"der Freitag": Mit Fairtrade unterwegs

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"der Freitag": Mit Fairtrade unterwegs
Eine Verlagsbeilage in Zusammenarbeit mit TransFair e.V.
der Freitag | Herbst 2015
Extra
F O T O : T R A N S FA I R E .V. / S A N T I A G O E N G E L H A R D T
Mit Fairtrade unterwegs
Der Faire Handel ist längst keine unerreichbare Vision mehr: Weltweit unterstützen immer mehr Menschen Fairtrade, um die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in den Entwicklungs- und Schwellenländern
zu verändern. Jeder Einsatz zeigt Wirkung. Arbeiter und Bauern erhalten
für ihre Erzeugnisse nicht nur stabile Preise, sondern finanzieren mit einer
Prämie Projekte, die der Gemeinschaft zugute kommen. Die Erfolge von
Fairtrade wurden auch von Wissenschaftlern belegt. Ihre Studien zeigen:
Höhere Einkommen und mehr Sicherheit sind dank Fairtrade möglich.
2
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Ein Vertrag für die
Zukunft der Erde:
Mehr als gute Vorsätze?
E
s ist eines ihrer ehrgeizigsten Vorhaben, das die Vereinten Nationen
im September verabschieden. Bis
2030 wollen sie weltweit Armut
und Hunger ausrotten, jedem Kind wird
das Recht auf Schulbildung zugesichert,
Frauen und Mädchen sollen nicht länger
benachteiligt sein. Dies sind nur drei der
17 Ziele der sogenannten Sustainable Development Goals. Die neuen Nachhaltigkeitsziele könnten eine Chance sein, menschenwürdige Arbeit weltweit zu fördern.
Der Aktionsplan soll den Ärmsten der Welt
helfen und die Industrienationen stärker
denn je in die Pflicht nehmen.
Doch sind die 193 Staats- und Regierungschefs wirklich bereit, eine Kehrtwende zu vollziehen, um „niemanden
zurückzulassen“ – wie es im bisherigen
Entwurf des Aktionsplans heißt? Zweifel
und Skepsis sind mehr als angebracht. Ein
Blick auf internationale Lieferketten zeigt,
dass nur wenige multinationale Handelsunternehmen die Branchen beherrschen.
So kontrollieren beispielsweise vier Unternehmen 90 Prozent des Weltgetreidemarktes, nur fünf Konzerne teilen 50
Prozent des Kakaomarktes unter sich auf,
und fünf Handelsketten dominieren die
Hälfte des europäischen Lebensmittelhandels. Wie eine Studie des Fair Trade Advocacy Office in Brüssel zeigt, führt der Missbrauch dieser Marktmacht zu unlauteren
Handelspraktiken. Die Leidtragenden sind
diejenigen, die ganz am Anfang der Lieferketten stehen: Bauern und Arbeiter in den
Produktionsländern.
Die UN sprechen sich mit dem neuen
Zielkatalog für ein “anhaltendes, integratives und nachhaltiges Wirtschaftswachstum” aus. Für Harriett Lamb, Direktorin von Fairtrade International, ist
klar, dass dieses Ziel nur dann erreicht
werden kann, wenn den Erzeugern faire
Preise bezahlt werden. Nachhaltige Produktion muss an erster Stelle stehen,
nicht Profitmaximierung. Doch die extreme Machtkonzentration verhindert
Wettbewerb und damit faire Bedingungen. „Um integratives Wachstum zu erreichen, müssen Bauern und Arbeiter,
Konsumenten und Unternehmen gleichermaßen einbezogen werden. Und
auch die Regierungen müssen zu ihrer
Verantwortung stehen”, sagt Lamb. Ob
diese dazu bereit sind, bleibt fraglich.
Gefordert ist ein globales Engagement
von Händlern und Handelsketten, um
existenzsichernde Löhne und die Kosten
für eine nachhaltige Produktion zahlen
zu können.
Nachhaltige Produktion,
nicht Profitmaximierung
Zwar fordern auch die UN ein gerechtes multilaterales Handelssystem. Doch
den Auftrag dazu soll die Welthandelsorganisation (WTO) erhalten. Kritiker
sehen in ihr die Organisation, die für
Handelsliberalisierung steht und damit
auch für die sich zuspitzende Lage der
Kleinbauern. Handel muss den Armen
zugutekommen. Die Liberalisierung des
F O T O S : FA I R T R A D E I N T E R N AT I O NA L / S E A N H AW K E Y, U N T E N M I R I A M E R S C H
Vision Ein Ende der Armut, mehr Bildung und weltweites
Wachstum: Die UN setzen sich hohe Ziele für mehr Nachhaltigkeit. Doch der Weg zu einem fairen Handelssystem ist lang
Handels darf kein Selbstzweck sein, denn
sie garantiert nicht den Abbau der Armut,
sondern fördert die Ungleichheit. Dies gilt
insbesondere dann, wenn reiche Länder
Zugang zu den Märkten der am wenigsten entwickelten Länder verlangen und
erzwingen, während sie den Zugriff auf
ihre eigenen Märkte gezielt begrenzen.
Ein Beispiel ist die Liberalisierung in der
Bananen- und Zuckerindustrie. Sie hat
dazu geführt, dass viele Fairtrade-Kleinbauern und -Arbeiter ruiniert wurden
oben: Kleinbauern sind im
Fairtrade-System durch einen
stabilen Mindestpreis gegen
Börsenpreisschwankungen
abgesichert
unten: In der Generalversammlung von Fairtrade
International haben die
Produzentenvertreter
50 Prozent der Stimmen
del, das Artensterben, extreme Naturereignisse wie Wirbelstürme oder Erdbeben
bedrohen das Leben vieler Menschen.
Der neue Aktionsplan sollte ökonomische, ökologische und soziale Dimensionen nachhaltiger Entwicklung berücksichtigen. Die Entwicklungsfachleute
und Politiker aus den jeweiligen Ländern
einigten sich darauf, dass die künftige
Entwicklungsagenda auf alle Länder der
Welt anwendbar sein soll. Damit werden
mit den neuen Zielen nicht nur die armen Staaten des Südens adressiert, sondern die Weltgemeinschaft steht in der
Verantwortung. Ihre Umsetzung ist freiwillig und jeder Staat entscheidet selbst
über die Maßnahmen, um die Ziele zu
erreichen. Geplant ist, die Umsetzung
anhand fester Indikatoren regelmäßig
zu überprüfen.
Schon jetzt ist klar: Allein die Ankündigung von Nachhaltigkeitszielen wird an
der Ausgrenzung und Ausbeutung von
Kleinbauern und Arbeitern in Entwicklungsländern nichts ändern. Ihre Stimme muss gehört werden, wenn Worte in
Taten umgesetzt werden. Nur wenn es
gelingt, das Diktat von internationalen
Handelsunternehmen entlang der Wertschöpfungsketten zu beenden, werden die
UN-Nachhaltigkeitsziele tatsächlich etwas
verändern können. Gefragt sind nicht verhandelbare Regelungen, um der Macht
globaler Unternehmen Grenzen zu setzen. Nur wenn internationale Wertschöpfungsketten einer Aufsicht unterliegen,
3
sind die UN-Nachhaltigkeitsziele auch
tatsächlich umsetzbar. Regierungen müssen das Wettbewerbsrecht aktualisieren
und ihre bisher rein Verbraucherschutzorientierte Perspektive ändern und auf
Wertschöpfungsketten ausdehnen. Nur
dann kann es langfristige, nachhaltige
Lösungen für alle geben, einschließlich
existenzsichernder Einkommen und Löhne für Bauern und Arbeiter.
Stimme der Kleinbauern und
Arbeiter muss gehört werden
Die Messlatte für die neuen Ziele liegt
entsprechend hoch, das haben auch die
politischen Entscheider erkannt. „Unsere Generation könnte die erste sein, die
die Armut ausrottet, ebenso wie wir die
Letzten sein könnten, die die Chance haben, den Planeten zu retten", zitierte UNGeneralsekretär Ban Ki-Moon aus dem
Aktionsplan. Für Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wird von der
Staatengemeinschaft nichts weniger als
ein Vertrag für die Zukunft der Erde verabschiedet.
Die Hoffnung ist groß, dass die nachhaltigen Entwicklungsziele ein Schritt
zu einem gerechteren Handelssystem
sein können. „Sie müssen zeigen, ob Gerechtigkeit die zentrale Säule ist, um eine
nachhaltige Entwicklung zu erreichen.“,
sagt Harriet Lamb von Fairtrade International. „Sonst bleibt es lediglich bei einer
hochtrabenden Rhetorik.“
Der Vorschlag für die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung
Der Aktionsplan
der UN setzt die
Weichen für die
Entwicklungspolitik bis 2030
oder ihre Arbeitsplätze verloren haben.
Der neue Aktionsplan soll die Millenniumsziele der Vereinten Nationen ablösen, die 2015 auslaufen. Vor 15 Jahren verabschiedeten Politiker aus aller Welt die
sogenannten Millennium Development
Goals der UN. Bis 2015 sollte die Zahl der
Hungernden halbiert, jedes Kind eine
Grundschulbildung bekommen, die Kindersterblichkeit um zwei Drittel gesenkt
und Frauen und Mädchen gleichberechtigt werden. Es gab zwar Verbesserungen,
doch alle Ziele wurden bei Weitem nicht
erreicht.
Mit zu den größten Niederlagen zählt
etwa, dass die Anzahl der ständig hungernden Menschen nicht annähernd wie
gewollt reduziert werden konnte. Nur um
17 Prozent sankt die Zahl. Damit sind noch
immer 842 Millionen Menschen chronisch unterernährt. Auch in der medizinischen Versorgung der Landbevölkerung
konnte deutlich weniger erreicht werden
als angestrebt. Erschreckende Defizite gibt
es noch immer in der Schul- und Ausbildung von Kindern und Jugendlichen in
armen Staaten. Mädchen und Frauen sind
nach wie vor deutlich stärker von Ausbeutung und Armut betroffen.
Die Nachhaltigkeitsziele sollen nicht
nur die Probleme angehen, die bisher
nicht gelöst werden konnten. Der neue
Aktionsplan der Vereinten Nationen ist
viel mehr als eine Fortschreibung der
Milleniumsziele, denn er setzt die Weichen für die Prioritäten, Konzepte und
Strategien von Entwicklungspolitik für
die kommenden 15 Jahre.
Für die Entwicklung der neuen Ziele
war die UN-Konferenz für nachhaltige
Entwicklung in Rio 2012 entscheidend.
Jahrelang wurde über den Zielkatalog beraten und verhandelt. Schließlich sollte
der Aktionsplan nicht nur hohen Ansprüchen, sondern auch den Veränderungen
auf der Welt gerecht werden: Die Schwellenländer gewinnen an wirtschaftlicher
und politischer Macht, Wirtschafts- und
Finanzkrisen beeinflussen stärker denn je
das globale Marktgeschehen. Hinzu kommen die noch unkalkulierbaren Folgen
einer ökologischen Krise. Der Klimawan-
01. Armut in jeder Form und
überall beenden.
02. Den Hunger beenden,
Ernährungssicherheit und
eine bessere Ernährung
erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft
fördern.
03. Ein gesundes Leben für alle
Menschen jeden Alters
gewährleisten und ihr
Wohlergehen fördern.
04. Inklusive, gerechte und
hochwertige Bildung
gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen
Lernens für alle fördern.
05. Geschlechtergerechtigkeit
und Selbstbestimmung für
alle Frauen und Mädchen
erreichen.
06. Verfügbarkeit und
nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und
Sanitärversorgung für alle
gewährleisten.
07. Zugang zu bezahlbarer,
verlässlicher, nachhaltiger
und zeitgemäßer Energie
für alle sichern.
08. Dauerhaftes, inklusives
und nachhaltiges
Wirtschaftswachstum,
produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle
fördern.
09. Eine belastbare Infrastruktur aufbauen, inklusive und
nachhaltige Industrialisierung fördern und
Innovationen unterstützen.
10. Ungleichheit innerhalb von
und zwischen Staaten
verringern.
11. Städte und Siedlungen
inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig
machen.
12. Für nachhaltige Konsumund Produktionsmuster
sorgen.
13. Umgehend Maßnahmen zur
Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen.
14. Ozeane, Meere und
Meeresressourcen im Sinne
einer nachhaltigen
Entwicklung erhalten und
nachhaltig nutzen.
15. Landökosysteme schützen,
wiederherstellen und ihre
nachhaltige Nutzung
fördern, Wälder nachhaltig
bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodenverschlechterung stoppen und
umkehren und den
Biodiversitätsverlust
stoppen.
16. Friedliche und inklusive
Gesellschaften im Sinne
einer nachhaltigen
Entwicklung fördern, allen
Menschen Zugang zur Justiz
ermöglichen und effektive,
rechenschaftspflichtige und
inklusive Institutionen auf
allen Ebenen aufbauen.
17. Umsetzungsmittel stärken
und die globale Partnerschaft für nachhaltige
Entwicklung wiederbeleben.
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
FOTO: YISHENG ORGANIC
beziehen sich auf die Bereiche Ökonomie, Soziales und Umwelt. Sie schreiben
für die meisten Rohstoffe einen stabilen
Mindestpreis vor, der für die Kleinbauern
bei Preisschwankungen nach unten ein Sicherheitsnetz bildet. Diese Regelung hilft
den Kooperativen zu kalkulieren, welche
Einkünfte sie haben – gerade dann, wenn
die Preise für Bananen, Kaffee oder Kakao
am Weltmarkt sinken. Steigt der Marktpreis, erhalten die Produzenten auch
den höheren Preis. Ob die vereinbarten
Summen gezahlt und die Standards eingehalten werden, überprüft ein unabhängiges Kontrollsystem. Das Verfahren der
zuständigen FLOCERT GmbH entspricht
durch die Akkreditierung nach ISO Norm
17065 einem weltweit gültigen Standard
für Unabhängigkeit.
Spielregeln für den Fairen Handel
Wandel Fairtrade-Produkte gibt es längst in fast jedem
Supermarkt. Doch was steht hinter dem Fairtrade-Siegel?
Die Menschen in den Anbauländern des globalen Südens
profitieren langfristig vom Fairen Handel
nach Fairtrade-Standards gehandelt und
hergestellt. Heute zählen 19 Initiativen
zum Bündnis, 27 Länder werden darüber
abgedeckt.
Anders als im Biobereich gibt es für faire Produkte keine gesetzlichen Vorgaben.
Die vier internationalen Dachverbände
des Fairen Handels – kurz FINE genannt –
einigten sich 2001 auf eine Definition von
Fairem Handel. Für sie ist der Faire Handel
„eine Handelspartnerschaft, die auf Dialog, Transparenz und Respekt beruht und
nach mehr Gerechtigkeit im internationalen Handel strebt“.
F O T O S : O B E N FA I R T R A D E I N T E R N AT I O N A L / M I R I A M E R S C H , U N T E N T R A N S FA I R E .V. / NA B I L Z O R K O T
K
affee, Tee und Schokolade aus
Fairem Handel gibt es schon
lange nicht mehr nur im Weltladen. Längst sind auch Supermarktketten auf den Zug aufgesprungen
und haben die Waren im Sortiment. Der
Kauf eines Produkts mit dem FairtradeSiegel ist aber weit mehr als eine Beruhigungspille für das gute Gewissen. Fairtrade hat das Ziel, Ungleichgewicht im weltweiten Handel abzubauen, indem Bauern
und Arbeiter gestärkt werden. Und das
gemeinsam mit allen Beteiligten: den Produzenten im globalen Süden, der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Das
Fairtrade-System soll nichts weniger als
einen Richtungswechsel bei den Handelsbedingungen einläuten.
Vor über zwanzig Jahren entstand die
Idee, den Fairen Handel zu vergrößern, indem fair gehandelte Produkte mit einem
Siegel ausgezeichnet werden. Damit sollten sich diese Angebote im Supermarkt
von herkömmlicher Ware unterscheiden.
TransFair machte es sich gemeinsam mit
dem internationalen Verbund Fairtrade
International zur Aufgabe, Millionen
Kleinbauern und ihren Familien zu besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen zu
verhelfen. Seit 2003 gibt es ein einheitliches Siegel, das den Konsumenten auf der
ganzen Welt zeigt: Dieses Produkt wurde
Transparente Spielregeln
Aber wie lässt sich diese Definition umsetzen? Die Fairtrade Initiativen haben
darauf ihre Antwort gefunden. Sie beteiligen die Produzenten nicht nur an den
Entscheidungsprozessen, sondern machen sie zu Teilhabern des Systems. Die
Vertreter der Produzentennetzwerke aus
Lateinamerika, Afrika und Asien halten
gleichberechtigt 50 Prozent der Stimmen
in wichtigen Entscheidungsgremien und
internationalen Komitees.
Als Werkzeuge, um den Wandel der
Handelsbedingungen zu erreichen, dienen strenge Standards. Sie sind die Spielregeln für den Fairen Handel. Die Standards
Von der Ebene der Produzentenkooperative (unten) bis zur internationalen Generalversammlung (oben) sind die Produzenten die Entscheider im Fairtrade-System
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Strenge Kontrolle der
Fairtrade-Vorgaben
Zusätzlich zu den Verkaufseinnahmen
bekommen die Produzenten eine Prämie. Die Mitglieder der Produzentenorganisation oder die Arbeitervertretung
auf Plantagen entscheiden gemeinsam,
wofür das Geld eingesetzt werden soll.
In manchen Gemeinden werden damit
Moskitonetze, Trinkwasserfilter oder
Fahrräder angeschafft. In anderen Gebieten finanziert die Prämie den Bau
von Kindertagesstätten, von Schulen
oder Bildungsprojekten. Wieder andere
investieren in die Gesundheitsversorgung, starten Informationskampagnen
über Umwelt- oder Arbeitsschutz.
Rund 1,5 Millionen Produzenten aus 74
Ländern des Globalen Südens sind Teil des
Fairtrade-Systems. Die Anwendung der
Standards soll den Menschen helfen, aus
dem Teufelskreis der Armut auszubrechen
und so selbst über ihr Leben bestimmen zu
können. Dazu zählt nicht nur finanzielle Sicherheit. Die Fairtrade-Partner verpflichten
sich, gegen Zwangsarbeit vorzugehen und
ausbeuterische Kinderarbeit zu verbieten.
Zudem werden deutlich weniger Pestizide
und Chemikalien bei der Produktion eingesetzt, für biologisch angebaute Erzeugnisse
gibt es einen Aufschlag.
Es gibt nicht nur den einen Standard für
den Fairen Handel. Die spezifischen Anforderungen für einzelne Produkte und
Produktgruppen, für Händler, für Kooperativen und Plantagen werden in einzelnen Standards abgedeckt. Nur die Waren
bekommen das Fairtrade-Siegel, bei deren
Herstellung alle Vorgaben eingehalten
wurden. Bundesweit bieten heute rund
42.000 Geschäfte und über 20.000 Cafés,
Mensen oder Restaurants ihren Kunden
fair gehandelte Waren an. Insgesamt tragen mehr als 3.000 Waren das Siegel.
Forschung belegt nachhaltige
Wirkung von Fairtrade
Doch verbessert der Faire Handel tatsächlich die Lage der Menschen? Intern
führt Fairtrade Workshops mit Produzentenorganisationen durch, um zu
erfahren, welche Probleme sie beschäf-
5
Experten der Universität Göttingen die
Auswirkungen des Zertifizierungssystems
auf Kaffee-Kleinbauern in Uganda. Die
Wissenschaftler kamen zu dem Schluss,
dass Fairtrade den Lebensstandard der
Bauern deutlich verbesserte, dank Mindestpreis, Prämie und der Möglichkeit,
den eigenen Kaffee innerhalb der Kooperative weiterzuverarbeiten. Somit erwiesen sich die Standards als ein sinnvoller
Baustein bei der Armutsbekämpfung.
Die Forscher
fanden
verbesserte
Lebensstandards
bei den
Kleinbauern
F O T O : T R A N S FA I R E .V. / J Ö R G B Ö H T L I N G
4
Fairtrade stärkt die Arbeiterinnen auf Plantagen
tigen und welche Rolle Fairtrade spielen
kann, um diese zu bewältigen. Im Fokus
stehen derzeit unter anderem verbesserte Haushaltseinkommen oder eine
nachhaltige Ernährungssicherung. Ob
Fairtrade zu einem Wandel beiträgt, wird
regelmäßig mittels Datenerhebung untersucht, ausgewertet und überprüft. Alle
Mitglieder bekommen Zugang zu Daten
und Analysen. So profitieren sowohl die
Produzenten in den Entwicklungsländern als auch das System weltweit von
den Ergebnissen.
Auch Wissenschaftler erforschen die
Wirkung des Fairen Handels: Valerie Nelson und Barry Pound von der Universität
Greenwich in Großbritannien haben in
einer Studie belegt, dass sich die Einkommen der Kleinbauern dank Fairtrade stabilisieren und damit besser kalkulierbar
sind. Von den regelmäßigen Einkünften
profitieren ihre Familien, aber auch ganze
Dörfer und Regionen. Zudem stärkt der
Faire Handel langfristig demokratische
Strukturen in den Betrieben. In einer
Studie aus dem Jahr 2013 untersuchten
Ein weltweit gerechteres Handelssystem ist ein ambitioniertes Ziel. Damit die
Arbeitsbedingungen für beispielsweise
die Arbeiter auf Plantagen langfristig verändert werden, muss noch viel getan werden. Ein Baustein sind existenzsichernde
Löhne. Diese müssen anstelle der bisher
festgeschriebenen gesetzlichen Mindestlöhne schneller erreicht werden. Eines
der größten Probleme bleibt allerdings
die Machtkonzentration einiger weniger
Unternehmen in den Produktionsketten. Um hier einen Wandel einzuläuten,
müssen Unternehmen, Regierungen und
Organisationen stärker denn je zusammenarbeiten.
Internationales FAIRTRADE-Netzwerk
zertifizierte
KleinbauernKooperative
oder Plantage
zertifizierter
­Exporteur
aufende Entwicklung und ­Überprüfung
L
von ­FAIRTRADE-Standards
eratung der Kleinbauern­kooperativen
B
und Plantagen in Entwicklungsländern
Mitbestimmung durch die Produzenten
Fairtrade
International
(gemeinnütziger Dachverband aller
Produzentennetzwerke und
Fairtrade-Gütesiegel-­Initiativen)
zertifizierter
­Importeur
Unabhängige Zertifizierungs­
organisation, ISO 17065 akkreditiert
f ührt angekündigte und
unangekündigte Audits auf Basis
der Fairtrade-Standards bei
Vertragspartnern durch
FLOCERT GmbH
zertifizierter
­Hersteller
Vergabe von
Lizenzen an
Unternehmen
Lebensmittelhandel,
Fachgeschäfte,
Gastronomie
Beratung von
Unternehmen,
die im Fairen
­Handel aktiv
werden
­möchten
TransFair e.V.
(Fairtrade Deutschland)
Konsument und
Konsumentin
Informations­
arbeit über den
fairen Handel
Fairtrade
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
der Freitag | Herbst 2015
7
Anschubhilfe für ein besseres Leben
Der Mechanismus,
Produzentennetzwerke
aufzubauen, ist einmalig
bei Fairtrade. Nationale
Netzwerke für Kaffeekleinbauern konnten
in drei von vier der
untersuchten Länder
etabliert werden. Über
regionale Netzwerke
wurden Weiterbildungen
und internationale
Beteiligungen organisiert.
Fairtrade Coffee,
Studie des NRI
Studie Fairtrade verbessert die Einkommen und damit den Lebens standard von Kaffeebauern – das belegt eine aktuelle
Untersuchung britischer Wissenschaftler. Besonders hohe Absätze erzielen Bio-Kaffees, die zu fairen Bedingungen produziert
wurden. Doch Fairtrade allein reicht nicht aus, um Armut zu bekäm pfen. Ein Überblick über ausgewählte Ergebnisse der Studie
M
ehr Mitbestimmung und höhere Einkommen, weniger Risiko und Abhängigkeit – so
lassen sich die wichtigsten Anliegen von
Fairtrade zusammenfassen. Eine neue
Studie des Natural Resources Institut
(NRI) der Universität Greenwich in Großbritannien belegt, dass diese Anliegen in
weiten Teilen für die Produzenten auch
erreicht werden können. Im Zentrum der
Studie standen repräsentativ ausgewählte Kaffeebauern-Organisationen mit und
ohne Fairtrade-Zertifizierung in den
360 wichtigen Anbauländern Peru, Mexiko,
Tansania und Indonesien. Der Fokus der
320 Wissenschaftler lag auf der Wirkung von
Fairtrade auf die ökonomische und
strukturelle Entwicklung der Kleinbau280
ernorganisationen. Untersucht wurde
etwa die Entwicklung der Haushaltsein240
kommen, der Wissensstand der Produzenten oder Investitionen in neue Verfahrenstechniken.
Im Kern kamen die Autoren der Studie
zu dem Schluss, dass die Fairtrade-Produzenten profitabler wirtschaften und
damit auch höhere Einkommen erzielen.
Neben der Fairtrade-Prämie, die die zertifizierten Kaffeeproduzenten zum Teil in
Verarbeitungsanlagen investieren konnten, profitieren die Kleinbauern auch von
stabilen Mindestpreisen. Sie gewinnen die
Sicherheit, dass auch in Zeiten niedriger
Börsenkurse ein kostendeckender Preis
für den Kaffee gezahlt wird.
Die Zertifizierung hat noch einen weiteren Effekt: Fairtrade fördert durch Zahlung eines zusätzlichen Bio-Aufschlags
den Anbau biologischer Erzeugnisse.
Nach den
Ergebnissen der Wis-
1989
Aufkündigung
des internationalen
Kaffeeabkommens
200
160
senschaftler zahlt sich die Verbindung aus
Bio und Fairtrade für die Kaffeebauern
besonders aus. Allerdings ist es gar nicht
so einfach, eine hohe Bio-Qualität zu erreichen. Es bedarf eines starken Qualitätsbewusstseins, intensiver Anstrengungen
im Anbau, Geduld und viel Zeit. Die Wissenschaftler setzen daher langfristig auf
eine umfangreichere Unterstützung für
die bio-faire Produktion.
Aber: Was die Untersuchung auch zeigt,
ist, dass nicht nur ein faires Handelssystem
allein die Lebens- und Arbeitsbedingungen
der Kaffeebauern verändert. Die nationale Gesetzgebung oder gar gewaltsame
Konflikte in den Gebieten beeinflussen
maßgeblich die Lage der Bauern. Fairtrade
allein kann diese Gegebenheiten vor Ort
nicht kompensieren. Außerdem hängt eine
gute und stabile Struktur der Organisatio-
nen von den Führungsqualitäten und dem
Know-how einzelner Personen ab. Das
wiederum kann nur durch regelmäßige
Weiterbildung und Beratung verbessert
werden – diesem Bedarf kann Fairtrade
derzeit aber nur teilweise entsprechen.
Weitere Beratungskapazitäten müssen
aufgebaut werden. Probleme gibt es auch
beim Thema Gleichberechtigung. Frauen
kommen in allen Organisationen nur selten zu Wort. Ihre Beteiligung an verschiedensten Gremien ist nach wie vor gering,
beklagen die Wissenschaftler. Zu etabliert
sind kulturell verankerte Rollenteilungen.
Generell gibt es Lücken, wenn es um die
Mitsprache der Mitglieder bei internen
Vo r g ä n g e n
geht. Fairtrade ist also
kein Allheilmittel. Aber es ist ein
Baustein,
um langfristig den
Weg aus der
Armut zu ebnen.
Oktober 2001
30-Jahrestief von
45 US-Cents durch
Überproduktion
120
0
Bio-Anbau
Mexiko
Qualitätskontrolle
Bodenbewirtschaftung
US cents/lb
40
% mit Fruchtfleisch-Entferner
100
September 1992
Oktober 1989
Kaffee-Weltmarktpreise und
Dezember 1999
Januar 1996
Bio-Anbau
November 2002
Mai 2007
Januar 2015
Fairtrade-Mindestpreis © FA I R T R A D E F O U N D AT I O N
80
60
40
20
Wirkung von Fairtrade auf die Entwicklung
der Produzentenorganisation
Haushaltseinkommen aus Kaffeeanbau
in US-Dollar pro Hektar
Düngung
Einsatz von Kaffee-Verarbeitungsanlagen
in Fairtrade- und Nicht-Fairtrade-Organisationen
Mai 2011 – Dezember 2013:
Kursabsturz von 65 Prozent
aufgrund der Eurokrise
und von Überproduktion
Mai 1997
20-Jahreshoch durch
hohe Nachfrage und
aggressive Börsenspekulation
80
Anteil der Kaffeebauern,
die Weiterbildungen erhalten haben
In allen vier untersuchten
Ländern wurde die
Unterstützung durch
Fairtrade International
von den Fairtrade-Kaffeeproduzenten positiv
bewertet. Dennoch wurde
eine Intensivierung des
Supports gefordert, um
den zukünftigen
Herausforderungen
begegnen zu können.
Fairtrade Coffee,
Studie des NRI
0
% mit Trocknungstischen
Qualitätskontrolle
100
Peru
Bodenbewirtschaftung
Indonesien
2.400
Mexiko
Peru
2.000
Bio-Anbau
FairtradeKaffeeorganisationen
Fairtrade- und Bio-Produzenten
Fairtrade-Produzenten
Nicht-Fairtrade
2.200
Düngung
Tansania
2.288
1.800
Tansania
Qualitätskontrolle
Bodenbewirtschaftung
1.400
1.537
1.348
1.366
Bio-Anbau
Bodenbewirtschaftung
Indonesien
Nicht Fairtrade
Fairtrade
800
600
400
200
Düngung
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
Mehr Weiterbildung für Fairtrade-Produzenten Fairtrade-Produzenten zeigen sich
insgesamt zufrieden über die Weiterbildungen, die durch Fairtrade in ihrer jeweiligen
Organisation angeboten und durchgeführt werden. Zudem stellte sich heraus: Diese
Kaffeebauern erhalten deutlich mehr Angebote als die Produzenten, die ohne FairtradeZertifizierung arbeiten, und die Weiterbildungen sind thematisch breiter aufgestellt.
Ähnlich wie in Tansania war das Ausgangsniveau allerdings teilweise niedrig. Es besteht
daher noch viel Potenzial. Künftig sollten die Angebote zur Weiterbildung der Bauern
deutlich ausgebaut werden.
766
670
738
40
Beispiel-Organisation 1
Indonesien
20
0
% mit Fermentierungstanks
100
80
60
Beispiel-Organisation 1
Mexiko
478
408
40
20
Beispiel-Organisation 2
Mexiko
346
182
0
Höhere Einkommen durch Fairtrade In drei der vier untersuchten Länder zeigen sich im
Vergleich der Haushaltseinkommen positive Effekte durch Fairtrade. Kleinbauern von
Fairtrade-Organisationen erwirtschaften vor allem dann höhere Einkommen, wenn sie
zusätzlich bio-zertifiziert sind. Indonesien stellt hier eine Ausnahme dar: Die untersuchten
Fairtrade-Produzentenorganisationen liegen im ehemaligen Konfliktgebiet. Als Folge von
Vertreibung besitzen die Beispiel-Organisationen wenig Land, das teilweise an schwer zu
bewirtschaftenden Hängen liegt. Von diesen Widrigkeiten waren die nicht-zertifizierten
Vergleichs-Organisationen im selben Land nicht betroffen.
Bewertung: 80
60
Beispiel-Organisation 1
Tansania
Beispiel-Organisation 2
Peru
1.000
Qualitätskontrolle
Demokratie
in der Organisation
Beispiel-Organisation 1
Peru
1.200
Düngung
Infrastruktur
der Organisation
Beispiel-Organisation 2
Indonesien
1.634
1.600
Stabilität
der Organisation
0
deutlich verbessert
keine Veränderung etwas verbessert
leicht verschlechtert
Indonsien
stark verschlechtert
Demokratie mit Hindernissen Befragt man die Produzenten aus Fairtrade-Organisationen,
ist ihre Antwort eindeutig: Fairtrade hat nicht nur ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen
verändert, sondern auch die Strukturen innerhalb der Organisationen gestärkt und
verbessert. Die Mehrheit profitiert demnach von einem stabileren Aufbau und mehr
Demokratie. Wie gut und demokratisch die Beteiligung der Kleinbauern an der Organisation
ist, hängt jedoch stark von den Führungsqualitäten des jeweiligen Managements ab. Das
Beispiel Indonesien zeigt, dass auch die nationale Gesetzgebung den Aufbau demokratischer
Prozesse innerhalb einer Kooperative erschweren kann.
Mexiko
Fairtrade-Kaffeeorganisation, Beispiel 1 / Beispiel 2
Peru
Tansania
Nicht-Fairtrade-zertifizerte Produzenten
Mehr Investitionen in bessere Anlagen Neben den Erlösen aus dem Verkauf der Ernte
erhalten die Fairtrade-Produzenten zusätzlich eine Prämie. Mit diesem Geld konnten die
zertifizierten Produzentenorganisationen verstärkt gemeinschaftlich in bessere Verarbeitungsanlagen investieren. Die Untersuchung zeigt, dass der Anteil produktiver Kaffeeverarbeitung damit deutlich höher liegt als bei den nicht-Fairtrade-zertifizierten Produzenten.
Die Unterschiede zwischen den Ländern resultieren aus ungleichen Ausgangsbedingungen
und Entwicklungsstadien.
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Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Raus aus
der Krise –
mit Fairtrade
Gute Geschäfte Mit Bio-Bohnen und fairen Arbeitsbedingungen
behauptet sich eine Kleinbauernorganisation in Honduras am
umkämpften Kaffeemarkt. Ihr Modell trotzt wirtschaftlichen
Krisen und sogar dem hartnäckigen Kaffeepilz
Auf dem Weg zum Erfolg
Gegründet wurde die Initiative von vier
Kleinbauern und fand schnell weitere
Anhänger. Gemeinsam wollten sie einen
Ausweg aus der wirtschaftlichen Misere
finden. COMSA kämpfte in den Anfangsjahren hart um das Überleben, denn als
neue Organisation fehlten ihr Geschäftspartner. Der Zugang zu internationalen
Märkten war alles andere als einfach. Außerdem war die Vorfinanzierung der Ernte für die mittlerweile 64 Mitglieder mit
großen Schwierigkeiten verbunden. Die
300 US-Dollar Startkapital waren schnell
aufgebraucht. Die Mitglieder mussten die
Verluste der ersten fünf Jahre mit großem
persönlichem Verzicht überbrücken.
2006 gelang es dem damaligen und heutigen COMSA-Präsidenten Juan David Chaves Dominguez, erstmals die Kaffeemesse
in Atlanta zu besuchen. Im Gepäck hatte er
sieben Pfund Kaffeeproben. Die gute Qualität des Rohkaffees überzeugte einen ersten
US-amerikanischen Käufer. Damit wendete sich das Blatt und verhalf COMSA zum
Durchbruch. Noch im selben Jahr bekam
die Initiative die Fairtrade-Zertifizierung.
Heute zählt die Organisation rund 830
Mitglieder, die sich mit ganzem Herzen
dem Bio-Anbau unter fairen Bedingungen
verschrieben haben. Viele neue Kaffeebau-
ern wollen Teil dieser Erfolgsgeschichte
werden. Das Markenzeichen von COMSA
– ein „Eichhörnchen“ – ist an immer mehr
Orten zu finden. In der diesjährigen Ernte
konnten täglich zwei Container der Kaffeebohnen verarbeitet werden.
Zu Besuch bei Doña Sonia
Auf dem Weg zur Finca von Sonia Alejandra Medina sieht man die zerstörerische
Kraft des Kaffeepilzes. Doña Sonia gehört
dem indigenen Volk der Lenca an und ist
eine spirituelle Heilerin. Je tiefer wir in
das Gebiet der Lencas kommen, umso
schlechter werden die Straßen, umso
ärmer die Hütten. Es ist nicht zu übersehen, dass Honduras die traditionellen
Provinzen der Mayavölker vernachlässigt
und in ihren Gebieten keine Infrastruktur
aufbaut. Die Schotterpisten geizen nicht
mit Schlaglöchern. Hügel um Hügel fährt
man an grünen Kaffeesträuchern vorbei,
teilweise unter Bananenstauden und
Kiefern angebaut, dann säumen wieder
unberührte Waldstücke den Weg. Plötzlich stoppt Doña Sonia und zeigt auf ein
verwildertes Stück Land. „Vor zwei Jahren
zerstörte der Kaffeepilz meine gesamte
Ernte.“ Von ihrem verstorbenen Mann hat
sie neun Hektar Land geerbt, auf dem sie
acht Kinder großgezogen hat.
Der Zugang zu
internationalen
Märkten war
alles andere
als einfach
Befällt der Pilz die Pflanze, sterben die
Blätter ab und die schwarze Kaffeekirsche
ist unverkäuflich. Der Schaden im Kaffeesektor war vor zwei Jahren so groß, dass
der honduranische Staat finanzielle Unterstützungsprogramme für Kleinbauern
auflegte. Doña Sonia erreichte mit Hilfe
ihrer Tochter, die bei COMSA das technische Beratungsteam leitet, eine staatliche
Anschubfinanzierung. Damit konnten
Mutter und Tochter drei Manzanas neu
bepflanzen.
F O T O S : T R A N S FA I R E .V. / S A N T I A G O E N G E L H A R D T
M
it seinen acht Millionen Einwohnern gehört Honduras
zu den kleinsten Staaten
Südamerikas. Die Gewaltbereitschaft ist hoch, die staatliche Souveränität wird oft missachtet, jeder Vierte muss
mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen. Viele Hondureños verlassen das
Land, suchen verzweifelt ein besseres Leben in den USA. Doch es gibt auch ein anderes Gesicht des oft unterschätzten Landes: Fernab von den Küstengebieten in den
Bergen liegt zwischen 1.200 und 1.600
Metern das traditionelle Kaffeegebiet Marcala. Schon vor über 100 Jahren haben
deutsche Auswanderer hier Kaffee angebaut und ihr Wissen an die Nachkommen
der Lencas weitergegeben. Um die Jahrtausendwende, als die Kaffeepreise nicht einmal die Hälfte der Produktionskosten abdeckten und die vorhandenen Kaffeekooperativen nahezu alle in Konkurs gingen,
entstand hier die Organisation Café Orgánico Marcala Sociedad Anónima – kurz
COMSA.
„Wir haben nach den biologischen Erkenntnissen von COMSA die neue Finca
angepflanzt“, sagt Doña Sonia stolz. Einige Kaffeepflanzen tragen nach weniger
als zwei Jahren jetzt schon die ersten
Fruchtstände. Doña Sonia ist eine beeindruckende Person, die mit ihren 68
Jahren eine ansteckende Fröhlichkeit
und Zuversicht ausstrahlt. Die fairen
Standards für den Kaffeeanbau lobt sie
in höchsten Tönen. „Ich bin sehr zufrieden, dank Fairtrade erhalten wir einen
höheren Preis, die Fairtrade-Prämie erreicht hier die Menschen und gemeinsam
kommen wir voran. Ich freue mich, wenn
wieder ein Kind eines Mitglieds ein Stipendium erhalten hat, denn die Kinder
sind unsere Zukunft.“
Der Aufbau von Doña Sonias Farm
beruht auf den Erkenntnissen der Finca
Fortaleza. Auf der Versuchsfarm, die allen
830 Mitgliedern gemeinsam gehört, wird
nach der anthroposophischen Lehre von
Rudolf Steiner eines ganzheitlichen biodynamischen Anbaus gelebt und gelehrt.
links: Kaffeebohnen
in der manuellen
Qualitätskontrolle
oben: Mit Hilfe der
Fairtrade-Prämie werden
Schulen in der Gemeinschaft unterstützt
rechts: Sonia Alejandra
Medina, Kaffeebäuerin
unten: COMSA-Geschäftsführer Luis Rodolfo
Peñalba Sarmiento
Eigener Dünger, mineralische Schädlingsbekämpfung, Diversifizierung wird auf
dieser Musterfarm entwickelt und an die
Mitglieder weitergegeben.
Es werden eigene Kaffeesetzlinge gezogen, junge Kaffeesträucher wachsen unter
Schattenbäumen. Für die eigene Düngerherstellung nutzt COMSA Ernteabfälle
und organisches Material, angereichert
mit Mineralien aus gemahlenen Steinen
oder Muscheln. Es entstehen Tonnen und
fässerweise flüssiges oder festes „Gold“.
Mit Hilfe des Mondes und des Kosmos
entwickeln diese Mittel eine ungeheure
Kraft. Mit diesem Wundermittel hat COMSA auch den Kaffeepilz „La Roya“ in den
Griff bekommen. Alle acht Tage werden
die Kaffeesträucher mit einer Flüssigkeit
aus Mineralien und biologischen Zutaten
bespritzt, damit die Pflanze stark genug
ist, um den Pilz abzuwehren.
Auf dem lokalen Markt sorgt der Verkauf
von Mandarinen, Pfirsichen sowie Gemüse und weiterem Obst aus der Musterfarm
für ein zweites Einkommen. Trotz aller Er-
folge ist das Kaffeegeschäft hoch kompliziert. Der schwankende Weltmarktpreis,
Qualitätsunterschiede, verursacht durch
den Klimawandel und die Vorfinanzierung, trieben COMSA während der letzten Ernte fast in den Konkurs. Doch dank
langfristiger Handelspartnerschaften und
neuer Kaufverträge konnte COMSA weitere
Kredite aufnehmen, um ihr Tagesgeschäft
zu finanzieren. Mit der Fairtrade-Prämie
werden nicht nur Weiterbildungen für ihre
Mitglieder ermöglicht, sondern auch zehn
Dorfschulen unterstützt. Je nachdem was
gebraucht wird, stellt COMSA Geld oder
Arbeitskräfte zur Verfügung, hilft beim
COMSA will
den Bio-Anbau
vorantreiben und
mehr Schulungen
anbieten
Aufbau eines Schulgartens oder organisiert Unterrichtsstunden zu gesunder
Ernährung. Die Kinder der Dorfschulen
wissen jetzt schon, wie sie nachhaltig
biologischen Mais, Radieschen, Salat oder
Zwiebeln anbauen können.
Dieses Jahr wird die Generalversammlung über ein Prämienvolumen von 1,5
Millionen US-Dollar entscheiden. Die
13-köpfige Directiva und der Geschäftsführer Luis Rodolfo Peñalba Sarmiento
arbeiten derzeit intensiv an einem Investitionsplan. Und Pläne hat COMSA viele.
Sie wollen den Bio-Anbau vorantreiben,
mehr Schulungen anbieten oder die kindliche Früherziehung erweitern. Geplant
ist auch, die eigene „Raiffeisenkasse“
auszubauen und mehr für die Gleichstellung der Frauen zu tun. Wichtig ist
der Organisation, ihr Wissen an andere
Initiativen weiterzugeben. „Wir leben
wie die Eichhörnchen im Einklang mit
der Natur, sind fleißig und schnell und
bauen für schlechtere Zeiten vor“, sagt
Geschäftsführer Don Rodolfo.
9
10 Fairtrade
der Freitag | Herbst 2015
Fairtrade 11
der Freitag | Herbst 2015
„Keine Fairtrade-Textilien aus Ländern mit
autoritären Regierungen“
Der lange Weg zum
fairen Kleidungsstück
Textilkette Vom Baumwollfeld bis zum Bügel sind viele Produktionsschritte notwendig. Faire Preise für die Baumwolle,
existenzsichernde Löhne und gute Arbeitsbedingungen sollte es an jeder Stelle geben
A
ls vor über zwei Jahren die Textilfabrik in Rana Plaza in Bangladesch einstürzte und Hunderte Menschen starben, war
das Entsetzen groß. Doch trotz weltweiter Betroffenheit hat sich für die Näherinnen und Näher in der Textilbranche,
aber auch für die Kleinbauern auf den
Baumwollfeldern die Lage kaum verändert. Nur ein Bruchteil der Beschäftigten
ist Teil eines fairen Handelssystems, das
ihre Arbeits- und Lebensbedingungen
verbessert.
Bereits 2005 hat Fairtrade einen Standard für den Anbau von Baumwolle entwickelt. Er bildet die Spielregeln für den
fairen Handel mit diesem Rohstoff. Das
Regelwerk konzentriert sich auf die Menschen ganz am Anfang der Produktionskette: die Bäuerinnen und Bauern, die
die Baumwolle anbauen und ernten. Sie
verdienen meist nicht einmal genug, um
ihre eigenen Produktionskosten zu decken.
In den vergangenen Jahrzehnten sind die
Preise für Baumwolle um insgesamt 45 Prozent gesunken. Die Konkurrenz am Markt
ist groß. Kleinbauern in den Entwicklungsländern müssen mit Großfarmen in den
USA konkurrieren. Schon leicht höhere
Preise für die Baumwolle können die Lebensbedingungen der Kleinbauern in den
Entwicklungsländern deutlich verbessern.
Der Fairtrade-Standard schreibt stabile Mindestpreise vor, die die Bauern in
Zeiten niedriger Marktpreise absichern.
Er richtet sich nach den verschiedenen
Baumwoll-Qualitäten und Anbauregionen. Wenn der lokale Marktpreis über
dem Fairtrade-Mindestpreis liegt, muss
der höhere Preis bezahlt werden. Zudem
wird ein höherer Fairtrade-Mindestpreis
für Bio-Baumwolle bezahlt als für konventionell angebaute Baumwolle. Zusätzlich zum Fairtrade-Mindestpreis
muss der Käufer eine Prämie von fünf
Eurocent pro Kilo Fairtrade-Baumwolle
bezahlen. Die Prämien investieren die
Produzenten in ihre Gemeinschaft. Finanziert werden etwa Bildungsprojekte,
medizinische Versorgung oder auch die
Umstellung auf biologischen Anbau oder
andere Maßnahmen, um die Produktivität zu steigern. Wenn nötig, erhalten
Bereits 2005
hat Fairtrade
einen Standard
für den Anbau
von Baumwolle
entwickelt
die Produzenten eine Vorfinanzierung
der Ernte von 60 Prozent des Vertragspreises. Der Standard macht zudem Vorgaben für die weitere Verarbeitung des
Rohstoffs.
Um den Absatz der Fairtrade-Baumwolle zu steigern und den Bauern die
Möglichkeit zu bieten, größere Anteile
ihrer Ernte unter Fairtrade-Bedingungen
zu verkaufen, wurde ein Baumwoll-Programm entwickelt. Mit dem Angebot
wird es auch für Firmen leichter, mehr
Fairtrade-Baumwolle einzukaufen. Teilnehmende Unternehmen verpflichten
sich, mindestens fünf Prozent ihrer
insgesamt benötigten Baumwolle in
Fairtrade-Qualität einzukaufen und
diese Menge schrittweise zu steigern.
Sie können die Fairtrade-Baumwolle
mit anderer Baumwolle oder anderen
Fasern mischen. Auf diese Weise können
sie die von ihnen bezogene Baumwollmenge deutlich erhöhen. Die Partner
im Programm verpflichten sich dabei,
die Fairtrade-Standards einzuhalten
und detaillierte Informationen über die
Baumwoll-Lieferkette zur Verfügung
zu stellen. Jedes Jahr finden Gespräche
über den Stand der Wachstumsziele mit
der Fairtrade-Organisation vor Ort – in
Deutschland TransFair e. V. – statt. Erst
wenn genau geprüft wurde, ob alle Vor-
gaben eingehalten sind, darf auch die
Partnerschaft mit Fairtrade öffentlich
gemacht werden. Von dem Programm
profitieren auf diese Weise sowohl die
Unternehmen als auch die Kleinbauern. Und das langfristig und nachhaltig.
Heute arbeitet Fairtrade mit rund 66.000
Baumwollproduzenten zusammen, vor
allem in Westafrika oder Indien. Die Absätze nachhaltiger Baumwolle sollen in
den kommenden Jahren deutlich steigen.
Das ist ein kleiner Hoffnungsschimmer,
dass Millionen Kleinbauern weltweit
künftig Teil des Fairtrade-Systems werden können.
Ein fertiges Kleidungsstück ist die
Summe vieler einzelner Schritte. Baumwolle wird gesponnen, verwebt und gefärbt. Die Stoffe werden zugeschnitten
und schließlich zu T-Shirts, Hosen oder
Hemden vernäht. Damit die gesamte Produktions- und Lieferkette vom
Baumwollfeld bis zum Kleidungsstück
im Verkaufsregal abgedeckt wird und alle
Beschäftigen der Produktionskette vom
gerechteren Handel profitieren, arbeitet
Fairtrade International zurzeit an einem
neuen Textilstandard, der etwa den Tausenden Näherinnen und Nähern in der
Branche zu existenzsichernden Löhnen
verhelfen soll (siehe Interview nächste
Seite).
Der Standard wird nicht in
Ländern eingesetzt, in denen
die Versammlungsfreiheit nicht
garantiert ist. In diesem Fall hat
Fairtrade keine Chance gegen
eine autoritäre Regierung. Hier
werden wir aber alternative Programme anbieten – allerdings
ohne Fairtrade-Siegel.
Beinhaltet der neue Standard,
dass die Beschäftigten der
Nähfabriken existenzsichernde Löhne erhalten?
So soll es sein. Unternehmen,
die das Siegel verwenden,
müssen zusichern, Schritt für
Schritt in einem Zeitfenster von
sechs Jahren existenzsichernde
Löhne zu zahlen. Das gilt auch
für die Arbeitnehmer, die in der
Fabrik keine Fairtrade-Produkte
fertigen. Dieser hohe Maßstab
unterscheidet uns von allen
anderen Standards. Er ist uns
wichtig, weil die Beschäftigten
so bezahlt werden sollen, dass
sie die Grundbedürfnisse ihrer
Familien wie Ernährung, Kleidung, Wohnen und Mobilität
decken können sowie außerdem Mittel für Bildung, Sozialversicherung und Altersvorsorge zur Verfügung haben.
Warum sollen die Firmen den
höheren Lohn erst nach sechs
Jahren zahlen?
Es muss schon im ersten Jahr
eine erhebliche Verbesserung
geben. Da aber die Arbeitskosten steigen, hängt es auch von
der Nachfrage ab, ob und wie
schnell die Firmen die besseren
Gehälter zahlen können. Sie
wollen ja weiterhin im Wettbewerb bestehen können. Wir
überlegen, wie wir diesen Pro-
Claudia Brück
Claudia Brück ist geschäftsführender Vorstand von
Fairtrade Deutschland. Sie
ist dort zuständig für
Kommunikation, Politik &
Kampagnen
zess der Annäherung an das Ziel
gegenüber den Verbrauchern
kommunizieren. Eventuell wird
es zusätzliche Informationen
an den Produkten geben, wenn
die Unternehmen den Standard
noch nicht komplett erfüllen.
Müssen die Löhne auch in der
Baumwollproduktion sowie
den Färbereien und Spinnereien steigen?
Alle Firmen in der Produktionskette eines T-Shirts, das
das Fairtrade-Siegel trägt, sollen existenzsichernde Löhne
zahlen. Für die Baumwolle gilt
das jedoch nicht, denn dort
arbeiten wir mit Kooperativen
selbstständiger Landwirte zusammen. Diese profitieren vom
höheren Fairtrade-Garantiepreis. So erhalten Kooperativen
eine Prämie von 5 Eurocent
pro Kilo Fairtrade-Baumwolle.
Außerdem sind die meisten
Fairtrade-zertifizierten Baumwollbauern auch Bio-zertifiziert
und bekommen dadurch zusätzlich einen Bio-Zuschlag.
Beschäftigen diese Bauern keine Landarbeiter, die ebenfalls
in den Genuss ausreichender
Bezahlung kommen sollten?
Fairtrade bewegt sich Stück für
Stück auf dieses Ziel zu. Seit
Januar 2014 sind alle Fairtradezertifizierten Plantagen zur
schrittweisen Einführung
existenzsichernder Löhne verpflichtet. Auch für Arbeiter, die
dauerhaft auf kleinbäuerlichen
Kooperativen angestellt sind,
haben wir das Ziel, existenzsichernde Löhne schrittweise
einzuführen. Das wird dort
allerdings viel schwieriger und
langwieriger zu erreichen sein,
wenn die Arbeitgeber selber in
prekären Bedingungen leben.
Wichtig ist, dass beide Gruppen
gleichermaßen profitieren.
Warum hat Fairtrade so lange
gebraucht, bis sich die Organisation zu existenzsichernden
Löhnen bekannte?
Unter anderem, weil es eine
langwierige, komplizierte Diskussion gibt, was ein existenzsichernder Lohn ist und wie man
ihn berechnet. International
existiert weder eine verbindliche Methode zur Ermittlung
noch irgendeine zuständige
oder allgemein akzeptierte Institution. Also muss Fairtrade
F O T O : M A X H AV E L A A R - F O U N D AT I O N ( S W I T Z E R L A N D ) / S U Z A N N E L E E
Der Fairtrade-Textilstandard soll dazu führen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Produktionsbetrieben ebenso wie die Bauernfamilien von Fairtrade profitieren
Hannes Koch: Frau Brück, in
Kürze gibt es einen neuen
Sozial-und-Öko-Standard für
Fairtrade-Textilien. Warum
war der nötig?
Claudia Brück: Früher hatten
wir nur einen Standard für den
Baumwollanbau. Und immer
stand die Frage im Raum: Was
ist mit den anderen Stufen der
Textilherstellung, den Spinnereien, Färbereien, den Nähfabriken? Sollten dort nicht auch bessere Bedingungen herrschen?
Der neue Fairtrade Textilstandard deckt deshalb die gesamte
Produktionskette ab.
Wann können Verbraucher die
ersten Textilien kaufen, die
den verbesserten Regeln entsprechen?
Hoffentlich wird es nächstes
Jahr so weit sein. Wir arbeiten
jetzt daran, Firmen zu finden,
die die strengeren Kriterien
umsetzen wollen.
Nehmen wir als Beispiel eine
deutsche Firma, die T-Shirts
oder Jeans mit dem FairtradeLabel anbietet. Diese lässt die
Textilien in der Türkei oder
Bangladesch nähen. Was muss
das Unternehmen demnächst
anders machen als bisher?
Das Handelsunternehmen
selbst und alle seine Lieferanten
müssen sicherstellen, dass die
Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation
(ILO) entlang der gesamten
Handelskette eingehalten werden. Sie müssen beispielsweise
nachweisen, dass Sicherheit
und Gesundheit der Beschäftigten gewährleistet sind. In den
Färbereien kann das bedeuten,
dass die Arbeiterinnen und
Arbeiter Arbeitsschutzkleidung
zur Verfügung gestellt bekommen und tragen, wenn sie mit
Färbemitteln zu tun haben. In
der Produktion müssen die
Arbeitsplätze so gestaltet sein,
dass Fluchtwege nicht verstellt
sind. Und die Beschäftigten
müssen das Recht und die Möglichkeit haben, über Arbeitsbedingungen und Löhne mit den
Unternehmen zu verhandeln.
Das schließt die Versammlungsfreiheit ein.
Gibt es Länder, in denen Firmen nicht das Fairtrade-Siegel
für ihre Textilien bekommen
können?
F O T O : T R A N S FA I R E .V.
F O T O : T R A N S FA I R E .V. / A NA N D PA R M A R
Nachgefragt Die Forderung nach existenzsichernden Löhnen in den
internationalen Produktionsketten zieht allmählich Kreise. Claudia Brück
von Fairtrade Deutschland erläutert den neuen Standard, der diese Art
der Bezahlung bei Unternehmen des fairen Handels voranbringen soll.
Bereits 2016 sollen diese Waren im Laden zu haben sein
hier Pionierarbeit leisten und
gleichzeitig den Konsens und
die Akzeptanz anderer Akteure
suchen. Das ist eine erhebliche
Herausforderung und Investition. Wir wenden die derzeit beste Methode an. Wir entwickeln
Benchmarks für den Textilstandard für jede Region eines
Landes, um das richtige Lohnniveau zu ermitteln. Und natürlich ist es für viele unserer Partnerfirmen eine hohe Hürde, die
Bezahlung zu verdoppeln oder
zu verdreifachen. Wir müssen
viel Überzeugungsarbeit leisten. Fairtrade war übrigens die
erste Organisation überhaupt,
die existenzsichernde Löhne in
ihre Standardbestimmungen
aufgenommen hat. Auch da
sind wir Pionier.
Steigen mit dem neuen Standard auch die Anforderungen
an ökologische Nachhaltigkeit?
Ja. In diesem Herbst überarbeiten wir beispielsweise die Liste
der verbotenen Pestizide, die
nicht mehr in der Baumwollproduktion eingesetzt werden
dürfen.
Fairtrade bedeutet aber nicht
immer „biologisch hergestellt“?
Nein, wir bieten aber einen
hohen ökologischen Standard
bei konventioneller Produktion.
Bestimmte, als unproblematische geltende synthetische
Pflanzenschutzmittel sind im
Fairtrade-System jedoch erlaubt
– anders als in der biologischen
Produktion.
Führt der höhere Standard
dazu, dass Fairtrade-Textilien
in den Geschäften teurer werden?
Das wird in vielen Fällen die
Folge sein. Denn stark erhöhte
Löhne und kürzere Arbeitszeiten führen zu höheren Produktionskosten. Diese müssen die
Unternehmen zum Teil an die
Verbraucher und Verbraucherinnen weitergeben.
Dass die Firmen in der Lieferkette den Standard einhalten,
wollen sie von der Organisation Flocert kontrollieren
lassen. Besuchen die Prüfer die
Produktionsstätten unangemeldet?
Sie kommen sowohl angemeldet als auch ohne Vorwarnung.
Wenn es um eine Prüfung der
Bücher und Lohnabrechnungen
geht, muss man den Besuch ankündigen. Sonst verbringt man
zu viel Zeit mit dem Suchen der
Unterlagen. Wollen die Kontrolleure hingegen die Arbeitssicherheit und die Fluchtwege
untersuchen, ist es ratsam,
ohne Ansage zu erscheinen.
Was passiert, wenn Sie Verstöße feststellen?
In der Regel bekommt die jeweilige Firma eine gewisse Zeit,
um die Missstände zu beheben.
Kann sie das nicht nachweisen,
verliert sie das Fairtrade-Siegel
und damit die entsprechenden
Aufträge.
Das Gespräch führte Hannes Koch
12
Entwicklung braucht Zeit –
Der Verbraucher entscheidet mit
Ausblick Auch wenn Fairtrade eine insgesamt positive Entwicklung verbuchen kann und immer mehr Kleinbauern und
Beschäftigte sich dem System anschließen, ist der Faire Handel noch immer fragil. Ernterückgänge durch den Klimawandel bedrohen die Produzenten ebenso wie global verankerte
wirtschaftliche Benachteiligungen. Fairtrade versucht aus
seiner Nische in der globalen Wirtschaft heraus mehr Kleinbauern und Arbeiter zu erreichen. Gemeinsam mit Produzenten, Industrie und der Zivilgesellschaft arbeitet Fairtrade
Faire Sache statt krummes Ding –
Nachhaltige Lieferkette für Bananen
K
aum eine Obstsorte ist in
deutschen Supermärkten
so preiswert zu haben wie
die Banane. Selbst die Bio-Variante gehört im Sortiment zu
den Preisknüllern. Worüber
sich der deutsche Verbraucher freut, wird in vielen
Fällen auf dem Rücken
der Menschen am Anfang der Lieferkette
ausgetragen. Trotz
har ter Arb eit
müssen sich
viele verschulden,
um den
Leb ens u n te r halt
an fairen Bedingungen in neuen Branchen. Diese drei
Beispiele stehen für Produkte, bei denen Fairtrade
auf dem Vormarsch ist und somit die Lebensbedingungen der Produzenten auf Farmen, Plantagen und in Minen verbessert. Die Nachfrage
nach fair gehandelten und hergestellten Produkte war nie so hoch wie heute. Verbraucher suchen Alternativen zum konventionellen Produktangebot.
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ab. In der Schweiz kann faires Gold etwa über CHRIST
Uhren & Schmuck gekauft werden. Auch in
Deutschland können
Goldschmiede, Juweliere und Schmuckmarken das Fairtrade-Edelmetall
beziehen.
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W
2011 bekam die Gemeinschaft der
Bergleute in Santa Filomena ihre Fairtrade-Zertifizierung. Die Beschäftigten
sollen Schutzkleidung tragen, müssen
Gesundheits- und Sicherheitstrainings
absolvieren. Ausbeuterische Kinderarbeit ist in allen Fairtrade-zertifizierten
Minen verboten. Auch der Einsatz von
Chemikalien beim Goldschürfen wurde
reduziert und über deren Gefahren informiert.
Mit der Zertifizierung verbesserten
sich nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Bergleute, sondern auch
die Lebensumstände für das gesamte
Dorf. Über die Prämie finanziert die
Belegschaft beispielsweise ein Gesundheitszentrum und bezahlt Zahnarztbesuche. Die Dorfschule konnte renoviert
und weitere Stromleitungen verlegt werden. Auch die Transportwege und Zugänge zu den Minen wurden verbessert und
sicherer gemacht. „Mit Fairtrade werden
wir unser Gold zu einem gerechten
Preis verkaufen können und somit
mehr verdienen. Auch der Umwelt
und unserer Gemeinschaft hilft
das“, sagt Gina Davila von der
Frauen-Vereinigung Sotrami
in Santa Filomena.
Noch gibt es nur wenige
Minen mit Fairtrade-Zertifizierung. Ähnliche
Projekte wie in Peru
wurden in Kolumbien oder Ostafrika
gestartet. Mehr
Angebot hängt
auch von einer größeren
Nachfrage
ihrer Familien zu sichern. Hinzu kommt:
Um den Ertrag auf den Plantagen zu halten oder gar zu steigern, setzen viele
Farmbesitzer auf Chemikalien und Monokulturen. Diese Anbauweisen schaden
Mensch und Umwelt.
Die meisten Bananen werden in Ecuador, Kolumbien oder Costa Rica angebaut. Damit sich die Arbeitsbedingungen
für alle Menschen, die an der Produktion,
der Verarbeitung und am Transport beteiligt sind, verbessern, gründete TransFair im September 2013 das Bananenforum. Gemeinsam arbeiten Importeure,
Vertreter aus Politik, Wirtschaft und
Zivilgesellschaft an Ideen, wie die Bananen-Lieferkette nachhaltiger werden
kann. Alle Akteure setzen auf soziale und
umweltfreundliche Bedingungen in Südamerika. Die Kleinbauern sollen stärker
gefördert werden. Das Forum hat aber
auch die Verbraucher in Deutschland
im Blick. Viele wissen gar nicht, unter
welchen Konditionen die Banane an die
Obsttheke im Supermarkt gelangt. Das
soll sich ändern mit Informationskampagnen und Bildungsangeboten für die
Verbraucher.
Die Teilnehmer des Forums arbeiten
derzeit an einer Charta der Verantwortung. Ziel ist kein weiteres Papier, das
den guten Willen der Unternehmen bekunden soll. Vielmehr sollen sich alle
Teilnehmer auf konkrete Maßnahmen
einigen, die die deutsche Lebensmittelbranche bald umsetzen kann. Im Forum
sitzen auch die Großen der Branche an
einem Tisch. Handelsunternehmen zählen genauso dazu wie Supermarktketten. Hinzu kommen Umwelt- und Ent-
wicklungsorganisationen. Vertreter der
Organisationen, aus der Wirtschaft und
der Wissenschaft sollen in den Beirat des
Bananenforums berufen werden. Seine
Aufgabe ist es, eine Verbindung zu den
Produzenten vor Ort herzustellen und
den Entwicklungsprozess zu überwachen.
Nach Unterzeichnung der Charta der
Verantwortung startet die Umsetzung
der Maßnahmen. Nach 18 Monaten sollen erste Ergebnisse erzielt werden. Die
Teilnehmer des Forums berichten regelmäßig, welchen Erfolg die einzelnen
Akteure vorweisen können. Ohne Kontrollen wird es nur schleppend Verbesserungen für die Beschäftigten auf den
Plantagen geben. Gefragt ist langfristig
vor allem die Politik. Das Bananenforum
setzt dabei auf die Hilfe des Entwicklungsministeriums.
Ein fairer Weihnachtsstern
für Deutschland
Goldschürfen für Gesundheit
und Bildung
inzig wirken die glänzenden
Goldkügelchen in seiner
schwieligen Hand. Der Staub
des Stollens klebt noch an Overall und
Schuhen des Minenarbeiters. Die Suche
nach dem begehrten Gold braucht Geduld,
Ausdauer, Kraft und Geschick. Der Bergmann ist einer von rund 470 Männern
und Frauen, die ihren Lebensunterhalt in
der Mine Santa Filomena im Süden Perus
verdienen.
Die Arbeit unter Tage ist hart und gefährlich. Schätzungen zufolge leben rund
100 Millionen Menschen weltweit vom
Goldschürfen. Die meisten arbeiten in
kleinen Minen. Sie graben nach dem begehrten Edelmetall ohne Großmaschinen,
sondern mit einfachen Werkzeugen und
in viel Handarbeit. Staub, Schmutz und
der Einsatz von Chemikalien machen die
Bergleute krank und belasten die Umwelt.
Doch das große Geschäft mit dem Gold
machen internationale Konzerne.
Fairtrade ermöglicht Kleinbergbaubetrieben den Weg aus der Illegalität: Sie
schließen sich zu formalisierten Minenorganisationen zusammen und stärken
so ihre Position. Außerdem schreiben die
Standards einen Mindestpreis für fair gehandeltes Gold vor. Dieser liegt bei rund
95 Prozent des Preises, der von der London
Bullion Market Association, einem der
wichtigsten globalen Handelsplätze für
Gold und Silber, festgelegt wurde. Ende
2014 waren dies rund 1.200 US-Dollar je
Feinunze Gold. In der Regel verdienen
die Gemeinschaften der Minenarbeiter
im konventionellen Goldhandel deutlich weniger. Zusätzlich zum Mindestpreis bekommt die Belegschaft eine Fairtrade-Prämie in Höhe von 2.000 US-Dollar.
13
der Freitag | Herbst 2015
der Freitag | Herbst 2015
und 5.000 Kilometer trennen den jungen Weihnachtsstern von seinem künftigen Verkaufsregal
in Deutschland. In Rift Valley, rund zwei Stunden
von Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens entfernt,
züchten Hunderte Arbeiter und Arbeiterinnen die Jungpflanzen heran. Bis zu 500.000 Mutterpflanzen sind
in einem Gewächshaus untergebracht. „Cutter“ trennen die Stecklinge mit scharfen Messern von den
Pflanzen ab. Zwei Stück, pro Pflanze, pro Woche.
Sind die jungen Pflanzen rund vier Zentimeter
groß, werden sie für den Transport ins Ausland fertig gemacht. Das gute Klima in der
Region ist ideal für den Anbau von Weihnachtssternen oder Geranien. Die Stecklinge werden aus dem ostafrikanischen
Land in alle Welt verschickt.
Etliche Blumenläden in Europa
haben bereits zertifizierte Fairtrade-Schnittblumen im Angebot. Doch für Palmen, Weihnachtssterne oder andere
Pflanzenstecklinge fehlte
bisher ein Standard, der
den Arbeitern und Arbeiterinnen auf den
Farmen zu besseren
Arbeitsbedingungen verhilft.
Denn bisher
durften nur
fertig kultivierte
Fairtrade-
Pflanzen aus dem globalen Süden importiert werden.
Diese Lücke wurde nun geschlossen. Fairtrade hat den
Standard für Blumen und Pflanzen um die Kategorie
Jungpflanzen erweitert, was bedeutet, dass Pflanzen, die
zu einem früheren Entwicklungsstand importiert werden
– wie Stecklinge – von nun an eine Fairtrade-Zertifizierung
erhalten können.
Wie die Jungpflanzen des Weihnachtssterns kommen
die meisten Stecklinge aus dem Osten Afrikas. Neben Äthiopien gehört Kenia zu den Hauptanbietern in Europa. In
den heimischen Gewächshäusern werden die Stecklinge
bis zu 70 Wochen vorgezüchtet, erst dann werden sie für
den Export vorbereitet. In Europa kommen sie dann zu
Jungpflanzenunternehmen oder Gartenbaubetrieben.
Dort wachsen sie weitere 20 Wochen heran, bis sie für den
Verkauf geeignet sind. Von der Aussaat in den Ursprungsländern bis zur Auslieferung an den Handel vergehen in
der Regel knapp zwei Jahre. Dümmen Orange gehört zu
den Jungpflanzenzüchtern, die auf Fairtrade setzen. Bereits
in der nächsten Vorweihnachtszeit sollen Fairtrade-zertifizierte Weihnachtssterne in den Verkaufsregalen stehen.
Der neue Standard wirkt sich direkt auf die Lebensbedingungen der Arbeiter in den Anbauländern aus. Sie
haben nicht nur Anspruch auf einen Mindestlohn, geregelte Arbeitszeiten und mehr Sicherheit am Arbeitsplatz,
sondern die Beschäftigten bekommen eine zusätzliche
Fairtrade-Prämie. Damit können sie Stipendien für die
Schule, Computerkurse oder Fortbildungen finanzieren.
Was genau mit dem Geld passiert, entscheiden die Arbeiter
selbst. Ob die Fairtrade-Zertifizierung für die Jungpflanzen
auch bei den Kunden ankommt, wird sich noch zeigen. Bei
fair produzierten Schnittblumen wurden bereits gute Umsätze erzielt. Allein 2014 wurden 340 Millionen Rosenstiele
in Deutschland verkauft. Das sind rund fünf Prozent mehr
als noch im Vorjahr. Was nach wenig klingt, hat enorme
Auswirkungen auf die Beschäftigten in der Rosenproduktion. Etwa 1,9 Millionen Euro standen ihnen an Prämien
zur Verfügung. Vor allem der Lebensmitteleinzelhandel
hat sein Angebot an fairen Schnittblumen ausgebaut.
Noch sind es vor allem Rosen, die aus dem Fairen Handel
kommen.
14 Fairtrade
Fairtrade 15
der Freitag | Herbst 2015
der Freitag | Herbst 2015
Kleiner Einsatz, große Wirkung
„Solidarität hört nicht an
nationalen Grenzen auf“
F O T O S : L I . T R A N S FA I R E .V. / S E L I NA P F R Ü N E R ; R E . M I R I A M E R S C H
Mitmachen Städte, Unis und Schulen setzen ein Zeichen für mehr fairen Handel
Porträt Joschka Knuth ist Kommunalpolitiker und half mehreren Städten und Gemeinden in Schleswig-Holstein,
zur Fairtrade-Town zu werden. Für ihn hat Europa die Pflicht, die Kluft zwischen Armen und Reichen zu schließen
A
ls Joschka 17 Jahre alt war, hatte er
im Rahmen seiner schulischen
Ausbildung eine einjährige Projektarbeit anzufertigen. Am Ende dieser
Projektarbeit präsentierte er seine Ergebnisse vor 400 Menschen und kündigte an,
dass er versuchen würde, seine Heimatstadt Eckernförde zur Fairtrade-Town zu
machen. „Nachdem ich es vor 400 Menschen angekündigt hatte, musste ich zumindest versuchen, dieses Projekt zu realisieren.“ Tatsächlich organisierte er einen Vortrag und lud einige interessierte
Personen ein. Am Ende folgten dieser
Einladung über 70 interessierte Personen,
die seinen Ausführungen zum Fairen
Handel folgten. Seitdem versucht er, das
Bewusstsein aller Menschen für fairen
Handel und eine globale Solidarität mit
verschiedenen Aktivitäten und Projekten
zu wecken.
Für Joschka Knuth erzählt jedes Produkt eine Geschichte. In irgendeiner
Form ist jedes Produkt, das wir kaufen aus
mindestens einem Rohstoff hergestellt.
Diese Rohstoffe haben eine ökologische
Geschichte. Und es waren Menschen beteiligt, die dabei geholfen haben, diese
Geschichte entstehen zu lassen. Diese
Menschen haben ein Zuhause, Familien,
Ziele und Träume. Genau so, wie jene
Menschen, die dabei geholfen haben,
aus den Rohstoffen Produkte werden zu
lassen. Ein Produkt, das wir im Geschäft,
auf Märkten oder im Internet kaufen
können. Diese Geschichten können und
dürfen wir nicht ignorieren: „Es geht hier
um eine Einstellung zum Leben, um Bewusstsein und Solidarität.“
Knuth ist davon überzeugt, dass eine
starke Entwicklungszusammenarbeit für
das Meistern einiger der größten Herausforderungen unserer Zeit von grundlegender Bedeutung ist.
„Eine intelligente Entwicklungszusammenarbeit kann dabei helfen, demokratische Strukturen in den Ländern des Globalen Südens zu stärken, sie kann dabei
helfen, lokale und regionale Märkte aufzubauen und zu gestalten, ebenso wie sie
bei der Entwicklung lokaler Infrastruktur
helfen kann.“
Fairtrade ist Fairer Handel und Zivilgesellschaft. Aufklärung, Diskussion und Aktion bestimmen die Kampagnen von TransFair
Kampagnen teil, informieren Verbraucher
wie Unternehmen. Doch der Einsatz für
den Fairen Handel ist längst keine Sache
mehr, die in der Nische passiert.
Immer mehr Städte wollen ein Zeichen für Fairtrade setzen. 2009 wurde
Saarbrücken zur ersten Fairtrade-Town
Deutschlands ernannt. Über 340 Städte
bundesweit haben sich seither angeschlossen. Um den Titel können sich
nicht nur Städte, sondern auch Gemeinden, Bezirke, Regionen oder auch Inseln
bewerben. Sie alle müssen nachweisen,
dass der Faire Handel in dem Gebiet keine bloße Worthülse ist, sondern gezielt
gefördert und umgesetzt wird. Die Auszeichnung wird für zwei Jahre vergeben.
Dann wird geprüft, ob alle Kriterien auch
weiterhin erfüllt werden.
Der Faire Handel lässt sich mit vielen
kommunalen Anlässen verbinden: Auf
dem Stadtfest, dem Weihnachtsmarkt
oder auf offiziellen Empfängen werden
fair gehandelter Kaffee, Süßigkeiten, Obst
aufgetischt. Beim nächsten Turnier wird
nur mit Fußbällen gegeneinander angetreten, die fair produziert wurden. Selbst
der Karnevalsverein macht mit: mit „fairen Kamelle“. Woher kommt die Banane?
Wie leben die Kakaobauern in Südamerika? Was für Erwachsene simpel klingt,
eröffnet Kindern ganz neue Welten. Die
Schule ist der beste Ort, um Fairtrade auch
schon den Jüngsten nahezubringen. Der
Weg der Kakaobohne vom Feld bis zum
Schokoladen-Regal im Supermarkt ist Thema im Unterricht. Wenn die Schüler dann
den fairen Schoko-Riegel an der Kasse der
Schul-Cafeteria entdecken, schließt sich
der Kreis. Bundesweit ist an zahlreichen
Schulen Fairtrade kein Fremdwort mehr.
Was an der Schule beginnt, setzt sich an
den Universitäten fort. Seit Sommer 2014
können sich die Hochschulen für den Titel „Fairtrade-University“ bewerben. Mit
gutem Beispiel gingen die Universität des
Saarlandes und die Universität Rostock
voran. Hier gibt es nicht nur fairen Kaffee
in der Mensa, sondern auch regelmäßig
Informationsveranstaltungen zum Fairen
Handel. Ganz gleich ob Kommune, Schule oder Uni, Fairtrade funktioniert dann,
wenn fair gehandelte Produkte fester
Bestandteil im Alltag werden. Die eigene
Entscheidung für nachhaltigen Konsum
ist schließlich das beste Beispiel. Selbst der
kleinste Einsatz hat große Wirkung.
Impressum: Herausgeber der Freitag Mediengesellschaft mbH & Co. KG, Hegelplatz 1, 10117 Berlin, Tel.: (030) 250 087-0, [email protected], Geschäftsführung: Jakob Augstein, Dr. Christiane Düts, UStID Nr.: DE261359494, Dr. Christiane
Düts (V.i.S.d.P.) Projektleitung Johann Plank (der Freitag), Redaktion Tanja Tricarico (der Freitag), Claudia Brück, Tobias Thiele (TransFair) Grafik Marco Rüscher Druck BVZ Berliner Zeitungsdruck Redaktionsschluss 3. 9. 15
TransFair hat mit Joschka Knuth
über die Verantwortung und
Chancen europäischer Politik für
den Fairen Handel gesprochen.
F O T O : P R I VAT
D
er Kaffeebauer verdient kaum
Geld, Kinder schuften auf
Baumwollplantagen, die Arbeiter in den Goldminen werden
ohne Schutzkleidung krank. Das Bewusstsein dafür, dass Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien harte Arbeit leisten, um uns den morgendlichen Kaffee zu
ermöglichen oder uns modisch zu kleiden,
wächst beständig. Genauso wie die Nachfrage nach ökologisch und sozial nachhaltig hergestellten Produkten. Dies nicht
zuletzt wegen der Vielzahl von Aktivitäten
und Kampagnen.
Rund 100.000 Menschen setzen sich in
Deutschland für einen Fairen Handel ein.
Kirchengemeinden, die Weltläden oder
auch Entwicklungs- und Hilfsorganisationen nehmen seit Jahren an Fairtrade-
Joschka Knuth (22) hat 2011
die Fairtrade-Kampagne für
Eckernförde organisiert.
Er ist Vorsitzender der
Grünen in Eckernförde
und studiert Geografie
Wie kann der Faire Handel
in der Europäischen Union
verstärkt bekannt gemacht
werden?
Wir erkennen auch bei der
Verbreitung des Fairen Handels
in Europa ein großes Gefälle
vom Nord-Westen zum Süden
und Osten. Ein guter Indikator
dafür ist auch die Verbreitung
der Fairtrade-Towns. Hier
gilt es, lokale und regionale
Best-Practice Beispiele im
intereuropäischen Austausch
bekannt zu machen. Die
Vernetzung zwischen allen
EU-Staaten, die Förderung des
Austauschs zum Fairen Handel
zwischen Partnerstädten oder
eine europaweite Initiative
zur „Hauptstadt des Fairen
Handels“ wären sinnvolle Ansätze, zumindest informell zur
Bekanntmachung des Fairen
Handels beizutragen.
Wie kann der Faire Handel in
der Europäischen Union praktisch gefördert werden?
Während in vielen Ost- und
Südeuropäischen Staaten nur
wenige Fairtrade-Produkte
auf dem Markt verfügbar
sind – was mit Sicherheit in
Teilen auch einer zu geringen
Bekanntheit der Produkte
geschuldet ist – steigt die
Nachfrage in vielen Staaten ungebrochen. Ein Mechanismus
zum Austausch über das Angebot der Fairtrade Produzenten
und die Nachfrage europäischer Unternehmen könnte
dazu beitragen, faire Produkte
in den europäischen Markt zu
bringen und ungedeckte Nachfragen sichtbar zu machen.
Auch der Export Helpdesk des
DG Trade als Schlüsselstelle im
Warenexport für den Europäischen Markt enthält noch keine Informationen zum Fairen
Handel.
Was kann die EU darüber hinaus noch tun?
Es ist bedauerlich, dass der
Faire Handel insgesamt von
der Kommission eher stiefmütterlich behandelt wird.
Eine ernsthafte Berücksichtigung des Fairen Handels in der
Europäischen Union könnte
zum Beispiel gefördert und
verankert werden über die
Social Development Goals der
Vereinten Nationen. Hier ist
die Kommission am Entwicklungsprozess direkt beteiligt.
Sie sollte ihr gewichtiges Wort
nutzen, auch dem Fairen Han-
del eine zentrale Berücksichtigung zukommen zu lassen.
Nicht zuletzt die hohe Zahl
geflüchteter Menschen, die
derzeit Europa und damit auch
Deutschland erreichen, zeigt
doch, wie wichtig es ist, in den
Herkunftsländern endlich stabile und sichere Verhältnisse
zu fördern. Der Faire Handel
kann dazu beitragen, dieses
Ziel zu erreichen, Grund genug, ihn weiter und stärker zu
fördern!
TransFair ist über das Fair Trade
Advocacy Office in Brüssel an
einem europäischen Dialog mit
Repräsentantinnen und Repräsentanten der Europäischen
Kommission und des Europaparlaments beteiligt.
11. – 25. September 2015
Faire Woche
Flashmobs, Kochshows, Ausstellungen und Schulprojekte: Zur
Fairen Woche, der größten
Aktionswoche zum Fairen Handel,
vom 11. bis 25. September sind
bundesweit rund 2.000 Aktionen
geplant. Mitmachen können alle,
Fairtrade Kaffee
Kleine Bohne
Grosse Wirkung
Coffee Fairday am 25. 09.:
Jede Bohne zählt!
die mehr Bewusstsein für den
Fairen Handel schaffen wollen.
Kirchengemeinden und Weltläden
sind genauso dabei wie Supermärkte, Kommunen, Restaurants
oder Cafés. In diesem Jahr stehen
die Aktionstage unter dem Motto
„Fairer Handel schafft Transparenz“. Zu den Veranstaltungen
während der 14. Fairen Woche
werden Gäste aus aller Welt
erwartet. Vertreter aus Indien, den
Philippinen, Ecuador und
Honduras touren zwei Wochen
lang durch Deutschland und
berichten über ihre persönlichen
Erfahrungen mit dem Fairen
Handel.
www.faire-woche.de
Eine kleine Bohne mit großer Wirkung: Zum Coffee Fairday am 25.
September fordert TransFair
gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen im Kaffeeanbau. Jeder, der
fair gehandelten Kaffee trinkt, kann
die Lage der Kleinbauern in
Lateinamerika, Afrika oder Asien
verbessern. Mindestpreise,
Beratung und Trainings stärken die
Position der Kleinbauernkooperativen. Die Fairtrade-Prämie können
sie in Gemeinschaftsprojekte
investieren und Maßnahmen gegen
den Klimawandel umsetzen oder
die Schulbildung im Dorf fördern.
Jeder Kaffee mit Fairtrade-Siegel, ist
daher ein Baustein auf dem Weg zu
mehr Lebensqualität.
www.coffee-fairday.de
Februar/März 2016
Sag̕s mit einer fairen Blume
Egal ob zum Valentinstag oder
Weltfrauentag: Durch den Kauf
von fair gehandelten Blumen
macht man zum einen den
Beschenkten eine Freude
Mai 2016:
World Fairtrade Challenge
03. März 2016
Ein Preis für Fairen Handel
und unterstützt zum anderen auch
Arbeiterinnen und Arbeiter in den
Produzentenländern.
TransFair ruft bundesweit
ab Februar zu
Aktionen auf, um benachteiligte
Arbeiterinnen auf Blumenplantagen im globalen Süden zu
unterstützen und auf die dortigen
Produktionsbedingungenaufmerksam zu machen. Fairtrade setzt
sich für die Rechte der Arbeiterinnen ein. Die zertifizierten
Blumen- und Pflanzenfarmen
verpflichten sich, Maßnahmen zu
Arbeits- und Umweltschutz
umzusetzen sowie Grundrechte
wie die Versammlungsfreiheit.
Die Beschäftigten erhalten
Mindestlöhne und profitieren
von der Fairtrade-Prämie, mit
der sie Gemeinschaftsprojekte
umsetzen.
Für viele Unternehmen in
Industrie, Handel oder Gastronomie in Deutschland ist Fairtrade
längst mehr als ein Geschäftsmodell. Diesen Einsatz belohnt
TransFair seit 2009 mit dem
Fairtrade Award. Prämiert wird ein
langfristiges und glaubwürdiges Engagement für den
Fairen Handel. Bis zum
10. Dezember
können
sich Unternehmen
bewerben.
Auch zivilgesellschaftliche
Organisationen werden für ihr
Engagement, ihre Projekte und
ihre politische Arbeit ausgezeichnet. Erstmals werden auch
Initiativen aus den Anbauländern
prämiert, hierzu zählen Kooperativen und Plantagen sowie
internationale FairtradeUnterstützer. Der fünfte
Fairtrade Award wird am
3. März 2016 in Berlin
vergeben. Moderiert
wird die Gala von der
Entertainerin Anke Engelke.
www.fairtradedeutschland/award
Fairtrade veranstaltet erstmals eine
weltweite Kampagne. Unter dem
Motto „Choose Fairtrade Coffee –
Make good better“ kommen
Kaffeeliebhaber auf der ganzen Welt
zusammen und versuchen
gemeinsam, 100 Millionen Becher
Fairtrade-Kaffee zu trinken, um
mehr Kaffeebauern bessere
Arbeits- und Lebensbedingungen
unter Fairtrade zu ermöglichen.
Gerade jetzt brauchen Kaffeebauern
Unterstützung im Kampf gegen die
Auswirkungen des Klimawandels.
Von Alaska bis Australien: In über 20
Ländern werden die nationalen
Fairtrade-Organisationen
gemeinsam Städte, Schulen,
Weltläden, gastronomische
Betriebe, den Handel und die Politik
aufrufen, an der ersten weltweiten
Fairtrade Challenge teilzunehmen
und Kaffee-Aktionen in ihrem
jeweiligen Land zu veranstalten.
Eine zentrale Webseite sammelt alle
Einträge und gibt die Möglichkeit,
andere zur Fairtrade Challenge
herauszufordern. Mehr ab März
2016 unter fairtradechallenge.org
F O T O S : L I N K S M I R I A M E R S C H , M I T T E S E L I NA P F R Ü N E R , R E C H T S M I R I A M E R S C H
Fairtrade-Kampagnen 2015/2016
Du entscheidest mit jedem Einkauf, ob gute Arbeit gerecht bezahlt wird. Kauf
gezielt Kaffee mit dem Siegel. Fairtrade-Kaffee ist immer zu 100 % fair gehandelt.
Weniger kommt uns nicht in die Tüte.
Informiere Dich, was Deine Entscheidung für Produkte aus dem Fairen Handel
vor Ort bewirkt: www.fairtrade-deutschland.de
FT_AZ_Kaffee_225x350_FREITAG_02.indd 1
02.09.15 11:00

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