FISCHLAND-Symposium

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FISCHLAND-Symposium
Erscheinungsort: Wien; Verlagspostamt: A-8600 Bruck/Mur
Jahrgang 14, Ausgabe 2/12
FISCHLAND-Symposium
Mai 2012 in Dierhagen, Fischland
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ISSN 1682-6817
als Gasteditorin der Nephro-News-Ausgabe 2/2012 möchte ich
Ihnen Beiträge des im Nordosten Deutschlands jährlich stattfindenden Fischland-Symposiums vorstellen.
Das Fischland-Symposium wird als Veranstaltung des Landesverbands für Nephrologie Mecklenburg-Vorpommern
e.V. durchgeführt, in dessen Vorstand Prof. Dr. Steffen
Mitzner, Dr. Roland Winkler, Heike Kröger und ich selbst
sind. Das Fischland-Symposium wird von den KlinikNephrologien Mecklenburg-Vorpommerns in Schwerin
(Prof. Dr. J. Nürnberger), Greifswald (Priv.-Doz. Dr.
S. Stracke) und Rostock (Prof. Dr. S. Mitzner) sowie dem
Praxisverbund für Dialyse und Apherese Rostock, dem
Dialyseverbund Westmecklenburg und dem Nierenzentrum
Neubrandenburg organisiert und von den Firmen Amgen
und Fresenius unterstützt.
Wir haben praxisrelevante Fokusthemen ausgewählt. Das
Shunt-Update zeigte den Teilnehmern den gefäßchirurgischen (Dr. René Kastrau, Neubrandenburg) und den
nephrologischen (Dr. Karsten Schlieps, Berlin) Blick auf
den Hämodialysezugang.
Im Glomerulonephritis-Update wurden von Frau Andrea
Thiele (Dessau) und mir die neue Einteilung der membranoproliferativen Glomerulonephritis sowie diagnostische und
therapeutische Konzepte dargestellt. Therapiealgorithmen
inklusive Immunsuppression bei IgA-Nephritis wurden von
Gastherausgeberin: Priv.-Doz. Dr. Sylvia Stracke, MME
Fischlandsymposium 2012
Archiv: www.nephro-news.eu | www.medicom.cc
Editorial
Prof. Frieder Keller (Ulm) vorgestellt.
Die Oxford-Klassifikation der IgA-Nephritis ist eine besondere, weil hier erstmalig in der Nephropathologie prospektiv eine histopathologische Einteilung
einer Glomerulonephritis mit dem klinischen Verlauf korreliert wird, wie Frau
Prof. Kerstin Amann (Erlangen) betonte.
Sie stellte uns in ihrem Beitrag Neues
und Bewährtes zur Nierenbiopsie vor.
Die Nierenbiopsie ist unerlässlich bei der
Diagnostik der Glomerulonephritiden,
ist aber auch bei anderen renalen Erkrankungen indiziert – wie z. B. einer Amyloidose oder auch bei einem unklaren,
prolongierten, akuten Nierenversagen.
Die Zusammenarbeit zwischen Nephropathologie und klinischer Nephrologie
ist essentiell.
Zur Nierentransplantation erfuhren wir
Neues zur Histokompatibilität und
Rejektion von Dr. Peter Nickel (Berlin).
Herr Nickel stellte die Wertigkeit der
Anti-HLA-Antikörperdiagnostik mittels Festphasetechniken vor und nach
Nierentransplantation dar. Herr Prof.
Steffen Mitzner (Rostock) berichtete
über die Rostocker Erfahrungen mit
der ABO-inkompatiblen Nierentransplantation.
Prof. DDr. Walter Hörl (Wien) stellte
die Anämietherapie mit Eisenpräparaten und Erythropoese-stimulierenden
Agentien im Lichte der KDIGO-Richtlinien und der gelebten Praxis vor.
Die Frage „Welche Medikamente sichern das Überleben?“ beantwortete
Prof. Jens Nürnberger (Schwerin) in seinem Vortrag über Arzneimitteltherapie
bei CKD.
Die Wichtigkeit der interdisziplinären
Zusammenarbeit in der Nephrologie
wurde mehrfach betont. Über das kardiorenale Syndrom aus Sicht des Kardiologen berichtete Prof. Alexander Staudt
(Schwerin). Priv.-Doz. Dr. Oliver Vonend (Düsseldorf ) stellte die renale Denervation bei Bluthochdruck vor.
Prof. Christian Faul (Miami) stellte uns
seine bedeutenden Ergebnisse zu den
direkten Wirkungen des FibroblastGrowth-Factor (FGF)-23 an Kardiomyozyten vor. Über FGF-23 als phosphatregulierendes Hormon wird aktuell
viel diskutiert. Es wird im Knochen produziert und benötigt den Ko-Rezeptor
Klotho, welcher bisher in der Niere, der
Nebenschilddrüse und der Hypophyse
gefunden wurde. Neu ist nun, dass FGF23 direkt – ohne den Ko-Rezeptor Klot-
ho und unabhängig vom Blutdruck –
eine Hypertrophie der Herzmuskelzellen bewirken kann.
Einen Blick über den Tellerrand gewährte
uns Prof. Hellmut Rühle (Neubrandenburg) mit einem Vortrag über Heilkult
und Heilkunst des Mythos Hippokrates.
Die Tagung an der Ostseeküste war anregend und dem interkollegialen, fachlichen Austausch sehr förderlich. Einige Beiträge des Symposiums wurden für
diese Ausgabe der „Nephro-News“ zusammengefasst.
Ich hoffe, Ihnen hiermit sowohl aktuelle
Inhalte als auch Anreize zu einem Besuch
in den Nordosten Deutschlands zu geben und lade Sie herzlich zum nächsten
Fischland-Symposium im Mai 2013 ein.
Priv.-Doz. Dr. Sylvia Stracke, MME
Leiterin des Bereichs Nephrologie,
Dialyse, Hochdruckkrankheiten
und Rheumatologie der
Klinik für Innere Medizin A
Universitätsmedizin Greifswald
und Ärztliche Leiterin des
KfH-Nierenzentrums Greifswald
[email protected]
IMPRESSUM
Herausgeber:
Gesellschaft für Nephrologie, c/o Abteilung für Nephrologie, Klinik für Innere Medizin III,
Währinger Gürtel 18-20, A-1090 Wien
Erscheinungsort: Wien, Verbreitung: Deutschland - Österreich - Schweiz
Für den Inhalt verantwortlich:
Prof. Dr. Th. Benzing, Köln, Prof. Dr. W. Druml, Wien, Prof. Dr. K.-U. Eckardt, Erlangen-Nürnberg, Prof. Dr. W. Fassbinder, Fulda, Prof. Dr. J. Floege,
Aachen, Prof. Dr. F. Frey, Bern, Prof. Dr. H. Geiger, Frankfurt, Prof. Dr. M. Girndt, Halle, Prof. Dr. B. Grabensee, Düsseldorf, Prof. H. Haller, Hannover,
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Regensburg, Prof. Dr. F. Lang, Tübingen, Prof. Dr. J. Mann, München, Prof. Dr. G. Mayer, Innsbruck, Prof. Dr. M. Mihatsch, Basel, Prof. Dr. G. A.
Müller, Göttingen, Prof. Dr. H. Murer, Zürich, Prof. Dr. R. Oberbauer, Linz, Prof. Dr. H. Pavenstädt, Münster, Prof. Dr. J. Pfeilschifter, Frankfurt,
Prof. Dr. E. Ritz, Heidelberg, Prof. Dr. B. Rossier, Lausanne, Prof. Dr. J. Steiger, Basel, Prof. Dr. C. Wanner, Würzburg,
Prof. Dr. G. Wolf, Jena, Prof. W. Zidek, Berlin
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Nr. 2, 2012
Fischland-Symposium
Die Nierenbiopsie:
Was ist bewährt, was wird kommen?
Die Nierenbiopsie, d. h. diagnostische
Entnahme von Nierengeweben zur Gewinnung einer Nierenhistologie ist nach
wie vor der Goldstandard in der Diagnostik renaler Erkrankungen. Sie dient
der Identifikation und Klassifikation
von Nierenerkrankungen und stellt die
Grundlage für die Durchführung standardisierter Therapiekonzepte dar. Nur
sie allein ist in der Lage, eine korrekte
morphologische Klassifikation der zugrunde liegenden Nierenerkrankung zu
liefern. Die Nierenbiopsie ergänzt das
Arsenal an diagnostischen Prozeduren,
das dem Nephrologen für die Erarbeitung der Diagnose und der damit zusammenhängenden Therapieentscheidungen zur Verfügung steht. Sie dient
der exakten Identifikation und Klassifikation renaler Erkrankungen und stellt
die Grundlage für die Durchführung
standardisierter Therapiekonzepte dar.
Jahre 1951 (Iverson P, Am J Med 11:324330, 1951) v. a. durch die Verwendung
der Ultraschallsteuerung der Punktion
deutlich verbessert wurde. Diese Technik sowie die strenge Indikationsstellung
führen dazu, dass heutzutage in knapp
99% aller biopsierten Patienten eine histologische Diagnose erzielt werden kann
und auch die Größe der Biopsie, gemessen anhand der Zahl der erfassten Glomeruli, in der Regel in der Größenordung der gewünschten 10 Glomeruli
liegt (Hergesell O, Nephrol Dial Transplant
13:975-977, 1998).
In der Praxis ist die Nierenbiopsie oft
unerlässlich, um aus einer Reihe von
möglichen Differentialdiagnosen zur
endgültigen Diagnose und damit einer
spezifischen Prognose und Therapie für
den Patienten zu gelangen. Obwohl es
vielfältige Ansätze zur Proteomdiagnostik im Urin zur Differenzierung
unterschiedlicher Nierenerkrankungen
gibt, kann momentan lediglich durch
die Nierenbiopsie die genaue pathomorphologische Diagnose der zugrunde liegenden Erkrankung getroffen werden.
Zudem erfährt die Nierenbiopsie durch
ihren vermehrten Einsatz in der Nierenabstoßungsdiagnostik und hier insbesondere durch die Einführung von
sog. Protokollbiopsien eine weitere Indikationsausweitung. Der zunehmend
liberalere Einsatz der Nierenbiopsie und
die Ausweitung der Fragestellungen, die
im Rahmen der Gewebsentnahme bearbeitet werden sollen, stellen auch an
die Aufarbeitung des Materials höhere
Ansprüche. So genügt vielfach nicht
mehr nur die etablierte Aufarbeitung
des Biopsiematerials für lichtmikroskopische Immunfluoreszenz – oder immunhistologische Untersuchungen sowie die Elektronenmikroskopie inklusive der Morphometrie, sondern es
sollte auch Frischgewebe asserviert werden für ergänzende, in der Regel molekulare Untersuchungen.
Die Indikation zur Nierenbiopsie muss
den möglichen diagnostischen Nutzen
gegen die potentiellen Risiken abwägen. Letztere sind heutzutage sehr gering, da die Technik der Nierenbiopsie
seit der erstmaligen Anwendung im
Wie bei jeder anderen diagnostischen
Technik hängt die Güte der ableitbaren Information von der vorhandenen
Erfahrung und einer standardisierten
Durchführung ab. Für die Nierenbiopsie sind dies v. a. die Gewinnung und
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adäquate Aufarbeitung von repräsentativem Nierengewebe.
Was ist bewährt in der
Nierenbiopsiediagnostik?
Eine Nierenbiopsie erfordert zunächst
die sachgerechte Durchführung, d. h. die
Gewinnung von adäquatem Material
durch die Nephrologie bzw. in ausgewählten Fällen (transvenöse Nierenbiopsie) auch durch die Diagnostische Radiologie. Die nachfolgende optimale
Aufarbeitung, Diagnostik und Interpretation der Befunde ist Sache der Pathologie. Hieran sollte sich dann eine interdisziplinäre Kommunikation zwischen
Nephrologie und Pathologie anschließen, die durch Telefonieren bzw. Diskutieren, gemeinsames Mikroskopieren
bzw. regelmäßige nephropathologische
Konferenzen ausgeübt werden kann.
Da diese Algorithmen eine enge Interaktion zwischen Nephrologie und Pathologie erfordern und sich hier durchaus ein Spannungsfeld bezüglich der erforderlichen Größe der Biopsie, der
Fixierung des Materials, der Geschwindigkeit der Aufarbeitung, der Exaktheit
der Diagnose und unterschiedlicher
Terminologien ergeben kann, wurden
in einem EU-Konsensus-Treffen gemeinsame Richtlinien erarbeitet (Standard procedures for renal biopsy handling and processing, EU consensus
meeting, 25.02.2000, Vienna), die die
folgenden Aspekte umfassen (Iverson P,
Am J Med 11:324-330, 1951):
■ Biopsieentnahme
■ Transport der Nierenbiopsie
■ Aufteilung der Nierenbiopsie
■ Fixation des Gewebes
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■
Schneiden und Färben der Nierenbiopsie
■ Befundbericht und Diagnose
Wenn diese Punkte entsprechend berücksichtig werden, besteht eine ca. 4050% Chance, dass das Ergebnis der
Nierenbiopsie einen direkten Einfluss
auf die Therapie nimmt.
Wie groß muss eine Nierenbiopsie
mindestens sein?
Die Qualität der Nierenbiopsie misst
sich anhand der Menge des gewonnenen Gewebes, d. h. der Zahl an erfassten Glomeruli. Sie stellt eine wichtige
Voraussetzung für die Güte der diagnostischen Prozedur dar und sollte deshalb bereits bei der Biopsieentnahme
durch den Nephrologen/Radiologen
überprüft werden. Es ist empfehlenswert, 2 Stanzzylinder mit einer Mindestgröße von 1 cm und einem minimalen Durchmesser von 1.2 mm zu
entnehmen. Man geht davon aus, dass
10-15 Glomeruli eine optimale Biopsie darstellen. Oft reichen auch 6-10
Glomeruli für eine Diagnose aus und
in wenigen Fällen kann die Diagnose
auch an einem einzigen Glomerulus gestellt werden (z. B. membranöse GN,
Amyloidose). In der Mehrheit der Fälle sind jedoch mindestens 10-12 Glomeruli notwendig, v. a. bei fokalen glomerulären Erkrankungen, bei denen nur
ein geringer Prozentsatz (5%-25%) der
Glomeruli verändert sind (z. B. fokalsegmentale Glomerulo-Sklerose, FSGS,
oder fokal-segmental nekrotisierende
und extrakapillär proliferierende GN).
Auch dann, wenn eine Stratifikation der
Patienten gemäß des Anteils der befallenen Glomeruli erfolgen soll wie
z. B. bei der Unterscheidung Lupusnephritis WHO III vs. IV, ist eine
Mindestgröße von 12 Glomeruli Voraussetzung.
Ausnahmen hiervon bilden in der Regel die transvenösen (transjugulären)
Tabelle 1: Fixations- und Aufarbeitungsmöglichkeiten einer Nierenbiopsie
Fixans
Lichtmikroskopie
Immunfluoreszenz Immunhistologie Elektronenmikroskopie
PFA
NaCl
PFA
Glutaraldehyd / PFA
Aufarbeitung Routineprozessierung Gefrierschnitte
(Paraffinschnitte)
Paraffinschnitte
Halbdünne und ultradünne Kunststoffschnitte
Zeitdauer
1-2 Tage
Tage-Woche(n)
4h
4h
Nierenbiospien, bei denen aus technischen Gründen oft nur wenige Glomeruli gewonnen werden können. Durch
Modifikation der Technik und jeweilige lichtmikroskopische Kontrolle der
entnommenen Biopsien kann jedoch
auch hier eine ausreichende Biopsiegröße erzielt werden.
Die Möglichkeit der transvenösen Nierenpunktion stellt eine wichtige Indikationserweiterung dar, die v. a. bei Gerinnungsproblemen, die eine konventionelle Biopsie unmöglich machen, bei
erschwerten Biopsieverhältnissen (z. B.
Adipositas, ektope Lage der Niere, etc.)
und nach frustranen Versuchen einer
konventionellen Nierenbiopsie zum
Einsatz kommen kann.
Welche klinischen Informationen
sind für die Durchführung der Nierenbiopsiediagnostik durch den
Pathologen absolut notwendig?
Da das Ausmaß der klinischen Information direkten Einfluss auf die Qualität und Geschwindigkeit der pathologischen Diagnostik hat, sollten dem Pathologen alle verfügbaren Informationen
zu Klinik und Anamnese sowie zu aktuellen Laborwerten mitgeteilt werden.
Hier sind v. a. Angaben zu Urinbefunden wie Proteinurie, Hämaturie, Leukozyturie und Zylindrurie wichtig. An
Serumparametern sollten Angaben zu
Harnstoff, Kreatinin, Cholesterin, Gesamtprotein, Kreatininclearance, C3,
C4, ANA, ANCA, anti-GBM und
ASL-Titern mitgeteilt werden. Weitere wichtige Informationen betreffen das
Vorhandensein von Diabetes mellitus
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oder Bluthochdruck bzw. der momentanen Therapie (Iverson, P. and C. Brun,
Am J Med11: p. 324-330, 1951).
Wie sollte die Nierenbiopsie weiter
behandelt und aufgearbeitet werden?
Dies hängt im Wesentlichen davon ab,
ob das Material lokal aufgearbeitet wird
oder ob die Nierenbiopsate zur Aufarbeitung verschickt werden. Im ersten
Fall ist die Übermittlung in isotoner
Kochsalzlösung ideal geeignet, um alle
Möglichkeiten der weiteren Aufarbeitung zu haben (Tab. 1):
i) Kryofixation eines Teils des Biopsiezylinders für Immunfluoreszenz,
ii) Fixation mit Paraformaldehyd (PFA)
oder Formalin (gepuffert, pH 7.27.4) für lichtmikroskopische und
ggf. immunhistologische Untersuchungen und
iii) Fixation eines kleinen Teils des Zylinders in 3% Glutaraldehyd für
elektronenmikroskopische Untersuchungen.
Im Falle einer Versendung des Nierenbiopsiematerials erfolgt der Versand bereits in einer Fixationslösung (PFA oder
Formalin), sodass alle notwendigen Untersuchungen am fixierten und in Paraffin eingebetteten Material erfolgen
müssen (sog. Triple-Diagnostik).
Für die lichtmikroskopische Analyse
wird eine Aufarbeitung in Serienschnitttechnik, d. h. 8-16 Paraffinschnitte von
je 2-3 µm Dicke empfohlen. Diese werden dann für die Routinefärbungen
(Tab. 2) und die immunhistologischen
Untersuchungen verwendet.
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Die verschiedenen Färbungen liefern
bei der systematischen Analyse der Nierenbiopsie komplementäre Informationen (Tab. 3). So ergibt sich in der HEFärbung zunächst ein erster orientierender Überblick über die Güte und
Zusammensetzung der Nierenbiopsie.
Für die detaillierte Analyse der Glomeruli (Zellularität, glomeruläre Basalmembran, mesangiale Matrix, fibrinoide Nekrosen) ist die PAS-Färbung hilfreich. Auch Gefäßveränderungen wie
Gefäßwandhyalinosen und fibrinoide
Nekrosen sowie Veränderungen der tubulären Basalmembran können in der
PAS-Färbung gut erkannt werden. Immunkomplexablagerungen lassen sich
in einer Proteinfärbung (z. B. SFOGFärbung) nachweisen. In der Silberfärbung können v. a. Veränderungen der
glomerulären Basalmembran (GBM),
wie z. B. Duplikaturen oder Spikebildungen, nachgewiesen werden. Die glomeruläre und v. a. die interstitielle
Fibrose können in der Bindegewebsfärbung (z. B. Siriusrot, Trichrom, Elastica-van Gieson) visualisiert und ggf. auch
quantifiziert werden. Für spezifische
Fragestellungen können dann Zusatzfärbungen wie die Kongorotfärbung zum
Nachweis einer renalen Amyloidose oder
die Kossafärbung zum Nachweis von intratubulären oder interstitiellen Verkalkungen durchgeführt werden.
Wofür dienen die ergänzenden
immunhistologischen bzw.
Immunfluoreszenz-Untersuchungen
und wie unterscheiden sie sich?
Für die obligate Analyse von Immunglobulin (Ig) und Komplementablagerungen des klassischen und alternativen
Pfades in der Nierenbiopsie stehen 2
Routineverfahren zur Verfügung:
i) Immunhistologische Analysen am
PFA- oder Formalin-fixierten Material und
ii) immunfluoreszenzoptische Analysen
Tabelle 2: Lichtmikroskopische
Aufarbeitung einer Nierenbiopsie
(Paraffinschnitte)
Tabelle 3: Aspekte einer
systematischen Analyse der
Nierenbiopsie
Routinefärbungen:
Glomeruli:
■
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■
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Hematoxylin-Eosin-Färbung (HE)
Perjodschiffs Säure-Färbung (PAS)
Bindegewebsfärbung (Trichrom-,
Siriusrot- oder Ladewig-Färbung)
■ Silberfärbung
■ Proteinfärbung (z. B. SFOG-Färbung)
Zusatzfärbungen:
■
■
Kongorotfärbung (Amyloid)
Kossafärbung (Verkalkungen)
am nativen Nierengewebe. Beide
Verfahren haben ihre Vor- und
Nachteile, die in Tab. 4 aufgeführt
werden.
Obligat ist der Nachweis von Immunglobulinen (IgA, IgG, IgM), Komplementfaktoren (C1q, C3c, C4) sowie κund λ-Leichtketten. Ergänzend werden oft auch weitere Antikörper z. B.
gegen Albumin, Fibrinogen oder Fibronektin verwendet. Für spezifische
Fragestellungen können dann auch Antikörper gegen Amyloid-Untereinheiten (AA, Transthyretin) oder gegen Viren (z. B. Cytomegalie-, Polioma- und
Adenovirus) benutzt werden. In der Abstoßungsdiagnostik nach Nierentransplantation hat sich die Anwendung eines Antikörpers gegen C4d (Abb. 1 AB) als Anhaltspunkt für das Vorliegen
einer akuten oder chronischen humoralen Abstoßung etabliert.
Wann ist eine elektronenmikroskopische
Untersuchung notwendig?
Eine elektronenmikroskopische Untersuchung ist sicher nicht bei jeder Nierenbiopsie notwendig. Da das Ergebnis
der pathomorphologischen Untersuchung jedoch nicht vorhergesagt werden kann, ist es in jedem Fall sinnvoll,
das Biopsiematerial so aufzuarbeiten,
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fokal-diffus
segmental-global
Zahl und Größe
Zellularität (welche Zellen)
Immunkomplexablagerungen
Mesangiale Matrix
Fibrinoide Nekrose
Extrakapilläre Halbmonde
Tubulointerstitium:
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■
■
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■
■
Tubulusatrophie
Tubulusdilatation
Tubulusepithelnekrosen
Interstitielle Entzündung (mononukleäre Zellen, neutrophile und eosinophile
Granulozyten)
Interstitielle Fibrose
Granulome
Riesenzellen
Kalzifikationen (intratubulär-interstitiell)
Gefäße:
■
■
Gefäßwandverdickung
Gefäßwandhyalinose (segmentalzirkumferentiell)
■ Fibrinoide Nekrose
■ Vaskulitis oder Endothelialitis
dass eine ergänzende elektronenmikroskopische Untersuchung immer noch
möglich ist. Eine derartige Untersuchung erfordert eine besondere Fixation (in der Regel in Glutaraldehyd) und
Behandlung (Kunststoffeinbettung, Erstellung von halbdünnen und ultradünnen Kunststoffschnitten), die technisch
aufwendig und arbeitsintensiv sind und
nicht überall vorgehalten werden. In den
Fällen, bei denen das Biopsiematerial
bereits in Formalin fixiert wurde, ist eine
späte Umbettung bzw. Umfixation für
die Elektronenmikroskopie mit einem
geringen Qualitätsverlust möglich. Für
die folgenden Nierenerkrankungen ist
eine endgültige Diagnose nur nach
Durchführung elektronenmikroskopi-
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scher Untersuchungen möglich:
■ Basalmembranveränderungen bei hereditären Glomerulopathien
■ Fibrilläre Glomerulopathien / Leichtkettenerkrankungen
■ Differenzierung der membranoproliferativen GN (MPGN Typ I vs.
Typ II)
■ Fußfortsatzverschmelzung bei Minimal Change GN / primäre FSGS
■ Frühstadien der diabetischen Nephropathie
■ Speicherkrankheiten (z. B. M. Fabry)
■ Stadieneinteilung der membranösen
GN nach Ehrenreich und Churg
Generell erlaubt die elektronenmikroskopische Untersuchung Aussagen zu
den folgenden Aspekten:
■
■
■
■
■
■
■
Vorhandensein und Ausmaß der
Zellproliferation (Mesangial- vs. Endothelzellen)
Veränderungen der zellulären Struktur, wie z. B. Verplumpung und Fusion der Podozytenfußfortsätze
Nekrose oder Apoptose glomerulärer oder tubulärer Zellen
Veränderungen der glomerulären Basalmembran (Verdickung, Ausdünnung, Aufsplitterung, Lamellierung,
Unregelmäßigkeiten)
Lokalisation der Immunkomplexablagerungen (mesangial, subendothelial, subepithelial)
Spezifische morphologische Veränderungen bei bestimmten Nierenerkrankungen wie z. B. bei der Lupusnephritis (sog. Fingerprints oder tubuloretikuläre Strukturen)
Ablagerung pathologischen Materials (z. B. bei M. Fabry)
Welche Veränderungen sollten in einer
Nierenbiopsie beschrieben werden?
Für die interdisziplinäre Kommunikation ist es hilfreich, sich bei der Befundung an ein Standardformat bzw. einen
Auswertealgorhythmus zu halten.
Abb. 1: Repräsentative Abbildungen
A,B: Spezifische C4d Positivität der peritubulären Kapillaren bei Antikörper-vermittelter Abstoßung in der Immunhistologie (A) und der Immunfluoreszenz (B) x 400.
C,D: Charakteristische glomeruläre Veränderungen bei diffuser proliferativer Lupusnephritis
(ISN/RPS IV (A) in der Lichtmikroskopie (C, PAS, Färbung) und der Elektronenmikroskopie
(D). PAS-Färbung x 400 und Ultradünnschnitt x 5000.
Lichtmikroskopisch kommt die Verdickung und Versteifung der glomerulären Basalmembran
(GBM) gut zur Darstellung. In der Elektronenmikroskopie (D) zeigen sich dann die ausgedehnten subendothelialen, intramembranösen und subepithelialen osmiophilen Depositen.
E,F: Licht- (E) und immunhistologische (F) Befunde einer mesangiorproliferativen IgA-Glomerulonephritis mit deutlicher mesangialer und endokapillärer Hyperzellularität und granulären
IgA-Ablagerungen im Mesangium. PAS-Färbung bzw. IgA-Immunhistologie x 200.
G: Teils diffuse, teils noduläre diabetische Nephropathie mit charakteristischen KimmelstielWilson Noduli (HE-Färbung) 200.
H: ANCA-assoziierte extrakapillär proliferierende Glomerulonephritis vom pauci-Immun-Typ
mit frischem, zellreichem extrakapillärem Halbmond und florider umgebender interstitieller Entzündung. PAS-Färbung x 200.
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Üblicherweise sollte der Befundbericht
Informationen zu folgenden Punkten
enthalten:
■ Qualität der Nierenbiopsie (Zahl der
Glomeruli und Arterien)
■ systematische Beschreibung der morphologischen Veränderungen in alle
drei Kompartimenten (Glomeruli,
Tubulointerstitium, Gefäße)
■ Ergebnisse der immunhistologischen
oder Immunfluoreszenz-Untersuchungen
■ Ergebnisse der ergänzenden Elektronenmikroskopie (dies erfordert in
der Regel mehr Zeit und wird deshalb meist nachberichtet)
Es ist hilfreich, zwei unterschiedliche
Diagnosen zu verfassen:
1. Eine deskriptive Diagnose (z. B.
mesangioproliferative GN) und
2. dann die endgültige Einordnung unter Berücksichtigung aller Zusatzuntersuchungen (Immunhistologie /
Immunfluoreszenz, Elektronenmikroskopie) und der klinischen Informationen (z. B. IgA-GN).
Was ist neu in der Nierenbiopsiediagnostik bzw. was wird kommen?
Neben den oben beschriebenen konventionellen Untersuchungen können
ergänzende morphometrische, d. h.
quantitativ morphologische Untersuchungen an Nierenbiopsien, z. B. zur
Abschätzung der Glomerulusgröße oder
einer Quantifizierung der interstitiellen Fibrose durchgeführt werden. In
jüngster Zeit erfährt die Nierenbiopsie
zudem durch ihren vermehrten Einsatz
in der Nierenabstoßungsdiagnostik und
hier insbesondere durch die Einführung
von sogenannten Protokollbiopsien eine
weitere Indikationsausweitung. Der zunehmende liberalere Einsatz der Nierenbiopsie und die Ausweitung der Fragestellungen, die im Rahmen der Gewebsentnahme bearbeitet werden sollen,
stellt auch an die Aufarbeitung des Ma-
Tabelle 4: Vor- und Nachteile der Immunhistologie (IH) bzw. der Immunfluoreszenz (IF)
(LM: Lichtmikroskopie)
PRO
CONTRA
IH
(Paraffinschnitte)
Bessere Morphologie
Permanente Färbung
Gleiche Gewebsareale in IH und LM
Mehr unspezifischer Hintergrund
Technisch schwieriger
Begrenzte Anzahl an verfügbaren Antikörpern
IF
(Gefrierschnitte)
Hohe Sensitivität
Geringer Hintergrund
Technisch einfach, schnell, billig
Schlechte Morphologie
Nicht-permanente Färbung
Verschiedene Gewebsareale in IF und LM
terials höhere Ansprüche. Auch muss
sich die Nierenbiopsie zukünftig vermutlich bei bestimmten Indikationen
wie z. B. der Abstoßungsdiagnostik an
nicht invasiven Verfahren der Urinanalyse (z. B. Proteomics) messen. So genügt vielfach nicht mehr nur die etablierte Aufarbeitung des Biopsiematerials
für Lichtmikroskopie, Immunfluoreszenz oder Immunhistologie sowie Elektronenmikroskopie inklusive der Morphometrie (Amann K, Nephrol Dial
Transplant 21:1157-1161, 2006; Furness
PN J Clin Pathol 53:433-438, 2000;
Kashgarian M, Ultrastruct Pathol 30:339343, 2006; Caruntu ID, Pathol Res Pract
203:9-20, 2007), sondern es sollte auch
Frischgewebe asserviert werden für
ergänzende, in der Regel molekulare
Untersuchungen.
Das Ausmaß an zusätzlichem Erkenntnisgewinn über pathogenetisch bedeutsame Gene oder Mechanismen der unterschiedlichen Erkrankungsgruppen
kann v. a. anhand der bisherigen Ergebnisse der European Renal cDNA Bank
(ERCB) abgeschätzt werden. So wurden durch Kombination morphologischer Methoden wie z. B. der Laser-assistierten Mikrodissektion bestimmter
renaler Kompartimente und hoch sensitiver molekularer Methoden (TaqMan
PCR-Untersuchungen) sowie der sog.
high throughput Methoden (z. B.
cDNA-Arrays) in den letzten Jahren
eine Vielzahl an neuen, wegweisenden
Erkenntnissen über die molekulare Pathogenese und Krankheitsausprägung
Nr. 2, 2012
sowohl bei Eigennierenerkrankungen
(Lindenmeyer MT, J Am Soc Nephrol 18:
1765-1776, 2007; Schmid H, Diabetes
55:2993-3003, 2006) als auch im Hinblick auf die Nierentransplantationspathologie gewonnen (Stuht S, Am J
Transplant 7:377-384, 2007; Mengel
M, Am J Transplant 7:512-517, 2007;
Kainz A, Transplantation 83:10481054, 2007).
Eine weitere wichtige Ergänzung der
klassischen morphologischen Diagnostik ist die Bestimmung prognostisch
und therapeutisch bedeutsamer Marker
wie z. B. des P-Glykoproteins im Biopsiematerial (Koziolek MJ, Kidney Int
60:156-166, 2001). Für die Zukunft
dürfen hier sicher noch weitere Synergieeffekte aus der Kombination morphologischer, morphometrischer, molekularer und vermutlich auch genetischer Marker und Befunde erwartet
werden, die zum Ziel haben, eine noch
bessere und v. a. individuellere Abschätzung der Prognose und Abstimmung
der Therapie zu ermöglichen.
Neue Klassifikationssysteme
in der Nephropathologie
Neben den o. g. neuen molekularen und
proteinbiochemischen Methoden zur
Gen- und Proteinexpression im Nierenbiopsiematerial ist als ein wichtiger
Trend der letzten Jahre in der Nephropathologie v. a. die Entwicklung, Etablierung und Validierung von Klassifikationssystemen zu nennen, die geeignet
Fischland-Symposium
sind, zum Zeitpunkt der Nierenbiopsie
prognostische Aussagen zu liefern.
Klassifikationssysteme sind in der Pathologie seit vielen Jahren bekannt; in
der Onkologie sind pathologische Klassifikationssysteme wie das TNM-System oder die UICC bzw. WHO-Klassifikation nicht mehr wegzudenken. Im
Bereich der Nephropathologie wurden
entsprechende pathologische Klassifikationssysteme bislang nur in begrenztem Umfang eingesetzt. Zur standardisierten Beurteilung von Nierentransplantat-Biopsien wurden allerdings
bereits vor mehr als 20 Jahren verschiedene Klassifikationssysteme eingeführt.
Das bekannteste ist heute zweifelsfrei
die Banff-Kategorie der akuten und
chronischen Transplantatabstoßungen,
deren Ursprünge in das Jahr 1992 zurückdatieren. Diese Klassifikation diente ursprünglich der standardisierten Beurteilung von Nierentransplantatbiopsien im Rahmen klinischer Studien; die
Urform wurde 1997 publiziert (Racusen
LC, Kidney Int 55[2]:713-723, 1999)
und später sukzessiv entsprechend aktueller Entwicklungen ergänzt und erweitert. Hier ist beispielsweise die C4dFärbung als Marker einer humoralen
Abstoßung zu nennen (Racusen LC, Am
J Transplant 3[6]:708-714, 2003, Fig.
1 A-B). Heute ist die Banff-Klassifikation der Goldstandard der systematischen Dokumentation in der Transplantatpathologie und wird alle zwei Jahre
aktualisiert.
Ein weiteres schon länger bekanntes
Klassifikationssystem ist die modifizierte Klassifikation der Lupusnephritis der
International Society of Nephrology
(ISN)/Renal Pathological Society (RPS),
die 2004 publiziert wurde (Weening JJ,
Kidney Int 65[2]:521-530, 2004; Erratum in: Kidney Int 65[3]:1132, 2004).
Diese Klassifikation basiert auf zahlreichen vorhergehenden sog. WHO-Klassifikationen der Lupusnephritis, die ab
1974 über die Jahre entstanden. Ziel
dieser älteren Klassifikationsversuche
war es zum einen, die grundlegenden
charakteristischen histomorphologischen Muster zu definieren, deren Benennung zu standardisieren und dadurch die diagnostische Einordnung der
verschiedenen Formen der Lupusnephritis (Abb. 1C, D) zu vereinfachen
und zu vereinheitlichen. Zum anderen
sollten klinische Bezüge erleichtert und
prognostische Aussagen auf Grundlage der histopathologischen Befunde ermöglicht werden. Mit der ISN/RPSKlassifikation der Lupusnephritis gelang es schließlich, ein einheitliches und
reproduzierbares Berichtsystem zwischen den verschiedenen Zentren und
Kontinenten zu schaffen, mit dem unter anderem auch klinische Studien besser durchgeführt werden können.
Mit der Publikation der sog. OxfordKlassifikation der IgA-Glomerulonephritis im Jahre 2009 wurde ein weiteres,
neuartiges Klassifikationsschema der
häufigsten Immunkomplex-Glomerulonephritis vorgeschlagen, welches klare
prognostische Implikationen hat (Working Group of the International IgA Nephropathy Network and the Renal Pathology
Society, Cattran DC, Kidney Int 76[5]:
534-545, 2009; Working Group of the International IgA Nephropathy Network and
Nr. 2, 2012
the Renal Pathology Society, Roberts IS,
Kidney Int 76[5]:546-556, 2009).
Zusätzlich sollte das System streng Evidenz-basiert sein, was dadurch erzielt
wurde, dass eine Expertengruppe sich
zunächst auf diejenigen Läsionen einigte, die reproduzierbar in einer Nierenbiopsie bei IgA-Glomerulonephritis
(IgA-GN, Abb. E, F) zu erfassen sind.
Dann wurden diese Parameter ausgewählt, um die Klassifikation an einem
definierten Patientenkollektiv zu validieren. In einem weiteren Schritt wurde die Klassifikation auch an einem
nordamerikanischen Kollektiv validiert
(Herzenberg AM, Kidney Int 80[3]:310317, 2011) und wird momentan z. B.
im Rahmen der STOP-IgA-Studie
erstmals auch auf ihre prognostische Bedeutung im Rahmen einer prospektiven, kontrolliert randomisierten Studie
überprüft (Eitner F, J Neprhol 21 [3]:
284-289, 2008).
Die Anwendung der aktuellen OxfordKlassifikation in der bioptischen Diagnostik ermöglicht eine semiquantitative Bewertung der glomerulären und
tubulo-interstitiellen Veränderungen,
anhand deren das Progressionsrisiko einer IgA-Glomerulonephritis in den Kategorien „niedrig“, „mittelgradig“ oder
„hoch“ auf empirischer Grundlage im
Einzelfall abgeschätzt werden kann. Bei
aller Euphorie über diesen ersten Kategorisierungsversuch mit eindeutig prognostischem Ansatz muss berücksichtigt
werden, dass die Oxford-Klassifikation
der IgA-Glomerulonephritis mittels einer retrospektiven Studie an einem selektionierten Patientengut entwickelt
wurde, und dass dabei z. B. unterschied-
Fischland-Symposium
liche Therapiemodalitäten nicht kontrolliert berücksichtigt wurden. Dennoch ermöglicht die Anwendung des vorgeschlagenen Klassifikationssystems eine
erste prognostische Abschätzung bereits
bei der initialen diagnostischen Biopsie.
Die Oxford-Klassifikation ist damit ein
gutes Vorbild für die Erarbeitung zukünftiger Ansätze zur Klassifikation anderer glomerulärer Erkrankungen.
Derzeit gibt es neue Klassifikationsvorschläge z. B. für die diabetische Nephropathie (Abb. 1G, Tervaert TW, J Am
Soc Nephrol 21[4]:556-563, 2010). Hierbei werden die glomerulären Veränderungen in die Klassen I, II A und II B,
III und IV eingeteilt. Auch die interstitiellen und vaskulären Läsionen lassen
sich anhand eines bekannten semiquantitativen Scoring-Systems von 0 bis 2
klassifizieren. Für die tägliche Diagnostik hilfreich ist der von den Autoren anhand eines Flow-Charts vorgeschlagene Algorithmus für die Klassifikation
der diabetischen Nephropathie. Derzeit
laufen Untersuchungen zur Interobserver-Variabilität der Klassifikation der
diabetischen Nephropathie sowie zu deren prospektiver Wertigkeit.
Ein weiteres aktuelles Klassifikationsbeispiel ist die histopathologische Klassifikation der ANCA-assoziierten Glomerulonephritiden (Abb 1H, Berden
AE, J Am Soc Nephrol 21[10]:1628-1636,
2010), die anhand verschiedener initial festgelegter qualitativer und quantitativer morphologischer Kriterien vier
Klassen unterscheidet. Hierbei ist interessant, dass die Anwendung dieses
Schemas im Hinblick auf das Nierenüberleben einen deutlichen Unterschied
zwischen der sog. fokalen, der crescentic, der mixed und der sklerotischen
Glomerulonephritis zeigt.
Eine recht aktuelle Entwicklung, die
sich weder klinisch noch nephropathologisch flächendeckend durchgesetzt
hat, ist die an pathogenetischen Gesichtspunkten orientierte Einteilung der klinisch, morphologisch und ätiologisch verschiedenen Formen der membranoproliferativen Glomerulonephritis (MPGN).
Hier ergaben sich in den letzten Jahren
zunehmend Hinweise, dass es sich bei
der MPGN Typ I und II um zwei pathophysiologisch komplett unterschiedliche Entitäten handelt. Während die
MPGN Typ I eine klassische Immunkomplex-Glomerulonephritis ist, zeigt
die MPGN Typ II oder auch dense deposit disease (DDD) genannt, alle
Merkmale einer Erkrankung des Komplementsystems (Pickering M, Curr
Opin Nephrol Hypertens 20[3]:271-277,
2011). Diese verläuft allerdings nicht
immer klassisch mit den bekannten,
elektronenoptisch pathognomonischen
bandförmigen C3c-Ablagerungen, sondern kann durchaus auch ein mesangiales
oder mesangioproliferatives Ablagerungsmuster zeigen, was zum übergeordneten Begriff der „C3-Glomerulopathie“ geführt hat.
Die praktische Konsequenz aus einer
derartigen Neubewertung der Erkrankung ist die Empfehlung einer genetischen Komplementdiagnostik bei allen
Patienten mit histologischer Diagnose
einer C3-Glomerulopathie und dauerhaft erniedrigtem C3 im Serum.
Abschließend kann festgestellt werden,
dass es sehr ernsthafte und begrüßenswerte internationale Bemühungen um
einheitliche Klassifikationssysteme verschiedener glomerulärer Erkrankungen
gibt, die neben einer besseren Standardisierung der histomorphologischen
Befundinterpretation vor allem auch
Aussagen über die prognostische bzw.
prädiktive Bedeutung der jeweiligen pathologischen Befunde zum Ziel haben,
woraus im Idealfall Therapieempfehlungen bzw. im Rahmen klinischer Studien Therapiestratifizierungen abgeleitet werden können. Nicht zuletzt führt
Nr. 2, 2012
die systematische Untersuchung und
Kategorisierung der im Verlauf einer
bestimmten Nierenerkrankung auftretenden Gewebeveränderungen auch zu
einer Verbesserung des pathophysiologischen Verständnisses derselben.
FAZIT FÜR DIE PRAXIS:
Die Nierenbiopsie zur Gewinnung
einer Nierenhistologie ist nach wie
vor der Goldstandard in der Diagnostik renaler Erkrankungen. In den
Händen eines erfahrenen Nephrologen stellt sie eine Standardprozedur
mit überschaubarem Risiko für den
Patienten bei gleichzeitig hohem
Maß an diagnostischer und therapeutischer Zusatzinformation dar.
Die Aussagekraft der Nierenbiopsie
hängt von der Grunderkrankung, der
Größe der Biopsie, der technisch
sauberen Aufarbeitung, der Erfahrung des bewertenden Pathologen
und der interdisziplinären Kommunikation ab. Nicht umsonst hat sich
hier mit der Nephropathologie eine
Subspezialisierung in der Pathologie
ergeben, die dem hohen Standard der
Nierenbiopsiediagnostik gerecht wird
und die als Ansprechpartner für den
intensiven Dialog mit der Nephrologie fungiert. Je besser das Verständnis von klinischer Seite und die mitgeteilten klinischen Informationen,
desto umfassender und hilfreicher
sind die Biopsieergebnisse, die vom
Pathologen bezogen werden können.
Prof. Dr. Kerstin Amann
Dr. Joachim Velden
Priv. Doz. Dr. Maike Büttner
Abteilung Nephropathologie
Pathologisches Institut
Erlangen
[email protected]
Fischland-Symposium
Membranoproliferative Glomerulonephritis:
Neue Einteilung und bewährte Konzepte
Fallbeispiel
Im April 2011 übernahmen wir einen
47-jährigen Patienten aus einem Kreiskrankenhaus mit Verdacht auf hepatorenales Syndrom. Der Patient litt unter einer Alkoholkrankheit. Eine Leberzirrhose CHILD A war bereits
bekannt, ebenso wie eine chronisch fibrosierende Pankreatitis. 2005 war nach
rezidivierenden Fundusvarizenblutungen mit hämorrhagischem Schock eine
transjuguläre portosystemische Shuntanlage erfolgt, deren letzte Kontrolle
07/2010 unauffällig war.
Es bestanden zudem Ösophagusvarizen I° und ein narbiger Ösophagus
nach mehrfachen Ligaturen. Der Patient hatte sich nun selbst im Krankenhaus wegen starken Nasenblutens vorgestellt. Er hatte zudem an einem Tag
von 98 kg auf 102,8 kg an Gewicht zugenommen. Im Krankenhaus fielen ein
erhöhtes Serumkreatinin, ein erniedrigtes Albumin sowie deutlicher Aszites auf. Der Patient war seit 6 Jahren
alkoholabstinent. Bis 2005 hatte er täglich fünf Bier sowie bis zu einer halben
Flasche Schnaps getrunken. Seit dem
17. Lebensjahr rauchte er Zigaretten
und wies ca. 30 pack years auf.
Bei Übernahme aus dem Kreiskrankenhaus betrug das Serumkreatinin 454
µmol/l, der Harnstoff 32 mmol/l, das
Albumin 26 g/l, das Cholesterin 9
mmol/l und das Kalium 4.5 mmol/l.
Die Diurese war erhalten, die Natriumausscheidung im Urin betrug ohne
Diuretika 46 mmol/l, so dass ein hepatorenales Syndrom unwahrscheinlich schien.
Abb. 1: In der Versilberung nach Movat zeigte sich mesangial eine Matrixvermehrung
sowie auch Proliferation mesangialer Zellen. Weiterhin fanden sich Doppelkonturen
der glomerulären Basalmembran mit Interposition mesangialer Zellen und leukozytärer Infiltration (mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Pathologie, Universitätsmedizin
Greifswald).
Abb. 2: Immunglobulin G Ablagerungen entlang der peripheren Kapillarwände
(mit freundlicher Genehmigung des Instituts für Pathologie, Universitätsmedizin Greifswald).
Nr. 2, 2012
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Fischland-Symposium
Im Urinsediment fanden sich 10-50
Erythrozyten/ Blickfeld, davon ca. 20%
Akanthozyten. Die Proteinurie betrug
23 g/d. Sonografisch waren die Nieren
beidseits vergrößert: Rechts 14,4 x 5,6
x 1,5 cm, links 13,2 x 6,6 x 2,1 cm, die
Parenchymdicke und Echogenität waren regelrecht. Der Aszites zeigte sich
auch in der Sonografie.
In der weiteren Labordiagnostik fand
sich in der Eiweißelektrophorese das
typische Bild für ein nephrotisches Syndrom mit Hypalbuminämie sowie Erhöhung der alpha1- und gamma-Globuline. Die Antikörperdiagnostik war
negativ, C3 vermindert auf 0.549 g/l
(ref 0.9-1.8), C4 normal. Wir stellten
die Indikation zur Nierenbiopsie.
Die Nierenbiopsie zeigte leichte chronische Veränderungen in Form einer
fokalen, leichtgradigen tubulären Atrophie und interstitiellen Fibrose mit entzündlicher Begleitinfiltration sowie einer leichtgradigen Arteriosklerose. Von
den in der Stanze enthaltenen 21 Glomeruli waren zwei global sklerosiert,
die restlichen Glomeruli wiesen eine
deutliche Verbreiterung ihrer mesangialen Felder auf, hier fand sich sowohl
eine Matrixzunahme als auch eine Proliferation mesangialer Zellen.
Die glomerulären Kapillarwände zeigten eine deutliche Verdickung mit Ausbildung verdoppelter Basalmembranen,
mesangialer Interposition sowie Infiltration von Entzündungszellen. Immunhistochemisch fanden sich sowohl
Komplement 3 als auch Immunglobulin G-Ablagerungen mesangial und im
Bereich der peripheren Kapillarschlingen, welche in der weiteren elektronenmikroskopischen Aufarbeitung subendothelial lokalisiert waren.
Somit wurde die Diagnose einer Immunglobulin-positiven membranoproliferativen Glomerulonephritis Typ I
gestellt. Da diese Erkrankung in über
90% der Fälle sekundär auftritt, suchten wir nach einer zugrundeliegenden
Abb. 3: Neue Einteilung der membranoproliferativen Glomerulonephritis (Sethi S, Kidney
Int 2012; 81:434-41).
Erkrankung. Wir fanden keinen Hinweis für eine Hepatitis B oder C, keine monoklonale Gammopathie, keine
Autoimmunerkrankung und keinen
Tumor. Zur Tumorsuche führten wir
eine Gastroskopie, eine Koloskopie,
eine Abdomensonografie und eine
Röntgenuntersuchung des Thorax
durch. Wir begannen eine antiproteinurische Therapie mit einem ACEHemmer (Ramipril 5 mg/d) und Aggrenox nach dem Donadio-Schema
(200 mg Dipyridamol und 25 mg
ASS/d) (Donadio, N Engl J Med 1984;
310:1421-5; Donadio , Am J Kidney Dis
1989;14:445-51). Die weitere Therapie bestand aus Furosemid 2 x 40
mg/d, Pantoprazol 2 x 40 mg/d und
Propranolol 2 x 25 mg/d.
Nach vier Monaten stellte sich der Patient zu einer Kontrolluntersuchung in
der nephrologischen Ambulanz vor.
Hier berichtete er über seit vier Wochen bestehende Schluckbeschwerden
linksseitig mit Zunahme nachts und
beim Essen, dann mit Brennen und
Hustenreiz. Heiserkeit bestünde seit
ebenfalls vier Wochen. Keine B-Symptomatik, keine Dyspnoe. Wir stellten
den Patienten HNO-ärztlich vor. Die
endoskopische Darstellung des Kehlkopfes zeigte einen verdächtigen Befund. Gemeinsam mit dem histologischen Ergebnis der Probebiopsie ergab
sich der Befund eines HypopharynxkarNr. 2, 2012
zinoms links mit Infiltration des Larynx cT4 cN1 cMx ED 09/2011. Es
handelte sich um ein wenig differenziertes, gering verhornendes Plattenepithel-Karzinom vom Malignitätsgrad 3.
Die Diagnose wurde nun geändert in
sekundäre membranoproliferative Glomerulonephritis (ED 04/11) bei Hypopharynxkarzinom links pT4, pN0
(0/21), cM0, L0, V1, R0 am 12.09.
2011. Die letzte Laborkontrolle im
Mai 2012 zeigte lediglich eine leichte
Anämie von 7.8 mmol/l und unauffällige Werte für das übrige Blutbild,
Elektrolyte, Transaminasen, AP, gamma GT und Retentionsparameter. Das
Kreatinin war völlig normal mit 103
µmol/l. Es fand sich keine Proteinurie mehr.
Diskussion des Fallbeispiels
Die Häufigkeit der membranoproliferativen Glomerulonephritis beträgt 710% der bioptisch gesicherten Glomerulonephritiden (Sethi S, N Engl J Med
2012; 366:1119-31). Das klinische Bild
ist sehr variabel. Die Patienten kommen in 40-70% mit einem nephrotischen Syndrom, in 20-30% mit einem
akuten nephritischen Syndrom, in 2030% mit einer asymptomatischen Proteinurie und Hämaturie bei einer Routineuntersuchung und in 10-20% der
Fischland-Symposium
Fälle mit rezidivierenden Episoden von
Makrohämaturie (Sethi S, N Engl J Med
2012; 366:1119-31).
Bisher erfolgte die Einteilung der
membranoproliferativen Glomerulonephritis anhand elektronenmikroskopischer Befunde. Hierbei wurden Typ
I mit subendothelialen, Typ II (auch
Dense deposit disease) mit intramembranösen und Typ III mit subendound subepithelialen Immundepots unterschieden. Während Typ II lediglich
Komplement 3-Ablagerungen aufweist,
finden sich bei Typ I und III häufig
auch abgelagerte Immunglobuline. Das
Vorliegen von Komplementfaktoren
spricht in jedem Fall für eine Aktivierung des Komplementsystems, wobei
bei zusätzlichem Nachweis von Immunkomplexen von einer Aktivierung
des klassischen Weges, in den anderen
Fällen des alternativen Weges der Komplementkaskade auszugehen ist.
Da sich hieraus Konsequenzen für das
weitere diagnostische Vorgehen ergeben, erschien 2011 der Vorschlag einer
neuen Einteilung der membranoproliferativen Glomerulonephritis (Sethi S,
Semin Nephrol 2011; 31:341-8). Hierbei soll zwischen Immunglobulin- und
Komplement-vermittelter membranoproliferativer Glomerulonephritis unterschieden werden, wobei der Immunglobulin-vermittelte Typ häufig sekundär im Rahmen einer anhaltenden
Antigenämie oder zirkulierender Immunkomplexe bei chronischen Entzündungen, Autoimmunerkrankungen
oder auch Paraproteinämien und Malignomen auftritt und der Komplement-vermittelte Typ primär auf Störungen der Regulation des alternativen
Weges der Komplementkaskade beruht.
Die Immunglobulin-negativen Fälle
der membranoproliferativen Glomerulonephritis Typ I und III werden nun
als C3-Glomerulonephritiden bezeichnet und mit der Dense deposit disease
Tabelle 1: Häufige Ursachen einer Immunglobulin-positiven
membranoproliferativen Glomerulonephritis (Sethi S, Kidney Int 2012; 81:434-41)
Antigenstimulus
Assoziierte Systemerkrankung
Infektion
Viral: Hepatitis B und C; HIV
Bakteriell: Endokarditis; Shuntnephritis; Abszesse
Protozoen: Malaria; Schistosomiasis
Andere: Mycoplasmen, Mycobakterien
Autoimmunerkankungen
Systemischer Lupus erythematodes
Sklerodermie
Sjögren-Syndrom
Kryoglobulinämie
Monoklonale
Immunglobuline
und Paraproteine
MGUS
Leukämien
Lymphome
Myelom
Verschiedene
Lebererkrankungen – Hepatitis; Zirrhose
Karzinome
Sarkoidose
Medikamente
„Idiopathisch“
als C3-Glomerulopathien zusammengefasst.
Da die membranoproliferative Glomerulonephritis fast immer Immunglobulin-vermittelt bzw. sekundär auftritt,
soll eine sehr gründliche Anamnese
und Befunderhebung erfolgen. Besonderer Wert sollte auf folgende Aspekte gelegt werden: Infektionen (v. a. der
oberen Atemwege); Qualität der Diurese: Oligurie, Hämaturie, schäumender Urin; Symptome der Anämie: Müdigkeit, Blässe; urämische Symptome:
Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen,
Malnutrition/Anorexie; Anzeichen für
eine sekundäre membranoproliferative Glomerulonephritis: Ikterus, Arthralgien, Gewichtsverlust etc; vorausgegangene Bluttransfusionen. Besteht
ein Bluthochdruck und/oder ein nephrotisches Syndrom? Finden sich Zeichen einer chronischen Lebererkrankung oder Hinweise für Kryoglobulinämie wie Akrozyanose oder periphere
Neuropathie? Finden sich Zeichen für
Nr. 2, 2012
eine C3-Glomerulopathie wie partielle Lipodystrophie oder eine Drusenbildung in der Netzhaut (Ablagerung
von Proteinen/Immunkomplexen und
Lipiden)?
Laborchemisch sollten folgende Parameter erfasst werden: Kreatininclearance, Ausmaß der Proteinurie, Eiweißelektrophorese, Immunfixation, HCV,
HBV, Kryoglobuline, Blutkulturen,
Cholesterin, LDH, ACE, BB, Thrombophiliescreening, C3/C4, CH50,
C3-Nephritisfaktor, ANA, ANCA,
ENA, RF.
In der Erwachsenennephrologie ist die
membranoproliferative Glomerulonephritis fast immer sekundär. Die
häufigsten Ursachen sind eine Hepatitis B oder C, eine monoklonale Gammopathie, Tumorerkrankungen und
Autoimmunerkrankungen, hier häufig
der systemische Lupus erythematodes
(Tabelle 1). Bei Erhalt eines Nierenbiopsieergebnisses mit „Immunglobu-
Fischland-Symposium
A
B
C
Abb. 4: Schematische Darstellung der bisherigen Einteilung der membranoproliferativen Glomerulonephritis (Design: Karl Ecard, Ulm,
[email protected]). Gemeinsam sind allen drei Subtypen die interponierten Mesangiumzellen sowie Basalmembranverdopplungen.
A: Der häufigste Typ mit ca. 80% ist die membranoproliferative Glomerulonephritis Typ I mit subendothelialen Ablagerungen.
B: Membranoproliferative Glomerulonephritis Typ II mit elektronendichten Ablagerungen in der Basalmembran: Dense Deposit
Disease.
C: Membranoproliferative Glomerulonephritis Typ III mit subendothelialen und subepithelialen Ablagerungen.
lin-positiver membranoproliferativer
Glomerulonephritis“ lautet der Auftrag an die/den Nephrologin/en daher
immer: Ursache finden und behandeln.
In der Behandlung der membranoproliferativen Glomerulonephritis sind in
der Vergangenheit viele Therapievorschläge erarbeitet worden. Da die Klassifikation lange Zeit nach ultrastrukturellen, elektronenmikroskopischen
(Abb. 4) und nicht nach klinisch prognostischen Aspekten erfolgte, sind auch
die Therapievorschläge ebenso wie die
untersuchten Subgruppen uneinheitlich. In den meisten Studien wurden
sowohl primäre (jetzt C3-Glomerulopathien) als auch sekundäre (jetzt: Immunglobulin-positive MPGN) eingeschlossen. Konsens besteht lediglich
über die antiproteinurische Therapie
mit ACE-Hemmern oder Angiotensinrezeptorblockern.
Im Langzeitverlauf erfolgversprechend
scheint eine Therapie aus einer Kombination von ASS und Dipyridamol
(Donadio JV, N Engl J Med 1984; 310:
1421-5; Donadio JV , Am J Kidney Dis
1989; 14:445-51).
Eine Therapie mit Antikoagulantien
wie Heparin oder Warfarin, kombiniert
mit Steroiden oder zytotoxischen Agentien, erwies sich in prospektiv kontrollierten Studien als nicht effektiv (Cattran DC, Kidney Int 1985; 27:436-41).
Die Calcineurininhibitoren Cyclosporin (Cattran DC, Clin Nephrol 1991; 35
suppl1: S43-S47) und Tacrolimus (Haddad M, Pediatr Nephrol 2007; 22:178791) können in einigen Fällen die Proteinurie hemmen.
Steroide wurden hochdosiert als Monotherapie (Bahat E, J Nephrol 1995;
20:234-45) oder in Kombination mit
Azathioprin (Chapman SJ, Arch Di
Child 1980; 55:446-51), Cyclophosphamid (Faedda R, Nephron 1994; 77:
59-65) oder Mycophenolat Mofetil
(Choi MJ, Kidney Int 2002; 61:1098114; Jones G, Nephrol Dial Transplant
2004; 19:3160-4) gegeben. In der Pädiatrie werden Steroide jeden zweiten
Nr. 2, 2012
Tag niedrig dosiert als Langzeittherapie verabreicht (Tarshish P, Pediatr Nephrol 1992; 6:123-30).
Einen neueren Ansatz stellt die Antikörpertherapie mit Rituximab dar (Guiard E, Clin J Am Soc Nephrol 2011; 6:
1609-16; Dillon, Clin Nephrol 2012; 77:
290-5). Für die C3-Glomerulopathie
wurde kürzlich der Komplementantikörper Eculizumab eingesetzt (Radhakrishnan S, N Eng J Med 2012; 22; 366:
1165-6).
Priv.-Doz. Dr. Sylvia Stracke, MME
Leiterin des Bereichs Nephrologie,
Dialyse, Hochdruckkrankheiten und
Rheumatologie
Klinik für Innere Medizin A
Universitätsmedizin Greifswald
Ärztliche Leiterin des
KfH-Nierenzentrums Greifswald
[email protected]
Andrea Thiele
Institut für Pathologie
Städtisches Klinikum Dessau
Dessau-Roßlau
Fischland-Symposium
IgA-Nephritis:
Oxford-Klassifikation und neue Therapieoptionen
Pathomechanismen
Aktuelle Konzepte der Pathogenese
sehen eine klare Sequenz auto-immuner Ereignisse bei der IgA-Nephritis.
(1) In der Rachen- oder Darmmukosa können Infektionen eine Aktivierung von B-Zellen auslösen, die mit
der Produktion von Immunglobulin
A-Molekülen einhergehen. Diese IgAs
gelangen (2) in die Zirkulation. Sie
sind unvollständig galaktosylierte, polymerische IgA-1-Moleküle, sodass es
(3) abhängig vom genetischen Hintergrund und im Zusammenspiel mit
Toll-like-Rezeptoren zu einer Immunantwort kommt (4). Es bilden sich
IgG-Antikörper gegen die Hinge Region, das Scharnier des IgA-1-Moleküls oder als Kreuzreaktivität zu antimikrobiellen Antikörpern. Dies führt
(5) zur Bildung von Immunkomplexen (6). Diese IgA-IgG-Immunkomplexe lagern sich in den Mesangialzellen des Nierenglomerulus ab (Boyd JK,
Kidney Int, 2012). Die IgA-Nephritis
ist also eine Auto-Immunerkrankung,
keine Nephropathie. Konzepte, durch
Tonsillektomie den mukosalen Ursprung der Immunantwort zu unterbinden, berücksichtigen nicht den Ursprung im Darm.
Die Bedeutung dieser IgA-Ablagerungen ist umstritten, da sowohl bei der
benignen Verlaufsform wie auch bei
der progredienten IgA-Nephritis kein
Unterschied der IgA-Immunkomplexe besteht. Die IgG-Antikörper gegen
das falsch glykosilierte oder galaktosylierte IgA-1 sind jedoch spezifisch für
die IgA-Nephritis und die Höhe der
Abb. 1: Die Oxford- beziehungsweise MEST-Klassifikation der Nierenpathologie bei
IgA-Nephritis (Mesangial, Endokapillär, Segmental, Tubulär).
anti-IgA-IgG-Spiegel korreliert mit
der Proteinurie/Kreatinin-Ratio (Suzuki H, J Clin Invest 119:1668-77, 2009).
Solche Autoantikörper bei IgA-Nephritis lassen sich auch mit einem sogenannten Vulkano-Plot und neueren
Methoden wie Antibiomics exklusiv
bei IgA-Patienten nachweisen (Sigdel
TK, Clin J Am Soc Nephrol 6:2775-84,
2011). Die Receiver Operator Characteristic (ROC) Curve dieser Bioprofiling Methode ist aber noch zum Beispiel dem klinischen Parameter der
Proteinurie deutlich unterlegen (ROCAUC = 0,86 versus 0,98).
Vorhersage des Verlaufs
Die IgA-Nephritis gilt nicht mehr als
rein benigne Mikrohämaturie. Es ist
klar, dass 10 Jahre nach Diagnosestellung nur noch bei 80% der Patienten
die Nierenfunktion erhalten ist, 20%
haben eine dialysepflichtige Niereninsuffizienz und nach 20 Jahren sind das
40% (Lee W, Nephrol Dial Transplant
27:1479-85, 2012). Das Problem ist also
rechtzeitig zu erkennen wo ein progredienter Verlauf zu erwarten ist und wann
man therapeutisch intervenieren muss.
Nr. 2, 2012
Ein wichtiger Versuch, patho-histologisch dies zu beantworten, war die Oxford- oder abgekürzt MEST-Klassifikation der IgA-Nephritis (Kidney Int
76:534-45, 2009). Hierbei wurde eine
Klassifikation entwickelt, welche sich
durch eine gute Reproduzierbarkeit sowie auch Voraussagekraft für den klinischen Verlauf auszeichnet. Ein Score
von 0-1 bzw. 0-2 wird jeweils vergeben für die mesangiale Hyperzellularität (M), die endokapilläre Hyperzellularität (E), die segmentale Sklerose
(S) und die tubuläre Atrophie (T).
Während die mesangiale Hyperzellularität, die segmentale Sklerose und die
tubuläre Atrophie mit einer Abnahme
der Nierenfunktion assoziiert sind und
somit prognostische Bedeutung haben,
geht die endokapilläre Hyperzellularität mit einem besseren Ansprechen
auf eine immunsuppressive Therapie
einher und bietet hierdurch Hilfe bei
der Therapieplanung (Abb. 1-6).
Ein Vergleich der Oxford-Klassifikation mit den Standards der klinischen
Parameter, wie der Albuminurie/Kreatinin-Ratio, der GFR oder dem Blutdruck ergibt jedoch noch keine Über-
Fischland-Symposium
Abb. 2: Mesangioproliferative Glomerulonephritis mit
Ablagerung von IgA in der Immunhistologie.
Abb. 3: Mesangiale Hyperzellularität (M 1).
Abb. 4: Segmentale Sklerose (S 1).
Abb. 5: Endokapilläre Hyperzellularität (E 1).
legenheit der histologischen MESTEinteilungen (Edström Halling S, Nephrol Dial Transplant 27:715-22, 2012).
Da die Oxford-Klassifikation im Rahmen einer retrospektiven Studie entstanden ist, welche zum Beispiel wenige Fälle mit rapid progressivem Verlauf
enthielt, sind zusätzliche Untersuchungen notwendig, um möglicherweise
weitere histopathologische Marker zu
identifizieren. Bisher nicht berücksichtigt wurde in der Oxford-Klassifikation die extrakapilläre Proliferation, die
ja mit der rapid progressiven Glomerulonephritis und Halbmondbildung
bekanntermaßen die schwerste Verlaufsform nimmt (Katafuchi R, Clin J
Am Soc Nephrol 6:2806-13, 2011).
Auch die nekrotisierende Form der
IgA-Nephritis wird hier klassifikatorisch nicht erfasst.
Auch nicht erfasst wird die thrombotische Mikroangiopathie bei IgANephritis, die eine extrem ernste Prognose aufweist (El Karouik, J Am Soc
Nephrol 23:137-48, 2012).
Therapie
Die Steroid- Therapie der IgA-Nephritis kombiniert mit Prednisolon-Pulsen 1000 mg Tag 1, 2 und 3 im Monat 1, 3 und 5 ist ohne Zweifel wirksam (Pozzi C, Lancet 353:883-7, 1999).
Auch im Langzeitverlauf nach zehn
Jahren ist diese Therapie gegebenenNr. 2, 2012
falls wiederholt verabreicht vorteilhaft
(Pozzi C, J Am Soc Nephrol 15:157-63,
2004). Eine kürzliche Metaanalyse
aller Steroid-Protokolle ergab einen
deutlichen Benefit der Steroidtherapie bei IgA-Nephritis (Lv J, J Am Soc
Nephrol, 2012).
Ausschlusskriterium für die Steroidtherapie war aber immer eine fortgeschrittene Nierenfunktionseinschränkung mit Kreatininwerten über 2 mg/
dl. Umstritten ist die über Steroide hinausgehende Therapie mit Cyclophosphamid bei fortgeschrittener IgANephritis. Eine dreimonatige orale Cyclophosphamid-Therapie, gefolgt von
Azathioprin, war in einer kontrollier-
Fischland-Symposium
ten Studie klar wirksam (Ballardie FW,
J Am Soc Nephrol 13:142-8, 2002). In
dieser Arbeit wurde aber eine KaplanMeier-Kurve veröffentlicht, die voll
war von schwarzen Kreuzen, sodass jeder den Eindruck hatte, es sei zu massenhaft Todesfällen gekommen. Das
war aber nur eine kapitale graphische
Fehlleistung. Es handelt sich um die
Patienten lost to follow up, sodass diese Studie schon immer bei flüchtiger
Lektüre als Hochrisikoprotokoll interpretiert wurde und damit die Cyclophosphamid-Therapie diskreditierte.
Tatsächlich gab es zwei Todesfälle, in
jeder Gruppe einen. Die nachfolgende Therapie mit Azathioprin muss
man jedoch als umstritten bezeichnen,
nachdem gezeigt wurde, dass Azathioprin nicht wirksamer ist als Cortikosteroide allein (Pozzi C, J Am Soc Nephrol 21:1783-90, 2010).
Überlegungen zu zwei anderen Cyclophosphamid-Protokollen ließen vermuten, dass der Effekt dort durch zusätzliche Gabe von Warfarin und die
damit ausgelöste Warfarin related
nephropathy zunichte gemacht worden sein könnte (Brodsky SV, Nephrol
Dial Transplant 27:475-7, 2012). Warfarin kann zur Kalzifizierung führen
durch Bildungs-Hemmung der Vitamin K-abhängigen Inhibitoren der
Kalzifizierung, z. B. Matrix-Gla-Protein und Gas-6. Wir selbst haben mit
einem Cyclophosphamid-Protokoll
analog dem NIH-Schema 1000 mg /
m2 alle 4 Wochen für 6 Monate einen
hervorragenden Effekt auf den GFRVerlust nachweisen können (Rasche
FM, Nephron Clin Pract 93:C131-6,
2003). Wir glauben auch, dass Mycophenolat zur sequentiellen Erhaltungstherapie nach Cyclophosphamid-Induktionstherapie gut geeignet ist (Rasche FM, J Nephrol 19:465-72, 2006).
Ohne Induktionstherapie und ohne
Co-Medikation mit Prednisolon ha-
Abb. 6: Tubuläre Atrophie (T 1).
Abb. 7: Der damals 42-jährige Patient erhielt 2005 zunächst nach unserem Protokoll
Cyclophosphamid. Er kam erst 2010 mit Kreatininwerten über 400 wieder, wurde erneut biopsiert und mit 4 x Plasmapherese und 1 x Rituximab behandelt. Es war zwar
ein Effekt auf die Nierenfunktion festzustellen, der aber möglicherweise nicht anhielt,
da der Patient unserer Beobachtung verloren ging.
ben jedoch 4 Studien zu Mycophenolat enttäuschende Ergebnisse erbracht
(Chen, Frisch, Maes, Tang). Eine
Langzeitstudie über 6 Jahre zeigte allerdings einen nierenerhaltenden Effekt von Mycophenolat bei IgA-Nephritis auch ohne Prednisolon (Tang
SCW, Kidney Int 77:534-9, 2010). In
Misskredit wurde die MycophenolatNr. 2, 2012
therapie durch eine Studie aus China
gebracht, die eine hohe Mortalität
durch Pneumozystis-Pneumonie berichtete (Lv J, Nephrol Dial Transplant
23:2866-72, 2008). Problem dieser
Studie war, dass eine Prednisolondosis im Mittel von 48 mg/Tag für mehr
als 3 Monate gegeben wurde, was eine
klare Überdosierung darstellt.
Fischland-Symposium
Derzeit läuft die STOP-IGAN-Studie. Wir halten im Grunde dieses Protokoll aber für überholt. Hier wird die
Immunsuppression gegen die alleinige
supportive Therapie mit ACE-Hemmern randomisiert prospektiv verglichen. Dabei ist schon gezeigt worden,
dass Prednisolon und Ramipril wirksamer sind als Ramipril allein (Manno
C, Nephrol Dial Transplant 24:3694701, 2009).
Andere Therapieoptionen
ten Patienten, die mit Anti-Thymozyten-Globulin induziert wurden, keine Rekurrenz der IgA-Nephritis im
Vergleich zu Patienten, die keine Induktion hatten oder nur mit CD25Interleukin-2-Rezeptor-Antikörpern
behandelt wurden (Berthoux F, Transplantation 85:1505-7, 2008). Eine Behandlung mit Anti-Thymozyten-Globulin der progredienten IgA-Nephritis hat aber bisher offensichtlich noch
niemand gewagt, jedenfalls wurde
nichts veröffentlicht.
Umstritten ist nach wie vor die Behandlung mit Omega-3 ungesättigten
Fettsäuren. Die jüngste Metaanalyse
sieht zwar einen, aber nicht signifikanten Effekt (Liu LL, Clin Nephrol 77:
119-25, 2012). Calzitriol 2 mal pro
Woche 0,5 µg oral zusätzlich zum
ACE-Hemmer vermag die Proteinurie signifikant zu verbessern (Liu LJ,
Am J Kidney Disease 59:67-74, 2012).
Nach Nierentransplantation entwickel-
Die laufende Studie zur IgA-Nephritis und Rituximab wurde bisher noch
nicht publiziert. Wir selbst haben drei
Patienten mit praktisch präterminaler
IgA-Nephritis sowohl mit Plasmaaustausch als auch Rituximab behandelt.
Bei zumindest einem Patienten hatten
wir den Eindruck, dass dieses Protokoll wirksam war (Abb. 7). Er ist uns
jedoch aus der Langzeit-Beobachtung
verlorengegangen.
Schlussfolgerung:
Unsere Einschätzungen folgen aus
den zahlreichen Publikationen: Die
IgA-Nephritis ist eine lebenslange
Erkrankung, sie hat eine Autoimmun-Pathogenese und sie ist immunsuppressiv behandelbar. Die
Oxford-Klassifikation kann die Klinik aber derzeit – noch – nicht ersetzen.
Prof. Dr. Frieder Keller
Sektion Nephrologie
Klinik für Innere Medizin I
Universitätsklinik Ulm
[email protected]
Andrea Thiele
Institut für Pathologie
Städtisches Klinikum Dessau
Dessau-Roßlau
Fischland-Symposium
Anti-HLA-Antikörperdiagnostik mittels
Festphasetechniken vor und nach Nierentransplanation:
Möglichkeiten und Grenzen
Die Nierentransplantation ist zu einem
Routineverfahren mit akzeptabler Morbidität und guter Transplantatfunktion
für viele Patienten geworden. Dennoch
konnte das Langzeit-Organüberleben
insgesamt nur unzureichend gebessert
werden, was zu einem steigenden Anteil von Patienten führt, die nach Transplantatversagen erneut auf der Warteliste stehen (www.unos.org).
Akute und chronische Abstoßungsreaktionen nach Organtransplantation
richten sich vor allem gegen fremde
HLA-Antigene. Das Matching von
Transplantatempfänger und Organspender für HLA A-, B- und DR-Antigene ist auch unter der modernen immunsuppressiven Therapie relevant für das
Organüberleben (Opelz G, Transplantation 84[2]:137-43; 2007, www.ctstransplant.org).
Expositionen mit fremden HLA-Antigenen durch frühere Transplantationen, aber auch Schwangerschaften und
Bluttransfusionen können zu immunologischer Sensibilisierung gegen fremde HLA-Antigene führen. Hierbei
kommt es zur Bildung von Gedächtnis
T- und B-Zellen gegen fremde HLAMerkmale, die durch rasche Reaktivierbarkeit, lange Lebensdauer und geringes Ansprechen auf konventionelle
Immunsuppressiva eine erhebliche Herausforderung für die Transplantationsmedizin darstellen. In den letzten Jahren
konnten große Fortschritte in der Entwicklung von Biomarkern zur Quantifizierung von T- und B-Allo-Immunantworten erzielt werden, die künftig bereits
frühzeitig eine individualisierte immun-
suppressive Therapie ermöglichen sollen
(www.transplant-tolerance.org und www.
ctotstudies.org).
Vor allem auf dem Gebiet der HLAAntikörper-Diagnostik hat die Einführung neuer Festphasetechniken neue
Möglichkeiten eröffnet, die bereits Einzug in die klinische Routine gehalten
haben. Seit Ende der 60er Jahre ist die
Messung lymphozytotoxischer (LCT)
HLA-Antikörper gegen einzelne Spender (Crossmatch) und gegen ein Panel
von ca. 50 HLA-typisierten Blutspendern (Panel Reaktiver Antikörper, PRA)
Standard zur Vorhersage des immunologischen Risikos einer humoralen Abstoßung, wobei ein negativer LCTCrossmatch obligat ist (Patel R, N Engl
J Med 280[14]:735-9, 1969). Im LCT
wird die HLA-Bindung von komplementaktivierenden IgG1,3 und IgMHLA-Antikörpern gegen SpenderLymphozyten durch Lyse der Zielzelle
detektiert. Eine genauere Differenzierung wird durch getrennte Reaktion gegen separierte T- und B-Lymphozyten
des Spenders erreicht, da T-Lymphozyten nur HLA-Klasse I-Antigene, BLymphozyten jedoch HLA-Klasse I
und II-Antigene exprimieren.
In den 90er Jahren wurde mit der ELISA-Technik die erste Festphase-Technik etabliert. Hierbei werden auf Plastikoberflächen immobilisierte HLAAntigene mit Serum inkubiert, und
gebundene HLA-Antikörper mittels eines enzymgekoppelten anti-IgG-Sekundär-Antikörpers detektiert. Revolutioniert wurde die HLA-Antikörpermessung schließlich durch die Einführung
Nr. 2, 2012
der Luminex-Technologie. Hierbei dienen fluoreszierende Mikropartikel als
Festphase, die mit HLA-Antigenen beschichtet sind. Nach Inkubation mit Serum werden die gebundenen HLA-Antikörper durch Zugabe eines fluoreszierenden anti-IgG-Sekundärantikörpers
auf den unterschiedlich fluoreszierenden Mikropartikeln in einem Ansatz
durchflusszytometrisch detektiert. Im
Format des Single-Antigen-Test ermöglicht die Beschichtung von Mikropartikeln mit HLA-Antigenen einer Spezifität die Detektion von HLA-Antikörpern gegen einzelne Antigene (z. B.
jeweils nur HLA-A2; -B18,; -Cw4; DR13; -DQ6 oder -DP18) bzw.
HLA-Allele (z. B. DRB1* 01:03).
Aufgrund der hohen Sensitivität und
nicht nachgewiesener Komplementbindungsfähigkeit wird die klinische Relevanz der Luminex-Technologie für den
Transplantationsausgang gegenwärtig
noch kontrovers diskutiert. Ein Teil der
im Luminex nachweisbaren HLA-Antikörper korreliert nicht mit einem positiven LCT-Crossmatch vor Transplantation (Ferrari-Lacraz, Tissue Antigens
79:315-325, 2012). Jedoch zeigen ausschließlich im Luminex detektierbare
donorspezifische HLA-Antikörper vor
Transplantation die Sensibilisierung gegen HLA-Merkmale des Spenderorgans an und sind prädiktiv für eine signifikant erhöhte Inzidenz Antikörpervermittelter Abstoßungsreaktionen in
der Frühphase nach Nierentransplantation (Amico, Transplantation 15; 85
[11]:1557-63, 2008). Der Gehalt an
HLA-Antikörpern im Serum kann anhand der mittleren Fluoreszenz-Inten-
Fischland-Symposium
sität (MFI) semiquantitativ abgeschätzt
werden und scheint prognoserelevant
zu sein, was widersprüchliche Studienergebnisse teilweise erklären könnte
(Gloor JM, Am J Transplant 10:582,
2010).
In der Praxis werden einmal pro Quartal HLA-Antikörper bei Patienten auf
der Warteliste gemessen, um aktuelle
HLA-Antikörperspezifitäten zu identifizieren, die bei Eurotransplant als
unakzeptable Antigene hinterlegt werden, um die größtmögliche Kompatibilität (negativer Crossmatch) der Organangebote für jeden einzelnen Patienten
zu gewährleisten. Dieses Verfahren wird
als virtueller Crossmatch bezeichnet.
Für hochsensibilisierte Patienten stehen aufgrund der breiten HLA-Sensibilisierung grundsätzlich weniger potentiell kompatible Nierenspender zur
Verfügung, gegen die ein Crossmatch
negativ ausfallen würde. Zudem bestehen bei hochsensibilisierten Patienten,
die auch als „high Responder“ klassifiziert werden, auch bei negativem Crossmatch höhere Abstoßungsraten und geringeres Organüberleben verglichen mit
nicht-sensibilisierten Transplantatempfängern (Lachmann N, Transplantation
87:1505, 2009). Für hochimmunisierte
Patienten ermöglicht das „Acceptable
Mismatch Program“ von Eurotransplant durch die Definition von akzeptablen Antigenen, gegen die der Empfänger nicht immunisiert wurde und aktuell keine Antikörper zeigt, die
maximale Kompatibilität der Organangebote, um Abstoßungen nach Transplantation zu minimieren (Claas FH,
Transplantation 88[4]:447-52, 2009).
Den betreffenden Patienten werden zudem Organe mit maximal 1 HLA Klasse A oder B plus einem DR-Mismatch
oder 2 DR-Mismatchen angeboten, um
das unabhängig von gemessenen Donor-spezifischen Antikörpern auch generell erhöhte Abstoßungsrisiko zu verringern (Claas F, Transplantation 78(2):
190-3, 2004).
Während ein positiver Crossmatch im
LCT gegen Gesamt-Lymphozyten
oder T-Lymphozyten des Spenders unverändert eine Kontraindikation gegen
eine Transplantation darstellt, kann ein
positiver Crossmatch gegen getrennte
B-Lymphozyten des Spenders unter der
Maßgabe nicht nachweisbarer Donorspezifischer HLA-Antikörper im Luminex-Assay erwogen werden. Hochimmunisierte Patienten sollten eine intensivierte Immunsuppression mit
Lymphozyten-depletierenden Antikörpern erhalten (Brennan DC, N Engl
JMed 355:1967–1977, 2006).
Auch im Verlauf nach Nierentransplantation haben HLA-Antikörperbestimmungen als Biomarker neue diagnostische Möglichkeiten eröffnet. Das Vorliegen von Donor-spezifischen Antikörpern nach Transplantation wurde in
eigenen Studien (Lachmann N, Transplantation 87:1505-13, 2009) und Studien anderer Autoren (Terasaki PI,
Transplantation 80:1194-7, 2005; Wiebe
C, Am J Transplant 12[5]:1157-67, 2012;
Sellarés J, Am J Transplant, 12[2]:38899, 2012) mit geringerem TransplantatNr. 2, 2012
überleben assoziiert. In der klinischen
Routine erfolgt die HLA-Antikörperbestimmung in unserem Zentrum gegenwärtig bei Verdacht auf Antikörpervermittelte Abstoßungen, für deren
Diagnose die Messung zirkulierender
Donor-spezifischer Antikörper Voraussetzung ist (Solez K, Am J Transplant 8[4]:
753-60, 2008). Prospektive Studien werden zukünftig bereits frühzeitig anhand
neuaufgetretener Donor-spezifischer
Antikörper nach Transplantation die
Intensität unterschiedlicher immunsuppressiver Schemata vergleichen können.
Zusammenfassung:
Während der LCT-Crossmatch vor
Transplantation Standard für Patienten mit nachgewiesenen lymphozytotoxischen HLA-Antikörpern
bleiben sollte, werden die neuen Festphasetechniken zunehmend zur Definition des individuellen immunologischen Risikos eines Patienten vor
Transplantation und damit zur Auswahl eines personalisierten, immunsuppressiven Therapieschemas beitragen. Hochimmunisierte Nierentransplantatempfänger können unter
Berücksichtigung inakzeptabler Antigene mit geringem HLA-Mismatch
und intensivierter Immunsuppression zufriedenstellende Abstoßungsund Transplantations-Überlebensraten erreichen.
Dr. med. Peter Nickel1
Dipl.-Ing. Nils Lachmann2
Dr. rer. nat. Constanze Schönemann2
Prof. Dr. Petra Reinke1
1
2
Medizinische Klinik mit
Schwerpunkt Nephrologie
und Internistische Intensivmedizin
Gewebetypisierungslabor
Charité Universitätsmedizin Berlin
Campus Virchow-Klinikum
Berlin
[email protected]
Fischland-Symposium
Renale Anämie: Guidelines versus Praxis
Die renale Anämie ist eine häufige
Komplikation bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung und betrifft
Stadium-abhängig nicht-dialysepflichtige Patienten, Dialysepatienten und
nierentransplantierte Patienten. Die
Behandlungsmöglichkeiten sind vielfältig und die Behandlungsziele werden im klinischen Alltag von Arzt
zu Arzt und von Patient zu Patient
unterschiedlich gesehen und unterschiedlich beansprucht.
Tabelle 1: KDIGO - Use of iron treat anemia in CKD
2.1.2:
For adult CKD patients with anemia not on iron or ESA therapy we suggest a trial of iv
iron (or in CKD ND patients a 1-3 month trial of oral iron therapy) if (2C) :
■
an increase in Hb concentration without starting ESA treatment is desired and
TSAT is ≤ 30% and ferritin is ≤ 500 ng/ml
2.1.3:
For adult CKD patients on ESA therapy, who are not receiving iron supplementation, we
suggest a trial of iv iron (or in CKD ND patients a 1-3 month trial of oral iron therapy) if
(2C) :
■
an increase in Hb concentration or a decrease in ESA dose is desired and TSAT is
≤ 30% and ferritin is ≤ 500 ng/ml
Fallbeispiel 1
Vorgestellt wird eine 35-jährige asymptomatische Patientin mit einem Serum-Kreatinin von 2,3 mg/dl, einer
errechneten glomerulären Filtrationsrate (GFR) von 43,6 ml/min/1,73 m²
(CKD-Stadium 3b), Hämoglobin
10,7 g/dl, Ferritin 40,2 ng/ml und
CRP 0,62 mg/dl.
Die therapeutischen Überlegungen
waren wie folgt:
1. Beginn einer oralen Eisentherapie
(z. B. mit Eisensulfat), um einen
möglichen absoluten Eisenmangel
(bei Normalpersonen <30 ng/ml
Ferritin) zu verhindern bzw. einen
absoluten Eisenmangel (bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung <100 ng/ml Ferritin)
rechtzeitig zu korrigieren.
2. Intravenöse Eisentherapie bei den
künftig etwa vierteljährlichen Kontrollen in unserer Ambulanz, um
eine effektive Eisentherapie (bei
liegender Nadel durch die Blutentnahme) ohne gastrointestinale Beeinträchtigung der Patientin sicherzustellen.
Tabelle 2: Common oral iron preparations
(Alleyne M et al, Am J Med 121:943-948, 2008)
Preparation
Ferrous sulphate
Ferrous gluconate
Ferrous fumarate
Dose (mg)
Elemental Iron
Content (mg)
5.000-mg Dose
Cycle (Tablets)
324
300
100
65
36
33
75
140
150
3. In der gegenwärtigen Situation besteht kein Bedarf für eine Anämietherapie. Viel wichtiger ist der Fokus auf eine optimale Blutdruckeinstellung, die Reduktion der
Proteinurie und Albuminurie bzw.
die Korrektur der metabolischen
Azidose sowie eine Normalisierung der Kalzium-, Phosphat- und
25(OH)D-Werte.
4. Eine Therapie der renalen Anämie
bei der asymptomatischen Patientin möge man beginnen, sobald die
Hämoglobinwerte <9,5 g/dl abfallen. Die renale Anämie könne dann
je nach Bedarf mit Eisen (oral oder
intravenös) und/oder Erythropoiese-stimulierenden Agenzien
(ESA) intravenös oder subkutan
erfolgen.
Nr. 2, 2012
Was empfehlen die Guidelines (KDIGO)?
(siehe Tabelle 1)
Je nach oralem Eisenpräparat sind die
Dosierungen, der Gehalt an sogenanntem „elementarem“ Eisen pro
Tablette und damit die Zahl der Tabletten für eine orale Eisenzufuhr von
beispielsweise 5.000 mg stark unterschiedlich (Tabelle 2).
Da intestinal etwa 5-10% der oral eingenommenen Eisenmenge resorbiert
wird und pro Tag nicht mehr als 200
mg an „elementarem“ Eisen oral empfohlen werden, bietet sich zunächst
für Fallbeispiel 1 eine orale Eisentherapie mit 3x1 Tablette Eisensulfat 324
mg („elementares“ Eisen 60 mg pro
Tablette) für einen Monat an.
Fischland-Symposium
Fallbeispiel 2
Patientin M. A., geboren am 6.5.1988,
St. p. Nierentransplantation durch
Lebendnierenspende am 24.3.2010
wegen terminaler Niereninsuffizienz
aufgrund einer polyzystischen Nierendegeneration. Serum-Kreatinin aktuell 1,01 mg/dl.
11.04.2012:
Ferritin 22,6 µg/l, TSAT (Transferrinsättigung) 4,4%, Hämoblogin 12,5 g/
dl, Hämatokrit 37,8%, Erythrozyten
5,0 T/l, MCV 75,4 fl, MCH 25,0 pg,
Symptome des Eisenmangels, daher
bei den multiplen pleiotropen Effekten von Eisen Therapie mit Eisen(II)Sulfat 105 mg 1x1 Tablette pro Tag
für 4 Wochen.
15.05.2012:
Ferritin <8 µg/l (unter der Nachweisgrenze), TSAT 10,7%, Hämoglobin
11,8 g/dl, Hämatokrit 36,6%, Erythrozyten 4,8 T/l, MCV 75,8 fl,
MCH 24,4 pg, daher Indikationsstellung für eine intravenöse Eisentherapie mit Eisensucrose.
erkrankung, vor allem aber bei Dialysepatienten, die intravenöse Eisentherapie effektiver als die orale Eisensupplementierung ist. Eine Indikation für
die intravenöse Eisentherapie ergibt
sich daher bei Patienten mit
■ absolutem Eisenmangel,
■ inadäquatem oder fehlendem Ansprechen auf eine orale Eisentherapie,
■ der Notwendigkeit für eine rasche
Korrektur des Eisenmangels oder
eines Hb-Abfalls,
■ Inflammation (wo mit Anstieg von
CRP und proinflammatorischen
Zytokinen Hepcidin-vermittelt Eisen intestinal nicht resorbiert wird).
KDIGO empfiehlt keine routinemäßige Eisentherapie bei Patienten mit
einer TSAT >30% oder bei Patienten mit einem Serum-Ferritin >500
ng/ml. Begründet wird diese Empfehlung damit, dass Benefit und Risiken einer derartigen Therapie bei
dieser Konstellation unzureichend studiert seien.
Niedermolekulares Eisendextran
Eisenglukonat
Eisensucrose (Eisensaccharat)
Iron Sucrose Similars (ISS)
Eisen-Polymaltose
(Carboxymaltose)
Eisen-Isomaltose
Eisen - HES
Ferumoxytol
Diese vorsichtige Zurückhaltung einer (vor allem) intravenösen Eisentherapie gegenüber bei TSAT >30%
oder Ferritin >500 ng/ml ist eher neu.
Die European Best Practice Guidelines (Locatelli F, Nephrol Transplant
Dial 19[Suppl 2]:ii1-47, 2004) hatten
TSAT-Werte von 20-50 % für eine
möglichst optimale Bereitstellung von
Eisen vor und nach Beginn einer Therapie mit ESA empfohlen. In der täglichen Praxis hat sich dann jedoch gezeigt, dass TSAT-Werte >30% häufig
nur dann zu erzielen sind, wenn Ferritin-Werte von 500 ng/ml überschritten werden.
Multiple Studien haben gezeigt, dass
bei Patienten mit chronischer Nieren-
Gibt es eine Evidenz-basierte Obergrenze für Ferritin? Meines Wissens
Für die intravenöse Eisentherapie
stehen gegenwärtig und in naher
Zukunft eine Reihe von Eisenpräparaten zur Verfügung:
■
■
■
■
■
■
■
■
Nr. 2, 2012
nicht. Es gibt eine Reihe von CoMorbiditäten, bei denen Ferritin
nichts oder fast nichts mit dem Eisenhaushalt zu tun hat, sondern eher
als Akute-Phase-Protein fungiert,
z. B. bei
■ Malnutrition
■ Chronischen Lebererkrankungen
■ Malignen Erkrankungen
■ Inflammation
■ Infektion
Nach KDIGO soll die Gabe von
Eisen bei aktiven systemischen Infektionen vermieden werden. Gründe dafür sind unter anderem Wachstum,
Vermehrung und Zunahme der Virulenzeigenschaften von Mikroorganismen. Registerdaten aus den USA belegen darüber hinaus, dass bei etwa
60% der Hämodialysepatienten Ferritin-Werte von 500 ng/ml überschritten werden.
Sind diese Patienten dadurch gefährdet? Retrospektive Daten bei 58.058
chronischen Hämodialysepatienten
zeigen eine Zunahme der Sterblichkeit erst bei Ferritin-Werten >1200
ng/ml (Abb. 1). Prospektive Patientendaten diesbezüglich fehlen.
KDIGO empfiehlt bei der Erstdosis
von Eisendextran (aber auch bei
Nicht-Dextran-Eisenpräparaten) die
Verfügbarkeit von Medikamenten (bei
Bedarf zur Wiederbelebung) und von
Personen, die bezüglich Diagnosestellung und Therapie schwerer Nebenwirkungen intravenös verabreichter
Eisenpräparate erfahren sind. Für Eisendextran ist eine Testdosis zwingend
vorgeschrieben (anaphylaktische Reaktionen können allerdings bei negativer Reaktion auf die Testdosis auch
später auftreten), für Eisensucrose
wird eine Testdosis empfohlen (siehe
Fischland-Symposium
Beipackzettel), wird aber in der klinischen Routine praktisch nie durchgeführt, da schwere Nebenwirkungen
bei sachgemäßer Anwendung (z. B.
100 mg über 10 Min. injiziert) außerordentlich selten sind.
KDIGO empfiehlt eine ESA-Therapie bei Hämoglobin-Werten zwischen
9,0 und 10,0 g/dl, um einen Hämoglobin-Abfall <9,0 g/dl zu vermeiden.
Bei transplantierten Patienten war bei
Hämoglobin-Werten von 9,5 g/dl die
HR-Ratio für die Mortalität 3,5 (95%
CI, 2,0-6,0) ohne ESA-Therapie,
aber 8,0 (95% CI 3,1-20,6) mit ESATherapie im Vergleich zu Patienten
mit Hämoglobin-Werten von 12,5 g/
dl. Hämoglobin-Werte ohne ESATherapie von 14 g/dl bzw. 15,5 g/dl
nach Nierentransplantation waren mit
einer um 30% niedrigeren Mortalität
(HR 0,7 [95% CI 0,4-1,5] bzw. HR
0,7 [95% CI 0,3-1,6]) assoziiert, während Hämoglobin-Werte von 14 g/dl
bzw. 15,5 g/dl mit ESA-Therapie mit
einer deutlichen Zunahme der Mortalität assoziiert waren (HR 2,8 [95%
CI 1,0-7,9] bzw. HR 4,7 [95% CI
1,4-16,2]) (Heinze G, Br Med J 339:
b4018, 2009). Diese Daten sprechen
dafür, dass
a) die Anämie per se einen Risikofaktor für nierentransplantierte Patienten darstellt,
b) Hämoglobin-Werte über den
empfohlenen Zielbereich hinaus
keinen Risikofaktor darstellen, sofern sie nicht durch eine ESATherapie erzielt worden sind.
Offensichtlich sind nicht die Hämoglobin-Werte das Problem, sondern
die ESA-Therapie. Bedingt durch
vermehrte cerebrovaskuläre Ereignisse bei nicht-dialysepflichtigen Dia-
Abb. 1: Multivariate adjusted association between serum ferritin and all-cause
mortality: Quarterly serum ferritin and 2-year survival in 58.058 MHD patients
(Kalantar-Zadeh K et al, Clin J Am Soc Nephrol 1:S9-S18, 2006).
betikern unter ESA-Therapie empfiehlt KDIGO eine Zurückhaltung
mit der ESA-Therapie bei Patienten
mit Schlaganfall in der Anamnese,
aber auch bei Patienten mit aktiver
maligner Erkrankung, bedingt durch
tendenziell mehr Malignome unter
ESA-Therapie (bei allerdings kleiner
Fallzahl).
Für die Therapie der renalen Anämie
stehen uns verschiedene kurz- und
langwirksame ESA-Präparate zur
Verfügung (Tab. 3), wobei KDIGO
eine Wahl des ESA-Präparates nach
pharmakokinetischen Daten, Sicherheitsaspekten, Outcome-Daten, Kosten und Verfügbarkeit empfiehlt. Die
Verwendung von Biosimilars wird
empfohlen, wenn diese von unabhängigen Regulierungsbehörden geprüft
und freigegeben worden sind. Sind die
Ergebnisse der großen ESA-Studien
zum Vorteil oder Nachteil für die Patienten mit nicht-dialysepflichtigem
Nr. 2, 2012
chronischen Nierenversagen und für
Dialysepatienten? Teilweise ja, teilweise nein. Hämoglobin-Werte zwischen 9,5 und 11,5 g/dl sind nicht für
alle Patienten optimal. Diesbezüglich
lässt KDIGO auch „Spielraum nach
oben“. Schließlich sind nicht alle unsere Patienten bettlägerig.
Mit einer gewissen Ernüchterung
muss man zur Kenntnis nehmen, dass
in der TREAT-Studie im PlazeboArm 496 und im Aranesp-Arm 297
Bluttransfusionen stattgefunden haben (Pfeffer MA, N Engl J Med 361:
2019-2032, 2009), Therapiemaßnahmen, die wir als längst hinter uns gelassen angesehen haben. Auf diese Art
und Weise hat wenigstens ein Teil der
Patienten der TREAT-Studie Eisen
für die Erythropoese erhalten. Eine
intravenöse Eisentherapie hatten lediglich 20,4% der Patienten im Plazebo-Arm und 14,8% der Patienten
im Aranesp-Arm erhalten.
Fischland-Symposium
Warum Werte für die TSAT
von 20-30%?
Tabelle 3: Therapie der renalen Anämie
Kurzwirksame Erythropoese stimulierende Agenzien (ESA)
Eine TSAT von 20-30% soll zunächst
eine adäquate Bereitstellung von Eisen für die Erythropoese (±ESATherapie) garantieren. Unabhängig
vom Serum-Ferritin sind TSAT-Werte <15% mit einer erhöhten Sterblichkeit assoziiert (Kovesdy CP, Clin J Am
Soc Nephrol 4:435-441, 2009). Bei 453
Patienten mit nicht-dialysepflichtiger
chronischer Niereninsuffizienz hatten
etwa 2/3 der Patienten eine TSAT
<20%.
Ähnlich sind die Daten unserer Ambulanz: Von 2754 Patienten mit nichtdialysepflichtiger Nierenerkrankung
am AKH Wien haben nach bislang
unveröffentlichten Daten etwa 50%
der Patienten TSAT-Werte <20%.
Der Eisenbedarf ist offensichtlich bei
Patienten mit chronischer Nierenerkrankung erheblich, vorausgesetzt, die
gegenwärtig festgesetzten Werte für
TSAT (20-30%) und Ferritin (100500 ng/ml) gelten tatsächlich für alle
Patienten (stadienunabhängig?) mit
chronischer Nierenerkrankung.
KDIGO ersetzt nicht die Visiten
Wer regelmäßig seine Patienten visitiert (und damit kennt), wird wissen,
wie viele seiner Patienten/innen trotz
KDIGO (oder anderer Empfehlungen) (viel) zu hohe oder (viel) zu niedrige Eisenparameter und Hämoglobin-Werte haben.
Persönlich lasse ich mir im Einzelfall
individuelle Hämoglobin-Werte jenseits der KDIGO-Empfehlung nicht
nehmen. Offensichtlich sind weniger
die Hämoglobin-Werte als vielmehr
■
■
■
■
■
■
■
Epoetin alfa
Epoetin beta
Epoetin delta
Epoetin theta
Epoetin zeta
Epoetin alfa biosimilars (EMA, FDA)
„Follow-on epoetins“ (hergestellt in Asien, Afrika, Latein-Amerika, im Mittleren Osten)
Langwirksame ESA
■
Darbepoetin alfa
■ Continuous Erythropoietin Receptor Activator (C.E.R.A.)
■ Hematid (Peginesatid)
die (hochdosierte) ESA-Therapie das
Problem. Evidenz-basierte FerritinWerte gibt es bei chronischer Nierenerkrankung weder für die Untergrenze
noch für die Obergrenze. Ausgehend
von Ferritin als Akute-Phase-Protein
wurde die Untergrenze für Ferritin
etwa 3-fach im Vergleich zu Normalpersonen erhöht.
Wieviel nicht-dialysepflichtige Patienten mit chronischer Nierenerkrankung haben (stadienunabhängig) erhöhte CRP-Werte? Braucht wirklich
jeder Patient (stadienunabhängig) Ferritin-Werte zwischen 100 und 500 ng/
ml und eine TSAT zwischen 20 und
30%? Noch weniger Evidenz-basiert
ist die obere Ferritingrenze. Unklar ist
auch – bei den vielen pleiotropen Effekten von Eisen – inwieweit Anämie-unabhängig ein Eisenmangel der
Korrektur bedarf. Nach wie vor offen
sind mögliche Risiken einer Übertherapie mit Eisen bezüglich
■ Inflammation/Infektion
■ oxidativem Stress
■ kardiovaskulärer Komplikationen
■ Malignomentstehung (DNA-Damage)
Nr. 2, 2012
und last but not least
■ bezüglich möglicher renaler Komplikationen.
Gut nachvollziehbar, dass sich KDIGO
bei dieser unsicheren Datenlage auf
die Empfehlung
■ Ferritin 100-500 ng/ml und
■ TSAT 20-30% zurückgezogen hat.
Im Einzelfall müssen auch diese
Richtwerte in der täglichen Praxis immer wieder überschritten werden.
Prof. Dr. Dr. Walter H. Hörl, FRCP
Med. Univ.-Klinik III
Klinische Abteilung für
Nephrologie und Dialyse
AKH Wien
[email protected]
Fischland-Symposium
Cardiorenales Syndrom:
Die Rolle des Solisten FGF23 im Konzert der LVH
Im Vergleich zur Normalpopulation
haben Patienten mit chronischem
Nierenleiden (Chronic Kidney Disease, CKD) eine signifikant erhöhte
Wahrscheinlichkeit, kardiovaskuläre
Erkrankungen (Cardiovascular Disease, CVD) zu entwickeln, welche
wiederum einen Risikofaktor für progressiven Nierenschaden darstellen.
Diese pathophysiologische Verflechtung von Niere und Herz, CKD und
CVD, wird Cardiorenales Syndrom
(CRS) genannt.
Das Vorliegen einer CKD erhöht das
Risiko für frühzeitigen Tod, und in allen Stadien der CKD ist CVD hierfür die Hauptursache. Patienten mit
Nierenversagen haben eine jährliche
Mortalitätsrate von 20%, die damit
etwa 10-100 mal höher liegt als die in
der Normalbevölkerung. Dialyse-Patienten im Alter zwischen 25 und 34
Jahren haben im Vergleich zu gleichaltrigen, gesunden Individuen sogar
eine etwa 375-fach erhöhte Wahrscheinlichkeit zu sterben. Linksventrikuläre Hypertrophie (Left Ventricular Hypertrophy; LVH) ist ein
wichtiger Pathomechanismus im CRS
und führt zu diastolischer Dysfunktion, Herzrhythmusstörungen, Herzversagen und plötzlichem Herztod.
Der plötzliche Herztod ist die Haupttodesursache bei Dialysepatienten mit
einer Rate von „Out-of-Hospital
Deaths“ von bis zu 25% innerhalb von
5 Jahren nach Beginn der Dialyse-Behandlung.
Obwohl es in der CKD-Population
eine hohe Prävalenz von konventionellen CVD-Riskofaktoren gibt (wie
z. B. Bluthochdruck, Diabetes, LipidAbnormalitäten, Rauchen, Entzündung), ist das Verhältnis zwischen diesen Faktoren bei CKD-assoziierter
LVH weniger klar als in der generellen
Population. Zum Beispiel existieren
bei Dialyse-Patienten inverse Verhältnisse zwischen Cholesterol-Spiegeln
oder Blutdruck und der Mortalitätsrate. Allgemein angewandte LVHTherapien, wie Blutdrucksenkung mittels Diuretika oder Hemmung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems,
sind beim CRS nur teilweise effektiv
und erfolgreich. Dialyse-Patienten, die
einen Defibrillator eingesetzt bekommen haben, und dies selbst nach myokardialem Infarkt, haben keine Vorteile von dem Eingriff. Es ist daher
anzunehmen, dass die molekularen
Mechanismen, die der LVH und dem
plötzlichen Herztod bei Dialyse-Patienten unterliegen, sich von den Faktoren
unterscheiden, die Herzmuskelerkrankungen in Individuen ohne vorausgehende Nierenschädigung verursachen.
Die physiologischen Zusammenhänge im CRS erscheinen sehr kompliziert, und das Syndrom wird wahrscheinlich von einer Vielzahl verschiedener Faktoren verursacht bzw.
vorangetrieben. Bis heute sind die
molekularen Mechanismen, die dieser pathologischen Kommunikation
zwischen Niere und Herz unterliegen,
unbekannt. Da ein dysregulierter PhosNr. 2, 2012
phat-Stoffwechsel stark mit der CKDProgression, der Entwicklung von
CVD und erhöhter Mortalität verknüpft ist, wird die Senkung von Serumphosphat-Konzentrationen als
vielversprechendes Target für die Intervention bei CKD angesehen.
Fibroblast Growth Factor 23 (FGF23)
ist ein Hormon, das vom Knochen abgegeben wird und SerumphosphatSpiegel reguliert. FGF23 erhöht die
Phosphat-Exkretion durch die Niere
und durch die Senkung von Calcitriol-Konzentrationen die PhosphatAufnahme durch den Darm, und
senkt damit Serumphosphat-Konzentrationen. Aufgrund der verminderten Kapazität der Niere, Phosphat abzugeben, steigen FGF23-Serumspiegel im Verlaufe der CKD bereits früh
an. Obwohl diese progressive, sekundäre FGF23-Zunahme dazu dient,
Serumphosphat-Konzentrationen auf
normalem Niveau zu halten, haben
neue prospektive, humane Studien demonstriert, dass FGF23-Spiegel dosis-abhängig mit einem erhöhten
Mortalitäts-Risko bei Dialyse-Patienten, Prädialyse-Patienten, Nierentransplantierten und sogar Individuen
ohne CKD assoziiert sind.
Erhöhte FGF23-Serumspiegel sind
unabhängig assoziiert mit einem erhöhten Risko für LVH, die einen
wichtigen Aspekt der CVD und der
darauf basierenden Todesursache bei
CKD-Patienten darstellt. Als Mechanismus, um diese robuste Assoziation
Fischland-Symposium
mit der erhöhten Mortalität zu erklären, wurde die Hypothese aufgestellt,
dass FGF23 direkt zur Entwicklung
von LVH in CKD-Patienten beitragen kann. Allerdings haben noch bis
vor kurzem experimentelle Beweise
für solch eine Hypothese gefehlt.
Myokardiale Hypertrophie ist ein essentieller, adaptiver Prozess, durch
welchen das Herz auf eine Vielzahl
von mechanophysikalischem, metabolischem und genetischem Stress
reagiert. Im hypertrophen Gewebwachstum nimmt die Masse und nicht
die Zahl der Zellen zu, wodurch die
Zahl der Sarkomere, der kontraktilen
Bausteine von Myozyten, ansteigt,
und die Kontraktionskraft und Pumpfunktion des Herzens erhöht wird.
Physiologische Hypertrophie fungiert
als eine angemessene Antwort auf
ausgiebige körperliche Betätigung
oder tritt auch während der Schwangerschaft auf, und sie entwickelt sich
vollständig und ohne bleibende Veränderungen zurück, wenn der Stimulus abgeklungen ist.
Im Gegensatz dazu wird die pathologische Hypertrophie durch neurohumorale Faktoren wie Adrenalin oder
Angiotensin II, Bluthochdruck oder
myokardiale Verletzungen ausgelöst.
In diesem Fall geht die Zunahme der
Zellmasse einher mit der Aktivierung
von fetalen Genprogrammen, Kollagen-Ablagerungen im Myokardium,
Apoptose von Kardiomyozyten und
der Proliferation und Infiltration von
Fibroblasten. Dies führt zu einer Abnahme der Herzfunktion und erhöht
daher das Riskio für Herzversagen
und maligne arrhythmische Störungen.
Die Rolle von FGF23 als Knochenabgegebenes, Phosphat-regulierendes
Hormon unterscheidet sich signifikant von den anderen Mitgliedern der
FGF-Familie, die meist als auto- oder
parakrine Faktoren wirken. Im Vergleich zu diesen „klassischen“ FGFs,
wie z. B. FGF2 (auch basisches FGF
oder bFGF genannt), hat FGF23 aufgrund von topologischen Unterschieden in seiner Heparin-Bindungsstelle reduzierte Bindungsaffinität für
Heparin und Heparan Sulfat Proteoglykan (HSPG). Diese biochemische
Besonderheit ermöglicht es dem
FGF23 nicht von der extrazellularen
Matrix gebunden zu werden, sodass
es als endokriner Faktor fungieren
kann. Dies bedeutet aber auch, dass
FGF23 reduzierte Affinität für FGFRezeptoren (FGFR) besitzt, da klassische FGFs Heparin als Co-Rezeptor benötigen, um effektiv an FGFR
zu binden und diese zu aktivieren. Es
wird angenommen, dass FGF23 anstelle von Heparin/HSPG das Transmembranprotein Klotho als Co-Rezeptor benötigt, der die Affinität von
FGF23 für FGFR signifikant erhöht.
Die Kombination aus FGFRs, die in
jedem Zelltyp und Organ exprimiert
werden, zusammen mit Klotho, welches nur in ganz spezifischen Geweben vorkommt, definiert den distalconvoluten Tubulus in der Niere, die
Nebenschilddrüse und die Hypophyse als FG23 Zielorgane.
Im Vergleich zu den anderen FGFabhängigen Signaltransduktionswegen ist nur sehr wenig über die Signalkaskaden bekannt, die durch
FGF23-FGFR-Klotho aktiviert werden. In diesem Zusammenhang erscheint FGF23 hauptsächlich Ras und
Mitogen-Aktivierte Protein Kinase
(MAPK) zu aktivieren. Mausexperimente, bei denen FGF23 intravenös
Nr. 2, 2012
injiziert wurde, konnten zeigen, dass
Ras/MAPK-Aktivierungen etwa 3060 Minuten nach Injektion nur in der
Niere, Nebenschildddrüse und Hypophyse stattfanden. Aufgrund der identischen Verteilungsmuster von Klotho-Expression und Ras/MAPK-Aktivierung in diesen Tiermodellen hat
man angenommen, dass MAPK der
Hauptvermittler der FGF23-Effekte
ist, und dass die MAPK-Aktivierung
und die Anwesenheit von Klotho exklusive Indikatoren dafür sind, dass
ein Organ auf FGF23 reagieren kann,
bzw. dass deren Abwesenheit zeigt,
dass ein Organ nicht als FGF23-Target fungieren kann (Faul C, Current
Opinion in Nephrology and Hypertension, May 2012).
Die Rolle von FGFs im adulten Herz
und eventuelle Zusammenhänge mit
CVD wurden bisher kaum untersucht.
Dies kann wohl dadurch erklärt werden, dass bis heute keine klinischen
Studien, die humane CVD mit Veränderungen in FGF/FGFR-Expressionsleveln und/oder Aktivität in Verbindung bringen, vorhanden sind. Aus
zellbiologischer Sicht ist diese Tatsache überraschend, da Herzmuskelzellen verschiedene FGFRs exprimieren,
und Zellkulturexperimente in den frühen 90er Jahren gezeigt haben, dass
FGF2 hypertrophes Wachstum von
Kardiomyozyten induzieren kann. Da
Klotho nicht im Herzen exprimiert
wird und die beschriebenen FGF23Injektionen in Mäusen nicht zur
MAPK-Aktivierung im Herzmuskel
führen, ging man lange davon aus,
dass FGF23 das Herz nicht direkt
schädigen und LVH induzieren kann.
Aufgrund der signifikanten Verknüpfung von FGF23-Serumleveln, CKD-
Fischland-Symposium
Progression und der Entwicklung von
LVH haben wir die Hypothese aufgestellt, dass FGF23 dennoch direkt
am Herzmuskel ansetzen kann (Faul C,
Journal of Clinical Investigation, 2011).
In der Tat konnten wir in einer vor
kurzem veröffentlichten, translationalen Studie zeigen, dass FGF23 direkt LVH auslösen kann. Wenn isolierte Kardiomyozyten aus neugeborenen Ratten mit FGF23 behandelt
wurden, vollzogen diese innerhalb von
48 Stunden ein Größenwachstum, das
begleitet war von Veränderungen in
der Genexpression, die charakterisisch
sind für pathologische LVH.
Wenn FGF23 direkt in das Myokardium von gesunden Mäusen injiziert
wurde, entwickelten diese innerhalb
von 14 Tagen eine massive LVH, wobei die Seren dieser Tiere keine Veränderungen der FGF23-, Phosphatoder Parathormon-Serumkonzentrationen aufwiesen. Wenn FGF23 intravenös in die Mausschwanzvene injiziert wurde (10 mal über 5 Tage verteilt), entwickelten die Tiere ebenfalls
eine ausgeprägte LVH. Auch genetisch-veränderte Mäuse ohne Klotho,
was ein etabliertes Tiermodell für erhöhte FGF23-Serumspiegel begleitet von frühzeitiger Alterung darstellt,
entwickeln LVH, und das Ausmaß
der Herzventrikel-Verdickung korreliert mit den unterschiedlichen
FGF23-Konzentrationen in heteround homozygoten Mäusen. Schlussendlich konnten wir zeigen, dass Ratten nach 5/6-Nephrektomie, ein klassisches Tiermodell für CKD, nach
Entnahme eines Großteils beider Nieren innerhalb von 14 Tagen LVH entwickelten, was auch zu einer etwa 10fachen Erhöhung der FGF23-Level
führte. Interessanterweise konnten wir
die Entstehung der LVH in diesen
Tieren unterbinden, wenn wir diese
einmal täglich intraperitoneal mit einem FGFR-Inhibitor injiziert hatten.
Diese Behandung führte allerdings
nicht zu einer Absenkung der FGF23Serumspiegel oder des erhöhten Blutdruckes oder zu einer Verbesserung
der Nierenfunktion.
Unsere Entdeckung, dass in einem
klassischen CKD-Tiermodell die
FGFR-Inhibition zu einer Reduzierung der LVH führt, ohne dabei den
Blutdruck zu senken, dass also anscheinend Hypertension und LVH
voneinander entkoppelt wurden, zeigt,
dass der Bluthochdruck, selbst ein
potenter Induktor der LVH, in der
Entwicklung der LVH in diesem
Tiermodell nicht involviert ist. Dieses
Ergebnis unterstützt die generelle Annahme, dass bei CRS, bei welchem das
Verhältnis zwischen traditionellen
CVD-Risikofaktoren wie Hypertension und pathologischem Effekt auf
den Herzmuskel weniger eindeutig ist
als in der Allgemeinbevölkerung, spezifische molekulare Faktoren mit dem
Nierenschaden verbunden sind, die
direkt Schäden am Herzmuskel auslösen können – und wir postulieren,
dass FGF23 eventuell solch ein pathologischer Faktor ist.
tiert hiermit den ersten Klotho-unabhängigen FGF23-Effekt. Während
unsere Studie einen eindeutigen Effekt von FGF23 auf das Herz aufzeigt, bleiben weitere Fragen offen:
■
■
■
Sind die Kardiomyozyten das wirkliche/einzige FGF23-Target im
Herzen, oder sind auch andere Zellen betroffen (wie z. B. Fibroblasten), die das FGF23-Signal empfangen können und dann mit den
Herzmuskelzellen kommunizieren?
Wirkt FGF23 gar nicht direkt auf
das Herz sondern auf andere Organe, die dann Faktoren unbekannter Art abgeben, welche dann das
Herz angreifen?
Sind die FGF23-induzierten Schäden irreversibel und führen sie zum
Verlust von Kardiomyozyten und
schließlich zum Herzversagen?
Unsere zukünftigen Studien zielen darauf hin, den FGF23-Rezeptor im
Herzen zu identifizieren. Wir postulieren, dass dessen pharmakologische
Blockade eventuell die Entstehung
der LVH bei CKD-Patienten unterbinden kann. Falls der FGF23-Rezeptor im Herz nicht identisch mit
dem in der Niere ist, hätte man damit
die einmalige Option, die pathologischen Effekte von FGF23 zu inhibieren, wohingegen man die physiologischen intakt lässt.
Zusammenfassend können wir sagen,
dass der detektierte FGF23-Effekt in
isolierten Kardiomyozyten Klothounabhängig ist und nicht den Ras/
MAPK-Signalweg involviert. Wir
konnten zeigen, dass stattdessen die
calcineurin/NFAT-Signalachse aktiviert wird, welche im Herzen detailliert als Hypertrophie-induzierter Weg
beschrieben ist. Unsere Studie präsenNr. 2, 2012
Christian Faul, Ph.D.
Assistant Professor of Medicine/
Nephrology and Cell Biology
Division of Nephrology and
Hypertension, Department of
Medicine and Department of Cell
Biology and Anatomy
University of Miami Miller School
of Medicine
Miami, Florida, USA
[email protected]
Kongresse
■ 9. Workshop Ultraschalldiagnostik
bei Nieren- und Hochdruckkrankheiten
22. – 23. Juni 2012
Städtisches Klinikum Karlsruhe
KARLSRUHE, Deutschland
Information: Akademie für Fort- und
Weiterbildung
Nieren- und Hochdruckkrankheiten
Tel.: +49 / 211 / 600 692 97 oder 99
[email protected]
www.akademie-niere.de
■ 10. Experten-Meeting Dialyse
■ Gemeinsame Jahrestagung der Österreichischen
Gesellschaft für Hypertensiologie und der
Österreichischen Gesellschaft für Nephrologie
7. – 8. September 2012
Seifenfabrik
GRAZ, Österreich
Information: Ärztezentrale med.info
Tel.: +43 / 1 / 531 16-32
[email protected]
www.hochdruckliga.at
www.niere-hochdruck.at
■ ISN Nexus 2012:
Pro & Contra in der aktuellen Nephrologie
Schwerpunkt Knochen und Nieren
23. Juni 2012
Victor's Residenz-Hotel Erfurt
ERFURT, Deutschland
Information: Frau Susanne Kühn
Tel.: +49 / 361 / 781-5251
[email protected]
20. – 23. September 2012
Arni Magnussons Gade 2-4
KOPENHAGEN, Dänemark
Information: Jenny Bateman
Tel.: +32 / 2 / 213 13 57
[email protected]
■ 4th International Symposium on Molecular
Targets in Renal Disease
22. – 24. Juni 2012
BAMBERG, Deutschland
Information: Friedrich-Alexander-Universität
Erlangen-Nürnberg
Tel.: +49 / 9131 / 85 43098
[email protected]
■ Intensivkurs Nephrologie/Diabetologie
29. – 30. Juni 2012
WEIMAR, Deutschland
Information:
Berufsverband Deutscher Internisten e. V.
Tel.: +49 / 611 / 18133-22, -24
[email protected] www.bdi.de
■ 9th International Lübeck Conference on the
Pathophysiology and Pharmacology of Erythropoietin
and other Hemopoietic Growth Factors
13. – 15. Juli 2012
Universität zu Lübeck
LÜBECK, Deutschland
Information: www.physio.uni-luebeck.de
■ Kongress für Nephrologie 2012
6. – 9. Oktober 2012
CCH Congress Center Hamburg
HAMBURG, Deutschland
Information:
Aey Congresse GmbH
[email protected]
www.aey-congresse.de
■ 45th Annual Meeting and Scientific
Exposition of the American Society
of Nephrology and Renal Week
30. Oktober - 4. November 2012
SAN DIEGO/CA, USA
Information: www.asn-online.org
■ 43rd Course on advances in nephrology,
dialysis and transplantation
8. – 11. Dezember 2012
Centro Congressi Milan Marriott Hotel
MILAN, Italien
Information:
www.fondazionedamico.org
Nr. 2, 2012
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