Einladung: Umdenken - Christliches Sozialwerk gGmbH

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Einladung: Umdenken - Christliches Sozialwerk gGmbH
Einladung: Umdenken
Workshop C: Finanzierungssysteme gestalten
Zwischen Individualanspruch und gesellschaftlicher Leistungsfähigkeit Rechtsansprüche behinderter Menschen in Zeiten leerer Kassen
Referentin: Reingard Bruns
Graf von Westphalen Bappert & Modest
I.
Einleitung
Im Zuge der jüngsten Reformbemühungen hat der Bundesgesetzgeber das Bundessozialhilfegesetz in das neue SGB XII übergeleitet. Im großen und ganzen ist dabei die Struktur der
Eingliederungshilfe unverändert geblieben. Gleichwohl bringt das SGB XII einige Änderungen mit sich. Für Menschen mit Behinderungen von besonderem Interesse ist die Einführung
eines Persönlichen Budgets, das als neue Form der Gewährung sozialhilferechtlicher Leistungen neben die bislang bekannten Hilfeformen tritt. Ob sich die jahrelangen Bemühungen
der Betroffenen und ihrer Interessenvertretungen und Verbände um die Einführung eines
Persönlichen Budgets gelohnt haben, wird sich umfassend erst mit Einzug des Persönlichen
Budgets in das „Alltagsleben“ erweisen können. Mit dem Inkrafttreten der entsprechenden
gesetzlichen Regelungen zum 1. Juli 2004 (und damit einem halben Jahr vor den übrigen
Regelungen des SGB XII) gehört das Persönliche Budget aber in absehbarer Zeit zum festen Bestandteil der Eingliederungshilfe. Auf der Grundlage der rechtlichen Rahmenbedingungen lassen sich bereits heute wesentliche Eckpunkte erkennen, innerhalb derer sich die Ausgestaltung des Persönlichen Budgets vollziehen wird. Diese Eckpunkte mit Leben zu erfüllen, sind sowohl die Menschen mit Behinderungen selbst als auch die Träger sozialer Einrichtungen und nicht zuletzt die Kostenträger berufen.
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II.
Was ist ein Persönliches Budget?
Mit Einführung des Persönlichen Budgets wird in Deutschland erstmals allgemein die Möglichkeit eröffnet, Sozialleistungen nicht – wie bislang üblich – als sogenannte Sachleistung,
sondern als Geldleistung in Anspruch zu nehmen. Für Menschen mit Behinderungen, die bislang häufig auf stationäre Hilfen verwiesen waren, eröffnet sich nunmehr die Chance, mit einem durch die Kostenträger zur Verfügung gestellten Geldbetrag die benötigten Hilfen und
Dienstleistungen selbst zu besorgen. Das Persönliche Budget kann (muss aber nicht) die
Sozialansprüche des Leistungsberechtigten gegenüber mehreren Leistungsträgern (z. B.
Renten- und Pflegekassen sowie Sozialhilfeträger) umfassen. Mit einem entsprechenden
Geldbetrag ausgestattet, kann der Leistungsberechtigte weitgehend frei die benötigten Hilfen
selbst organisieren. Menschen mit Behinderungen, die ein Persönliches Budget in Anspruch
nehmen, entscheiden somit selbst, zu welchem Zeitpunkt, in welcher Form, wie oft, durch
wen und mit welcher Zielstellung sie die benötigten Dienstleistungen oder sonstigen Hilfen in
Anspruch nehmen möchten.
So können sie beispielsweise Helfer einstellen, die ihnen bei Bedarf zur Hand gehen und ihnen die notwendige pflegerische und/oder medizinische, aber auch soziale Betreuung zukommen lassen; im Rahmen dieses „Assistenzmodells“ betätigen sie sich somit selbst als
Arbeitgeber. Möglich wäre es aber auch, bestimmte Leistungen bei Sozialdiensten einzukaufen. Darüber hinaus ist es denkbar, dass ein Inhaber eines Persönlichen Budgets seinen bisherigen Arbeitsplatz in einer WfBM mit einem Arbeitsplatz in der „freien Wirtschaft“ tauscht
und die notwendige personelle Assistenz und gegebenenfalls sächliche Ausstattung über
das Persönliche Budget finanziert.
III.
Rechtliche Grundlagen des persönlichen Budgets
Das Persönliche Budget findet seine rechtlichen Grundlagen insbesondere in den §§ 17 Abs.
2 – 6 SGB IX, 57 SGB XII, die in ihrer jetzigen Fassung zum 1. Juli 2004 in Kraft treten. Die
grundlegenden Bestimmungen finden sich in § 17 Abs. 2 – 6 SGB IX. Diese Normen gelten
für alle Leistungen, die in Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden können:
3
§ 17 SGB IX
Ausführung von Leistungen, Persönliches Budget
(1)
...
(2)
Auf Antrag können Leistungen zur Teilhabe auch durch ein monatliches Persönliches Budget ausgeführt werden, um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Bei der Ausführung des Persönlichen Budgets sind nach Maßgabe des individuell festgestellten
Bedarfs die Rehabilitationsträger, die Pflegekassen und die Integrationsämter beteiligt. Das Persönliche Budget wird von den beteiligten Leistungsträgern übergreifend als Komplexleistung erbracht. Budgetfähige Leistungen sind Leistungen, die sich auf alltägliche, regelmäßig wiederkehrende und regiefähige Bedarfe beziehen und als Geldleistungen oder durch Gutscheine erbracht
werden können. Eine Pauschalierung weiterer Leistungen bleibt
unberührt. An die Entscheidung ist der Antragsteller für die Dauer
von sechs Monaten gebunden.
(3)
Persönliche Budgets werden in der Regel als Geldleistung ausgeführt. In begründeten Fällen sind Gutscheine auszugeben. Persönliche Budgets werden im Verfahren nach § 10 so bemessen, dass
der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die
Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell
festgestellten, ohne das Persönliche Budget zu erbringenden Leistungen nicht überschreiten.
(4)
Enthält das Persönliche Budget Leistungen mehrerer Leistungsträger, erlässt der nach § 14 erstangegangene und beteiligte Leistungsträger im Auftrag und im Namen der anderen beteiligten Leistungsträger den Verwaltungsakt und führt das weitere Verfahren
durch.
(5)
§ 17 Abs. 3 in der am 30. Juni 2004 geltenden Fassung findet auf
Modellvorhaben zur Erprobung der Einführung Persönlicher Budgets weiter Anwendung, die vor Inkrafttreten dieses Gesetzes begonnen haben.
(6)
In der Zeit vom 1. Juli 2004 bis zum 31. Dezember 2007 werden
Persönliche Budgets erprobt. Dabei sollen insbesondere modellhaft Verfahren zur Bemessung von budgetfähigen Leistungen in
Geld und die Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen unter
wissenschaftlicher Begleitung und Auswertung erprobt werden.“
4
§ 57 SGB XII hingegen bestimmt als spezielle Vorschrift des Sozialhilferechts, dass auch
Leistungen der Eingliederungshilfe in Form eines Persönlichen Budgets erbracht werden
können:
㤠57 SGB XII
Trägerübergreifendes Persönliches Budget
Leistungsberechtigte nach § 53 können auf Antrag Leistungen der Eingliederungshilfe auch als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen
Budget erhalten. § 17 Abs. 2 bis 4 des IX. Buches in Verbindung mit der
Budgetverordnung und § 159 des IX. Buches sind insoweit anzuwenden.“
Erwähnt sei zudem der neu in das SGB IX aufgenommene § 159 Abs. 5 SGB IX. Nach dieser Vorschrift besteht ab dem 1. Januar 2008 ein Rechtsanspruch auf ein Persönliches Budget.
㤠159 SGB IX
Übergangsregelung
(5)
§ 17 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist vom 1. Januar 2008 an mit der Maßgabe anzuwenden, dass auf Antrag Leistungen durch ein Persönliches
Budget ausgeführt werden.“
IV.
Das Persönliche Budget in der Modellphase
Das Persönliche Budget wird seit einigen Jahren bundesweit in verschiedenen Modellprojekten erprobt. Waren im Bereich der Sozialhilfe Modellprojekte seit 1999 auf der Grundlage der
neu ins BSHG eingefügten Experimentierklausel § 101 a BSHG möglich, dient seit Inkrafttreten des SGB IX insbesondere die Vorschrift § 17 SGB IX in ihrer derzeitigen Fassung als
rechtliche Grundlage der Modellvorhaben. Diese Erprobungsphase wird gemäß § 17 Abs. 6
SGB IX (n.F.) noch bis zum 31. Dezember 2007 fortgesetzt. In der Zwischenzeit werden die
Modellprojekte zur Erprobung des Persönlichen Budgets wissenschaftlich begleitet. Die Bundesregierung ist gemäß § 66 Abs. 3 SGB XII (in der ab 1. Januar 2005 geltenden Fassung)
aufgefordert, dem Bundestag sowie dem Bundesrat bis zum 31. Dezember 2006 über die
Ausführung der Leistungen des Persönlichen Budgets zu berichten; auf der Grundlage dieses Berichts wird unter Beteiligung der obersten Landessozialbehörden geprüft, ob weiterer
Handlungsbedarf besteht.
5
V.
Wer kann ein Persönliches Budget beantragen und welche Leistungen können im Rahmen eines Persönlichen Budgets erbracht werden?
Das Persönliche Budget kann von Menschen mit Behinderungen in Anspruch genommen
werden, denen Leistungen zur Teilhabe im Sinne des § 4 Abs. 1 SGB IX bzw. Leistungen
der Eingliederungshilfe nach den §§ 53 ff SGB XII zustehen. Neben den Leistungen der Eingliederungshilfe kommen als Teil eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets auch
Leistungen nach folgenden Gesetzen in Frage:
-
SGB III (Arbeitsförderung),
-
SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung),
-
SGB VI (Gesetzliche Rentenversicherung),
-
SGB VII (Gesetzliche Unfallversicherung),
-
SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe)
-
SGB XI (Soziale Pflegeversicherung)
-
Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte.
All diese Leistungen können, müssen aber nicht im Rahmen eines Persönlichen Budgets erbracht werden. Der Antragsteller hat es damit in der Hand, diejenigen Sozialleistungen selbst
zu bestimmen, die er in Form eines Persönlichen Budgets erbracht sehen will. Es ist daher
zum Beispiel möglich, einen Teil der Sozialleistungsansprüche weiterhin in Form der Sachleistung zu decken, für andere Teilbereiche hingegen ein Persönliches (Teil-)Budget in Anspruch zu nehmen.
Die Leistungen, die im einzelnen für eine Inanspruchnahme in Form eines Persönlichen Budgets in Frage kommen, werden in § 17 Abs. 2 Satz 4 SGB XI (n.F.) mit dem Begriff der „budgetfähigen Leistungen“ umschrieben. Budgetfähig sind danach solche Leistungen, die sich
auf alltägliche, regelmäßig wiederkehrende und regiefähige Bedarfe beziehen und als Geldleistungen oder durch Gutscheine erbracht werden können. Was damit konkret gemeint ist,
erläutert der Gesetzgeber in der Begründung zum Gesetzentwurf vom 5. September 2003
[BT/Drucksache 15/1514, S. 72] so:
6
„Es kann sich hierbei nur um solche Leistungen handeln, die sich über
einen längeren Zeitraum regelmäßig wiederholen, sich auf alltägliche und
regiefähige Bedarfe beziehen. Gelegentliche sowie kurzfristige Hilfebedarfe
und einmalige Leistungen werden damit ausgeschlossen. Diese Leistungen
können daneben erbracht werden. Typische budgetfähige Leistungen können insbesondere die Hilfe zur Mobilität, Hilfe zur Teilhabe am Leben in der
Gemeinschaft, Hilfen zur häuslichen Pflege und häuslichen Krankenpflege,
regelmäßig wiederkehrende benötigte Hilfs- und Heilmittel sowie Hilfen
zum Erreichen des Ausbildungs- oder Arbeitsplatzes (Fahrtkosten) sein.“
Auf den ersten Blick mag man den Eindruck gewinnen, als ob nur „ambulante“ Hilfen für ein
Persönliches Budget in Frage kommen. Weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung
schließen es aber aus, dass auch teil- oder vollstationäre Leistungen mittels eines Persönlichen Budgets „eingekauft“ werden. Etwaige Zweifel sind mittlerweile durch entsprechende
Stellungnahmen des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherheit ausgeräumt
worden, in denen betont wurde, daß die Modellvorhaben auch der Erprobung des Persönlichen Budgets im Rahmen stationärer Hilfen dienen soll.
VI.
Wie gelangt man an ein Persönliches Budget?
Ein Persönliches Budget erhält man nur auf Antrag. Näheres zum Antragsverfahren und zur
Ausgestaltung und Durchführung des Persönlichen Budgets ergibt sich aus der Budgetverordnung, die durch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung erlassen
wird. Die Budgetverordnung liegt bislang nur in Form eines Diskussionsentwurfs vor (der
Entwurfstext ist als Anlage angefügt). Da die Vorschriften über das Persönliche Budget aber
bereits zum 1. Juli 2004 in Kraft treten, muß die Budgetverordnung bis dahin ebenfalls erlassen werden. Die Diskussion über die endgültige Ausgestaltung der Budgetverordnung wird
daher voraussichtlich in den kommenden drei Monaten zum Abschluss gelangen. Ob und in
welcher Form der Diskussionsentwurf noch inhaltliche Änderungen erfährt, bleibt abzuwarten.
Von den insgesamt fünf (teilweise recht kurzen) Paragraphen des Diskussionsentwurfs sind
insbesondere die §§ 3 und 4 Budgetverordnung von Interesse. Während § 3 Budgetverordnung das Antragsverfahren regelt, beschäftigt sich § 4 Budgetverordnung mit der sogenannten Zielvereinbarung, einem Vertrag zwischen dem Antragsteller und dem Leistungsträger,
der das Persönliche Budget bewilligt.
7
Das Antragsverfahren (§ 3 Budgetverordnung) soll danach wie folgt ausgestaltet werden:
Wer an einem Persönlichen Budget interessiert ist, kann einen entsprechenden Antrag bei
einem der beteiligten Rehabilitationsträger, Pflegekassen und Integrationsämtern oder bei
der gemeinsamen Servicestelle stellen. Derjenige Leistungsträger, der zuerst angesprochen
wird und nach § 14 SGB IX seine Leistungspflicht feststellt, nimmt das Verfahren – auch für
alle anderen gegebenenfalls beteiligten Leistungsträger – in die Hand (die Budgetverordnung
bezeichnet ihn als „beauftragten Leistungsträger“). Er stellt fest, welche anderen Leistungsträger Leistungen im Rahmen des Persönlichen Budgets zu erbringen haben. Diese anderen
Leistungsträger – als „beteiligte“ Leistungsträger bezeichnet – stellen ihrerseits den individuellen Bedarf des Antragstellers anhand der für sie geltenden Leistungsgesetze fest.
Sind an dem Persönlichen Budget mehrere Leistungsträger beteiligt, wird die Abstimmung
zwischen dem beauftragten Leistungsträger und den beteiligten Leistungsträgern in einem
Konferenzverfahren, dem sogenannten Einschätzungsverfahren, durchgeführt. Im Rahmen
des Einschätzungsverfahrens informieren die beteiligten Leistungsträger den beauftragten
Leistungsträger insbesondere über den Bedarf, der durch budgetfähige Leistungen abgedeckt werden kann, die Höhe des Persönlichen Budgets in Geld und den aus ihrer Sicht notwendigen Inhalt einer Zielvereinbarung nach § 4 Budgetverordnung. An dem Einschätzungsverfahren wird – sofern er dies verlangt – der Antragsteller ebenso beteiligt wie eine Person
seiner Wahl. Im Ergebnis des Einschätzungsverfahrens entscheiden sowohl der Beauftragte
als auch die beteiligten Leistungsträger jeweils für ihren Leistungsbereich, in welcher Höhe
und für welche Bedarfe ein Geldbetrag in das Persönliche Budget eingebracht wird. Das Persönliche Budget selbst wird auf der Grundlage eines Verwaltungsakts erbracht. Diesen Verwaltungsakt erlässt der beauftragte Leistungsträger. Der Verwaltungsakt wird unter der Bedingung erlassen, dass eine Zielvereinbarung nach § 4 Budgetverordnung zustande kommt.
Während der Modellphase (und damit bis zum 31. Dezember 2007) steht die Entscheidung,
ob dem Antrag auf ein Persönliches Budget entsprochen wird, im (wenn auch pflichtgemäßen) Ermessen des/der Leistungsträger(s). Erst nach Ablauf der Erprobungsphase steht den
Leistungsträgern kein Entscheidungsspielraum mehr zu. Für Menschen mit Behinderungen,
die ab dem 1. Januar 2008 ein Persönliches Budget beantragen, müssen die Leistungen in
dieser Form erbracht werden (§ 159 Abs. 5 SGB XII [n.F.]).
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Die Zielvereinbarung nach § 4 Budgetverordnung dient der Steuerung und Kontrolle der individuellen Bedarfsdeckung mit Hilfe des Persönlichen Budgets. Vertragspartner der Zielvereinbarung sind auf der einen Seite der Inhaber des Persönlichen Budgets, auf der anderen
Seite der beauftragte Leistungsträger. Mindestinhalt der Zielvereinbarung ist ein individueller
Förder- und Hilfeplan, in dem die im Rahmen des Persönlichen Budgets zu erbringenden Hilfen festgelegt und vereinbart werden. Daneben soll in der Zielvereinbarung eine Regelung
darüber getroffen werden, ob, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form der Inhaber des
Persönlichen Budgets die zweckentsprechende Verwendung der Geldleistung nachweisen
muß. Schließlich sollen in der Zielvereinbarung Maßstäbe für eine Qualitätssicherung der mit
Hilfe des Persönlichen Budgets beschafften Leistungen getroffen werden.
Die Zielvereinbarung soll in der Regel für die gleiche Dauer abgeschlossen werden, für die
das Persönliche Budget bewilligt wird. Mindestzeitraum ist hier ein halbes Jahr. Denn § 17
Abs. 2 Satz 6 SGB IX bindet den Antragsteller für die Dauer von (mindestens) sechs Monaten an die Entscheidung der Leistungsträger. Die Zielvereinbarung kann von beiden Parteien
aus wichtigem Grunde fristlos gekündigt werden, wenn einem der Beteiligten eine Fortsetzung der Vereinbarung nicht zuzumuten ist. Das kann der Fall sein, wenn die Verwendung
des Persönlichen Budgets für die in der Zielvereinbarung festgelegten Zwecke nicht mehr
gewährleistet ist. Selbstverständlich kommt auch eine Kündigung durch den Inhaber des
Persönlichen Budgets in Frage, z. B. wenn der benötigte Leistungsumfang steigt und im
Wege eines Persönlichen Budgets nicht mehr gedeckt werden kann.
Das Persönliche Budget wird – sofern eine Geldleistung erbracht wird – monatlich im voraus
an den Antragsteller ausbezahlt. Mit Auszahlung der Geldleistung bzw. mit Ausgabe der Gutscheine gelten die Sozialansprüche des Antragstellers – soweit sie Eingang in das Persönliche Budget gefunden haben – als erfüllt. Die Leistungsträger sind damit aus ihrer Leistungspflicht befreit.
VII.
Wie werden die Kosten des Persönlichen Budgets bemessen?
Um es gleich vorweg zu nehmen: Mit der Einführung des Persönlichen Budgets ist keine Erweiterung des finanziellen Spielraums für behinderte Menschen verbunden. Die Hoffnung,
mit Hilfe eines Persönlichen Budgets automatisch die Chance zur Leistungserweiterung zu
erhalten, wird sich daher nicht (jedenfalls nicht automatisch) erfüllen. Die Überleitung des
Bundessozialhilfegesetzes in das SGB XII und damit auch die Einführung des Persönlichen
Budgets stehen unter dem Vorzeichen finanzieller Engpässe der öffentlichen Haushalte.
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Nicht der Gedanke der Leistungserweiterung, sondern die Hoffnung auf Einsparmöglichkeiten haben den Bundesgesetzgeber bewogen, das Persönliche Budget weiter auszubauen.
Deshalb legt § 17 Abs. 3 SGB IX (n.F.) die Kosten aller bisher zu erbringenden bzw. festgestellten Leistungen als Kostenobergrenze für das Persönliche Budget fest.
Zwar soll das Persönliche Budget so bemessen sein, dass sowohl der im Einschätzungsverfahren festgestellte Bedarf als auch die erforderlichen Beratungs- und Unterstützungsleistungen mit abgedeckt werden können. Gleichwohl dürfen aber alle diese Leistungen nicht teuerer werden, als die Leistungen, die ohne Persönliches Budget zu erbringen wären. Da die
Kostenobergrenze aber als „Sollvorschrift“ gefasst ist, können in begründeten Einzelfällen
Ausnahmen gemacht werden. Der Gesetzgeber hat hier insbesondere an die Möglichkeit gedacht, dass ein bislang stationär betreuter behinderter Mensch zukünftig im Wege des Persönlichen Budgets in die ambulante Betreuung „überwechseln“ möchte. In diesen Fällen soll
für eine Übergangszeit das Persönliche Budget ausnahmsweise auch höher bemessen werden können als die Kosten der zuvor in Anspruch genommenen stationären Leistung.
Dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mit der Einführung des Persönlichen Budgets weder eine Leistungs- noch eine Kostenerweiterung verbunden sein soll, wird nicht zuletzt aus den allgemeinen Erläuterungen zur Gesetzesbegründung deutlich. Im Finanztableau für das erste Jahr nach dem Inkrafttreten des SGB XII wird die Einführung des Persönlichen Budgets als für die Träger der Sozialhilfe „kostenneutral“ ausgewiesen.
Hingegen hat sich die Befürchtung, der im Gesetzentwurf zum SGB XII vorgesehene Vorbehalt der Finanzkraft der öffentlichen Haushalte für die Übernahme der Kosten von Leistungen
in sozialen Einrichtungen [§ 70 Abs. 3 Satz 2 SGB XII – Entwurf] werde sich mittelbar auch
als Kostenbremse für das persönliche Budget auswirken, nicht bestätigt. Quasi in letzter Minute ist dieser Passus aus dem Gesetzentwurf gestrichen worden. Damit hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, eine (ohnehin verfassungsrechtlich nicht haltbare) Anbindung der Sozialhilfeansprüche an die Finanzkraft der öffentlichen Haushalte vorzunehmen. Auch die Kosten eines Persönlichen Budgets dürfen daher weder mittelbar noch unmittelbar anhand der
Finanzkraft öffentlicher Haushalte bemessen werden.
VIII.
Welche Vor- und Nachteile hat das Persönliche Budget
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für den behinderten Menschen?
Mit der Einführung des Persönlichen Budgets verbindet sich die Hoffnung und Erwartung, für
die Menschen mit Behinderungen möge sich ein größerer Freiraum zu eigenständigem und
selbstbestimmtem Leben eröffnen. Diese Hoffnung wird sich aber nicht automatisch und für
jeden Menschen mit Behinderung(en) erfüllen können. Insbesondere Menschen mit schweren geistigen Behinderungen sind auch unter der Inanspruchnahme eines persönlichen Budgets darauf angewiesen, dass ihre Bedürfnisse von ihren (gesetzlichen) Betreuern wahr- und
ernstgenommen werden und das Persönliche Budget verantwortungsvoll und bestmöglich
eingesetzt wird. Zudem kann sich der im SGB XII verankerte Vorrang ambulanter vor stationärer Hilfen als „Zwang ins Persönliche Budget“ auswirken: keine gute Voraussetzung für
eine freie Angebotswahl. Solange sich aber aufgrund steigenden Kostendrucks kein mittelbarer Zwang für Menschen mit Behinderungen ergibt, das Persönliche Budget anstelle vielleicht bevorzugter Sachleistungen in Anspruch zu nehmen, eröffnet das Persönliche Budget
eine zusätzliche Handlungsmöglichkeit für die Betroffenen. Ein „Allheilmittel“ für alle Leistungsempfänger wird das Persönliche Budget aber nicht sein können. Ob und in welchem
Ausmaß das Persönliche Budget zur Verbesserung der Lebensqualität behinderter Menschen beitragen kann, wird im wesentlichen von der Art und Weise des individuellen Hilfebedarfs sowie den Persönlichen Lebensumständen des einzelnen (insbesondere seinem sozialen Umfeld) abhängen.
Vorteile, die mit der Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets verbunden sind, liegen in
der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten für die benötigten Leistungen. Waren Menschen
mit Behinderungen bislang nicht selten auf die Inanspruchnahme eines „Leistungspakets“
(z. B. stationäre Hilfe in einer Einrichtung) angewiesen, können sie nun selbst entscheiden,
welche Leistungen sie in welcher Form und mit Unterstützung welcher Personen in Anspruch
nehmen wollen. Damit verbunden ist ein Wechsel von der passiven Inanspruchnahme sozialer Hilfeleistungen hin zum aktiven Gestalten des eigenen Lebens unter freier Auswahl zwischen Anbietern und Leistungsarten. Die Eigenverantwortung der behinderten Menschen
wird damit gestärkt, die Gefahr der Gettoisierung und Ausgrenzung behinderter Menschen
kann – wenn das Persönliche Budget phantasievoll genutzt wird - besser vermieden werden
als mit den herkömmlichen Sachleistungsangeboten. „Cleveres Wirtschaften“ mit dem Persönlichen Budget wird es dem Budgetinhaber unter Umständen sogar möglich machen,
mehr Leistungen in Anspruch zu nehmen, als dies bei der Planung des Persönlichen Budgets ursprünglich vorgesehen war. Nicht zuletzt bietet das Persönliche Budget die Vorteile
einer Leistungsgewährung mehrerer Sozialhilfeträger „aus einer Hand“. Widersprüche und
Differenzen zwischen den Rehabilitationsträgern können nunmehr in einem einheitlichen
Verfahren geklärt und gegebenenfalls vermieden werden. Damit ist nicht nur für die Sozial-
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leistungsträger, sondern auch für den Inhaber eines Persönlichen Budgets eine Vereinfachung des Verfahrens verbunden. Zugleich sieht sich der Inhaber eines Persönlichen Budgets nur noch einem Kostenträger als Anspruchsgegner gegenüber; nur noch ein Bescheid
muß – sofern das Persönliche Budget nicht den Vorstellungen und berechtigten Ansprüchen
des Antragstellers entspricht – bei den Sozialgerichten angefochten werden.
Schon heute lassen sich aber auch Nachteile des Persönlichen Budgets erkennen. So wird
sich der Inhaber eines Persönlichen Budgets, sind seine Geldmittel aufgebraucht, nicht in
der Hoffnung wiegen können, einen „finanziellen Nachschlag“ zu erhalten. Denn mit Bereitstellung der finanziellen Mittel haben die Leistungsträger insoweit ihre Pflicht erfüllt. Der Inhaber des Persönlichen Budgets trägt somit selbst die Verantwortung dafür, dass sein Bedarf mit Hilfe des Persönlichen Budgets gedeckt werden kann. Damit verlagert sich die Gefahr des Scheiterns der Rehabilitation/Eingliederung auf die Menschen mit Behinderung. Mit
der relativen Bequemlichkeit, die mit der bisher bekannten Form der Hilfeleistung durch
Sachleistung verbunden war, wird es bei Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets vorbei sein. Hier gilt nunmehr „Marktwirtschaft pur“. Ist zum Beispiel bei einer Heimunterbringung der Heimträger verpflichtet, in jeder Hinsicht für das „Wohl und Wehe“ seiner Bewohner
Sorge zu tragen, muss der Inhaber eines Persönlichen Budgets, der sich für eine ambulante
Hilfebetreuung in den eigenen vier Wänden entscheidet, damit rechnen, mit dem einen oder
anderen Wunsch allein gelassen zu werden, sofern das Persönliche Budget dafür nicht ausreichend bemessen (oder zu diesem Zeitpunkt bereits aufgebraucht) ist. Kann der Inhaber
eines Persönlichen Budgets nicht auf ein ausreichend stabiles soziales Umfeld zurückgreifen, besteht darüber hinaus die Gefahr der Vereinsamung. Die selbstverständliche Kommunikation mit Betreuern und anderen Bewohnern, wie sie sich in einer stationären Einrichtung
ergibt, muss – stehen nicht Familienangehörige und/oder Freunde und Nachbarn zur Verfügung – jeweils „eingekauft“ werden. Da der Inhaber eines Persönlichen Budgets selbst darüber entscheiden kann, in welcher Art und Weise und durch wen er seinen Hilfebedarf deckt/
decken lässt, ist die Gefahr einer Qualitätsminderung, insbesondere bei den pflegerischen, /
medizinischen und heilpädagogischen Leistungen nicht von der Hand zu weisen. Hier müssen ausreichende Vorkehrungen in der Zielvereinbarung getroffen werden. Zu denken ist insbesondere an die Vereinbarung bestimmter Qualitätsstandards und Kontrollmechanismen.
Um den greifbaren Gefahren des Missbrauchs oder Misslingens des Persönlichen Budgets
entgegenzuwirken, wird derzeit die Einbeziehung eines „Budgetassistenten“ oder „Case Managers“ als unabhängiger Dienstleister/Kontrolleur/Qualitätsmanager in die Leistungsgestaltung
im
Rahmen
eines
Persönlichen
Budgets
diskutiert.
Aufgabe
eines
Budgetassistenten/Case Managers könnte es sein, die bestmögliche Ausgestaltung der indi-
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viduellen Hilfen zu planen, abzustimmen, umzusetzen, zu koordinieren und zu kontrollieren.
Wichtig für eine solche „Vermittlerperson“ erscheint die Unabhängigkeit des Budgetassistenten insbesondere von den Leistungsträgern und den Leistungsanbietern.
IX.
Welche Veränderungen kommen auf die Träger sozialer Einrichtungen
mit dem Persönlichen Budget zu?
Mit Einführung des Persönlichen Budgets werden tiefgreifende Änderungen auf die Träger
sozialer Einrichtungen zukommen. Der Schwerpunkt sozialer Arbeit wird sich zunehmend
vom stationären Bereich auf ambulante Leistungen verlagern. So wird es dem Inhaber eines
Persönlichen Budgets selbst dann möglich sein, Angebote des ambulant betreuten Wohnens
in Anspruch zu nehmen, wenn er die bisherigen Kriterien dieses Hilfeangebotes nicht erfüllt
(z. B. weil er erheblich geistig und/oder körperlich behindert ist). Aber auch innerhalb stationärer Einrichtungen werden sich die Strukturen ändern. Die Leistungen für Inhaber eines
Persönlichen Budgets werden nicht auf der Basis von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen nach §§ 93 ff BSHG [ab 1. Januar 2005: §§ 75 ff SGB XII] erbracht. Der Inhaber des
Persönlichen Budgets selbst bestimmt, in welchem Umfang er stationäre Leistungen in Anspruch nimmt. Damit verbunden ist für den Träger der Einrichtung die Forderung nach einem
flexiblen Personaleinsatz und einer größtmöglichen Transparenz von Leistung und Qualität.
Die Ausgestaltung der stationären Hilfen wird sich daher an den individuellen Bedarfen der
Inhaber eines Persönlichen Budgets orientieren müssen. Um die Inhaber eines Persönlichen
Budgets als zukünftige Käufer sozialer Leistungen zu gewinnen, werden die Träger ihre Werbung stärker als bisher auf die individuellen Ansprüche der behinderten Menschen ausrichten müssen.
Der Markt der sozialen Anbieter wird größer. Die Inhaber eines Persönlichen Budgets sind
nicht darauf beschränkt, die Leistungen bei den „klassischen Anbietern“ einzukaufen. Ihnen
steht vielmehr die Wahl zwischen sämtlichen denkbaren Anbietern offen. So ist es nicht ausgeschlossen, dass behinderte Menschen sich dafür entscheiden, ihre Persönliche Assistenz
durch Bekannte/Freunde/Nachbarn/Familienangehörige erbringen zu lassen und diese mit
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den Mitteln des Persönlichen Budgets zu entlohnen. Damit befinden sich die Träger sozialer
Einrichtungen zukünftig in Konkurrenz zu bislang unbekannten Anbietern.
Änderungen werden aber auch im Vertrags- und Kostenmanagement notwendig werden. Die
Träger sozialer Einrichtungen sind – soweit sie Leistungen für Inhaber eines Persönlichen
Budgets erbringen – nicht mehr vertraglich mit den Kostenträgern, sondern ausschließlich
mit den Leistungsempfängern verbunden. Art und Umfang der Hilfeleistung sowie deren Kosten werden unmittelbar mit dem Inhaber des Persönlichen Budgets vereinbart. Die Kosten
der erbrachten Leistungen werden direkt durch den Leistungsempfänger beglichen. Damit
entfällt die unmittelbare Abrechnung mit den Kostenträgern und damit letztlich auch ein gesicherter Zugriff auf einen solventen Schuldner. Die Träger sozialer Einrichtungen werden daher ihr Kostenmanagement umstellen müssen.
X.
Thesen
1.
Das Persönliche Budget ermöglicht Menschen mit Behinderungen, ihren individuellen
Hilfebedarf mit den finanziellen Mitteln aus dem Persönlichen Budget auf dem sozialen Dienstleistungsmarkt unmittelbar einzukaufen.
2.
Mit der Einführung des Persönlichen Budgets verbunden ist die Vorstellung größtmöglicher Eigenverantwortung, Selbstbestimmung und Wahlfreiheit der behinderten
Menschen.
3.
Mit der Einführung des Persönlichen Budgets sind nicht nur Vor-, sondern auch Nachteile verbunden. Ob die Inanspruchnahme eines Persönlichen Budgets ratsam ist,
lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern nur im Einzelfall klären.
4.
Die Idee eines selbstbestimmten Lebens mit Hilfe eines Persönlichen Budgets muss
zumindest für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung hinterfragt werden. Das
Modell des Persönlichen Budgets kann für diese Menschen nur gelingen, wenn die
Verantwortlichen (gesetzlicher Betreuer, Budgetassistent/Case Manager) verantwortungsvoll die Interessen des Inhabers des Persönlichen Budgets wahrnehmen.
14
5.
Mit der Einführung des Persönlichen Budgets ist keine automatische Besserstellung
der Menschen mit Behinderungen verbunden. Das Persönliche Budget steht unter
dem Zeichen der Sparzwänge öffentlicher Haushalte. Es wird daher dem Geschick
des einzelnen überlassen bleiben, ob er das ihm zur Verfügung gestellte Persönliche
Budget so geschickt nutzt, dass ihm Leistungserweiterungen möglich werden.
6.
Gewinnbringend wird sich das Persönliche Budget für diejenigen auswirken, deren Interesse nicht vorrangig auf eine Leistungserweiterung, sondern auf eine Änderung
der Leistungsinhalte gerichtet ist.
7.
Trotz der Vereinfachung, die mit der Leistung „aus einer Hand“ im Rahmen des Persönlichen Budgets verbunden sind, muss die Ausgestaltung des Antragsverfahrens
gewährleisten, dass der Antragsteller durch umfangreiche Begutachtungen nicht abgeschreckt wird.
8.
Das Gelingen des Persönlichen Budgets wird nicht zuletzt davon abhängen, ob im
Zuge der Modellphase brauchbare Verfahren zur Bemessung des Hilfebedarfs und
der Kosten eines Persönlichen Budgets entwickelt werden können.
9.
Auf die Träger sozialer Einrichtungen kommen mit dem Persönlichen Budget tiefgreifende Veränderungen zu. Leistungsangebote und Mitarbeiterstrukturen werden wesentlich flexibler ausgestaltet werden müssen, als bisher. Auch Vertrags- und Kostenmanagement bedürfen einer Anpassung an die neuen Gegebenheiten.
Dresden, den 26. März 2004
Reingard Bruns
Graf von Westphalen Bappert & Modest
Anlage
Diskussionsentwurf
einer Verordnung zur Durchführung des § 21 a
des Neunten Buches Sozialgesetzbuch
(Budgetverordnung – BudgetV)
15
vom ___________
Auf Grund des § 21 a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch – Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen – vom 19. Juni 2001 [BGBl. I S. 1046, 1047], der durch Art. 8 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember
2003 [BGBl. I S. 3022] eingefügt worden ist, verordnet das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung:
§1
Anwendungsbereich
Die Ausführung von Leistungen zur Teilhabe durch ein Persönliches Budget nach § 17 Abs.
2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch, der Inhalt Persönlicher Budgets sowie das Verfahren und die Zuständigkeit der beteiligten Leistungsträger richten sich nach den folgenden
Vorschriften.
§2
Gesamtbudget, Teilbudget
Das Gesamtbudget ist die Gesamtheit aller budgetfähigen Leistungen der einzelnen Teilbudgets. Das Persönliche Budget kann auch aus einem Teilbudget bestehen.
§3
Verfahren
(1)
Ein Antrag auf Leistungen durch ein Persönliches Budget kann bei allen beteiligten
Rehabilitationsträgern, Pflegekassen, Integrationsämtern und der gemeinsamen Servicestelle gestellt werden.
16
(2)
Der nach § 10 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch für die Koordinierung zuständige Leistungsträger trifft die für die Beteiligung anderer Leistungsträger erforderlichen
Feststellungen. Die zu beteiligenden Leistungsträger stellen den individuellen Bedarf
nach dem für den jeweiligen Leistungsträger geltenden Leistungsgesetz fest.
(3)
Die beteiligten Leistungsträger und der beauftragte Leistungsträger beraten gemeinsam mit der Antrag stellenden Person in einem Konferenzverfahren (Einschätzungsverfahren) die Ergebnisse der von ihnen getroffenen Feststellungen und geben gegenüber dem beauftragten Leistungsträger eine Stellungnahme insbesondere zu
1.
dem Bedarf, der durch budgetfähige Leistungen berücksichtigt werden kann,
2.
der Höhe des Persönlichen Budgets in Geld und
3.
dem Inhalt der Zielvereinbarung nach § 4
ab. An dem Verfahren wird auf Verlangen der Antrag stellenden Person eine Person
ihrer Wahl beteiligt. Das Einschätzungsverfahren ist in der Regel im Abstand von zwei
Jahren zu wiederholen. In begründeten Fällen kann davon abgewichen werden. Die
jeweils zuständigen Leistungsträger entscheiden für ihren Leistungsbereich auf der
Grundlage der Stellungnahme und stellen dem Beauftragten das auf sie entfallende
Teilbudget innerhalb einer Woche nach Abschluss des Einschätzungsverfahrens zur
Verfügung.
(4)
Der beauftragte Leistungsträger erlässt den Verwaltungsakt und erbringt die Leistung.
Der Verwaltungsakt ist unter der Bedingung zu erlassen, eine Zielvereinbarung nach
§ 4 abzuschließen. Die Geldleistung wird monatlich im voraus an den Antragsteller
ausgezahlt. Mit der Auszahlung oder der Ausgabe von Gutscheinen an die Antrag
stellende Person gilt deren Anspruch gegen die beteiligten Leistungsträger insoweit
als erfüllt.
§4
Zielvereinbarung
(1)
Die Zielvereinbarung ist zwischen der Antrag stellenden Person und dem beauftragten Leistungsträger abzuschließen. Sie hat mindestens
1.
den Inhalt des individuellen Förder- und Hilfeplans,
17
2.
die Erforderlichkeit eines Nachweises für eine zweckentsprechende Verwendung der Leistung sowie
3.
(2)
die Maßstäbe für die Qualitätssicherung der Leistungen zu enthalten.
Die Antrag stellende Person und der beauftragte Leistungsträger können die Zielvereinbarung aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung kündigen, wenn den Beteiligten eine Fortsetzung nicht zumutbar ist. Im Falle der Kündigung ist der Verwaltungsakt aufzuheben.
(3)
Die Zielvereinbarung ist nach Abschluss des Einschätzungsverfahrens für die Dauer
des Bewilligungszeitraumes der Leistungen des Persönlichen Budgets abzuschließen, soweit sich aus ihr nichts Abweichendes ergibt.
§5
Inkrafttreten
Diese Verordnung tritt am 1. Juli 2004 in Kraft.
Der Bundesrat hat zugestimmt.
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Begründung:
Allgemeiner Teil
I.
Zielsetzung und Notwendigkeit der Verordnung
Die Verordnung enthält die näheren Regelungen zum Persönlichen Budget auf der Grundlage der Rechtsverordnungsermächtigung des § 21 a des Neunten Buches Sozialgesetzbuch,
der durch Art. 8 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch
vom 27. Dezember 2003 [BGBl. I S. 3022] eingefügt worden ist und gemäß Art. 70 Abs. 2
dieses Gesetzes am 28. Dezember 2003 in Kraft getreten ist.
Damit Leistungen ab 1. Juli 2004 in Form eines trägerübergreifenden Persönlichen Budgets
erfolgen können, ist rechtzeitig davor die Budgetverordnung entsprechend den Vorgaben
des § 21 a SGB IX zu erlassen. Kernpunkte dieser Rechtsverordnung sind:
-
[Es] wird das Antragsverfahren festgelegt, aufgrund dessen der Leistungsbe-
rechtigte die Leistungen des Persönlichen Budgets erhält.
-
Die Zuständigkeit und Zusammenarbeit der beteiligten Leistungsträger an dem Gesamtbudget werden näher ausgeführt.
-
Ein Einschätzungsverfahren, an dem die beteiligten Leistungsträger, der beauftragte
Leistungsträger sowie die Antrag stellende Person beteiligt sind, wird neu eingeführt.
-
Der Abschluss einer Zielvereinbarung zwischen der Antrag stellenden Person und
dem beauftragten Leistungsträger wird vorgeschrieben.
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II.
Auswirkungen der Verordnung
Durch die Verordnung selbst entstehen für die öffentlichen Haushalte und für die Wirtschaft
keine zusätzlichen Kosten. Die grundsätzlichen Vorschriften sind im genannten Gesetz vom
27. Dezember 2003 enthalten, in dessen Finanztableau auch die Kosten eingestellt sind.
Als Folge der Verordnung sind Auswirkungen auf Lohnnebenkosten nicht zu erwarten, so
dass zusätzliche Belastungen für Beitragszahler nicht entstehen. Auswirkungen auf Einzelpreise und das Preisniveau sind daher nicht zu erwarten.
Besonderer Teil
Zu § 1
Im Rahmen des Art. 8 (Änderung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch) des Gesetzes zur
Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch (SGB XII) ist das Persönliche
Budget weiter ausgestaltet worden. Näheres über den Inhalt, das Verfahren des Persönlichen Budgets sowie über seine Ausführung und die Zuständigkeit der beteiligten Leistungsträger wird in dieser Budgetverordnung geregelt.
Zu § 2
Die Vorschrift regelt die Zusammensetzung des Persönlichen Budgets. Das persönliche Budget besteht aus einem sogenannten Gesamtbudget, das sich aus Teilbudgets verschiedener
Leistungsträger zusammensetzt. Satz 2 stellt klar, dass das Persönliche Budget nicht zwingend aus mehreren Teilbudgets bestehen muss.
Zu § 3
Absatz 1 regelt die Zusammenarbeit der im Einzelfall an dem Persönlichen Budget beteiligten Leistungsträger. Der Antrag kann bei allen diesen genannten Leistungsträger und der gemeinsamen Servicestelle gestellt werden.
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Absatz 2 Satz 1 verweist wegen der Koordinierung verschiedener Leistungsträger auf das
Verfahren nach § 10 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch. Dies bedingt, dass alle beteiligten Leistungsträger gemeinsam mit dem Leistungsbeauftragten die nach dem individuellen
Bedarf voraussichtlich erforderlichen Leistungen ermitteln und diese schriftlich zusammenstellen. Die beteiligten Leistungsträger stellen dann, so Absatz 2 Satz 2, entsprechend ihrer
geltenden Leistungsgesetze den individuellen Bedarf fest.
Absatz 3 regelt, inwieweit der von den jeweiligen Leistungsträgern individuell festgestellte
Bedarf operationalisiert werden kann. Dafür beraten die Beteiligten im Rahmen eines gemeinsam durchzuführenden Einschätzungsverfahrens über die getroffenen Feststellungen
und nehmen Stellung zu den in den Nummern 1 bis 3 angeführten Gegenständen. Die Aufzählung ist nicht abschließend; sie nennt die wesentlichen Gegenstände, über die zwingend
zu beraten ist. Gemäß Nummer 1 ist zu dem Bedarf Stellung zu nehmen, der durch budgetfähige Leistungen nach § 17 Abs. 2 überhaupt gedeckt werden kann. Gemäß Nummer 2
nehmen die Beteiligten zu der Höhe der Kosten des Persönlichen Gesamtbudgets Stellung
und legen damit bereits die Obergrenze fest. Gemäß Nummer 3 haben die Beteiligten zu den
Inhalten der Zielvereinbarung Stellung zu nehmen, insbesondere zu dem Förder- und Hilfeplan, der maßgebliche Bedeutung für die Steuerung einer zielgenauen Leistungserbringung
hat.
Absatz 3 Satz 2 bestimmt, dass an diesem Verfahren neben der Antrag stellenden Person
auf ihr Verlangen eine Person ihrer Wahl, z. B. der Vertreter eines Verbandes behinderter
Menschen oder der gesetzliche Betreuer, zu beteiligen ist. Dies erhöht nicht nur die Sachkenntnis des Gremiums und die Transparenz des Verfahrens, sondern auch seine Akzeptanz.
Absatz 3 Satz 3 gibt vor, dass das Einschätzungsverfahren in der Regel im Abstand von
zwei Jahren zu wiederholen ist. Lediglich in begründeten Ausnahmefällen kann der Zeitabstand verlängert, aber auch verkürzt werden. Dies dient der Förderung der eigenverantwortlichen Budgetverwaltung der Antrag stellenden Person über einen längeren Zeitraum sowie
der Verwaltungsvereinfachung zugunsten der Leistungsträger.
Nach Absatz 3 Satz 4 haben die jeweils zuständigen Leistungsträger auf der Grundlage der
abgegebenen Stellungnahme abschließend über die budgetfähigen Leistungen zu entscheiden und stellen dem Beauftragten das auf sie entfallende Teilbudget innerhalb der gesetzlichen Frist zur Verfügung.
Absatz 4 Satz 1 regelt den Inhalt des gesetzlichen Auftrages nach § 93 des Zehnten Buches
Sozialgesetzbuch. Der beauftragte Leistungsträger erhält damit die Legitimation zum Erlass
eines Gesamtbescheides, der alle beteiligten Leistungsbereiche ausweist sowie die jeweils
von den Leistungsbereichen abhängigen Rechtsbehelfe. Darüber hinaus ist der Beauftragte
zur weiteren Ausführung des Gesamtsbescheides legitimiert und damit auch zur Auszahlung
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der Gesamtleistung an die Antrag stellende Person. Die Leistung erfolgt gegenüber dem Antrag stellenden Person damit „aus einer Hand“.
Absatz 4 Satz 2 verknüpft den Verwaltungsakt mit der Bedingung, eine Zielvereinbarung abzuschließen. Damit wird die Antrag stellende Person zum Abschluss der Zielvereinbarung
verpflichtet, um die Voraussetzungen des Verwaltungsakts abzusichern und der Zielvereinbarung Bedeutung beizumessen.
Nach Absatz Satz 3 ist die Geldleistung monatlich im voraus an die Antrag stellende Person
auszuzahlen. Sie ist dadurch in der Lage, über einen längeren Zeitraum als nach bisheriger
Praxis selbständig zu disponieren.
Absatz 4 Satz 4 stellt sicher, dass mit der Auszahlung des Geldes oder der Ausgabe von
Gutscheinen an die Antrag stellende Person ihr Anspruch gegen die beteiligten Leistungsträger insoweit erfüllt ist. Der koordinierende Träger ist damit nicht gehalten, in Vorleistung zu
treten und erst im Rahmen der Kostenerstattung den internen Ausgleich zu suchen.
Zu § 4
Absatz 1 Satz 1 verpflichtet die beteiligten Leistungsträger zum Abschluss einer Zielvereinbarung mit der Antrag stellenden Person. Die Nummern 1 bis 3 legen den Mindestinhalt der
Zielvereinbarung zur Qualitätssicherung der Leistung verbindlich fest. Damit wird die Zielvereinbarung zu einem wesentlichen Steuerungsinstrument.
In Absatz 2 wird die Möglichkeit der Kündigung der Zielvereinbarung aus wichtigem Grund
mit sofortiger Wirkung geregelt. Ein wichtiger Kündigungsgrund kann die Überforderung der
Antrag stellenden Person sein, das Budget weiter zu verwalten. Eine Kündigung hat zur Folge, dass auch der Verwaltungsakt, der unter der Bedingung des Abschlusses der Zielvereinbarung steht, aufgehoben wird.
In Absatz 3 wird die Laufzeit der Zielvereinbarung angegeben. Sie entspricht der Dauer des
Bewilligungszeitraumes der Leistung des Persönlichen Budgets.
Zu § 5
Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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