Die SchatzinSel 9+ - Theater an der Parkaue

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Die SchatzinSel 9+ - Theater an der Parkaue
Die
Schatzinsel
9+
von Robert Louis Stevenson in einer Fassung von Albrecht Hirche
BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK
D ie S c h atzi n sel
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Es spielen
Matthias Bernhold
Birgit Berthold
Stefan Kowalski
Johannes Hendrik Langer
Hagen Löwe
Florian Pabst
Thomas Pasieka
Andrej von Sallwitz
Matthias Bernhold, Stefan Kowalski,
Johannes Hendrik Langer, Florian Pabst
Andrej von Sallwitz, Stefan Kowalski
Hagen Löwe, Matthias Bernhold,
Johannes Hendrik Langer
Florian Pabst, Matthias Bernhold
Matthias Bernhold
Johannes Hendrik Langer, Matthias Bernhold
Stefan Kowalski
Matthias Bernhold, Birgit Berthold,
Florian Pabst, Hagen Löwe
Ganzes Ensemble
Albrecht Hirche
Kathrin Krumbein
Matthias Bernhold
Karola Marsch
Chiara Galesi
Anne Richter
Jutta Rutz
Eddi Damer
Marc Lautner
Rainer Pagel
Sebastian Köster
Jens Blau
Ilonka Schrön
Marit Buchmeier
Konstantina Dacheva
Premiere: 14. Juni 2013
Bühne 1
ca. 145 Minuten mit Pause
Premierenklasse: 7c der Georg-BüchnerOberschule Berlin-Lichtenrade
Black Dog, Rafael Morgan
Long John Silver
Vater, Kapitän Alexander Smollett
Dr. Livesey
Bill Bones, Betrunkener Steuermann, Ben Gunn
Black Spot, Israel Hands
Jim Hawkins
Squire Trelawney
Chor der Mitarbeiter des THEATER AN DER PARKAUE
Die Band:
Akustische Gitarre
Akustischer Bass
Schlagzeug
Maultrommeln
Flöten, Rassel, Bühnengewichte
Singender Spachtel
Zimbel
Solo-Gesang
Chor
Regie
Bühne + Kostüme
Musik
Dramaturgie + Theaterpädagogik
Regieassistenz
Inspizienz
Soufflage
Technischer Direktor
Bühnenmeister
Licht
Ton- und Videotechnik
Requisite
Maske
Mitarbeit Theaterpädagogik
Ausstattungsassistenz
Film- und Fotoaufnahmen während der Vorstellung sind
nicht gestattet.
Wir danken Wolfgang Crom, Leiter der
Kartenabteilung der Staatsbibliothek
zu Berlin, für die Nutzung der
historischen Karten.
D ie S c h atzi n sel
Inhalt
Einführung 4
Über den Autor 6
Zur Geschichte der Piraterie 7
Die Kolonialisierung Amerikas durch Spanien und Portugal 8
Frankreich und England im Kampf um die Schätze 9
Wirtschaftliche und politische Funktionen des Seeraubs 11
Piratenleben, Piratenordnung, Piratensymbole 13
Leben unter Piraten 13
Die zehn Gebote der Piraten 15
Die Flaggen der Piraten 15
Schatzinseln, Piratenschätze 16
Unterrichtsprojekt: Mythos Schatz 18
Unterrichtsprojekt: Gemeinschaften auf engstem Raum 20
Kritik: Neues Deutschland, 27. Juli 2013 21
Quellenangaben 22
Hinweise für den Theaterbesuch 23
Impressum 24
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D ie S c h atzi n sel
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Einführung
„Ein jeder kennt sie, die säbelschwingenden, bunt
gewandeten Glücksritter, die den Stoff für so viele
Abenteuerromane und Hollywood-Streifen lieferten.
Piraten besitzen nach wie vor eine seltsame Anziehungskraft, denn malerische Segelschiffe auf azurblauer See, waghalsige Entermanöver und jaulende
Kanonenkugeln unter tropischer Sonne, vergrabene
Schätze auf einsamen Inseln und wilde Zechgelage
in finsteren Kaschemmen rufen bei vielen Menschen
den Traum von einem abenteuerlichen, freien und
ungebundenen Leben wach.“, so beginnen Marco
Carini und Flora Macallan ihr sehr lesenswertes und
informatives Buch „Piraten. Die Herren der sieben
Weltmeere“. (Im Folgenden sind sehr viele Textpassagen zur Piraterie, dem Piratenleben und -alltag
entnommen, die Quelle ist am Ende angegeben.)
Und ja, wir möchten ihnen in allen Punkten zustimmen. Auch auf uns im THEATER AN DER
PARKAUE haben die Piraten und vor allem Robert
Louis Stevensons Geschichte „Die Schatzinsel“ seit
langem eine große Faszination ausgeübt: Die mit
Abenteuern gespickte Salzluft des Meeres, durchtriebene Machenschaften, ein Kampf auf Leben und Tod
– das ist, was uns die Helden fiebrig verfolgen lässt.
Allen voran war es Jim Hawkins, der unser Interesse
erweckte. Im Zentrum von Stevensons Geschichte
steht der Junge auf Beobachtungsposten, um herauszufinden, was in der Erwachsenenwelt um ihn herum
vor sich geht. Doch sehr schnell ist er gezwungen,
seine Distanz aufzugeben. Der alte Seemann Billy
Bones zieht ihn mitten hinein in das Geschehen um
alte Rechnungen und Kämpfe, Jagden und vergrabene Schätze. Und jetzt schlägt Jims Stunde. Er
wird aktiv und handelt. Ohne Jim keine Schatzkarte,
keine Enttarnung von Käptn Long John Silver, keine
Begegnung mit dem ausgesetzten Ben Gunn, keine
Hispaniola, dem abenteuerumwehten Segelschiff
dieser Reise. Es ist eine Emanzipations- und Initia-
tionsgeschichte, die Stevenson 1881 als Mehrteiler
in der Zeitschrift „Young Folks“ begann. Während
die Sqires und Käptains in ihren Verhaltensmustern
verharren, unterwandert Jim Hawkins die Konstellationen. Die Fronten brechen, Sieg und Niederlage
werden neu verteilt.
Das ist natürlich ein Stoff, der unbedingt auf eine
Bühne gehört, die dafür steht, Theaterkunst für
Kinder und Jugendliche zu schaffen. Mit Albrecht
Hirche haben wir einen Regisseur und Bearbeiter
des Stoffes gefunden, der sehr eindringlich den dem
Roman innewohnenden Situationen und Kräfteverhältnissen zwischen den Figuren nachspürt. So
steht neben Jims Geschichte, der die Ereignisse
durch seine Erzählhaltungen und Erzählperspektiven
zusammenhält, sehr stark der Machtkampf zwischen
Piraten und Offizieren einerseits und Long John
Silvers und seiner Mannschaft andererseits im Zentrum. Über welche Fähigkeiten und charismatischen
Eigenschaften muss ein Kapitän verfügen, um seine
Leute dazu verleiten zu können, dem Goldschatz
bis zum Letzten, bis zum Kampf auf Leben und Tod
hinterherzurennen? Dass ein Junge ihm dabei in die
Quere kommen und alles ins Wanken bringen würde,
ist nicht, womit John Silver gerechnet hat.
Es ist eine äußerst spannungsgeladene Theaterinszenierung, in der das Abenteuer der Schatzsuche nur
der Anlass ist, über die Fallhöhen menschlichen
Verhaltens in außergewöhnlichen und extremen
Situationen zu verhandeln. Wie verhalte ich mich
angesichts der Aussicht auf einen unermesslichen
Schatz, der Reichtum, Auskommen und Erfüllung aller Wünsche verspricht; wie die Gier verbergen; wie
auf den Schatz verzichten, wenn er in unerreichbare
Ferne rückt; ab wann ist ein Mensch käuflich und
welchen Preis ist er für die Aussicht auf einen Schatz
zu bezahlen bereit?
D ie S c h atzi n sel
Wir wünschen Ihnen und Ihren Schülern einen
bewegenden und aufregenden Theaterbesuch. Für
Ihre Fragen, Ihre Anmerkungen, Ihr Lob, Ihre Kritik
erreichen Sie mich unter [email protected].
Mit freundlichen Grüßen,
Karola Marsch
Dramaturgin und Theaterpädagogin
Tel. 030 – 55 77 52 -30
[email protected]
Thomas Pasieka, Hagen Löwe
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Über den Autor
Robert Louis Stevenson wurde am 13. November
1850 in Edinburgh als Sohn einer Ingenieur- und
Leuchtturmbauerfamilie geboren. Zu gern hätte der
Vater seinen Sohn in seinen Fußstapfen gesehen,
aber Robert Louis Stevenson litt Zeit seines Lebens
an Lungenkrankheiten und Tuberkulose. Das schottische Klima setzte ihm zu und die Krankheit fesselte
ihn immer wieder ans Bett. Auf Wunsch des Vaters
begann er ein Technikstudium, brach es aber aufgrund seines Gesundheitszustandes ab und wechselte
zur Rechtswissenschaft. Aber eigentlich fesselte ihn
die Literatur. Der Vater akzeptierte den Wunsch des
Sohnes Schriftsteller zu werden nur unter der Bedingung, wenn dieser eine abgeschlossene Ausbildung
vorlegen könne. 1875 legt er die Abschlussprüfung
ab und kann sich nun an Anwalt vor den Obergerichten nennen. Die Übertragung von Fällen lehnt er
allerdings ab und widmet sich dem Schreiben. Und
entdeckt seine Leidenschaft fürs Reisen.
„For my part, I travel not to go anywhere, but to go.
I travel for travel‘s sake. The great affair is to move.“
(„Ich für meinen Teil, ich reise nicht, um irgendwohin
zu gehen, sondern um zu gehen. Ich reise um des Reisens willen. Die große Sache ist, sich zu bewegen.“)
1878 lernt er in Frankreich die amerikanische
Malerin Fanny Osbourne kennen, die allerdings
verheiratet ist. Er folgt ihr in die Vereinigten Staaten.
Aufgezehrt durch die lange Reise und die erneut
ausbrechende Krankheit, langt er mit Müh und Not
in San Francisco an. Fanny Osbourne hat zwei Kinder, ihren Sohn Lloyd und ihre schon erwachsene
Tochter Belle. Nach der Scheidung von ihrem ersten
Mann werden Robert Louis und Fanny ein Ehepaar.
Sie reisen zu seinen Eltern und verbringen einige
Zeit in Europa. In einem kleinen Hochlanddorf in
Schottland landen sie schließlich. Als er sich hier
eine starke Erkältung zuzieht und keine Wanderungen unternehmen kann, verbringt er viel Zeit mit
Lloyd und beginnt die Karte einer Insel zu malen.
Diese Insel erregt seine Phantasie außerordentlich.
Er sieht Hafenplätze vor sich, ein Gewimmel von
Matrosen und Seeleuten, eine abenteuerliche Reise.
Sein Held soll in Lloyds Alter sein und so schafft er
den Jungen Jim Hawkins. Jeden Tag schreibt er ein
Kapitel, das er am Abend der Familie vorliest. Alle
verfolgen gespannt den Hergang, entzünden sich
selbst an der Geschichte, spekulieren über Wendungen. Dann ereilt Stevenson eine Schreibhemmung.
Erst ein Kuraufenthalt in den Schweizer Bergen
nach einem Schwächeanfall bringt die nötige Schreibenergie zurück und hier vollendet er den Roman.
Zunächst erschien er als Fortsetzungsroman in einer
Jugendzeitschrift. 1883 erschien er dann als gebundene Ausgabe. Er wurde ein Bestseller und verkaufte
sich bereits nach wenigen Jahren mit 75000 Exemplaren.
Am 28. Juni 1888 verlässt Robert Louis Stevenson
mit seiner Familie Europa in Richtung Südsee in der
Hoffnung, dort ein besseres Klima für sein Leiden
zu finden. 1891 lassen sie sich auf Samoa nieder.
Hier stirbt Robert Louise Stevenson am 3. Dezember
1894.
Zu seinen wichtigen Werken gehören neben der
„Schatzinsel“ u.a. auch „Der schwarze Pfeil“, „Entführt. Die Abenteuer des David Balfour“, „Dr. Jekyll
und Mr. Hide“ und zahlreiche Erzählungen wie „Der
Selbstmörderclub“, „Der Pavillon in den Dünen“
und „Die Tür des Sire Malétroit“.
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Andrej von Sallwitz, Thomas Pasieka, Johannes Hendrik Langer
Zur Geschichte der Piraterie
Die Geschichten der Seefahrt und des Seeraubs
sind seit 5000 Jahren untrennbar miteinander
verknüpft, denn seit Waren über die Meere
verschifft werden, versuchen Piraten, ihrer
habhaft zu werden. In dieser langen Zeit haben
sich natürlich die Waffen, die Strategien und die
Schiffe der jeweiligen Entwicklung angepasst,
das Ziel jedes Seeraubs blieb aber über alle Ländergrenzen und Epochen hinweg das gleiche,
denn bis heute ist der Wunsch nach schnellem
Reichtum die Haupttriebfeder für die oft blutigen Überfälle auf hoher See.
Piraterie erblüht vor allem dort, wo Seehandelsrouten durch Meerengen und an Küsten vorbei
führen, ob im Mittelmeer oder in der indonesischen Inselwelt, am Persischen Golf oder auch
in der Karibik. Und dort, wo – wie zu Beginn
der Neuzeit in den überseeischen Kolonien
Europas – auf staatlichen Auftrag hin Bodenschätze und andere Reichtümer ausgebeutet
wurden, die man dann über die Ozeane in die
Mutterländer schaffte, gingen auch Piraten gern
auf Beutezug. [...]
Im frühen 17. Jahrhundert bildete sich die Kari-
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bik als konkurrenzloses Zentrum der Seeräuberei heraus – Vergleichbares hatte es in der Geschichte der Piraterie bis dahin nicht gegeben.
Geografischer Mittelpunkt war dabei zunächst
die Insel Hispaniola, die heute in die Staaten
Haiti und Dominikanische Republik geteilt ist.
Eine besondere (und besonders heikle) Form der
Seeräuberei war das Kaperwesen – bis weit in
die Neuzeit hinein bedienten sich die über Jahrhunderte in Kriege verstrickten europäischen
Staaten immer wieder gern der Unterstützung
von Seeräubern, um ihren jeweiligen Gegnern
zu schaden. Könige, Fürsten und Gouverneure stellten bereitwillig Kaperbriefe aus, die es
den Piraten gestatteten, mit amtlicher Billigung
feindliche Schiffe zu überfallen und zu plündern. Kaperbriefe waren sehr lange Bestandteil
des internationalen Rechts und schützten ihre
Besitzer in ihren Herkunftsländern vor Anklage,
Verurteilung und Galgen. Die mit der Lizenz
zum Töten und Rauben versehenen Freibeuter
mussten allerdings im Gegenzug große Teile
ihrer Beute an die Amtsträger abführen, die sie
unterstützten. Für alle großen Seefahrernationen stellten Piraten eine billige Ergänzung ihrer
Kriegsmarinen dar, wodurch die rechtlichen und
moralischen Grenzen zwischen Seekrieg und
Seeraub, zwischen militärischen oder seemännischen Glanzleistungen und verabscheuungswürdigen Verbrechen verschwommen. Denn von
den Seinen bisweilen als Kriegs- und Freiheitsheld gefeiert, war der Kaperfahrer für die
Gegenseite meist nur ein Räuber und Mörder,
der den Tod verdiente.
Die Bezeichnung Bukanier (Frz. „Boucanier“)
bedeutet soviel wie „Fleischräucherer“ und
leitet sich vom indianischen Wort „buccan“ oder
auch „mukem“ ab. So bezeichneten die karibischen Ureinwohner Hispaniolas, die ArawakIndianer, ein Räucherhaus, in dem sie in Streifen
geschnittenes Fleisch räucherten, um es haltbar
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zu machen. Diese Technik wurde von den europäischen Einwanderern übernommen. Von den
Spaniern wurden die Bukanier auch Flibustier
genannt. Der Name lehnt sich an das französische Wort „Fibot“ an, was soviel wie „kleines
Boot“ bedeutet, und verweist auf die wendigen
Piraguas, mit denen die Küstenbewohner vorbeifahrende Schiffe kaperten.
Die Kolonialisierung Amerikas durch
Spanien und Portugal
Nach Entdeckung der Neuen Welt im Jahr 1492
verbanden Europas Händler, Siedler, Herrscher
und Glücksritter immense Erwartungen mit den
unerforschten Territorien, machten doch Nachrichten von unvorstellbaren Schätzen an Gold
und Silber die Runde – der Goldschatz Moctezumas ist noch heute ein Begriff.
Kolumbus‘ Entdeckung hatte zur Folge, dass
der neue Kontinent rücksichtslos geplündert
wurde. Alte Hochkulturen wie die der Inka und
Azteken wurden in kürzester Zeit zerstört und
die indianische Bevölkerung versklavt, um Bodenschätze abzubauen.
Zuerst gierten die Konquistadoren nur nach den
bereits vorhandenen Goldwaren, doch schon in
den 40er Jahren des 16. Jahrhunderts versiegten
diese indianischen Quellen, und die Goldwirtschaft musste auf den teuren Bergbau ausweichen. Ein anderes Edelmetall rückte nun mehr
und mehr in den Vordergrund: Silber – die Mine
in der Stadt Potosi lieferte 1550 mehr Silber als
der Rest der Welt zusammen.
Spanien und Portugal teilten die Neue Welt
unter sich auf und wurden durch die Reichtümer
Amerikas zu Weltmächten, was die europäischen Nachbarn mit Neid und Missgunst registrierten; da sie sich aber vorerst keinen offenen
Krieg gegen die iberischen Staaten leisten
konnten, schickten sie gegen sie inoffiziell ihre
Freibeuter in See, die insbesondere den spa-
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nischen Schatzflotten und Kolonien schweren
Schaden zufügten.
Das spektakulärste Unternehmen der sogenannten Conquista – der Eroberung und Erschließung des mittel- und südamerikanischen Festlands – war die Vernichtung des Aztekenreichs
durch Hernán Cortés. Den aus einer wohlhabenden spanischen Adelsfamilie stammenden
und auf Kuba zu Vermögen gelangten Cortés
verlockte die Kunde vom sagenhaften Goldschatz des Aztekenherrschers Moctezuma dazu,
eine unter dem Kommando des Gouverneurs
von Kuba, Diego de Velázquez, stehende Expedition zu verlassen und mit seinen Getreuen
im Februar 1519 zum mexikanischen Festland
aufzubrechen. Dort gründete er zunächst die
Stadt Veracruz, wo er sich von seinen Männern
zum Obersten Richter wählen ließ, um sich der
Befehlsgewalt von Velázquez zu entziehen.
Nach Betreten des Festlands soll er seine Boote
verbrannt haben, um eine Umkehr unmöglich
zu machen. Von diesem Moment an blieb den
wenigen Spaniern nur noch die Eroberung des
fremden Landes.
Ein Großteil des Aztekenschatzes, den Cortés
geraubt hatte, wurde 1523 von dem französischen Korsaren Jean Fleury erbeutet, der die
Schatzschiffe auf ihrem Weg nach Spanien
aufbrachte. Unzählige Kisten und Säcke mit
Goldschmuck, Edelsteinen, Silber und indianischen Schmuckgegenständen gaben den Berichten über die unermesslichen Schätze der Neuen
Welt weitere Nahrung.
Frankreich, England und die Niederlande
Die drei aufstrebenden Seemächte Frankreich,
England und die Niederlande wollten nach der
Entdeckung Amerikas eine spanisch-portugiesische Alleinherrschaft über die Neue Welt verhindern. Andererseits widerstrebte es ihnen, mit
den iberischen Kolonialherren Handel zu treiben
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– zumal Spanien und Portugal erzkatholische,
England und die Niederlande hingegen (sowie
Frankreich zeitweilig) protestantische Länder
waren.
Offen konnten diese drei Nationen wenig gegen
die übermächtigen Iberer ausrichten – inoffiziell
hingegen sehr viel, indem sie den unerklärten
Krieg in die Hände von Freibeutern legten, die
zwar ohne formelle Freibriefe ihrer Herkunftsländer unterwegs waren, hinter den Kulissen
jedoch für ihre Taten gefeiert und gedeckt
wurden.
Vom Ende des 16. Jahrhunderts an begann die
Macht Spaniens auf den Meeren allmählich
zu schwinden und französische, niederländische und später vor allem englische Freibeuter
überfielen immer häufiger die schwerfälligen
spanischen Schatzschiffe und griffen sogar große Hafenstädte wie Cartagena, Maracaibo und
Portobello an.
Die von 1558 bis 1603 regierende Königin Elisabeth I. sanktionierte die Beutezüge der englischen Seefahrer durch geheime Freibriefe, doch
schon zuvor hatten Überfälle durch englische
Schiffe stattgefunden, die von der Krone oder
dem Adel ausgerüstet worden waren; die Finanziers erhielten dafür einen fest vereinbarten Teil
der Beute. Aber es war ein Vabanquespiel: Der
Gewinn konnte gewaltig ausfallen, zugleich war
das Risiko eines Totalverlustes enorm, denn viele Schiffe verschlang die See und etliche Freibeuter endeten in spanischen Kerkern, auf dem
Scheiterhaufen oder als Sklaven auf Plantagen
und in Bergwerken.
Die Angriffe der englischen Piraten richteten
sich weniger gegen die spanischen Schiffe, als
gegen die reichen Hafenstädte Westindiens,
wie man die Karibik damals nannte. Angesichts
der immensen wirtschaftlichen und politischen
Bedeutung überseeischer Territorien ging es
dem Königshaus darum, die spanische Vormacht
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in Amerika zu brechen – um damit zugleich das
große Gewicht Spaniens in Europa zu schmälern, das auf den Schätzen aus der Neuen Welt
beruhte. Die von der Krone geduldeten Kaperfahrten der „Sea Dogs“ – so nannte man die
Freibeuter, deren bekannteste Drake, Raleigh
und Hawkins waren – sorgten für 10 – 15 Prozent der auswärtigen Einnahmen Englands.
Während des 17. Jahrhunderts war der karibische Raum zwischen den Kolonialmächten
hart umkämpft, denn Engländer, Franzosen und
Holländer versuchten mit bewaffneten Expeditionen, aber auch mithilfe einheimischer Piraten, die Vorherrschaft Spaniens in der Region
zu brechen, um hier eigenen wirtschaftlichen
Interessen nachzugehen. Immer wieder kam es
zu großen Seeschlachten und kleineren Scharmützeln zwischen den Kolonialmächten, wobei Westindien besonders umkämpft war, jene
karibische Inselgruppe, zu der die Antillen/
Kuba, Jamaika, Hispaniola und Puerto Rico),
die Bahamas sowie Trinidad und Aruba zählen.
Da die Spanier zu wenige Streitkräfte hatten, um
die gesamte karibische Inselwelt zu verteidigen,
gelang es den anderen Staaten immer wieder,
einzelne Inseln zu erobern und dort Stützpunkte
für den Seehandel und von ihnen geduldete
Schmuggelaktivitäten einzurichten. Die Engländer nahmen zunächst Barbados (1625) und
Jamaika (1655) in Besitz, die Franzosen 1636
Guadeloupe, Martinique und die Westhälfte Haitis, während es den Niederländern 1634 gelang,
auf Curacao Fuß zu fassen.
Durch ihre zügellosen Raubzüge wurden die
Bukanier für Frankreich und England bald zum
willkommenen Verbündeten im Kampf gegen
die Vorherrschaft Spaniens in der Neuen Welt.
In den letzten zwei Dritteln des 17. Jahrhunderts nutzten die beiden Mächte die Piraten als
militärische Hilfstruppe, um die Spanier durch
Überfälle und Plünderungen zu schwächen.
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Als Erste spannten die Franzosen die Freibeuter für ihre Ziele ein, denn nachdem sie 1636
auf mehreren Inseln der Kleinen Antillen Fuß
gefasst hatten, führten sie einen fortwährenden
Seekrieg gegen die spanische Kolonialmacht.
Viele der Gouverneure, die Frankreich in der karibischen Inselwelt einsetzte, gingen bald dazu
über, nicht nur ihre eigenen Freibeuterflotten
mit Kaperbriefen auszustatten, sondern entsprechende Blankovollmachten auch an bukanische
Piraten zu verteilen. So machten sie die „Brüder
der Küste“ zu ihrer maritimen Hilfstruppe und
schickten sie auf Kaperfahrt.
Es war ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die
Überfälle der Bukanier waren nun rechtlich
abgesegnet, während die französischen Gouverneure einen Teil der erbeuteten Frachten
erhielten – einige brachten es so zu ungeheurem
Reichtum. Dabei kümmerten sie sich kaum darum, ob die Piraten tatsächlich über Kaperbriefe
verfügten, solange sie nur französischen (oder
eigenen) Interessen dienten.
Selbstverständlich wussten sich auch die Engländer der Flibustier zu bedienen und schlossen
mit ihnen, nachdem eine vom englischen Diktator Oliver Cromwell ausgesandte Expeditionstruppe 1655 die Karibikinsel Jamaika von den
Spaniern erobert hatte, einen Pakt: Jeder Pirat,
der bereit war, spanische Schiffe oder Siedlungen zu überfallen, wurde umstandslos mit
entsprechenden Kaperbriefen ausgestattet. Damit wuchs sich der Seeraub in den karibischen
Gewässern – unterstützt durch Kaufleute und
Kolonialbeamte – zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig und zu einem wichtigen Instrument der Kolonialpolitik aus. Denn während die
englische Regierung sich offiziell den Anschein
gab, das Verhältnis zu Spanien entkrampfen zu
wollen, deckten ihre Gouverneure in den karibischen Kolonien die Beutezüge der Bukanier
gegen die Handelsschiffe der Iberer. Zunehmend
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zerflossen so die Grenzen zwischen Kaperei und
Piraterie, Recht und Unrecht.
Tatsächlich ging der Plan der englischen Regierung überraschend schnell auf und führte zu
einer folgenreichen Spaltung der Piratenbruderschaften. Viele Seeräuber, darunter selbst berüchtigte Kapitäne wie Henry Jennings und Ben
Hornigold, nahmen das Amnestieangebot an und
entsagten dem Seeraub, während andere, wie
etwa Charles Vane, ihr Jagdrevier einfach an die
nordamerikanische Küste oder nach Westafrika
und in den Indischen Ozean verlegten. Jene Seeräuber aber, die in ihren angestammten Gebieten
ihre Aktivitäten fortsetzten, mussten erleben,
dass man ihnen nun konsequent nachstellte,
wozu die Briten auch private Kopfgeldjäger engagierten, die gegen hohe Prämien bereit waren,
die Räuber der Meere zu jagen.
Wirtschaftliche und politische Funktionen
des Seeraubs
Nützlich waren Piraten den Kaufleuten vor
allem darin, die staatlichen Handelsbeschränkungen und Zölle, die den Warenaustausch
zwischen den Kolonien und ihren Mutterländern
hemmten, zu unterlaufen. So wurde der Warenverkehr mithilfe der Seeräuber zu einem großen
Teil auf profitable Schmuggelwege umgelenkt
und einflussreiche Händler scheuten sich nicht,
dazu mittellosen Piraten Kredite für die Ausrüstung ihrer Unternehmungen zu gewähren,
wenn sie sich im Gegenzug verpflichteten, bis
zu einem Viertel ihrer Beute an ihre Kreditoren
abzutreten. Daneben blühte ein reger Handel
mit den Seeräubern, die ihr Diebesgut verkaufen
wollten und umgekehrt zuverlässige Abnehmer
kolonialer Güter, etwa alkoholischer Getränke,
waren.
Da die Gewinnspannen in den Geschäften mit
den Piraten extrem hoch waren, kamen viele
dieser dubiosen Kaufleute in kürzester Zeit zu
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einem Reichtum, der ihnen auch Zugang zur
besseren Gesellschaft, zu Adelstiteln und begehrten Ämtern verschaffte. Manche Gouverneure wiederum stellten nicht nur großzügig
Kaperbriefe aus, für die sie im Gegenzug an
der Beute beteiligt wurden, sondern ließen sich
ein weiteres Mal bezahlen, wenn die Seeräuber
ihre Fracht in den Kolonialhäfen ungehindert
entladen wollten. Und wo immer sich in den
Kolonialgebieten ein freier Hafen zu einem florierenden Seeräubernest entwickelte, waren dort
bald auch selbstständige Kaufleute und Agenten
von Handelshäusern anzutreffen, die nicht allein
die Gesetzlosen mit Waffen, Munition, Schiffsausrüstung und Kleidung versorgten, sondern
in deren Hochburgen wie New Providence oder
Madagaskar sogar Umschlagplätze für den überaus lukrativen Sklavenhandel einrichteten, für
den Seeräuber die menschliche Ware beschafften.
Das ausufernde Treiben der Seeräuberbanden
brachte den regulären Handel in den karibischen, westindischen und nordamerikanischen
Gewässern fast zum Erliegen. Deshalb wurde
die Piraterie schließlich selbst für die Engländer,
die die Kaperei jahrzehntelang gefördert hatten,
politisch und wirtschaftlich ein unakzeptables
Ärgernis.
Der englische König Georg I. unterzeichnete am
5. September 1717 eine Generalamnestie, den
sogenannten „Act of Grace“, der jedem Seeräuber, der bereit war, binnen eines Jahres der
Piraterie abzuschwören, Straffreiheit für seine
bisherigen Taten zusicherte, während all jene,
die ihr Gewerbe nicht aufgeben sollten, eine
gnadenlose Verfolgung und der Tod durch den
Strang angedroht wurde.
Die Umsetzung beider Maßnahmen legte man
auf Betreiben einiger einflussreicher Londoner
Kaufleute und Reeder in die Hände des bekannten ehemaligen Freibeuters und Weltumseglers
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Woodes Rogers, den der König 1718 zum neuen
Gouverneur der Bahamas ernannte. Zugleich
wurden Kolonialbeamte, die nicht entschlossen
gegen die Seeräuber vorgingen, durch andere
ersetzt, die sich dem Act of Grace verpflichtet
sahen.
Aus: Marco Carini & Flora Macallan: Piraten.
Die Herren der sieben Weltmeere.
Parragon Books Ltd Bath, UK. Ohne Angabe des Jahres.
Matthias Bernhold, Birgit Berthold
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Piratenleben, Piratenordnung,
Piratensymbole
Leben unter Piraten
Während das Bukanierleben an Land von anarchischer Gesetzlosigkeit geprägt war, gab es für die
Bedingungen, unter denen ein Raubzug stattfand,
genaue Regeln. So einigten sich zu Beginn einer Kaperfahrt alle Teilnehmer auf einen Kapitän, auf das
Ziel der Fahrt und die Aufteilung des Proviants; die
Verteilung der künftigen Beute wurde ebenfalls verbindlich abgesprochen, bevor die Schiffe ablegten.
Vom Schiffsjungen bis zum Kommandeur wusste
also jedes Besatzungsmitglied, mit welchen Anteilen es rechnen konnte. Der Anführer erhielt dabei
in der Regel vier- bis sechsmal so viel Beutegut wie
ein gewöhnlicher Matrose. Diese strengen Regeln
– „chassepartie“ genannt – galten aber stets nur für
einen einzigen Raubzug und wurden vor jeder Fahrt
neu ausgehandelt.
Jeder Bukanier musste einen Bibelschwur auf dieses
„Gesetz der Küste“ ablegen, und Verstöße wurden
mit drakonischen Strafen geahndet. So wurden die
Küstenbrüder, die Beutegut unterschlugen oder gar
Kameraden bestahlen, laut Exquemelin „für immer
aus der Gemeinschaft der Seeräuber ausgeschlossen“
oder, nur mit etwas Trinkwasser und Munition sowie
einer Waffe ausgestattet, auf einer unbewohnten
Insel ausgesetzt. Eine solche Verbannung war gefürchteter als eine Hinrichtung, weil sie meist einen
qualvollen, langsamen Tod durch Verdursten oder
Verhungern bedeutete. Mit der Todesstrafe wurde
bedacht, wer sich im Kampf feige oder „unehrenhaft“ verhielt – die Strafe wurde von der Bordgemeinschaft des Piratenschiffes verhängt und meist
an Ort und Stelle vollstreckt. Man band dazu den
Verurteilten an einen Mast, und ein Kumpan, den er
selbst auswählen konnte, erschoss ihn.
Um Kumpane, die auf Beutezügen verletzt wurden,
zu unterstützen, führten die Bukanier eine Mischform aus Krankenversicherung und Berufsunfä-
higkeitsrente ein. Von der geraubten Beute wurde
jeweils ein eil für versehrte Piraten zurückgelegt.
Verlor zum Beispiel ein Bukanier im Kampf seinen
rechten Arm, standen ihm 600 spanische Silbermünzen oder sechs Sklaven zu. Der linke Arm brachte
nur 500 Geldstücke oder fünf Sklaven ein, während
der Verlust eines Beins mit 400 – 500 Silberlingen
und bis zu fünf Sklaven entschädigt wurde. Ein verlorenes Auge sicherte den Anspruch auf 100 Münzen
oder einen Sklaven.
Während das Gemeinschaftsleben der Bukanier
durchaus Züge einer demokratischen und gleichberechtigt organisierten Gesellschaft aufwies, ließen
die Piraten Außenstehende nicht in den Genuss
dieser Vorzüge kommen: Knechte, Sklaven und die
indianischen Ureinwohner beuteten sie gnadenlos
und brutal aus, und auch Frauen besaßen bei ihnen
lange keinerlei Rechte, während Gefangene einer
kaum vorstellbaren Grausamkeit ausgeliefert waren.
Auf den meisten Piratenschiffen herrschte eine
weitgehende Mitbestimmung, denn die Besatzungen wählten ihren Kapitän und die Offiziere selbst,
legten gemeinsam Strafen für mögliche Vergehen
an Bord fest und teilten die Beute nach zuvor genau
festgelegten Anteilen unter sich auf.
Bei der Wahl des Kapitäns besaß jedes Mitglied der
Mannschaft eine Stimme, und der auf diese Weise
ernannte Kommandant hatte zwar bei der Verfolgung
eines Beuteschiffs und im Kampf die Befehlsgewalt inne, genoss ansonsten aber keine besonderen
Privilegien und musste sich den Mehrheitsbeschlüssen an Bord beugen. „Sie erlauben ihm, Kapitän zu
sein, unter der Bedingung, dass sie auch Kapitän
über ihn sind“, kommentierte ein Zeitgenosse diese
Rätedemokratie, zu der auch gehörte, dass der Kommandant eines Schiffs an Bord nicht besser verpflegt
wurde oder untergebracht war als seine Leute –
Meutereien, die auf regulären Schiffen ein großes
Problem darstellten, erübrigten sich unter diesen
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Voraussetzungen auf Piratenschiffen weitgehend.
Außer durch ihre Vollversammlung beschränkte die
Mannschaft die jeweils befristeten Machtbefugnisse
ihrer Führung noch durch einen ebenfalls gewählten
Rat, dem die höchste Autorität an Deck zufiel, sowie
durch den von ihr bestimmten, ungemein wichtigen Quartiermeister, der den Proviant verwaltete,
Strafmaßnahmen leitete und schließlich die Beute
verteilte.
Diese gewissermaßen demokratischen Mitbestimmungsrechte waren ein wesentlicher Grund dafür,
Florian Pabst, Birgit Berthold
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dass insbesondere zahlreiche Seeleute zu den Piraten
überliefen, denn auf den Handelsfahrern und Kriegsschiffen des 17. und 18. Jahrhunderts waren die
Mannschaften einer gnadenlosen Disziplin unterworfen, während sie auf den Piratenschiffen, wo
schwarze Sklaven mit Arabern und Europäern unter
einer Flagge fuhren, als freie Männer die Hierarchie
an Bord selbst kontrollierten; ungeachtet ihrer Hautfarbe, Religion und Herkunft erlebten sie hier statt
eines fraglosen Systems von Befehl und Gehorsam
weitgehend demokratische Regeln.
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Die zehn Gebote der Piraten
Die Flaggen der Piraten
Die folgenden – leicht gekürzten – Regeln, die sich
eine Mannschaft gab, die unter der Führung des berühmten Piraten Bartholomew Roberts auf Beutezug
ging, erlauben interessante Einblicke in den Seeräuberalltag und die Organisation an Bord; sie wurden
durch die 1724 erschienene „General History of the
Pyrates“ von Charles Johnson überliefert.
Die bekannteste aller Piratenflaggen, die im englischsprachigen Raum „Jolly Roger“ oder „Black
Jack“ hieß, sollte dem Gegner vor allem Furcht
einflößen, denn wurde der Jolly Roger gehisst, war
das für ihn die Aufforderung, sich unverzüglich
kampflos zu ergeben.
Piraten wählten für ihre Flaggen häufig Motive, die
ihren Opfern schon aus der Distanz signalisierten,
welches Schicksal sie erwartete – so drohte ihnen
ein Totenkopf mit darunter befindlichem Stundenglas an, dass ihre Zeit abgelaufen sei und sie der Tod
erwarte, sofern sie nicht alsbald kapitulierten; und
wenn die Verfolgten kein schwarzes, sondern ein
blutrotes Banner erspähten, hieß das, dass die Angreifer keine Gefangenen machen und ihren Opfern
keine Gnade gewähren würden.
Die französischen Bukanier nannten das blutrote
Banner, das den auserkorenen Opfern signalisierte, dass sie nicht mit Gnade zu rechnen hätten, „la
Joli(e) rouge’re“ – die hübsche Rote. Die Engländer sollen daraus dann Jolly Roger gemacht haben,
wenngleich einige Forscher den Namen auf den
indischen Piraten Ali Rajah (König der See) zurückführen, den die Briten „Olly Roger“ aussprachen.
Nicht wenige Seeräuber (und auch Piratenjäger)
nutzten Flaggen gelegentlich taktisch, indem sie sich
ihren Opfern zunächst unter einer falschen harmlosen Fahne näherten, um erst dann, wenn der Gegner
nicht mehr entkommen konnte, die gefürchtete Piratenflagge zu setzen.
1. Jeder Mann hat bei allein anstehenden Entscheidungen Stimmrecht, und jeder hat das gleiche
Anrecht auf frischen Proviant und Schnaps.
2. Jeder Mann, der seine Kameraden bestiehlt, soll
ausgesetzt werden.
3. Niemand darf um Geld spielen, weder mit Karten noch mit Würfeln.
4. Die Lichter und Kerzen müssen um acht Uhr
abends gelöscht werden. Wenn Mitglieder der
Besatzung nach dieser Zeit noch trinken wollen,
sollen sie dies an Deck tun.
5. Gewehre, Pistolen und Entermesser sind jederzeit sauber und gefechtsbereit zu halten.
6. Es darf keine Frau und kein Junge an Bord sein.
Wer eine Frau an Bord lockt und verkleidet mit
auf See nimmt, hat sein Leben verwirkt.
7. Wer im Gefecht das Schiff oder seinen Posten
verlässt, wird mit dem Tode oder Auspeitschen
bestraft.
8. Raufereien sind an Bord verboten. Alle Streitigkeiten werden an Land ausgetragen.
9. Jeder, der ein Körperglied während eines
Kampfes verliert, erhält einen Extraanteil der
Beute.
10. Der Kapitän und der Quartiermeister erhalten je
zwei Teile an der Beute, Maat, Hauptkanonier
und Bootsmann 1 ½ Teile, Offiziere 1 ¼ Teile,
alle anderen Besatzungsmitglieder je einen Teil.
Aus: Marco Carini & Flora Macallan: Piraten.
Die Herren der sieben Weltmeere.
Parragon Books Ltd Bath, UK. Ohne Angabe des Jahres.
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Schatzinseln, Piratenschätze
Die legendären Schatzverstecke von Piraten beschäftigten seit jeher die Phantasie von Schriftstellern, Lesern und Glücksrittern, obgleich bislang nur von drei
Seeräubern bekannt ist, dass sie tatsächlich einen
Teil ihrer Reichtümer vergraben haben.
Statt es mühselig zu verstecken, machten die meisten
Piraten ihr Raubgut an Land möglichst schnell zu
Geld, das sie oft in kürzester Zeit wieder verschleuderten. Vergraben haben dagegen weit häufiger die
von Piraten bedrohten Küstenbewohner ihr Hab
und Gut, um es vor den Räubern in Sicherheit zu
bringen. Aus der Blütezeit der Piraterie ist lediglich
von William Kid (1645 – 1701) belegt, dass er einen
Schatz auf einer Insel verbarg und sogar eine Karte
über das Versteck anfertigte.
Unbeirrt von den Ergebnissen der historischen Forschung hoffen aber nach wie vor etliche Glücksritter,
durch einen Schatzfund reich zu werden, und suchen
etwa auf der Ostseeinsel Rügen nach den vermeintlichen Schätzen des norddeutschen Vitalienbruders
Klaus Störtebeker (ca. 1360 – 1401).
Auch die Kokosinsel, ein kleines Eiland vor der
Küste Mittelamerikas, wird unter Schatzsuchern
als wahrer Geheimtipp gehandelt, und in der Tat ist
bezeugt, dass der Bukanierkapitän Edward Davis
(ca. 1702 gestorben) dort einen Schatz versteckt hat,
ebenso wie der Pirat „Benito Benito“, von dem man
sogar weiß, dass er keine Gelegenheit fand, seine
Beute wieder abzuholen.
In ihrem Buch „Das Geheimnis der Schatzinsel.
Robert Louis Stevenson und die Kokosinsel – einem
Mythos auf der Spur“ beschreibt die promovierte
Botanikerin und Filmproduzentin Ina Knobloch, wie
sie mit dem Virus der Schatzsuche infiziert wurde.
Bereits ihr Vorwort gibt das auf wunderbare Weise
wieder:
Immer wieder ist die Schatzinsel aus Robert Louis
Stevensons gleichnamigem Roman mit der costaricanischen Kokosinsel in Verbindung gebracht
worden. Als ich vor über zwanzig Jahren für eine
wissenschaftliche Reportage in Costa Rica war,
sagte mir meine Intuition, dass die Kokosinsel Stevenson tatsächlich als Vorlage gedient haben musste.
Noch bevor ich einen Fuß auf die Insel gesetzt hatte,
packte mich das Schatzfieber wie ein Grippevirus.
Wobei mich die Vermutung, auf Stevensons Schatzinsel zu wandeln, mindestens genauso fesselte wie
die gigantischen Schätze an sich, die noch auf ihre
Entdeckung warteten. Der Gedanke, dass beides in
direktem Zusammenhang miteinander stehen musste, ließ mich nicht mehr los.
Es begann eine Jagd auf den Spuren Robert Louis
Stevensons und der Piraten und Schatzjäger, die ihr
Glück auf der Kokosinsel versucht hatten; sie führte
mich fast um den ganzen Globus. Unzählige lose
Enden der Schatzlegenden um die Kokosinsel und
Geschichten um Stevenson hielt ich in den Händen,
bis ich die richtigen Verbindungen fand und sie zu
meiner Theorie verknüpfen konnte.
Zwanzig Jahre nach meinem ersten Besuch auf der
Kokosinsel, im Sommer 2008, saß ich in Südfrankreich am Rande eines duftenden Lavendelfeldes
unweit der Chauvet-Höhle. Hätte mich ein paar Wochen zuvor jemand gefragt, was Südfrankreich mit
der Kokosinsel verbindet, ich hätte keine Antwort
darauf gewusst. Ich betrat die Höhlenausstellung
nahe dem Ufer des Wildwasserflusses Ardèche, ohne
auch nur einen Gedanken an die Schatzinsel zu
verschwenden. Doch es fiel mir wie Schuppen von
den Augen, als ich einen Text las, der etwa wie folgt
lautete:
„Zehntausende von Jahren blieb diese Höhle unentdeckt und verbarg die einzigartigen Schätze unserer
Vorfahren… Archäologen haben den da Vinci der Steinzeit gefunden…“
Die Höhlenmalereien, die vor noch nicht einmal
fünfzehn Jahren im Tal der Ardèche am Rande
des überfüllten Touristenortes Vallon-Pont-d’Arc
entdeckt wurden, sind die ältesten Kunstwerke der
Welt – sie entstanden vor 30 000 bis 33 000 Jahren.
Hunderte von Archäologen haben vor der spektakulären Entdeckung in der Region schon nach Höhlen
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gesucht und zum Teil auch gigantische Gewölbe
unter der Erde gefunden.
Solche Höhlen musste es auch auf der Kokosinsel
geben. Ein Lavastrom aus Basalt hatte die Insel
geformt – genau wie die Region der Ardèche.
Archäologische Expeditionen waren bislang auf
der Kokosinsel noch nicht durchgeführt worden,
aber alle Schatzkarten und –beschreibungen, die ich
gefunden hatte, wiesen auf Höhlen hin, alle bisher
erfolgreichen Schatzjäger beschrieben Höhlen. Vermutet wird dort noch immer der größte Piratenschatz
aller Zeiten – der Kirchenschatz von Lima. Und es
gab noch etwas, das mich stutzig machte: Fast alle
Schatzsucher umwehte der Hauch des Todes. Wer
nicht an mystische Flüche glaubt, kann nur zu einem
Schluss kommen: Das Gold liegt noch auf der Insel
und die Gier ist tödlich.
Nach diesem Sommer in Südfrankreich bin ich mir
sicherer denn je, dass der Schatz noch auf der Insel
verborgen liegen muss. In den vergangenen zwanzig
Jahren haben mich drei Expeditionen zur Kokosin-
17
sel, Reisen nach Neufundland, Kalifornien, Schottland und in die Schweiz und unzählige Stunden in
Archiven auf die Spur gebracht, warum die zahlreichen Schatzjagden auf der Insel fast alle erfolglos
geblieben sind. Meine über die Jahre gewonnenen
Erkenntnisse bis hin zu meinem Schlüsselerlebnis
im Sommer 2008 führten zu der Idee, dieses Buch
zu schreiben.
Hingegen zitiert Alex Capus in seinem Buch „Reisen
im Licht der Sterne“ Stevenson im Gespräch mit
einem Reporter des Sydney Morning Herald auf dessen Frage „Haben Sie die Schatzinsel je besucht?“
wie folgt:
Robert Louis Stevenson (lächelt vergnügt): „Die
Schatzinsel liegt nicht im Pazifik. In der Tat wüsste
ich selbst gern, wo sie zu finden ist. Als ich das Buch
schrieb, habe ich sehr darauf geachtet, keine Hinweise auf ihre Lage zu geben, damit sie nicht von
Schatzsuchern überfallen wird. Wie auch immer, die
meisten Leute glauben, sie liege in der Karibik.“
Johannes Hendrik Langer, Andrej von Sallwitz, Stefan Kowalski, Birgit Berthold
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Unterrichtsprojekt:
Mythos Schatz
Das Wort Schatz allein übt bereits eine übergroße
Anziehungskraft aus. Bei Wikipedia können wir
lesen, ein „Schatz („thesaurus“) oder auch Schatzfund ist nach der Legaldefinition des § 984 BGB
eine bewegliche Sache, die so lange verborgen war,
dass sich ihr Eigentümer nicht mehr ermitteln lässt“.
Etwas ohne Eigentümer ruft förmlich danach, zu
jemandem gehören zu sollen. Warum also nicht
zu mir? Ein Schatz verspricht eine abenteuerliche
Suche, einen nicht berechenbaren Wert, etwas Unermessliches, Wertvolles, das es nur äußerst selten gibt
und also ebenso selten gefunden werden kann. Auch
ein geliebter Mensch wird so bezeichnet. Dabei ist
nicht immer klar, ob es der Schatz selbst ist, den wir
finden wollen und der diesen nebulösen Glanz auf
uns ausübt oder ob es nicht eher die Suche nach ihm
ist, die Hindernisse, die sich auftürmen und die es
zu überwinden gilt, um an ihn zu gelangen, die uns
quälen und umtreiben. Was passiert, wenn wir ihn
dann haben, den Schatz? Wie lange bleibt er attraktiv? Und wenn er uns entwischt? Was dann?
In Vorbereitung auf die Inszenierung schlage ich
Ihnen folgende Übung vor. Auf diese Weise nähern
sich die Schüler dem Thema der Geschichte, wenn
ihnen der Stoff nicht bekannt ist.
Lassen Sie die Schüler an einer leeren Packpapierwand unter der Überschrift SCHATZ assoziieren:
Was fällt euch alles zu diesem Begriff ein?
Was gehört dazu?
Was muss aufgeschrieben sein, um unter die Kategorie Schatz zu fallen?
Für ca. 20 Minuten läuft die Kommunikation ausschließlich über diese Packpapierwand, laut geredet,
erklärt werden darf nicht, nur wenn die Schrift nicht
entzifferbar ist. Immer nur ein Schüler darf an der
Wand schreiben, so dass jeder verfolgen kann, wie
die Wand sich füllt. Wenn es stockt, können Sie
durch Nachfragen die Assoziationen neu anschieben.
Anschließend teilen Sie die Schüler in kleine Gruppen von 4 – 5 Schülern auf. Alle bekommen die
selbe Aufgabe:
Ausgangssituation ist, dass die Gruppe gemeinsam
einen Schatz sucht:
Für welchen Schatz lohnt es sich loszugehen? Was
wolltet ihr schon immer einmal finden? Ist es ein
materieller Schatz? Oder ein anders gearteter? Ab
wann lohnt es sich, etwas dafür zu tun, einen Schatz
zu bekommen? Wie viel muss der Schatz wert sein?
Was würdet ihr alles tun, um den Schatz zu bekommen?
Aufgabe ist es, dafür eine Geschichte zu erfinden,
die durch einen oder mehrere Erzähler in der Rückblende erzählt und/oder gespielt wird.
Klärende Fragen für die Arbeit an der Situation/Geschichte können sein:
Wer kommt alles mit? Was brauchen wir, um den
Schatz zu bekommen? Wie lange dauert die Suche?
Gibt es einen Chef in der Gruppe der Schatzsucher?
Ziehen alle an einem Strang? Geht der Plan auf oder
wurde etwas vergessen? Welche Probleme tauchen
auf? Funktioniert die Gruppe oder gibt es Streit?
Gibt es Gegenspieler? Schließlich braucht es eine
Entscheidung: Kommt man ans Ziel und findet den
Schatz oder scheitert man? Wie schaut man rückblickend auf das Erlebte?
Nachdem die einzelnen Gruppen ihre Geschichten erzählt oder gespielt haben, sprechen Sie mit
den Schülern über das Dargestellte. Die Reflexion
darüber ist ein wichtiger Kommunikationsbaustein.
Die einen zeigen etwas, die anderen sehen/hören
zu, gemeinsam spricht man darüber. Zuerst die, die
es gesehen haben. Sie versuchen zu beschreiben,
was vorgegangen ist. Erst am Ende dessen können
D ie S c h atzi n sel
sie eine Bewertung vornehmen. Das aber ist nicht
das Spannende, sondern das, was die Schüler beim
Vorspiel gesehen haben. Anschließend können die
Spieler sagen, was ihre Absicht gewesen war, ob sie
sich mit dem deckt, was die Zuschauer beschrieben
haben.
Andrej von Sallwitz, Stefan Kowalski, Johannes Hendrik Langer
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Unterrichtsprojekt:
Gemeinschaften auf engstem Raum
Im vorliegenden Material gibt es viele Hinweise auf
das Piratenleben und den Alltag der Piraten. Interessant daran ist nicht nur, dass sie über Monate,
sogar Jahre in den immer selben Gruppen unterwegs
waren und das auf engstem Raum auf einem Schiff,
sondern auch, dass sie sich Regeln gaben, wie sie in
diesen Lebenssituationen möglichst gerecht miteinander auskommen konnten. So ist es erstaunlich,
dass, ähnlich wie wir es aus dem Tierreich von
Rudeln kennen, sich der Kapitän immer wieder
beweisen musste. Und wenn er nicht mehr stark genug oder gerecht genug, zu seinem Vorteil und zum
Nachteil der Mannschaft agierte, wurde er abgesetzt.
Meuterei ist das Wort, das dabei sofort im Ohr liegt.
Jede Gemeinschaft ist von Regeln, Normen, Hierarchien, Miteinander und Arbeitsteilungen geprägt.
Alles in unterschiedlichen Maßen. Das Bedürfnis
nach nichthierarchischen, aber gleichberechtigten
und partnerschaftlichen Strukturen und Beziehungen
zwischen Menschen wächst. Diese Entwicklung
ist eine Antwort auf die zunehmende Abkopplung
der Menschen von den politischen Entscheidungen
in unserer westlichen Zivilisation einerseits und
andererseits dem Bedürfnis nach Verantwortungsübernahme der Bürger angesichts der anstehenden
globalen Probleme wie Klimawandel, Ökokatastrophe, Finanzkrise, Überwachung und dem gläsernen
Menschen im digitalen Zeitalter. Wer bestimmt,
woran man wie beteiligt ist, beteiligt sein darf? Wer
verschafft die Zugänge zur Mitgestaltung am öffentlichen Leben?
Schon eine Schulklasse ist ein Spiegel unserer
Gesellschaft. Wer hat welchen Platz und wie wird
das täglich neu austariert? Wer darf welchen Platz
beanspruchen? Wer stellt die Kriterien für Top oder
Flop auf? Wer oder was entscheidet darüber, ob einer
anerkannt ist oder ausgegrenzt wird? Welches Spiel
wird gespielt?
Im Folgenden versuche ich, eine Anregung für eine
Art Planspiel zu geben.
Lassen Sie die Schüler eine Situation suchen, in
der die gesamte Klasse zusammenhält. Gibt es die?
Wäre das möglich? Was müsste passieren, dass die
Schüler gemeinsam, geschlossen handeln würden
und dies auch öffentlich verteidigen würden? Aus
welchem Anlass?
Wenn dies gefunden ist, bleibt die Frage, wie sich
die Gruppe/Klasse organisiert. Wer spricht für sie?
Einer? Eine Gruppe von Leuten? Wie werden sie
ausgesucht? Nach welchen Maßstäben, Kriterien?
Wer übernimmt welche Aufgaben?
Interessant an solchem Experiment, das man gut
durchdenken muss, ist, dass man Einblicke in das
gemeinschaftliche Interesse einer Gruppe bekommt.
Ist es überhaupt von Interesse für die Schüler,
gemeinsam einen Ort, eine Situation zu gestalten,
zu handeln, aktiv zu werden, auch innerhalb eines
spielerischen Rahmens? Wenn Sie es ausprobieren,
wäre ich an Ihren gemachten Erfahrungen überaus
interessiert.
Mögliche Arbeitssschritte:
• Kleine Gruppen überlegen eine Situation, in der
alle geschlossen auftreten
• Die Klasse diskutiert die unterschiedlichen Ideen
und einigt sich auf eine
• Die Klasse entwirft ein Szenario: Warum müssen sie zusammenhalten? Wofür? Wogegen? Wie
müssen sie sich formulieren? Wer vertritt die
Interessen der Klasse nach draußen? Wie findet
die Kommunikation in die Klasse zurück statt?
Wer darf Entscheidungen treffen?
Eine Dokumentation hält die Phasen dieses Spiels
fest und rekapituliert Anfang, Ablauf und Ausgang.
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K r i t i k Neues Deutschland, 27. Juli 2013
Ahoi! Es geht um Leben und Tod
„Die Schatzinsel“ im Theater an der Parkaue
von Lucia Tirado
Volle Kraft voraus. Begehrtes Ziel ist „Die Schatzinsel“. Regisseur Albrecht Hirche bleibt mit seiner
Fassung von Robert Louis Stevensons Roman im
Jungen Staatstheater Berlin zwar nah am Original,
treibt aber die Handlung den Ereignissen auf See
entgegen. Zügig stellt er die Handelnden vor, bringt
die Aufzeichnungen des alten Seemanns Bill ins
Spiel, hinter denen Spießgesellen her sind. Zunächst
einmal aber gelangen sie in die Hände des jungen Jim
Hawkins und ihm Gutgesonnener. Viel wissen sie auf
den ersten Blick nicht mit der Inselskizze anzufangen.
„Wo ist Kopf und wo ist Schwanz?“, rufen sie aus.
Hals über Kopf jedenfalls wird Jim Schiffsjunge auf
dem Schoner Hispaniola. Er muss bei den folgenden Ereignissen herausfinden, in welcher Gestalt
ihm das Böse, das Kaltblütige, das Hinterhältige
begegnet. Erleben ist das bessere Wort, denn darüber nachzudenken, bleibt ihm keine Zeit. Was es an
Niedertracht gibt, prasselt auf ihn ein. Nur das kann
Thomas Pasieka in Hirches Fassung als Erzählender
und durch die Geschichte Führender wiedergeben.
Allerdings kann er in der zweistündigen Inszenierung mit gutem Ende zeigen, wie Jim dabei über sich
hinauswächst.
Spannend ist es allemal. Raubeinig, wie es sich für
eine Geschichte gehört, die den Piratengesetzen
folgt. Prügeleien werden nach den Regeln an Land
ausgetragen, was ausgiebig geschieht, kann man in
der Pause sehen. Dafür ist bei Matthias Bernhold
(auch für die Musik verantwortlich), Hagen Löwe
und Florian Pabst ohne Schonung in verschiedenen
Rollen viel Kraft im Spiel. Kapitän Smollet hat davon in seinem Leben schon das meiste hergegeben,
weiß Stefan Kowalski zu zeigen.
Birgit Berthold wiederum meistert lauernd die
zwiespältige Persönlichkeit des Schatzjägers Long
John Silver. Aus ganz anderem Holz und dem kaum
gewachsen sind der Friedensrichter und der Arzt.
Andrej von Sallwitz und Johannes Hendrik Langer
machen an Deck herumstolzierend deutlich, dass
diese beiden kaum ahnten, worauf sie sich bei der
von ihnen angezettelten Reise zur Schatzinsel einlassen. Ahoi! Hier geht es um Leben und Tod. Maskierte dunkle, blind scheinende Gestalten deuten das
schon vor der Vorstellung und am Ende der Pause
an. Mit ihren weißen Stöcken auf den Boden klopfend drängen sie die Zuschauer in den Saal.
Hirche verzichtet auf allerlei Requisiten. Er baut auf
die Vorstellungskraft des Publikums. Die Schauspieler »nutzen« unsichtbare Gegenstände. Jedes Kind
weiß doch, dass der Arzt eine Tasche trägt, dass
man Krüge und Becher braucht. „Hispaniola!“ Von
Kindern laut ausgerufen lässt Hirche den Namen
des Schiffes immer wieder hören. Auch einen Chor
der Mitarbeiter des Theaters bringt er ins Spiel. Eine
gute Idee, die jedoch verpufft.
Schräg ansteigende Planken gehören zum fantastischen Bühnenbild von Kathrin Krumbein und sind
zunächst Boden des Wirtshauses der Eltern, in dem
Jim lebt. Die Drehbühne im Hintergrund ist als
Schiffsbug bebaut. Durch das Umstecken des Steuerrades wird sie schnell zum Heck. Die frei arbeitende Ausstatterin, die schon zahlreichen Bühnen in
Deutschland ihr Bild gab, vollzog die beim Schiffsbau unerlässliche Zweckmäßigkeit vortrefflich nach.
Auch die Kostüme schuf sie. Man sieht grüne und
pinkfarbene Piratenbärte.
Die Auswahl für den Romanstoff, der mehr als 20
Mal verfilmt wurde, ist ein Treffer für die Bühne. So
wird das Stück – die letzte Premiere vor der Sommerpause – auch in der kommenden Spielzeit den
Kindern gefallen. Schließlich heißt es, die Idee für
den Roman sei dem schottischen Schriftsteller 1881
gekommen, als er seinem Sohn beim Malen einer
Schatzkarte half. Für ihn allein erfand er zunächst
die Geschichte.
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Quellenangaben
Marco Carini & Flora Macallan: Piraten.
Die Herren der sieben Weltmeere. Parragon
Books Ltd Bath, UK. Ohne Angabe des Jahres.
Alex Capus: Reisen im Licht der Sterne.
btb Verlag München 2007.
Ina Knobloch: Das Geheimnis der Schatzinsel.
Robert Louis Stevenson und die Kokosinsel –
einem Mythos auf der Spur.
mareverlag Hamburg 2009.
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Hinweise für den Theaterbesuch
Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,
viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten
Mal ein Theater oder haben wenig Erfahrung damit.
Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit
Ihrer Klasse die besondere Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich
Darsteller und Zuschauer konzentrieren können.
Dafür braucht es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten
müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht
einhält, beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt
gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen Besucher.
Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines
Theaterbesuchs bei:
1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so
dass jeder in Ruhe den Mantel und seine Tasche
an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen
Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird
beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.
2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu
gehen, stört sowohl die Darsteller als auch die
übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in
der Vorstellung gibt.
3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu
essen und zu trinken, Musik zu hören und Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player
müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während
der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.
4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt
den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und
des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über
die Inszenierung. Wem es gut gefallen hat, der gibt
mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger.
Wichtig ist, erst nach dem Ende des Applauses
den Saal zu verlassen.
Unser Einlasspersonal der ARTService GmbH steht
den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung.
Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den
Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen
wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an
die stückbetreuende Dramaturgin / Theaterpädagogin, an den stückbetreuenden Dramaturgen / Theaterpädagogen.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Ihr THEATER AN DER PARKAUE
Impressum
Spielzeit 2012/2013
THEATER AN DER PARKAUE
Junges Staatstheater Berlin
Parkaue 29
10367 Berlin
Tel. 030 – 55 77 52 -0
www.parkaue.de
Intendant: Kay Wuschek
Redaktion: Karola Marsch
Gestaltung: pp030 –
Produktionsbüro Heike Praetor
Fotos: Christian Brachwitz
Titelfoto mit
Thomas Pasieka
Abschlussfoto mit
Johannes Hendrik Langer
Kontakt Theaterpädagogik:
Karola Marsch
Telefon: 030 – 55 77 52 -30
[email protected]
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