Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Postkoloniale Positionierungen

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Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Postkoloniale Positionierungen
Inhaltsverzeichnis
1.
Einleitung
3
2.
Postkoloniale Positionierungen
11
2.1.
Die hiesige Frauenbewegung ...
16
2.2.
... und die andere Frau
19
2.3.
Schlussfolgerung
22
3.
Azentrierte Konzeptionalisierungen
von Geschlecht
3.1.
Dekonstruktion als „Philosophie der Differenz“
3.1.1.
3.1.2.
4.
23
25
Dekonstruktion im Kontext der
Philosophie Derridas
28
Azentrierung durch rhizomatisches Denken
37
3.2.
„Der hiesige Feminismus/die Anderen“
42
3.3.
Schlussfolgerung
45
Der Begriff „Postmoderne“
50
4.1.
Die Postmoderne Lyotards
51
4.2.
Postfeminismus
59
4.2.1.
Transversal ...
61
4.2.2.
... und postmodern
62
4.3.
Schlussfolgerung
70
1
5.
Postfeministische Politik
74
5.1.
„Die Digitalität ist unter uns“ Jean Baudrillard
75
5.2.
„Superbee Spix Cola 139“
78
5.3.
Die „riot grrrl“- Bewegung
81
5.4.
5.3.1.
„I don‘t want to play girl to your boy no more“
82
5.3.2.
Von den „riot grrrls“ zu den „Girlies“
86
5.3.3.
„Grrrls only“
88
Schlussfolgerung
93
6.
Fazit: Postfeminismus als Herausforderung
98
7.
Literatur
102
2
1. Einleitung
Frauenbewegung, Frauenforschung, Frauenpolitik ... feministische Theorie und
Praxis implizieren eine Bezugnahme auf den Begriff „Frau“. Doch wie ist
dieser gefüllt? Auf welcher Grundlage konstituiert er sich? Wer ist Subjekt
oder Adressatin feministischer Politik?
Die vorliegende Arbeit greift diese Fragen auf. Bevor ich jedoch meine
Vorgehensweise näher erläutere, will ich die Arbeit innerhalb der aktuellen
feministischen Debatte verorten, um eine erste Orientierung zu ermöglichen
und meine Fragestellung zu präzisieren:
Feministische Theorien haben trotz unterschiedlicher Ansätze und disziplinärer
Ausrichtungen die Analyse von Geschlecht, Geschlechterverhältnissen,
Geschlechterdifferenzen und deren gesellschaftliche Auswirkungen zum
Gegenstand. Hierbei kristallisieren sich zwei Hauptströmungen heraus (vgl.
Becker-Schmidt/Knapp 2000):
Erstens die gesellschafts- und strukturtheoretischen sozialwissenschaftlichen
Forschungen, die den Zusammenhang von gesellschaftlicher Ungleichheit und
der Kategorie Geschlecht untersuchen. Geschlecht fungiert als eine
Strukturkategorie, die zur Klassifikation und Hierachisierung funktionalisiert
wird und so gesellschaftliche Benachteiligung, Diskriminierung und Gewalt an
Frauen begünstigt. Als Beispiele für diese Forschungsrichtung sind der
„Bielefelder Ansatz“ sowie der „Hannoveraner Ansatz“ zu nennen (vgl. Treibel
1995).
Zweitens – und hier setzt diese Arbeit an - eine erkenntnistheoretische
Strömung, die sich mit der Voraussetzung zweier Geschlechter und deren
kultureller Repräsentation beschäftigt. Diese Richtung ist beeinflusst durch
ethnomethodologische sowie poststrukturalistische1 Theorien und führte zu
einer heftigen Diskussion innerhalb der feministischen Theorie der 1990er
Jahre,
die
als
sex-gender
Debatte2
bezeichnet
wird
(vgl.
Becker-
Schmidt/Knapp 2000).
1
als Überblick vgl. Stäheli 2000 sowie Kapitel 3.1.1.
sex bezeichnet das biologisch-körperliche Geschlecht, während gender das soziale Geschlecht
bzw. die Geschlechtsidentität umschreibt
2
3
Ethnomethodologische Ansätze fragen mit einem empirischen Bezug danach,
wie Geschlecht im alltäglichen Handeln der Individuen vermittelt wird. Der
Ansatz „doing gender“ (Geschlechtsdarstellung und –wahrnehmung) setzt
voraus, dass Geschlecht etwas ist, was wir tun und nicht etwas, was wir haben.
Geschlecht wird als soziales Konstrukt bestimmt, das innerhalb des
symbolischen Systems der Zweigeschlechtlichkeit von jedem Individuum
permanent hergestellt wird (vgl. Hagemann-White 1994 und Gildemeister
1992).
Zudem gründet die sex-gender Debatte auf der Rezension sog. Diskurstheorien,
zu denen u.a. poststrukturalistische Ansätze zu zählen sind. Feministische
Diskurstheorien
untersuchen,
welche
Bedeutung
Sprache
und
Wissensproduktion für die Konstruktion und kulturelle Repräsentation von
Geschlecht haben (vgl. Becker-Schmidt/Knapp 2000). An dieser Stelle will ich
mich vor allem auf die poststrukturalistischen Arbeiten Judith Butlers
beziehen, die die sex-gender Debatte nachhaltig beeinflussten.
In dem 1991 auf deutsch erschienen Werk „Das Unbehagen der Geschlechter“
bestimmt Butler das körperliche Geschlecht ‚sex‘ als diskursives Produkt:
„Demnach gehört die Geschlechtsidentität (gender) nicht zur Kultur wie das Geschlecht (sex)
zur Natur. Die Geschlechtsidentität umfaßt auch jene diskursiven/kulturellen Mittel, durch die
eine ‚geschlechtliche Natur‘ oder ein ‚natürliches Geschlecht‘ als vordiskursiv, d.h. als der
Kultur vorgelagert oder als politisch neutrale Oberfläche, auf der sich Kultur einschreibt,
hergestellt und etabliert wird“ (Butler 1991: 24).
Butler analysiert die diskursiven Prozesse der Naturalisierung von Geschlecht
und zeigt, wie die diskursiv hergestellte Geschlechterdifferenz als natürlich,
der Kultur vorgelagert wahrgenommen wird. Sie kommt zu dem Schluss, dass
die diskursive Konstruktion von Geschlechtsidentität nicht nur Subjekte und
Handlungen hervorbringt, sondern auch materialisierte Konfigurationen. Die
Bestimmung des biologischen Geschlechts ist somit das Ergebnis politischer
Aushandlungsprozesse
innerhalb
spezifisch-historischer
Kontexte
(vgl.
Lacqueur 1992). Die Konsequenzen dieser Theorie sind weitreichend: Wenn
sex als Klassifikationsmerkmal von „Frauen“ diskursiv produziert ist und keine
essentielle Andersartigkeit von „Frauen“ und „Männern“ existiert, wer sind
dann diese „Frauen“, auf die sich die feministische Theorie und Praxis
beziehen?
Die Annahme einer spezifischen Weiblichkeit ist scheinbare Prämisse für
feministische Theorie und Praxis. In ihr manifestiert sich der ‚Archimedische
4
Punkt‘ des Feminismus (vgl. Flax 1992), der die Bewegung festigt: Das
kollektive Subjekt „Frau“ als Essenz und Universalie bestimmt, fungiert als
theoretischer Bezug und als Garant für politische Handlungsfähigkeit – das
Reden, Handeln und Forschen im Namen der „Frauen“ wird durch das
Konstrukt einer spezifischen Weiblichkeit ermöglicht.
Butler hingegen problematisiert die Formulierung eines abstrakten Subjektes
„Frau“, da der scheinbar deskriptive Begriff „Frau“ immer auch ein normatives
Element beinhaltet: „Jedesmal, wenn diese spezifische Weiblichkeit formuliert
wird, macht sich jedoch ein Widerstand und eine Zersplitterung innerhalb der
Wählerschaft bemerkbar, die durch die Formulierung eines gemeinsamen
Elementes gerade vereinigt werden sollte“ (Butler 1993: 49). Sie verweist
hiermit auf die Kritik von Schwarzen Frauen an dem großen feministischen
„Wir“, „welches stets weiß war (...) und die Ursache für eine schmerzliche
Zersplitterung darstellte“ (ebd.: 49). Ähnlich verhält es sich mit dem
„Versuch, eine spezifische Weiblichkeit über die Mutterschaft – sei diese biologisch oder
gesellschaftlich verstanden – zu charakterisieren (...). Denn zweifellos sind nicht alle Frauen
Mütter: Einige können nicht Mutter werden, andere sind zu jung oder zu alt, einige haben sich
dagegen entschieden (...)“ (ebd.: 49).
Diese
Beispiele
verdeutlichen,
dass
die
Konstitution
eines
großen
feministischen „Wirs“, einer universalen „Frau“ auf Kosten von anderen
Frauen, die sich in der jeweiligen definitorischen Zuschreibung nicht
wiederfinden, vonstatten geht. Der abstrakten Formulierung einer spezifischen
Weiblichkeit sind Ausschluß und Subsumtion immanent; denn wird eine
universale Skizze der „Frau an sich“ entworfen, führt dies unweigerlich zu
einer expliziten Bestimmung, welche Frauen dem Feminismus angehören oder eben nicht.
Genau hier setzt meine Arbeit an. Sie fragt mit einem erkenntnistheoretischen
Impetus nach der diskursiven Herstellung des kollektiven Subjektes „Frau“, auf
das sich die bundesrepublikanische feministische Wissenschaft sowie die
Frauenbewegung berufen. Die Fragestellung lautet:
Auf welchen normativen Grundlagen, auf welchen Ausschlüssen basiert
das feministische Subjekt der bundesdeutschen Frauenbewegung und forschung?
Das 2. Kapitel „Postkoloniale Positionierungen“ greift die Kritik seitens
Frauen mit Migrationserfahrungen auf, die den bundesrepublikanischen
5
Feminismus als Projektionsfläche weißer, heterosexueller Feministinnen des
Mittelstandes problematisieren. Das abstrakte Konzept „Frau“ konstituiert sich
demnach innerhalb eines hegemonialen Diskurses, der die Erfahrungen einiger
weniger privilegierter Frauen als Maßstab für feministische Wissenschaft und
Politik setzt (vgl. Thürmer-Rohr 1995).
Postkoloniale
feministische
poststrukturalistischer
Positionierungen,
Theorien
darstellen,
die
beziehen
eine
die
Lesart
koloniale
Vergangenheit der westlichen Länder sowie das aktuelle Nord-Südverhältnis in
ihre Analysen der Kategorie Geschlecht ein. In diesem Zusammenhang fragen
sie, welche Subjektpositionierungen von dem „hiesigen Feminismus“
ausgegrenzt und verschwiegen werden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk
auf die Subjektpositionierung Ethnizität gelegt (vgl. Gutiérrez Rodríguez
1999).
In 2.1. „Die hiesige Frauenbewegung ...“ wird deutlich, dass das
Unterdrückungsmoment
Sexismus
vor
diesem
Hintergrund
als
gesellschaftlicher Hauptwiderspruch gilt; weitere Formen von struktureller
Diskriminierung, denen Frauen ausgesetzt sind - wie z.B. Rassismus oder
Heterosexismus - werden von der bundesrepublikanischen Frauenbewegung
und –forschung als Nebenwiderspruch stilisiert (vgl. Gümen 1994).
Das Kapitel 2.2. „ ... und die andere Frau“ zeigt anhand eines
erkenntnistheoretischen Hintergrundes, wie es zu dieser Hierarchisierung von
gesellschaftlichen Herrschaftsmechanismen kommt. Die Konstitution einer
„Anderen Frau“, die in Abgrenzung zu der „Identischen Frau“ als Migrantin,
Lesbe oder arme Frau bezeichnet wird, wurzelt in der okzidentalen
Philosophietradition der Metaphysik 3. Diese gründet auf binären begrifflichen
Gegensätzen, die die Wirklichkeit durch dichotome Benennungspraktiken
ordnen: Das Konzept der „Identischen Frau des hiesigen Feminismus“ fungiert
dabei als der übergeordnete Begriff, der die „Andere Frau“ per Definition als
solche konstruiert und von dem Entwurf der „Identischen Frau“ ausschließt
(vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999).
Postkoloniale feministische Kritik entlarvt in diesem Zusammenhang das
bundesdeutsche feministische "Wir" als ethnozentristisch. Zudem schärft die
Metaphysik verstehe ich als philosophische „Lehre von Wesen und Sinn des Seins, die eine
übergreifende, widerspruchsfreie und harmonische Weltanschauung zu bieten versucht“ (vgl.
Rammstedt 1994)
3
6
postkoloniale Perspektive den Blick für weitere Ausschlussmechanismen,
durch die sich die „Identische Frau“ konstituiert - postkoloniale Kritik
verdeutlicht, dass die hiesige feministische Theorie und Praxis innerhalb eines
hegemonialen Diskurses von weißen, heterosexuellen Feministinnen des
Mittelstandes stattfindet.
Aus diesem Grund formieren sich meine weiteren Ausführungen um folgende
Fragestellung:
Wie kann die Kategorie Geschlecht als Gegenstand feministischer
Wissenschaft und Politik unter Berücksichtigung von postkolonialer
Kritik konzeptionalisiert werden?
Das 3. Kapitel „Azentrierte Konzeptionalisierungen von Geschlecht“ stellt
zwei Zugangsmöglichkeiten vor, die die Kategorie Geschlecht von ihrer
hegemonialen Verfasstheit befreien und so postkolonialen Positionierungen
Rechnung tragen:
Die dekonstruktivistische Lesart Jacques Derridas löst binär konstituierte
Kategorien – wie z. B. männlich/weiblich, Kultur/Natur, Identisch/Anders - aus
der metaphysischen Gegensatzstruktur. Durch den Kunstgriff der „différance“
zeigt Derrida, wie der privilegierte Begriff des „Identischen“ durch den ihm
untergeordneten Begriff des „Anderen“ erst ermöglicht wird. Da beide Begriffe
ständig Bezug aufeinander nehmen und das Eine durch das Andere geschaffen
wird, bestimmt Derrida scheinbare Widersprüche als Elemente des Gleichen
(vgl. Derrida 1988 und Wartenpfuhl 2000). Die dekonstruktivistische Lesart
auf die Kategorie Geschlecht angewandt befreit diese von der Annahme einer
Essenz oder eines Ursprungs – binäre Oppositionen wie männlich/weiblich
oder „die identische Frau/die andere Frau“ weisen keine essentielle
Andersartigkeit auf, die eine hierachische Anordung der Begrifflichkeiten
rechtfertigen könnte. Vielmehr erschließt sich ihre Bedeutung aus dem
Kontext, in dem sie situiert sind; demnach wird in 3.1.1. „Dekonstruktion im
Kontext der Philosophie Derridas“ Geschlecht als eine zu kontextualisierende
Größe bestimmt, die mit vielen weiteren Subjektpositionierungen wie z.B.
sexuelle Orientierung, Ethnizität oder Alter verwoben ist.
Diese Verwobenheit von Gegensatzstrukturen, die die „différance“ zu
umschreiben versucht, wird durch die Metapher des „Rhizoms“ von Gilles
Deleuze und Félix Guattari veranschaulicht. Ein Rhizom ist ein Wurzelstock
7
mit langen, verzweigten Ästen und Linien, die quer, über- und untereinander
verlaufen (vgl. Deleuze/Guattari 1976). In 3.1.2. „Azentrierung durch
rhizomatisches Denken“ bestimme ich die Kategorie Geschlecht als eine
rhizomatische
Konfiguration,
die
netzartig
mit
weiteren
Subjektpositionierungen verflochten ist. Die Kategorie Geschlecht wird so von
essentialistischen und universalistischen Vorstellungen befreit, da ihre
Bedeutung aufgrund unterschiedlicher Kontexte variiert.
Dekonstruktion und rhizomatisches Denken führen nach Birgit Wartenpfuhl zu
dem Begriff des „Transversalen“ (vgl. Wartenpfuhl 2000). Die Kategorie
Geschlecht wird durch den transversalen Gestus für vielfältige Bedeutungen
geöffnet und wirkt so hegemonialen Bestimmungen von Geschlecht entgegen.
In Kapitel 3.2. „Der hiesige Feminismus/die Anderen“ wende ich das
transversale Denken beispielhaft auf die metaphysische Gegensatzstruktur „die
Identische Frau/die Andere Frau“ an. Es zeigt sich, dass die transversale
Perspektive auf die Kategorie Geschlecht mit den Forderungen der
postkolonialen Kritik kooperiert: Das feministische „Wir“ des hiesigen
Feminismus wird durch den transversalen Blick als hegemonial konstituiert
bestimmt; gleichzeitig ebnet das Transversale durch einen differentialen und
relationalen Blick auf die Kategorie Geschlecht den Weg für eine feministische
Subjektkonstitution, die Hegemonie und Ausschluss vermeiden kann.
Im 4. Kapitel „Der Begriff Postmoderne“ verorte ich den transversalen Blick
auf die Kategorie Geschlecht innerhalb der philosophischen Strömung der
„Postmoderne“. Die Überlegungen Jean-Francois Lyotards bezüglich der
„Großen Erzählungen der Moderne“ lassen sich auf die hiesige „Große
Erzählung über die Frau“ übertragen: Lyotard sieht den Keim der
Fehlentwicklung der Moderne in den „Großen Metaerzählungen“ des
Funktionalismus und Marxismus verwirklicht. Beide Formen, Gesellschaft zu
denken, zeichnen sich durch Abstraktion und der Negation von Heterogenität
aus (vgl. Lyotard 1979). Herrschaft vollzieht sich durch eine alles umfassende
Idee von Gesellschaft, die widerstreitende Elemente versöhnen will.
Die „Große Erzählung über die Frau“ rekurriert auf einem ähnlichen Muster. In
ihr vereinigt sich das normative Element des großen feministischen „Wirs“, das
sich explizit auf das Unterdrückungsmoment „Sexismus“ bezieht und andere
Formen von Diskriminierung ausblendet. So entsteht das kollektive Subjekt
8
„Frau“, das die Migrantin, die Lesbe etc. als „die Andere Frau“ kodifizieren
kann. Als Gegenentwurf zu den „Großen Erzählungen“ entwickelt Lyotard das
„Patchwork der Minderheiten“. Innerhalb dieser Politik gilt Heterogenität als
Wert - einer normativen Bestimmung des feministischen Subjektes wird so
entgegengewirkt.
Beide Perspektiven – die transversale sowie die postmoderne – zeichnen sich
durch eine kritische Distanz gegenüber normativen Denkweisen aus, die
prinzipiell anti-hegemonial verfährt. Durch eine Allianz beider Konzepte
gelange ich in Kapitel 4.2. zu dem Begriff des „Postfeminismus“.
Ich begreife die postfeministische Perspektive als einen herrschaftskritischen
Blick auf die hiesige feministische Theorie und Praxis. Das transversale sowie
das postmoderne Konzept, aus dem ich den Begriff „Postfeminismus“ ableite,
bieten zum einen erkenntnistheoretische Aspekte, zum anderen politische
Handlungsoptionen für den Feminismus an.
Die Frage nach politischer Handlungsfähigkeit jenseits einer normativen
Grundlage, die „stets in die Macht verwickelt ist“ (Butler 1993: 35), wird im
folgenden näher beleuchtet:
Wie verhält es sich mit der politischen Handlungsfähigkeit im Zeichen des
Postfeminismus?
Das 5. Kapitel „Postfeministische Politik“ widmet sich der Problematik einer
politischen Handlungsfähigkeit jenseits normativer politischer Konzepte,
jenseits einer Politik im Namen der „Frauen“. Die transversale und
postmoderne Perspektive auf politische Konzepte öffnen den Begriff des
Politischen
für
vielfältige
Bedeutungen
und
Praxen.
Um
diese
Bedeutungsvielfalt zu illustrieren, stelle ich in 5.3. die „riot grrrl“- Bewegung
vor, deren politische Taktiken auf der Ebene von kulturellen Codierungen
greifen. Die Relevanz des politischen Widerstandes auf der Ebene der
Signifikation leite ich aus den zeichentheoretischen Überlegungen Jean
Baudrillards her (5.1. „Die Digitalität ist unter uns“ sowie 5.2. „Superbee Spix
Cola 139“). Dieser sieht in der Irritation des Zeichensystems, das durch
hegemoniale Benennungspraxen allgemeingültige Bedeutungen hervorbringt,
eine politische Strategie (vgl. Baudrillard 1982). „Riot grrrls“ werden zu
politischen Akteurinnen im Sinne Baudrillards, da sie durch Zynismus und
Ironie das patriarchale Zeichensystem irritieren.
9
Eine Politik im Zeichen des Postfeminismus impliziert demnach die
Erschließung neuer politischer Widerstandsformen wie der des „semiotischen
Guerillakrieges“ (vgl. Eco 1967). Zudem will sie durch die Politik des
„strategischen Essentialismus“ (vgl. Kearny 1998 sowie Spivak 1988) reflexiv
und kritisch einer hegemonialen Bestimmung des feministischen Subjektes
entkommen.
Dieser skizzenhafte Überblick illustriert die Vorgehensweise meiner Arbeit,
die in drei Schritte eingeteilt werden kann: Der Problematisierung des
feministischen Subjektes „Frau“ (2. Kapitel) folgen im 3. und 4. Kapitel
Lösungsvorschläge für eine Konzeptionalisierung der Kategorie Geschlecht,
die weitreichende theoretische sowie politische Konsequenzen für den
Feminismus beinhalten. Vor diesem Hintergrund fokussiert das 5. Kapitel die
politischen Implikationen von postfeministischen Zeichen für die feministische
Praxis.
Somit ist meine Arbeit als eine Suchbewegung nach feministischen Entwürfen
zu verstehen, die dem Anspruch einer herrschaftsfreien Theorie und politischen
Praxis gerecht werden könnten (vgl. Thürmer-Rohr 1995).
10
2. Postkoloniale Positionierungen
Feministische Wissenschaftskritik entstand in der Bundesrepublik im Kontext
der Neuen Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre. Das erklärte Ziel war und
ist die Thematisierung der blinden Flecken der Wissenschaft, die durch eine
bislang androzentristische Sicht auf Forschungsgegenstände entstanden sind.
Demnach wird die Objektivität bisheriger wissenschaftlicher Aussagen
angezweifelt, da geschlechtsspezifische Perspektiven keinen Eingang in den
wissenschaftlichen Diskurs fanden. Feministische Wissenschaftskritik ist
politisch-normativen
Ansprüchen
herrschaftskritischen
sowie
verpflichtet.
emanzipatorischen
Sie
verfolgt
Ansatz;
einen
bestehende
gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse sollen aufgedeckt und in
politische Forderungen übersetzt werden. In den Anfängen beeinflussten sich
feministische
Wissenschaft
und
feministische
Politik
bzw.
die
Frauenbewegung gegenseitig. Die ehemals bestehende enge Verbindung
zwischen feministischer Wissenschaftskritik und feministischer Politik ist in
den letzten Jahren loser geworden; zu deutlich wurde, dass beide Sphären
unterschiedlichen Rationalitäten folgen (vgl. Wartenpfuhl 2000: 13-16).
Seit Anfang der 1990er werden zunehmend Stimmen innerhalb des
feministischen Diskurses rezepiert, die den anti-hegemonialen Charakter
sowohl der feministischen Wissenschaft als auch der Politik zur Disposition
stellen: Feministische Theorie sowie feministische Politik (re)produziere die
Macht- und Herrschaftsverhältnisse, in denen sie sich bewege - weiße,
heterosexuelle Feministinnen des Mittelstandes führen einen hegemonialen
Diskurs, der sich um die für die eigene Gruppe relevanten Fragen formiert und
diesen für alle Frauen verallgemeinert. Die Vorstellung, dass es eine relativ
homogene Gruppe von Frauen gibt, wird dadurch permanent reproduziert –
ohne zu berücksichtigen, dass die Zugehörigkeit zur gleichen Genus-Gruppe
nicht mit ähnlichen Erfahrungen oder politischen Interessen einhergeht. Das
Subjekt feministischer Politik und Wissensproduktion wird somit als
Repräsentation einiger weniger privilegierter Frauen problematisiert (vgl. 2.1.).
Den Referenzrahmen für diese grundlegende innerfeministische Kritik stellen
vor allem poststrukturalistische Theorien dar. Im folgenden soll die Perspektive
11
des Postkolonialismus als eine Ausdrucksweise poststrukturalistischer Kritik
vertieft werden.
Der Begriff der postkolonialen Kritik wurde innerhalb des feministischen
Diskurses vor allem von der Literaturwissenschaftlerin Gayatri C. Spivak
formuliert. Ausgehend von der Annahme, dass sich Wissensproduktion bzw.
das „Wissen um die Welt“ (Gutiérrez Rodríguez 1999: 40) nicht in einem
herrschaftsfreiem Raum bewegt sondern vielmehr geopolitisch situiert ist,
verweist sie auf die Kolonialgeschichte Europas und der USA. Kolonialismus
steht synonym für die westliche Perspektive auf Länder des Südens und
beschreibt somit nicht nur die Annexion von Raum und Territorien sondern
ebenfalls deren Aneignung durch Sprache und Schrift. Die Kolonialisierung
anderer Kontinente im Namen Europas sicherte die hegemoniale Stellung des
Westens, die Durchsetzung kapitalistischer Strukturen sowie die Verbreitung
der okzidentalen Philosophietradition der Metaphysik (vgl. 2.2.). Die binäre
begriffliche
Codierung
„Zivilisation/Barbarei“
markiert
dabei
die
geopolitischen Standorte, die den Westen als „Wiege der Zivilisation“ und
wissendes Subjekt im Gegensatz zu den Ländern des Südens konstituieren (vgl.
Gutiérrez Rodríguez 1999). Postkoloniale Kritik impliziert demnach eine
„Gesellschaftskritik, die die Wissensproduktion des Westens und die aktuellen
Herrschaftsverhältnisse immer im Kontext der kolonialen Vergangenheit und
dem aktuellen Nord-Südverhältnis setzt“ (Gutiérrez Rodríguez 1999: 41). Hier
wird die grundlegende erkenntnistheoretische Brisanz, die postkoloniale Kritik
aufwirft, deutlich: Das „Wissen um die Welt“ ist Ergebnis einer
Wissensproduktion, die sich innerhalb eines machtvollen Diskurses bewegt
und somit andere Stimmen marginalisiert und/oder nicht zur Kenntnis nimmt;
die Beschreibung von Wirklichkeit ist damit ein Politikum, da die
geopolitische Situiertheit der Beschreibenden ihre Einflussmöglichkeiten
bezüglich der Wissensproduktion determiniert. Postkoloniale KritikerInnen
fordern daher eine Reflexion westlicher Wissenschaft und Politik, die die
koloniale Vergangenheit Europas und der USA bedenkt und die geopolitische
Situiertheit von Wissen berücksichtigt. Westliche Wissenschaft und Politik als
Ausdruck hegemonialer Wissensproduktion muss sich der Frage stellen, auf
welchen unbewussten Voraussetzungen ihr Wissen basiert. Oder wie GudrunAxeli Knapp es formuliert:
12
„Das transzendentale ICH der Philosophie und der externe Beobachter der Wissenschaft
werden auf die Erde geholt und aufgefordert, Rechenschaft abzulegen über ihren Ort und die
Bedingungen, unter denen ‚Erkenntnis‘ und ‚Wissen‘ Geltung als Wahrheit oder Wissenschaft
beanspruchen können sollen“ (Knapp 1998: 52).
Knapp verortet postkoloniale feministische Kritik unter dem Stichwort
„Achsen der Differenz“ (vgl. Knapp 2001). Hiermit umschreibt sie die
„Thematisierung der sozialen und kulturellen Heterogenität der Genus-Gruppe
‚Frauen‘ “ (Knapp 2001: 39), die die Frage nach dem Subjekt feministischer
Politik
und
Forschung
stellt.
Der
feministische
Blick
auf
das
Geschlechterverhältnis wird erweitert durch die Betrachtung der Differenzen
innerhalb der Genus-Gruppe Frauen. Postkoloniale feministische Kritik
formiert sich demnach um die Fragen, in welcher Weise verschiedene
Unterdrückungsmechanismen wie Geschlecht, Ethnizität oder sexuelle
Orientierung innerhalb der Genus-Gruppe Frauen zueinander vermittelt sind.
Diese „Aufmerksamkeitsverschiebung“ (Knapp 2001: 38) fand in den USA
bereits in den 1970er Jahren statt, während sie die bundesrepublikanische
sozialwissenschaftliche Frauenforschung erst in den letzten Jahren erreichte.
Schwarze Feministinnen (z.B. Alice Walker, das Combahee River Collective
oder bell hooks) und die „Women of Colour“ (z.B. Gloria Anzaldua) kritisieren
die weiße US-amerikanische Frauenbewegung, da diese sich ausschließlich auf
das Geschlechterverhältnis als gesellschaftliches Herrschaftsmoment beziehe.
Sexismus als einziges Unterdrückungsverhältnis beschreibe die Lebensrealität
von Schwarzen Frauen jedoch nur ungenügend. Das Combahee River
Collective, ein 1974 von lesbischen und sozialistischen Schwarzen
Feministinnen gegründetes Kollektiv in den USA, fordert in diesem
Zusammenhang eine Perspektivenerweiterung feministischer Analysen um die
Herrschaftsverhältnisse Rassismus und Klassenzugehörigkeit. Denn
„eine soziale Kategorie Geschlecht, die sich nur auf das Moment des Geschlechterverhältnisses
bezieht und den Ort und den Zeitpunkt nicht benennt, in dem sie sich bewegt und wo sie
ausgehandelt wird, hat nur einen Aussagewert für die Gruppe von Frauen, die sich über sie
repräsentiert fühlen, doch sie kann keine universellen Aussagen über Frauen treffen“ (Gutiérrez
Rodríguez 1996: 166f.).
Differenzen innerhalb der Genus-Gruppe „Frauen“ brechen mit einer
ahistorischen, kontextlosen Bestimmung des feministischen Subjektes – es ist
nicht länger haltbar, die Kategorie „Frau“ zu homogenisieren und sie auf ein
Unterdrückungsmoment, den Sexismus, zu abstrahieren.
13
Die Aufmerksamkeitsverschiebung innerhalb des bundesrepublikanischen
feministischen Diskurses setzte nach Encarnación Gutiérrez Rodríguez erst
Anfang der 1990er ein. Zuvor blendete die sozialwissenschaftliche
Frauenforschung
die
Situation
von
Migrantinnen
und
Fragen
der
soziokulturellen Heterogenität unter Frauen weitgehend aus (vgl. Gutiérrez
Rodríguez
1996:
Sozialwissenschaften
177).
zwei
Allerdings
lassen
idealtypische
sich
innerhalb
Entwicklungslinien
der
des
Forschungsbereiches „Frauen in der Migration“ ausmachen:
Zum einen findet auf der Grundlage des Modernitäts-Differenz-Paradigmas,
das auf der Unterscheidung Tradition/Moderne gründet, Ende der 1970er Jahre
eine Auseinandersetzung mit der Einwanderung von Frauen in den
Sozialwissenschaften statt (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999). Die Dichotomie
Tradition/Moderne
kooperiert
mit
der
bereits
erwähnten
Codierung
Barbarei/Zivilisation; die Herkunftsländer der eingewanderten Frauen werden
als „traditionelle, von der Zivilisation unberührte Agrargesellschaften
geschildert, während die Anwerbegesellschaft zum Inbegriff einer modernen
Industrienation konstruiert wird“ (Gutiérrez Rodríguez 1999: 26). Diese
Perspektive zementiert das Bild einer „defizitären Ausländerin“, die erst nach
dem Zeitpunkt ihrer Einwanderung mit Modernisierungsprozessen konfrontiert
wird. Bis Mitte der 1980er Jahre setzte sich in den Erziehungswissenschaften
diese „Defizitannahme“ (Gutiérrez Rodríguez 1999: 27) durch. Das Muster
zahlreicher Untersuchungen rekurriert auf dem Stereotyp einer bedürftigen,
unterdrückten, zumeist muslimischen Frau.
Zum anderen erfolgte im Kontext einer „interkulturellen Frauenforschung“ der
1980er und 1990er Jahre der Umkehrschluss: Die defizitäre, andere Frau wird
zur „Pionierin der Moderne“ (Gümen 1996: 96) stilisiert; sie funktioniert als
Spiegelung von Befreiung und Selbstbestimmung: Aus ihren vormodernen
Lebensumständen herausgerissen, behauptet sich die Migrantin in einer ihr
fremden, modernen Welt und symbolisiert so Kraft und Stärke. Die
Kennzeichnung von Migrantinnen als defizitär erfährt hier keine Revision; es
erfolgt lediglich eine positive Umwertung der auferlegten Stigmata des
Fremdseins, Andersseins, Unterdrücktseins. Nach Sedef Gümen handelt es sich
bei diesem Umkehrschluss ebenfalls um eine Verobjektivierung von
14
Migrantinnen, da sie als Projektionsfläche für Emanzipationsbestrebungen
fungieren (vgl. Gümen 1996).
Ab den 1990er Jahren erfolgt ein Perspektivenwechsel innerhalb der
sozialwissenschaftlichen Frauenforschung4. Diese Positionen sollen im
folgenden genauer dargestellt werden. Die Autorinnen, auf die ich mich hierbei
hauptsächlich beziehe – Sedef Gümen und Encarnación Gutiérrez Rodríguez –
lassen
sich
dem
wissenschaftskritischen
Spektrum
innerhalb
zuordnen
und
sozialwissenschaftlichen
Frauenforschung
konstruktivistische
dekonstruktivistische
sowie
Perspektiven
der
greifen
auf
(vgl.
Wartenpfuhl 2000). Sie entwickeln ihre Kritik an zweigeschlechtlichen
Erklärungsmustern konsequent weiter, indem sie die blinden Flecken der
Frauenforschung
aufdecken
und
thematisieren.
Das
Beharren
des
feministischen Erkenntnisinteresses auf der Kategorie Geschlechterdifferenz
führt zu einer Vereinheitlichung und Abstraktion des feministischen Subjektes,
da Geschlecht isoliert von anderen Kategorien sozialer Schließung wie z.B.
Ethnizität oder sexueller Orientierung betrachtet wird. Differenzen unter
Frauen werden durch diesen eindimensionalen Blick vernachlässigt und
übersehen. Dieser reduktionistische Gestus impliziert die Konstitution einer
universalen Frau, an deren Aushandlung jedoch nur einige wenige Frauen – in
diesem Fall weiße, westliche und heterosexuelle Feministinnen des
Mittelstandes (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 87f.) - beteiligt sind. Der blinde Fleck
der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung manifestiert sich folglich in der
unreflektierten Bezugnahme auf ein feministisches „Wir“.
In Kapitel 2.1. „Die hiesige Frauenbewegung ...“ argumentiere ich mit Gümen,
dass eine Kontextualisierung der Kategorie Geschlecht im Sozialen für die
feministische Theorie und Praxis vonnöten ist. Gümen greift vor allem
konstruktivistische Perspektiven auf, um das Subjekt des Feminismus für die
Analyseebene Ethnizität zu öffnen. Hierbei orientiert sie sich an der
Konzeptionalisierung von Ilse Lenz (vgl. Lenz 1993), die eine systematische
Erweiterung des feministischen Erkenntnisinteresses um die Kategorie
Nationalstaat vornimmt. Dies ist zudem der Berührungspunkt zu den
Ausführungen von Gutiérrez Rodríguez. Ihr dekonstruktivistischer Ansatz
4
Gutiérrez Rodríguez verweist hierbei auf den 1991 erschienen Band der beiträge zur
feministischen theorie und praxis „Geteilter Feminismus“, in dem eine der ersten
15
formiert sich jedoch nicht nur um die Situierung von Geschlecht im Sozialen
und der Inblicknahme der Kategorie Ethnizität. Vielmehr vertieft sie sich in
Denkschemata der okzidentalen Philosophietradition, die Voraussetzung für
Ausschluss und Hegemonie sind. In dem Kapitel 2.2. „... und die andere Frau“
werde ich mit Gutiérrez Rodríguez aufzeigen, auf welcher Grundlage der
„hiesige Feminismus“ die „andere, fremde Frau“ konstituiert und nach
Möglichkeiten suchen, dieses binäre Denken aufzubrechen.
2.1.
Die hiesige Frauenbewegung ...
Die Inblicknahme der Kategorie Ethnizität sowie anderer sozialer Macht- und
Herrschaftsverhältnisse, denen Frauen ausgesetzt sind, setzte nach Gümen mit
der Rezeption der sex-gender-Debatte5 aus dem englischsprachigen Raum ein.
Die herkömmliche feministische Wissenschaft in der Bundesrepublik, deren
Diskurs sich um die Analyse der isolierten Kategorie Geschlecht und das
binäre Modell der Zweigeschlechtlichkeit formiert (vgl. Gümen 1998), erfährt
einen Perspektivenwechsel: Die Kategorie Geschlecht kann nicht für sich allein
betrachtet werden, da sie im Sozialen situiert und somit mit weiteren
Subjektpositionierungen wie Klasse oder Ethnizität verwoben ist. Der
prozesshafte und relationale Charakter bestimmt die Kategorie Geschlecht als
eine zu kontextualisierende soziale Größe, die sich nicht festschreiben lässt.
Geschlecht rückt als „durch und durch soziales Phänomen und im größeren
Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Prozesse“ (Gümen 1998: 188) in das
Blickfeld der feministischen Forschung.
Diese „analytische Öffnung“ (Gümen 1998: 188) der Kategorie Geschlecht
impliziert die Forderung nach der politischen Öffnung feministischer Praxis:
Die Ausblendung und Funktionalisierung von Migrantinnen innerhalb der
bundesrepublikanischen Frauenforschung (vgl. 2.) steht im Zusammenhang mit
der Marginalisierung und Ausschließung von Migrantinnen innerhalb der
Frauenbewegung6.
Auseinandersetzungen mit Rassismus und Antisemitismus innerhalb der weißen deutschen
Frauenbewegung stattfand (vgl. Gutiérrez Rodríguez 1999: 32f.)
5
als Überblick Becker-Schmidt/Knapp 2000
6
als kritischer Überblick vgl. FeMigra 1994
16
Beispielhaft für die Ausblendungsmechanismen der Frauenbewegung ist
Gümens dekonstruktivistische Lektüre eines Briefes, der anlässlich kritischer
Stimmen von den Organisatorinnen der Tagung „Differenz und Gleichheit:
Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht“ (1990) verfasst wurde. Die Kritik an
der Tagung bezog sich vornehmlich auf die fehlende Thematisierung von
Rassismus
sowie
die
marginale
Beteiligung
von
Frauen
mit
Migrationserfahrung. Der Antwortbrief der Organisatorinnen illustriert die
Ausschließungsmechanismen, die zur Konstitution einer allgemeingültigen
Frauenbewegung im nationalstaatlichen Rahmen beitragen: Die „hiesige
Frauenbewegung“,
die
um
einzelne
„Asylantinnen-
und
Ausländerinnenprobleme“ weiß und bislang „keine theoretische oder politisch
dominante Debatte um das Verhältnis von Rasse, Körper, Klasse und
Geschlecht“ führte, will sich „sehr viel grundsätzlicher“ mit der „Analyse und
Erörterung der strukturellen Gründe der gesellschaftlichen und rechtlichen
Diskriminierung der Frau“ befassen (vgl. Gerhard u.a. 1990).
Der Terminus „hiesige Frauenbewegung“ negiert nicht nur Strömungen
innerhalb der deutschen Frauenbewegung, die sich seit längerem mit der
Kategorie
Ethnizität
beschäftigen,
sondern
erhebt
gleichzeitig
einen
Allgemeinheitsanspruch in Abgrenzung zu dem „Randphänomen“ (Gümen
1998: 189) Ethnizität. Wer sich „grundsätzlicher“ mit der „Analyse und
Erörterung der strukturellen Gründe der gesellschaftlichen und rechtlichen
Diskriminierung der Frau“ auseinandersetzen will, bezieht sich ausschließlich
auf die Dimension der Geschlechterungleichheit. Dies führt unweigerlich zu
einer Hierachisierung von Unterdrückungsmechanismen, wobei der Sexismus
als das Grundlegende, Rassismus dagegen als Sonderform von Unterdrückung
interpretiert wird. Die Konstitution des Subjektes feministischer Politik in der
bundesrepublikanischen Frauenbewegung zeugt von einem feministischen
Ethnozentrismus: „Die homogene Kategorie Frau entspricht einem als
homogen gedachten Nationalstaat“ (Gümen 1998: 191).
Um die konstruierte Großkategorie „Frau“ ihrer hegemonialen Verfasstheit zu
überführen, benötigt die feministische Theorie und Praxis eine kritische
Distanz zu zweigeschlechtlichen Erklärungsmustern; die Markierung der
Geschlechterdifferenz zwischen Frauen und Männern (Sexismus) als
Hauptwiderspruch führt zwangsläufig zu einer Essentialisierung der Kategorie
17
Frau, der einer Homogenisierung des feministischen Subjektes immanent ist.
Das politische „Wir“ dieses Feminismus erhebt den Anspruch, „den ‚wahren‘ –
bzw. von anderen gesellschaftlichen Herrschaftsstrukturen befreiten und
ausschließlich über die Geschlechterkategorie definierten – Feminismus zu
repräsentieren“ (Gümen 1996: 80). Eine bloße Erweiterung der Kategorie
Geschlecht um die analytische Kategorie Ethnizität führt jedoch zu einem
additiven Verfahren, das der Kontextualisierung von Geschlecht im Sozialen
nicht gerecht werden kann. Folgende Gleichungen illustrieren diese
Problematik: „Frau = Geschlecht“ / „fremde Frau = Geschlecht + Ethnizität“
(vgl. Gümen 1994). Eine Enthierachisierung der Kategorien sozialer
Schließung scheint hiermit nicht möglich, da Geschlecht weiterhin als
unabhängige Variable wirkt. Die Verwobenheit der Dimension des
Geschlechtlichen
mit
anderen
Subjektpositionierungen
wie
sexuelle
Orientierung, Klasse oder Alter gerät durch Addition aus dem Blick.
Gümen spricht sich in diesem Zusammenhang für eine „größere Textualität“
(Gümen 1998: 199) feministischer Theorieentwicklung aus, die eine
kontextualisierte Perspektive auf die Kategorie Geschlecht zulässt und mit der
Forderung nach der Inblicknahme der Kategorie Ethnizität und anderer
Kategorien
sozialer
Schließung kooperiert. Damit
einher
geht
eine
Neubestimmung des politischen Subjektes feministischer Politik und
Wissenschaft; denn wenn
„die Geschlechterdifferenz gesellschaftlich hergestellt ist, wird es schwierig zu behaupten, dass
es ‚die Frauen‘ gibt, die aus ihren sozialen und historischen Kontexten herausgelöst sind und
transhistorisch sowie transkulturell eine gemeinsame Unterdrückungsgeschichte als ‚Frauen‘
teilen. Nicht mehr vorauszusetzen ist, was oder wen der Begriff ‚Frauen‘ bezeichnen soll. Die
implizierte Frage in jeder Analyse wird: ‚Welche Frauen‘?“ (Gümen 1994: 8).
Der dekonstruktivistische Charakter dieser Frage wird von Gutiérrez Rodríguez
ausbuchstabiert. Sie schließt in ihren Ausführungen an den von Spivak
entwickelten Begriff der kritischen Dekonstruktion an. Bezogen auf das
Subjekt sozialwissenschaftlicher Frauenforschung und
Frauenbewegung
beinhaltet diese Perspektive die Kontextualisierung und Historisierung des
Begriffs „Frau“ – die Frage, die Gutiérrez Rodríguez an feministische
Wissenschaft und Politik stellt, lautet: „Wer redet, von wo aus und für wen?“
(Gutiérrez Rodríguez 1996: 170).
18
2.2.
Das
... und die andere Frau
Subjekt
der
bundesdeutschen
Frauenbewegung
und
–forschung
konstituiert sich – so Gutiérrez Rodríguez - über „die Andere“ in Abgrenzung
zum „herrschenden Selbst“ (Gutiérrez Rodríguez 1996: 161). Dies scheint
notwendig, um Unterschiede zwischen Frauen zu überwinden und so zu einem
allgemeingültigen Feminismus zu gelangen. Migrantinnen werden als
Differentes gesetzt, indem sie als „anders“ und noch zu emanzipieren gelten:
„Die Ausländerin (...) ist ‚anders‘, weil sie ein Kopftuch trägt, schlecht deutsch
spricht und zur ‚Unterschicht‘ gehört“ (FeMigra 1994: 10). Im Gegensatz dazu
werden sie als „gleich“ vereinnahmt, wenn sie das eigene Selbstbild einer
emanzipierten Frau spiegeln. Ab diesem Zeitpunkt sind sie nicht mehr die
ethnisch Differenten, sondern erlangen Subjektstatus. „Die Ausländerin ist
somit ‚gleich‘, weil sie angepasst ist, das heißt, gut deutsch spricht, zum
Beispiel studiert statt putzt“ (ebd.:10).
Beiden Aneignungsmustern ist die Definitionsmacht des „herrschenden Selbst“
– hier der weißen deutschen Frauenbewegung – immanent. Nach Gutiérrez
Rodríguez wurzelt das duale Denken „die andere Frau/die identische Frau“ in
der okzidentalen Philosophietradition der Metaphysik. Georg Wilhelm
Friedrich Hegel (1770-1831) bestimmte die westlichen Philosophien als
zusammenhängende Einheit (vgl. Kimmerle 2000: 18f.). Er systematisiert die
Entwicklung der Philosophie, indem er von „den alten orientalischen Reichen“
über die „griechisch-römischen Reiche“ einen Fortschritt hin zur Philosophie
der
„germanisch-christlichen
Welt“
prognostiziert
(ebd.: 19).
Dieser
„Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ (ebd.: 19) markiert eine Abstraktion
der westlichen Philosophie als Höhepunkt des Denkens. Hegels Dialektik –
These, Antithese, Synthese - gibt Aufschluss über die Prinzipien des
metaphysischen Verständnisses in der okzidentalen Philosophietradition.
Wirklichkeit wird in binäre begriffliche Schemata eingeordnet, denen ein
Ursprungsgedanke inhärent ist. Dieser Ursprungsgedanke ist vor allem durch
Identitätslogik
gekennzeichnet.
Identitätslogik
basiert
auf
Widerspruchsfreiheit; Abweichendes wird als das Andere, nicht-Identische
ausgegrenzt, abgewertet und als Gegensatz konstituiert.
19
Beispielhaft hierfür zeigte Simone de Beauvoir (1908-1986), wie die Frau als
das Andere des Mannes konstruiert wird. Frauen sind nicht autonome Subjekte,
sondern erlangen ihre Bedeutung nur in Bezugnahme auf das privilegierte
identische Eine, den Mann. Das Eine ist Ursprung und Maßstab: Die Frau
„wird bestimmt und unterschieden mit Bezug auf den Mann, dieser aber nicht mit Bezug auf
sie, sie ist das Unwesentliche angesichts des Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das
Absolute: sie ist das Andere“ (Beauvoir 1949: 11).
Der Mann ist in diesem Fall das Konkrete bzw. das Eine, während die Frau als
das undefinierte Andere von ihm abgeleitet wird. Die binäre Opposition das
Eine/das Andere korrespondiert mit der weiter oben ausgeführten Annahme,
dass die „Migrantin“ in Abgrenzung zu der „Frau“ konstituiert wird. Die
metaphysische Logik der Identität operiert demnach über begriffliche
Gegensätze (z.B. Mann/Frau, Frau/Migrantin), die hierarchisch angeordnet
sind. Der „Eine“ Begriff beherrscht und dominiert den „Anderen“, da ersterer
höher bewertet wird und die Definitionsmacht über den „Anderen“ inne hat:
„Durch dieses Dominanz- und Unterordnungsverhältnis werden bestimmte
Bedeutungen idealisiert, höher geschätzt oder sublimiert, andere wiederum
verschwiegen, negiert oder marginalisiert“ (Wartenpfuhl 2000: 128).
Metaphysisches
Denken
in
der
okzidentalen
Philosophietradition
ist
gekennzeichnet durch binäre begriffliche Schemata, die auf der Annahme eines
Ursprungs gründen. Vielfalt und Heterogenität wird negiert, indem Begriffen
ein abstraktes Zentrum unterstellt wird, auf das sie sich zurückführen lassen.
Diese Essentialisierung von Begrifflichkeiten hat einen ordnenden Charakter;
ihre Funktion besteht nach Stuart Hall darin, „uns eine ungestörte Nachtruhe zu
verschaffen“ (Hall 1994: 67). Begriffliche Gegensätze ermöglichen eine
systematische Identifikation der Welt, indem sie Widersprüchliches und NichtIdentisches assimilieren oder ausgrenzen – entweder das Eine (Vereinnahmung
durch Definition des „Einen“) oder das Andere (Ausgrenzung durch Definition
des „Einen“): „In dieser Abstraktion liegt die Gleichmachung der Dinge
beschlossen, die zugleich auch Reduktion ihrer Vielfalt an Eigenschaften ist“
(Engelmann 1990: 14).
Hierarchisch gesetzte Binaritäten wie „Frau“ oder „Migrantin“ weisen
demnach einen Abstraktionsgrad auf, der vereinheitlichend wirkt. Der Begriff
„Migrantin“
wird
trotz
heterogener
Bedeutungen
(z.B.
verschiedene
Migrationserfahrungen, sozialer Status, Alter, sexuelle Orientierung) auf das
20
„Andere“ in Abgrenzung zu dem hegemonial verfassten Begriff „Frau“
reduziert.
Wenn sich nun Frauenbewegung und sozialwissenschaftliche Frauenforschung
im Namen der „Frau“ ereignen, um welche Frauen handelt es sich dabei? Die
postkoloniale
Kritik
gibt
Aufschluss
darüber:
Die
homogenisierte
Großkategorie „Frau“ universalisiert die Erfahrungen weißer, heterosexueller
Feministinnen des Mittelstandes (vgl. Thürmer-Rohr 1995: 87/88) und setzt
diese
als
Maßstab.
Sexismus
wird
als
Hauptwiderspruch
und
–
Unterdrückungsverhältnis der Gesellschaft analysiert (vgl. 2.1.). „Andere“
Formen von Unterdrückung werden subsumiert oder fließen als Sonderformen
in die Analyse ein. Das Reden und Handeln im Namen der Frau negiert somit
die unterschiedlichen Lebensumstände und Subjektpositionierungen von
Frauen:
„Die Verquickung der Verhältnisse, in denen Frauen leben, kann nicht über eine universelle
Kategorie Frau repräsentiert werden, da Momente wie Hautfarbe, sozialer Status, körperliche
Stigmatisierung und Diskriminierung von Behinderung und lesbischem Begehren Frauen in
unterschiedliche gesellschaftliche Positionen setzt“ (Gutiérrez Rodríguez 1996: 166).
Um den Begriff der Frau bzw. das Subjekt feministischer Theorie und Praxis
für vielfältige, heterogene Bedeutungen zu öffnen und somit der postkolonialen
Kritik Rechnung zu tragen, bietet sich die dekonstruktivistische Lesart an.
Dekonstruktion7 bedeutet „die Freilegung des Nicht-Identischen aus seiner
Verdrängung“ (Wartenpfuhl 2000: 135). Sie fragt in diesem Zusammenhang:
Was verschweigt der Begriff „Frau“? Auf welchen Ausschlüssen basiert er?
Prämisse für die dekonstruktivistische Lesart ist der erweiterte Textbegriff.
Nach Spivak markiert der Text den Ort der Produktion von Diskursen: „Der
Text ist somit an der Darstellung aber auch an der Produktion von
Bewusstseinskonzepten, von Subjektpositionen in Form von homogenen
Einheiten wie Geschlecht, Klasse und Ethnizität beteiligt“ (Spivak 1988:
77/78). Somit ist Text nicht an schriftliche Äußerungen gebunden; er umfasst
„jegliche Formen der Darstellung bzw. Repräsentation von Welt, Mensch und
Dingen“ (Gutiérrez Rodríguez 1996: 171).
Gutiérrez Rodríguez entwickelt mit Bezugnahme auf Spivak eine kritische
Zugangsweise der Dekonstruktion. Diese bezieht feministische sowie
marxistische Perspektiven in die Textanalyse ein. So kann ein Text auf seinen
7
Der Begriff Dekonstruktion ist auf den Philosophen Jacques Derrida zurückzufüren,
ausfühlich siehe 3. Kapitel
21
soziokulturellen, historischen und ökonomischen Hintergrund gelesen werden,
da sich Bezeichnungs- und Benennungspraktiken nicht in einem neutralen
Rahmen vollziehen, sondern geopolitisch situiert sind (vgl. 2.). Die kritische
Dekonstruktion „als Gesellschaftskritik gedacht bestimmt Essenzen nicht als
universelle Wesenheiten, die im Geiste vorhanden sind, sondern als
materialisierte Formen, die kontextbezogen erzeugt werden“ (Gutiérrez
Rodríguez 1996: 172).
Feministische Theoriebildung oder politische Handlungen im Namen der
„Frauen“ müssen somit kontextualisiert werden: Welche Frauen treffen welche
Aussagen
aufgrund
welcher
Erfahrungshintergründe?
Dieser
radikale
Perspektivismus wirkt einer Essentialisierung und Universalisierung der
Kategorie Frau entgegen. Das ausgegrenzte und verschwiegene „Andere“
feministischer Wissenschaft und Politik wird sichtbar, da die soziale
Situiertheit und der Zeitpunkt jeglicher Aussagen in den Vordergrund tritt. Die
kritisch - dekonstruktivistische Analyse trägt dazu bei, Aussagen historischpolitisch zu verorten. Ein hegemonial verfasstes feministisches „Wir“, das von
dem Kollektivsubjekt „Frau“ ausgeht, ist nicht länger haltbar.
2.3.
Schlussfolgerung
Kapitel 2.1. und 2.2. zeigten, wie das Subjekt der bundesdeutschen
Frauenbewegung und –forschung problematisiert und wie dieses durch
Ausschluss und die Identifikation des „Anderen“ konstituiert wird. Es wurde
deutlich, dass sich feministische Wissenschaft und Politik nicht jenseits
hegemonialer Diskurse ereignen.
Wenn feministische Wissenschaft und Politik herrschaftsfrei8 arbeiten wollen,
benötigen sie ein Instrumentarium, das Abstand nimmt von kollektivistischen
und universalistischen Deutungsmustern. In Kapitel 2.2. wurde ein möglicher
Lösungsansatz bereits angesprochen: Der Kunstgriff der Dekonstruktion legt
das Verworfene und Verschwiegene des hiesigen feministischen Diskurses frei,
dass aufgrund der Annahme einer Binarität erst geschaffen wurde. Die
8
Thürmer-Rohr bestimmt die feministische Theorie und Politik als Absage an jegliche Form
von Herrschaft (vgl. Thürmer-Rohr 1995)
22
Dekonstruktion bricht mit der binären Logik „entweder/oder“ bzw. „der
(hiesige) Feminismus/die Anderen“, die Kategorien sozialer Schließung als
identische
Momente
konstituiert;
sie
weist
auf
die
Verflechtungen
verschiedener Kategorien hin und kongruiert mit der Verortung von Geschlecht
im Sozialen (vgl. 2.1.). Damit ist das Subjekt sowohl der feministischen
Wissenschaft als auch der Frauenbewegung im Zentrum der Kritik. Es ist
dieser Zugriff, der dem Dekonstruktivismus den Vorwurf des Unpolitischen
einhandelt (vgl. dazu 3.1.).
Im folgenden soll die Perspektive der Dekonstruktion vertieft werden. Hierbei
orientiere ich mich an den Ausführungen von Wartenpfuhl, die den Gedanken
der Dekonstruktion Derridas mit der Metapher des Rhizoms von Deleuze und
Guattari verbindet und daraus den Begriff des Transversalen entwickelt. Dieser
Blick scheint für eine Konzeption von Geschlecht jenseits metaphysischer
Identitätslogik fruchtbar. Eine angemessene Theorieproduktion feministischer
Forschung, die postkolonialer Kritik gerecht wird und einen anti-hegemonialen
Anspruch aufweist, ist hiermit denkbar.
3.
Azentrierte Konzeptionalisierungen von Geschlecht
Der Theorie der Dekonstruktion geht es um das Aufspüren binärer Logiken, die
Realität in Gegensätzen begreifen. Durch die „entweder/oder Struktur“
(Wartenpfuhl 2000: 123) werden Kategorien sozialer Schließung – wie z.B.
Frau, Lesbe, Migrantin – als identische Subjektpositionen erzeugt. In 2.1.
wurde bereits verdeutlicht, dass eine Identitäten-Addition im Sinne einer
„entweder/oder Struktur“ – entweder Frau oder Migrantin, entweder Frau oder
Lesbe - der Verortung von Geschlecht im Sozialen nicht gerecht werden kann.
Positionierungen wie Frau, Migrantin oder Lesbe sind nie für sich alleine
wirksam oder in sich identisch. Gümen spricht in diesem Zusammenhang von
der
Verflochtenheit
der
Kategorie
Geschlecht
mit
anderen
Subjektpositionierungen. Die Dimension der Kategorie Geschlecht nimmt
durch weitere Subjektpositionierungen nicht einfach zu (z.B. Geschlecht +
Migration + sexuelle Orientierung), sondern verändert seine gesamte
23
Beschaffenheit und seinen Gehalt9. Die Perspektive der Dekonstruktion zeigt in
diesem Zusammenhang, „wie sich Differenzen als Kategorien sozialer
Schließung überschneiden und sich vielfach durchkreuzen“ (Wartenpfuhl
2000: 123f.). Dies widerspricht der metaphysischen Identitätslogik bzw. der
„entweder/oder Struktur“, die Kategorien als essentiell und klar voneinander
abgrenzbar begreift. Assimilation und Ausgrenzung von Widersprüchlichem
und Nicht-Identifizierbarem, also jenem, dass sich der „entweder/oder
Struktur“ nicht beugt, kann durch die Dekonstruktion wieder sichtbar werden.
Der Bruch mit der metaphysischen Identitätslogik markiert die Dekonstruktion
als ein politisch-wissenschaftliches Instrumentarium, das Hegemonie zu
begreifen und zu subvertieren versucht. Denn wie bereits in Kapitel 2.2.
gezeigt wurde, konstituiert sich Herrschaft und Unterdrückung durch binäre, in
sich identische Gegensätze. Zwei Merkmale verdeutlichen das hegemoniale
Moment der metaphysischen Gegensatzstruktur: Zum einen beherrscht und
definiert ein Begriff innerhalb des Gegensatzpaares den anderen (vgl. Beauvoir
1949), wodurch „bestimmte Bedeutungen idealisiert, höher geschätzt oder
sublimiert, andere wiederum verschwiegen, negiert oder marginalisiert“
werden (Wartenpfuhl 2000: 128). Abweichendes wird als das Andere, nichtIdentische ausgegrenzt, abgewertet und als Gegensatz konstituiert. Der „Eine“
Begriff beherrscht den „Anderen“, da Ersterer höher bewertet wird und die
Definitionsmacht über den „Anderen“ inne hat.
Zum anderen fordert die identifizierende Logik eine unmissverständliche
Zuordnung von Bedeutungen innerhalb der Gegensatzstruktur: Was das Eine
ist, kann nicht das Andere sein. Abweichendes, das sich nicht innerhalb der
„entweder/oder Struktur“ einordnen lässt, aber dennoch präsent ist, wird nicht
erfasst. Widersprüchliches oder Nicht-Identisches verliert sich in der
„metaphysischen Einheit von Gegensätzen“ (Wartenpfuhl 2000: 128).
Assimilation
oder
Ausgrenzung
bzw.
„entweder/oder“
negiert
die
Heterogenität und Vielfalt von Wirklichkeit, da Bedeutungen unweigerlich
klassifiziert werden müssen. Abstraktion und Vereinheitlichung ist der
metaphysischen Identitätslogik immanent - es handelt sich hierbei nach
Becker-Schmidt um „eine Manie des Gleichmachenwollens“ (Becker-Schmidt
1989: 53).
9
ausführlich in 3.1.2.
24
Dem klassifizierenden Denken in hegemonial verfassten Dichotomien, der
Abstraktion und Negation von Vielfalt und Heterogenität will die
Dekonstruktion durch Subversion binärer Denkschemata begegnen.
Die dekonstruktivistische Perspektive Derridas soll nun kurz vorgestellt
(3.1.1.) und durch das von Deleuze und Guattari entwickelte rhizomatische
Denken, das in Kapitel 3.1.2. skizziert wird, erweitert werden. Ergebnis der
„fruchtbaren Allianz“ (Wartenpfuhl 2000: 157) von Dekonstruktion und
rhizomatischen Konfigurationen ist der Begriff des Transversalen, der auf eine
Konzeptionalisierung von Geschlecht jenseits metaphysischer Dichotomien
hinweist (3.1.2.). Das transversale Denken wird in Kapitel 3.2. auf die binär
konstituierte Opposition „hiesiger Feminismus/die Anderen“ angewendet, um
die
Möglichkeit
und
das
emanzipatorische
Potential
azentrierter
Forschungsperspektiven auszuloten.
3.1. Dekonstruktion als „Philosophie der Differenz“
Einführend
soll
die
Frage
nach
der
politischen
Bedeutung
des
Dekonstruktivismus, die von weiten Teilen der sozialwissenschaftlichen
Frauenforschung angezweifelt wird (vgl. Wartenpfuhl 2000: 124), kurz
dargestellt werden.
Heinz Kimmerle verortet das Denken Derridas innerhalb einer philosophischen
Strömung, die er als „Philosophie der Differenz“10 bezeichnet (vgl. Kimmerle
2000). Er leitet diesen Begriff aus der Kritik des identifizierenden Denkens ab,
wie sie von Theodor W. Adorno formuliert worden ist (vgl. Adorno 1982).
Adorno als einer der Hauptvertreter der Kritischen Theorie bestimmte bereits
1947 in seinem mit Max Horkheimer verfassten Werk „Dialektik der
Aufklärung“
die
abendländische
Aufklärungsgeschichte
als
eine
Fehlentwicklung. Sein verhaltener Optimismus bezüglich der Kontinuität
aufklärerischer und marxistischer Perspektiven in den 1930er Jahren weicht der
Überzeugung, dass das Programm der Aufklärung in ihr Gegenteil umschlägt:
Völlige Naturbeherrschung und technische Rationalität kennzeichnen die
10
als weitere VertreterInnen dieser Strömung nennt Kimmerle Michel Foucault, Gilles
Deleuze, Jean-Francois Lyotard, Julia Kristeva sowie Luce Irigaray
25
Aufklärung als ein zerstörerisches, herrschaftsicherndes Prinzip, dem eine
Entmenschlichung immanent ist (vgl. Lang 1995). Die Philosophien der
Differenz radikalisieren die Kritik von Adorno, da sie nicht nur die
Aufklärung, sondern die gesamte okzidentale Philosophietradition als
hegemonial begreifen. Somit geht ihre Herrschaftskritik über die Kritik an den
Prinzipien der Aufklärung hinaus. „Differenz denken“ im Sinne der
Philosophien der Differenz bedeutet „nicht identifizieren, das Andere und das
Verschiedene nicht zurückführen auf dasselbe und das Gleichartige“
(Kimmerle 2000: 17).
Dies
steht
der
grundlegenden
Operation
der
abendländischen
Philosophietradition diametral gegenüber: Seit Platon ist sie vornehmlich auf
das Eine, Identische, einem Ursprung gerichtet, von dem aus sie das
Verschiedene zu erschließen versucht. Dem Denken der Identität in der
Tradition dieser Philosophie ist es nicht möglich, das Viele, das Verschiedene,
die
Differenz
zu
erfassen.
Abweichendes,
das
der
metaphysische
Identitätslogik widerspricht, wird negiert, obwohl es präsent ist (vgl. 3.). Die
Anerkennung und das Denken der Differenz kann der „totalitären Gefahr“
(Derrida 1988: 108) entgegenwirken, die der okzidentalen Philosophietradition
eingeschrieben ist. Totalitarismus bzw. die „totalitäre Gefahr“ bezieht sich in
diesem Zusammenhang auf das Denken in binären Oppositionen, dem
ordnenden Prinzip der „entweder/oder Struktur“, das Vielheit, Heterogenität
und Differenz nicht begreifen kann. Die Philosophie der Differenz will diesem
reduktionistischen Gestus der metaphysischen Tradition entkommen. Vielheit,
Heterogenität und Differenz haben ihre Berechtigung und gelten innerhalb der
Philosophien der Differenz als Werte (vgl. Kimmerle 2000: 17). Kimmerle
prognostiziert dem Denken der Differenz ein emanzipatorisches Potential, aus
dem eine politische Praxis resultieren kann, der eine radikale Herrschaftskritik
inhärent ist. Er sieht in der Differenzphilosophie bzw. der Dekonstruktion eine
erfolgversprechende Strategie, „im Horizont allgemeiner Fragestellungen
begriffliche
Mittel
zu
erarbeiten,
die
dazu
beitragen,
bestehende
gesellschaftlich-politische Probleme besser durchdenken und an ihrer Lösung
mitwirken zu können“ (Kimmerle 2000: 12).
Nichtsdestotrotz wird der Perspektive der Dekonstruktion von Teilen der
bundesrepublikanischen
sozialwissenschaftlichen
26
Frauenforschung
der
kritisch-politische Impetus abgesprochen. Worauf gründet diese Kritik?
Vereinfacht geht es um zwei scheinbare Prämissen für feministische
Wissenschaft und Politik, die von der dekonstruktivistischen Perspektive in
Frage gestellt werden: 1. Feministische Wissenschaft benötigt ein stabiles,
identifizierbares Subjekt, auf das sie sich berufen kann (die „Frauen“) und 2.
Feministische Politik ist angewiesen auf politisch-normative Grundlagen und
Zielvorstellungen, von denen aus sie agieren kann.
Beide Axiome werden von der Dekonstruktion problematisiert; denn wird der
radikale Perspektivismus des Dekonstruktivismus ausbuchstabiert, ist es nicht
länger möglich, im Namen aller Frauen zu sprechen, zu forschen oder politisch
zu handeln. Das Kollektivsubjekt Frau des Feminismus ist hegemonial verfasst
und repräsentiert nur die Gruppe von Frauen, die Sexismus als das
Hauptunterdrückungsmoment wahrnehmen – allerdings werden von dieser
Gruppe Aussagen im Namen der Frauen getroffen. Eigene Erfahrungen
werden universalisiert und weitere Unterdrückungsmechanismen, denen
Frauen ausgesetzt sind (z.B. Rassismus, Heterosexismus), nachrangig
behandelt (vgl. 2.1.). Herrschaftsfreies feministisches Handeln und Forschen ist
demnach nur möglich, wenn das Kollektivsubjekt Frau in Frage gestellt wird
und
reflektiert
wird,
dekonstruktivistische
auf
welchen
Subjektkritik
Ausschlüssen
verlangt
eine
es
basiert.
Die
perspektivistische
Kontextualisierung des Begriffs Frau – und stößt damit in ein Wespennest.
Denn auf der Grundlage eines identifizierbaren Subjektes, das abstrahiert und
universalisiert wird, können politische Forderungen und Zielvorstellungen
formuliert werden, die für alle Frauen gelten. Subjektkritik bedeutet sodann
den Verlust von normativen politischen Vorstellungen; wenn die Existenz
eines Kollektivsubjektes Frau Herrschaft organisiert und strukturiert, gilt dies
auch für scheinbar allgemeingültige politische Aussagen. Die Kritik an dem
Kollektivsubjekt Frau kooperiert demnach mit der Kritik an normativen
politischen Grundlagen des Feminismus. Die zentrale Frage, die Butler in
diesem Zusammenhang stellt und die den Kern der Problematik trifft, lautet:
Erfordert Politik ein stabiles Subjekt?11
Bevor ich jedoch auf die politische Handlungsfähigkeit jenseits kollektiver
Subjektkonstitutionen eingehe (5. Kapitel), soll die dekonstruktivistische
11
vgl. hierzu Benhabib/ Butler/Cornell/ Fraser 1993
27
Lesart Derridas vorgestellt werden. Eine nähere Betrachtung seiner Theorie
gibt
Aufschluss
über
den
herrschaftskritischen
Gestus
der
dekonstruktivistischen Perspektive und weist den Vorwurf des Unpolitischen
zurück.
3.1.1. Dekonstruktion im Kontext der Philosophie Derridas
Jaques Derrida formulierte seine Theorie in den 1960er Jahren im Kontext des
französischen Poststrukturalismus. Er bezieht sich jedoch nicht auf
TheoretikerInnen dieser Strömung; er wendet die dekonstruktivistische Lesart
auf Texte der Geschichte der europäischen Philosophie an (so z.B. Hegel,
Marx). Das Erkenntnisinteresse dieser Lektüre formiert sich um die Fragen:
Was verschweigt der Text? Auf welchen unbewussten Voraussetzungen und
Ausschlüssen basiert er? Wo befindet sich der „blinde Fleck“ des Autors? Der
Punkt, von dem dieser aus sieht und den er gerade deshalb nicht sehen kann?
Die dekonstruktivistische Lesart Derridas versieht Texte, die in der
metaphysischen Tradition stehen, mit Randbemerkungen und Kommentaren –
Derrida liest und schreibt somit zwischen den Zeilen. Demnach geht es um die
Erfassung des Verborgenen der metaphysischen Tradition, um das, was durch
die
allgegenwärtige
Gegensatzstruktur
sowie
der
Ursprungsannahme
verschwiegen, subsumiert, eliminiert und verdrängt wurde.
Der Begriff der Dekonstruktion verweist kritisch auf den von Martin
Heidegger12 (1889-1976) geprägten Terminus Destruktion. Das Programm
einer Destruktion der Metaphysik wurde von Heidegger als die Aufgabe des
zweiten Teils von „Sein und Zeit“ (1927) formuliert. Durch eine Destruktion
der Metaphysik will er den Grund freilegen, auf dem metaphysische Systeme
aufgebaut sind. Im Kontext der Fragestellung von „Sein und Zeit“ beinhaltet
der Begriff Destruktion eine kritische Prüfung der Geschichte der
abendländischen Ontologie. Die in dem Terminus „Destruktion“ enthaltende
negative Konnotation, das destruktive Element, ergänzt Derrida durch die Silbe
kon. So betont er den konstruktiven Charakter der Dekonstruktion, die
Heideggers Schrift „Identität und Differenz“ gilt als Gründungsdokument der
Differenzphilosophie (vgl. Kimmerle 2000: 18)
12
28
zerstörerisch und aufbauend zugleich ist. Außerdem verweist die Silbe kon auf
eine dem Kontext angepasste Perspektive. Kimmerle spricht in diesem
Zusammenhang von einem „Perspektivismus des Denkens“ (Kimmerle 2000a:
48), der das erneute Verabsolutieren eines Standpunktes vermeiden kann.
Wenn nun die Dekonstruktion eine dem Kontext angepasste Perspektive ist,
handelt es sich hierbei um eine philosophische Methode? Methodische
Vorgehensweisen implizieren verallgemeinerte Regeln, die es zulassen, von
kleinen Phänomenen auf das Ganze zu schließen. Abstrahierte und universelle
Aussagen stehen jedoch den Ansprüchen der dekonstruktivistischen Lesart
diametral gegenüber. Daher widersetzt sich Derrida der Vermutung, dass es
sich bei der Dekonstruktion um eine Methode handelt, da eine Methode „eine
Technik des Befragens oder der Lektüre ist, die ohne Rücksicht auf die
idiomatischen Züge in anderen Zusammenhängen wiederholbar sein soll“
(Derrida 1987: 70). Methoden bergen demnach die „totalitäre Gefahr“ in sich,
von der bereits weiter oben die Rede war – also genau das, was das
Derridasche
Unternehmen
verhindern
will.
Dennoch
existieren
Orientierungspunkte und „relative Regeln“ (Wartenpfuhl 2000: 133), die die
Dekonstruktion erst ermöglichen: 1. Die Erweiterung des Textbegriffs sowie 2.
die Anerkennung der Heterogenität von Texten.
In Kapitel 2.2. wurde der erweiterte Textbegriff bereits präzisiert. Um der
Dekonstruktion ihre Möglichkeit zu geben, geht Derrida von einem Textbegriff
aus, der alles umfasst:
“Der Text beschränkt sich folglich nicht auf das Geschriebene, auf das, was man Schrift nennt
im Gegensatz zur Rede. Die Rede ist ein Text, die Geste ist ein Text, die Realität ist ein Text in
diesem neuen Sinne“ (Derrida 1987: 108).
Das heißt, dass Wirklichkeit als Text gelesen und verstanden werden kann. Der
Text beschränkt sich nicht auf Geschriebenes oder Gesprochenes – Text im
Sinne der dekonstruktivistischen Lesart versteht z.B. die Kategorie Geschlecht
als Text, ebenso wie kulturelle Phänomene oder politische Praxen13.
Peter Engelmann sieht in dem erweiterten Textbegriff eine „bekannte,
grundlegende Geste“ (Engelmann 1990: 20) der Philosophie: Der erweiterte
Textbegriff konstituiere eine Allgemeinheit und Derrida erfülle damit eine in
der
Philosophie
traditionell
geforderte
13
Voraussetzung,
nämlich
die
die politischen Implikationen des erweiterten Textbegriffs zeige ich im 5. Kapitel anhand der
„riot grrrl“- Bewegung
29
Praktizierung einer methodischen Vorgehensweise. Derrida kritisiert jedoch die
Logik der Methode, da diese durch Abstraktion zu universellen Aussagen
gelangt, die der Heterogenität von Wirklichkeit und seiner Forderung nach
einer radikalen perspektivistischen Sichtweise auf Dinge nicht gerecht werden
kann. Der erweiterte Textbegriff als Prämisse für die Dekonstruktion scheint
demnach ein Einfallstor für KritikerInnen der dekonstruktivistischen Lesart zu
sein. Um diesem Dilemma zu entkommen, greift Engelmann die Metapher
einer Leiter auf, die nach Gebrauch zurückgestossen wird, wenn man auf ihr
hochgestiegen ist. Er bezeichnet die Bedingung des erweiterten Textbegriffs als
eine Gratwanderung, die der Dekonstruktion inne wohnt. Außerdem verweist
er auf die zweite Bedingung der Dekonstruktion; denn wenn von der „Existenz
einer Vielzahl von Sprachen“ (Engelmann 1990: 25) ausgegangen wird,
beschneidet dies die Verallgemeinbarkeit von Regeln bzw. die Kennzeichnung
der Dekonstruktion als Methode: „Die Aufmerksamkeit für den Kontext, die
Derrida auch Abhängigkeit nennt, grenzt den Allgemeinheitsgrad der
gewinnbaren Regeln ein, sie ist dafür verantwortlich, das (sic!) es keine
allgemeine Methodologie der Dekonstruktion gibt“ (ebd.: 26).
Dieser
Aspekt
verdeutlicht
das
poststrukturalistische
Moment
der
dekonstruktivistischen Lesart. Die Anerkennung der Heterogenität von Texten,
die Vielzahl von Sprachen bricht mit der starren, von Ferdinand de Saussure
(1857 - 1913) entwickelten Vorstellung einer in sich geschlossenen,
universalistischen und strukturell aufgebauten Sprache. Im folgenden stelle ich
die Überlegungen des linguistischen Strukturalismus de Saussures‘ sowie die
des Poststrukturalismus14 kurz vor, um die Zentralität des erweiterten
Textbegriffs innerhalb der Theorie der Dekonstruktion zu begründen.
De Saussure gilt als Begründer des linguistischen Strukturalismus. In den
1960er Jahren erfolgte eine breite Rezension seiner posthum veröffentlichten
Schriften, die als „‚Gründungstext‘ für ein neues differenztheoretisches
Denken“ (Stäheli 2000: 17) gelten. Für de Saussure ist Sprache ein System von
Zeichen, bestehend aus einem „Bezeichnenden“ und einem „Bezeichneten“.
Jedes Zeichen ist demnach die Verbindung von Signifikat und Signifikant. Die
Anreihung der Buchstaben TISCH ist das Bezeichnende (Signifikant bzw.
14
zu den TheoretikerInnen, die als PoststrukturalistInnen bezeichnet werden können, gehören
u.a. Jacques Derrida, Gilles Deleuze, Félix Guattari, Jacques Lacan, Judith Butler, Jean
Baudrillard und Michel Foucault (vgl. Stäheli 2000: 6)
30
Lautbild), das das Bezeichnete Tisch (Signifikat bzw. die Vorstellung eines
Gebildes auf womöglich vier Holzbeinen) impliziert. Die Verbindung oder
Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat ist willkürlich gewählt; de
Saussure verweist hiermit auf die Arbitrarität von Zeichen. Wirklichkeit wird
nicht von der Sprache widergespiegelt, sondern erst durch sie hervorgebracht.
De Saussures‘ Strukturalismus bestreitet eine natürliche Verbindung zwischen
Wort und Sache; Sinn und Bedeutung eines Zeichens sind konstruiertes
Ergebnis bestimmter Bedeutungssysteme, die von allen Menschen geteilt
werden. Jegliches Zeichen gewinnt nur durch Verschiedenheit von anderen
Zeichen eine Bedeutung. Tisch bedeutet nicht Stuhl. Somit ist „die Bedeutung
(...) dem Zeichen nicht auf geheimnisvolle Weise immanent, sondern sie ist
funktional, das Ergebnis seiner Verschiedenheit von anderen Zeichen“
(Eagleton 1988: 75). Hier greift die Relationalität des Zeichens: Es erlangt nur
in einem Beziehungsgeflecht mit anderen Zeichen, einem Zeichensystem oder
Differenzsystem, eine Bedeutung. Ein Zeichen kann demnach nicht
verabsolutiert oder einer autonomen Betrachtung unterzogen werden. Es erhält
erst im Zusammenspiel mit anderen Zeichen einen Sinn. Entscheidend ist somit
nicht das Zeichen an sich, sondern seine Stellung oder Position innerhalb eines
Differenzsystems.
Das zeichentheoretische Modell de Saussures, das auf einer symmetrischen
Einheit zwischen einem bestimmten Signifikanten und einem bestimmten
Signifikat fundiert, wird durch den Poststrukturalismus in Frage gestellt. Die
Differenztheorie des Zeichens kann aus der poststrukturalistischen Perspektive
auf einer weiteren Ebene angewandt werden. Der Signifikant „Tisch“
transportiert die Vorstellung eines Tisches, weil er sich von dem Signifikant
„Fisch“ unterscheidet. Das Signifikat ist hier das Ergebnis der Differenz zweier
Signifikanten - und damit das Ergebnis der Differenz zu vielen anderen
Signifikanten. Die Differenzkette ließe sich unendlich weiterführen und stellt
de Saussures Modell in Frage: „Bedeutung ist das Nebenprodukt eines
potentiell endlosen Spiels von Signifikanten und nicht so sehr eine Vorstellung,
die fest an einen bestimmten Signifikat geklebt worden ist“ (Eagleton 1988:
110/111).
Derrida geht einen Schritt weiter, indem er den Signifikanten vom Signifikat
trennt. Es existiert keine absolute Unterscheidung zwischen Signifikanten und
31
Signifikat, ihr Zusammenspiel ist zirkulär. Terry Eagleton beschreibt diesen
Vorgang folgendermaßen: „Wenn man die Bedeutung (oder das Signifikat)
eines Signifikanten herausfinden will, kann man im Wörterbuch nachschlagen;
aber was man dort finden wird, sind nur noch mehr Signifikanten, deren
Signifikate man wiederum nachschlagen kann, etc.“ (ebd.: 111). Die
Bedeutung eines Zeichens ist immer als Resultat einer Teilung von Zeichen zu
betrachten. Sie ist demnach nicht unmittelbar gegeben; vielmehr wird sie durch
die Abwesenheit anderer Bedeutungen hergestellt, sie ist „niemals in einem
Zeichen vollständig präsent, sondern stellt mehr eine Art konstantes Flackern
von gleichzeitiger An- und Abwesenheit dar“ (ebd.: 111). Die Eindeutigkeit
des zeichentheoretischen Modells de Saussures verliert sich in der Hybridität
seiner Signifikanten.
Die scheinbare Stabilität des Zeichenmodells oder der Sprache wird noch an
einem anderen Punkt angegriffen: Bedeutungen sind kontextabhängig. Dies
widerspricht dem ahistorischen, formalen Charakter strukturalistischer
Analysen. Das Signifikat ist mit der Signifikantenkette, in der es sich zu einem
bestimmten
Zeitpunkt
Bedeutungskette
ist
befinden,
irgendwie
verstrickt:
von
allen
„Jedes
anderen
Zeichen
in
überzogen
der
oder
durchdrungen, um so ein komplexes, unerschöpfliches Gewebe zu bilden“
(ebd.: 112). Signifikanten verweisen auf andere Signifikanten, diese wiederum
auf weitere - wo eine Bedeutung aufhört, beginnt die nächste. Zeichen können
demnach nicht eindeutig sein, da sie immer die Spuren anderer Zeichen in sich
tragen und „sich für die Spuren der folgenden offenhalten“ (ebd.: 112). Daraus
folgt ein neues zeichentheoretisches Modell, das die Statik des Strukturalismus
überwindet: Kein Zeichen, kein Element kann vollständig definiert werden
oder jemals absolute Bedeutung erlangen, da alles zirkuliert, an- oder
abwesend ist, ja sogar austauschbar erscheint.
Die poststrukturalistische Zeichentheorie verweist hiermit auf die Dialektik der
Bedeutungsbildung von Texten, welche „die Verbindung zwischen Signifikat
und Signifikant nur zu einem Moment flüchtiger Stabilität in einem ständigen
Prozeß“ (Lutter/Reisenleitner 1998: 73) werden lässt. Während der
strukturalistische Ansatz ein „zugrundeliegendes Regelsystem, eine Art
Grammatik der symbolischen Ordung“ (ebd.: 73) annimmt, will die
poststrukturalistische Analyse „den Prozeß der Produktion von Bedeutungen in
32
ihrer ständig wechselden Relationalität analysieren“ (ebd.: 73). Sprache
erschließt sich demnach kontextuell und ist
„auf keinen festen Punkt zu reduzieren. (...) Anzuerkennen, dass es eine Vielzahl von Sprachen
gibt, die die Vielzahl der unterschiedlichen Kontexte bestimmen, so wie diese Kontexte die
Vielzahl der Sprachen bedingen, heißt die Anerkennung von Heterogenität eines Textes, Text
in dem von Derrida erweiterten Sinne“ (Wartenpfuhl 2000: 134).
Als Konsequenz aus dem erweiterten Textbegriff existiert für Derrida kein
Text-Außerhalb. Das bedeutet zudem, dass die binär codierte Sprache, die
dichotome Logik der herrschenden begrifflichen Ordnung, nicht verlassen
werden kann. Dekonstruktion ist demnach nur von Innen her möglich; sie
begibt sich in den zu dekonstruierenden Text hinein, um ihn durch seine eigene
Logik und der ihm innewohnenden Prinzipien zu überführen. Dies gelingt
Derrida durch eine „doppelte Geste“, einer „doppelten Wissenschaft“ (vgl.
Wartenpfuhl 2000: 135), die er in zwei Phasen einteilt.
Die erste Phase, die Derrida als die „Phase des Umbruchs“ beschreibt, entlarvt
die im Text enthaltenen binären Oppositionen als eine hierarchisch
angeordnete Gegensatzstruktur. Sie verdeutlicht, dass
„man es bei einem klassischen philosophischen Gegensatz nicht mit der friedlichen Koexistenz
eines Vis-à-Vis, sondern mit einer gewaltsamen Hierarchie zu tun hat. Einer der beiden
Ausdrücke beherrscht (...) den anderen, steht über ihm“ (Derrida 1986: 88).
Die erste Phase der Dekonstruktion besteht nun darin, die Hierarchie der im
Text enthaltenden binären Oppositionen umzustürzen. Diese Phase der
Umwertung bzw. des Umsturzes einer binären Opposition kennzeichnet die
vermeintliche
Gegensatzstruktur
(philosophischer)
Begriffe
als
interdependentes bzw. wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis: Das Eine, das
Zentrierte, ist konstitutiv für das Andere, Marginalisierte und umgekehrt. Zum
Beispiel ist Weiblichkeit als das entgegengesetzte Andere von Männlichkeit
konstitutiv für die Positionierung und Identifizierung von Männlichkeit. Das
privilegierte bzw. zentrierte Männliche erlangt seine Definition durch das
marginalisierte Weibliche und wird dadurch erst ermöglicht; die Existenz des
Anderen ist Voraussetzung und Bedingung für die Existenz des Einen. Das
Andere
des
privilegierten,
zentrierten
Begriffs
fungiert
für
diesen
identitätsstiftend – das Eine wird durch das Andere geschaffen.
Die Phase des Umbruchs verdeutlicht somit die Interdependenz binärer
Oppositionen. Allerdings lässt sie das zu dekonstruierende Feld intakt. Denn
findet eine bloße Umkehrung binärer Oppositionen statt, wird z.B.
33
Weiblichkeit als das Zentrierte, Ursprüngliche und Männlichkeit als das
Marginalisierte der begrifflichen Ordnung stilisiert, ist das metaphysische
Prinzip der Binarität wieder hergestellt.
Es bedarf somit einer weiteren Geste, „die der Verschiebung des allgemeinen
Systems, die weder das Zentrierte auflöst, noch das Marginalisierte
vereinnahmt oder Widersprüche aufhebt“ (Wartenpfuhl 2000: 136). Diese
Geste nennt Derrida différance - différance mit „a“ statt mit „e“15, um die
„Konfliktgeladenheit und Produktivität von ‚différance‘“ (Wartenpfuhl 2000:
137) zu unterstreichen. Kimmerle hebt die Bedeutung des graphischen
Einschubes „a“ durch folgende Formulierung hervor: „Zugespitzt kann man
sagen, bei Derridas ‚Philosophie der Differenz‘ geht es schließlich um einen
Buchstaben, den Buchstaben ‚a‘ (...)“ (Kimmerle 2000a: 77). Der Buchstabe
„a“ innerhalb des Begriffs der „différance“ lässt sich akustisch nicht
wahrnehmen, ist aber dennoch präsent. Dies verweist auf das Verborgene,
Verdrängte
der
metaphysischen
Philosophietradition,
das
durch
die
„différance“ sichtbar wird. Zudem wirkt der graphische Einschub „a“, die
Schreibweise der „différance“, irritierend, was als ein Hinweis auf den
subversiven Charakter der Dekonstruktion gelesen werden kann.
Derrida setzt durch die différance etwas neben die Struktur der binären
Oppositionen; seine Philosophie ist demnach weder einheitlich noch
gegensätzlich. Die erneute Festlegung auf eine hierarchisch angeordnete
„entweder/oder“ -Position wird durch die Markierung des Abstandes als das
„Unentscheidbare“ (Wartenpfuhl 2000: 136) verhindert. Das Unentscheidbare
siedelt sich jenseits der Binarität an und fungiert als die „allgemeine
Verschiebung des Systems“ (ebd.: 137). Um dies zu verdeutlichen, assoziiert
Derrida die différance mit einem Bündel oder Gewebe von dezentrierten
Kraftlinien. Gegensätze sind nicht länger an festen Orten zu lokalisieren.
Vielmehr fluktuieren sie innerhalb eines Gewebes bzw. Netzes aus
unterschiedlichen Kraftlinien und sind anwesend und abwesend zugleich. Die
différance verweist auf diese Gleichzeitigkeit, die jedoch nicht die Aufhebung
oder Auflösung von Gegensätzen zu einer Einheit impliziert: „Kein Begriff
Kimmerle spricht in diesem Zusammenhang von „Differänz“, wobei er betont, dass diese
Übersetzung einen wichtigen Punkt Derridas nachahmt: Die Veränderung der Schreibweise
wirkt sich nicht auf das gesprochene Wort aus (vgl. Kimmerle 2000: 77)
15
34
darf zu Gunsten des anderen verworfen werden, sondern ein Begriff stellt die
Notwendigkeit für den anderen dar“ (ebd.: 141).
Derrida leitet différance von dem Verb „différer“ ab, welches zwei
verschiedene Bedeutungen vereint: Zum einen meint „différer“ Verzögerung,
Umweg, Aufschub, zum anderen nicht identisch sein, anders sein. Ersteres
bezeichnet Derrida als Verzeitlichung („différer“ im Sinne von „aufschieben“),
zweiteres als Verräumlichung („différer“ im Sinne von „verschieden sein“).
Am Beispiel des Realitäts- und Lustprinzips bei Siegmund Freud zeigt Derrida,
dass Verzeitlichung als ständiges Aufschieben mit der zweiten Bedeutung von
„différer“ (Verräumlichung) – sich unterscheiden, nicht identisch sein –
kooperiert.
Nach der Freudschen Theorie regelt das Lustprinzip („es“) die psychischen
Primärvorgänge
des
Individuums,
welche
nach
einer
sofortigen
Bedürfnisbefriedigung streben. Demgegenüber steht das Realitätsprinzip
(„ich“), das imstande ist, die Lust zu kontrollieren. Freud sieht das Lustprinzip
(Streben nach Lust, Vermeidung von Unlust) mit dem Realitätsprinzip
konfrontiert, da das Realitätsprinzip die Einschränkungen der Lusterfüllung
organisiert. Derrida zeigt nun, dass die zwei scheinbar entgegengesetzten
Prinzipien nach der Ökonomie der différance verfahren: Das Realitätsprinzip,
das die Befriedigung von Bedürfnissen aufschiebt (Verzeitlichung), ist der
Umweg (Verräumlichung) zur Lust. Durch Aufschub vermehrt und strukturiert
das Realitätsprinzip das Lustprinzip; es erweist sich als „langer Umweg zur
Lust“ (Kimmerle 2000: 82).
Hier greift die différance, welche Realitäts- und Lustprinzip als Element des
Gleichen bestimmt. Die scheinbar entgegengesetzten Prinzipien liegen
ineinander und unterscheiden sich lediglich durch Aufschub und Umweg:
„Gegensätze werden zu differentiellen Verweisungen, die nicht mehr in einem
hierarchischen Verhältnis stehen, sondern als ein Gewebe von Differenzen“
(Wartenpfuhl 2000: 139). Sie sind Elemente eines Bündels dezentrierter
Spuren, die aufeinander verweisen und sich aufeinander beziehen. Der Begriff
der Spur ist zentrales Element der dekonstruktivistischen Lesart. Wenn nach
Wartenpfuhl différance die „differentielle Verweisung von einer Spur auf die
andere“ bedeutet und sich „in keinem Moment (...) etwas außerhalb des
Bereiches der differentiellen Verweisungen“ (ebd.: 138) fixieren lässt, wird das
35
metaphysische
Unternehmen
dekonstruiert.
Derrida
setzt
dem
identitätslogischen Ursprungsdenken den Begriff der Spur daneben. Sie ist
weder ein „Grund, noch eine Begründung, noch ein Ursprung“ (Derrida 1986:
106). Als Folge dessen ist für Derrida das nicht-Identische, das in der
okzidentalen Philosophietradition als das Andere gesetzt wird (vgl. 2.2), das
Gleiche. Denn scheinbare Gegensätze befinden sich in einem Kräftestreit, der
durch Aufschub und Umweg gekennzeichnet ist. Durch das Konstrukt der
différance werden binäre Oppositionen als relationaler Teil des Gleichen
bestimmt. In diesem Sinne lässt sich jedes philosophische Gegensatzpaar, so
z.B. Kultur/Natur, intelligible/sinnlich, männlich/weiblich, dekonstruieren. Der
eine Begriff der Gegensatzstruktur erscheint als die différance des anderen.
Hall beschreibt den Kunstgriff der différance so: „Derrida jedoch betritt in dem
Maße neuen Boden, indem er ‚verschieden sein‘ unmerklich in ‚aufschieben‘
übergehen lässt“ (Hall 1994: 75).
Diese Beschreibung der différance betont den subversiven Charakter der
dekonstruktivistischen Perspektive. Unmerklich wie das akustisch nicht
wahrnehmbare „a“ der différance stellt die Dekonstruktion die Machtfrage.
Wissenschaften sowie Gesellschaften, die in der Tradition der okzidentalen
Philosophie stehen, privilegieren und marginalisieren über binäre Oppositionen
spezifische Subjektpositionen:
„Mit wissenschaftlichen wie auch vor allem mit gesellschaftlich gängigen
Bezeichnungspraktiken, wie die – ‚Frauen‘, ‚MigrantInnen‘, ‚Homosexuelle‘, ‚dritte Welt‘ –
sind ganz anders sollen die binären Oppositionen und Trennungen zwischen Frauen und
Männern, MigrantInnen und Mehrheitsdeutschen, Homosexuellen und Heterosexuellen,
Peripherie und Zentrum aufrechterhalten und so deutlich wie möglich markiert werden“
(Wartenpfuhl 2000: 156).
Die hegemoniale gesellschaftliche Norm wird demnach durch dichotome
Benennungspraktiken produziert und reproduziert. Wenn nun durch die
Dekonstruktion hierarchisch strukturierte, binär verfasste Oppositionen als
Elemente des Gleichen bestimmt werden, dokumentiert dies den antihegemonialen Impetus der dekonstruktivistischen Lesart. Das Stellen der
Machtfrage manifestiert sich in der „Dekonstruktion binärer Oppositionen als
Verschiebungen und Verrückungen von Grenzen“ (Wartenpfuhl 2000: 156).
Die anfänglich aufgestellte Vermutung, dass es sich bei der Dekonstruktion entgegen
der
Annahme
weiter
Teile
der
sozialwissenschaftlichen
Frauenforschung - um eine politisch-kritische Verfahrensweise handelt, kann
36
somit bestätigt werden. Konkretisiert wird das emanzipatorische Potential der
Dekonstruktion durch die Verquickung der Derridaschen différance mit der
Metapher des Rhizoms - ein Wurzelstock mit sehr langen und nach allen
Richtungen hin verzweigten Wurzeln - von Deleuze und Guattari. Das Rhizom
illustriert die différance und zeichnet sich nach Wartenpfuhl durch „einen
besonders antiautoritären Gestus“ (Wartenpfuhl 2000: 157) aus. Die
Verbindung von différance und rhizomatischen Konfigurationen beschreibt
Wartenpfuhl als transversales Denken, das im folgenden dargestellt wird.
3.1.2. Azentrierung durch rhizomatisches Denken
Gilles Deleuze entwickelte seine Theorie im gleichen Zeitraum wie Derrida.
Sein Hauptwerk erschien 1968 unter dem Titel „Differenz und Wiederholung“.
Obwohl beide Theoretiker nicht explizit Bezug aufeinander nehmen, weisen
ihre Ausführungen über das Denken von Differenz überraschende Parallelen
auf. Diese Parallelen zu dem Denken Derridas werden vor allem in der Schrift
„Rhizom“ von 1976 deutlich, in der Gilles Deleuze gemeinsam mit Félix
Guattari die Metapher des Rhizoms als Ausdruck azentrierten Denkens
formuliert.
Nach Wartenpfuhl ist „die Metapher des Rhizoms eine treffende Bestimmung
für das, was die différance zu benennen versucht“ (Wartenpfuhl 2000: 158).
Die différance denkt Gegensätze als Gewebe von Differenzen; das Rhizom ist
vor diesem Hintergrund als eine Metapher zu begreifen, da es ein natürliches
Gewebe aus sehr langen, verzweigten Wurzeln ist, die über- und untereinander
sowie in alle Richtungen verlaufen. Das Rhizom visualisiert somit die
différance.
Das von Deleuze und Guattari entworfene rhizomatische Denken wendet sich –
ebenso wie der Kunstgriff der différance – gegen ein identifizierendes Denken
in binären Oppositionen, das Ausschluss, Subsumtion und Hegemonie sichert.
Um das rhizomatische Denken, das Denken in Verkettungen, Verflechtungen
und Verbindungen zu erklären und von anderen Denkformen abzugrenzen,
greifen sie auf zwei weitere idealtypische Denkarten zurück, die sie wiederum
durch Wurzeltypen veranschaulichen. Deleuze und Guattari sprechen in diesem
37
Zusammenhang auch von drei verschiedenen Buchtypen, die sie in einen
historischen Kontext stellen:
Der erste Buchtyp gleicht dem Modell eines Wurzelbaums. Der Wurzelbaum
steht für das metaphysische Denken. Nach Deleuze und Guattari hat das
Wurzelbuch „die Mannigfaltigkeit nie begriffen“ (Wartenpfuhl 2000: 159), da
es einer „ursprünglichen Einheit, jener Hauptwurzel, die die Nebenwurzel
trägt“ (Deleuze/Guattari 1976: 14), verhaftet ist. Es folgt einer dichotomen
Logik, die auf einem Ursprung bzw. einer vorangehenden Einheit fußt.
Dieses
essentialistische
Denken
entspricht
einer
bestimmbaren,
identifizierbaren und definitiv festgeschriebenen Kategorie Geschlecht.
Geschlecht ist demnach nur in einer „entweder/oder Struktur“ zu begreifen –
entweder Frau oder Mann – und existiert als Essenz und Wahrheit innerhalb
sozialer Wirklichkeit. Das Denkmuster der okzidentalen Philosophietradition
spiegelt sich in der Metapher einer ursprünglichen Hauptwurzel, an die
mehrere Nebenwurzeln angeschlossen sind. Die Nebenwurzel „Frau“, die von
der Hauptwurzel „Mann“ abgeleitet ist (vgl. Beauvoir 1949, 2.2.) kann
aufgrund natürlicher Gegebenheiten abstrahiert und universalisiert werden.
Innerhalb dieser Logik ist es zulässig, von „der Frau an sich“ zu sprechen, da
das Kollektivsubjekt „Frau“ sich innerhalb eines naturgegebenen Systems von
Zweigeschlechtlichkeit von dem „Mann an sich“ unterscheidet. Deleuze und
Guattari bestimmen den ersten Buchtyp als das „älteste klassische Denken, das
‚völlig abgenutzt‘ ist“ (Wartenpfuhl 2000: 159 und Deleuze/Guattari 1976: 8).
Der zweite Buchtyp veranschaulicht das moderne Denken. Das Wurzelbüschel
als Sinnbild für modernes Denken symbolisiert das System der kleinen
Wurzeln, welches im Gegensatz zu dem klassischen Denken die Heterogenität
und Vielheit zu begreifen versucht. Für Deleuze und Guattari stellt jedoch
allein der Versuch, die Mannigfaltigkeit zu verstehen, den Wunsch nach
Einheit und Totalität dar. Das moderne Denken bleibt somit der Logik des
Ursprungs verhaftet:
„Die Hauptwurzel ist verkümmert, ihr Ende abgestorben; und schon beginnt eine Vielheit von
Nebenwurzeln wild zu wuchern. Hier erscheint die natürliche Realität als Verkümmerung der
Hauptwurzel; gleichwohl besteht ihre Einheit als vergangene, zukünftige oder als mögliche
fort“ (Deleuze/Guattari 1976: 9).
38
Wartenpfuhl nennt als Beispiel hierfür das Verfahren der Identitäten-Addition
(vgl. 2.1.) in Teilen der sozialwissenschaftlichen Frauenforschung, das nach
Butler das Streben nach einem identifizierbaren, situierten Subjekt verdeutlicht.
Der
Kategorie
„Frau“
werden
verschiedene
Subjektpositionierungen
hinzugefügt (z.B. sexuelle Orientierung, Ethnizität und Klasse), um sie zu
vervollständigen und abzuschließen. Dieses kategorische Denken widerspricht
dem Denken in Verflechtungen und Verkettungen, da z.B. das binäre
Geschlechtermodell unangetastet bleibt: „Mannigfaltigkeit ist also in diesem
Zusammenhang nur durch die Beibehaltung von Einheit möglich, die Vielheit
wird der Einheit hinzuaddiert oder hinzugefügt“ (Wartenpfuhl 2000: 160).
Mannigfaltigkeit kann hiernach nicht durch Ergänzung einer Dimension durch
weitere Dimensionen erreicht werden. Deleuze und Guattari schlagen das
Gegenteil vor: Anstatt des Hinzufügens von Dimensionen „muß man (...) in
allen Dimensionen, über die man verfügt, das Einzelne abziehen, also jedesmal
n –1 Dimensionen“ (ebd.: 161). Kategorien und Klassifikationen werden durch
n –1 dekonstruiert; sie werden nicht in ihrer einheitlichen, dichotomen Struktur
bestätigt, sondern als differentielle Linien und Spuren bestimmt (vgl. 3.1.1.). n
–1 entspricht in diesem Zusammenhang der différance und verweist auf das
rhizomatische Denken in Verflechtungen, Verkettungen und Verbindungen.
Der dritte Buchtyp definiert das rhizomatische Denken als die aktuelle Form
des Denkens. Während das metaphysische sowie das moderne Denken den
Prinzipien der Einheit und Ursprünglichkeit folgen, zeichnet sich das
rhizomatische Denken durch Konnexion und Heterogenität aus: „Im
Unterschied zum Baum (metaphysisches Denken) oder der Wurzel (modernes
Denken), die einen Punkt und eine Ordnung festsetzen, wird im Rhizom jeder
Punkt mit jedem anderen Punkt verbunden“ (Wartenpfuhl 2000: 161). Das
bedeutet, dass die Mannigfaltigkeit durch die Zunahme von Dimensionen keine
bloße Erweiterung erfährt, sondern seine Beschaffenheit verändert. Wenn nun
die Kategorie Geschlecht mit anderen Subjektpositionierungen wie Ethnizität
oder Klasse verflochten wird, nimmt die Dimension der Kategorie nicht
einfach im Sinne einer Identitäten-Addition zu. Vielmehr verändert sich die
gesamte Beschaffenheit und der Gehalt der Kategorie Geschlecht.
39
Butler zeigt anhand ihrer Filminterpretation von „Paris is burning“ (1995), wie
sich „Differenzen in, durch und mit anderen Kategorien sozialer Schließung
artikulieren“ (Wartenpfuhl 2000: 147). Die Logik des Identifizierens
verschiedener Subjektpositionierungen wie Geschlecht, sexuelle Orientierung,
Ethnizität oder Klasse sowie deren Aneinanderreihung durch ein „verlegenes
usw.“ (Butler 1991: 210) bringt die Konnexion von Differenzen nicht zum
Ausdruck und bleibt der Identitätslogik verhaftet. Butler illustriert dies anhand
ihrer Analyse von „Paris is burning“. Sie dezentriert die binär verfasste
Kategorie Geschlecht, indem sie aufzeigt, wie diese durch andere binär
verfasste Differenzen getragen und hervorgebracht wird.
Die Hauptdarstellerin des Films, Venus Xtravaganza, ist eine Latina,
voroperative Transsexuelle und Prostituierte. Ihr Wunsch, eine Frau zu werden,
äussert sich in dem Traum von einem Haus am Stadtrand, einer
Waschmaschine und einem Ehemann, der für ein „bestimmtes Klassen- und
Rassenprivileg steht“ (Butler 1995: 175). Die Subjektpositionierung Frau
beinhaltet für Venus Xtravaganza somit nicht nur eine Bezugnahme auf die
Kategorie Geschlecht – vielmehr verbindet sie mit dem Begriff „Frau“ eine
bestimmte Vorstellung von Ethnizität und Klassenzugehörigkeit: „Frau“ zu
sein bedeutet für sie, von Rassismus und Armut befreit zu werden. Die
Identifikation mit der Positionierung „Frau“ erfolgt, um an Privilegien
teilzuhaben.
Geschlecht
ist
demnach
durch
Ethnizität
und
Klassenzugehörigkeit markiert:
„Die Identifizierung mit einem sozialen Geschlecht kann erfolgen, um die Identifizierung mit
einer Rasse zu verwerfen oder an ihr teilzuhaben; was als ‚Ethnizität‘ gilt, gestaltet und
erotisiert Sexualität oder kann selbst eine sexuelle Markierung sein“ (Butler 1995: 160).
Butler verweist hiermit auf die Verknüpfungen und Verflechtungen
verschiedener Identifizierungen und Subjektpositionierungen. Geschlecht kann
nicht als Universalie oder Essenz bestimmt werden, da sich die Bedeutung von
Geschlecht kontextuell erschließt. Hier greift die Metapher des Rhizoms:
Geschlecht kann nur in Konnexion mit anderen Elementen begriffen werden.
Rhizomatische Konfigurationen verhindern so das Absolutsetzen von
Differenzen. Differenzen sind nicht länger identisch, sondern relational
aufgrund ihrer unterschiedlichen Konnexionen mit anderen Differenzen.
Geschlecht kann nicht innerhalb der dichotomen Struktur "Mann/Frau" verortet
werden, da seine Bedeutung kontextuell variiert und sich nicht mehr eindeutig
40
festschreiben lässt: „Geschlecht ist dann nicht mehr innerhalb einer binären
Logik zu denken, wie beispielsweise in Natur/Kultur- oder Mann/FrauOppositionen, sondern als Spur oder Linie, die sich mit anderen Linien kreuzen
und diese Linien zusammen sind rhizomatisch verbreitet“ (Wartenpfuhl 2000:
163). Demnach erfolgt eine Azentrierung der Kategorie Geschlecht, die nach
Wartenpfuhl mit dem Vorgang der Dekonstruktion zu vergleichen ist. Jedoch
verdeutlicht vor allem das azentrische System des Rhizoms den Bruch mit
jeder Vorstellung von Ordnung und Struktur:
„Im Unterschied zu einer Struktur sind die Punkte in einem azentrischen System keine
lokalisierbaren und damit festgelegten Einheiten oder Entitäten, sondern die Punkte sind
miteinander verbunden, und nicht jede Verbindung oder Linie eines Punktes verweist
notwendigerweise auf andere, gleichartige Linien. Es sind die unterschiedlichsten Linien, die
aufeinanderzu- oder voneinanderweglaufen, die sich kreuzen und mischen. Ein Rhizom besteht
aus Dimensionen, aus beweglichen Richtungen, es hat weder Anfang noch Ende (...)“ (ebd.:
169).
Hier zeigt sich der anfangs erwähnte „anti-autoritäre Gestus“ des
rhizomatischen
Denkens.
Während
zentrierte
(metaphysische)
und
polyzentrische (moderne) Denksysteme Hierarchie und Autorität organisieren,
erkennt das azentrierte (rhizomatische) Denken – ähnlich wie die différance hierarchisch angeordnete Gegensatzstrukturen als ein Gewebe von Differenzen,
Spuren und Linien.
Wartenpfuhl entwickelt den Begriff des Transversalen aus der azentrischen
Vorgehensweise der différance sowie der des rhizomatischen Denkens.
Transversale Verbindungen und Linien desorganisieren Kategorien, da sie
„schräg-, diagonal und querverlaufend (...) über und durch die Dinge hindurch“
(Wartenpfuhl 2000: 170) binäre Oppositionen als relationalen Teil des
Gleichen erfassen. Das Denken in Kategorien, das Herrschaft sichert und
produziert, wird durch das Transversale subvertiert.
Transversale Konzeptionalisierungen von Geschlecht tragen somit durch ihren
anti-hegemonialen
Impetus
und
Anspruch
zu
einer
feministischen
Theorieproduktion und -Praxis bei, die postkolonialer Kritik gerecht wird.
Ausschluss und Subsumtion, die im Kontext binärer Denkschemata entstehen,
werden durch die transversale Perspektive vermieden. Der transversale Gestus
soll nun am Beispiel der binär konstituierten Opposition „hiesiger
Feminismus/die Anderen“ illustriert werden.
41
3.2. „Der hiesige Feminismus/die Anderen“
Im 2. Kapitel dieser Arbeit wurde das Muster, auf dem die Unterscheidung
„der hiesige Feminismus/die Anderen“ rekurriert, bereits vorgestellt. Der
„hiesige Feminismus“ als das „herrschende Selbst“ (Gutiérrez Rodríguez 1996:
161) besitzt die Definitionsmacht über „die Anderen“: Migrantinnen werden
als gleich, der hiesigen Frauenbewegung zugehörig, oder als different gesetzt.
Dieses binäre Denkschemata verfährt nach identitätslogischen Prinzipien.
Identitätslogik bedeutet in diesem Zusammenhang Widerspruchsfreiheit, da
Abweichendes, das sich dem Identischen – hier der weißen deutschen
Frauenbewegung – nicht fügt, als das Andere ausgegrenzt wird. Das Identische
und das Nicht-Identische werden als Gegensätze konstituiert, als einander
ausschließende Elemente. Diese binäre Opposition ist Ausgangspunkt für die
dekonstruktivistische, transversale Lesart.
Die erste Geste der Dekonstruktion, die Phase des Umbruchs, stürzt die
Hierarchie des Gegensatzes „hiesiger Feminismus/die Anderen“. Die Migrantin
als die Andere fungiert innerhalb der binären Opposition als der untergeordnete
Begriff. Zugleich ist das Andere jedoch das versichernde Element des Einen:
Die Migrantin ist konstitutiv für die Identität und den Entwurf des „hiesigen
Feminismus“ (vgl. 3.1.1.). Der erste, privilegierte Begriff „hiesiger
Feminismus“ ist von dem zweiten, ihm untergeordneten Begriff „die Anderen“
abhängig, da Ersterer seine Definition und Identität nur durch Bezugnahme auf
den zweiten Begriff gewinnt. So wird der „hiesige Feminismus“ durch die
Konstitution „der Anderen“ erst ermöglicht.
Die Interdependenz beider Begriffe wird durch die erste Phase der
Dekonstruktion verdeutlicht. Durch sie erfolgt eine Enthierarchisierung der
binären Opposition, da Gegensatzstrukturen in einem wechselseitigen
Abhängigkeitsverhältnis stehen und der Eine Begriff ohne den Anderen nicht
denkbar wäre. Die dekonstruktivistische Lesart beinhaltet jedoch eine weitere
Geste, die „der Verschiebung des allgemeinen Systems, die weder das
Zentrierte auflöst, noch das Marginalisierte vereinnahmt oder Widersprüche
aufhebt (...)“ (Wartenpfuhl 2000: 145). Die Geste des Unentscheidbaren
verhindert eine erneute Ansiedlung von Gegensätzen innerhalb der binären
Logik. Die durch die erste Geste vorgenommene Umwertung ließe für sich
42
genommen das zu dekonstruierende Feld intakt, da nun der ehemals zweite
Begriff
als der Privilegierte erscheinen würde; „die
Anderen“
als
ursprünglicher Begriff würde die metaphysische Einheit wieder herstellen. Es
ist die différance, die zweite Geste der dekonstruktivistischen Lesart, welche
Gegensätze als differentielle Verweisungen aufeinander bestimmt.
Différance im Sinne von Verzeitlichung (aufschieben) sowie im Sinne von
Verräumlichung (verschieden sein) entlarvt
scheinbar fixierte
binäre
Oppositionen als Elemente des Gleichen (vgl. 3.1.1.). Die vermeintlich
entgegengesetzten Prinzipien „hiesiger Feminismus/die Anderen“ liegen
ineinander und unterscheiden sich lediglich durch Aufschub und Umweg: Wird
über das Eine, die „hiesige Frauenbewegung“, gesprochen, ist das Andere
immer schon mitgedacht. Die Anderen sind dem „hiesigen Feminismus“
eingeschrieben; ohne das universelle Bild der Migrantin, die „verschleierte
Frau, die keusche Frau“ (Wartenpfuhl 2000: 151), ist die Selbstdefinition
westlicher Feministinnen als säkulär, befreit und selbstbestimmt nicht möglich.
Der „hiesige Feminismus“ ist markiert durch „die Anderen“, trägt deren
Spuren in sich und ist somit Teil des Selben. Ein Kräftestreit beider Elemente,
der sich durch An- und Abwesenheit auszeichnet, bestimmt das scheinbare
Gegensatzpaar
als
differential.
Elemente
fluktuieren
innerhalb
eines
rhizomatischen Gewebes aus Differenzen und gewinnen ihre jeweilige
Bedeutung aus dem Kontext, in dem sie sich bewegen.
Die transversale Perspektive auf die identitätslogische Konzeption „hiesiger
Feminismus/die Anderen“ beinhaltet somit zwei Annahmen: Identitäten sind
„immer differential, aufgrund ihrer Angewiesenheit und Abhängigkeit von dem
ausgegrenzten Anderen“ (Wartenpfuhl 2000: 147). Zudem sind Identitäten
relational, sie „stehen immer in einem Verhältnis zu etwas anderem und
können daher niemals mit sich identisch, einheitlich oder essentiell sein“ (ebd.:
147). Die Kennzeichnung der Unterscheidung „hiesiger Feminismus/die
Anderen“
durch
Differentialität
und
Relationalität
entspricht
dem
Transversalen. Binäre Oppositionen werden durch den transversalen Blick
außer Kraft gesetzt. Gleichzeitig fragt die transversale Perspektive nach der
Funktion von Produktion und Reproduktion binärer Oppositionen: In welchem
historischen und sozialen Kontext, in welchem Interesse werden sie
konstituiert?
43
Anhand dieser Fragestellung wird das Potential des transversalen Blicks für die
postkoloniale Kritik deutlich. Die von postkolonialen Theoretikerinnen
problematisierte Unterscheidung „hiesiger Feminismus/die Anderen“ wird als
interessengeleiteter, hegemonialer Gestus innerhalb eines spezifischen
Kontextes bestimmt, der durch identitätslogische Konzeptionen geschaffen
wird. Die transversale Sichtweise der Differentialität und Relationalität
kooperiert mit der postkolonialen Kritik auf zweifache Weise:
1. Das Prinzip der Differentialität zeigt, dass die Trennung „hiesiger
Feminismus/die
Anderen“
ein
politisches
Konstrukt
ist.
Durch
die
Aufrechterhaltung des Gegensatzes wird der privilegierte Status der
bundesdeutschen Frauenbewegung und –forschung aufrechterhalten und
legitimiert. Durch die Konstitution der „Anderen Frau“ im Kontext des
Modernitäts-Differenz-Paradigmas (vgl. 2. Kapitel) erlangt der „hiesige
Feminismus“ seine moderne, aufgeklärte Identität. Die Unzulänglichkeit der
„Anderen Frau“ projiziert das eigene emanzipatorische Potential und wirkt
identitätsstiftend. Differentielles Denken – das Eine ist konstitutiv für das
Andere und umgekehrt – entlarvt die scheinbare Dichotomie als konstruierte,
hegemonial verfasste und damit als politisch relevante, induzierte Handlung.
2. Die Relationalität der transversalen Perspektive räumt mit jeglicher
Vorstellung von essentiellen, universalen und kollektivistischen Identitäten auf.
Die Entwürfe „weiße, emanzipierte Frau“ sowie „schwarze, unterdrückte
Frau“, auf die die Unterscheidung „hiesiger Feminismus/die Anderen“
zurückzuführen ist, bestimmen Differenzen als Essenzen. Eine IdentitätenAddition, die diesem Schemata immanent ist, nimmt die Verflechtungen und
Verkettungen verschiedenster Differenzen und Subjektpostionierungen von
Frauen nicht wahr. Vielfalt, Konnexion und Heterogenität werden subsumiert
und vereinheitlicht. Das Prinzip der Relationalität begreift die rhizomatischen
Konfigurationen von Differenzen, deren Bedeutung sich nur kontextuell
erschließt. Das Beispiel der Venus Xtravaganza zeigt, dass die Bedeutung der
Kategorie Geschlecht sozial situiert ist und damit dem Kontext entsprechend
variiert.
Das differentielle und relationale Denken von Geschlecht kongruiert demnach
mit einer postkolonialen Konzeption feministischer Politik und Wissenschaft.
Der transversale, azentrierte Blick auf die Kategorie Geschlecht kann die (Re)44
Produktion hegemonialer Denkmuster und Praktiken vermeiden und so
identitätslogischen Ausschlussmechanismen entgegenwirken.
3.3 Schlussfolgerung
Zu Beginn dieses Kapitels wurde bereits auf den politischen Impetus der
dekonstruktivistischen Lesart von binär konstituierten Oppositionen verwiesen
(3.1.). In der Theorie der Dekonstruktion wird die binäre, der Identitätslogik
verhaftete Opposition aufgespürt und mit dem Kunstgriff der différance
subvertiert (3.1.1.). Dies bedeutet, dass die Dekonstruktion die Machtfrage
stellt, da Hegemonie und Unterdrückung sich innerhalb der metaphysischen
Gegensatzstruktur
im
Kontext
der
okzidentalen
Philosophietradition
konstituiert. Zwei Merkmale verdeutlichen dies: Der Eine Begriff des
Gegensatzpaares definiert und beherrscht den Anderen (hegemoniale
Binarität);
die
Konstruktion
unmissverständliche
von
Gegensätzen
erfordert
von
Bedeutungen
innerhalb
Zuordnung
eine
der
Gegensatzstruktur (Identitätslogik). Die Prinzipien der hegemonialen Binarität
sowie der Identitätslogik wurden in Kapitel 3.2. am Beispiel „hiesiger
Feminismus/die Anderen“ gezeigt. Der Ausschluss „der Anderen“ wird durch
die Defintitionsmacht der „hiesigen Frauenbewegung“ vorgenommen. Die
(Re)Produktion identitätslogischer Oppositionen kann an vielen anderen
Beispielen veranschaulicht werden: Was „Frau“ ist, kann nicht „Mann“ sein;
was „Kultur“ ist, kann nicht „Natur“ sein; was das „Andere“ ist, kann nicht das
„Identische“ sein etc.
Die transversale Perspektive, die durch die Verbindung von Dekonstruktion
und dem rhizomatischen Denken nach Deleuze und Guattari von Wartenpfuhl
entwickelt wurde (3.1.2.), bietet dementsprechend zwei Zugangsmöglichkeiten,
um der hegemonialen Binarität sowie der Identitätslogik zu entkommen: Das
Prinzip der Differentialität erkennt die scheinbar dichotome Struktur von
Gegensätzen als ein politisch wirksames und gewolltes Konstrukt, da das Eine
durch das Andere geschaffen wird. Relationalität entspricht dem kontextuellen
Denken in Verflechtungen und Verkettungen, das eine essentielle Bestimmung
von Differenzen unmöglich werden lässt (3.2.).
45
Diese Erkenntnisse haben Auswirkungen auf die Frauenforschung und –
bewegung, da die grundlegenden Kategorien „Frau“ und „Mann“ hinterfragt
werden. Universelle und essentielle Aussagen über „Frauen“ – oder über
„Männer“ als Gegensatz – sind nicht länger haltbar, da Subsumtion und
Ausgrenzung Ergebnis der Negation von Heterogenität sind. Das feministische
„Wir“ muss sich demnach folgenden Fragen stellen: Welche Frauen treffen
welche Aussagen aufgrund welcher Erfahrungshintergründe? In welchem
Kontext entstanden und entstehen feministische Theorien und Politikformen?
Für welche Frauen bzw. Subjektpositionierungen sind diese repräsentativ?
Die Kontextualisierung jeglicher Aussage und der darin enthaltende radikale
Perspektivismus – „wer redet von wo aus und für wen?“ (Gutiérrez Rodríguez
1996: 170) – widersprechen der Formulierung allgemeingültiger Aussagen
über die Situation „der Frauen“ oder Formen einer „gemeinsamen
Unterdrückung“. Denn wie bereits im 2. Kapitel ausgeführt wurde, hat
„eine soziale Kategorie Geschlecht, die sich nur auf das Moment des Geschlechterverhältnisses
bezieht und den Ort und den Zeitpunkt nicht benennt, in dem sie sich bewegt und wo sie
ausgehandelt wird, (...) nur einen Aussagewert für die Gruppe von Frauen, die sich über sie
repräsentiert fühlen, doch sie kann keine universellen Aussagen über Frauen treffen“ (Gutiérrez
Rodríguez 1996: 166f.).
Die daraus resultierende Problematik liegt auf der Hand: Politische
Forderungen im Namen „der Frauen“ implizieren einen Abstraktionsgrad und
Allgemeinheitsanspruch, der einer differentiellen und relationalen Perspektive
nicht gerecht werden kann (vgl. 3.1.).
Als Ausweg schlägt Birgit Wartenpfuhl das transversale Denken vor. Das
Transversale als differentiale und relationale Perspektive auf Kategorien
sozialer Schließung ist für eine Konzeptionalisierung von Geschlecht jenseits
metaphysischer Denkschemata geeignet. Die hegemoniale Binarität sowie die
Identitätslogik der okzidentalen Philosophietradition kann demnach durch das
transversale Denken von Differentialität und Relationalität vermieden werden.
Feministische Theorie und Praxis im Kontext des Transversalen kann ihrem
anti-hegemonialen, emanzipatorischen Anspruch gerecht werden. Das Reden
und Handeln im Namen der „Frauen“, wie es von postkolonialen
Theoretikerinnen problematisiert worden ist, weicht einem radikalen
Perspektivismus, einer Kontextualisierung von Geschlecht im Sozialen, die
variabel ist.
46
Der transversalen Perspektive ist nicht nur eine Problematisierung normativer
politischer Handlungskonzepte inhärent – sie erschüttert ebenso die
Grundfesten der soziologischen Disziplin. Transversale oder im weitesten
Sinne poststrukturalistische Konzepte (vgl. 3.1.1.) haben fundamentale
Auswirkungen auf Denktraditionen und Arbeitsweisen der Soziologie16:
Das Transversale ist Ausdruck einer poststrukturalistischen Strategie; ähnlich
wie bei der dekonstruktivistischen Lesart Derridas kann es sich bei der
transversalen
Sicht
auf
Forschungsgegenstände
nicht
um
eine
zu
verallgemeinernde und universell anwendbare Methode handeln (vgl. 3.1.1.),
da das Transversale kontextuell und radikal perspektivistisch arbeitet. Dieser
Abstand zu formalen und ahistorischen Analysekonzepten kennzeichnet das
Transversale als poststrukturalistische Position. Der poststrukturalistische
Blick unterminiert etablierte soziologische Analysekategorien wie z.B.
Geschlecht, Ethnizität oder Klasse, indem er aufzeigt, dass verschiedene
Subjektpositionierungen nicht für sich alleine stehen, sondern immer auch
durch andere Positionierungen markiert sind (vgl. Butler 1995).
Das Transversale als poststrukturalistisches Konzept problematisiert demnach
zum
einen
die
traditionellen
methodischen
Vorgehensweisen
der
soziologischen Disziplin. Die Logik und Funktion der Methode wurde bereits
in Kapitel 3.1.1. dargestellt: Universelle Aussagen über einen soziologischen
Forschungsgegenstand beruhen auf Abstraktion desselben – vom „Kleinen“
kann auf das „Große“ geschlossen werden. Das transversale Konzept fordert
demgegenüber eine perspektivistische Sichtweise auf Forschungsgegenstände,
die der Heterogenität desselben Rechnung trägt. Dies kann durch die
Anwendung traditioneller Methoden nicht gewährleistet werden.
Zum anderen macht das Transversale skeptisch gegenüber der abstrakten und
universalisierenden
Anwendung
von
Kategorien
innerhalb
der
Forschungsarbeit. Es ist das normative Element soziologischer Kategorien, das
durch die transversale Perspektive außer Kraft gesetzt wird. Aus diesem Grund
steht
die
Soziologie
vor
weitreichenden
erkenntnistheoretischen
Fragestellungen: Wie kann die Soziologie der Krise der Kategorien, die durch
16
an dieser Stelle sollen die Konsequenzen einer Rezension poststrukturalistischer Theorien
innerhalb der Soziologie nur kurz skizziert werden, da eine ausführliche Bearbeitung der
Problematik den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde und zudem eine andere Fragestellung
berührt
47
transversales Denken heraufbeschworen wird, begegnen? Wie ist eine
Gesellschaftsanalyse jenseits klar umrissener Kategorien wie Geschlecht oder
Klasse zu denken? Wie können soziologische Forschungsmethoden einer
differentiellen und relationalen Perspektive gerecht werden?
Es ist offensichtlich, dass durch poststrukturalistische Ansätze die Axiome
soziologischer Denktraditionen in Frage gestellt werden. Vor diesem
Hintergrund weist Urs Stäheli dem poststrukturalistischem Denken innerhalb
der Soziologie die Rolle eines „Parasiten“ (Stäheli 2000: 7) zu - allerdings die
eines „weitsichtigen Parasitens“ (ebd.: 7), da „die poststrukturalistischen
Interventionen ihrem Gastgeber (...) nicht die Lebensgrundlage“ (ebd.: 7)
entziehen. Vielmehr handelt es sich bei der parasitären Anwesenheit des
Poststrukturalismus um eine ständige Irritation der Soziologie:
„Poststrukturalistische Konzepte werden für soziologische Theorien (...) deshalb relevant, weil
durch diese Konzepte die basalen Kategorien der Soziologie (wie z.B. Handlung, Subjekt,
Struktur, Gesellschaft, Sozialstruktur/Semantik) in Frage gestellt werden. (...) An die Stelle
eines stabilen, geschlossenen Gegenstandes wie Gesellschaft tritt nun die Untersuchung des
Scheiterns der Gegenstandskonstitution – ein Scheitern, das immer auch die Eröffnung neuer
(Denk-)Möglichkeiten beinhaltet“ (ebd.: 6f.).
Demzufolge wird der stabile, geschlossene Gegenstand „Geschlecht“ durch die
Rezension poststrukturalistischer Theoreme irritiert. Er gewinnt eine neue
Bedeutung, da
Geschlecht
sozial situiert, durchzogen von weiteren
Subjektpositionierungen und demnach nur kontextuell zu begreifen ist.
Normative soziologische Konzepte, die Geschlecht eine Essenz unterstellen,
sind nicht länger haltbar.
Diese Sicht auf die Kategorie Geschlecht sorgt vor allem in der
sozialwissenschaftlichen Frauenforschung für Furore. Die Skepsis gegenüber
der für die sozialwissenschaftliche Frauenforschung fundamentalen Kategorie
Geschlecht wird oftmals als „Grundlagenkrise“ (Knapp 2001: 15) interpretiert.
Geht mit dem Einfluss poststrukturalistischer Theorien ein Bedeutungsverlust
der Kategorie Geschlecht einher? Oder handelt es sich vielmehr um eine
„Erweiterung des Erkenntnispotenzials feministischer Theorie und einen
Komplexitätsgewinn, die nur zu begrüßen sind“ (Knapp 2001: 42)? Die
Debatte, die die sozialwissenschaftliche Frauenforschung zur Zeit führt 17,
illustriert ein Spannungsverhältnis, das einem „extremen Spagat“ (ebd.: 11)
gleichkommt: Die Unverzichtbarkeit sowie die gleichzeitige Unmöglichkeit
17
z.B. Knapp 1998 oder Knapp/Wetterer 2001
48
einer Bezugnahme auf ein feministisches „Wir“. Unmöglich, da postkoloniale
feministische Kritik sowie transversale Positionierungen zeigen, dass ein
feministisches „Wir“ Hegemonie sichert und Ausschlüsse produziert;
unverzichtbar,
da
normativ-politische
feministische
Gesellschaftskritik
scheinbar eine Bezugnahme auf „die Frauen“ erfordert (vgl. Knapp 2001: 11).
Hier befindet sich der Anknüpfungspunkt für meine weitere Fragestellung: Ist
feministische Politik jenseits eines großen feministischen „Wirs“ zu denken?
Benötigt feministische Politik normative Grundlagen, von denen aus sie
agieren kann?
Bevor ich jedoch dieser Frage nachgehe (5. Kapitel), verorte ich das
Transversale innerhalb einer philosophischen Strömung, die unter dem Begriff
der „Postmoderne“ Einzug in den wissenschaftlichen Diskurs fand (4. Kapitel).
Die Perspektive des Transversalen ist meiner Ansicht nach Ausdruck
postmodernen Denkens innerhalb der feministischen Theorie, da sie
metatheoretische
Fragestellungen
aufwirft.
Transversales,
dekonstruktivistisches oder rhizomatisches Denken will skeptisch machen
gegenüber den „Glauben an Wahrheit, Wissen, Macht, Subjekt und Sprache,
die oft als selbstverständlich vorausgesetzt werden und die Legitimation für die
zeitgenössische westliche Kultur sind“ (Flax 1992: 74).
Hiermit scheint die postmoderne Philosophie eine vielversprechende Allianz
für
feministische
Theoriebildung
zu
sein,
da
sie
metaphysische
Selbstverständlichkeiten hinterfragt und problematisiert. Im folgenden soll das
Potenzial postmoderner Denkströmungen für die feministische Theorie
untersucht werden (4.1.). Anschließend entwickle ich den Begriff des
Postfeminismus, der die Frage nach politischer Handlungsfähigkeit jenseits
Verallgemeinerung und Abstraktion konkretisiert und Lösungsmöglichkeiten
aufzeigt (4.2.).
49
4. Der Begriff „Postmoderne“
„Gegen die Verwandlung von Philosophien in Markenartikel stehen
Philosophen vermutlich auf verlorenem Posten“ (Engelmann 1990: 6). Diese
Bemerkung Engelmanns in seiner Einführung des Bandes „Postmoderne und
Dekonstruktion“ von 1990 bezieht sich auf die inflationäre und ungenaue
Verwendung des Begriffs „Postmoderne“. Nach Engelmann wurde der von
Lyotard geprägte Terminus aus seinem philosophischen Kontext gerissen und
avancierte zu einem „Schlagwort der Medien“ (ebd.: 5). Knapp zielt in ihrem
Aufsatz „Postmoderne Theorie oder Theorie der Postmoderne? Anmerkungen
aus feministischer Sicht“ (1998) in eine ähnliche Richtung; ihrer Meinung nach
fungiert der Begriff „Postmoderne“ als „Subsumtionskategorie“ (Knapp 1998:
31), die unterschiedliche und sogar widersprüchliche Theorien und
Strömungen unter ein Etikett zusammenfasst: „Im Zuge der explosionsartigen
Ausdehnung des Geltungsbereiches des Begriffs werden poststrukturalistische,
dekonstruktivistische und die unterschiedlichsten Varianten postmodern
genannter Ansätze in der Regel ineins gesetzt“ (ebd.: 29).
Definitionsversuche des Begriffs gestalten sich schwierig, da die als Begründer
der postmodernen Philosophie stilisierten Theoretiker wie z.B. Lyotard,
Derrida, Baudrillard oder Foucault die Bezeichnung „postmodern“ zum Teil
für sich ablehnten. Zudem lassen sich die Ansätze der genannten Theoretiker
kaum in Einklang bringen. So sind z.B. Kontroversen zwischen Foucault und
Baudrillard, Derrida und Foucault sowie Lyotard und Derrida dokumentiert
(ebd.: 31).
Diese Auseinandersetzungen illustrieren einen wichtigen Aspekt postmoderner
Philosophie:
Die
Wahrung
einer
kritischen
Distanz
gegenüber
vereinheitlichenden Theorien führt zu Widersprüchen, Heterogenität und
Vielfalt innerhalb der postmodernen Denkströmungen. Insofern sind abstrakte
Definitionsversuche
des
Begriffs
„Postmoderne“
mit
dem
Charakter
postmoderner Philosophien nicht zu vereinbaren. Butler beschreibt dies
folgendermaßen:
“Wenn und in dem Maße, wie der Begriff Postmoderne als ein (...) vereinheitlichendes Zeichen
funktioniert, ist er ein entschieden ‚modernes‘ Zeichen. Die Frage ist, ob man überhaupt für
oder gegen diese Postmoderne debattieren kann. Setzt man nämlich diesen Terminus so ein,
dass man ihn entweder nur bejahen oder verneinen kann, so zwingt man ihn, eine Position
innerhalb eines binären Gegensatzes einzunehmen (...)“ (Butler 1993: 35).
50
Vor diesem Hintergrund ist z.B. die Weigerung Derridas zu verstehen, sich
nicht unter dem Zeichen „Postmoderner Theoretiker“ subsumieren zu lassen.
Eine
klare
Positionierung
innerhalb
des
binären
Gegensatzes
„modern/postmodern“ würde seiner Theorie der Dekonstruktion nicht gerecht
werden, da sie dem Kontext entsprechend variiert und nicht abstrakt zu fassen
ist.
Da eine klare Definition postmoderner Philosophien unmöglich zu sein scheint,
stimmt Knapp zu, wenn es heißt: „Trying to define postmodernism is like
hunting the dodo“ (Doherty/Graham/Malek 1992, in Knapp 1998: 30). Um den
Begriff „Postmoderne“ für diese Arbeit zugänglich zu machen, beziehe ich
mich auf den Theoretiker Jean-Francois Lyotard (1925-1998). Lyotard gilt als
Gründungsvater der philosophischen Postmoderne. Seine 1979 verfasste
Schrift „Das Postmoderne Wissen. Ein Bericht.“ wurde 1982 in deutscher
Sprache publiziert und gilt seitdem als Schlüsseltext für die damals beginnende
deutschsprachige Diskussion um die Postmoderne (vgl. Engelmann 1990: 9).
Sein Ansatz scheint für die Fragestellung meiner Arbeit, die sich um die
Problematik der politischen Handlungsfähigkeit jenseits normativer Elemente
formiert, fruchtbar zu sein.
4.1.
Die Postmoderne Lyotards
Lyotard bezieht sich in seinen Schriften vor allem auf Adorno und Heidegger
sowie auf Marx, Nietzsche und Freud. Seine Ausführungen sind zum größten
Teil Relektüren („ré-écire“) der genannten Autoren. Lyotard arbeitet ihre
Werke – ähnlich wie Derrida – durch, um ihnen neue Impulse und Ideen
abzugewinnen. Der frühe Lyotard schrieb ab Mitte der 1950er Jahre für die
Zeitschrift „Socialisme ou barbarie“, in der er seine damalige radikal
marxistische philosophische Position vertrat. Die Ereignisse des Jahres 1968
und die darauffolgende Desillusionierung revolutionärer Erwartungen brachten
eine Wende im Denken Lyotards mit sich: In der Publikation „Das
Postmoderne Wissen“ von 1979 verabschiedet sich Lyotard vom Marxismus
und radikalisiert diese Haltung, indem er alle Ideologien und „Großen
Erzählungen“ („grands récits“) der Philosophie verwirft. Dabei konzentriert
51
sich seine Kritik auf die aus dem 19. Jahrhundert stammenden „Großen
Erzählungen“:
Zum
systemtheoretische
einen
Perspektive,
auf
den
dem
Funktionalismus
gesellschaftlichem
bzw.
die
Modell
des
„funktionalem Ganzen“ (Lyotard 1979: 42); zum anderen auf den
marxistischen Ansatz, „jenem der zweigeteilten Gesellschaft“ (Lyotard 1979:
42). Beide Formen, Gesellschaft zu denken und zu realisieren, beschreibt
Lyotard als unbrauchbar (vgl. Engelmann 1990: 12). Die Gründe hierfür leiten
sich aus seiner Kritik an der philosophischen Moderne her, die im folgenden
kurz dargestellt werden soll.
Zu Beginn der Neuzeit verändert sich „der Legitimationsmodus diskursiver,
insbesondere wissenschaftlicher Aussagen“ (Engelmann 1990: 13). An die
Stelle Gottes als letzter Wahrheitsinstanz tritt das Subjekt. Der Mensch
konstituiert sich als erkennendes Subjekt, dem die Welt als Objekt
gegenübersteht. Der „subjektzentrische Ordnungsgestus der Neuzeit“ (ebd.: 14)
wird vor allem in der Philosophie René Descartes (1596-1650) deutlich, da
dieser einen doppelten Abstraktionsprozess vornimmt. Descartes bestimmt das
Subjekt als „Denken“, um „über die phänomenale Vielheit der Menschen
hinwegzukommen und sicherzustellen, dass die Wahrheit für alle Menschen
gleichermaßen verbindlich ist“ (ebd.: 14). Gleichzeitig führt die Abstraktion
des Subjektes auf eine vergleichbare Eigenschaft zu der Abstraktion des
Objektes, also des Gedachten: „Der auf das Subjekt als Denken reduzierte
Mensch nimmt die Phänomene als gedachte auf. In dieser Abstraktion liegt die
Gleichmachung der Dinge beschlossen, die zugleich auch Reduktion ihrer
Vielheit an Eigenschaften ist“ (ebd.: 14). Das Paradigma neuzeitlicher
Wissenschaft und modernen Denkens gründet demnach auf der Konstitution
eines denkenden Subjektes und eines gedachten Objektes, die als abstrakte
Elemente bestimmt werden.
Lyotards Kritik an der philosophischen Moderne setzt genau hier an:
Abstraktion von Subjekt und Objekt negiert Vielheit und Heterogenität, da ein
Zentrum, eine Essenz bzw. ein Ursprung unterstellt wird18. Lyotard sieht in der
Entwertung der Heterogenität durch Abstraktion den „Keim für eine
Fehlentwicklung der Moderne“ (Engelmann 1990: 16). Wichtig ist in diesem
18
die Nähe zur dekonstruktivistischen Lesart Derridas ist in diesem Punkt offensichtlich; auch
Derrida sieht in der Annahme eines Ursprungs die Gefahr der Negation von Heterogenität, die
durch einen totalitären Gestus gekennzeichnet ist (vgl. 3.1. sowie 3.1.1.)
52
Zusammenhang, dass der Begriff der Moderne nicht mit den Werten der
Moderne – Aufklärung, Humanismus, Emanzipation – gleichgesetzt werden
darf. Denn Lyotard will, so paradox dies klingen mag, durch sein Denken die
Werte der Moderne realisieren. Die großen Fortschritts-Ideologien der
Moderne,
der
Funktionalismus
und
Marxismus,
sind
abstrakte
Gesellschaftsmodelle, die augenscheinlich nicht in der Lage sind, die Ideen der
Moderne zu verwirklichen.
Engelmann erinnert in diesem Zusammenhang an die „extremen Einbrüche“
(Engelmann 1990: 10) des Modernisierungsprozesses, den Nationalsozialismus
und Stalinismus. Er sieht die Moderne durch diese vormodernen Modelle
bedroht und konterkariert. Demgegenüber meint Christina Thürmer-Rohr:
„Die Zerstörungsgreuel und Entmenschlichungen dieses Jahrhunderts – Auschwitz, Hiroshima,
Nationalsozialismus, Stalinismus als Schockerfahrungen – sind nicht als atavistische Rückfälle
in ein vorzivilisatorisches Entwicklungsstadium zu verstehen, sondern als vollwertige Projekte
der Moderne, die mit allen Mitteln modernster Wissenschaft, Bürokratie, Propaganda und einer
entwickelten menschlichen Disziplin praktiziert worden sind“ (Thürmer-Rohr 1995: 93).
Die Divergenz der beiden Annahmen ist offensichtlich: Während Engelmann
den Nationalsozialismus und Stalinismus als vormodern, d.h. der Moderne
nicht zugehörig bestimmt, weist Thürmer-Rohr ihnen einen explizit modernen
Impetus zu. Sie begibt sich hiermit in die Nähe Lyotards, der die Annahme
vertritt,
„daß das Projekt der Moderne (die Verwirklichung der Universalität), nicht aufgegeben,
vergessen, sondern zerstört, ‚liquidiert‘ worden ist. Es gibt mehrere Modi der Zerstörung,
mehrere Namen, die sie symbolisieren. ‚Auschwitz‘ kann als ein paradigmatischer Name für
die tragische ‚Unvollendetheit‘ der Moderne genommen werden“ (Lyotard 1987: 50).
Nach Lyotard korrespondiert das Scheitern des bisherigen Projekts der
Moderne mit dem Scheitern der großen Metaerzählungen der Moderne. Diese
Erzählungen diskreditieren sich selbst, indem sie nicht in der Lage sind, die
Werte der Moderne zu realisieren – im Gegenteil: Die Großen Erzählungen
führen zu Terror und Vernichtung, da ihr „Verlangen nach einer einheitlichen
und
totalisierenden
Wahrheit“
(Lyotard
1979:
47)
auf
einem
Herrschaftsanspruch über die Gesellschaft gründet, der auf Negation von
Heterogenität basiert. Es handelt sich bei den Großen Erzählungen um
allumfassende Ideen, die Gesellschaft durch ein abstraktes Modell herzustellen
versuchen. Lyotard sieht die Anerkennung von Heterogenität und Individualität
hierdurch verletzt. Die Normativität der modernen Erzählungen und die damit
53
einhergehende Entwertung des Heterogenen führte zu der Liquidation der
modernen Idee.
Dieser kurze Einblick in das Moderne-Verständnis Lyotards gibt Aufschluss
über sein Konzept der Postmoderne. Wie bereits weiter oben erwähnt,
distanziert sich Lyotard nicht von den Werten der Moderne. Vielmehr ist sein
Entwurf der Postmoderne als ein „strategischer Distanzierungsbegriff“
(Engelmann 1990: 8) zu verstehen, der inhaltlich die Grundideen der Moderne
aufnimmt und nach Formen sucht, diese zu verwirklichen. Aus diesem Grund
handelt es sich bei dem Begriff „Postmoderne“ nicht um ein epochenbildendes
Davor und Danach. Postmoderne kann als eine Perspektive auf die Moderne
beschrieben werden, als eine kritische Lesart derselben, um es mit den Worten
Derridas auszudrücken. Lyotard verabschiedet sich durch diesen Begriff nicht
von der Moderne, sondern konzeptualisiert ihn als Bedingung und Möglichkeit,
neue, adäquate Gesellschaftstheorien und –philosophien zu entwickeln, die
dem Kerngedanken der Moderne, der Freiheit des Individuums, gerecht
werden. Frank Fechner charakterisiert das Postmoderne-Konzept Lyotards als
„Radikalisierung der Moderne, als deren radikales Korrektiv“ (Fechner 1990:
29). Die Freiheit des Individuums ist nach Lyotard indes nicht durch die
Realisierung abstrakter Gesellschaftsmodelle zu erreichen. Lyotard greift
diesen Gedanken in seinem philosophisches Hauptwerk „Der Widerstreit“
(1983) auf; er entwickelt hier eine philosophische Strategie, die dem Dissens
verpflichtet ist und jede konsensorientierte Theorie ablehnt, da diese „den
Terror strukturell in sich trägt“ (Pries/Welsch 1995: 544). Widerstreitende
Elemente sollen nicht durch eine alles umfassende Idee versöhnt oder
subsumiert werden: „Krieg dem Ganzen (...), aktivieren wir die Differenzen“
(Lyotard 1982: 48).
Seit Friedrich Nietzsche (1844-1900) wird das Problem der Verallgemeinerung
und Entwertung der Heterogenität als Problem der Sprache diskutiert (vgl.
Engelmann 1990: 17). In diesem Kontext lässt sich Lyotards Methode der
Sprachspiele verorten. Den Begriff der Sprachspiele entlehnt Lyotard dem
späten Ludwig Wittgenstein (1889-1951). Wittgenstein kennzeichnet mit dem
Begriff der Sprachspiele die Regeln sprachlich eingeübter Lebensformen (vgl.
Fechner 1990: 59), wobei die „Kreativitätsmöglichkeiten der Sprache (...) das
zentrale Integrationsmedium von Gesellschaften“ (Fechner 1990: 59) bilden.
54
Aus diesem Grund ist die Ebene der Sprache oder der Sprachspiele als politisch
relevant einzustufen, da die Praxis der ungehemmten Rede eine „permanente
Gefahrenquelle für die Herrschaftsordnung von Gesellschaften“ darstellt
(Fechner 1990: 59). In diesem Zusammenhang meint Herrschaft den Versuch,
„den Strom der sprachlichen Äußerungen, den Artikulationsspielraum und das
Themenspektrum der sozialen Sprachleistungen zu organisieren und unter
Kontrolle zu halten" (Fechner 1990: 56/60).
Während Wittgenstein zwischen verschiedenen Sprachspielen unterscheidet
(wie z.B. Erzählen, Sprechen, Befehlen) und die Auffassung vertritt, dass sich
Sprachspiele durch einen Vertrag zwischen den SpielerInnen konstituieren,
meint Lyotard, dass „Sprechen Kämpfen im Sinne des Spielens ist und dass
Sprechakte einer allgemeinen Agnostik angehören“ (Lyotard 1979: 40). Eine
vertragliche Spielebene beruht auf Konsens; Lyotard hingegen sieht in den
Sprachspielen das Streben nach Gewinnen – nicht nach Konsens oder
Wahrheit. Diese Sichtweise entspricht seiner Theorie des Widerstreits, seiner
dem Dissens verpflichteten Philosophie. Er begreift den Konsens nicht als Ziel,
sondern als Zustand einer Diskussion, da „das eigentlich Fruchtbare, neue
Erkenntnisse hervorbringende (...) der Dissens“ (Kimmerle 2000: 123) ist.
Dissens ist mit der „einheitlichen und totalisierenden Praxis“ (Lyotard 1979:
47) der großen Erzählungen nicht zu vereinbaren.
Eine Annäherung an den „sozialen Zusammenhang“ (Engelmann 1990: 11)
kann nach Lyotard nur durch die Methode der Sprachspiele erfolgen, da diese
Strategie Individualität und Heterogenität Rechnung trägt und Gesellschaft –
im Gegensatz zu den Großen Erzählungen, die Gesellschaft als abstraktes
Modell verstehen - als etwas Herzustellendes begreift. Lyotard räumt ein, dass
Sprachspiele „gewissermaßen das Minimum an Beziehungen darstellen, das für
das bestehen einer Gesellschaft erforderlich ist“ (Lyotard 1979: 56). Und
weiter: „Wir behaupten nicht, dass der gesamte soziale Zusammenhang dieser
Ordnung zugehört – das bleibt hier eine offene Frage“ (ebd.: 56).
Nach Walter Reese-Schäfer gibt Lyotards „Das Postmoderne Wissen“ keine
Antwort auf die Frage nach einer „Theorie der Gerechtigkeit“ (Reese-Schäfer
1995: 36), die die Werte der Moderne realisieren könnte. Nichtsdestotrotz
bietet
das
„Postmoderne
Wissen“
wichtige
Anhaltspunkte
für
eine
Konzeptionalisierung politischen Handelns, nämlich die Wahrung einer
55
kritischen Distanz gegenüber normativen Elementen. Normativität entwertet
durch Abstraktion Heterogenität und Individualität – die Historie der Großen
Erzählungen zeigt, wohin dies führen kann. Aus diesem Grund wendet sich
Lyotard der kleinsten Ebene zu, die für das Bestehen der Gesellschaft vonnöten
ist, die der Sprachspiele. Die „Großen Erzählungen“, die eine systematische
und allumfassende Deutung von Gesellschaft und Welt vornehmen, gelten
„konkret für eine Mehrheit, die ihnen im Namen der Gesellschaft im Ganzen
Gültigkeit verleiht“ (Kimmerle 2000: 35). Da die „Großen Erzählungen“ nach
Lyotard keinen Erklärungswert mehr besitzen (vgl. Lyotard 1979: 52), „bleiben
nur Sinnfragmente übrig, auf die sich jeweils ein konkretes Wir einigen kann“
(Kimmerle 2000: 35).
Hier zeigt sich die soziologische und politische Relevanz der Theorie der
Sprachspiele und damit die von Reese-Schäfers vermisste „Theorie der
Gerechtigkeit“: Der
Abstand
von
abstrakten
Gesamtdeutungen
einer
gesellschaftlichen Mehrheit wertet gesellschaftliche Minderheiten auf, die
bislang marginalisiert worden sind. Es gilt, „Sprachblockierungen aufzuheben,
d.h. der durch den herrschenden Diskurs in die Sprachlosigkeit gedrängten
Partei zur Artikulation zu verhelfen“ (Fechner 1990: 63). Durch die Theorie
der Sprachspiele, die die Relevanz der kleinsten Ebene des sozialen
Zusammenhangs aufgreift, „verschwindet das Verhältnis einer Mehrheit zu
Minderheiten, die für diese mitentscheidet, und es entsteht ein ‚Patchwork der
Minderheiten‘“ (Kimmerle 2000: 35) 19.
Das „Patchwork der Minderheiten“ impliziert die „Legitimität radikaler
Pluralität der Sprachspiele, Lebensweisen, Handlungsformen“ (Fechner 1990:
29). Durch die Anerkennung und Wertschätzung der Pluralität und
Heterogenität von Lebensformen, Kulturen und Sprachspielen kann den
uniformierenden Tendenzen, die die gesellschaftliche Herrschaft der Mehrheit
organisieren, entgegengewirkt werden.
Der Entwurf „Patchwork der Minderheiten“ korrespondiert mit der
postkolonialen Forderung nach einer perspektivistischen und kontextualisierten
Sicht auf die Kategorie Geschlecht. Die im bundesdeutschen feministischen
Diskurs konstruierte Minderheit „Frauen mit Migrationserfahrungen“ können
nicht länger als „die Anderen“ subsumiert oder ausgeschlossen werden, da sie
19
hier bezieht sich Kimmerle auf Lyotard 1977
56
innerhalb der Theorie der Sprachspiele nicht als Minderheit kodifiziert werden
können. Im Kontext des „Patchwork der Minderheiten“ existiert keine
Mehrheit weißer, heterosexueller Frauen des Mittelstandes – das Subjekt
feministischer Theorie und Praxis erschließt sich aus der jeweiligen
Positionierung
der
SprachspielerInnen.
Die
politische
Relevanz
von
Sprachspielen im Kontext feministischer Praxis werde ich im 5. Kapitel näher
beleuchten. Zuvor will ich jedoch zusammenfassend aufzeigen, wie die
Strategie der Postmoderne mit dem Transversalen kooperiert:
Zum einen nehmen beide Ansätze Abstand von einer normativen Denkweise,
die
homogenisierend
und
verallgemeinernd
wirkt.
Der
radikale
Perspektivismus und der kontextuelle Gestus des Transversalen wirkt
Subsumtion und Ausgrenzung entgegen, die Ergebnis der Negation von
Heterogenität sind; das Konzept Lyotards setzt ebenfalls an dieser Stelle an:
Das postmoderne Paradigma „Wahrung der Heterogenität“ ist nur zu
verwirklichen, wenn Abstand von den Großen Erzählungen und deren
innewohnender Normativität genommen wird. Durch die Theorie der
Sprachspiele und dem daraus resultierenden Entwurf „Patchwork der
Minderheiten“ erlangen gesellschaftliche Gruppierungen ihr politisches Recht,
die bislang von der gesellschaftlichen Mehrheit marginalisiert und ausgegrenzt
wurden.
Zum anderen operieren beide Ansätze prinzipiell herrschaftskritisch.
Hegemonie, die sich im Kontext von Binarität und Identitätslogik der
okzidentalen Philosophietradition ereignet, begegnet das Transversale durch
Differentialität und Relationalität (vgl. 3.3.). Die Postmoderne Lyotards sieht
das hegemoniale Moment durch die Großen Erzählungen und Ideologien der
Moderne
verwirklicht. Durch eine kritische Distanz zu normativen
Erzählungen gelangt Lyotard zu der Perspektive der Postmoderne, die einer
Suchbewegung gleicht: Wie kann Gesellschaft jenseits abstrakter Modelle, die
Heterogenität und Individualität widersprechen und demnach Hegemonie
sichern, gedacht werden?
Damit ist die philosophische Postmoderne Lyotards nicht nur eine
vielversprechende Allianz (vgl. 3.3.) für den transversalen feministischen Blick
– mehr noch: Das Transversale kann als Ausdruck postmodernen Denkens
innerhalb
der
feministischen
Theorie
57
bezeichnet
werden,
da
sein
dekonstruktivistischer, rhizomatischer Gestus die „Große Erzählung über die
Frau“ in Frage stellt. Die Perspektivierung und Kontextualisierung der
Kategorie Geschlecht durch das Transversale wurzelt in der Skepsis gegenüber
einer ahistorischen, universellen und essentiellen Anwendung des Begriffes
„Frau“. Postkoloniale Kritikerinnen problematisieren die Metakategorie Frau
bzw. das feministische „Wir“ als weiß, heterosexuell und der Mittelschicht
zugehörig. Die Entwertung von Heterogenität im Sinne Lyotards manifestiert
sich in dieser abstrahierten, normativen Anwendung des Begriffes „Frau“.
Somit entspricht das hegemonial verfasste Subjekt feministischer Theorie und
Praxis einer „Großen Erzählung“ im Sinne Lyotards, die es zu vermeiden gilt.
Heterogenität kann nur außerhalb einer „Großen Erzählung“ Rechnung
getragen werden. Ein solches „Außerhalb“20 bietet die transversale Perspektive,
da sie eine kritische Distanz gegenüber normativen Deutungsmustern der
Kategorie Geschlecht einnimmt.
An dieser Stelle will ich den Begriff des Postfeminismus einführen, der sich
meiner Ansicht nach aus dem Transversalen in Verbindung mit dem
Postmoderne-Konzept Lyotards ergibt:
Das Transversale begreift durch eine azentrische, dekonstruktivistische
Perspektive auf die Kategorie Geschlecht das Subjekt des Feminismus als
hegemonial
verfasst
(vgl.
3.1.2.).
Durch
den
kontextuellen
und
perspektivistischen Gestus des transversalen Denkens öffnet sich die Kategorie
Geschlecht für vielfältige Bedeutungen. Somit kann das Subjekt des
Feminismus, die „Frau“, nicht länger essentiell und universal bestimmt werden.
Dieser Gedanke wird durch den postmodernen Blick konkretisiert. Die „Große
Erzählung über die Frau“ der feministischen Theorie und Praxis basiert auf der
Konstitution des kollektiven Subjektes „Frau“. In 4.2.2. werde ich zeigen, dass
dieses Subjekt vornehmlich über das gesellschaftliche Unterdrückungsmoment
Sexismus
definiert
wird
und
damit
Frauen,
die
weiteren
Herrschaftsmechanismen ausgesetzt sind (Rassismus, Heterosexismus) keinen
Raum bietet. Die Frage der Repräsentation, die bereits durch das Transversale
formuliert wird (auf welche Frauen bezieht sich die „Große Erzählung über die
Frau“?), wird durch die Frage nach den politischen Konsequenzen eines
die Postulierung eines „Außerhalbs“ ist vor dem Hintergrund des erweiterten Textbegriffs
von Derrida problematisch; nichtsdestotrotz verwende ich hier die Kennzeichnung
„außerhalb“, um den Bruch des Transversalen mit der „Großen Erzählung“ zu unterstreichen
20
58
kollektiven Subjektes ergänzt. Die postmoderne Perspektive verdeutlicht, dass
normative politische Handlungskonzeptionen Ergebnis der Konstitution eines
kollektiven Subjektes sind. Als Gegenentwurf bietet Lyotard das Konzept
„Patchwork der Minderheiten“ an.
Bevor ich nun den Begriff „Postfeminismus“ als transversal (4.2.1.) und
postmodern (4.2.2.) definiere, skizziere ich kurz dessen Bedeutung innerhalb
des feministischen Diskurses (4.2.).
4.2.
Postfeminismus
Der Begriff des Postfeminismus umfasst im Kontext des universitären
Diskurses theoretische Ansätze, die vor allem von Judith Butler, Jane Flax,
Donna Haraway, Sandra Harding und Joan Wallach Scott vertreten werden
(vgl. Knapp 2001: 15). Ähnlich wie der Begriff der Postmoderne wird der
Begriff des Postfeminismus durch die Massenmedien bis zur Unkenntlichkeit
verzerrt, indem er als „anti“- und „nach“-feministisch definiert wird (ebd.: 47).
Nach Knapp handelt es sich jedoch
„um ein Amalgam aus verschiedenen ‚anti-fundamentalistischen‘ Strömungen (...),
insbesondere feministische Lesarten des postmodernism, postcolonialism, poststructuralism
und der Psychoanalyse, als deren Gemeinsames zum einen eine kritische Auseinandersetzung
mit ‚dem Feminismus‘ der 70er Jahre und zum anderen eine Wendung zu Fragen der Kultur
und der Repräsentation von ‚Differenz‘ gesehen wird“ (ebd.: 47).
Eine klare Definition des Begriffs „Postfeminismus“ existiert demnach nicht.
Allerdings lässt sich vor dem Hintergrund meiner Fragestellung ein Muster des
Begriffs „Postfeminismus“ entwerfen, das sowohl die Frage nach der
Subjektkonstitution feministischer Theorie und Praxis (vgl. 2. Kapitel) als auch
die Frage nach politischen Handlungsmöglichkeiten jenseits normativer Ideen
berührt (vgl. 4.1. und 5. Kapitel). Meiner Ansicht nach verbindet die
postfeministische Perspektive den transversalen Blick auf die Kategorie
Geschlecht mit dem postmodernen Blick auf die „Große Erzählung über die
Frau“.
An dieser Stelle würde sich eine analytische Trennung zwischen feministischer
Theorieproduktion auf der einen Seite, die durch das Transversale erschüttert
59
wird, und feministischer Praxis auf der anderen, problematisiert durch das
Konzept der Postmoderne, anbieten. Folgendes spricht dagegen:
Der transversale Blick auf die Kategorie Geschlecht führt zu einer
theoretischen
Öffnung
des
feministischen
Subjektes
innerhalb
des
wissenschaftlichen Diskurses. Feministische Theorieproduktion wird durch das
Transversale
mit
den
eigenen
hegemonialen
Ausschlussmechanismen
konfrontiert. Das Transversale ist Resultat postkolonialer feministischer Kritik,
die politische Forderungen durch die Frage nach der Repräsentation – wer
redet von wo aus für wen? – sichtbar werden lässt. Indem die transversale
Perspektive zu einer Theorieproduktion beiträgt, die Machtverhältnisse
reflektiert und analysiert, befindet sie sich auf der Ebene des Politischen und ist
als politisches Konzept zu verstehen.
Der postmoderne Entwurf berührt ebenfalls die theoretische sowie die
politische Ebene des Feminismus: Die Kritik an normativer feministischer
Theorieproduktion durch den postmodernen Blick auf die „Große Erzählung
über die Frau“ führt zu einer Bedeutungsvielfalt innerhalb der Kategorie
„Frau“. Diese Wertschätzung von Differenzen innerhalb der Kategorie
markiert den – theoretischen wie politischen - Abstand zu der Konstitution
eines kollektiven Subjektes. Theorieproduktion und politische Forderungen im
Namen der „Frauen“ sind mit einer postmodernen Perspektive nicht zu
vereinbaren, da durch die Negation von Heterogenität Herrschaft (re)produziert
wird. Das „Patchwork der Minderheiten“ als Gegenentwurf, das der Wahrung
von Heterogenität Rechnung trägt, kann sowohl als politisches als auch
theoretisches Modell verstanden werden.
Aus diesen Gründen gestaltet sich eine klare Differenzierung zwischen dem
Transversalen als theoretischem Entwurf und der Postmoderne als politischem
Modell schwierig, da beide Perspektiven erkenntnistheoretische und politischpraktische Konsequenzen für den Feminismus implizieren.
Eine Definition des Begriffs „Postfeminismus“ formiert sich demnach um die
Gemeinsamkeiten der transversalen und postmodernen Perspektive, die
theoretische sowie politische Konzeptionalisierungen für den Feminismus
anbieten. Diese zeichnen sich durch eine kritische Distanz zu normativen
Erklärungsmustern sowie einem herrschaftskritischem Impetus aus (vgl. 4.1.).
60
4.2.1. Transversal ...
Der transversale Blick auf die Kategorie Geschlecht ergibt sich aus der
postkolonialen feministischen Subjektkritik. Das differentielle und relationale
Denken von Geschlecht kongruiert mit einer postkolonialen Konzeption
feministischer
Politik
und
Wissenschaft.
Durch
die
Prinzipien
der
Differentialität und Relationalität wirkt das transversale Denken der (Re)Produktion hegemonialer Denkmuster und Praktiken sowie identitätslogischen
Ausschlussmechanismen der feministischen Theorie und Praxis entgegen.
Differentialität
erkennt
den
scheinbaren
Gegensatz
„die
hiesige
Frauenbewegung/die Anderen“, der von postkolonialen Theoretikerinnen
problematisiert wird, als ein politisch wirksames und gewolltes Konstrukt. In
Kapitel 3.2. wurde bereits deutlich, dass die Konstitution der „Anderen Frau“
der Legitimierung und Aufrechterhaltung des privilegierten Status der
„hiesigen Frauenbewegung“ dient. Durch das Konstrukt der „Anderen Frau“
erlangt der „hiesige Feminismus“ im Kontext des Modernitäts-DifferenzParadigmas (vgl. 2.) seine emanzipatorische Identität. Differentielles Denken –
das Eine ist konstitutiv für das Andere und umgekehrt – entlarvt die scheinbare
Dichotomie als konstruierte, hegemonial verfasste und damit als politisch
relevante Handlung.
Relationalität weist auf die rhizomatischen Konfigurationen der Kategorie
Geschlecht hin, deren Bedeutung sich nur kontextuell erschließen lässt.
Essentielle,
kollektivistische
und
universalistische
Entwürfe
eines
feministischen „Wirs“ sind nicht länger haltbar, da die Kategorie Geschlecht
dem Kontext entsprechend variiert. Subjektpositionierungen wie Geschlecht,
Ethnizität oder sexuelle Orientierung verhalten sich relational zueinander; sie
„stehen immer in einem Verhältnis zu etwas anderem und können daher
niemals mit sich identisch, einheitlich oder essentiell sein“ (Wartenpfuhl 2000:
147). Somit wird der Vielfalt, Konnexion und Heterogenität der Kategorie
Geschlecht Rechnung getragen.
Feministische Theorie und Praxis im Kontext des Transversalen kann ihrem
herrschaftskritischen, emanzipatorischen Anspruch gerecht werden, da das
Reden und Handeln im Namen der „Frauen“ einem radikalen Perspektivismus
61
und einer Kontextualisierung von Geschlecht im Sozialen weicht. Aus diesem
Grund kennzeichne ich das transversale Denken als postfeministisch. Auch hier
impliziert die Silbe „post“ kein epochenbildendes Davor oder Danach (vgl.
4.1), sondern ist vielmehr als ein strategischer Distanzierungsbegriff zu
verstehen. „Post“ markiert die kritische Distanz zu den Erklärungsmustern der
Kategorie Geschlecht, die nur für einige wenige privilegierte Frauen
repräsentativ sind. Durch diesen Abstand entlarvt die postfeministische
Perspektive den normativen Gehalt der Kategorie Geschlecht als Ergebnis
eines
hegemonialen
Aushandlungsprozesses
weißer,
heterosexueller
Mittelschichtsfrauen. Das Transversale kann als ein postfeministisches
Konzept verstanden werden, das dem normativen Gehalt der Kategorie
Geschlecht durch das Denken von Differentialität und Relationalität entkommt.
Die Kategorie Geschlecht erfährt durch das Transversale eine Öffnung für
vielfältige Bedeutungen und bereitet den Weg für anti-hegemoniale,
emanzipatorische feministische Theorie und Praxis. Daraus lässt sich eine erste
Definition des Begriffs Postfeminismus ableiten:
Das postfeministische Konzept impliziert einen transversalen Blick auf die
Kategorie
Geschlecht,
um
einer
essentiellen
und
universalistischen
Bestimmung des feministischen Subjektes entgegenzuwirken.
4.2.2. ... und postmodern
Der postmoderne Blick Lyotards korrespondiert mit der postkolonialen
Forderung nach einer perspektivistischen und kontextualisierten Sicht auf das
politische Subjekt der bundesdeutschen Frauenbewegung. Während das
Transversale durch eine azentrische, dekonstruktivistische Perspektive auf die
Kategorie Geschlecht das Subjekt des Feminismus als hegemonial verfasst
begreift, problematisiert postmoderne Kritik normative Handlungskonzepte
feministischer Politik, die auf der Konstitution des kollektiven Subjektes
„Frau“ basieren.
Bei den „Großen Erzählungen“ der Moderne handelt es sich um normative
politische Modelle, die Gesellschaft abstrahieren, um sie nach ihrem jeweiligen
62
Muster zu organisieren. Die „Große Erzählung über die Frau“ im
bundesdeutschen Kontext verfährt nach einer ähnlichen Strategie, da sie das
Kollektivsubjekt „Frau“ auf das Unterdrückungsmoment des Sexismus
abstrahiert. In 2.1. wurde bereits deutlich, dass „der hiesige Feminismus“
Sexismus
als
gesellschaftlichen
Hauptwiderspruch
versteht.
Unterdrückungsmomente wie Rassismus oder Heterosexismus, denen Frauen
ausgesetzt sind, gelten innerhalb dieser Logik als Nebenwiderspruch. Die
„Große Erzählung über die Frau“ im Kontext des „hiesigen Feminismus“
repräsentiert somit „den ‚wahren‘ – bzw. von anderen gesellschaftlichen
Herrschaftsstrukturen
befreiten
und
ausschließlich
über
die
Geschlechterkategorie definierten – Feminismus“ (Gümen 1996: 80).
Für die feministische Politik bedeutet dies die Fokussierung auf den antisexistischen Kampf, da die Erfahrungen weißer, heterosexueller Feministinnen
des Mittelstandes als Maßstab fungieren. Der politische Ausdruck dieses
Feminismus manifestiert sich in der Forderung nach der „Gleichheit der
Geschlechter“, die idealtypischer Ausdruck des liberalen Feminismus ist. Nach
Rosemarie Nave-Herz gibt es innerhalb der Neuen Frauenbewegung 21 „sehr
viele unterschiedliche Gruppierungen, zwischen denen keine Übereinstimmung
herrschte und herrscht über die Frage, wie die künftige Gesellschaftsordnung
aussehen soll, wie und auf welchem Wege Veränderung zu erfolgen habe“
(Nave-Herz
1993:
124).
Allerdings
lassen
sich
vier
idealtypische
Grundorientierungen unterscheiden: Das humanistisch-aufklärerische Konzept,
das marxistisch und radikal-sozialistische Konzept, das radikal-feministische
Konzept sowie das Gleichberechtigungskonzept, dem der liberale Feminismus
zu zuzählen ist (vgl. ebd.: 126).
Der humanistisch-aufklärerische Ansatz, der von der Frauengruppe des SDS
vertreten wurde, setzt „Freiheit und Mündigkeit als oberstes Postulat“ (ebd.:
125). Die bestehende Gesellschaftsform wird abgelehnt – es wird eine „neue
gefordert (...), die freier sein und auf der Mündigkeit ihrer Bürger (sic!)
beruhen soll“ (ebd.: 125).
Für Vertreterinnen des marxistischen und radikal-sozialistischen Konzeptes
innerhalb der Neuen Frauenbewegung ist „die Befreiung der Frau erst durch
die Veränderung der Wirtschaftsordnung möglich“ (ebd.: 125). Es gilt, die
63
kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung politisch zu überwinden,
da
eine
„völlige
Emanzipation“
(ebd.: 125)
der
Frauen
innerhalb
kapitalistischer Strukturen nicht denkbar ist.
Der radikal-feministische Ansatz strebt ebenfalls eine Veränderung der
Gesellschaftsordnung an. Im Gegensatz zum marxistischen und radikalsozialistischen Feminismus konzentriert sich der radikal-feministische Ansatz
nicht auf die Umstrukturierung der bestehenden Wirtschaftsordnung, sondern
betrachtet „das Patriarchat als primären Feind“ (ebd.: 126). Der Klassenkampf
wird nicht als „vorrangiges politisches Anliegen betrachtet, sondern als
männliche Strategie, die nur die wahren Tatbestände verschleiert, abgelehnt“
(ebd.: 126). Gefordert wird hingegen eine weibliche Gegenkultur, deren
politischer Kampf „auf einer sehr viel früheren Ebene der Unterdrückung (...),
nämlich der der Sexualität und der der patriarchalischen Verhaltensweisen,
durch die alle Frauen und Männer unterdrückt werden“ (ebd.: 126), ansetzt.
Während
Vertreterinnen
des
humanistisch-aufklärerischen,
des
marxistisch/radikal-sozialistischen sowie des radikal-feministischen Ansatzes
die bestehende Gesellschaftsordnung ablehnen und verändern wollen, fordern
liberale Feministinnen im Kontext des Gleichberechtigungskonzeptes eine
„Veränderung der Situation der Frau (...) ohne die Gesellschaftsordnung selbst
in Frage zu stellen“ (ebd.: 126). Der liberale Feminismus als größte
feministische Strömung (vgl. ebd.: 126) setzt sich demnach für die gleichen
Rechte der Frauen innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung ein.
Gesamtgesellschaftliche Auswirkungen des Gleichberechtigungskonzeptes sind
„Folge, nicht Ziel des Konzeptes“ (ebd.: 126).
Nach Thürmer-Rohr fordert der liberale Feminismus „ein aufgeklärtes
modernes Menschenbild (...) endlich auch für Frauen“ (Thürmer-Rohr 1995:
88) ein, indem er Ansprüche auf gleiche Rechte, gleiche Chancen, gleiche
Bildung usw. formuliert. Die politische Form des liberalen Feminismus ist
„eine Politik der Partizipation, Gleichstellung, Quote etc.“ (ebd.: 88).
Exemplarisch für die inhaltliche Programmatik des liberalen Feminismus ist
die 1977 gegründete Zeitschrift „EMMA“. Die Autorinnen vertreten z.B.
politische Konzepte wie die Quotenregelung22, um innerhalb der bestehenden
21
vgl. Nave-Herz 1993; sie gibt hier einen einen ausführlichen Überblick der Geschichte der
Neuen Frauenbewegung
22
vgl. hierzu die Diskussion über die Quote in EMMA 1/96
64
Gesellschaftsordnung die Gleichberechtigung von Frauen in Politik und
Wirtschaft zu forcieren. Als ein Beispiel für den liberalen Ansatz der EMMA
unterstützt die Zeitschrift den Aufruf „Frauen in die Bundeswehr!“ (vgl.
EMMA 1/96, 1/2000). Da hier eine kritische Analyse der Strukturen und
Funktionen der Bundeswehr nur marginal vorgenommen wird und sich auf die
Partizipation von Frauen innerhalb dieser Organisation konzentriert wird, kann
der Aufruf als Ausdruck liberaler feministischer Politik gewertet werden.
EMMA als größte europäische feministische Zeitung kann „insbesondere
definieren, wie eine ‚emanzipierte Frau‘ auszusehen hat, und sie hat die Macht,
Prioritäten von Befreiung zu definieren“ (Kübler 1993: 3). Anhand einer
Dokumentation der Heinrich-Böll-Stiftung von 1993 möchte ich aufzeigen, wie
die Zeitschrift EMMA als Ausdruck des liberalen, „hiesigen“ Feminismus die
„Andere Frau“ konstituiert. Die Dokumentation „Rassismus und Sexismus in
der EMMA?“23 bezieht sich vornehmlich auf ein Dossier zum Thema
Fundamentalismus, das im Juli/August 1993 in der EMMA erschien. Renate
Kreile kommt in ihrem Aufsatz „EMMA und die ‚deutschen Frauen‘: ‚an‘s
Vaterland, an‘s treue, schließt euch an ...“ zu dem Schluss, dass hier von den
Autorinnen der EMMA „die Beteiligung von Frauen an unterdrückerischen
und rassistischen Diskursen und Praktiken übersehen, geleugnet oder
schlichtweg definitorisch ausgeklammert wird“ (Kreile 1993: 125). An
mehreren Beispielen belegt sie, wie „im Namen des Kampfes gegen den
Sexismus unter Verwendung rassistischer Stereotype kräftig am Feindbild
Islam gepinselt und damit Anschluss an den breiten gesellschaftlichen Konsens
gefunden wird“ (ebd.: 124). Eines ihrer Beispiele soll an dieser Stelle kurz
vorgestellt werden:
„Eine Frau ruft einen Notarzt. Der ist Moslem“, was die deutsche Frau an
seinem „starken Akzent“ und seinem „gebrochenem Deutsch“ erkennt. Er
spricht „ungeduldig“ und „aggressiv“, „mit spitzen Fingern zerrt er ihr das
Nachthemd“ bis zu den Knien. Doch stellt die Patientin „seine Kompetenz
keinen Augenblick in Frage“, da er „Ausländer ist“ und sie eine „tolerante
Person“. Diese Toleranz erweist sich als ihr fast „tödliches Pech“, da der
„Ausländer“ eine Fehldiagnose stellt. Erst ein „Kölner Arzt“ verhindert das
Schlimmste: „Hätte ich das Beruhigungsmittel des Notarztes genommen, hätte
23
die Dokumentation wurde von Klaus Jetz im Dezember 1993 zusammengestellt
65
ich wohl endgültig Ruhe gegeben. Ich hätte meinen eigenen Tod verdämmert,
weil ich einem Arzt aus einem vollkommenen anderem Kulturkreis
unverständlich und widerlich war“ (EMMA Juli/August 1993).
Kreile kommentiert dazu: „Frappierend und empörend an dem Artikel finde
ich, wie unverhüllt hier mit der medizinischen Leidensgeschichte einer Frau,
die Opfer einer falschen ärztlichen Behandlung wird, ausgrenzende und
rassistische Stereotype kombiniert und transportiert werden“ (Kreile 1993:
123). Karin Hörner nimmt in diesem Zusammenhang eine Analyse des von den
EMMA-Autorinnen verwendeten Vokabulars vor (vgl. Hörner 1993). Eine
„dauernde Wiederholung von Wörtern (sic!) wie ‚Feind‘, ‚Hass‘, ‚Terror‘,
‚Blut‘, ‚Kreuzzug‘, ‚Krieg‘ usw.“ (Hörner 1993: 2) führt ihrer Meinung nach
zu einer „Beschwörung eines Kriegszustandes“ (ebd.: 2). Dabei machen die
EMMA-Autorinnen vor „nationalistischen und rassistischen Ressentiments
gegen Ausländer“ (ebd.: 2) nicht halt: „Ständig wird betont, dass ‚deutsche‘
Eltern, Frauen usw. Angriffsziel der Fundamentalisten sind, ‚deutsches‘ Geld
für Muslime ausgegeben wird“ (ebd.: 2f.).
Rassismus ist laut EMMA männlich (vgl. EMMA Juli/August 1993) – das
Fundamentalismus-Dossier
überzeugt
jedoch
vom
Gegenteil,
da
die
Autorinnen der EMMA sich rassistischer Klischees bedienen, um „deutsche
Frauen vor muslimischen Männern in Deutschland“ (Kreile 1993: 124) zu
warnen. Zugleich reproduzieren die Autorinnen das gängige Bild einer
muslimischen Frau: Unterdrückt, nicht emanzipiert und vormodern (vgl. 2.
Kapitel).
Die Kritik der Schriftstellerin Aysel Özakin an der Zeitschrift EMMA ist vor
diesem Hintergrund zu verstehen. Sie problematisiert zum einen „die
populistische Haltung, was die Türkei/Minderheiten betrifft“, zum anderen die
fehlende „geistige intellektuelle Wahrnehmung besonders der türkischen
Frauen (...) EMMA sieht nur das Leid und ist nicht fähig, Widersprüche
wahrzunehmen“ (Özakin in EMMA 2/87: 47).
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass EMMA „einerseits engagiert
gegen den vorherrschenden sexistischen Konsens hierzulande eintritt, aber
gleichzeitig massiv dem herrschenden rassistischen Konsens Vorschub leistet“
(Kreile 1993: 129). Dieser rassistische Konsens manifestiert sich in der
Übernahme rassistischer Stereotype (z.B. in der Verwendung von Begriffen
66
wie „der Islam“, „der muslimische Mann“, „islamische Horden“, „primitive
Gesellschaft“ in EMMA Juli/August 1993) sowie in der Aberkennung des
Subjektstatus muslimischer Frauen (Begriffe wie „geknechtet“, „verunstaltet“,
„sterben an der Heimatfront“ in EMMA Juli/August 1993) 24. Die muslimische
Frau ist die „Andere Frau“, die dem selbst auferlegten Bild des „hiesigen
Feminismus“ als emanzipatorisch und aufgeklärt nicht entspricht.
Die „Große Erzählung über die Frau“ des liberalen Feminismus scheint
demnach frei zu sein von gesellschaftlichen Machtverhältnissen, die auf
Ethnizität, Klassenzugehörigkeit oder sexueller Orientierung gründen. Diese
Annahme wird durch die Frage, mit welchen „anderen Gruppen von Frauen der
Feminismus politische Koalitionen eingehen soll“ (Wartenpfuhl 2000: 78)
noch unterstrichen. In dieser Gegenüberstellung von Feminismus und den
„anderen Gruppen von Frauen“ (z.B. Migrantinnen, lesbische Frauen) werden
Frauen, „die sich schon immer dem Feminismus zugehörig fühlten, in die
Position der Anderen verwiesen“ (Wartenpfuhl 2000: 78). Flax gibt zu
bedenken, dass
„die Suche nach einem alles bestimmenden Thema oder einem einzigen feministischen
Standpunkt die Unterdrückung anderer wichtiger, aber unbequemer Stimmen erfordern –
Stimmen von Personen, die andere Erfahrungen haben als wir (...) die Unterdrückung dieser
Stimmen wäre dann eine notwendige Bedingung für die Autorität, Kohärenz und Universalität
unserer eigenen“ (Flax 1992: 85).
Eine ausschließliche Orientierung an politischen Konzepten, die Sexismus als
Hauptunterdrückungsmoment der Gesellschaft determinieren, garantiert daher
die Hegemonie des „Großen Feministischen Wirs“. Das „Verlangen nach einer
einheitlichen und totalisierenden Wahrheit“ (Lyotard 1979: 47) zeigt sich in
der exklusiven Bezugnahme auf den anti-sexistischen Kampf des liberalen
Feminismus.
In diesem Zusammenhang weist Thürmer-Rohr darauf hin, dass sich die
„Frauen der westlichen Welt (...) nicht nur als Beschädigte patriarchaler
Gewalt und als Benachteiligte patriarchaler Dominanz“ (Thürmer-Rohr 1995:
91) begreifen dürfen, da sie Mitglieder der westlichen „Dominanzkultur“ (ebd.:
91) sind, an ihr mitwirken und von ihr profitieren. Sie wendet sich damit gegen
eine feministische Praxis, die allein das Geschlechterverhältnis bzw. die „Frau
als Objekt der Diskriminierung“ (ebd.: 95) als Gegenstand politischer Kritik
definiert. Wenn Feminismus als Herrschaftskritik bestimmt wird, muss „ebenso
24
die Begriffsbesipiele sind der Text-Analyse von Hörner 1993 entnommen
67
die westliche Kultur als Subjekt der Diskriminierung Anderer, das heißt
derjenigen, die von dieser Kultur als Andere konstituiert werden“ (ebd.: 95)
reflektiert werden. Ihr geht es somit um das „bewusste Zusammendenken von
Problem-Haben und Problem-Sein“ (ebd:: 95), dass sich in der feministischen
Praxis wiederfinden soll. Der weiße, westliche Feminismus muss sich seiner
Täterinnen-Rolle bewusst werden, um herrschaftskritisch agieren zu können.
Dazu
zählt
auch
„der
Rückzug
von
den
großen
modernen
Emanzipationsansprüchen und –parolen“ (ebd.: 91), da diese durch die
Entwertung von Heterogenität und dem Streben nach einer soziokulturellen
Einheit Herrschaft organisieren und absichern. Die „Große Erzählung über die
Frau“ im Kontext des liberalen Feminismus verfährt nach diesem Muster: Der
Gehalt des Begriffs „Frau“ wird von einigen wenigen Frauen normativ
bestimmt; daraus ergeben sich politische Forderungen, die repräsentativ sind
für die Gruppe von Frauen, die die Definitionsmacht über das Konzept „Frau“
besitzen.
Die Lyotard‘sche Forderung „Krieg dem Ganzen (...), aktivieren wir die
Differenzen“ (Lyotard 1982: 48) dokumentiert den Gegenentwurf zu
normativen politischen Vorstellungen des liberalen Feminismus. Die
Aktivierung bzw. das Denken der Differenz steht im Widerspruch zu der
„Großen Erzählung über die Frau“, da eine universalistische und essentielle
Bestimmung des Begriffs „Frau“ aufgegeben werden muss. Differenz denken
bedeutet demnach, den transversalen Charakter der Kategorie Geschlecht zu
berücksichtigen. Die Konsequenz für die „Große Erzählung über die Frau“
liegt auf der Hand: Der Begriff „Frau“ erfährt eine analytische Öffnung und
wird damit „in eine Zukunft vielfältiger Bedeutungen entlassen“ (Butler 1993:
50). Nach Butler führt „jeder Versuch, der der Kategorie ‚Frauen‘ einen
universellen oder spezifischen Gehalt zuweist“, zu einer „Zersplitterung
innerhalb der Wählerschaft“ (ebd.: 49). Und weiter:
„Die ‚Identität‘ als Ausgangspunkt kann niemals den festigenden Grund einer politischen
feministischen Bewegung abgeben. Identitätskategorien haben niemals nur einen deskriptiven,
sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter“ (ebd.: 49).
Dies bedeutet für sie nicht, den Gebrauch des Begriffs „Frau“ zu zensieren, da
ihrer Meinung nach „innerhalb des Feminismus eine gewisse politische
Notwendigkeit, als und für Frauen zu sprechen“ (ebd.: 48) besteht. Um jedoch
ein hegemonial verfasstes, ausschließendes feministisches „Wir“ zu vermeiden,
68
muss der Begriff „Frau“ von den „maternalen und rassischen Ontologien“
befreit werden, damit „bislang unvorhergesehene Bedeutungen zum Tragen
kommen können“ (ebd.: 50). Dies impliziert, dass durch das Denken der
Differenz „die Risse zwischen und unter den Frauen gerade geschützt und
aufgewertet werden“ (ebd.: 50).
Hier wird die Affinität zwischen dem Denken Butlers und dem PostmoderneKonzept Lyotards besonders deutlich: Während Lyotard eine philosophische
Strategie entwickelt, die dem Dissens verpflichtet ist (vgl. 4.1.) und so
totalisierende Theorien vermeidet, will Butler die „Risse“ bzw. die Differenzen
innerhalb der Genus-Gruppe Frauen betonen, um dem normativ-hegemonialen
Gehalt des Begriffs Frau zu entkommen. Die Termini „Dissens“ und „Risse“
stehen den auf Einheit und Totalität basierenden Konzepten der „Großen
Erzählung“ bzw. der „Großen Erzählung über die Frau“ diametral gegenüber.
In der Logik dieser „Großen Erzählungen“ sollen widerstreitende Elemente
durch eine alles umfassende Idee versöhnt werden. Dissens und die
Aufwertung von Rissen innerhalb der Kategorie Frau hingegen streben keinen
Konsens an, da dieser Heterogenität entwertet und damit „den Terror
strukturell in sich trägt“ (Pries/Welsch 1995: 544).
Der Abstand von abstrakten Gesamtdeutungen des feministischen Subjektes
durch die Fokussierung auf die kleinste Ebene des sozialen Zusammenhangs,
die der Sprachspiele, führt zu einer analytischen Öffnung der Bezugsgröße
„Frau“. Innerhalb der Lyotardschen Theorie der Sprachspiele, die ein
„Patchwork der Minderheiten“ impliziert, können die „Anderen Frauen“ nicht
länger als Minderheit kodifiziert werden, da keine Mehrheit der „Identischen
Frauen“ existiert. So kommen bislang marginalisierte Subjektpositionierungen
innerhalb feministischer Theorie und Praxis zu ihrem politischen Recht.
Lyotard formuliert dies so:
„Die Gerechtigkeit wäre folgende: der Vielfalt und Unübersetzbarkeit der ineinander
verschachtelten Sprachspiele ihre Autonomie, ihre Spezifität zuzuerkennen, sie nicht
aufeinander zu reduzieren; mit einer Regel, die trotzdem eine allgemeine Regel wäre, nämlich
‚lasst spielen ... und lasst uns in Ruhe spielen‘“ (Lyotard 1982: 33).
Aus dieser „allgemeinen Regel“ ergibt sich der Entwurf „Patchwork der
Minderheiten“,
der
mit
der
postkolonialen
Forderung
nach
einer
perspektivistischen und kontextualisierten Sicht auf die Kategorie Geschlecht
kongruiert. Das Subjekt feministischer Theorie und Praxis erschließt sich
69
demnach aus der jeweiligen Positionierung der Sprachspielerinnen und wird
immer wieder neu ausgehandelt. Die Beantwortung der Frage „wer redet von
wo aus für wen?“ (Gutiérrez Rodríguez 1996: 170) ist Prämisse für eine
Subjektkonstitution im Sinne eines „Patchworks der Minderheiten“, da sie die
unterschiedlichen Positionierungen von Frauen artikuliert.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das feministische Subjekt durch
den postmodernen Blick eine analytische sowie politische Öffnung erfährt. Die
Strategie einer Subjektkonstitution jenseits einer hegemonialen Norm, die
Heterogenität und Vielfalt Rechnung trägt, begreife ich als postfeministisch.
Auch hier ist der Begriff „Postfeminismus“ nicht als ein epochenbildendes
Davor oder Danach zu verstehen – vielmehr fungiert er als ein „radikales
Korrektiv“ (Fechner 1990: 29): Postfeminismus im Kontext der Philosophie
Lyotards meint die Wahrung einer kritischen Distanz gegenüber der „Großen
Erzählung über die Frau“, um Ausschlüsse und Subsumtion unterschiedlicher
Subjektpositionierungen von Frauen zu vermeiden. Die zweite Definition des
Begriffs Postfeminismus lautet demnach :
Das postfeministische Konzept distanziert sich von der hegemonial verfassten
„Großen Erzählung über die Frau“, indem es Differenzen innerhalb der
Kategorie „Frau“ aufwertet und so normativen Bestimmungen des
feministischen Subjektes entgegenwirkt.
4.3.
Schlussfolgerung
Ausgehend von der postkolonialen Kritik an feministischer Theorie und Praxis
der bundesdeutschen Frauenbewegung (2. Kapitel) entwickelte ich im 3.
Kapitel die Perspektive des Transversalen, die die Kategorie Geschlecht als
eine rhizomatische Konfiguration bestimmt und damit den Ausschluss oder die
Subsumtion der „Anderen Frau“ vermeiden will. Im 4. Kapitel zeigte ich, dass
der transversale Blick auf die Kategorie Geschlecht innerhalb der
philosophischen Strömung der „Postmoderne“ zu verorten ist. Hierbei bezog
ich mich explizit auf den Postmoderne-Begriff Lyotards. Lyotard bestimmt die
Postmoderne als einen strategischen Distanzierungsbegriff, der inhaltlich an
70
den Werten der Moderne („Freiheit des Individuums“) festhält, diese jedoch
durch die „Großen Erzählungen der Moderne“ nicht verwirklicht sieht. Das
Konzept der Postmoderne will den heterogenen Charakter von Gesellschaft
Rechnung tragen, indem es sich gegen die totalisierenden Ideen des Marxismus
oder Funktionalismus wendet. Diese „Großen Erzählungen“ der Moderne
denken Gesellschaft entweder als „zweigeteilt“ oder als „funktionales Ganzes“
(Lyotard 1979: 42), was die Gefahr von Terror und Vernichtung in sich birgt
(vgl. 4.1.). Durch die Theorie der Sprachspiele, veranschaulicht durch das
„Patchwork der Minderheiten“, gelingt Lyotard ein Abstand zu abstrakten
normativen Gesellschaftskonzeptionen, die Heterogenität negieren und damit
Herrschaft sichern.
Die postmoderne Kritik an normativen Gesellschaftskonzeptionen und den
Gegenentwurf eines „Patchwork der Minderheiten“ konzeptionalisierte ich in
4.2.2. für die feministische Theorie und Praxis. Es zeigte sich, dass der
postmoderne Blick auf die „Große Erzählung über die Frau“ mit dem
transversalen Blick auf die Kategorie Geschlecht (4.2.1.) kooperiert:
Sowohl die transversale als auch die postmoderne Perspektive auf
feministische Theorie und Praxis beinhalten eine kritische Distanz zu
normativen
Erklärungsmustern,
die
dem
anti-hegemonialen
Anspruch
postkolonialer Kritik gerecht wird; die Konsequenz aus beiden Perspektiven ist
zum einen die rhizomatische Kontextualisierung der Kategorie Geschlecht,
zum anderen die analytisch-politische Öffnung des feministischen Subjektes.
Einer hegemonialen Bestimmung der Kategorie Geschlecht und des
feministischen
Subjektes
„Frau“,
heterosexueller
Feministinnen
des
welche
die
Mittelstandes
Erfahrungen
spiegelt,
weißer,
wird
so
entgegengewirkt.
Als Ergebnis der transversalen und postmodernen Lesart von feministischer
Theorie und Praxis formulierte ich den Begriff des „Postfeminismus“ (4.2.),
der meiner Ansicht nach folgendermaßen gekennzeichnet werden kann:
1.
Das postfeministische Konzept impliziert einen transversalen Blick auf
die Kategorie Geschlecht, um einer essentiellen und universalistischen
Bestimmung des feministischen Subjektes entgegenzuwirken (4.2.1.).
2.
Das postfeministische Konzept distanziert sich von der hegemonial
verfassten „Großen Erzählung über die Frau“, indem es Differenzen
71
innerhalb der Kategorie „Frau“ aufwertet und so normativen
Bestimmungen des feministischen Subjektes entgegenwirkt (4.2.2.).
Meine
Definition
des
Begriffs
„Postfeminismus“
verdeutlicht
den
herrschaftskritischen Impetus postfeministischer Lesarten. Dennoch ist die
Markierung „herrschaftskritisch“ ambivalent, da nach Butler jede „Theorie (...)
stets in die Macht verwickelt ist“ (Butler 1993: 35).
Sie weist hier meiner Ansicht nach auf ein schwerwiegendes Dilemma
postfeministischer Lesarten hin: Wenn jede Theorie, jede Philosophie in die
Macht verwickelt ist, gilt dies augenscheinlich auch für die postfeministische
sowie
postkoloniale
Perspektive.
Flax
umschreibt
diese
Problematik
folgendermaßen:
“Wir können nicht beides gleichzeitig behaupten: dass (erstens) Denken, Subjekt und Wissen
sozial begründet sind und unser Erkennen von unseren sozialen Praktiken und Kontexten
abhängt, und dass (zweitens) die feministische Theorie die Wahrheit des Ganzen ein für
allemal aufdecken kann. Eine solche absolute Wahrheit (z.B.: die Erklärung für alle
Geschlechterarrangements zu allen Zeiten ist X) würde einen ‚Archimedischen Punkt‘
außerhalb des Ganzen und jenseits unserer Zugehörigkeit dazu voraussetzen, von dem aus wir
das Ganze sehen und wiedergeben könnten“ (Flax 1992: 85).
Zwar bezieht sich Flax hier auf den „Archimedischen Punkt“ des „großen
feministischen Wir‘s“ weißer, heterosexueller Feministinnen des Mittelstandes,
der sich in dem Hauptwiderspruch Sexismus äußert (vgl. 4.2.2.) - allerdings
kann ihr Text ebenso auf postkoloniale und postfeministische Positionierungen
bezogen werden. Die
Fragen lauten dann:
Wo befindet
sich der
„Archimedische Punkt“ des Postfeminismus? Was ist die normative
Grundlage,
die
„in
jeder
Theorie
als
das
Unhinterfragte,
das
Unhinterfragbare“ (Butler 1993: 37) funktioniert, der postfeministischen
Perspektive?
Und
vor
allem:
Wie
kann
die
Gratwanderung
von
postfeministischen und postkolonialen Theoretisierungen auf der einen und
herrschaftsfreiem Anspruch auf der anderen Seite bewerkstelligt werden?
Ein möglicher Weg, diesem Dilemma zu begegnen, ist die unbedingte und
ständige Reflexion der eigenen Positionierungen und Aussagen. Die
Beantwortung der Fragen Von wo aus spreche ich? Vor welchem Hintergrund
entwickle ich meine Positionen? In welchem Kontext entsteht meine Theorie?
sollten handlungsleitend für postfeministische Analysen sein. Der Anspruch
einer kritischen Selbstreflexion stellt eine Prämisse für anti-hegemoniale,
emanzipatorische
feministische
Theorie
72
und
Praxis
dar.
Flax
sieht
postfeministische Theoretikerinnen in diesem Zusammenhang vor vier
Aufgaben gestellt:
„Wir müssen 1. feministische Gesichtspunkte von und in der sozialen Welt entwickeln, in der
wir leben; 2. darüber nachdenken, wie wir von dieser Welt beeinflusst werden; 3. in Betracht
ziehen, dass die Art, wie wir über sie denken, in vorhandenen Macht- und Wissensbeziehungen
begründet sein kann; und 4. uns Wege einfallen lassen, mit denen diese Welten verändert
werden sollten/könnten“ (Flax 1992: 94).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine reflexive Theoretisierung für
postfeministische Perspektiven unerläßlich ist. In 5.3.3. werde ich zeigen, dass
diese kritische Reflexivität der eigenen Positionen gleichermaßen auf der
Ebene politischer Praxis vonnöten ist. Für Thürmer-Rohr führt postmoderner
Feminismus „nicht zu Partei und Programm, nicht zu Gemeinschaften, nicht zu
stabilen Gruppen, nicht zu Kontinuitäten“ (Thürmer-Rohr 1995: 93), da diese
politischen Konzepte normative Grundlagen erfordern. Herkömmliche
Organisationsformen
politischer
Praxis
–
Parteien
oder
feste
Gruppenzusammenhänge, wie z.B. die „identity-politics“25 der 1960er Jahre werden demnach von postfeministischer Seite aus problematisiert, da sie
Gefahr laufen, durch die Formulierung allgemeiner und abstrakter Aussagen
andere Subjektpositionierungen von Frauen zu übergehen oder zu subsumieren.
Es
stellt
sich
die
Frage,
wie
postfeministische
politische
Praxis
konzeptionalisiert werden kann. Hall gibt einen ersten Anhaltspunkt: Er fordert
eine „Politik, die darin besteht, Identität in der Differenz zu leben – eine
Politik, die anerkennt, dass wir alle aus vielen sozialen Identitäten, nicht aus
einer einzigen, zusammengesetzt sind“ (Hall 1994: 84). Identitäten-Politik im
Namen „der Frauen“ oder „der Schwarzen“ muss reflektieren, auf Kosten von
welch anderen Subjektpositionierungen politische Ziele formuliert werden (vgl.
ebd.: 84f.). Hier greift die Forderung nach einer kritischen Reflexion eigener
Positionierungen, die ich bereits weiter oben als Prämisse für postfeministische
Theorie und Praxis formulierte. Doch wie kann feministische Politik jenseits
eines stabilen feministischen Subjektes, jenseits einer Identitäten-Politik im
Namen „der Frauen“, jenseits normativer politischer Grundlagen, gedacht
werden? Wie verhält es sich mit der politischen Handlungsfähigkeit im
Zeichen des Postfeminismus?
„identity-politics“ bedeutet nach Hall eine Politik, die „eine Identität pro Bewegung“ zulässt;
er bezieht sich hiermit auf die strategisch-essentialistische Politik marginalisierter Gruppen.
25
73
5. Postfeministische Politik
Im folgenden Kapitel werde ich am Beispiel der „riot grrrl“-Bewegung die
Erweiterung und Neudefinition feministischer Politik durch postfeministische
Strategien
vorstellen
(5.2.).
Feministische
Politik
im
Zeichen
des
Postfeminismus formiert sich nicht nur um feste Gruppenzusammenhänge,
Organisationen, Parteien oder Programme (vgl. Nave-Herz 1993) - vielmehr
will der postfeministische Gestus das Politische „in eine Zukunft vielfältiger
Bedeutungen entlassen“ (Butler 1993: 50).
Die „riot grrrl“-Subkultur, die 1991 aus der amerikanischen Hardcore- und
Punk-Szene hervorging, kann meiner Ansicht nach als ein Beispiel für
postfeministische Politikformen gewertet werden. Mädchen und junge Frauen,
die sich der „riot grrrl“- Kultur zugehörig fühlen, reorganisieren kulturelle
Codierungen, um ihnen neue und oppositionelle Bedeutungen zu geben.
Innerhalb der männlich dominierten Subkulturen wie der Punk- oder
Hardcorebewegung gelingt ihnen durch Subversion, Ironie, Überzeichnung und
Spiegelung eine Politik, die durch Irritation das patriarchal konstituierte
Mädchen- und Frauenbild zerstört. So werden neue Handlungs- und
Darstellungsebenen für Mädchen und Frauen erkämpft (vgl. 5.3.1.).
Der politische Widerstand der „riot grrrls“ findet auf der Ebene von Zeichen
statt. In 3.1.1. skizzierte ich bereits die Zeichentheorie de Saussures‘: Sein
strukturalistischer Ansatz geht davon aus, dass Wirklichkeit durch ein
Differenzsystem von Zeichen hervorgebracht wird. Wirklichkeit kann wie ein
Text gelesen werden; Sinn und Bedeutung eines Zeichens sind konstruiertes
Ergebnis bestimmter Benennungsprakitken. Hier greift die politische Relevanz
der Ebene der Signifikation. Wenn „die Bedeutung (...) dem Zeichen nicht auf
geheimnisvolle Weise immanent“ (Eagleton 1988: 75) ist, besteht die
Möglichkeit, Zeichen von hegemonial-patriarchalen Sinnzuweisungen zu
befreien. „Riot grrrls“ betonen diese Arbitrarität von Zeichen, indem sie
patriarchal konnotierte Signifikanten wie „Mädchen“ von sexistischen
Bedeutungen lösen.
Eine Politik im Namen der „Schwarzen“, „Frauen“ oder „Homosexuellen“ definiert
ausschließlich eine Subjektpositionierung als politischen Ausgangspunkt
74
Bevor ich jedoch näher auf die Strategien und Taktiken der „riot grrrls“
eingehe (5.3.), werde ich diese in den Kontext der zeichentheoretischen
Überlegungen Jean Baudrillards stellen (5.1.). Die Philosophie Baudrillards
gibt Aufschluss über Wege und Strategien, die hegemoniale Zeichenproduktion
zu subvertieren (vgl. 5.2.).
5.1. „Die Digitalität ist unter uns“ Jean Baudrillard
In seiner Schrift „Der symbolische Tausch und der Tod“ von 1982
verabschiedet sich Baudrillard von der marxistischen Vorstellung einer
gesellschaftlichen Umwälzung durch Revolution. Ähnlich wie Lyotard glaubt
er nicht länger an die marxistische Theorie und avanciert zu einem Kritiker
klassischer linker Ideologien (vgl. Blask 1995: 13). Baudrillard formuliert „die
Kapitulation herkömmlicher Gesellschaftskritik“ (ebd.: 44), die nach Lyotard
mit dem Scheitern der „Großen Erzählungen“ eintritt, auf der Grundlage von
zeichentheoretischen
Überlegungen.
Während
de
Saussure
ein
strukturalistisches Zeichensystem entwirft, das ahistorisch und universal
anzuwenden ist (vgl. 3.1.1.), geht Baudrillard davon aus, dass Zeichenwelten
„im Laufe der Geschichte (...) ihre Erscheinungsform, Funktion und
theoretische Bedeutung“ (Blask 1995: 26) verändern. Er verortet die
Bedeutungskonstitution
von
Zeichen
innerhalb
von
historisch-
gesellschaftlichen Kontexten, die variieren. Die zentrale Annahme Baudrillards
formiert sich um das Verschwinden der Realität, um das „Ende der
Geschichte“26 (Baudrillard 1990: 29). Um diesem auf die Spur zu kommen,
arbeitet er mit dem Begriff der Simulakra. Simulakra definiert Baudrillard als
künstliche Zeichenwelten, die einer dreistufigen Evolution unterworfen sind.
Diese Evolution setzt er in einen historischen Zusammenhang:
Das Simulakra der ersten Ordnung ist im Zeitalter der Renaissance
anzusiedeln. Um dieses Zeitalter der Imitation zu erklären, bezieht er sich auf
die frühen feudalen, archaischen Gesellschaften, die von eindeutigen Zeichen
geprägt waren. Diese Ordnung einer „unbarmherzigen Hierarchie“ (Baudrillard
die Theorie vom „Ende der Geschichte“ kennzeichnet Baudrillard als einen Vertreter der
„Posthistoire“ (vgl. Fechner 1990)
26
75
1982: 80) schließt willkürlichen Gebrauch von Zeichen aus, da jedes einem
bestimmtem gesellschaftlichen Status zugeschrieben ist. Zeichen sind demnach
begrenzt und „jedes hat den Wert eines Verbotes, jedes bedeutet eine
wechselseitige Verpflichtung zwischen Kasten, Clans oder Personen“ (ebd.:
80).
Mit der Renaissance setzt eine Wende ein. Das Ende der feudalen Ordnung
bringt den Beginn des „offenen Wettbewerbs auf dem Gebiet der
Distinktionszeichen“ (ebd.: 80) mit sich. Der Wettbewerb von Zeichen beginnt
mit der Verarbeitung von Stuck als einem Material, das Zeichen kopieren und
nachahmen kann. Zeichen, die ehemals nur privilegierten Menschen
zugänglich waren, werden durch Imitation demokratisiert. Die Imitation von
Zeichen, seien es vorgetäuschte Hemdbrüste oder die „Gabel als künstliche
Prothese“ (ebd.: 81), ermöglichen die synthetische Nachahmung der Welt.
Identische Abbildungen der Wirklichkeit befreien das Zeichen von der
Bindung an hierarchische Klassen- und Schichtstrukturen. Stuck fungiert als
Imitationsmaterial aller erdenklichen Formen: „Der Stuck ist die triumphale
Demokratie aller künstlichen Zeichen (...)“ (ebd.: 81). Und weiter: „ (...) die
Apotheose des Theaters und der Mode, die der neuen Klasse die Möglichkeit
eröffnet, alles zu tun, weil es ihr gelungen ist, die Exklusivität der Zeichen
aufzubrechen“ (ebd.: 81).
Dieses Prinzip wird durch die industrielle Revolution und dem damit
einhergehenden Simulakra der zweiten Ordnung abgelöst. Im Vordergrund
steht nicht länger die Imitation der Zeichen sondern der Vorgang der
Produktion von neuen Zeichen: „Zeichen ohne die Tradition einer Kaste,
Zeichen, die niemals die Beschränkungen durch einen Status gekannt haben die also nicht mehr imitiert werden müssen, weil sie von vornherein in
gigantischem Ausmaß produziert werden“ (ebd.: 87). Die Bilder Andy Warhols
illustrieren das Prinzip der Reproduktion; seine Kunst ist eine Parodie auf den
Vorgang der Verwertbarkeit und eine Groteske auf den der Serie. Kunst bricht
ihr Gesetz, indem sie zur Ware wird (vgl. Blask 1995: 28). Verglichen mit der
„Epoche der Imitation, des Doubles, des Spiegels, des Theaters, des
Maskenspiels und des Scheins“ (Baudrillard 1982: 87) misst Baudrillard dem
Zeitalter der seriellen Reproduktion von Zeichen eine geringere Bedeutung bei.
76
Zudem sei diese Epoche von kurzer Dauer und „eine ziemlich dürftige
imaginäre Lösung zur Beherrschung der Welt“ (ebd.: 87).
Anders verhält es sich seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die Welt
ist beherrscht vom Modell. Das Simulakra der dritten Ordnung, das der
Simulation, ist omnipräsent. Wirklichkeit kann sich nicht mehr ereignen, da
bereits Modelle bereitstehen, in die sich die Wirklichkeit einfügt. Was
versteckt sich hinter diesem Gedanken?
Das als Überschrift dieses Kapitels verwendete Zitat Baudrillards „Das
Digitale ist unter uns“ (Baudrillard 1982: 97) steht exemplarisch für den
binären Code, der Struktur und Steuerung in sich vereint. Er ist es, der „in allen
Mitteilungen, in allen Zeichen unserer Gesellschaft herumspukt“ (ebd.: 97).
Baudrillard sieht eine Entwicklung hin zu „einem Universum von binären
Strukturen und Gegensätzen“ (ebd.: 90) und nimmt den genetischen Code als
Ausgangspunkt
für
Informationsverarbeitung
seine
sind
Überlegungen.
aus
Information
molekularbiologischer
und
Perspektive
Wiederholungen der vier Basen A, C, G und T, deren Sequenz allein
entscheidend ist. Baudrillard überträgt die „taktische Indeterminiertheit“ (ebd.:
97) dieses Modells auf das Kommunikationssystem: „Der Zyklus der
Bedeutung wird dabei unendlich verkürzt zum Zyklus der Frage/Antwort“
(ebd.: 97). Komplexe Kommunikation wird demnach durch einen Test ersetzt,
der durch das Schemata Frage/Antwort gekennzeichnet ist. Hier beginnt
Simulation: Antworten sind immer durch Fragen induziert und besitzen
vorhersehbaren Modellcharakter, eine Frage ist das „unmittelbare Aufdrängen
einer Bedeutung“ (ebd.: 97). Dem Vorgang des Tests sind stereotype Modelle
immanent. Baudrillard sieht diese binäre Matrix in „der kleinsten disjunktiven
Einheit (dem Frage/Antwort-Partikel) bis zur makroskopischen Ebene der
großen Systeme des Alternierens, die die Ökonomie, die weltweite Koexistenz
steuern“ (ebd.: 109f.).
Die Matrix 0/1 „ist der Kern der uns beherrschenden Simulationsprozesse“
(ebd.: 110). Realität, Geschichte oder Ereignisse können nicht mehr stattfinden,
da sie bereits existieren - codiert auf einer Matrix, einem binären System,
jederzeit abrufbar und schematisch einzuordnen. Wirklichkeit ist hyperreal, sie
ist die „exakte Verdopplung des Realen“ (ebd.: 113). Konnte im Simulakra der
ersten Ordnung das Reale durch Imitation verortet werden, hat Realität nun
77
jeden Bezugspunkt verloren und sich in endlos kombinierbare Modelle
aufgelöst, die um sich kreisen:
„Das Problem der Zeichen, die Frage nach ihrer vernünftigen Bestimmung, nach dem Realen
und Imaginären an ihnen, nach ihrer Verdrängung, ihrer Verkehrung, nach der Illusion, die sie
darstellen, nach dem, was sie verschweigen oder nach ihren Nebenbedeutungen - das alles wird
auf dieser Ebene ausgelöscht“ (ebd.: 90).
Baudrillards Thematisierung der Digitalität, seine Problematisierung der
binären
Codierung
von
Wirklichkeit,
weist
Parallelen
zu
der
dekonstruktivistischen Lesart der okzidentalen Philosophietradition auf, die ich
im 3. Kapitel vorstellte. Wirklichkeit konstituiert sich im Kontext der
metaphysischen Philosophietradition durch binäre begriffliche Schemata,
denen ein Ursprungsgedanke inhärent ist (vgl. 3.1.). Baudrillard sieht diese
„entweder/oder“- Struktur der Wirklichkeit in einem digitalen Code
systematisiert. Diese Umschreibung kongruiert mit der dekonstruktivistischen
Lesart Derridas, da beide Zugänge das hegemoniale Moment in der Binarität
verwirklicht sehen. Allerdings verwendet Baudrillard eine andere Strategie, um
der digitalisierten Wirklichkeit entgegenzutreten. Er bewegt sich nicht wie
Derrida innerhalb der binären begrifflichen Struktur, um diese aufzubrechen
(vgl. 3.1.1.) - vielmehr sucht er nach einem Außerhalb der Digitalität, um zu
zeigen, dass die binäre Struktur der Beschreibung von Wirklichkeit nicht
gerecht werden kann. Das Digitale stellt Wirklichkeit nur unzureichend dar, da
Vielfalt und Widersprüche innerhalb der Matrix 0/1 keine Berechtigung haben.
Der Verweis auf ein Außen des binären Codes ist dann zugleich ein Verweis
auf das heterogene Element, dass durch die 0/1 abhanden kommt. Der
Heterogenität von Wirklichkeit wird Rechnung getragen, indem die Matrix 0/1
verlassen wird. Dies soll im folgenden erläutert werden.
5.2. „SUPERBEE SPIX COLA 139“
Das Digitale ist nicht nur unter uns, da „die zentrale Stellung des Codes (...) die
Definition der Macht selbst“ (Baudrillard 1982: 123) ist. Binarität beherrscht
Wahrnehmung, Denken, Handeln und lässt die Realität Geschichte werden und
diese damit verschwinden. Das „Ende der Geschichte“ (Baudrillard 1990: 29)
ist Ergebnis der binären Codierung von Wirklichkeit, da diese Realität nicht
78
erfassen kann. So wird das Außerhalb der Matrix 0/1, das dem ordnenden
Charakter der „entweder/oder“- Struktur gegenübersteht, zu einem Politikum.
In ihm manifestiert sich das heterogene Element der Wirklichkeit, dass durch
die hegemoniale Binarität negiert wird. Insofern ist für Baudrillard all das
politisch bedeutsam, was die binäre Signifikation in Frage stellt und angreift.
Als Beispiel hierfür nennt er die Graffiti, die 1972 in New York aufkamen.
Diese „wilde Offensive“ (Baudrillard 1982: 120) von unbedeutenden Namen,
Zahlen oder Wortkombinationen auf Wänden und U-Bahnen bricht mit dem
Gesetz der Bestimmbarkeit aller Elemente. Graffiti wie „SUPERBEE SPIX
COLA 139 KOOL GUY CRAZY CROSS 136“ (ebd.: 123) besitzen keinen
Sinn
und
keine
Botschaft.
Ihre
Unbestimmtheit,
ihre
Leere
ist
systemangreifend, da „eine Verdrehung und Verkehrung des Codes, die ihn in
seiner eigenen Logik, auf seinem eigenen Terrain besiegt, (...) seine
Referenzlosigkeit überbietet“ (ebd.: 123). 27 Es ist nicht möglich, diese Zeichen
zu interpretieren, ihnen Bedeutungen zuzuschreiben oder sie zu vereinnahmen;
darin liegt ihre politische Relevanz. Sie entgehen dem Prinzip der Bezeichnung
und brechen als „leere Signifikanten in die Sphäre der städtischen, erfüllten
Zeichen ein, die sie durch ihre bloße Präsenz auflösen“ (ebd.: 123). Sie sind als
ein Aufschrei in die verloren gegangene Realität zu verstehen, da sie das binäre
Benennungssystem ignorieren und ihm sinnentleerte Zeichen entgegenstellen.
Patricia Duncker erklärt in ihrem Roman „Die Germanistin“ das Gefühl der
Irritation durch ein unbestimmbares Zeichen folgendermaßen:
„Da erfasste mich das seltsame Gefühl, dass mir etwas gezeigt, ja erklärt würde, dass mir aber
bislang jede Möglichkeit fehlte, den Code zu entschlüsseln (...). Mir war, als sähe ich zum
erstenmal eine neue Sprache in geschriebener Form. Ich stand vor einem Zeichen, das seine
Bedeutung nicht preisgab. Ich weiß es noch so genau, weil es mir damals unheimlich war“
(Duncker 1999: 64).
Duncker beschreibt das unbedeutende Zeichen als unheimlich, da es die
ordnende „entweder/oder“- Struktur verlässt. Die Präsentation dieser
„absoluten Differenz“ (Baudrillard 1982: 126) zur systematischen Binarität
wirkt irritierend - die Waffe der Graffitis im Kampf gegen das Differenzsystem
ist die Differenz, die ein Außerhalb der codierten Wirklichkeit vermuten lässt.
Die Matrix 0/1 wird als das entlarvt, was sie ist: Unzureichend, Wirklichkeit zu
beschreiben und darzustellen. Sprühdosen visualisieren das existente Außen,
27
Baudrillard bezieht sich in seiner Theorie der Irritation explizit auf die ersten Graffiti von
1972, da später eine gesellschaftliche Codierung der Graffiti als „Kunst“ oder „Vandalismus“
79
das wiederum der Schlüssel zu einer Wirklichkeit ist, die Heterogenität und
Widerspruch Rechnung trägt. Somit ist all das von politischer Relevanz, was
Binarität angreift und in Frage stellt; das Aufzeigen eines „Außerhalb“ der
Matrix 0/1 durch unbestimmbare Zeichen wie die Graffiti ist in diesem Kontext
zu verstehen. Die digitalisierte Wirklichkeit wird durch Zeichen, die sich einer
Bedeutung entziehen, irritiert. Diese Irritation ist als ein Verweis auf die
Vielfalt, Heterogenität und Differenz von Wirklichkeit zu begreifen, die
innerhalb der Digitalität nicht dargestellt werden können. Das Verlassen der
Matrix 0/1 stellt demnach eine politische Praxis dar, die – ebenso wie die
Philosophie Lyotards (vgl. 4.1.) – die Wahrung des heterogenen Elementes vor
Augen hat. Der „totalitären Gefahr“, dem hegemonialen Gestus der 0/1,
begegnet Baudrillard durch die Strategie der Irritation.
Am Beispiel der Graffiti wurde bereits deutlich, wie der politische Kampf auf
der Ebene der Signifikation konzeptionalisiert werden kann. Graffitis entgehen
dem Prinzip der Bestimmbarkeit und Eindeutigkeit aller Zeichen. Ihre
Unbestimmtheit, ihre Leere ist systemangreifend, da „eine Verdrehung und
Verkehrung des Codes (...) ihn in seiner eigenen Logik, auf seinem eigenen
Terrain besiegt“ (Baudrillard 1982: 123).
Die Verdrehung und Verkehrung von binär codierten Bedeutungen findet
jedoch nicht nur durch Zeichen statt, die sich jeglicher Benennbarkeit
widersetzen - auch die Reorganisation von Codes bricht mit der Eindeutigkeit
und Bestimmbarkeit aller Zeichen. Reorganisation verstehe ich im Sinne des
Konzeptes der Bricolage. Die Strategie der Bricolage erschließt sich aus der
strukturalistischen Sprachtheorie de Saussures‘ (vgl. 3.1.1. sowie 5. Kapitel).
De Saussure bestimmt Zeichen als relational; sie erlangen nur durch ihre
Verschiedenheit zu anderen Zeichen eine Bedeutung. Ein Zeichen kann nicht
verabsolutiert oder einer autonomen Betrachtung unterzogen werden, da es erst
im Zusammenspiel mit anderen Zeichen einen bestimmten Sinn erhält.
Entscheidend ist somit nicht das Zeichen an sich, sondern seine Stellung oder
Position innerhalb eines Differenzsystems: „Die Bedeutung ist dem Zeichen
nicht auf geheimnisvolle Weise immanent, sondern sie ist funktional, das
Ergebnis seiner Verschiedenheit von anderen Zeichen“ (Eagleton 1988: 75).
erfolgte.
80
Wenn nun ein Zeichen aus seiner ursprünglichen Position im Differenzsystem
herausgerissen und an anderer Stelle lokalisiert wird, entsteht ein neues
Zeichen. Dieser Vorgang der Umdeutung, Rekombination und –organisation
von Zeichen innerhalb des ursprünglichen Differenzsystems wird als Bricolage
beschrieben.
Die
Bedeutungserweiterung
Strategie
von
der
Zeichen,
Bricolage
die
der
ermöglicht
binären
Struktur
eine
des
Zeichensystems widerspricht. Dadurch zeigt das Konzept der Bricolage die
Unzulänglichkeit der dichotomen Bedeutungskonstitution innerhalb des
Zeichensystems auf - unzulänglich aus dem Grund, da heterogene, vielfältige
oder widersprüchliche Bedeutungen und Sinnkonstitutionen innerhalb der
Digitalität keinen Platz finden.
Am Beispiel der „riot grrrl“- Bewegung werde ich nun die Strategie der
Bricolage illustrieren (5.3.1.). Der politische Kampf um Signifikation formiert
sich hierbei vor allem um normativ-patriarchal konnotierte Begriffe wie
„Mädchen“ und „Frau“. Die Befreiung dieser Begriffe aus ihrem hegemonialsexistischen Bedeutungskontext entspricht einem politischen Akt im Sinne
Baudrillards: Bricolage subvertiert – wie das Aufzeigen eines Außerhalbs der
0/1 - das Denken in binären Oppositionen. Zeichen werden durch Bricolage für
heterogene Bedeutungen geöffnet. So werden bislang marginalisierte,
ausgeschlossene oder subsumierte Bedeutungen von Zeichen sichtbar.
5.3. Die „riot grrrl“- Bewegung
Die „riot grrrl“- Bewegung ging aus der amerikanischen Hardcore- und PunkSzene hervor. Als symbolischer Auftakt gilt das 1991 veröffentlichte Manifest
„Revolution Girl Style Now“, in dem Mitglieder der Bands „Bikini Kill“ und
„Bratmobile“ Mädchen und Frauen der Underground-Szene dazu aufrufen,
„Alternativen zu schaffen zur beschissenen, christlich-kapitalistischen Art, die Dinge zu tun
(...) sich gegen den Seelentod zu wehren, öffentlich zu schreien und zu heulen, Bands zu
gründen, Fanzines zu betreiben, sich gegenseitig das Spielen von Instrumenten beizubringen
und überhaupt zurückzuschlagen“ (zitiert in Tietjen 1996: 125) 28.
28
ein Fanzine ist eine eher minimalistische, kopierte Zeitschrift, die in der Regel kostenlos auf
Konzerten verteilt wird
81
Es folgten Festivals, politische Aktionen und Gründungen von „Pro-GirlsGruppierungen“ wie Secret Girl Conspiracy, SWIM (Strong Women in Music)
und WAC (Women‘s Action Coalition).
Die Bezeichnung „riot grrrl“ ist als Aufforderung („riot, grrrl!!!“) zu verstehen,
sich gegen patriarchale Normen innerhalb der Musik- und Kulturszenen zu
wehren:
„Grrrl bringt das Knurren zurück in unsere Miezekatzenkehlen. Grrrl zielt darauf, die
ungezogenen, selbstsicheren und neugierigen Zehnjährigen in uns wieder aufzuwecken, die wir
waren, bevor uns die Gesellschaft klar machte, dass es Zeit sei, nicht mehr laut zu sein und
Jungs zu spielen, sondern sich darauf zu konzentrieren, ein ‚girl‘ zu werden, das heißt eine
anständige Lady, die die Jungs später mögen würden“ (Gilbert/Kile 1997: 221).
„Riot grrrls“ funktionalisieren die aggressive und laute Musik des Punk und
Hardcore für ihre feministischen Ziele. Obwohl diese Szenen männliche
Signifikationssysteme privilegieren (vgl. McRobbie 1981), bieten „Rock und
vor allem Punk durch die Herausbildung einer kraftvollen Kombination von
Sex und Wut einen geeigneten Raum (...) für eine Politisierung des
Zusammenhangs von Sexualität und weiblicher Identität“ (Gottlieb/Wald 1994:
170).
Frauen und Mädchen, die bislang als konstitutives Außen der Rock-Kultur
fungierten (z.B. Konsumentin, Groupie, Fan) werden zu Produzentinnen,
indem sie Bands gründen, Konzerte organisieren und Fanzines herausgeben.
Vor allem die Fanzine-Kultur der „riot grrrls“ bietet ein Forum für
Selbstdefinition und –repräsentation von Frauen und Mädchen innerhalb der
Subkultur. Neben einer journalistischen Funktion (Termine, Konzertberichte,
Adressen, Interviews) ermöglichen Fanzines, „private Geschichten und
Geheimnisse zu erzählen, die von der dominanten Kultur unterdrückt und
verboten werden“ (Gottlieb/Wald 1995: 182).
5.3.1. „I don‘t want to play girl to your boy no more“
„Noch immer werden Mädchen in ihrem alltäglichen Leben erniedrigt: auf der Straße, am
Arbeitsplatz und in der Schule, in persönlichen Beziehungen, in der Familie und auf den Seiten
der Mädchenmagazine. Deshalb gibt es Riot grrrl (...)“ (Sheddy 1998: 28).
Die Themen, die die „riot grrrls“ in ihren Musiktexten und Publikationen
aufgreifen, kongruieren mit denen des klassischen, institutionalisierten
82
Feminismus. Sexismus als strukturelle
Essstörungen,
Heterosexismus
oder
Gewalt, sexualisierte
Homophobie
sind
von
Gewalt,
jeher
Anknüpfungspunkte für feministische Kritik. Das eigentlich Neue an der „riot
grrrl“- Subkultur sind die Strategien und Taktiken, mit denen die jungen
Frauen und Mädchen ihre Themen in die Öffentlichkeit tragen. Der Begriff
„grrrl“ gibt hierfür einen ersten Anhaltspunkt:
„Statt unermüdlich darauf zu bestehen, ‚Frau‘ genannt zu werden, wie das im MainstramFeminismus der Fall ist, machen Riot Grrrls eine Mädchen-Identität stark: gleichzeitig kühn
und linkisch und auch nicht bloß ‚Girls‘, sondern trotzige ‚Grrrls‘, die der dominanten Kultur
ins Gesicht brüllen“ (Gottlieb/Wald 1995: 182).
Der Begriff „grrrl“ hat demnach eine doppelte Funktion: Zum einen irritiert er
im Sinne der différance (der graphische Einschub „rrr“ ist akustisch nicht
wahrnehmbar, aber dennoch präsent, vgl. 3.1.1.) den patriarchal konnotierten
und normativ bestimmten Terminus „girl“; zum anderen verweist er auf die
vom klassischen Feminismus negierte Phase der weiblichen Adoleszenz. Mary
Celeste Kearny weist darauf hin, dass „the concept of ‚feminine adolescence‘
exists as a paradox in Western society because femininity and adolescence are
diametrically opposed to one another“ (Kearny 1998: 149). Sie kommt zu dem
Schluss, dass feministische
Konzepte
weibliche
Adoleszenz
zumeist
ignorieren, indem sie „girlhood“ lediglich als Vor-Stadium zum anerkannten
„womanhood“ betrachten. Die Gleichung „Feminismus = Erwachsen“
rekurriert zudem auf dem normativen Gehalt des Begriffs Adoleszenz:
Unabhängigkeit, Widerstand und Rebellion als Charakteristika von Adoleszenz
sind männlich konnotiert.
„Riot grrrls“ beziehen sich explizit auf die weibliche Adoleszenz-Phase, indem
sie „traditionelle Elemente einer Mädchenkultur herausheben – wie die
Intensität der ersten Mädchenfreundschaften, die Wichtigkeit der beginnenden
Menstruation (...), die enorme Rolle von Geheimnissen und deren
Weitererzählung als Widerstandsform gegen elterliche Kontrolle (...)“
(Gottlieb/Wald 1995: 183). Sie füllen den Begriff Adoleszenz mit
„grrrlishness“, indem sie sich offen und laut für eine Form weiblicher
Selbstdarstellung einsetzen, die die „speziellen Erfahrungen von kleinen
Mädchen und ihre kulturelle Formierung weder ausschließt noch unterdrückt
und entwertet“ (ebd.: 183).
83
Joanne Gottlieb und Gayle Wald sehen in dem Begriff „grrrl“ den zentralen
Aspekt der „riot grrrl“- Bewegung illustriert. Es handelt sich hierbei um eine
„Wiederaneignung der Sprache des Patriarchats“ (ebd.: 182). Die Begriffe
„Mädchen“ oder „girl“ sind normativ-patriarchal gefüllt und werden in der
Regel abwertend verwendet. Die „riot grrrls“ erobern diese Begriffe zurück,
indem sie ihnen eigene, oppositionelle und widersprüchliche Bedeutungen
verleihen, die durch das „rrr“ verdeutlicht werden. Dies zeigt sich ebenso in der
Wahl der Band-Namen wie z.B. Hole, Nymphs, Dickless, Babes in Toyland,
Cunts with Attitude oder 7-year-bitches: „Riot grrrls“ bedienen sich
sexistischer Klischees, um diese mittels Überbetonung und Ironisierung „verkehrt an diejenigen zurückzugeben, die sie verliehen haben“ (Tietjen 1996:
125). Die Annahme und Re-Inszenierung bestehender Stigmata wie
„Schlampe“ oder „Hure“ ist „eine subversive Politikform, weil die etablierten
Bedeutungen nicht rundweg abgelehnt werden (...), sondern indem die
Bedeutungen im Gegenteil überbetont und so, wenn nicht zerstört, so doch
zumindest lächerlich gemacht werden“ (ebd.: 125).
Die Bühnenshows der „riot grrrls“ visualisieren diese Politik, indem laute,
aggressive Punkrock-Musik mit einer sexualisierten Inszenierung einhergeht.
Spitzenkleider und Baby-Dolls, „zu kurze“ Röcke und das Spielen von
Instrumenten ohne Oberbekleidung der Musikerinnen zeugen von einer
parodistischen Selbstdarstellung, da die gesungenen oder gebrüllten Songtexte
Vergewaltigung, Missbrauch und Sexismus thematisieren. „Riot grrrls“
inszenieren sich durch ihr Outfit eigenmächtig als sexualisierte Objekte. So
wird das Bild, aus dem „sexistische und misogyne Träume sind“
(Gottlieb/Wald 1995: 185), ins Scheinwerferlicht gezerrt. Gottlieb und Wald
beschreiben diese Darstellungsformen als „eine Art Gegengift gegen die
vorausgegangenen Vergewaltigungen (...) “ (ebd.: 185). Aus diesem Grund
stellen die Bühnenshows der „riot grrrls“ eine feministische Praxis dar. Ihre
überzeichneten, sexualisierten Inszenierungen greifen den patriarchalen,
sexistischen Blick auf, um ihn dem Publikum ironisiert entgegenzuschleudern.
Diese „zynische Verbeugung vor der Porno- und Kulturindustire“ (Tietjen
1996: 125) beschreibt Sabine Tietjen als den „kynischen Trick“ (ebd.: 126), der
auf den Philosophen Diogenes von Sinope zurückgeht. Dieser wurde von den
Bürgern „ho kyon“, der Hund, genannt, da er in einer Tonne auf dem
84
Marktplatz wohnte. Er reagierte auf diese Beleidigung nicht mit Ablehnung,
sondern nahm den Titel an, indem er den Bürgern ans Bein pinkelte.
Der kynische Trick wirkt irritierend, da die Annahme von (fremd)auferlegten
Stigmata überraschend und unerwartet erfolgt: Anstatt sich gegen die Termini
„Schlampe“ oder „Hure“ zu wehren, zelebrieren „riot grrrls“ diese Begriffe,
indem sie sich z.B. mit Lippenstift „Schlampe“ auf den Bauch schreiben. An
diesem Beispiel wird deutlich, dass es sich bei dem kynischen Trick um eine
Spielart des „semiotischen Guerillakriegs“ (vgl. Eco 1967) handelt.
Stigmatisierende Zeichen werden nicht einfach angenommen, sondern
überbetont. Die sexualisierten Inszenierungen der „riot grrrls“ erlangen ihren
zynischen Charakter, indem direkt und explizit auf die Verobjektivierung
hingewiesen wird - nämlich durch den Wortlaut „Schlampe“, der auf dem
nackten Oberkörper steht.
Diese überzeichnete Verwendung sexualisierter Symboliken gleicht einer
parodistischen Selbstinszenierung im Sinne Butlers (vgl. Butler 1991: 209ff.).
Indem sich „riot grrrls“ eigenmächtig als sexualisierte Objekte in Szene setzen,
folgen sie dem patriarchalen Blick. Hier greift Butlers Gedanke der
subversiven Wiederholung. Butler geht davon aus, dass die binäre Codierung
der Matrix kein starres Gebilde ist, sondern durch Wiederholung operiert und
gefestigt wird:
„In bestimmter Hinsicht steht jede Bezeichnung im Horizont des Wiederholungszwanges;
daher ist die ‚Handlungsmöglichkeit‘ in der Möglichkeit anzusiedeln, diese Wiederholungen zu
variieren“ (Butler 1991: 213).
„Riot grrrls“ handeln in diesem Sinne: Sie wiederholen den patriarchalen Blick
durch die Annahme der Stigmata „Hure“ oder „Schlampe“, indem sie die dafür
vorgesehenen Symboliken (z.B. körperbetonte oder gar keine Kleidung)
verwenden; gleichzeitig variieren sie den patriarchalen Blick, da sie ihn in
einem anti-sexistischen Kontext äußern – ihre Musiktexte und Publikationen
sind feministisch. „Riot grrrls“ verschieben den hegemonial-sexistischen Blick,
indem sie ihn annehmen, überbetonen und ihn damit ad absurdum führen. Sie
greifen zu dem Mittel der Ironie, dessen Zweck die Irritation der patriarchalen
Matrix ist. Sexistische und misogyne Zeichen funktionieren im feministischen
Kontext als zynischer Aufruf, die patriarchale Matrix zu zerstören.
Der politische Kampf auf der Ebene der Zeichen, der „semiotische
Guerillakrieg“, manifestiert sich demnach in der Überbetonung von Zeichen,
85
die durch den kynischen Trick und der subversiven Wiederholung im Sinne
Butlers erfolgen; eine weitere Waffe im Kampf um die Signifikation stellt die
Strategie der Bricolage dar. Das Konzept der Bricolage recodiert und
relokalisiert Zeichen innerhalb des hegemonialen Zeichensystems. Zeichen
werden aus ihrem ursprünglichen Bedeutungszusammenhang gerissen und an
anderer Stelle lokalisiert (vgl. 5.2.). Das als Überschrift verwendete Zitat eines
Flugblattes der „riot grrrls“ - „I don‘t want to play girl to your boy no more“ ist aus diesem Grund nicht nur inhaltlich im Sinne einer anti-sexistischen
Parole zu begreifen, sondern steht für die Politik der Bricolage: Die
Gegenüberstellung der normativ gefüllten Zeichen Mädchen/Junge oder
männlich/weiblich wird abgelehnt. Die ursprüngliche Bedeutung des Zeichens
„Mädchen“ - z.B. passiv, leise, zurückhaltend - wird mit neuen Bedeutungen
gefüllt, die an anderer Stelle des Zeichensystems lokalisiert waren. Laut,
aggressiv oder aktiv sind männlich konnotierte Attribute, die die „riot grrrls“
für sich beanspruchen und damit der patriarchalen Zeichenproduktion
zuwiderhandeln. Sie werden zu politischen Akteurinnen im Sinne Baudrillards,
da durch ihre Strategie der Bricolage die patriarchal codierte Matrix 0/1
subvertiert wird.
Zudem ist die Strategie der subversiven Wiederholung und die der Bricolage
vor dem Hintergrund der Philosophie Lyotards als ein Sprachspiel zu
verstehen; in ihr kommt die „Legitimität radikaler Pluralität der Sprachspiele,
Lebensweisen, Handlungsformen“ (Fechner 1990: 29) zum Ausdruck:
Patriarchale Begriffe gelangen unzensiert in den Diskurs einer feministischen
Bewegung – und werden durch Sprachspiele, die ihnen neue, anti-sexistische
Konnotationen verleihen, zurückerobert. Allerdings führen die Sprachspiele
der „riot grrrls“ oftmals zu Missverständnissen und Fehlinterpretationen ihrer
Subkultur, wie sich im folgenden zeigen wird.
5.3.2. Von den „riot grrrls“ zu den „Girlies“
Zu Beginn dieses Kapitels erwähnte ich bereits, dass die politischen Taktiken
der „riot grrrls“ als eine neue Form feministischer Praxis gewertet werden
können. Die ironisierte Selbstzuschreibung von Stigmatisierungen im Kontext
86
des kynischen Tricks sowie die subversive Wiederholung des patriarchalen
Blicks sind politische Strategien, die bislang kaum innerhalb feministischer
Politik-Konzeptionen zu finden waren (vgl. Nave-Herz 1993).
Der Grund hierfür ist die Gratwanderung, die dieser Politik der Überbetonung
und Bricolage innewohnt. Normative feministische Politikentwürfe codieren
„sexualisiert“ als sexistisch (so z.B. der liberale Feminismus der EMMA),
während „riot grrrls“ die „zynische Sexualisierung“ als feministisch begreifen.
Die
Grenzen
zwischen
den
beiden
Polen
„Sexualisierung
=
Sexismus/Objektstatus“ und „zynische Sexualisierung = Feminismus“ sind
hybrid, da sie individuell empfunden werden. Die Unterscheidung von
Zynismus auf der einen und Sexismus auf der anderen Seite, die die Strategie
der ironischen Inszenierung verlangt, ist vorraussetzungsvoll und kann
demzufolge zu Missinterpretationen führen. Tietjen zeigt dies in ihrem Aufsatz
„Girlies – eine lachende Revolte“ (1996). Sie untersucht über 150 Artikel,
Berichte und Reportagen, um zu verdeutlichen, wie die „riot grrrl“- Bewegung
von den Medien vereinnahmt, bagatellisiert und umgedeutet wurde.
Ihrer Analyse zufolge begann 1994 die Erschaffung von „weiblichen
Wunderwesen in Blümchenrock und Kampfstiefeln‘“(Tietjen 1996: 120)
seitens Allegra, BZ, Bravo Girl, EMMA, FAZ, Spiegel, Stern, taz oder Zeit.
Allen gemeinsam ist die Entpolitisierung und Domestizierung der „riot grrrl“Subkultur durch das Verschweigen des feministischen Kontextes dieser
Bewegung. Aus den „riot grrrls“ wird das „Girlie - Phänomen“ (vgl. Tietjen
1996: 124), das reibungslos in einen sexistischen Diskurs mündet. Es ist die
Rede von „frechen Lolly-Lolitas“ und „nur scheinbar unschuldigen
Schulmädchen“, die lieber „eine 69er- Nummer schieben (...) als die 68erBewegung endlos fortzusetzen“. Die „neuen Mädchen“ sind „meistens klein
(oder groß), frech, sexy und so hübsch, als gebe es für das Hübschsein Bargeld
auf dem Postamt“. Zudem haben „Girlies knallenge, irre Klamotten, super-sexy
Outfits, straffe Haut und leuchtende Augen, mit Karriereweibern (...) nichts im
Sinn“ und überlassen „das Denken (...) gern den Männern“ (vgl. Tietjen 1996:
120-124).
Tietjen kommt zu dem Ergebnis, dass die „riot grrrl“- Bewegung „durch die
Presse vereinnahmt und durchaus patriarchal um- bzw. neukonstruiert“ (ebd.:
133) wurde. Außerdem ließ sich der „feministische Medien-Mainstream (...)
87
überwiegend auf den konstruierten Männer-Mythos“ ein und verschenkte die
„Definitionsmacht“ (ebd.: 133) über die feministische Subkultur der „riot
grrrls“.
Die Gründe hierfür liegen meiner Ansicht nach in dem Unverständnis
gegenüber den Taktiken der „riot grrrls“. Die normativ-feministische
Codierung „sexualisiert = sexistisch“ weist der „riot grrrl“- Subkultur einen
anti-emanzipatorischen Impetus zu. Dies geschieht durch eine isolierte
Betrachung der Strategie der „subversiven Wiederholung“: Wenn nur die
Wiederholung des patriarchalen Blicks wahrgenommen wird, führt dies
gezwungenermaßen zu einer Interpretation, die „sexualisiert“ mit „sexistisch“
gleichsetzt. Ausschlaggebend ist demnach die Betrachtung der Variation des
patriarchalen Blicks, die Äußerung desselben innerhalb eines feministischen
Kontextes. Fließt diese Subversion der patriarchalen Matrix nicht in die
Analyse der „riot grrrl“- Subkultur mit ein, bleibt der anti-sexistische,
emanzipatorische Anspruch der Bewegung verborgen. Eine einseitige
Perspektive auf die Strategien und Taktiken der „riot grrrls“, die ausschließlich
das Moment der Wiederholung und nicht das der Subversion erkennt, führt
demnach zu einer Missinterpretation dieser Subkultur.
Vor diesem Hintergrund ist die Umdeutung der „riot grrrls“ seitens des
„feministischen Medien-Mainstreams“ (Tietjen 1996: 133) zu verstehen. Aus
„riot grrrls“ werden „Girlies“, da der ironische und zynische Charakter der
„riot grrrl“- Politik unberücksichtigt bleibt. Die Sprachspiele der „riot grrrls“
werden als eine Spielart des patriarchalen Zeichensystems bagatellisiert.
5.3.3. „Grrrls only“
Kearny kennzeichnet in ihrem Aufsatz „‘Don‘t Need You‘: Rethinking Identity
Politics And Separatism From A Grrrl Perspective“ (1998) die politische Praxis
der „riot grrrl“- Bewegung als eine Praxis der Abgrenzung: „Riot grrrls have
adopted the radical political philosophy and practice of separatism in order to
liberate themselves from the misogyny, ageism, and, for some, homophobia
and racism they experience in their everyday lives“ (Kearny 1998: 149). Sie
thematisiert hiermit den problematischen Aspekt einer essentialistischen
88
Politik, die eine Subjektpositionierung aufgreift – in diesem Fall die
Subjektpositionierung „grrrl“ – und diese zum Ausgangspunkt politischer
Handlungen stilisiert (vgl. 4.3.).
Am Ende des 4. Kapitels argumentierte ich mit Hall, dass eine „Politik, die
darin besteht, Identität in der Differenz zu leben – eine Politik, die anerkennt,
dass wir alle aus vielen sozialen Identitäten, nicht aus einer einzigen,
zusammengesetzt sind“ (Hall 1994: 84) handlungsleitend für postfeministische
Politikformen sei. Eine Identitäten-Politik im Namen der „Frauen“,
„Schwarzen“ oder „grrrls“ birgt die Gefahr einer Essentialisierung und
Universalisierung dieser Identifizierungen; weitere Subjektpositionierungen
werden durch diese Abstraktion ausgeschlossen oder subsumiert (vgl. 2.2. und
3.2.). Kearny umschreibt die Problematik einer feministischen Politik, die auf
dem Unterdrückungsmoment Sexismus rekurriert, folgendermaßen: „The
homogenizing effect of a separatist women‘s culture might be compared to the
colonizing effect of patriachal fantasies, wherein the diffrences among women
are ignored so as to totalize all members into one containable category,
‚women‘“
(Kearny
separatististischen
1998:
Ansätzen
165).
Trotz
dieser
hält
Kearny
eine
expliziten
Kritik
an
Identitäten-Politik
für
unerlässlich:
„Considering the subordination of adolescent girls in our society, it seems only natural that riot
grrrls are separating from males and older women as well as mainstream culture (...) to
establish and assert their own sociopolitical identity via a culture that remains distinctly girloriented and unadulterated. Seperatism works for riot grrrls because it is temporary tactic
enacted for safety and empowerment“ (ebd.: 149).
Dieses Dilemmata feministischer Theorie und Praxis skizzierte ich bereits im
3. Kapitel (3.3.): Die gleichzeitige Unverzichtbarkeit sowie Unmöglichkeit
einer Bezugnahme auf ein feministisches „Wir“. Unmöglich, da postkoloniale
feministische Kritik zeigt, dass ein feministisches „Wir“ Hegemonie sichert
und Ausschlüsse produziert; unverzichtbar, da politische Schlagkraft und
Handlungsfähigkeit sich im Namen der „Frauen“, „grrrls“, „Schwarzen“,
„Lesben“ etc. äussert: „Separatism has functioned for such groups first as a
survival tactic, a temporary means of acquiring social, political, and cultural
space and time by separating from hegemonically defined and controlled
institutions, relationships, and roles“ (Kearny 1998: 151).
Der Ambivalenz von Unmöglichkeit und Unverzichtbarkeit einer IdentitätenPolitik stellt Spivak den Entwurf des strategischen Essentialismus entgegen.
89
Indem sie eine Unterscheidung zwischen essentialistischer und strategischessentialistischer Politik vornimmt, formuliert sie einen Ausweg aus dem
Dilemmata feministischer Theorie und Praxis. Spivak argumentiert, dass
„political agency is impossible without the creation of a common group
identity formed through a ‚strategic essentialism‘ (...) which allows the
disempowerment to own a place, to own their voices, and, thus, to assert
themselves within hegemonic structures and relationships“ (zitiert in Kearny
1998: 152).
Das Konzept des „strategischen Essentialismus“ wird in dem Ansatz des
Combahee River Collectives (vgl. 2. Kapitel) deutlich:
„The women involved in the Combahee River Collecive during the 1970s formulated a theory
of ‚identity politics‘ which allowed them to ground and motivate their political oppositional
practices in their own experience as African-American women (...) the Combahee theory does
not require its practitioners to essentialize into one category (e.g. woman). Instead, it allows
them to assert their multiple subject positions and identifications (...) in order to resist the
simultaneous oppressions which result from that heterogenous identity“ (Kearny 1998: 168).
Kearny weist darauf hin, dass „many non-white and non-Western feminists
have argued that a group‘s self-definition as marginal should never be confused
with the strategies of homogenization and marginalization involved in forms of
cultural hegemony such as colonialism“ (ebd.: 166).
Die Feministischen Migrantinnen Frankfurt (FeMigra) sprechen in ihrem
Aufsatz „Wir, die Seiltänzerinnen. Politische Strategien von Migrantinnen
gegen Ethnisierung und Assimilation“ (1994) von einer „Gratwanderung“
(FeMigra 1994: 49), auf die sie sich begeben, wenn sie die Bezeichnung
„Migrantinnen“ als politische Identität formulieren. Die Konstruktion einer
strategisch gedachten Identität ist „möglicherweise für einige ausschließend
und für andere wiederum einengend“ (ebd.: 49). Die Reflexion dieser
Problematik markiert den Unterschied zwischen einer essentialistischen und
einer strategisch-essentialistischen Politik. Erstere führt zu einer ahistorischen,
kontextlosen Bezugnahme auf die Kategorie „Frau“. Die Politik des
strategischen Essentialismus will jedoch die Differenzen innerhalb der
Kategorie „Frau“ betonen und aufwerten. In diesem Zusammenhang ist die
temporäre
Ausrichtung
des
strategischen
Essentialismus
von
großer
Bedeutung, da diese den strategischen Gestus des Konzeptes unterstreicht. Eine
temporäre Strategie impliziert die ständige Reflexion von politischen
Konzeptionalisierungen; die Inblicknahme von möglichen Modifikationen –
90
seien es gesellschaftliche oder gruppeninterne – wirken kontextlosen und
ahistorischen Bestimmungen von politischen Taktiken und Zielen entgegen.
Eine strategisch-essentialistische Politik beinhaltet somit die in 4.3. formulierte
Forderung nach einer unbedingten und ständigen Reflexion der eigenen
Positionierungen und Aussagen: Von wo aus spreche ich? Vor welchem
Hintergrund entwickle ich meine Positionen? In welchem Kontext entsteht
meine Theorie und meine politische Praxis? Die Beantwortung dieser Fragen
führt zu einer kritischen Selbstreflexion, die Prämisse für eine strategischessentialistische Politik ist. Kearny sieht in der „riot grrrl“- Bewegung diese
Politik verwirklicht: „For riot grrrls, identity politics means making a claim for
and taking back what is theirs – adolescent girlhood – and reconstructing it as a
position of social identification and political agency“ (Kearny 1998: 156). Und
weiter: „It might be helpful to look to groups such as riot grrrl to understand
how a common group identity can be created, maintained, and powerfully
asserted in a way that does not require ist members to abstract themselves from
their specific subject positions and individual interests in history and society“
(ebd.: 150).
Wie bewerkstelligen „riot grrrls“ die Herausforderung einer Nicht-Abstraktion
von individuellen Subjektpositionierungen bei gleichzeitiger Formulierung der
gemeinsamen politischen Identität „grrrl“?
Das anschaulichste Beispiel hierfür ist das „Riot Grrrl– Manifest“. Die
Bezeichnung „Manifest“ ist irreführend, da es sich nicht um die Formulierung
allgemeingültiger, feststehender politischer Programme oder Forderungen
handelt. Das Gegenteil ist der Fall: Seit Veröffentlichung des „Manifestes“
(1991) wird es ständig korrigiert, erweitert oder revidiert. Der Entwurf kursiert
von grrrl zu grrrl, von Gruppe zu Gruppe und wird immer wieder neu gestaltet
und erarbeitet. Diese prinzipielle Offenheit der „riot grrrl“- Medien wird
außerdem durch die Fanzine-Kultur verdeutlicht, da jedes „grrrl“ die
Möglichkeit hat, selbst ein Fanzine herauszugeben und/oder unzensiert ihre
Meinung oder ihre persönlichen Erlebnisse in einem Fanzine wiederzugeben.
Das Ergebnis der offenen Medienpolitik zeigt sich in der komplexen
inhaltlichen Ausgestaltung der „riot grrrl“- Fanzines. Die Bandbreite erstreckt
sich von dem Erzählen einer individuellen Geschichte über Gedichte und
Kurzgeschichten bis hin zu Konzertberichten, politischen Aufrufen oder
91
theoretisch-feministischen Artikeln. Dieser patchworkartige Charakter der „riot
grrrl“- Medien führt zu einer Selbstpräsentation der „grrrls“, die Vielfalt und
Offenheit
signalisiert.
Einer
vereinheitlichenden
und
abstrahierenden
Definition wird so entgegengewirkt. Der Begriff „riot grrrl“ ist daher kein
Begriff, der sich normativ füllen lässt; seine Bedeutung erschließt sich
kontextuell,
da
die
Subjektpositionierungen
der
jeweiligen
Fanzine-
Autorin/Sängerin/Künstlerin etc. ausschlaggebend für den Gehalt des Begriffes
sind.
Meiner Ansicht nach illustriert das Fanzine-Konzept der „riot grrrls“ die
Lyotard‘sche Forderung nach einem „Patchwork der Minderheiten“. Die
inhaltliche Vielfalt der Veröffentlichungen gleichen heterogenen Sprachspielen
im Sinne Lyotards:
„Die Gerechtigkeit wäre folgende: der Vielfalt und Unübersetzbarkeit der ineinander
verschachtelten Sprachspiele ihre Autonomie, ihre Spezifität zuzuerkennen, sie nicht
aufeinander zu reduzieren; mit einer Regel, die trotzdem eine allgemeine Regel wäre, nämlich
‚laßt spielen ... und laßt uns in Ruhe spielen‘“ (Lyotard 1982: 33).
Diese
„allgemeine
Regel“
korrespondiert
mit
der
undogmatischen
Medienhandhabung der „riot grrrls“. Da jedem „grrrl“ die Möglichkeit gegeben
ist, ihre eigene Geschichte oder politischen Interessen darzustellen, spricht jede
für sich – „autonom“ und „spezifisch“, um es mit Lyotard auszudrücken. Es
ergibt sich ein „Patchwork der Minderheiten“, ein „Patchwork der
Subjektpositionierung ‚grrrl‘“, da der Begriff „grrrl“ sich kontextuell und
perspektivistisch
aus
Autorin/Künstlerin/Musikerin
der
erschließt.
Position
Der
jeder
Abstand
zu
einzelnen
normativen
Entwürfen des Begriffs „grrrl“ wird gewährleistet, indem die unterschiedlichen
Subjektpositionierungen artikuliert und so abstrakte Gesamtdeutungen des
Begriffs „grrrl“ verhindert werden.
Hieraus schließe ich, dass das politische Konzept des „Patchwork der
Minderheiten“ einen strategisch-essentialistischen Charakter aufweist. Dies
wird vor allem durch die Nähe zu den Überlegungen Butlers deutlich: Butler
proklamiert die Notwendigkeit der Kategorie „Frau“ für den Feminismus,
meint aber, dass der Feminismus nicht wissen muss, wer diese „Frauen“ sind
(vgl. Butler 1993). Ähnlich verhält es sich mit der Subjektpositionierung
„grrrl“. Zwar bezieht sich die „riot grrrl“- Bewegung immer wieder auf diesen
Entwurf,
verhindert
jedoch
durch
92
die
offene
und
heterogene
Medienpräsentation eine inhaltlich-normative Bestimmung des Begriffes, der
Ausschlüsse produziert.
Eine strategisch-essentialistische Politik im Kontext des „Patchwork der
Minderheiten“ behauptet somit ihre politische Handlungsfähigkeit durch einen
expliziten Bezug auf den Kampfbegriff „grrrl“, ohne diesen jedoch normativ zu
füllen. Das Konzept des strategischen Essentialismus erlaubt die Formulierung
einer gemeinsamen politischen Identität „grrrl“, ohne dabei festzulegen, was
ein „grrrl“ ist. Politische Handlungsfähigkeit und Schlagkraft, die sich im
Kontext eines ausdrücklichen Bezuges auf den Entwurf „grrrl“ ereignet, wird
so aufrechterhalten.
5.4. Schlussfolgerung
Der im 4. Kapitel entwickelte Begriff des Postfeminismus impliziert politische
Handlungsmuster,
die
von
einer
essentiellen
und
universalistischen
Bestimmung des feministischen Subjektes absehen. Dies wird durch den
transversalen Blick auf politische Konfigurationen gewährleistet (4.2.1.).
Zudem wahrt die postfeministische Perspektive eine kritische Distanz
gegenüber der „Großen Erzählung über die Frau“, indem sie die Differenzen
innerhalb der Kategorie „Frau“ sichtbar werden lässt und aufwertet (4.2.2.).
Die Lyotard‘sche Forderung „Krieg dem Ganzen (...), aktivieren wir die
Differenzen“ (Lyotard 1982: 48) ist Prämisse für postfeministische Politik.
Diese steht herkömmlichen Organisationsformen politischer Praxis – wie z.B.
Parteien oder festen Gruppenzusammenhängen im Sinne einer IdentitätenPolitik - gegenüber, da ihre Grundlage für politische Handlungsfähigkeit auf
der Formulierung allgemeiner und abstrakter Aussagen rekurriert. So bezieht
sich eine Politik im Namen „der Frauen“ ausschließlich auf die Kategorie
Geschlecht und lässt weitere Subjektpositionierungen von Frauen (z.B.
sexuelle
Orientierung,
Herkunft,
Alter,
Klassenzugehörigkeit)
unberücksichtigt.
Die postfeministische Perspektive stellt in diesem Zusammenhang eine
Herausforderung an herkömmliche feministische Entwürfe dar: Durch eine
kritische Distanz gegenüber normativen Deutungs- und Handlungsmustern
93
feministischer Theorie und Praxis öffnet sie den Begriff des Feminismus für
vielfältige Bedeutungen und Handlungsmöglichkeiten. Einer hegemonialen
Bestimmung des feministischen Subjektes sowie normativen politischen
Konzeptionen, die einen abstrakten und universalisierenden Charakter
aufweisen, wird so entgegengewirkt. Am Beispiel der „riot grrrl“- Subkultur
(5.3.) werden diese Herausforderungen an normative Politik-Konzeptionen
deutlich:
1. Die politische Praxis der „riot grrrls“ zeichnet sich durch innovative
Strategien und Taktiken aus, was zu einer Bedeutungsvielfalt innerhalb
feministischer Politik-Konfigurationen führt (5.3.1).
2. Der strategische Essentialismus der „riot grrrls“ vermeidet eine normative
Bestimmung des feministischen Subjektes „grrrl“, ohne politische
Handlungsfähigkeit einzubüssen (5.3.3.).
zu 1. Die zeichentheoretischen Überlegungen Baudrillards bieten Ansatzpunkte
für eine feministische Politik, die auf der Ebene der Signifikation zu verorten
ist. Baudrillard sieht das totalitäre Element in der binär codierten Wirklichkeit
des Simulakra der 3. Ordnung verwirklicht (vgl. 5.1.). Das Denken in binären
Oppositionen, das ordnende Prinzip der „entweder/oder Struktur“ ereignet sich
innerhalb der digital codierten Matrix 0/1. Digitalität negiert Vielfalt,
Heterogenität und Differenz, indem Bedeutungen auf die Codierung 0/1
reduziert und abstrahiert werden. Als Konsequenz daraus ist all das von
politischer Relevanz, was Binarität angreift und in Frage stellt. Baudrillard
sieht eine Irritation der binär codierten Matrix durch das Aufzeigen eines
„Außerhalbs“ derselben: Die ersten Graffitis als Beispiel für unbestimmbare,
sinnentleerte Zeichen subvertieren die digitalisierte Wirklichkeit, indem sie die
binär codierte Matrix 0/1 verlassen und so auf ein „Außerhalb“ hindeuten
(5.2.). Diese Irritation durch unbestimmbare Zeichen ist als ein Verweis auf die
Vielfalt, Heterogenität und Differenz von Wirklichkeit zu begreifen, dem die
Digitalität nicht gerecht werden kann. Das Aufzeigen eines „Außerhalbs“
binärer Codierungen kongruiert mit dem Konzept der Bricolage, welches durch
die Reorganisation von dichotomen Bedeutungsschemata mit der Eindeutigkeit
und Bestimmbarkeit aller Zeichen bricht. Beide Strategien sind politisch
relevant, da sie die hegemonial verfasste Zeichenstruktur subvertieren.
94
Die politische Praxis der „riot grrrls“ ist vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Ihr Widerstand gegen patriarchale Normen und Denkweisen begreife ich als
ein
Sprachspiel
(vgl.
4.1.),
das
sexistische
und
misogyne
Bedeutungszuschreibungen zum einen durch das Konzept der Bricolage, zum
anderen durch die Strategie der subversiven Wiederholung irritiert (vgl. 5.3.1.).
Durch die Taktik der Bricolage erfährt die ursprüngliche Bestimmung des
Zeichens „Mädchen“ eine Bedeutungserweiterung: Während die patriarchale
Matrix das Zeichen „Mädchen“ als leise, passiv und zurückhaltend codiert,
erweitern „riot grrrls“ das Zeichen „Mädchen“, indem sie es mit
widersprüchlichen Bedeutungen wie laut, aggressiv oder aktiv füllen. So wird
der patriarchalen Zeichenproduktion zuwidergehandelt. Die Annahme von
stigmatisierenden Zeichen im Sinne des kynischen Tricks korrespondiert mit
der Strategie der subversiven Wiederholung nach Butler. Indem „riot grrrls“
sich eigenmächtig als sexualisierte Objekte inszenieren, folgen sie dem
patriarchalen Blick; gleichzeitig variieren sie ihn, da ihre Selbstdarstellung in
einem anti-sexistischen, feministischen Kontext erfolgt.
In der Taktik der subversiven Wiederholung manifestiert sich die weiter oben
erwähnte Herausforderung an normative feministische Politikkonzepte. Die
meiner
Ansicht
nach
innovative
Strategie
einer
parodistischen
Selbstinszenierung führt zu Missverständnissen und Fehldeutungen der „riot
grrrl“- Bewegung (vgl. 5.3.2.). Grund hierfür ist die Gratwanderung zwischen
der Unterscheidung „sexualisiert = sexistisch“ und „zynische Sexualisierung =
feministisch“. Die Umdeutung der „riot grrrls“ zu „Girlies“, die auch
innnerhalb des hiesigen feministischen Diskurses stattfand (vgl. Tietjen 1996),
zeugt von einer Sperre seitens Vertreterinnen normativer Politik-Konzeptionen
gegenüber den feministischen Strategien und Taktiken der „riot grrrls“.
zu 2. Der strategische Essentialismus der „riot grrrl“- Subkultur findet seinen
Ausdruck in der prinzipiellen Offenheit der „riot grrrl“- Medien. Durch eine
undogmatische
Selbstdarstellung
Medienhandhabung
der
„riot
wird
grrrl“-
eine
vielfältige,
Subkultur
heterogene
durchgesetzt,
die
vereinheitlichenden Subjektbestimmungen entgegenwirkt (vgl. 5.3.3.). Der
patchworkartige Charakter der „riot grrrl“- Fanzines verhindert eine normative
Festlegung des Begriffes „grrrl“ und signalisiert Vielfalt. Hier zeigt sich die
95
Verwirklichung des politischen Entwurfes „Patchwork der Minderheiten“, der
sich durch heterogene Sprachspiele auszeichnet. Eine Abstraktion von
individuellen Subjektpositionierungen wird durch die Selbstdefinition als
„grrrl“ nicht abverlangt.
Nichtsdestotrotz ist der Begriff „grrrl“ als ein politischer Kampfbegriff zu
verstehen, der für die „riot grrrl“- Bewegung von zentraler Bedeutung ist. Das
Konzept des strategischen Essentialismus im Kontext eines „Patchwork der
Minderheiten“ erlaubt die Formulierung einer gemeinsamen politischen
Identität „grrrl“, ohne dabei festzulegen, was ein „grrrl“ ist. Der Inhalt des
Begriffes „grrrl“ scheint demnach beliebig, da er sich aus den jeweiligen
Kontexten,
den
jeweiligen
Subjektpositionierungen
der
Leserinnen/Künstlerinnen/Autorinnen etc. erschließt. Allerdings ist diese
Beliebigkeit erwünscht: Sie verhindert eine autoritäre Bestimmung dessen, was
und wie ein „grrrl“ ist. Die Unbestimmtheit des Begriffes „grrrl“ ist nicht mit
einem Verlust an politischer Handlungsfähigkeit gleichzusetzen. Im Gegenteil:
Die politische Stärke der „riot grrrl“- Bewegung formiert sich um das offene
Konzept „grrrl“. „Grrrl“ signalisiert Vielfalt und Heterogenität - und wirkt so
dem „colonizing effect of patriachal fantasies“ (Kearny 1998: 165) entgegen.
Der strategische Essentialismus der „riot grrrls“ manifestiert sich in dem
unzensierten und unzensierbaren Gebrauch eines politischen Kampfbegriffes,
der perspektivistisch und kontextuell hergestellt wird.
Aufgrund subversiver politischer Taktiken (1.) sowie einer strategischessentialistischen Politik (2.) kennzeichne ich die „riot grrrl“- Subkultur als
postfeministisch.
Die
postfeministische
Perspektive
will
durch
den
transversalen und postmodernen Blick auf feministische Konzeptionen dem
normativ-hegemonialen Gehalt feministischer Theorie und Praxis auf die Spur
kommen. Die Strategie der Bricolage und die der subversiven Wiederholung
des patriarchalen Blicks zeugen von einer neuen Perspektive auf feministische
Politik, die hierdurch eine Erweiterung um die Mittel Ironie und Zynismus
erfährt. Gleichzeitig bieten der transversale und der postmoderne Ansatz
Lösungsvorschläge, wie politische Handlungsfähigkeit jenseits eines stabilen
feministischen Subjektes und jenseits normativer politischer Grundlagen zu
denken ist. Das Beispiel der „riot grrrl“- Bewegung illustriert dies: Die im 4.
96
Kapitel vorgenommene Definition des postfeministischen Konzeptes –
transversal, um einer essentiellen und universalistischen Bestimmung des
feministischen Subjektes entgegenzuwirken sowie postmodern, um eine
kritische Distanz gegenüber der „Großen Erzählung über die Frau“ zu wahren
– findet sich in der strategisch-essentialistischen Politik der „riot grrrls“
wieder. Die kritische Distanz gegenüber einer normativen Bestimmung des
Begriffes „grrrl“ durch den Entwurf „Patchwork der Minderheiten“ wird im
Kontext des strategischen Essentialismus durch eine heterogene, offene
Medienpolitik
gewährleistet;
der
Abstand
zu
normativen
politischen
Handlungsformen, der gleichzeitig zu einer Öffnung und Bedeutungsvielfalt
innerhalb feministischer Politik-Konzeptionen führt, wird durch den Bezug auf
die Ebene der Signifikation erreicht.
Die postfeministische Perspektive öffnet das Zeichen „Frau“ für vielfältige,
unvorhersehbare Bedeutungen. Bricolage und subversive Wiederholung als
politische Handlungsmuster, die auf der Ebene der Signifikation anzusiedeln
sind, lassen postfeministische Zeichen entstehen, die dem patriarchalen
Bedeutungssystem zuwiderhandeln. Postfeministische Zeichen subvertieren die
patriarchale Matrix durch Ironie und Zynismus. Ihre politische Relevanz
gründet auf der Irritation der hegemonialen Zeichenproduktion. So werden
„riot grrrls“ zu politischen Akteurinnen im Sinne Baudrillards, da ihr
„semiotischer Guerillakrieg“ (vgl. Eco 1967) die Totalität und Eindeutigkeit
des binären Signifikationssystems angreift.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Politik im Zeichen des
Postfeminismus innovativ und undogmatisch neue Formen des politischen
Widerstandes erschließt. Irritation und Subversion durch Ironie und Zynismus
sind ein Beispiel für politische Handlungsmöglichkeiten, die auf der Ebene von
kulturellen Codierungen greifen. Postfeministische Zeichen müssen jedoch in
einem strategisch-essentialistischen Kontext situiert werden, um der Gefahr
einer Abstraktion und Universalisierung zu entkommen. Nur so kann das
Zeichen „Frau“ als politische Bezugsgröße vor einer hegemonialen Verfassung
bewahrt werden, die Ausschluss und Subsumtion mit sich bringt.
97
6. Fazit – Postfeminismus als Herausforderung
Um die Ergebnisse meiner Arbeit zu bündeln, greife ich auf die in der
Einleitung formulierten Fragestellungen zurück:
Auf welchen normativen Grundlagen, auf welchen Ausschlüssen basiert
das feministische Subjekt der bundesdeutschen Frauenbewegung und forschung?
Postkoloniale feministische Kritik zeigt, dass die hiesige Frauenbewegung ein
feministisches „Wir“ konstituiert, das die Erfahrungen weißer, heterosexueller
Feministinnen des Mittelstandes universalisiert und diese als politischen
Maßstab setzt. Migrantinnen werden als die ethnisch „Anderen“ markiert und
ausgegrenzt,
wodurch
die
hiesige
Frauenbewegung
ihr
aufgekärtes,
emanzipiertes Selbstbild erlangt (vgl. 2. Kapitel).
Wenn feministische Wissenschaft und Politik herrschaftsfrei arbeiten will,
benötigt sie ein Instrumentarium, das Abstand nimmt von abstrahierenden
Deutungsmustern.
Postkoloniale
Positionierungen
fordern
in
diesem
Zusammenhang eine Kontextualisierung und Perspektivierung der Kategorie
Geschlecht, da diese nicht isoliert von anderen Kategorien sozialer Schließung
wie Ethnizität, sexuelle Orientierung, Alter oder Klassenzugehörigkeit
betrachtet werden kann; die Kategorie Geschlecht ist im Sozialen situiert und
daher mit weiteren Subjektpositionierungen verwoben. Folgende Fragestellung
schließt sich an:
Wie kann die Kategorie Geschlecht als Gegenstand feministischer
Wissenschaft und Politik unter Berücksichtigung von postkolonialer
Kritik konzeptionalisiert werden?
Um dem Anspruch postkolonialer Positionierungen gerecht zu werden, schlage
ich die Perspektive des Postfeminismus vor. Der postfeministische Bilck
impliziert die dekonstruktivistische Lesart Derridas, die das Ausgegrenzte und
Verschwiegene des hegemonialen feministischen „Wirs“ durch den Kunstgriff
der différance ans Licht bringt. Die différance verdeutlicht, dass die Kategorie
Geschlecht einer azentrierten, rhizomatischen Konfiguration im Sinne von
Deleuze und Guattari gleicht: Geschlecht vermittelt sich differential und
98
relational zu weiteren Subjektpositionierungen und kann aus diesem Grund
keine identische und absolute Größe sein.
Aus der dekonstruktivistischen und rhizomatischen Konzeptionalisierung von
Geschlecht ergibt sich die transversale Perspektive, die ein Merkmal des
postfeministischen Gestus ist. Der transversale Blick auf die Kategorie
Geschlecht wirkt einer essentiellen und universalistischen Bestimmung des
feministischen Subjektes entgegen, da er das feministische „Wir“ durch
Azentrierung für vielfältige Bedeutungen öffnet (vgl. 3. Kapitel).
Im Kontext des transversalen Denkens erweist sich die philosophische
Strömung der "Postmoderne" als eine vielversprechende Allianz für die
feministische Theorie. Anhand des Postmoderne-Konzept Lyotards wird
deutlich, wie die „Große Erzählung über die Frau“ durch die Entwertung von
Heterogenität normativen Bestimmungen des feministischen Subjektes
Vorschub leistet. Der Lyotard‘sche Entwurf „Patchwork der Minderheiten“,
welcher die „Legitimität radikaler Pluralität der Sprachspiele, Lebensweisen,
Handlungsformen“ (Fechner 1990: 29) fordert, nimmt Abstand von einer
normativen Denkweise. Vor diesem Hintergrund kennzeichne ich den Begriff
Postfeminismus als postmodern, da er eine kritische Distanz gegenüber der
hegemonial verfassten „Großen Erzählung über die Frau“ wahrt, indem er
Differenzen innerhalb der Kategorie „Frau“ aufwertet und benennt (vgl. 4.
Kapitel).
Es ist augenscheinlich, dass die postfeministische Perspektive auf die
feministische
Theorie
sowie
auf
feministische
Praxis
gleichermaßen
anzuwenden ist; der transversale und der postmoderne Entwurf berühren
erkenntnistheoretische wie auch politische Aspekte des Feminismus. Beide
Sphären
erfahren
Herausforderung:
durch
Zum
die
postfeministische
einen
durch
die
Perspektive
Problematisierung
eine
des
Kollektivsubjektes „Frau“, zum anderen durch die Öffnung von politischen
Konzepten für vielfältige feministische Handlungsoptionen.
Die scheinbare Unverzichtbarkeit auf ein großes feministisches „Wir“, das
durch Abstraktion auf das Unterdrückungsmoment Sexismus reduziert wird
und weitere Formen gesellschaftlicher Diskriminierung (z.B. Rassismus,
Heterosexismus) ausschließt oder subsumiert, fungiert als Prämisse innerhalb
feministischer
Wissenschaft.
Das
99
Kollektivsubjekt
„Frau“
garantiert
verallgemeinbare Forschungsergebnisse, die universal die Situation der
„hiesigen Frauen“ aufgreifen und wiedergeben. Vor diesem Hintergrund ist die
Sperre
gegenüber
postfeministischen
Forderungen
zu
verstehen.
Ihr
subjektkritischer Zugriff problematisiert die Konstitution einer universalen
„Frau“ als einen hegemonialen Akt. Die Prämisse feministischer Forschung ist
ein stabiles, identifizierbares Subjekt, das durch Ausschluss und Subsumtion
konstruiert wird. Das Forschen im Namen der „Frauen“ scheint nur möglich,
wenn weitere Subjektpositionierungen von Frauen wie sexuelle Orientierung,
Klassenzugehörigkeit, körperliche Verfassung, Herkunft oder Alter als
zweitrangig in die Analyse eingehen. Die postfeministische Perspektive wehrt
sich entschieden gegen diese Vorgehensweise, die die Erfahrungen einiger
privilegierter Frauen als Maßstab setzt. An dieser Stelle sei auch auf die
vergleichbare Problematik der Rezension poststrukturalistischer Theorien
innerhalb der gesamten soziologischen Disziplin verwiesen (3.3.); die
„parasitäre“
Anwesenheit
poststrukturalistischer
Zugänge
unterminiert
klassische Analysekategorien wie „Klasse“, „Gesellschaft“ oder „Geschlecht“
und zeigt so die Grenzen der Soziologie auf (vgl. Stäheli 2000).
Herausfordernd wirkt zudem der postfeministische Blick auf politische
Konzepte der Frauenbewegung. Die Frage, die sich stellt, lautet:
Wie verhält es sich mit der politischen Handlungsfähigkeit im Zeichen des
Postfeminismus?
Postfeministische Politik-Konzeptionen handeln sich den Vorwurf des
Unpolitischen ein, da normative politische Grundlagen im Zuge der
Subjektkritik ebenfalls als Projektionsfläche einiger weniger Frauen der
„hiesigen Frauenbewegung“ entlarvt werden. Der Begriff des Politischen
erfährt demzufolge eine Erweiterung durch postfeministische Zeichen, die
selten auf Verständnis treffen. Postfeministische Politik-Entwürfe erschließen
neue feministische Widerstandsformen wie die der subversiven Wiederholung
des patriarchalen Blicks oder die der parodistischen Selbstdarstellung im Sinne
des „kynischen Tricks“. Ironie, Zynismus und Subversion als politisch
relevante Strategien und Taktiken werden oftmals im Kontext normativer
feministischer
Politik
missverstanden,
da
sie
patriarchale
Klischees
visualisieren und aufgreifen: Wenn ausschließlich die Darstellung patriarchaler
100
Bilder wahrgenommen und der anti-sexistische, feministische Kontext dieses
Konzeptes verschwiegen und übersehen wird, führt dies zu einer Umdeutung
und Missinterpretation postfeministischer Taktiken als anti-emanzipatorisch
(vgl. 5. Kapitel).
Die Herausforderungen, vor denen der normative Feminismus steht –
Problematisierung des feministischen „Wirs“ sowie Infragestellung politischer
Grundlagen - illustrieren zugleich die Herausforderungen an postfeministische
Zeichen. Es gilt, den Vorwurf des Unpolitischen zu widerlegen und
aufzuzeigen, dass gerade der Verlust normativer Konzeptionen als Gewinn für
die feministische Wissenschaft und Politik zu werten ist.
Ich begreife eine Politik im Zeichen des Postfeminismus als notwendigen
Schritt in Richtung eines herrschaftskritischen, emanzipatorischen Feminismus.
Das Zeichen „Frau“ wird durch die postfeministische Perspektive von seinem
normativen Gehalt befreit und so in eine Zukunft vielfältiger, heterogener
Bedeutungen entlassen – die Kodifizierung einer „Anderen Frau“ durch
autoritäre Benennungspraktiken ist in diesem Zusammenhang nicht länger
möglich. Das postfeministisch konnotierte Zeichen „Frau“ lässt sich nicht
universalistisch, abstrakt oder essentiell fassen. Es ist ein „Patchwork der
Minderheiten“, dem keine Mehrheit gegenübergestellt werden kann. So werden
Ausschluss und Subsumtion der „Anderen Frauen“ vermieden.
Um dem eigenen Anspruch eines herrschaftsfreien Impetus gerecht zu werden,
situiere ich Politik im Zeichen des Postfeminismus im Kontext eines
strategischen Essentialismus. Dieser garantiert politische Handlungsfähigkeit
jenseits eines kollektiven Subjektes „Frau“, da er reflexiv und undogmatisch
die Offenheit und Heterogenität des Zeichens „Frau“ als oberstes Postulat
bewahrt, ohne jedoch den Gebrauch des Zeichens zu zensieren. Es gibt sie also
noch, diese „Frauen“ - nur weiß niemand mehr, wer sie eigentlich sind (vgl.
Butler 1993).
Postfeministische Zeichen produzieren daher Uneindeutigkeiten, die jedoch
nicht mit Unsicherheiten zu verwechseln sind: Es ist sicher, dass die
Uneindeutigkeit des postfeministischen Zeichens „Frau“ jenseits der Macht
anzusiedeln ist – und daher eine Politk impliziert, die pointiert und
schlagkräftig die patriarchale Matrix subvertiert.
101
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