Die neue Welt der ncRNAs und ihre medizinische Relevanz
Transcrição
Die neue Welt der ncRNAs und ihre medizinische Relevanz
473_521_BIOsp_0509_neu.qxd 18.08.2009 10:02 Uhr Seite 509 509 Biomarker Die neue Welt der ncRNAs und ihre medizinische Relevanz JÖRG HACKERMÜLLER 1 , FRIEDEMANN HORN 1, 2 , PETER F. STADLER 1, 3 , BARBARA BULLER 4 1 FRAUNHOFER-INSTITUT FÜR ZELLTHERAPIE UND IMMUNOLOGIE (IZI), LEIPZIG 2 INSTITUT FÜR KLINISCHE IMMUNOLOGIE, UNIVERSITÄT LEIPZIG 3 INSTITUT FÜR INFORMATIK, UNIVERSITÄT LEIPZIG 4 WISS + PA, POTSDAM-GOLM Nicht-codierende RNAs (ncRNAs) werden mit hoher Zell-Spezifität gebildet. Damit steht ein bislang kaum ausgeschöpftes Reservoir für potente und hochspezifische Biomarker zur Verfügung, und neue therapeutische Möglichkeiten zeichnen sich ab. Non-coding RNAs (ncRNAs) are formed with high cell specificity. This makes them a pool for powerful and highly specific biomarkers which has scarcely been exploited until today. Indications of their novel therapeutic potential are also emerging. ó „Wir sind fertig“, mit dieser Schlagzeile kündigte SPIEGEL ONLINE die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Rahmen des HUGO-Projekts (Human Genome Organization) im Jahr 2003 an. Bei aller Euphorie war man damals fast enttäuscht, dass für den Bau des menschlichen Organismus nur wenig mehr Gene notwen- dig sind als z. B. für den Fadenwurm Caenorhabditis elegans. Nur 1,5 Prozent der DNA werden für die Proteincodierung genutzt, der scheinbar überflüssige Rest wurde kurzerhand als „Junk – genetischer Müll“ abgetan. Aber gerade in der Menge dieser scheinbar nicht genutzten DNA unterscheidet sich der Mensch vom Fadenwurm (Abb. 1). Meilensteine der Genomforschung: ENCODE und das „small RNA Maps Project“ Die Identifizierung aller funktionellen Elemente des menschlichen Genoms war das gemeinsame Ziel von ca. 30 internationalen Arbeitsgruppen, darunter auch das Team der Leipziger Autoren dieses Artikels. Im ENCODE-Projekt (Encyclopedia of DNA Elements, [1]) sollte die experimentelle und bioinformatische Untersuchung von insgesamt ein Prozent des menschlichen Genoms die Basis für die weitere Analyse mit anderen Methoden schaffen. Zur Überraschung der Beteiligten zeigte ENCODE, dass die DNA fast vollständig transkribiert wird. Aber nur ganz allmählich setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass genau den Transkripten, die nicht für ein Protein codieren, eventuell eine Schlüsselfunktion für die Steuerungsvorgänge der Zelle zukommt. Doch John S. Mattick [2, 3], einer der Pioniere der ncRNA-Forschung, sieht darin den Anfang eines neuen Kapitels in der Molekularbiologie. Eine weitere Dimension eröffnete das „small RNA Maps Project“ [4]: Genomweit wird demnach eine Unzahl von Primärtranskripten gebildet. Diese werden zellspezifisch in eine Vielzahl kleinerer RNAs prozessiert. In jedem Zelltyp oder Stadium entstehen so unzählige, zum größten Teil bisher nicht beschriebene ncRNAs, die als molekulare Marker dienen könnten (Abb. 2). Es ist absehbar, dass mit zunehmendem Verständnis der ncRNA-gesteuerten funktionellen Abläufe ncRNAs auch als hochwirksame Mittel in die Therapie Eingang finden werden. Die Methoden der Genomstudien ˚ Abb. 1: Nicht-codierende DNA-Sequenzen bei unterschiedlich komplexen Organismen. BIOspektrum | 05.09 | 15. Jahrgang Ein großer Teil der bioinformatischen Untersuchungen für die oben genannten genomweiten Projekte wurde in Leipzig an der Universität und am Fraunhofer-IZI durchgeführt. Die in ENCODE verwendeten experimentellen und bioinformatischen Methoden wurden hier weiterentwickelt, um krankheitsrelevante ncRNAs zu studieren. Da der Großteil der ncRNAs bisher nicht charakterisiert wur- 473_521_BIOsp_0509_neu.qxd 510 18.08.2009 10:02 Uhr Seite 510 W I S S E N SCH AFT · S PECIA L : RNA-TE CH NOLOGIE N ˘ Abb. 2: Das gesamte Genom wird transkribiert; ncRNATranskripte (orange) kommen intergenisch, aber auch überlappend mit mRNA-Genen (lila) oder intronisch vor. de, müssen die dafür eingesetzten Methoden neue wie bekannte ncRNAs unabhängig von Typ oder Lokus im Genom detektieren können. Man erreicht dies durch Tiling-ArrayUntersuchungen und Transkriptomsequenzierung. Genomweite Tiling-Arrays (GTAs) sind Mikroarrays, die das gesamte Genom, mit Ausnahme repetitiver Bereiche, mit Sonden in regelmäßigen Abständen abrastern. Am Fraunhofer-IZI werden dafür üblicherweise Arrays verwendet, die alle 35 Nukleotide eine Sonde tragen. Mit dieser Auflösung lässt sich das menschliche Genom mit ca. 80 Millionen Sonden auf 14 Arrays abbilden. Transkripte ab ca. 120 Nukleotiden sind so verlässlich detektierbar. Bei dieser Technik werden RNAs mehrfach umgeschrieben. Mit einem Fluoreszenzfarbstoff markiert binden sie an die zu ihnen komplementäre Sonde und können so einem Bereich im Genom zugeordnet werden (Abb. 3). Zur Auswertung der großen, komplexen Datensätze wurden im Fraunhofer-IZI eigene bioinformatische Verfahren entwickelt. Diese Technologie hat in zahlreichen Experimenten bereits zur Detektion neuer ncRNAs geführt. Transkriptomsequenzierung: Ultra-Hochdurchsatz-Sequenzierung (UHTS) ermöglicht es, Transkripte durch Sequenzieren und Abzählen zu erfassen. Derzeit ist die Technik vor allem für Ausschnitte aus dem Transkriptom, beispielsweise für kleine RNAs geeignet. UHTS und GTAs werden am Fraunhofer-IZI gekoppelt eingesetzt, um Transkriptome möglichst vollständig zu erfassen. Typischerweise werden bei einem UHTSExperiment mehrere Millionen Sequenzen pro Probe generiert. Die Algorithmen für die fehlertolerante Zuordnung zu ihrem Herkunftsort im Genom wurden gemeinsam mit der Universität Leipzig entwickelt. Per Chip zu neuen ncRNAs Die Erfahrungen aus den genomweiten Transkriptomprojekten führten am Fraunhofer-IZI zur Entwicklung eines speziell für die Biomarkerforschung in der Onkologie geeigneten Mikroarrays, dem nONCOchip™. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Leipzig wurden mithilfe von Tiling-Arrays bekannte, onkologisch bedeutsame Signalwege in Tumorzellen untersucht. So konnten genomweit etwa 30.000 transkriptionell aktive Bereiche identifiziert werden, die von solchen Signalwegen reguliert werden. Der nONCOchip repräsentiert alle diese Transkripte sowie weitere, bioinformatisch vorhergesagte ncRNAKandidaten. Bei zwei Krebsarten, dem Prostatakarzinom und dem Multiplen Myelom, wurden auf diesem Weg bereits neue Biomarker-Kandidaten gefunden. Auch bei der Abklärung der Krankheitsrelevanz bereits identifizierter Transkripte führte der nONCOchip zu vielversprechenden Ergebnissen. Transkripte, die nach Induktion bekannter onkologischer Signalwege gewonnen wurden, wurden mit dem nONCOchip untersucht. Diese wurden dabei in einer Sammlung von Astrozytom- und Glioblastomproben unterschiedlicher Stadien verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass die Expressionsprofile eines Teils dieser ncRNAs in der Lage sind, zwischen diesen Stadien zu unterscheiden. Dies belegt das große Potenzial der ncRNAs als Biomarker, z. B. für die Frühdiagnose von Krankheiten oder als prädiktiver Marker für das Ansprechen auf ein bestimmtes Therapeutikum. Derartige BioBIOspektrum | 05.09 | 15. Jahrgang 473_521_BIOsp_0509_neu.qxd 18.08.2009 10:02 Uhr Seite 511 511 petenzen von sechs Fraunhofer-Instituten bündelt; die Entwicklung aussagekräftiger Testmodelle gehört ebenso dazu wie die Herstellung und Dotierung geeigneter Arrays, Entwicklung geeigneter Mess- und Analyseverfahren, die Einrichtung von Zellbanken und schließlich die gezielte Suche nach relevanten Biomarkern. ó ˚ Abb. 3: Genomweite Tiling-Arrays, ein Weg zur Entdeckung neuer ncRNAs. Identifizierung einer durch das Zytokin Interleukin-6 (IL-6) regulierten ncRNA in Zellen des Multiplen Myeloms. Gezeigt sind Tiling-Array-Signale von Zellen, die 13 Stunden lang ohne IL-6 kultiviert wurden (w/o IL-6); eine Stunde, nachdem diese Zellen mit IL-6 restimuliert wurden (1h IL-6); und von Zellen, die permanent mit IL-6 kultiviert wurden (permanent IL-6). Die Signale sind auf der x-Achse entsprechend der chromosomalen Position der jeweiligen Sonde angeordnet. Die y-Achse entspricht einem normalisierten Fluoreszenzsignal, das mit steigender RNA-Konzentration zunimmt. Gut zu erkennen ist die Bildung eines langen Transkripts, das nach einer Stunde mit ca. 170 kb in etwa die Länge erreicht hat, die eine RNA-Polymerase in einer Stunde zurücklegen kann. Das vollständige Transkript mit einer Länge von ca. 230 kb ist in permanent mit IL-6 kultivierten Zellen erkennbar. marker sind essenzielle Bestandteile der personalisierten Medizin, um für ein Individuum aus einer Reihe von Therapieoptionen nach rationalen Kriterien die optimale auszuwählen. ncRNAs – klinische Bedeutung und Ansätze für die Therapie Unabhängig von der derzeit fieberhaften Suche nach neuen ncRNA-Biomarkern wurden einige dieser Marker eher zufällig im Rahmen von mRNA-Studien gefunden. So wurde die ncRNA hcn als Marker für das hepatozelluläre Karzinom entdeckt [5], MIAT signalisiert erhöhtes Myokardinfarktrisiko. Die Aussagekraft des bisher üblichen PSA-Tests für Prostatakarzinom konnte durch PCA3 [6], eine ncRNA, gesteigert werden. Seit 2006 ist PCA3 für die Diagnostik zugelassen. Die Anzahl von ncRNAs, die mit Tumorerkrankungen, wie z. B. B-Zell-Lymphomen und Lungenkarzinomen, verknüpft sind, steigt ständig. Auch neurologische Erkrankungen wie das Prader-Willi-, das Angelmannund das Tourette-Syndrom werden im Zusammenhang mit Fehlern in der Signalübermittlung durch ncRNAs diskutiert. Für Therapien, die wie die Tumortherapie den gesamten Organismus betreffen, sind noch grundlegende Fragen zu klären. Eine besondere Herausforderung ist dabei die Entschlüsselung der zellulären Signalwege, die zur Transkription bestimmter RNAs führen. So ist z. B. bekannt, dass die microRNA-21 kanzerogen wirkt, indem sie bei Tumorzellen die Apoptose hemmt. Diesen Zusammenhang konnten wir in Leipzig auch für das MulBIOspektrum | 05.09 | 15. Jahrgang tiple Myelom beweisen. Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass der Signalübermittler Stat3, der durch das Zytokin Interleukin-6 aktiviert wird, die Expression dieser microRNA steuert [7]. Zur Realisierung einer personalisierten Medizin bedarf es intensiver fachübergreifender Forschungs- und Entwicklungsarbeiten. Das Fraunhofer-IZI nutzt diese Möglichkeit im Rahmen des Fraunhofer-Verbunds Life Sciences (VLS), der die breit gefächerten Kom- Literatur [1] ENCODE Project Consortium (2007) Identification and analysis of functional elements in 1 % of the human genome by the ENCODE pilot project. Nature 447:799–816 [2] Amaral PP, Mattick JS (2008) Noncoding RNA in development. Mamm Genome 19:454–492 [3] Mattick JS (2003) Challenging the dogma: The hidden layer of noncoding RNAs in complex organisms. BioEssays 25:930 [4] Kapranov P, Cheng J, Sujit D. et al. (2007) RNA maps reveal new RNA classes and a possible function for pervasive transcription. Science 316:1484–1484 [5] Lin R, Maeda S, Liu C et al. (2007) A large noncoding RNA is a marker for murine hepatocellular carcinomas and a spectrum of human carcinomas. Oncogene 26:851–858 [6] De Kok JB, Verhaegh GW, Roelofs RW et al. (2002) DD3PCA3, a very sensitive and specific marker to detect prostate tumors. Cancer Res 62:2695–2698 [7] Löffler D, Brocke-Heidrich K, Pfeifer G et al. (2007) Interleukin-6-dependent survival of multiple myeloma cells involves the Stat3-mediated induction of microRNA-21 through a highly conserved enhancer. Blood 110:1330–1332 Korrespondenzadresse: Dr. Jörg Hackermüller Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) Perlickstraße 1 D-04103 Leipzig Tel.: 0341-35536-5205 [email protected] AUTOREN Jörg Hackermüller Barbara Buller Jahrgang 1976. 1994–2001 Biochemiestudium an der Universität Wien. 2004 Promotion. 2005 Postdoc an den Novartis Institutes for Biomedical Research, Wien. 2005–2007 Postdoc am Fraunhofer-IZI, Leipzig. Seit 2007 dort Leiter der Arbeitsgruppe RNomics. Jahrgang 1949. Dipl.-Chem., Inhaberin der Fachagentur für PR und Marketing in Chemie und Life Sciences wiss+pa – wissenschaftliche pressearbeit. Peter F. Stadler Friedemann Horn Jahrgang 1965. 1984–1990 Chemiestudium an der Universität Wien, dort 1990 Promotion. 1994 Habilitation (Theoretische Chemie). Seit 1994 Mitglied der External Faculty des Santa Fe Institute, New Mexico, USA. 1997–2002 Außerordentlicher Universitätsprofessor an der Universität Wien. Seit 2002 Professor für Bioinformatik an der Universität Leipzig. Seit 2009 Auswärtiges Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft am MPI für Mathematik in den Naturwissenschaften, Leipzig. Jahrgang 1955. 1975–1980 Biochemiestudium an der Universität Tübingen. 1985 Promotion am DKFZ und der Universität Heidelberg. 1995 Habilitation (Biochemie) an der RWTH Aachen. 1996–1997 Ernst- and Lilly-Schilling-Stiftungsprofessur. Seit 1997 Professor für Molekulare Immunologie an der Universität Leipzig.