Leseprobe - Conte Verlag

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Leseprobe - Conte Verlag
die originale Partitur rekonstruiert hatte und
mit Swing, Humor und sicherer Hand für die
Synchronisation von Bild und Ton durch die
wechselnden Stimmungen führt.
50 Jahre Richard-Wagner-Verband Saar
Anlässlich des 50jährigen Bestehens lädt
der Richard-Wagner-Verband Saarland zu
einem Festkonzert unter der Schirmherrschaft von Wolfgang Wagner und dem Ministerpräsidenten des Saarlandes Peter Müller am
30. April 2006 ins Saarländische Staatstheater.
Das Saarländische Staatsorchester, wieder geleitet von Siegfried Köhler, begleitet in einer
Operngala diesmal sechs Gesangssolisten, die
teilweise Preisträger oder Finalisten des Gesangswettbewerbs 2003 in Bayreuth sind. Die
herausragende Stimme gehört dem Tenor Jonas Kaufmann, der seine Bühnenlaufbahn am
Saarbrücker Haus begonnen hat und am Beginn einer Weltkarriere steht.
Verabschiedung von
Kurt Josef Schildknecht
Am 13. Juli verabschiedet sich Kurt Josef
Schildknecht mit »15 Jahre – Ein Fest«. Der
scheidende Intendant wünscht einen fröhlichen Abschied und führt u.a. aus: »Es war
unser Anliegen, dass sich möglichst viele Menschen mit dem Theater identifizieren können.
Dabei war mir persönlich immer wichtig: die
Leidenschaft für das Theater, die gute Arbeitsatmosphäre innerhalb des Hauses, die permanente Sorge um hohe Qualität. Man hat mir
gesagt, Saarbrücken sei eine Theaterstadt geworden … Danke, dass Sie mitgespielt haben.«
Außer Schildknecht verlassen GMD Leonid
Grin und Operndirektor Matthias Kaiser das
SST. Kaiser: »Ich halte es für eine wichtige Erfahrung, dass das Orchester neben dem Dienst
im Graben noch über etwas ganz Eigenständiges (wie die Konzerte) verfügt.«
Das »Interregnum« Trinks 2006 – 2009
Constantin Trinks wird am 9. April 1975 in Karlsruhe
geboren. 1994-2000 studiert er an der dortigen Musikhochschule Dirigieren bei Prof. Wolf-Dieter Hauschild
und Klavier bei Prof. Günter Reinhold.
Bereits während des Studiums korrepetiert er 1997 in
Essen und in Karlsruhe, wo er 2000 als Kapellmeister
angestellt wird. 2002 kommt er als 2. Kapellmeister ans
SST Saarbrücken und wird dort auf Vorschlag des Orchesters 2004 zum 1. Kapellmeister befördert.
2006-2009 fungiert er kommissarisch als Generalmusikdirektor. Von 2009-2012 ist er GMD am Staatstheater Darmstadt.
Trinks besticht durch makellose Schlagtechnik.
Er ist einer der ersten, der bewusst und insistierend die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis in den Alltag eines
»normalen« Orchesterbetriebs zu übertragen
versucht. Noch als viele Kollegen bereits in der
Sinfonietta Saarbrücken von Leo Krämer die
Erkenntnisse von Nikolaus Harnoncourt nahe
gebracht bekamen und instrumental umsetzten, musste man sich »im Dienst« quasi ver-
Constantin Trinks in der Congresshalle
Chronik – Teil 3: 1977 – 2012
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Dagmar Schlingmann, Generalintendantin seit 2006
stellen und so tun, als gebe es die neue Musizierpraxis gar nicht. Noch in den 1990er Jahren
war bei Mozart ein Triller von oben nicht angesagt und wurde von romantisch geprägten
Kapell- und Konzertmeistern gerügt. Nicht
so bei Trinks, Harnoncourt fasst vorsichtig
Tritt im SSO, wenn auch nicht ohne Widerstände. Trinks hat viele interpretatorisch gute
Ideen, steht sich aber insofern etwas im Wege,
als er häufig eine gerade ausprobierte Interpretation – Artikulation, Dynamik, Ausdruck
– mit einem »lieber doch nicht« hastig widerruft und so manchmal an Glaubwürdigkeit einbüßt. Vielen gilt er als Orchestererzieher und
Klangverfeinerer in Richtung Transparenz und
Schlankheit.
2006/2007
Dagmar Schlingmann wird neue
Generalintendantin
Am SST beginnt eine neue Ära. Dagmar
Schlingmann kommt vom Theater Konstanz
und übernimmt das Dreispartenhaus an der
Saar. Constantin Trinks wird zum Kommissarischen Generalmusikdirektor und Berthold
Schneider zum Operndirektor ernannt.
Sie eröffnet mit der Inszenierung von Brassed Off – Mit Pauken und Trompeten, bekannt als herrlicher Kinofilm zwischen Lovestory, Sozialkritik, trockenem englischem
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100 Jahre Saarländisches Staatsorchester
Humor und jeder Menge Blasorchester-Insider-Geschehen. Da eine Grubenkapelle die
Hauptrolle spielt, engagiert sie die Bergkapelle
St. Ingbert unter Leitung von Matthias Weißenauer, dem Solo-Pauker des SSO. Schon das
Kulturmeilenfest am 3. September wird mit
einem Sternmarsch verschiedener saarländischer Blaskapellen (unter der Leitung mehrer
Orchestermusiker) lautstark eingeleitet.
Bei einer »Night of Brass« haben die Kapellen
im Oktober die Möglichkeit, sich nochmals,
nun auf der großen Bühne des Staatstheaters
zu präsentieren. Gleichzeitig mit diesem Blasorchesterkonzert im Großen Haus findet auswärts ein Gastkonzert des SSO statt. Der GMD
des Wuppertaler Theaters und Professor an der
Hochschule für Musik Saar, Toshiyuki Kamioka soll GMD des Staatstheaters werden. Kamioka stellt sich dem Orchester in der Illinger Illipse mit der großen C-Dur-Sinfonie von
Schubert vor.
Das erste Sinfoniekonzert steht noch nicht
unter der Leitung des kommissarischen Chefs,
sondern unter der seines ehemaligen Lehrers
Prof. Wolf-Dieter Hauschild mit der monumetalen Achten von Bruckner. SZ: »Ein Konzert
als Maßstab für die kommende Saison. Und als
Mahnung an den künftigen Chefdirigenten, dieses orchestrale Potential zu nutzen und auszubauen.« Trinks agiert als Chef im dritten Konzert mit der Ersten von Sibelius und im fünften
Konzert mit Bartoks Konzert für Orchester.
Die SZ probiert eine neue Musikkritikerin
aus, welche meint, das SSO polemisch angreifen zu müssen, sie redet von »lethargischer Orchestermasse« statt von Menschen, »mulmiger
Einheitsdynamik« und »lauwarmer Betriebstemperatur«.
Wieder kehren zwei ehemalige Chefs zurück an die alte Wirkungsstätte, mit nur geringem Zeitabstand Leonid Grin, diesmal mit der
Sechsten von Schostakowitsch, und Christof
Prick mit der Vierten von Beethoven. Konzertmeister Wolfgang Mertes ist Solist im vierten
Konzert mit dem Violinkonzert von Bruch.
Nach 15 Jahren ist nun wieder ein Teil des
vom Orchester und vom Wagner liebenden
Publikum sehnsüchtig erwarteten Rings zu
hören: Rheingold – unter der Leitung von
Trinks. Mit Romeo und Julia von Prokofjew ist auch in der Choreografie von Marguerite Donlon wieder ein großer Ballettabend
mit Orchesterbeteiligung zu erleben. Die Aufführung der Florentiner Intermedien von
1589 unter der Leitung des Barockspezialisten
Konrad Junghänel führt das SST ganz an den
Anfang der Opernliteratur. Erstmalig musizieren die teilnehmenden Orchestermitglieder
auf historischen Instrumenten, wie auch mit
demselben Dirigenten 2010 in Henry Purcells
Dido und Aeneas. Danach ein Kontrast: die
finnische Oper Kullervo von Aulis Sallinen
(1935), ein zeitgenössisches Werk weit abseits
ausgetretener Repertoirepfade.
50 Jahre Saarland
50 Jahre Saarland: das mit europäischem Statut
seit 1947 bestehende Land trat nach der Volksabstimmung von 1955 zum 1.1.1957 als 11.
Bundesland der Bundesrepublik Deutschland
bei. Wie seinerzeit Konrad Adenauer kommt
auf demselben Wege, nämlich mit dem Zug aus
Bonn, und an dieselbe Stätte, nämlich in das
Theater an der Saar, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum stimmungsvollen Festakt, der
vom SR-Fernsehen live übertragen wird. Das
Staatsorchester umrahmt diesen Festakt und
wird live vom SR-Fernsehen übertragen. Unter
der Leitung von Constantin Trinks eröffnet
das Staatsorchester die Feier mit der Akademischen Festouverture von Brahms und
spielt zur Choreografie von Marguerite Donlon
aus der g-Moll-Sinfonie von Mozart sowie mit
Stephanie Krahnenfeld »Casta Diva« aus Norma. Ministerpräsident Peter Müller hält die
Begrüßungsrede, Bundeskanzlerin Merkel die
Festansprache. Sie lobt das Saarland als europäische Modellregion und erteilt einer Länderneugliederung eine deutliche Absage. Indirekt
ist dieses Bekenntnis auch gut für das Saarländische Staatsorchester, welches sich ja im unwahrscheinlichen Fall der Fälle als saarpfälzisches Regionalorchester schon wieder einen
neuen Namen suchen müsste…
Royston Maldoom mit Tanzprojekt in
Saarbrücken
Für ein außergewöhnliches Schüler-Tanz-Projekt hebt sich mit Strawinskys Feuervogel am
28. April 2007 und fünf weiteren Abenden der
Vorhang im Staatstheater. Nach dem phänomenalen Erfolg mit Rhythm is it mit den Berliner
Philharmonikern kommt der britische Choreograf Royston Maldoom ins Saarland, um mit
Generalprobe des Schüler-Tanz-Projekts FEUERVOGEL
Schülerinnen und Schülern eine musikalisch
und tänzerisch hochklassige Arbeit zu entwickeln. Gegenüber dem Pilotprojekt Berlin wird
an der Saar noch zugelegt: auch im Orchestergraben spielen Jugendliche mit, Mitglieder
des Landes-Jugend-Symphonieorchesters Saar
(LJO). Der hautnahe Kontakt mit den Profis ist
für die jungen Musiker eine völlig neue Erfahrung, aber Berührungsängste verflüchtigen sich
rasch. Auch Constantin Trinks arbeitet zum
ersten Mal mit einem Nachwuchsklangkörper.
»Die jungen Musiker haben sich blitzschnell
eingefügt, dabei ist der Feuervogel wirklich
ein ziemlich kniffliges Stück. Hut ab vor dieser
Leistung«, lobt Trinks. Der Erfolg des unter der
Leitung von Royston Maldoom einstudierten
Tanzprojektes übertrifft die kühnsten Erwartungen. Die regulären Karten sind ausverkauft,
selbst für die eilig anberaumten Zusatzvorstellungen gibt es nur noch wenige Restkarten. »Die Jugendlichen bringen so viel frischen
Wind und Begeisterung in den Graben, da weiß
man wieder ganz genau, warum man damals
diesen Beruf gewählt hat«, sagt Wolfgang Mertes, der Konzertmeister des Staatsorchesters,
der in seiner Jugend selbst im LJO spielte.
2007/2008
»Aida« im E-Werk
Noch vor Beginn der eigentlichen SST-Saison
spielt das Staatsorchester Opernvorstellungen
im E-Werk in Burbach. Gastdirigent Marzio
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EIS UND STAHL in der Inszenierung von Immo Karaman
Conti und das SSO verstehen sich auf Anhieb
und musizieren eine Aida voller Italianità.
Premiere der vier Vorstellungen in der alternativen Spielstätte ist am 22.8. Auf der Bühne
erlebt man die umjubelte Inszenierung Peter
Konwitschnys, ursprünglich 1994 in Graz herausgekommen. Aida ohne Pyramiden, ohne
Elefanten und ohne Nil, sondern im Wohnzimmer auf dem Sofa. SZ am 24.8.2007: »Und
erfreulich auch, dass dies mit wesentlichem
saarländischen Anteil geschieht: das Staatsorchester erweist sich als ebenbürtiger Partner
der hochkarätigen Produktion. Marzio Contis teilweise ekstatisches Dirigat sorgte da für
eine temperamentvoll durcheilte Partitur, was
aber weder dem schön aufblühenden Klang des
Staatsorchesters Abbruch tat, noch die intimen
Momente überdeckte. Bravo!«
In der Konzertsaison stellt Trinks ein Programm zusammen, in welchem er die »Dritten« von Mahler, Bruckner und Brahms vorstellt. Es gibt ziemlich viel Mozart und sogar
Haydn, immer noch eine Rarität im romantisch dominierten Konzertleben Deutschlands.
Trinks dirigiert drei Konzerte, so erlebt man
vier Gäste am Pult des SSO, Wolf-Dieter Hauschild kommt zweimal. Im Gästebuch des SSO
reimt er: »Dieses war der zweite Streich / doch
der dritte folgt sogleich / Bruckner, Mahler,
Brahms und Haydn / zeigen klar die besten Seiten / des Orchesters in Saarbrücken / ich will
fest die Daumen drücken.«
Operndirektor Berthold Schneider hat wiederum eine verschollene Oper ausgegraben:
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100 Jahre Saarländisches Staatsorchester
Eis und Stahl, ein Agitationswerk von 1929
von Wladimir Deschewow, den nicht einmal
gut informierte Musikwissenschaftler kennen.
»Am Pult sorgte Will Humburg für Präzision
und Power. Maschinengeräusche, krachende
Klangkaskaden, überhitzte Tempi, exaltiertes Blech − alles verbindet sich zu einer unerbittlich fortschreitenden, alles überrollenden Orchesterwalze.« (Deutschlandradio am
28.10.2007) Die Oper wird am 8. Dezember
2007 direkt im Radio übertragen, und erstmals in der Geschichte des SST erscheint bei
Arthaus davon eine offizielle DVD. – Konrad
Junghänel gastiert zum zweiten Mal und leitet ein zwar nicht vom Instrumentarium, aber
von der Stilistik her barockes Staatsorchester in
Händels Agrippina.
Die von Dagmar Schlingmann inszenierte La Traviata gastiert auch im Forum in
Ludwigsburg. Trinks leitet Lohengrin und
Carmen, im Ballett gibt es einen dreiteiligen
Ballettabend Picasso on the move, mit Strawinskys Sacre du Printemps in der Choreografie der Ballettchefin Marguerite Donlon,
unter der musikalischen Leitung des 2. Kapellmeisters Christophe Hellmann. Ende Februar
2008 geht Helmut Beckamp in den Ruhestand;
der langjährige Kaufmännische Direktor des
Staatstheaters hat sich stets sehr für die Belange des Staatsorchesters eingesetzt. Sein Nachfolger wird Dr. Matthias Almstedt.
2008/2009
Für Constantin Trinks bricht die letzte von insgesamt sieben Spielzeiten am SST an, er meldet eine »leise Wehmut des allmählichen Abschiedsnehmens« und stellt noch einmal das
klassische Dreigestirn Haydn-Mozart-Beethoven an prominenter Position auf den Konzertspielplan und mit Schubert, Brahms, Bruckner
und Mahler deren Weiterwirken in der Wiener
Tradition. Die Kritik meint, das »sich ständig
verbessernde Orchester« könne in eine höhere Klasse gehoben werden. Mit Simon Seidel
als orchestereigenem Solisten wird im fünften
Konzert ein Instrument eingesetzt, das nur
selten solistisch zu hören ist: die Posaune. Die
Kritik äußert den Wunsch, künftig mehr Bläsersolisten zu hören. Das achte Konzert wird
vom SR aufgezeichnet, Trinks und Musikdramaturg Dr. Christoph Gaiser werden mit Blumen verabschiedet.
Anknüpfend an das Jugendprojekt Der Feuervogel in der Spielzeit 2006/07 erarbeiten
junge Menschen aus dem ganzen Saarland nun
unter der Anleitung der Performancegruppe
La Fura dels Baus die Uraufführung eines Bühnenstücks, zu dem der amerikanische Komponist Ari Benjamin Meyers eigens die Musik
komponiert hat: die Musikmaschine kommt
mit SSO, Landes-Jugend-Symphonie-Orchester
und Jazz Train (Landes-Schüler-Bigband des
Saarlandes) am 19.-21.6.2009 zur Uraufführung.
Der erste Kaiser von Tan Dun erlebt nach
seiner UA 2006 an der »Met« New York am
6.9.2008 die Europäische Erstaufführung in
Saarbrücken. »Der Saarbrücker Noch-GMD
Constantin Trinks bringt die Komponenten
mit erstaunlicher Leichtigkeit zusammen. Instrumente wie die Zheng, chinesische Trommeln oder eine ›Wasser-Perkussion‹ finden zu
spannungsgeladener Einheit mit dem gut aufgelegten Saarländischen Staatsorchester, das
ebenso wie der exzellent agierende Chor auch
ungewöhnliche, fernöstlicher Musiksprache
entspringende Aufgaben übernimmt.« (Opernwelt 9/2008) – Die Oper Il Tigrane von Scarlatti aus dem Jahre 1715 erlebt ebenfalls an der
Saar ihre Deutsche Erstaufführung – 294 Jahre nach der Premiere in Neapel! Während das
Bühnenbild die Werkstätten schont, indem
es ausschließlich aus Luftballons besteht, bemüht sich das SSO unter »Echo Klassik«-Preisträger 2008 George Petrou erneut um möglichst authentischen Barocksound. Das Theater
wird schließlich für die Saison 2008 / 2009 mit
dem Preis der Deutschen Theaterverlage für
das beste Opernprogramm ausgezeichnet.
Am 26.10.2008 gastieren Ballett und SSO mit
Romeo und Julia in Bonn. »Auch hier versagt
sich die Choreografin jedes Pathos und überlässt dem mit Verve aufspielenden Saarbrücker
Orchester unter Christophe Hellmann den finalen Liebeskick.« (Bonner Generalanzeiger
vom 28.10.2008)
Erstes Abonnentenfest des SSO
Zum 5.7.2009 hat der Orchestervorstand die
hervorragende Idee, ein Fest für die Abonnenten auszurichten, als Dankeschön für jahrzehntelange Treue. Musiker und Zuhörer lernen
sich ohne die Distanz der Bühnenrampe besser
kennen. Unter dem Dach des Theaters wird im
Orchestersaal, im Chorsaal und auf Probebühnen ein musikalisches Programm geboten, u.a.
musiziert das Orchester ohne Dirigent die Ouvertüre zur Fledermaus.
Orchester ohne Dirigent – FLEDERMAUS-Ouverture beim Abonnentenfest
Chronik – Teil 3: 1977 – 2012
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Liebe ehemalige Kolleginnen und Kollegen
des Saarländischen Staatsorchesters!
GRUSSWORT
Das Saarländische Staatsorchester wird 100 Jahre alt.
An immerhin sieben von diesen durfte ich als Kapellmeister und später auch als
kommissarischer GMD teilhaben und erlebte eine für mich als Künstler und Person prägende, fruchtbare Zeit.
Als ich 2002 im Alter von 27 Jahren nach Saarbrücken kam, machte ich Bekanntschaft mit der gemeinhin als typisch saarländisch bezeichneten Eigenschaft des
savoir-vivre. Diese schätzte und pflegte ich bald selbst, zum Beispiel in regem Besuch der überall in der Stadt anzutreffenden sehr guten Restaurants.
Mit dieser Qualität, die sich natürlich auch in der Orchestermentalität niederschlug (der Anteil an Musikern aus der Region war zumindest damals im Vergleich zu anderen deutschen Kulturorchestern überdurchschnittlich hoch), hatte
ich aber als junger Musiker mit gewissem Perfektionsdrang hin und wieder auch
etwas zu kämpfen, wollte ich doch manchmal sehr viel auf einmal. Mit der Zeit
lernte ich dann, die Dinge etwas gelassener, also »saarländischer«, zu sehen und
es wurde mir klar: »Das wird schunn werre!«
Und so ereigneten sich immer wieder echte künstlerische Höhenflüge. Besonders
im Gedächtnis geblieben sind mir Konzerte mit Bruckners 7. Sinfonie und Brahms’
Deutschem Requiem, in welchen wir das Metaphysische streiften. In der Oper gelang uns Außergewöhnliches beispielsweise mit »Lohengrin«, »Salome« oder auch
Nonos »Intolleranza«. Auch wenn meine persönliche Vorliebe und – meiner Einschätzung nach – auch die besondere Stärke des Saarländischen Staatsorchesters
im deutschen romantischen Repertoire angesiedelt sind, so möchte ich doch auch
auf den mit der Zeit und viel Liebe gemeinsam gefundenen Stil verweisen, mit
dem wir Mozarts Meisterwerke zum Klingen gebracht haben, ob das nun »Don
Giovanni«, »Die Zauberflöte« oder ein Jugendkonzert mit dem Titel »Mensch
Mozart!« waren.
Ein wenig stolz bin ich auch darauf, dass es uns gelang in über 70 Vorstellungen
des Erfolgsmusicals »Les Misérables«, von denen ich immerhin 45 selbst dirigierte, die Qualität und spontane Energie ungemindert zu erhalten.
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100 Jahre Saarländisches Staatsorchester
Das Klima zwischen Orchester und Dirigent war nicht immer wolkenlos-heiter,
aber die sonnigen Abschnitte überwogen aus meiner Sicht eindeutig! Insgesamt
also eine glückliche Zeit, in welcher ich als junger Dirigent vom Orchester viel
habe lernen können. Das kollegiale Verhältnis spiegelte sich unter anderem darin wider, dass ich mit Orchestermitgliedern auch in der Freizeit zusammen kam;
hier wären zu nennen – nein, nicht das Fußballspielen, das machten meine Knie
nicht mit – das Musizieren in Kammermusikformationen und, woran ich ganz
besonders gerne zurückdenke, das Singen im Männerquartett!
Mit Stolz auf meinen eigenen kleinen Anteil gratuliere ich dem Saarländischen
Staatsorchester heute herzlich zum hundertjährigen Bestehen und wünsche noch
viele lustvolle, erfolgreiche Jahre – über das Kommen und Gehen von GMDs hinaus!
Ihr
Constantin Trinks
Chronik – Teil 3: 1977 – 2012
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Toshiyuki Kamioka seit 2009
Toshiyuki Kamioka wird am 20. September 1960 in
Tokio geboren. Er studiert von 1979 bis 1983 an der
Hochschule der Künste und Musik in seiner Heimatstadt Dirigieren, Komposition, Klavier und Violine.
Ein Stipendium von Rotary International ermöglicht
ihm weiterführende Studien an der Hochschule für
Musik und Theater in Hamburg.
Nach Tätigkeiten als Solorepetitor und Kapellmeister
in Kiel und als 1. Kapellmeister am Aalto-Theater in
Essen wird Kamioka 1996 zum Generalmusikdirektor
am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden ernannt.
Zusätzlich ist er von 1998 bis 2006 Generalmusikdirektor der Nordwestdeutschen Philharmonie in Herford.
Von 2004 bis 2009 ist Toshiyuki Kamioka Generalmusikdirektor der Wuppertaler Bühnen und des Sinfonieorchesters Wuppertal, dem er auch weiterhin als Chefdirigent verbunden ist.
Ab der Saison 2009/2010 hat der seit 2004 hier an der
Hochschule für Musik lehrende Professor für Dirigieren auch die Position des Generalmusikdirektors des
Saarländischen Staatstheaters.
Kamioka hat viel vor: »Ich möchte einen Klang
erreichen, den es nur hier gibt. Etwas, das nur
wir haben. Und wenn man das hören will,
muss man nach Saarbrücken kommen.« (SZ
vom 11.9.2009) Toshiyuki Kamioka beweist
vom ersten Moment an eine großartige Schlagtechnik, bei der »Verschlagen« ein Fremdwort
ist. Aber es ist nicht nur ein absolut deutliches
und unmissverständlich zwingendes Dirigat,
es ist auch in Gestik und Mimik in höchstem
Maße von Emphase und großer Emotion geprägt, einfach derartig fesselnd, dass sich dem
kein Musiker entziehen kann. Die Partitur liegt
selten auf und wenn doch, dann unaufgeblättert – ein Kollege nennt es »Staubschutz fürs
Dirigentenpult« − durchaus auch für die Dauer
einer einstündigen Sinfonie. Die ersten Proben
beginnen grundsätzlich mit Durchläufen ohne
jedes Abbrechen und ohne jede Rücksicht auf
Verluste, Ansagen wie »Hier schlage ich in 2
und hier unterteile ich« sind vollkommen unnötig, da man beim ersten Durchlauf genau
verstehen kann, was gemeint ist. Danach beginnt dann die Arbeit an vielen Details. Ziemlich überraschend und fordernd sind seine
enormen Ansprüche im Pianissimo-Bereich.
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100 Jahre Saarländisches Staatsorchester
2009/2010
Nach sechs Jahrzenten: sonntags
statt dienstags
GMD Toshiyuki Kamioka bricht mit einer großen und sehr langen Tradition: den Terminen
für die Sinfoniekonzerte! Das Orchester der
Gesellschaft der Musikfreunde hatte 1912 mit
Doppelkonzerten Freitag/Samstag begonnen,
war aber schon im 3. Konzert seiner ersten
Saison am 20./21.1.1913 auf Montag/Dienstag
ausgewichen.
Nach dem 1. Weltkrieg gab es ab dem 5. Oktober 1918 zunächst nur Einzelkonzerte, unter GMD Felix Lederer dann ab der Saison
1922/1923 wieder Doppelkonzerte, jetzt Dienstag/Mittwoch. In der Saison 1924/1925 ging
Lederer konsequent mit sehr seltenen Abweichungen ab 13./14.10.1924 auf Montag/Dienstag und führte dies bis 22./23.4.1929 fort. Ab
dem 6. Konzert 1929/1930 am 11.2.1930 gab
es wohl wegen der an anderer Stelle erwähnten
Sparmaßnahmen nur noch Dienstags-Konzerte. Dies setzte sich nach Lederers durch die Nazis erzwungenem Fortgang unter den GMDs
Wilhelm Schleuning 1935-1937 und Heinz
Bongartz ab 1937 fort, seit 25.10.1938 dann im
neuen Theater. Nach der Zerstörung des Theaters durch die Bombenangriffe vom 29.7. bis
2.8.1942 ging man wieder zurück in den Saalbau und spielte dort bis zu dessen Zerstörung
am 27.5.1944 zum letzten Mal am Dienstag,
den 2. Mai 1944.
Zur Wiederaufnahme des Konzertbetriebes
1947 fanden unter GMD Philipp Wüst Einzelkonzerte am Montag und gelegentliche Doppelkonzerte statt, ab 3. Februar 1946 kam wieder als regelmäßiger Konzerttag der Dienstag
bis zum 8. Konzert 1949/1950 am 16. Mai 1950.
Doch ab der Saison 1950/1951 gab es über
59 Jahre lang kontinuierlich Doppelkonzerte an Montag und Dienstag (Ausnahme: die
Umbauspielzeit 1988/1989). Damit ist es am
13. September 2009 vorbei: Auf Kamiokas
Wunsch spielt das SSO jetzt jeweils eine Sonntags-Matinee und ein Montagabend-Konzert.
Die Abonnenten müssen umdisponieren, das
Dienstagskonzert – ursprünglich nach der
Voraufführung am Montag das Hauptkonzert
– gibt es nicht mehr. Kamioka: »Der Vormittag richtet sich auch an Familien. Es gibt auch
Kinderbetreuung während des Konzerts. Aber
es ist auch für ältere Menschen ein Angebot,
die vielleicht am Abend nicht mehr so gern ins
Konzert gehen mögen.«
13.9.2009 – 11 Uhr: Kamioka debütiert und
fasziniert höchst konzentriert und fesselnd von
der ersten bis zur letzten Note von Mahlers
monumentaler Zweiter. Weiter ist er zu erleben
z.B. in Feuervogel von Strawinsky, Heldenleben von Strauss, konzertanten Ausschnitten
aus dem Ring (leider in reduzierter Besetzung
ohne Wagnertuben und weitere essentielle Bestandteile eines Ring-Orchesters), der Sechsten
von Beethoven und der Zweiten von Brahms.
Das Neujahrskonzert am 1.1.2010 leitet ebenfalls der neue Chef und beweist, dass er auch in
Wiener-Walzer-Agogik zu Hause ist. Endlich
gibt es wieder ein eigenes Spielzeit-Programmheft des Saarländischen Staatsorchesters, dessen Logo nun auch bei den Konzerten über
dem Orchester schwebt.
In der Oper dirigiert der neue Chef Hänsel
und Gretel sowie Otello. Außergewöhnliche Spielplanpositionen wie Doctor Atomic
von John Adams (nominiert für den deutschen
Theaterpreis »Der Faust«) und Sakontala
− rekonstruiert nach Schubert-Skizzen – lenken die überregionale Aufmerksamkeit auf
das Saarbrücker Theater. Vor Ort tut sich das
Publikum mit den avancierten Produktionen
manchmal schwer. Am 11. und 14.11.2009 gibt
es mit Lohengrin ein gefeiertes Gastspiel in
Luxemburg, nochmal unter Leitung von Constantin Trinks, hochkarätig besetzt mit Christof
Fischesser, Peter Seifert, Petra Maria Schnitzer
und Michaela Schuster.
Tag der deutschen Einheit 2009
Erneut ist das Saarland Ausrichter des Tages
der deutschen Einheit. Als Gäste kommen
Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sowie Urgestein
Hans Dietrich Genscher. 60 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik und 20 Jahre nach
dem Fall der Berliner Mauer begrüßt Ministerpräsident Peter Müller die Vertreter der obersten Staatsorgane im »ältesten der neuen Bundesländer«, Angela Merkel hält die Festrede.
Das SSO und der Opernchor unter dem neuen
1. Kapellmeister Andreas Wolf umrahmen die
Feier mit der Leonoren-Ouvertüre Nr. 1 von
Beethoven und einer Choreografie von Marguerite Donlon über Bau und Fall der Berliner
Mauer zu Mozart-Ausschnitten aus Requiem
und Jupiter-Sinfonie. Dazu kommt mit 50 saarländischen Schüler/innen ein Auszug aus der
Musikmaschine von Ari Benjamin Meyers.
Das ZDF überträgt live (Sprecher: »aus dem
kleinen Saarbrücken«).
Die Gasgebläsehalle des Weltkulturerbes Völklinger Hütte weckt bei Besuchern Assoziationen an Science Fiction-Filmarchitekturen. Vor
diesem atmosphärischen Hintergrund präsentiert Dirigent und Moderator Andreas Wolf
am 14.5.2010 Science Fiction-Filmmusik live
gespielt vom Saarländischen Staatsorchester,
nachdem man an derselben Spielstätte kurz zuvor schon ein Kinderkonzert gespielt hat.
Wolf-Dietrich Wirbach verabschiedet
Im letzten Konzert der Saison wird Wolf-Dietrich Wirbach nach fast 40 Jahren Tätigkeit als
Solo-Cellist des SSO verabschiedet. Der gebürtige Thüringer kam 1960 in die BRD, studierte in Mainz und Berlin und erhielt direkt nach
seinem Examen 1971 seine Stelle im SSO. Er
Chronik – Teil 3: 1977 – 2012
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Wolf-Dietrich Wirbach, Solo-Cellist 1971-2010
war mehrfach Solist in Konzerten und wirkte
als gefragter Kammermusikpartner in unendlich vielen Kammermusikkonzerten mit. Bescheiden und ruhig, immer präsent, setzte er
Maßstäbe für seine Position.
2010/2011
Im Spielzeitprogrammheft 2010/2011 des SSO
findet man erstmals aktuelle Farbfotos aller
Instrumentalgruppen, die kurz darauf auch
auf der Website des SST zu bewundern sind.
Ein großer Fortschritt in der Selbstdarstellung des SSO nach außen. Das SSO spielt mit
einer Stammbesetzung von 83 Musikern/innen (einige Kollegen/innen haben auf eigenen
Wunsch nur halbe Stellen) und ist seit einigen
130
100 Jahre Saarländisches Staatsorchester
Jahren durch ca. 10 Praktikant/innen verstärkt.
Der Chef dirigiert erneut sechs der acht AboKonzerte und eröffnet wieder mit Mahler, gefolgt von Richard Strauss, stellt das Mozart-Requiem in die Konzertreihe und beschließt die
Saison mit den Planeten von Holst. Im sechsten Konzert stehen mit Konzertmeister Wolfgang Mertes und dem neuen Solo-Cellisten
Benjamin Jupé im Doppelkonzert von Brahms
wieder Solisten aus den eigenen Reihen auf
dem Podium. Erstmals gastiert das SSO unter
Kamioka im wunderschönen Arsenal des benachbarten Metz. Wolfgang Mertes leitet das
Projekt Acht Jahreszeiten, bei welchem zur
Musik von Vivaldi und Piazolla eine Symbiose
mit der Malerei hergestellt wird. In den Kammerkonzerten konzertieren am 5.12.2010 in
der Deutschherrenkapelle erstmals Mitglieder
des SSO und Gäste als Saarländisches Barockensemble auf historischen Instrumenten.
Im Musiktheater erlebt man Turandot
unter Kamioka, eine witzige Schöne Helena, mit Phaëton von Lully erneut eine Barockoper und mit sehr prominentem Gast eine
Collage aus Musik, Film und Wort: Das Buch
der Unruhe von Fernando Pessoa unter Leitung des 2. Kapellmeisters Thomas Peuschel
und Klaus Maria Brandauer in der Sprechrolle.
Der Cid (1865) des in Saarbrücken-Schafbrücke geborenen Théodore Gouvy (1819-1998)
kommt 146 Jahre nach seiner Entstehung am
3. Juni 2011 unter Leitung von Gastdirigent
Arthur Fagen in Gouvys Heimatstadt zur Uraufführung. Die Vorstellung am 11. Juni 2011
wird vom SR live übertragen. Fachleute empfehlen diese Oper zur Übernahme ins Repertoire der Opernhäuser.
Am 19. Juni 2011 lädt das SSO seine treuen
Konzerthörer zum zweiten Abonnentenfest,
diesmal in die Congresshalle, direkt im Anschluss an das 8. Sinfoniekonzert. Nach dem
Verklingen des ätherischen Frauenchors von
Gustav Holsts Neptun gibt es ein abwechslungsreiches Programm, in dem sich jede einzelne Gruppe des SSO solistisch präsentiert,
abgeschlossen mit der Candide-Ouvertüre
unter GMD Kamioka.

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