Männer eingepfercht,
darunter neben politischen Gefangenen auch Kleinkriminelle, Homosexuelle und Sinti und Roma. Nach der antisemitischen Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden
mehr als 6.000 Juden eingeliefert. In der größten Massenmordaktion wurden 1941 im Herbst 13.000 sowjetische
Kriegsgefangene von der SS getötet.
Einteilung in Arbeitskommandos im KZ Oranienburg, Foto: Stadtarchiv Oranienburg
Friedrich Ebert junior, Sohn des gleichnamigen Reichspräsidenten der Weimarer Republik, beim Fegen des Hofes im KZ
Oranienburg, Foto: Stadtarchiv Oranienburg
Erich Mühsam, Dichter, Anarchist, Antifaschist, ermordet am 10. Juli
1934 im KZ Oranienburg, SLUB/Deutsche Fotothek, Aufnahme: Margot Schaal, April 1965
Sachsenhausen concentration camp
From 1934, the concentration camp system was enlarged
along the lines of the Sachsenhausen concentration camp.
In addition to political opponents, even so-called social,
biological and ethnic enemies of the Nazi regime were
permanently isolated and “annihilated through work”. In
addition to Sachsenhausen being a training location for
special SS associations, the central Concentration Camps
Inspectorate (“Inspektion der Konzentrationslager”) was
based here until 1945. Here decisions affecting life and
death were made, food rations were set, and corporal and
capital punishments were imposed. As early as 1935, 3,000
men were crammed into the barracks, mostly political prisoners but also petty criminals, homosexuals and Romani
people. More than 6,000 Jews were incarcerated following
the night of the anti-Semitic pogrom on 9 November 1938.
In the largest mass murder, 13,000 Soviet prisoners of war
were killed by the SS in the autumn of 1941.
Häftlinge beim Bäumetransport, aus: Fotoalbum des Kommandanten Karl-Otto Koch, KZ Sachsenhausen, 1937, Quelle: Nationaler Sicherheitsdienst der Russischen Föderation, Archiv: Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen
1936 - 1945
KONZENTRATIONSLAGER
Klinker für Germania
In unmittelbarer Nähe des Schießplatzes der SS wurde 1938
das Oranienburger Klinkerwerk errichtet. Arbeitssklaven
für den Bau lieferte das KZ Sachsenhausen. Hier mussten
Häftlinge, aber auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene,
hartgebrannte Ziegel für Hitlers größenwahnsinnige Stadtvisionen herstellen.
Neben dem Ziegeleiwerk wurde an der Lehnitzschleuse ein
eigener Hafen errichtet. Im Lauftempo mussten die Häftlinge das Baumaterial entladen, abtransportieren und die
sumpfige Uferzone zuschütten. Erschöpfung durch katastrophale Bedingungen, Kälte, Unterernährung, absichtliche
Vernachlässigung, dazu sadistische Attacken von SS-Wachleuten waren Ausdruck des Prinzips Vernichtung durch Arbeit. Am 10. April 1945 wurde das Klinkerwerk durch einen
amerikanischen Bombenangriff fast vollständig zerstört.
Dabei kamen ca. 200 Häftlinge ums Leben. Die Überlebenden traten den Todesmarsch nach Lübeck an, bei dem viele
von ihnen ermordet wurden oder vor Erschöpfung starben.
Im November 2011 wurde im unter Denkmalschutz stehenden ehemaligen Klinkerwerk eine Ausstellung eingerichtet.
Clinker for Germania
Directly adjacent to the shooting grounds of the SS, the
Oranienburg clinker plant was built in 1938. The Sachsenhausen concentration camp provided slave labourers
for the building site. Here, inmates, forced labourers, and
prisoners of war, had to produce bricks for Hitler’s megalomaniac visions of the town. In addition to the brick
factory, a private port was built at the Lehnitz lock. At a
running pace, the prisoners had to unload and transport
the building materials and to fill up the marshy shore
zone. Exhaustion caused by disastrous conditions, cold,
malnutrition, wilful negligence, as well as sadistic attacks
by SS guards, reflected the principle of extermination through labour. On 10 April 1945, the clinker plant was almost completely destroyed by an American air raid, and
about 200 prisoners lost their lives. Those who survived
were forced on a death march to Lübeck, where many
were murdered or died from exhaustion. An exhibition
was established in the former brick factory, now protected
as a listed building, in November 2011.
Sowjetisches Speziallager
Von 1945-1950 wurde das Gelände des KZ Sachsenhausen als sowjetisches Speziallager zur Inhaftierung von Naziverbrechern genutzt. Aber auch unschuldige Menschen
wurden hier Opfer stalinistischer Willkür. Unter den 12.000
Toten des Speziallagers befand sich auch der damals bekannte Schauspieler Heinrich George.
1961 wurde das Areal des KZ Sachsenhausen als Nationale
Mahn- und Gedenkstätte eingerichtet. Mit dem als Staatsdoktrin geltenden Antifaschismus suchte die DDR an den
Widerstandskampf der KPD zu erinnern und von daher ihre
politische Legitimation als das bessere Deutschland zu begründen. Nach dem Zusammenbruch der DDR wurden die
Gedenkstätte und das Museum Sachsenhausen Teil einer
von Bund und Land gemeinsam finanzierten Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
Zählappell mit Maschinengewehr im Vordergrund. SS-Propagandafoto, Februar 1941, Foto: BArch
Das mörderischste Arbeitskommando von KZ Häftlingen
beim Hafenbau am Klinkerwerk, Foto: BArch
Opfer des Todesmarsches vom KZ Sachsenhausen ins KZ Wittstock,
21. April 1945, V-P-Hist-01548-04, © ICRC, Willy Pfister
Soviet Special Camp
From 1945 to 1950, Sachsenhausen concentration camp
was used by the Soviets as a special camp for the detention of Nazi criminals. But even innocent people fell victims to Stalinist despotism here. The then well-known actor Heinrich George was among the 12,000 dead of this
special camp. The site of the Sachsenhausen concentration
camp was dedicated as a national “place of remembrance and commemoration” in 1961. With anti-fascism as its
state doctrine, the GDR sought to evoke the resistance of
the Communist Party of Germany, thereby to justify its political legitimacy as the ‘better Germany’. After the collapse of the GDR, the Sachsenhausen memorial and museum
became part of a foundation of Brandenburg memorials,
jointly financed by government and state sources.
Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen, Luftbild © Günter Morsch
1944 - 1945
BOMBEN AUF ORANIENBURG
Oranienburg gehörte wegen seiner nationalsozialistischen Rüstungsbetriebe zu den am meisten bombardierten deutschen Kleinstädten 1944/45. Hatte der erste
Großangriff am 6. März 1944 noch der Altstadt gegolten, flogen die Verbände der 8. US-Army Air Force am
15. März 1945 gezielte Angriffe auf das Heinkel-Flugzeugwerk mit angeschlossenem Werksflugfeld Annaburg sowie auf das Klinkerwerk mit dem Außenlager des
KZ-Sachsenhausen. In Bahnhofsnähe waren Byk-Gulden
sowie die Auer-Werke bevorzugte Ziele. Galt es doch
vor allem, die in den Auer-Werken vermutete Entwicklungsarbeit an der deutschen Atombombe und deren Ergebnisse vor dem Zugriff der sowjetischen Truppen zu
zerstören. Auf die eingegrenzte Fläche fielen 713 Brandbomben und 4.977 Sprengbomben, davon viele mit chemischen Langzeitzündern, die Stunden bis Tage später
detonierten. Dabei wurden v. a. die zu Aufräumarbeiten
herangezogenen Hilfskräfte getötet. Neben Feuerwehrmännern und Rettungskräften waren das mehrheitlich
Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter.
6. März 1944: Erster Großangriff auf Oranienburg, 82 Tote
15. März 1945: Neben 260 Oranienburgern verlieren
382 überwiegend russische und polnische Zwangsarbeiterinnen ihr Leben
10. April 1945: Angriff auf die Heinkel-Flugzeugwerke
und das Klinkerwerk mit dem Außenlager des KZ-Sachsenhausen. Mehr als 800 KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter sterben
20. April 1945: Letzter Luftangriff auf die Infrastruktur
(Verschiebebahnhof), 42 Todesopfer
Oranienburg was one of the most bombed German towns
in 1944/45 because it housed Nazi armament industries.
Whereas the first major attack of 6 March 1944 was aimed at the old town, the formations of the 8th U.S. Army
Air Force targeted its attacks on the Heinkel aircraft factory with neighbouring factory airfield Annaburg as well
as the clinker plant with the satellite of the Sachsenhausen concentration camp on 15 March 1945.Near the train
station, the chosen targets were Byk Gulden as well as
the Auer-Werke. The principal objective was the destruction of the development work on the German atomic bomb
in the Auer-Werke, and preventing the work falling into
the hands of Soviet troops. 713 fire bombs and 4,977
high explosive bombs, many of which with chemical longterm detonators that detonated some hours or days later,
fell on the delimited area. Very many people undertaking
clearance work were killed by such bombs, as were firefighters and rescue workers, the majority of whom were
prisoners of war, inmates of the concentration camp and
forced labourers.
Zerstörte Wohnhäuser in der Berliner Straße, nach dem alliierten Bombenangriff am 6. März 1944, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Berliner Straße nach dem alliierten Luftangriff vom 6. März 1944
1945 waren nahezu 70 % der Fabrikanlagen, Wohnhäuser und
Brücken zerstört, Foto: Kreismuseum Oberhavel
6 March 1944: First major attack on Oranienburg 82
dead people
15 March 1945: In addition to 260 inhabitants of Oranienburg, 382 forced labourers, mainly Russian and Polish
women, lost their lives.
10 April 1945: Attack on the Heinkel aircraft works and
the clinker plant with the satellite camp of the Sachsenhausen concentration camp. More than 800 concentration
camp prisoners and forced labourers died.
20 April 1945: Last air raid on the infrastructure (shunting
station) 42 fatalities
Das Klinkerwerk Oranienburg nach der Bombardierung vom 10. April 1945. Luftbild der Royal Air Force, 15.April 1945, Landvermessung und
Geobasisinformation Brandenburg, Landesluftbildsammelstelle, Foto: Stadtarchiv Oranienburg
1945 - 2016
BOMBEN IN ORANIENBURG
Seit Kriegsende 1945 gehört die Kampfmittelbeseitigung
in Oranienburg beinahe zum Alltag. Allein in den Jahren
zwischen 1965 und 1990 wurden im Stadtgebiet über 200
Blindgänger entschärft. Von 1990 bis 2014 konnten rund
180 weitere Spätzünder unschädlich gemacht werden. In
einem Gutachten aus dem Jahr 2008 werden für das Stadtgebiet von Oranienburg noch mindestens 300 tickende
Zeitbomben ausgemacht. Grund genug, systematisch nach
den Blindgängern zu suchen, um sie unschädlich zu machen. Seit 2009 entwickelt die Stadt Oranienburg Prioritätenlisten, die jährlich fortgeschrieben werden. Demzufolge
werden öffentlich stark frequentierte Flächen wie Schulen,
Kitas etc. abgesucht. Bundesweit ist die Stadt die einzige
Kommune, die seit einigen Jahren dabei ist, die Gefahr aus
dem Boden endgültig zu beseitigen. Mit dem 2011 beschlossenen „Konzept Kampfmittelsuche“ hat sich Oranienburg
verpflichtet, in den nächsten 20 Jahren über 70 Millionen
Euro für Maßnahmen der Kampfmittelsuche vorzuhalten.
Since the end of the war in 1945, explosive ordnance disposal in Oranienburg has been almost part of everyday
life. In the years between 1965 and 1990 alone, over 200
unexploded bombs were disarmed in the area of the town.
From 1990 to 2014, about 180 more late starter bombs
were rendered harmless. In a 2008 report, at least 300
ticking time bombs were identified in the urban area of
Oranienburg. This is reason enough to require a systematic search for furtherunexploded bombs and render them
harmless. Since 2009 the town of Oranienburg has developed a system of priority lists, which are updated annually. In consequence, heavily frequented public areas such
as schools, day-care centres, etc. are searched. The town
is the only municipality nationwide which has been engaged for some years in attempts to permanently eliminate
the threat from below ground. With the “ordnance search
concept” adopted in 2011, Oranienburg is committed to
provide over EUR 70 million for explosive ordnance search measures during the next 20 years.
Untersuchungsgebiet mit verzeichneten Trichtern, Verdachtspunkten und -flächen für Bombenblindgänger, den alliierten Bombenplots (Treffergebiete) der Luftangriffe vom 15. März und 20. April 1945 sowie den seit 1991 beräumten Blindgängern mit zusätzlich eingezeichneten
Gemarkungen auf Basis des Luftbilds DOP 2006 (Landkreis Oberhavel 2007; KMBD Brandenburg 2006; KMBD Brandenburg 1999
Quelle: Konzeption Kampfmittelräumung Oranienburg, BTU Cottbus, Lehrstuhl Altlasten, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Spyra
oben: Glückwunsch von Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke zur
gelungenen Entschärfung eines Langzeitzünders, Takeda-Firmengelände, November 2014, © Herbert Schirmer
unten: Systematische Kampfmittelsuche im Wohngebiet „Weiße
Stadt“, Vughter Straße/Ecke Melniker Straße, 2015, © Herbert Schirmer
Hauptmann Sauer nach der Entschärfung einer Fliegerbombe auf
dem Gelände der ehemaligen Auerwerke, 1966, Foto: Kreismuseum
Oberhavel
1949 - 1961
40 JAHRE DDR
40 Jahre DDR
Der Aufbau von Industriewerken, die Kollektivierung der
Landwirtschaft, die Freundschaft zur Sowjetunion und
die politische und wirtschaftliche Abgrenzung gegenüber
Westdeutschland zogen sich leitmotivisch durch die 40
Jahre ihrer Existenz. Der häufig bemühte und strapazierte
Gegenentwurf zur bürgerlichen Welt, die angebliche Einheit von Partei, Staat und Volk, von Geist und Macht, von
stetem wirtschaftlichen Wachstum, sozialer Geborgenheit, individueller Entfaltung, wurde zunehmend in den
Mühlen der sozialistischen Bewegung zerrieben. Nach
dem Bau der Mauer 1961 und der Verfassungsänderung
wurde die Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland
zementiert. Zwangsläufig arrangierten sich große Teile
der Bevölkerung mit dem politischen System. Zu dieser
Normalität in einer stark ideologisierten Gesellschaft
gehörten das Recht auf Arbeit, Gleichberechtigung von
Mann und Frau, ein bescheidener Wohlstand, Offenheit
und Solidarität im Freundes- und Bekanntenkreis. Dazu
gehörten seit dem 13. August 1961 auch die abgeschnittenen Fluchtwege über Berlin.
40 years of GDR
The construction of industrial plants, collectivisation of agriculture, friendship with the Soviet Union and the political
and economic separation from West Germany were guiding principles during the 40 years of its existence. The frequently repeated yet strained characteristics which sought
to ensure an alternative to the bourgeois world (alleged
unity of party, state and people, spirit and power, constant
economic growth, social security and individual development) were increasingly destroyed in the mills of socialism. The separation from the Federal Republic of Germany had become a concrete reality after the construction of
the Berlin Wall in 1961 and revisions to the constitution.
Large portions of the population settled into a necessary
arrangement with the political system. This normality in a
highly ideological society included the right to work, equal
rights for men and women, a modest prosperity, as well as
an openness and solidarity in the circles of friends and acquaintances. This also included the blocked escape routes
via Berlin from 13 August 1961.
Maidemonstration in der Breiten Straße, 1. Mai 1963, Foto: Stadt Oranienburg
oben: Enthüllung des Denkmals „Die Anklagende“ von Fritz Cremer
am 22. April 1961 durch Bürgermeister Walter Jacob, Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Schlossplatz mit Blick auf das ehemalige Rathaus, 1950er
Jahre, Foto: Stadt Oranienburg
Verteidigungsminister Willi Stoph (links) übergibt die Truppenfahne
an das neu gebildetete Motorisierte Schützenregiment 1 (MSR-1) auf
dem ehemaligen SS-Kasernengelände, 30. April 1956, Foto: Kreismuseum Oberhavel
VEB Chemisch-Pharmazeutisches Werk Oranienburg, um 1966, Foto: Archiv Takeda
1962 - 1990
40 JAHRE DDR
40 Jahre DDR
Der Alltag war maßgeblich von politisch-ideologischen
Einflüssen bestimmt. Dennoch wurde, wie überall in der
DDR, auch in Oranienburg nicht nur nach Südfrüchten oder
Ersatzteilen gefahndet oder Tag und Nacht für den Weltfrieden gekämpft. Der Alltag fand vor allem in den Rückzugsfeldern der Familien, Kollegen und Freunde statt. Wie
in jedem anderen Gesellschaftssystem auch war er von
Sorgen, aber auch von Freuden bestimmt. Mit den 1970er
Jahren wuchs das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch des politischen Systems und der Lebenswirklichkeit
der Menschen in der DDR zunehmend. Zum Teil bewusst,
vielfach auch unbewusst, zogen sich viele Bürger aus dem
politischen Alltag in „private Nischen“zurück. 1982 fand in
der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Festveranstaltung
zum 30. Jahrestag der Gründung des Kreises Oranienburg
statt, auf der die Bürgermeisterin Hildegard Busse verkündete: „Die Kreisstadt Oranienburg ist heute eine sozialistische Stadt, in der man sich wohlfühlen kann, in der die
Bürger und Werktätigen weiterhin aktiv an der weiteren
entwickelten sozialistischen Gesellschaft mitwirken und
sich aktiv für die Erhaltung des Friedens einsetzen.“
40 years of GDR
Everyday life was largely determined by political and ideological influences. Nevertheless, people in Oranienburg,
as elsewhere in the German Democratic Republic, searched not only tropical fruits or spare parts and fought day
and night for world peace. Everyday life took place mainly
in the circles of retreat possible only with families, colleagues and friends. As in any other social system, it was determined by worries, but also by joy. The tension between
the demands of the political system and the reality of
life of the people in the GDR increased during the 1970s.
Partly aware, often unconsciously, many people withdrew
from political life into “private niches”. In 1982, the 30th
anniversary of the founding of the District of Oranienburg was celebrated in the Sachsenhausen memorial site,
where Mayor Hildegard Busse announced: “The district
town of Oranienburg today is a socialist town, in which
people can feel at ease, where citizens and working people continue to actively develop a socialist society and
encourage the maintenance of peace.”
Schlossplatz mit Blick auf das Gebäude der Industrie- und Handelsbank der DDR, anstelle des 1963 abgerissenen Hotels „Eilers“, um 1976,
Foto: Stadt Oranienburg
oben: Kinder aus der Sowjetunion zu Besuch im Betriebskindergarten des VEB-Infrarot-Anlagenbau Oranienburg, o. J., Repro:
Stadtarchiv Oranienburg
unten: Plakat zum Pfingstreffen der Jugend, Repro: Stadtarchiv
Oranienburg
oben: Jugendweihe 1979 in der Oranienburger Heinz-Bartsch-Oberschule, Foto: Kreismuseum Oberhavel
unten: Bau des Gebäudes der SED-Kreisleitung in der Berliner Straße,
1986, Foto: Stadtarchiv Oranienburg
Augustastraße, Blickrichtung Kirche St. Nikolai, 1980er Jahre, Foto: Stadt Oranienburg
1989 - 1990
HERBST 89
Am 18. November 1989 zogen rund 2000 Oranienburger durch die Stadt und artikulierten auf handgefertigten
Spruchbändern ihre Unzufriedenheit, ihre Hoffnungen und
Forderungen. Nahe der damaligen SED-Kreisleitung kam
es zu einer Kundgebung, auf der alle politischen Kräfte sich
artikulierten und sich mit unterschiedlichem Temperament
in Sachen Demokratie übten. Ein wichtiges Anliegen war,
selbst Verantwortung zu übernehmen und ein Chaos zu
verhindern. Für eine demokratische Erneuerung in Oranienburg engagierten sich viele, dazu zählten Dr. Christian
Rössler, Volkmar Ernst, Michael Ney, Harry Doede, Brunolf
Metzler, aber auch Hans-Joachim Laesicke (seit 1994 Bürgermeister) und der spätere Landrat Karl-Heinz Schröter
(heute brandenburgischer Innenminister). Als Vorkämpfer
trafen sie sich in der Nicolaikirche, später im NVA-Musterungsstützpunkt in der Klagenfurter Straße (heute Sitz der
Stadtwerke) und bildeten Arbeitsgruppen zur demokratischen Erneuerung.
Around 2000 citizens of Oranienburg paraded through the
town expressing their dissatisfaction, hopes and demands
on handmade banners on 18 November 1989. Near what
was then the district administration building of the Socialist Unity Party of Germany (SED) a rally was held in which
all the political factions expressed their thoughts and practised ‘democracy’ with differing temperaments.
Their major concerns were to assume responsibility themselves and to prevent turmoil. Many people engaged for
democratic renewal in Oranienburg. Among them were Dr.
Christian Rössler, Volkmar Ernst, Michael Ney, Harry Doede, Brunolf Metzler, Hans-Joachim Laesicke (Mayor since
1994) and the later District Administrator Karl-Heinz Schröter (now Brandenburg’s Minister for Internal Affairs). To
promote their ideas, they met in the Church of St. Nicholas,
later in the former NVA recruitment centre in Klagenfurter
Straße (today the home of the municipal utilities) and established working groups for democratic renewal.
Vom „Neuen Forum Oranienburg“ am 18. November 1989 organisierte Demonstration unter dem Motto „Demokratie jetzt oder nie“
Bernauer Straße, © Christian Rössler
Stasiauflösung
Wenige Tage nach der Erstürmung des Hauptquartiers
der Staatssicherheit in Berlin am 15. Januar 1990 kam es
auch in Oranienburg zum Sturm auf die Stasi-Zentrale. Es
war bekannt geworden, dass die Mitarbeiter auf höhere
Anweisung Unterlagen vernichteten oder nach Potsdam
auslagerten. Das „Neue Forum Oranienburg“ organisierte vor dem Club der Volkssolidarität ein Treffen, um von
da aus die Behörde in der Greifswalder Straße zu besetzen und der Aktenvernichtung Einhalt zu gebieten. Doch
dafür war es bereits zu spät.
Dissolution of the Ministry of State Security
A few days after the storming of the headquarters of the
State Security in Berlin on 15 January 1990 the Stasi headquarters in Oranienburg were also raided. It had become
known that the staff were destroying documents or transferring them to Potsdam on the instructions of their superiors. The “Oranienburg New Forum” organised a meeting
in front of the Volkssolidarität building, in order to challenge the authority in Greifswalder Straße and prevent any
further shredding of documents. But it was already too late.
oben: Demonstrationszug in der Stralsunder Straße
© Christian Rössler
unten: Besetzung der Staatssicherheitsbehörde im Januar 1990, in
der Greifswalder Straße, © Christian Rössler
Leere Aktenordner und verschwundene Unterlagen. Die Mitarbeiter
der Staatssicherheit haben vorgesorgt. © Christian Rössler
Kundgebung nach der Demonstration am 18 November 1989, © Christian Rössler
2009
Traumlandschaften einer Kurfürstin
Als 2005 das brandenburgische Landwirtschaftsministerium entschied, die Landesgartenschau 2009 in Oranienburg auszurichten, war den Verantwortlichen bereits klar,
dass sie zum Auslöser für ein groß angelegtes und nachhaltiges Stadtentwicklungsprogramm würde. Die Laga
war mehr als eine einmalige Blumenschau. Anknüpfend
an die Leistungen der einstigen Stadtgründerin, der Kurfürstin Louise Henriette, rückte der barocke Stadtgrundriss, von dem die Bomben des Zweiten Weltkrieges nicht
viel übriggelassen hatten, in den Fokus der Ausrichter.
Dazu zählten die Verlegung der Bundesstraße mit der
neuen Schlossbrücke über die Havel, Absenkung und Erneuerung des Schlossplatzes sowie die Restaurierung des
Amtshauptmannshauses. Begleitet wurden alle diese Aktionen von archäologischen Untersuchungen. So konnte
bei der Öffnung des Belags in der Breiten Straße ein gut
erhaltener, mehr schichtiger Knüppeldamm aus der Mitte
des 15. Jahrhunderts freigelegt und dokumentiert werden.
Mit allen diesen Maßnahmen konnte eine Anmutung der
früheren Schlossplatzgestaltung erreicht werden.
LANDESGARTENSCHAU
Bereit zur Eröffnung der Landesgartenschau, 25. April 2009, © Christian Becker
Dreamscape of an Electress
When the Brandenburg Ministry of Agriculture decided in
2005 to host the State Horticultural Show 2009 in Oranienburg, the officials were already aware that it would be
the catalyst for a large-scale and sustainable urban development programme. Neither one-time flower shows nor
spectacular landscape changes were called for. Building
on the achievements of the former town founder, Electress
Louise Henriette, the baroque urban layout, of which the
bombs of WW2 had left little, became the focus of the hosts.
This included the relocation of the main road with a new
castle bridge over the River Havel, the lowering and renewal of the castle square, and the restoration of the House
of the Senior Civil Servant. All of these actions were accompanied by archaeological research. A well-preserved,
multi-layer corduroy road from the middle of the 15th century was uncovered and documented after the opening of
the pavement in Breite Straße.An impression of the former
palace square design could be exposed by these measures.
Im Ergebnis archäologischer Untersuchungen in der Breiten Straße wurde 2007 ein mehrlagiger Knüppeldamm aus Kiefern, Eichen und Erlen
gefunden, dessen älteste Bestandteile auf die Zeit um 1440 datiert wurden. Um 1650 erfolgte die erste Pflasterung mit Feldsteinen. Foto: BAB
Hauptmann+Bach GmbH, 2007
Gartenschaugelände mit Schloss, Laga-Park, Hafen und
Havelpromenade, Foto: Luftbildservice Berlin-Brandenburg,
© Reinhard von Wegerer
Oranienburgs neue Mitte, 2009, Foto: Luftbildservice Berlin-Brandenburg, © Reinhard von Wegerer, Archiv TKO gGmbH
Vertäut am Havelufer - das Kirchenschiff zur Landesgartenschau, 2009, Foto: Archiv Helmut Rademacher
2009
LANDESGARTENSCHAU
Neu geschaffen wurde der Schlosshafen mit Caravan-Stellplätzen und die beidseitige Havelpromenade. Der ehedem
militärisch genutzte und entsprechend verlotterte Park erhielt Strukturen, in denen der historische Lustgarten zitiert
wird. 85.000 Stauden, fast 400 Bäume, 180 Meter Hecke
wurden gepflanzt. Mehr als die Hälfte der in Vorbereitung
und Durchführung der Gartenschau involvierten Firmen kamen aus der Region und profitierten von der Auftragslage.
Über einen Zeitraum von 177 Tagen zog die Landesgartenschau, die sich über eine Fläche von 30 Hektar erstreckte, mehr als 600.000 Besucher an. Längst genießen Veranstaltungen wie die Schlossparknacht, das Hafen- oder
Orangefest sowie die Open-Air-Konzerte der Oranienburger Schlossmusik, die während der Landesgartenschau ihren Anfang nahmen, Kultstatus. Zu den eingeführten Kulturadressen gehört seitdem auch die Orangerie mit ihrem
abwechslungsreichen Veranstaltungsangebot.
A new castle harbour with caravan pitches as well as the
River Havel promenade were created. The dishevelled park
formerly used by the military was redesigned. 85,000 perennials, nearly 400 trees, 180 metres of hedges were planted.
More than half of the companies involved in preparing and
running the horticultural show came from the region and
benefited greatly from more orders. The State Horticultural Show, which extended over an area of 30 hectares, attracted more than 600,000 visitors over 177 days. Events
such as the Castle Park Night, the Port Festival and the
Orange Festival, as well as open-air concerts by the Oranienburg Castle Music, which began during the State Horticultural Show, have long enjoyed cult status. Since then
the Orangery, with its wide range of events, has become a
celebrated cultural location.
Das Areal der Landesgartenschau, 2009, Foto: Luftbildservice Berlin-Brandenburg, © Reinhard von Wegerer, Archiv TKO gGmbH
oben: Barocke Verwirrspiele mit den Artistokraten im Laga-Park,
2009, Foto: Archiv TKO gGmbH
unten: Gartenzimmer im Laga-Park, Foto: Luftbildservice
Berlin-Brandenburg, Archiv TKO gGmbh
Blumenhalle 2009, Archiv: TKO gGmbh
oben: Schlosshafen, Foto: Archiv TKO gGmbh
unten: Rikster-Weber-Group aus Oranienburgs Partnerstadt
Vught/NL, Foto: Archiv TKO gGmbH
1841 - 2016
Als um 1900 das Vereinswesen zu einer die sozialen Beziehungen der Menschen organisierenden und prägenden
Macht geworden war, gab es in Oranienburg bereits 52
eingetragene Vereine. Vereinstypen waren Altertums- und
Geschichtsvereine, Geselligkeits-, Bildungs- und Gesangvereine sowie Sportvereine. Daneben sorgte die Verschärfung der sozialen Frage und die öffentliche Anteilnahme an sozialen Problemen auch für politisch motivierte
Vereinsgründungen, deren Mitglieder nach aufgeklärter,
universaler Humanität und weltbürgerlicher Liberalität
strebten. Für das entstehende Diskussions- und Informationsbedürfnis der Bürger waren die Vereinsstrukturen
der geeignete öffentliche Ort.
VEREINSLEBEN
Heimatkundliche Vereinigung Oranienburg und Umgegend
Im Geschichtsverein sollte der Sinn für das Vergangene gerade im Hinblick auf die
Modernisierung der Welt erhalten und gepflegt werden. Im Mai 1919 setzte sich die
innerhalb des damaligen Lehrervereins gegründete „Heimatkundliche Vereinigung
Oranienburg und Umgegend“ das Ziel, ein Museum zu gründen. Gründungsvater
war der Lehrer und Heimatforscher Max Rehberg (1882-1945). Seit seiner Ausbildung am Oranienburger Lehrerseminar hatte Rehberg heimat- und volkskundliche
Zeugnisse, aber auch frühgeschichtliche Objekte gesammelt. 1932 wurde im ehemaligen Waisenhaus das Heimatmuseum eröffnet. 1935 erfolgte der Umzug ins
mehr Platz bietende Amtshauptmannshaus. Hier entstand als erstes seiner Art in
Deutschland das „Heimat- und Binnenschifffahrtsmuseum Oranienburg“.
Max Rehberg, Foto: Kreismuseum Oberhavel
By about 1900, when associations had become a power
for the organisation and shaping of social relations, there
were already 52 registered associations in Oranienburg.
There were many types: antiquarian and historical associations, social, educational and choral societies as well
as sports clubs. The deterioration of social conditions and
public interest in social problems also led to the formation of politically motivated associations, whose members
pursued enlightened universal humanity and cosmopolitan liberality. The associations provided convenient opportunities for the resulting need for public discussion
and information of the citizens.
Königliche Schützengilde Luise Henriette
von Oranien 1703 e. V.
Die Vereinsmitglieder in ihren nachempfundenen historischen Uniformen, Jacke und Kopfbedeckung in Preußisch-Blau, dazu weiße
Hose, begleiten und schmücken so manches Ereignis in der Stadt.
Jedes Jahr wird nach dem Umzug während des Schützenfestes ein
Schützenkönig gekrönt. © Carla Stadtgraf
Schützengilde Oranienburg
Die Schützengilde gehört zu den ältesten Vereinen in Oranienburg. 1711 gegründet, wurde sie 1841 als Verein bestätigt. An der Spitze stand ein Hauptmann. Die Uniform der Schützen bestand im Wesentlichen aus einer grauen
Joppe mit grünen Achselstücken und einem grauen Hut mit grünem Band.
Treffpunkt der Mitglieder und ihrer Familien war das Schützenhaus.
Foto: Kreismuseum Oberhavel
Freie Volksbühne e. V. Oranienburg
Nach Berliner Vorbild 1921 in Oranienburg gegründet, ermöglichte der Verein
einen preiswerten Zugang zu Theatervorstellungen. Durch Anna Rubners engagiertes Vorgehen in der Sache kamen arbeitslose Schauspieler nach Oranienburg,
um in Waldows Theatersaal in der Berliner
Straße, der über 1000 Sitzplätze verfügte,
zu gastieren. Hier oder im Schützenhaus
wurden allwöchentlich zwei Vorstellungen
gegeben. Neben Schauspielaufführungen
von Dramatikern wie Schiller, Ibsen, Shakespeare oder Molière gab es auch Musiktheater mit voller Orchesterbesetzung. Mit der
Machtübernahme der Nationalsozialisten
wurde der Verein 1933 verboten und aufgelöst. Foto: Kreismuseum Oberhavel
Edener Heimatbühne
Die Schauspielerin Anna Rubner begründete 1930 mit der
Arbeitsgemeinschaft Laienspiele die „Edener Heimatbühne“.
Die aus Wien stammende Darstellerin, die 1915 nach Eden
zog, hatte zuvor in Hamburg, Breslau und Berlin erfolgreich
gastiert. Ihr sozialpolitisches Engagement in der „Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger“ hatte dem ein Ende
gesetzt. Fortan lud Anna Rubner mittellose Schauspieler nach
Eden ein, mit denen sie zur Eröffnung des Genossenschaftshauses Szenen aus Goethes „Faust“ inszenierte. Nach diesem
Anfangserfolg brachte sie Dramen von Schiller über Strindberg
bis Gorki auf die Bühne. Wie andernorts auch, unterbrach der
Zweite Weltkrieg die Theaterarbeit in Eden. Nach 1945 förderte sie das Theater vor allem als Pädagogin. Anna Rubner
verstarb 1968 in Eden. Foto: Kreismuseum Oberhavel
Ring der Bauwirte
Um 1900 gründete sich der „Ring der
Bauwirte“ - eine Interessenvertretung
zum Schutz der Eigenheimbauer und ihrer Rechte. Mitglieder des Vereins waren
vor allem Neusiedler und Häuslebauer.
Foto: Stadtarchiv Oranienburg
1841 - 2016
Bereits im August 1945 wurde der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung gegründet. Seine primäre Aufgabe
bestand in der Auseinandersetzung mit der NS-Ideologie.
Initiiert von der Sowjetischen Militäradministration, sollte
der Kulturbund zur „moralischen Gesundung des deutschen
Volkes“ beitragen. Neben diesem zahlenmäßig größten
Kulturverein in der DDR, der 1985 etwa 260.000 Mitglieder
zählte, gab es vor allem diverse Sportvereine, Kleingärtner
und Sammler sowie Heimatfreunde. Durch die Organisationsform war zugleich die politisch-ideologische Kontrolle
der Mitglieder gewährleistet. So bilanzierte der Kulturbund
Oranienburg im Juli 1971, nach einem Treffen mit Künstlern, deren „gestiegene staatsbürgerliche Verantwortung
für das Ganze“.
Nach 1990 kam es zu zahlreichen Wieder- und Neugründungen von Vereinen. Im Brandenburger Kulturbund e. V. ,
dessen Landesverband ca. 3.500 Mitglieder in Kreisverbänden und Ortsgruppen zählt, betätigen sich Interessengemeinschaften und Arbeitsgruppen. Das Spektrum der Arbeitsgebiete reicht von Heimatgeschichte, Denkmalpflege,
Naturschutzarbeit bis zu Formen künstlerischer Betätigung.
The Kulturbund (Cultural Association) was founded to promote democratic renewal as early as in August 1945. Its
primary task was to confront Nazi ideology. Initiated by the
Soviet military administration, the Kulturbund’s aim was to
contribute to the “moral improvement of the German people”. In addition to this, the numerically largest cultural
association in the GDR, numbering some 260,000 members in 1985, there were a variety of sports clubs, leisure
gardeners and collectors, as well as clubs devoted to the
maintenance of regional traditions. The structure of these organisations guaranteed the political and ideological
control of its members. Thus, the Kulturbund Oranienburg
stated after a meeting with artists in July 1971 their “increased civic responsibility for the GDR”. After 1990, numerous associations were re-founded or newly founded. In
Brandenburg’s Kulturbund e.V., whose state association has
approximately 3,500 members in district associations and
local groups, communities of interest and working groups
are active. The spectrum of work areas ranges from local
history, cultural heritage preservation, nature protection to
various artistic activities.
VEREINSLEBEN
Freiwllige Feuerwehr (FFw) Oranienburg
1872 gründeten 30 Bürger aus Oranienburg
die erste Freiwillige Feuerwehr für den damaligen Kreis Niederbarnim. Mit städtischer
Unterstützung wurde 1876 die erste Spritze
erworben und ein Jahr später gehörte die
FFw Oranienburg zu den Mitbegründern
des Brandenburgischen Provinzial-Feuerwehrverbandes. Gegenwärtig verfügt die
FFw Oranienburg über zehn Löschzüge, davon sind neun mit ehrenamtlichen Kameradinnen und Kameraden besetzt und einer
mit hauptamtlichen Kräften. Sie sind für ein
Gebiet von rund 162,4 km² mit über 43.000
Einwohnern zuständig und meistern durchschnittlich knapp 700 Einsätze pro Jahr.
Freiwillige Feuerwehr Oranienburg, Lehrgang in Bahrensdorf bei Beeskow, 1934,
Foto Kreismuseum Oberhavel
Oranienburger Wassersportverein e. V.
Bei der Gründung im Jahr 1912 zählte der Verein 14
wassersportbegeisterte Mitglieder. Als Vereinsheim und
Bootshalle diente zunächst der Pavillon der Strandhalle
in Lehnitz. 1913 wurden mit dem Vierer „Oranien“ und
dem Zweier „Hohenzollern“ Boote angeschafft. Im Jahr
1920 wurde die Männermannschaft um eine Damenriege
erweitert. Im selben Jahr kam es zur ersten Ruderregatta
auf dem Lehnitzsee. Inzwischen zählte der Verein 88 Mitglieder. 1924 eröffnete die Herberge für Wanderruderer,
was nicht nur die befreundeten Vereinsmitgliedern von
Wassersport Lehnitz, Ruderclub „Nautilus“ Berlin-Tegel
und Wassersportverein Zehdenick begrüßten. Schließlich
wurde 1933 mit einer Segelregatta die neue Sparte Segeln auf dem Lehnitzsee eingeführt. Erst 1994 kam es
zur Wiederbelebung des Vereins, der sich 1951 aufgelöst
hatte. Foto: Kreismuseum Oberhavel
Sportclub „Oranien“
In dem 1901 gegründeten Sport-Club
„Oranien“ trainierten vor allem Fußballer und Leichtathleten.
Oranienburger Handballclub (OHC)
Hervorgegangen aus dem Polizeisportverein zählt der im Juni
1993 gegründete Oranienburger Handballclub (OHC) zu den renommierten Sportvereinen der Stadt. Mit 500 Mitgliedern gehört er außerdem zu den zahlenmäßig stärksten Handballvereinen im Land Brandenburg. Die Männermannschaft des OHC
gewann zwischen 2006 und 2008 dreimal in Folge den brandenburgischen Landespokal. Mit der Einführung der dritthöchsten
Spielklasse im deutschen Handball 2010/11 gelang dem OHC
der Sprung aus der Oberliga Ostsee-Spree in die vom Deutschen
Handballbund geleitete 3. Liga. Seit 2014 kümmert sich der OHC
in den Grundschulen der Stadt um den möglichen Nachwuchs.
2016 richtet der Verein zum 18. Mal den Jugendcup unter dem
Motto „Großes-Jubiläums-Rasen-Turnier“ aus.
© Emma, das Fotostudio
Familien-Sport-Verein Oberhavel e. V.
Vielfalt für Bewegung ein Leben lang
Der am 1. Januar 2006 gegründete Verein bietet derzeit über
1000 Bürgerinnen und Bürgern im Alter von 2 - 87 Jahren
vielfältige Angebote für Sport und Bewegung an. Darüberhinaus wird die offene Jugendarbeit ebenso gefördert wie die
der Integration dienenden Bildungsangebote der Jugendhilfe. Eine wesentliche Zielsetzung der Vereinstätigkeit lautet,
Menschen unterschiedlicher Herkunft bei Sport und Spiel zusammenzuführen. Darum organisiert der Verein nicht nur Veranstaltungen in den Bereichen Hockey, Parcour, Futsal, Badminton oder Ballbini. Genauso wichtig ist das Miteinander
gestalten, das Voneinander lernen und gemeinsam Freude
erleben, wie es in den interkulturellen Veranstaltungen, die
der Identitätsstärkung und der Völkerverständigung dienen,
gepflegt wird. So stehen für die Spätaussiedler wie auch für
die neuankommenden Zuwanderer aus den Krisengebieten
der Welt die Türen weit offen. Foto: Vereinsarchiv
800
ORANIENBURG
STADTGESCHICHTE
PRÄSENTIERT VON
DER STADT ORANIENBURG
UND DEN
STADTWERKEN ORANIENBURG
Kurator: Herbert Schirmer
Gestaltung und Herstellung: wieloch druck & verlag
Ausstellungsbau: Zimmerei Klaus Altkrüger GmbH
Louisenplatz, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Festumzug 1932, Foto: Kreismuseum Oberhavel
Schlossansicht vor 1938, Foto: Stadt Oranienburg
Stadtwerke Oranienburg, © Holger Wieloch
Gedenkstätte Sachenhausen, © Achim Kieper
Turm- Erlebniscity, © Stefan Dietze
Stadtbibliothek, Rückansicht, Foto: Archiv Gruppe Planwerk

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