PV 1958 - 11/12

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PV 1958 - 11/12
POLITISCHE VERANTWORTUNG
EVANGELISCHE STIMMEN
Herausgegeben von Dr. Adolf Arndt MdB., Bonn; Professor D. Hermann Diem, Tübingen; Bundesminister a. D. Dr. Dr.
Gustav W. Heinemann MdB,, Essen; Lic. Karl Immer, Duisburg; Professor D. Hans-Joachim !wand, Bonn; Heinz Kloppenburg
DD., Dortmund; Professor Dr. Karl Kupisch, Berlin; Staatsminister a. D. Ludwig Metzger MdB., Darmstadt; Johannes Rau MdL.,
Wuppertal; Adolf Scheu, Wuppertal; Professor D. Ernst Wolf, Göttingen.
2. Jahrgang
November/Dezember 1958
Nr. 11/12
Friede auf Erden
„Friede auf Erden", das ist kein Problem, sondern ein mit der Erscheinung Christi selbst
gegebenes Gebot. Zum Gebot gibt es ein doppeltes Verhalten: den unbedingten, blinden
Gehorsam der Tat oder die scheinheilige Frage der Schlange: „Sollte Gott gesagt
\
haben?" Diese Frage ist der Todfeind des Gehorsams, ist darum der Todfeind jeden
echten Friedens. Sollte Gott nicht die menschliche Natur besser gekannt haben und
wissen, daß Kriege in dieser Welt kommen müssen wie Naturgesetze? Sollte Gott nicht
gemeint haben, wir sollten wohl vom Frieden reden, aber so wörtlich sei das nicht in
die Tat umzusetzen? Sollte Gott nicht doch gesagt haben, wir sollten wohl für den
Frieden arbeiten, aber zur Sicherung sollten wir doch Tanks und Giftgase bereitstellen?
Und das scheinbar Ernsteste: Sollte Gott gesagt haben: „Du s~llst Dein Volk nicht
schützen?" Sollte Gott gesagt haben: „Du sollst Deinen Nächsten dem Feind preisgeben?''
Nein, das alles hat Gott nicht gesagt, sondern gesagt hat er, daß Friede sein soll
unter den Menschen, daß wir ihm vor allen weiteren Fragen gehorchen sollen, das hat
er gemeint. Wer Gottes Gebot in Frage zieht, bevor er gehorcht, der hat ihn schon
verleugnet.
Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist, das heißt: Friede soll sein, weil es eine
Kirche Christi gibt, um deretwillen allein die ganze Welt noch lebt. Und diese Kirche
Christi lebt zugleich in allen Völkern und doch jenseits aller Grenzen völkischer, politischer,
sozialer, rassischer Art, und die Brüder dieser Kirche sind durch das Gebot des einen
Herrn Christus, auf das sie hören, unzertrennlicher verbunden als alle Bande der
Geschichte, des Blutes, der Klassen und der Sprachen Menschen binden können. Alle
diese Bindungen innerweltlicher Art sind wohl gültige, nicht gleichgültig~, aber vor
Christus auch nicht endgültige Bindungen. Darum ist den Gliedern der öku~ene, sofern
sie an Christus bleiben, sein Wort und Gebot des Friedens heiliger, unverbrüchlicher, als
die heiligsten Worte und Werke der natürlichen Welt es zu sein vermögen; denn sie
wissen: Wer nicht Vater und Mutter hassen kann um seinetwillen, der ist sein nicht wert,
der lügt, wenn er sich Christ nennt. Diese Brüder durch Christus gehorchen seinem Wort
und zweifeln und fragen nicht, sondern halten sein Gebot des Friedens und schämen sich
nicht, der Welt zum Trotz sogar vom ewigen Frieden zu reden. Sie können nicht die
Waffen gegeneinander richten, weil sie wissen, daß sie damit die Waffen auf Christus
selbst richteten. Es gibt für sie in aller Angst und Bedrängnis des Gewissens keine Ausflucht vor dem Gebot Christi, daß Friede sein soll.
Dietrich Bonhoeffer 1934
weil so ~iel Gegenteiliges geschieht,
darum eine solche Gedenkstunde an diesem Tag!· Nur eingesd1lossen in diesen
Im Schillertheater Berlin / „Denk ich an De11tschland in der Nacht
größeren, zukunftsträchtigen Sinn gilt sie
aud1 rückwärtsgewandt dem Gedanken
das oft nicht einmal verlegene, sondern
„Die Wache gab ihm einen Stoß,
ganz unbefangene Gelächter, das heute im
an die, deren Namen wir soeben gehört
da fiel der Mann ins - Staatenlos."
haben - Namen, die uns teuer sind als
Kino durch die Gestalt und die Stimme
Mit diesen Zeilen schloß ein Gedicht Hitlers beim Publikum ausgelöst wird,
Freunden und als Theaterbesuchern, als
ich weiß nicht mehr von wem -, das
ist fiir den, der als nachdenklicher DeutBeteiligten am Leben der Kunst und des
1935 in irgendeiner Emigrantenzeitschrift
scher unter den Deutschen lebt, eines der
Geistes -, Namen, die auch stellvertrezu lesen war. Wir sind heute hier zugroßen Rätsel, die dieses Volk aufgibt.
tend stehen für die Leiden der vielen,
sammen, weil es uns drängt, an die .zu
Es weckt nicht das Zutrauen, daß Erdie - nicht so direkt von jenen Stößen
denken, die seit jener „Machtergreifung"
kenntnis dahinter steht. Wie viele ·haben
getroffen - ihrer jüdischen Frauen wegenannten Verwahrlosung der Macht vor
denn wohl erkannt, daß das Klirren jener
gen durd1 unzählige dunkle Stunden
25 Jahren ins „Staatenlos", in das Los
jüdischen Schaufenster und das Klirren ungehen mußten und oft hart vor dem
der Staatenlosigkeit, der Recht- und serer zerbrechenden Fenster in den IlombenSelbstmord standen, wie Paul Ilildt, Paul
Schutzlosigkeit gestoßen wurden und darnächten ein Klirren war, daß das Feuer
Henckels und manche andere. Sie stehen
an zugrunde gingen. Wir haben dazu den
der ßiicher-Scheiterhaufen im Mai 1933
schließlich stell vertretend für alle, die
heutigen Tag gewählt, weil sich uns
und das Feuer der Synagogen im No- , der Abgrund· verschlang und die wir unter den vielen Hiobsnachrichten und
vembcr 1938 und das Feuer, in dem
ohne unser Verdienst! - überlebt haben.
Schreckenstaten jener Jahre der 9. Nounser altes Ilerlin in Schutt und Asche
Ohne unser Verdienst - das werden
vember 1938 unvergeßlich eingebrannt hat sank, ein Feuer war? Wieviele unserer
wir
nicht leugnen können, und das gilt
durch die Flammen der brennenden SyHeimatvertriebenen haben wohl erkannt;
nicht nur für unser physisches überleben.
nagogen, weil wir das Klirren der Schaudaß der Verlust ihrer Heimat ursächlich
Wenn wir heute nod1, als wäre nichts
fenster der jüdischen Geschäfte noch in
zusammenhängt damit, daß vorher
geschehen, einen Goethe-Vers hören, einen
den Ohren und die LKWs, die die Juden
Stefan Zweig und Thomas Mann, Lise
Abend des großen Spiels auf der Bühne
Berlins hinaus nach Oranienburg fuhren,
Meitner und Ernst Deutsch und mit ihnen
erleben, in den Kirchen einen Gottesnoch vor Augen haben, weil an diesem
Hunderttausende andere Ilekannte und
dienst begehen dürfen, danri ist das ohne
Tage der Stoß in die Rechtlosigkeit nicht
Unbekannte ihre Heimat verloren? Wie
unsei· Verdienst und wir dürfen es nur,
mehr nur Einzelne vernichtend traf, sonviele von ihnen haben wohl erkannt, daß
wenn wir' wissen,· daß das nid1t selbstdern. alle diejenigen unserer Mitbürger,
die Trecks, auf denen sie die Leichen ihrer
die das Blut Israels in den Adern trugen,
verständlid1, daß es sd10n ein Zeid1en
erfrorenen Kinder am Wege liegen lassen
von Gnade und Vergebung ist. Denn das,
und sie hinausstieß ins Staaten-Los, hinmußten, in den Spuren jener Deportationswas damals um uns her gesd1ehen ist,
aus aus ihrer und unserer Heimat die
züge gingen, aus deren in umgekehrter
während wir damals Goethe lasen, im
einen und hinein in die KZs, die DeporRichtung fahrenden Güterwagen die LeiTheater saßen oder in die Kirche gingen,
tationen und Gaskammern die anderen
chen erstickter und verdursteter jüdischer
und weil dieser Stoß nicht nur sie, sondern
war so furchtbar, daß uns, wenn wir es
Kinder auf den Ilahndamm rollten? Die
uns alle traf, uns alle ausnahmslos, diein seiner Unermeßlid1keit ins Auge
Reden ihrer Sprecher lassen oft nicht
jenigen, die vor Entsetzen nicht mehr
fassen und in seiner Iledeutung bedenken,
merken, daß sie aus dieser Erkenntnis
schlafen konnten, wie diejenigen, die
eher selbstverständlid1 sein müßte, wenn
kommen, und weder die Lebensführung
mitmachten und die Untaten vollzogen.
dies alles nid1t mehr möglich und uns
nod1 die Politik desjenigen Teiles des
Sie alle, wir alle hatten mit jenem Stoß
deutsd1en Volkes, der sich einiger- 1 nicht mehr erlaubt :wäre, wenn dies alles
den Staat verloren, die Ordnung des
zu Ende wäre. Es ist etwas geschehen,
maßen frei bewegen und äußern kann,
menschlichen Zusammenlebens und zum
wofür alle die Früheren, die Dichter und
lassen spüren, daß es diese Erkenntnis ist,
Denker, deren Jubiläen wir zu feiern
Schutze des. Schwachen vor den Starken,
die uns beherrscht und durchdringt. Es
pflegen, die Hand ins Feuer gelegt
zum Schutze eines jeden vor den wölfi- ·wäre ein neuer, ein befreiender, in die
schen Trieben in den anderen und in ihm . politische Lage tief eingreifender Faktor,
hätten, daß dies nach 1500 Jahren christlicher Predigt, nad1. 200 Jahren humaselbst. Der Staat brach zusammen unter
wenn wir unser Leben und unsere Politik
jenem Stoß, wenn er auch äußerlich noch
nistisd1er Aufklärung, nach 100jähriger
sid1tbar unter die Frage stellen, ob aus
zu bestehen schien und seine Macht noch
Schullektüre von Goethe und Sd1iller in
unseren Worten und Entschlüssen dieausdehnte. Sein äußerer Zusammenbruch
Deutschland unmöglich geschehen könne.
jenigen Völker, die neben den Juden und
Theodor W. Adorno hat einmal gefragt,
im Jahre 1945 war nur die Enthüllung
den Zigeunern vor allem unter uns
dessen, daß er längst zusammengebrochen
„worauf denn eine Kultur, in der Milliogelitten haben, also nicht nur die
war unter jenen Stößen, mit denen seine
nen unschuldiger Menschen vergast wurwestlichen, mit denen uns heute so viele
eigenen Regierenden und Funktionäre die
den und die· darüber zur Ordnung ihres
Interessen verbinden, sondern ebenso
Gruppen der mißliebigen Bürger ins
Tages übergegangen ist, eigentlich noch
die östlichen, die Polen, die Tschechen,
Staaten-los, in die Rechtlosigkeit warfen.
warte, bis sie bereit sei, ihren Unterdie Ukrainer und die Russen, diese ErDie Ilesetzung unseres ganzen Landes
gang zuzugestehen". Die Frage besteht
kenntnis und das Bekenntnis zu ihr entdurch die Armeen der äußeren Feinde im
zu Recht und die selbstverständliche Art,
nehmen könnten. Die anderen haben nad1
Jahre 1945 war nur die Enthüllung
mit der wir immer noch und immer
Kräften dazu beigetragen, daß es dazü
dessen, daß Deutschland seit langem schon
wieder meinen, jene großen Güter Chrinicht kam und kommt: vom Osten her
vom Feinde besetzt gewe~en war, vom
stentum, Kultur, usw. noch zu besitzen
durch die Rad1e, die die rote Armee an
Feinde aus seiner eigenen Mitte, und daß
und unser Ilesitzrecht gegen andere veruns nahm und durch das absd1reckende
das, was als Aufstieg Deutschlands von
teidigen zu können, verschärft sie nur.
System, in das sie einen Teil von uns
Unzähligen bejubelt w9rden war, in preßten, vom Westen her dadurch, daß
Wir haben ein Recht an diesen Gütern
Wirklichkeit nichts war als ·sein grauengenauso weit als wir wissen, daß wir
sie uns gegen den Osten die Waffen in
voller und konsequenter Abstieg in Nacht
kein Recht mehr auf sie haben, daß es
die Hand drückten, obwohl doch ein
und Schuld und Verderben.
Vergebung ist, wenn sie uns noch nid1t
Blinder sehen mußte, daß dies das Ende
ganz verloren sind.
In den Gesprächen nach jt~em 9.Novem- der vorher gepredigten deutschen Selbstbesinnung und Wiedererstehung des deutber 1938 wurde deutlich, daß manchem,
Was gescheh'en ist, ist so unermeßlid1,
schen Schred1:ens für die östlichen Nachder bis dahin durch den äußeren Schein
daß jeder Versuch, die Schuld diesem oder
des Aufstiegs, durch den heuchlerischen
barn bedeuten mußte. So haben wir zwar
jenem zuzuschieben, schweigen muß. Wer
dem Nationalsozialismus, abgesagt, aber
Idealismus. und Patriotismus der Reden
gemordet hat, soll vor den irdischen
der glaubwürdige und befreiende Schritt
sich hatte blenden lassen, die Augen aufRichter kommen, damit das Recht unter
ins Neue ist ausgeblieben und dies ist - ich
gingen, um sich dann freilich bei vielen
uns nicht stirbt. Abrr wichtiger ist das
nach kurzem Erschrecken wieder zu
wage es zu sagen - ein mindestens ebenGericht, in das wir uns selbst bringen:
so großer Schatten auf dem gegenwärtischließen unter der Faszination des ErDie Kirchen, die Künstler, die Univergen Zustand Europas wie das Problem
folges und unter der Suggestion des
sitäten und Schulen, die Einzelnen: es ist
und die Gefahr des Kommunismus. Weil
keiner, der sich ·dem entziehen dürfte,
, Appells an das, was man damals die
die Erkenntnis der Zusammenhänge der
Treue zu Volk und' Führer nannte. Die
der unschuldig wäre und sich bei der
Vergangenheit und das Bekenntnis zu
Frage ist, ob diesen vielen inzwischen die
kritischen Überprüfung verschonen dürfte.
dieser Erkenntnis durch Wort und Tat
„Die· Schuldlosen" hat Hermann ßrod1
Augen wirklich aufgegangen sind. Gewiß,
von Regierung und Volk so unentbehrlich
den Roman, in dem er nach den wahren
der Nationalsozialismus, der gewesen ist,
ist für Gegenwart und Zukunft und so
Schuldigen fragte, überschrieben! Das
kommt so nicht wieder und die kleine
mag . manchem· nach „Kollektivschuld"
Untergrundsekte seiner unentwegten An- · lebenswichtig für jeden Einzelnen von
uns, weil es so ungenügend geschieht und
klingen einem Begriff, gegen den
hänger hat keine Aussichten mehr. Aber
Rede am 9. November 1958
Rede am 9. November 1958
diejenigen am lautesten zu protestieren
pflegen, die am meisten in dieser Kategorie der mörderischen Verallgemeinerungen: die Juden, die Franzosen, die Russen
gedacht haben und dann wehleidig
schrien, als das Kollektivurteil sie selbst
traf. Aber allerdings: dieser Begriff hat
nach allen Seiten eine so fürchterliche
Ernte gehalten, daß es gerade darauf ankommt, restlos mit ihm zu brechen.
Nicht Kollektive sind schuld, aber jeder
Einzelne muß nach seiner eigenen Schuld
fragen,· wenn wir neuen Greueln vorbeugen: sollen.
Das muß heute und in einer solchen
Stunde deswegen gesagt werden, weil es
einen Pharisäismus gibt, der uns nur aufhält: einen Pharisäismus des Widerstandes, als hätte auch nur einer von uns, soweit wir beteiligt gewesen sind, von Anfang an das Nötige getan' - keiner hat
es getan! - Und einen Pharisäismus der
Emigration, als hätte m.:m dadurd1, daß
man auswandert oder flieht, reine Hände
gewonnen. Die Herrsd1aft von Ungeist
und Mord kam nicht von ungefähr. Ihre
Wurzeln reichen auch in das hinein, was
die Pfarrer, die dann von ihm getroffen
wurden früher gepredigt oder nicht gepredigt' hatten, was die Schriftstelle.r,
deren Bücher dann verbrannt wurden, m
manchen dieser lliid1er geschrieben hatten,
aud1 in das, was auf unseren Bühnen gespielt worden war1 un1 .~uch il?- die Art,
wie an unseren Umversitaten Wissenschaft
getrieben und gelehrt worden war. „Da
ist keiner, der unschuldig wäre, auch
nicht einer", wird man auch hier mit dem
Apostel Paulus sagen müssen.
Das ist eine harte Rede, nicht leicht zu
hören.' Aber alles Gute unter uns Menschen fängt mit Sdrnlderkenntnis an. Im
Au"ust d. Js. hat auf einer Weltkonfcren~ gegen Atomrüstung in Tokio m~in
Freund Heinrich Vogel vorgesd1lagen, eme
Resolution mit dem Satz beginnen zu
lassen: „Wir alle sind mitsdrnldig, daß
der Mensd1 den Menschen fürchtet, daß
der Mensd1 den Menschen haßt, daß der
1 Mensch den Menschen tötet." Der Satz
war nicht durchzubringen, denn Kommunisten und Liberale, Buddhisten und Hindus, Juden und Christen'.sie alle kannten
irgendwelche anderel?-, die daran Schuld
waren nidlt . aber sid1 selbst. Der Satz
ist ab;r unentbehrlich. Denn es ist unentbehrlid1 daß wir den Ernst des Anrufs
hören der aus den Schrecken unserer jüngsten Vergangenheit wie aus den Drohun.gen der Zukunft uns unausweidllid1
stellt. Wir müssen tms selbst der kritischen
Überprüfung aussetzen, damit wir aus
der sterilen Orthodoxie, ·der westlichen
wie der östlichen, herauskommen, aus
dem unfruchtbaren Rerothaben, aus dem
Sündenbock.denken: „Wie sd1ön wäre die
Welt wenn die Juden,' die Deutsd1en, die
Kom:Uunisten, die Kapitalisten - _wenn
die anderen nid1t wären!" Dieses Denken ist der schlimmste Fei1~d des Zusammenlebens, das größte Hindernis für die
Bewältigung der ungeheuren Probleme
unseres Jahrhunderts, die verhängnisvollste Gefährdung unserer Welt. Kritisd1e
Wad1samkeit ist nötig, um die Wiederholung des Mordens in irgend einer anderen Gestalt zu verhindern. Sie ist nötig
gegen andere, da heute die Geister des
Abgrundes sich schon wieder munter regen;
- sie ist aber aucl1 ,nötig gegen uns
selbst, vor allem der Sorglosigkeit wegen,
mit der wir offenbar meinen, wir würden
das, was wir immer wieder säen, garantiert nicht ernten müssen .. Die rätselhafte
Sorglosigkeit, mit der heute viele der
Anhäufung von Atombombenvorräten,
nun auch in unserem gespaltenen Lande,
zusehen, als bestände Sicherheit, daß sich
dies nie über unseren Köpfen entladen
wird, ist ja nur ein Symptom der allgemeinen Sorglosigkeit, alle die Unterlassungen in der Gestaltung unseres sozialen und individuellen Lebens, in der Reform von Schule und Universität und
Parteileben, deren wir uns heute schuldig
machen, würden sich nie räd1en, alle die
verwüsteten Anleitungen zur Veradltung
des Lebens und des Mitmenschen, die in
Filmen, wie in Büchern wie in wissensroaftlichen Theorien verbreitet werden,
würden garantiert nie ernst genommen
und nie praktiziert werden. Sie sind so
furchtbar praktiziert worden, daß es
uns schlechthin verboten ist, weiter mit
ihnen zu spielen.
Nietzsche hat einmal notiert: „Das allgemeinste Zeichen unserer Zeit: der
Mensro hat in seinen eigenen Augen unglaubliro an Würde eingebüßt." Würde
des Mensroen. - das ist nidlt gespreizte
, Selbstverherrlichung, sondern das Gegent~il davon. Das ist, christlich gesprod1en,
die Demut des Menschen unter Gott die
Ehrfurrot vor jedem Gesd1öpf, die 'An-·
erkennung des Rechtes des anderen, der
ebenso Kind Gottes ist wie ich und
darum mein Bruder. Würde des Menschen
- das ist der ewige Sinn jedes Mensch~n­
lebens. Wer es nirot mit diesen chnstlichen Worten sagen kann, der mag es
mit anderen Worten und Gründen sagen,
aber er wird auf keinen Fall weniger
sagen diirfen, wenn er nicht mitsrouldig
werden will am weiteren Schwund des
Bewußtseins von dieser Würde und damit
an einem neuen Ausbruch der Unmenschlichkeit. Judenverfolgung, Vernichtung
der Geisteskranken 1md die Art der
Kriegsführung mit Ma~senvernirot~!ngs­
mitteln, auf die man sich heute rustet,
sind der hervorstechendste Ausdruck der
Menschenverachtung in unserer Zeit. Es
ist nidlts vergangen von dem, was gc:srnehen ist. Die Vergebung, unter der wir
heute leben und uns der Erde freuen
dürfen, aud1 Theaterspielen und nun aud1
als überlebende mit Trauer der toten
Opfer der bösen Zeit gedenken dürfe?,
verpf!idltet uns, auf dem Posten zu sem
und das unsere an unserer Stelle zu tun,
damit den früheren Opfern nid1t ne~e
hinzugefügt werden, damit Mensd1en mit
Mensd1en in Freiheit und Achtung leben
Helmut Gollwitzer
können.
PIUS ,XII.
Der Tod des Oberhirten der katholisroen Kird1e hat schlaglidltartig die konfessionelle Gewirotsverteilung in den
Kommunikationsmitteln der Bundesrepublik erhellt. Die erregten Anrufe vieler
evangelisroer Gemeindeglieder bei ihren
Kirchenbehörden wegen der dreitägigen
Beflaggung der öffentliroen Gebäude
konnte man im Blid1: auf das internationale diplomatisd1c Protokoll beschwirotigen. Wäre es aber nicht ein Zeid1en von Vornehmheit und Toleranz gewesen, wenn die evangelisd1en Schulen
von dieser Bestimmung befreit worden
wären, weil man, wenn man schon auf
dem Boden der Bekenntnissroule steht,
dem evangelisd1en Bekenntnis auro diesen
Ausdrucl;: des Bekennens zugestehen
müßte?
Wie nobel und wie respektvoll auch
nirotkatholisd1e Kommentare zum Tode
·dieses sicherlich großen Papstes sein konnten, das haben so untersroiedlid1e Persönlichkeiten wie Bisd10f Lilje, Kird1enpräsident Niemöllcr und Willi Eichlcr
vom SPD-Präsidium bewiesen. Wenn man
das Verhalten der großen Kommunikationsmittel kritisiert, so hat das nidlts, gar
nichts zu tun mit mangelndem Respekt
vor dem Tode 'oder aud1 nur vor dem
Tode eines katholisroen Oberhirten. Die
Art und Weise, in der sich Rundfunk
und Fernsehen in jenen Tagen betätigten,
in denen mit dem Abscheiden Pacellis zu
reclmen war und die auf seinen Tod folgten, das war sold1en Kommentaren gcgeniiber hörost bedenklid1. Schon die Stimmen einzelner Nachridltenspreroer waren
beim Verlesen der Narorichten aus Rom
so in Sentiment getaucht,, daß man
Tränenausbrüche befürroten •mußte. Ein
unwürdiges Kuriosum bleibt die Programmänderung an jenem Mittwodlabend
im Deutsroen Fernsehen, als eine artistisroe Varietesendung vorgesehen war und
stattdessen wegen des erwarteten Papsttodes läppisches Almglockenläuten und
Kühe in Großaufnahmen den Bildsd1irm
zierten und betönten.
Schärfste Kritik für jeden evangelischen
Christen mußte jedoch die Formulierung
eines Weihbisd10fs hervorrufen, der in
einer AnspradlC über beide Wellen des
WDR am 9. Oktober deutlich vom „ Vater
der Mensd1heit" sprach. Man fühlte sidl
an kräftige Zitate Luthers über den
Charakter des päpstlidm1 Stuhles erinnert und sah dann die Ungeheuerlichkeit einer solroen Formulierung wohl im
redlten Lidlt. Welches Selbstverständnis
hat der Protestantismus wohl heute, wenrt
er diese hierarchisd1e Institution' Roms
auch nidlt mehr im geringsten so sieht .
wie die Reformatoren? Wenn er nid1t
protestiert um irgendeines dann ·doch
wohl rerot zweifelhaften Friedens willen?
Durch dies Nein sollen und können die
Verdienste Pacellis nidlt herabgesetzt
werden, das ist klar. Aber bei allen
Nadu·ufen auf den Z weiundadltzigjährigen
vermißte man eine Ausdeutung seiner
Tätigkeit als Nuntius im Dritten Reich
und, mehr nod1, den Hinweis auf das
von ihm initiierte · und verkündete
Dogma von der leiblid1en Aufnahme.
Mariens in den Himmel, das die UnaSancta-Bewegung abbremste, die interkonfessionelle Verständigung zunidlte
madite und den Graben deutlich werden
ließ, den mand1e so gern übersehen und
in den sie dann hereinfallen. Haben wir
in jenen Oktobertagen daran gedacht, daß
ein weiteres Dogma„ das von der Mitt- ,
lerin Maria, zu erwarten ist?
Es wäre wünschenswert gewesen, wenn
in einem Land, dessen Mehrheit nichtkatholisch ist, auch in Rundfunk und
Fernsehen diesen Mehrheitsverhältnissen
Rechnung getragen worden wäre. Es geht
nicht um einen umgekehrten Kulturkampf, sondern darum, daß wir uns
gegen die sd1leichende Katholisierung und
Klerikalisierung des öffentlichen Lebens
eindeutig und deut!id1 zu wehren haben.
Alle erote Trauer - auch die der
Nidltkatholiken - über. den Tod Pacellis konnte nur entwertet werden durch
das Übermaß an Organisation in Trauer,
die in der Bundesrepublik aus unverständlichen Gründen in jenen Tagen proPeter Zenger
duziert worden ist.
Johannes XXIII.
Zum ersten Mal wird in wenigen Tagen der Vatikansender die Friedensbotschaft des neuen Papstes ausstrahlen,
dessen Wahl von so vielen Meinungen
wie Kardinälen begleitet und kommentiert worden ist. Kompromißlösung?
Übergangspapst? Die Weihnachtsbotschaft
wird einiges deutlicher sehen lassen, was
das Konklave verschwieg.
Unterrichtete kai:holische Kreise nehmen an, daß Johannes in mindestens
einem gewichtigen Punkt seinen Vorgänger korrigieren werde, in einem Punkt,
an dem wir die Entscheidung Pacellis bedauert haben: in der Frage der Arbeiterpriester. Die Fülle des vorgelegten Materials (hier hat sich der jetzige Korrespondent der WELT in Warschau, Ludwig
Zimmerer, mit seinen Blättern „Glaube
und Vernunft" verdient gemacht) hat
nicht darüber hinwegtäuschen können,
daß das Arbeitsverbot für die Arbeiter-
An unsel'e Lesel' !
priester in Frankreich (oder doch die
deutliche Einschränkung der Arbeitsmöglichkeiten) den Graben zwischen Arbeitel'schaft und römischer Kirche vertieft hat,
der für die französischen Gebiete und
nicht nur für sie seit Jahrzehnten deutlich war. Es wäre ein guter Beginn,
wenn Papst Roncalli durch ein Zurückgehen auf die erste Praxis Türen wieder
öffnete, die ziemlich laut ins Schloß gefallen waren. Eine solche Entscheidung
wäre nicht nur - wie wir als Außenstehende meinen ein Fortschritt im
guten Sinne für die römische Kirche, sondern auch für die Innenpolitik Frankreichs so klärend und weiterbringend,
daß positive Ausstrahlungen auch auf die
umliegenden Staaten und ihre Episkopate,
vornehmlich in der Bundesrepublik mit
ihren restaurativen Tendenzen im kirchlichen Leben, zu erhoffen und vielleicht
gar zu erwarten wären.
Daniel Wolff
Barth oder Jaspers?
Nachträglicher Kommentar zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Als anläßlich der Frankfurter Buchmesse im September dieses Ja.hre~ der ~m
besten Sinne des Wortes gew1cht1ge Fnedenspreis des Deutschen Buchhandels (eine
der wenigen Auszeichnungen in der Bundesrepublik, an die die Inflation der
Preise nicht rühren konnte) an Karl
Jaspers, den Philosophen, v:rliehen
wurde, konnte man von unterrichteten
Leuten hören: eigentlich 'sei Karl Barth,
der Basler Theologe, als Träger ausersehen gewesen. Die Wahl sei so gut
wie unter Dach und Fach gewesen, man
habe sich Gedanken über die Delegation
gemacht, die dem politisch oft umstrittenen, aber theologisch bedeutsamsten, die
Gegenwart seiner Disziplin am stärksten
prägenden Lehrer diese hohe Ehrung
habe antragen sollen.
Dann sei Karl Jaspers gewählt worden, dessen Buch „Die Atombombe und
die Zukunft des Menschen" ein bedeutender Beitrag zum Frieden sei und der
dann eine große Rede hielt, die alle zum
Nachdenken zwang, die sich das Nachdenken nod1 nicht abgewöhnt haben.
So weit, so gut. Seit seiner Stiftung
hat sich der Friedenspreis des Deutsd1en
Buchhandels durch sein .Komitee den
Träger gesucht, der würdig schien. Die
Wahl fiel auf Jaspers statt auf Barth,
den manche gern als Träger gesehen
hätten. In diese EntsdJeidung haben wir
nicht hineinzureden. Die Würdigkeit des
Philosophen mag so groß sein wie die
des Theologen. Hier gelten persönliche
Meinungen nur in ihren Summen. Die
Summe hieß Karl Jaspers.
Aber: das Gerücht besagt, die für Karl
Barth vorgesehene Ehrung sei nicht wegen der Meinungen im Komitee auf Karl
Jaspers übergegangen, sondern auf einen
Hinweis aus „gut unterrichteten Bonner
Kreisen" hin. Die gute Unterrichtung
habe in der Mutmaßung bestanden, daß
der ständige Ehrengast der Verleihungsfcier, der Bundespräsident, die Ehre seiner Anwesenheit wohl dem Philosophen
Jaspers, nicht aber dem Theologen Barth
geben könne, da dessen politische Ansieh~
ten und dessen eventuelle Rede über den
Frieden im diametralen Gegensatz zu den
· in der Bundesrepublik gängigen Vorstellungen stünden.
·
Ist das nicht besorgniserregend? Niemand
wird dem Bundespräsidenten zutrauen,
daß er selbst sich so geäußert habe. Niemand glaubt, daß dem Liberalen Heuß
so viel Liberalität abgehe, daß er, der
ein feines Gemerk für Größe hat, Karl
Barth nicht ehren wolle, selbst wenn er
andere politische Ansichten haben sollte.
Niemand wird meinen, Karl Barth könne
wegen seiner Stellungnahmen zur Wiederbewaffnung oder zum atomaren Wettrüsten preisunwürdig geworden sem.
Oder?
Ist es in der Tat so, daß das Friedenspreiskomitee seine Unabhängigkeit verloren hat, dieser Kreis, dessen Respektabilität bis heute nie angezweifelt worden
ist? Wohin sind wir gekommen, wenn
- falls das Gerücht stimmt - Winke
aus Bonn, womöglich aus der Umgebung
des Bundespräsidenten, nicht einmal von
ihm selbst, die getroffenen Entscheidungen revisionsbedürftig machen?
Das alles ist Gerücht. Ein Gerücht allerdings, das am besten sehr schnell aufgeklärt würde. Ein Mitglied des Komitees,
nach den Vorgängen befragt, berief sich
(das können wir verstehen) auf den
Konklavec~arakter de: Ko~iteesitzungen
und auf die Vertraulichkeit der Sitzungen. Nun, das Konklave scheint nidlt
ganz vermauert gewesen zu sein.
Albert Schweitzer war bei der Verleihung an Jaspers dabei als einer der
ersten Träger (freilich diesmal, ohne begrüßt und offiziell genannt zu werden).
Er wäre sicher auch dabei gewesen, wenn
Karl Barth der Geehrte geworden wäre,
Karl Barth, den man zuerst ehren wollte.
Wir schreiben dies nicht als · Attacke
gegen Jaspers. Das sollte deutlich sein.
Wir schreiben das nicht wegen der durch
Addition von Preisen ohnehin nicht zu
addierenden Ehre, die Karl Barth durch
sein großes Werk hat. Wir sdueiben das
nicht gegen ·den Bundespräsidenten, den
anzugreifen jede Plattform falsch wäre.
Wir schreiben das, damit der Friedenspreis seine doppelte Bedeutung behält:
ein Preis .für Menschen zu sein, die dem
Frieden dienen,. ein Preis von Menschen
zu sein, die in Unabhängigkeit von
außen - wie die Kardinäle .im Konklave, um im Bild zu bleiben - den
wählen, der ihrem Bild entspricht.
Johannes Rau
Im November haben manche Leser
die Zusendung der „Politischen Verantwortung" vergeblich erwartet. Das
hatte technische und sachliche Gründe.
Dafür hat diese Ausgabe acht Seiten;
wir bitten unsere Leser, diese Doppelnummer, die zu lesen sich gewiß an
den langen Abenden einmal lohnen
wird, als November/Dezember-Ausgabe hinzunehmen.
Die Betrachtung von Dietrich Bonhoeffer, die wir an Stelle einer Weihnachtsbetrachtung üblid1en Stils bringen, entstammt dem ersten Band der
„Gesammelten Schriften" (Chr. Kaiser
Verlag, München 1958, herausgegeben
von Eberhard ßethge). Wie aktuell
und wie deutlich diese Worte sind,
das braud1en wir, nicht zu unterstreid1en. Der Leser wird es den gedrängten Formulierungen abspüren. Wir
sollten uns vor ihnen nidlt theologisch
oder politisch abschirmen, gleichgültig,
wo wir theologisch oder politisch
stehen. Die „Gesammelten Sd1riften"
Bonhoeffers sind überhaupt mehr als
eine Schreibtisd1'ese. In ihnen zu lesen
lohnt!
In dieser Ausgabe ist von Büd1ern
die Rede. Der aktuelle Anlaß· zu
Rezensionen ist uns die Weihnachtszeit, in der nach verläßlichen Besprechungen immer gesucht wird. Darüber
hinaus werden wir auch in Zukunft
mit solchen Titeln bekannt machen,
die zum Durchblick durch die geistigen
und politischen Tagesnachrichten hilfreich sein können.
Das nächste Jahr ist mit einem ausführlichen Redaktionsprogramm, an
dem 'mehrere der , Mitherausgeber
beteiligt sind, vorgeplant. über alle
gelegentlich notwendige Polemik hinaus hoffen wir, in einigen Grund~
satzfragen Positionen aufzeigen zu
können, an denen eigene Positionen
überprüft werden mödlten. Herausgeber und Sd1riftleitung wünsd1en
allen Lesern ein gesegnetes Nacl1denken über das Weihnachtswunder und
ein gnadenvolles neues Jahr, das den
Frieden mehren und dem Unfrieden
1, w
weehtren möge.
L_
Die Herausgeber
Einheitsfront?
Inmitten des bayerischen Wahlkampfes
und in unverkennbarem Zusammenhang
mit der Landtagswahl veranstaltete
der Evangelische Arbeitkreis der CSU
in Bayern am 7. und 8. November
eine kulturpolitische Landestagung. Das
Tagungsbüro befand sich im Evangelischen Gemeindehaus in Erlangen, Am
Bohlenplatz 1. Dort fand auch die Hauptversammlung mit den Bundesministern
Schröder und Balke und dem NRWKultusminister Schütze statt. Die Aufmachung der Tagung mußte den Ein' druck erwecken, als ob sie im Rahmen
kirchlid1er Gemeindearbeit veranstaltet
worden sei und die Einheit von Kirche
und Unionspartei zum Ausdrud~ bringen
wolle.
Ob der gleiche Raum zu gleichen Bedingungen auch anderen Parteien, etwa '
SPD und FDP, zur Verfügung gestanden
hätte?
~\
daß sie die Freiheit haben, und sich
notfalls die Freiheit nehmen, uns als
einzelne Mensd1en ernstzunehmen und
uns nid1t als Gegenstand der Propaganda,
Selbstbehauptung des Ich dient. Bedenken
und d. h. nur als Mittel Zlt irgend einem
wir jedoch, was Resignation in dieser
Zweck behandeln. Wir verlangen die
Sache bedeuten würde!
Freiheit, mit jedermann zusammenzuWir würden uns nimt nur eines der
kommen, um uns in Rede und Gegenrede
wid1tigsten Mittel zur . Ermöglimung
selbst eine begründete Meinung zu bilden
eines mitmensmlimen Daseins begeben,
und uns nad1 unserem Belieben zusamund zwar des vornehmsten Mittels, das
menzusmließen, um diese Meinung geschled1terdings durch kein anderes zu ermeinsam zu öffent!imer Wirkung zu
setzen ist. Wir würden nimt nur darauf
bringen. Diese Freiheiten sind die Grundvcrzid1ten, als Menschen miteinander und
voraussetzungen für das staat!ime Leben
füreinander da zu sein. Wir würden uns
in der Form, die wir Demokratie nennen.
nimt nur damit begnügen, daß wir eben
Nun beruhen diese Grundvoraussetzunwohl oder übel nebeneinander da sind
und smlecht und recht miteinander ausgen aber selbst wieder auf einer Vorauskommen und aneinander vorbeikommen
setzung, ohne die sie völlig sinnlos würmiissen, weil es eben aum von uns Menden. Diese Voraussetzung ist nicht die,
sd1en gilt, daß „hart im Raume stoßen
daß die Mensd1en dazu von Natur versim die Samen". Wir wiirden vielmehr,
nünftig, uneigcnniitzig und guten Willens
wenn wir uns damit abfänden, den Mitsein müßten - das sind sie gewiß nicht,
Mensmen selbst zu einer Same mamen,
sondern die Voraussetzung, weld1e alle
jene Freiheiten sowohl fordert als ermögdas Du zu einem Es, mit dem man nimt
limt, liegt darin, wie wir jetzt ganz cinmehr reden kann. Wo es aber kein Du
mehr gibt, weil dieses zu einem Es gefam sagen können, daß der Mensd1 dazu
bestimmt ist, mit seinem Mitmenschen zu
worden ist, kann es aum kein mensd1reden, um dadurch erst selbst sein
lid1es Im mehr geben. Wo das Du ausfällt, weil es zu einem Es, zu einem der
Mensmsein zu gewinnen.
hart im Raume sid1 stoßenden Samen
Alle Freiheiten jener Mensd1enred1te
geworden ist, an dem man sich eben nur
würden uns offenkundig nid1tS helfen,
nom stoßen kann, da fällt aum das Im
wenn wir zwar Redefreiheit hätten, aber
aus. Da wird aum das Im zu einem Es,
gar nid1t mehr miteinander reden würdas auf den Anstoß des anderen zurückden, wenn wir nur noch Monologe halten,
stößt, das nichts anderes mehr ist, als
aber keinen Dialog mehr führen könnten.
die Resultante aus den Komponenten
Und was ohne jene Voraussetzung aus
des mitmensmlimen Kräftefeldes, in das
der Versammlungsfreiheit würde, liegt
es hineingestellt ist. Da wird aud1 das
auf der Hand. Daß die öffcntlid1e VerIm zu einer Sache, die sim dann nimt
sammlung als Mittel und Sdrnuplatz des
mehr dagegen'. wehren kann, von irgendKampfes zur Durd1setzung bestimmter
einer übergeordneten oder übergreifenden
politismer oder sozialer Ziele dient, ist
Mamt als Same unter Samen in einer
an sich keineswegs zu beanstanden. Hier
möglidlSt samlid1en Ordnung verredmet
könnte sogar auch einmal der Monolog
zu werden, ob diese Mamt nun der Staat
in der Redeweise der Kundgebung seinen
ist oder die Wirtsdrnft oder die öffentlegitimen Ort haben, falls er von dem
lime Meinung oder sogar - aud1 das
Glauben an jene freimamende Kraft des
muß gesagt werden - die Kird1e. Wir
Wortes getragen wäre. Aber ob das der
müssen allen Ernstes aum diese MöglimFall ist, müßte sim daran zeigen, daß der
keit bedenken, daß aum die Kirme diese
in der Form der Kundgebung MonologisieMenschen, weld1e nicht mehr als Id1 und
rende vom ernten Dialog herkommt und
Du miteinander reden können, nur nod1
wieder zum ednen Dialog hinstrebt. Man
als ein Es betradnen und behandeln
kann es aud1 so sagen: Er müßte zuerst
würde.
selbst im Dialog zu seinem Mensmsein
Es ist wohl deutlid1 geworden, welme
befreit worden sein, ehe er einen sold1cn
sd1windelerregenden Perspektiven sid1
Monolog wagen darf. UnJ er müßte beauftun, wenn wir uns damit· abfänden,
reit sein, diesen dann jederzeit wieder
daß das von Mensd1en gespromene Wort
im Dialog mit Mensd1en zu verantworseine Kraft und Bedeutung verloren hat.
ten, von denen jeder Einzelne für ihn
Wenn nur nod1 Monologe gehalten werkein Es, sondern ein Du ist.
den und es keinen Dialog mehr gibt, in
Ob unter diesen Voraussetzungen diewelmem ein Ich ·und ein Du sid1 gegenser oder jener unserer Versammlungsseitig zum Mcnsd1sein befreien, um sim
redner sim seine Tätigkeit leisten kann,
als Mensmen begegnen zu können, dann
mag jeder selbst beurteilen. Als Kriterien
gibt es aum keine mensmlid1en Mensd1en
für den negativen Fall wären etwa folmehr; und unter diesen zu Unmenschen ,
gewordenen Wesen kann es 'dann all das· gende zu nennen: Bei dem Redner, der
nidn an die freimamende Kraft des
nimt mehr geben, was wir mit dem Wort
Wortes glaubt, wird seinem Monolog
Humanität umsmreiben.
kein Dialog vorangegangen sein. Er wird
Bedenken ~ir nur, was das bedeuten
statt dessen vorher die Institute zur Erwürde in der gegenwärtigen Weltsituforsdmng der öffentlimen Meinung beation mit ihrer alles beherrsd1enden Ausfragt, er wird die Psymologie der Masse
einandersetzung zwismen Ost und West,
zwisd1en „freier" und „versklavter" Welt.
Unkostenbeiträge (Rimtsatz jährWie will man den Kampf um Menlich 5,- DM) für die „Politisme
smenremt und Mensmenwürde führen,
Verantwortung" erbitten wir
wenn man in bezug auf den Menschen
selbst, auf das, was seine 1Mensmlimkeit
in der Bundesrepublik und Westausmamt, bereits resigniert hat?
Berlin auf Postsmeckkonto Köln
51 830 (Johannes Rau)
Zu den Mensmenremten, ohne die wir
im Saargebiet auf Postsmeckkonto
uns ein mensd1enwürdiges Leben nimt
vorstellen können, gehören die Rede-,
Saarbrücken 8921 (Günther Heipp,
Presse- ttnd Versammlungsfreiheit. Wir
Saarbrücken).
wollen frei und offen sagen dürfen, was
Vielen Dank für alle finanzielle
wir denken. Wir erwarten von den OrDie Herausgeber
Hilfe!
ganen der öffentlimen Meinungsbildung,
POLITISCHER DIALOG
1
~.
1
Zum Dialog gehören zwei Mensd1en,
ein Im und ein Du, zwei Mensmen, die
miteinander reden und aufeinander hören. Man kann es auch umgekehrt sagen:
nur dort, wo das geschieht, begegnen sich
die beiden als Menschen. Der Nad1druck
liegt auf beidem: auf dem Begegnen und
auf dem M enschsein. Wie beides zusammengehört, weiß jeder aus seiner täglichen Erfahrung.
Wir spred1en zum Beispie~ mit .einem
politisd1 Andersdenkenden, 1m privaten
Kreise, in der Wahlversammlung oder
im Parlament. Wir haben beide Mund
und Ohren. Jeder redet und jeder hört.
Und trotzdem kann es gesmehen, daß
wir gar nicht miteinander reden und
nimt aufeinander hören, sond.ern uns
höchstens auseinander reden. Wir haben
hinterher das Gefühl, uns mit einer
Schallplatte unterhalten zu haben, und
vermutlich hat der andere uns gegeniiber
dasselbe Gefühl. Jeder hat einen Monolog
gehalten, aber es kam zu keinem Dialog.
Wir sind wohl beieinander gewesen und
haben zueinander gesprod1en, aber wir
sind uns nimt als Mensmen begegnet.
Wir haben das mcnsmlime Wort herabgewürdigt zu einem Mittel der Propaganda. Ein Zusammentreffen von Lautspremern· und , Befehls!!mpfängern ist ja
keine mcnsmlimc Begegnung, sondern
eine ausgespromen unmenschlime Angelegenheit. Das Schlimmste, worüber wir
im Jahre 1933 hätten erschred,en müssen,
war nicht nur die Ernennung eines Propagandaministers, sondern. der Zynismus,
mit dem man es wagte, ilm aum offen
so zu bezeimnen. Damit war die Verachtung der Mensd1en\vü~de . offüiell i:.roklamicrt· und alle die daraus spater
'folgende~ Unmenschlimkeiten waren damit bereits ermöglimt und vorgezeidmet.
So muß es gehen, wo das dem Mensmen gegebene .Wort, das i.hn V?m Tier
untersmeidet, mcht mehr em Mmel der
Begegnung zwischen einem Im und einem
Du ist, einer Begegnung, in der beide
erst frei werden zu ihrer wahren Mensmlimkeit, wo man sim nimt mehr unterredet und darum nur noch nebeneinander,
ohneeinander und gegeneinander, aber
nid1t mehr miteinander leben kann.
Wir brauchen nicht weiter auszuführen,
wie dieses Nid1t-mehr-miteinander-redenkönnen sich genau so wie im öffentlid1en
Leben aum in unserem privaten Dasein
auswirkt: in unserem Zusammenleben in
Ehe und Familie, in Frcundsmaft und
Nambarsmaft. Jeder mag dabei an die
Erfahrungen seines eigenen Lebens denken, an das Gefängnis des Im, dem die
Türe zum Du versmlosscn ist, das zum
Unmensmen wird, weil ihm die Freiheit
zur Begegnung mit dem Du fehlt. Jeder
weiß, wie unendlid1 einsam man auch zu
zweien sein kann, wo es bei bloßen
Monologen bleibt und es nimt zum
Dialog kommt.
Aber eben w.eil wir das alles aus eigener tausendfältiger Erfahrung kennen,
sind wir nur allzuleimt bereit, uns damit
abzufinden, daß das von Mensmen gespromene Wort offenbar s<::ine Kraft und
Bedeutung verloren hat, daß die Sprache
nur nom dazu da ist, die Gedanken zu
verbergen, daß sie ein Mittel geworden
ist, nimt dem anderen zu begegnen, sondern sim ihn vom Leibe zu halten, daß
sie als Propagandainstrument nimt der
Kom~unikation, sondern der Durmsetzung der eigenen Ziele und Ideen, der
Politischer Dialog
als Mittel zu deren Beeinflussung studiert, er wird sich alle Erfahrungen der
Werbetedinik zunutze gemacht haben, er
wird sich "'- kurz gesagt der
Demoskopie als Mittel zur Demagogie
bedienen. Und er wird sich hüten, den
so zustandegekommenen Monolog hinterher im. Dialog vor seinen Hörern zu
verantworten. Statt eines Dialogs wird
er sich höchstens auf eine Diskussion
einlassen, die er dann genau mit denselben Mitteln und in derselben Weise
führen wird wie vorher seinen Monolog.
Und erfahrungsgemäß wird dabei derjenige den größten Erfolg haben, der am
wenigsten an die Kraft des Wortes
glaubt und dafür am besten jene Technik
der Manipulation, der „Behandlung" der
Menschen beherrscht. Man darf sich bloß
nicht darüber täuschen lassen, daß jener
Erfolg erkauft ist um einen Preis, den
BUCHBESPRECHUNGEN
Wolfgang I•'oerster, Generaloberst Ludwig lleclc. Sein Kampf gegen den Krieg.
Isar-Verlag Dr. Günter Olzog, München.
172 Seiten:, Ganzleinen, 7,20 DM.
Wird der 20. Jull bei uns bewußt totgeschwiegen? Wäre nicht hier Gelegenheit gegeben, jungen Menschen Vorbilder
zu zeigen und verständlich zu machen?
Warum überläßt man dies J!'eld dem Starrummel? Der 2-0 •. Juli kann zu einer verpaßten Chance in der deutschen Geschichte werden!
Wir ·haben· dem Isar-Verlag dafür zu
danken, daß er Wolfgang Foerster, einem
Freunde LUdw!g Becks, Gelegenheit gab,
das Dunkel, zu einem Tell zu erhellen,
und zwar an einer der markantesten
Persönllchkelten des 20, Jull: an Generaloberst Ludwig Beck. Das Buch bezeugt
Beck als einen· Mann vornehmer Gesinnung, sorgfältigen Denkens und hoher,
ritterlicher Verantwortung. Dies Buch,
dem man weiteste Verbreitung wünschen
sollte, lcönnte der Bundesverteidigungsminister seinen Offizieren schenken, damit sie das Wesen des Soldaten .richtig
sehen lernen . . .
Wenn je eine Zelt Männer vom Schnitt,
von der Unerbittlichkeit, der Selbsterziehung und dem Weitblick Ludwig Becks
nötig hat, dann Lst es unsere Zelt, in der
so folgenschwere Entscheidungen wie die
der atomaren Bewaffnung das Ethos des
Soldaten neu zur Diskussion stellen. Aber
nicht nur die Militärs sind die notwendtgen Leser dieses Buches, das von einer
l"reunde:>hand sicher und sauber geschrieben wurde.
II. o. M.
Friedrich Karrenberg (Her.ausgeber), Evangelisches Sozlallexllcon. Kreuz - .Verlag,
Stuttgart. 1176 Spalten, 38,- DM.
Lexikalische Werke setzen nicht nur eine
langjährige Verlagstradition, sondern auch
ein fähiges Team von Fachleuten voraus.
Darüber hinaus sind solche PublikaHonen zunächst mit großen finanziellen Aufwendungen· verbunden. Um so erfreulicher ist es, daß zwei evangelische Verlage sich auf diesem Gebiet Verdienste
erworben haben. Abgesehen von der
Neufassung der RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart), von der erst ein
Band in Neufassung vorliegt, haben der
Verlag Vandenhoeck & Ruprecht mit der
Herausgabe des EvangeL!schen Kirchenlexikons und der. Kreuz-VeTlag in Stuttgart durch das 'I!!vangelische Soziallexikon
eine, wichtige Funktion für die wissensclrnftlicl1e Bewußtmachung evange!lschen
Gedankengutes und evangelischer Geschichtskraft ausgeübt.
.
Wer in der politischen, vor allem In der
sozialpolitischen Arbeit der Bundesrepubllk heute steht und mithelfen will, daß
der evangelische Aspekt nicht ständig
überdeckt wird, findet gerade im Evangelischen Sozlalle:xiikon eine wertvolle
Hilfe. Sicherlich wird man von streng
lexikographischen Gesichtspunkten einige
Mängel im Blick auf die Objektivität einzelner Beiträge entdecken können, da die
Vertreter· bestimmter Schulen die verschiedenen Fachfragen mit Namensart!-
man auf keinen Fall zahlen dürfte. Der
Preis auf seitcn des Redners besteht
darin, daß dieser aus einem Menschen zu
einem bloßen Manager der öffentlid1en
Meinung wird und, je besser er dieses
Geschäft versteht und je mehr Erfolg er
dabei hat, desto mehr in Gefahr gerät,
zu einem zynischen Verächter der Menschen, die sich in dieser Weise behandeln
lassen, und darüber selbst zum Unmenschen zu werden. Der entsprechende
Preis auf seiten des Hörers besteht darin,
daß dieser, ob er nun merkt, wie er behandelt wird oder nicht, sich damit abfindet, kein Ich, sondern ein Es, und damit eben nur noch das. Objekt jener Behandlung zu sein. Das Bewußtsein seiner
Preihcit wird sich darauf beschränken,
daß er wenigstens die freie Wahl zu
haben meint, von welchem der verschiedenen Manager er sich behandeln lassen will.
Um die Höhe dieses Preises zu ermessen, bedenke man, daß heute bei uns
solche Redner und solche Hörer, und
zwar auf allen Seiten dieses allgemeinen
ßehandlungsübereinkommens und seiner
Manipulationsmethoden, vorgeben und
am Ende sogar meinen, damit für die
Freiheit von Menschenred1t und Mensd1enwürde zu kämpfen. Und sie wollen nicht
begreifen, daß sie selbst ja längst den
Glauben an jene Menschenwürde preisgegeben haben und nichts anderes tun,
als ihn täglich aufs neue untergraben.
Was sie als Freiheit der Humanität ausgeben und verteidigen zu müssen meinen,
unterscheidet sich doch von der Unmenschlichkeit des Ostens im Grunde nur
noch darin, daß wir die Freiheit der
Wahl zwischen verschiedenen Formen und
Graden der Unmenschlichkeit haben.
Imin abhandeln. Dies läßt sich aber bei
einem so vet'hältnismäßig jungen Tätigkeitsbereich und infolge der noch recllt
schwächlichen evangelischen Gesellschaftslehre nicht anders erwarten. In der Tat
wird hier enzyklopädisches Wissen über
eine entscheidende Funktion der Kirche
in der modernen Welt dargeboten. Deswegen hat sich der Band mit seinen
1176 Spalten einen festen Platz sowohl
in wissenschaftlichen Bibliotheken als
auch In den Handbüchereien der Somalpolltiker errungen. Beachtlich ist in der
Konzeption des Bandes, daß keine separate Soziallehre dargeboten wird, vielmehr ist alle Aussage über soziale Gegebenheiten hineingebunden in evangelisches Denken und neutestamentliche
Verkündigung. Dies scheint uns auch
der einzig le1gibime Ansatz für soziale
Aktion aus evangelischer Motivierung zu
sein. Das Soziallexikon weist durch diese
Grundhaltung, die in engem Kontakt niit
den Absichten des Deutschen Evangelischen Kirchentages zu sehen ist, über
eine Sammlung von Fakten zur sozialen
Wirklichkeit lm evangelischen Raum
heute hinaus. Im Grunde Ist hier
nämlich von der Praxis her der Versuch
eingeleitet, über die seitherigen Ansätze
der christlichen Gesellschafts.wlssenschaften auf evangelischer Seite hinauszukommen. Das einzige Ordinariat, das In
Deutschland für diese theologische Disziplin besteht, .kann diese Aufgabe allein
nicht bewältigen. Deswegen muß durch
Arbeiten, wie sie das Evangellsclle Soziallexikon darstellt; zur weiteren Fundierunr: und zum praktischen Vollzug der
SozlalpolltiJc ln evangelischer Sicht der
Weg geebnet werden,
P. Z.
Gangloff bringt den Kommunismus als
Frage an die Christenheit zur Sprache (eine
notwendige Frage!), Joachim Bodamer
kennzeichnet die rechtverstandene Askese
als Beitrag zur l<'relhelt in der technischen
Welt, Jüvgen Schroer fragt in einem sehr
präzisen Beitrag (den unsere Leser in
dieser Ausgabe kennen lernen) nach den
Erwartungen der Jugend den Erwachsenen gegenüber - dann geht der Katalog
der Modelle we.lter über die Handlungsfreiheit des Politikers (W. Schweitzer)
und die Bildungsfrage (H. Beclrnr), das
Problem dH Selbstbestimmung der Völ·
ker (A. Rüstow) bis hin zur „Freiheit
zum Frieden", über die Friedrich :m~er
einen außerordentlichen Beitrag dem
Band als Ab~chluß gab.
Gewiß: das ist nur eine unvollständige
Aufzählung, nicht einmal eine Wertung.
Aber wer (wie der Rezensent) vielmals
zum Nachdenken gezwungen wurde, den
Band in einem Zuge durchgelesen und
manches gelernt hat, der vermag sich den
kritischen Worten üb~r Sammelbände zumindest in diesem Falle nicht anzuschließen. Die. Frage des 'l'itels ist hier nicht
bloß zugkräftig gestellt, sondern die
Antworten sind gerade für ·den überlegenswert, der ~m politischen und sozialen und kirchlichen Leben unserer Tage
die Freiheit zur Verantwortung wirklich
wahrnehmen und nicht vertun möchte.
Deshalb ist nicht nur dem Verlag zu
diesem Buch zu gratulieren, sondern
jedem, der es kritisch und wach wirklich liest.
J. R.
Hermann Diem
Paul Sethe, Die großen Entscheillungen.
Verlag Helnr~ch Scheffler, I•'rankfurt am
Main. 132 Seiten, Pappband, 6,80 DM.
Ulrich
Schmidhäuser
(Herausgeber),
Es ist gut und wohltuend, diesen RückWelcl1e Freiheit meinen wir?. Kreuz-Ver·
blick auf ipolit!sche Ere.ignisse der jünglag Stuttgart. 252 Seiten, Ganzleinen,
sten Vergangenheit zu lesen, den ein
14,80 DM.
Mann geschrieben hat, dem es sehr ernst
„Freiheit" - das Ist eines der vielen
Ist mit der Pressefreiheit und mit der
lcranken, weil zu oft gebrauchten und
Presseverantwortung, die aus dieser Freimeht mißbrauchten Worte, zu finden auf
heH kommt. Gerade diese Verantwortung
den Fahnen der Kriegswilligen aller Zeibringt den Autor dazu, die Welt ,an den
ten und der Ideologien iln Ost und West.
Einzelereignissen des politischen GescheDaß der Soldat allein der freie Mann
hens, gleicllgültig, wo es sich abspielt.
sei, glaubt Friedrich · v. Scll!ller scllon
wirklich in den BUck zu bekommen.
längst keiner mehr. Aber wer ist denn
Hinter seinen Analysen werden Ernst,
frei? Der Westen, der sich dies Adjektiv
leidenschaftliche Anteilnahme und Wille
zugelegt hat? Der Individualist? Der
zur Mitverantwortung vorbildlich deutMensch im Arbeiter- und Bauernstaat? - l!ch. Hier wird nicht analysiert um des
Welche Frethelt meinen wir?
Zergliederns willen, sondern um neue
Ansätze zu gewinnen und künftig notDer vorliegende Sammelband gibt zum
wendigen Entscheidungen das Vorfeld zu
Glück lcelne eindeutige Antw.ort auf der
räumen.
Der Bogen der Analysen Lst weit
Folie eines „christlichen" Menschenbildes
gespannt - er .muß es auch sein! -, begegen ein anderes, unfreieres. Vielmehr
ginnend mit den Sputniks, endend be.!
gehen die Autoren - die recht unterStresemann (das ist ein Hinweis!) ..
schiedlichen Autoren, der Herkunft und
dem Ziel nach - auf je Ihrem Gebiet
So wird dies Buch zum Lehrbuch (freiden vielfältigen Verflochtenheiten in die
lich: nicht viele Politiker möchten lerUnfreiheit und den vielfältigen Möglichnen), Es kö~mte das festgefahrene Gekeiten zur Freiheit nach - Im geistigen
spräch über die politische Gegenwart·
und kulturellen, im pol.itischen und soziwieder in Gang setzen - bei uns allen,
alen Bereich. „Während der östliche
die wir nach dem Wortlaut des Grund·
Freiheitsbegriff pervertiert ist, hat sich
gesetzes· Träger der Staatsgewalt sind.
der westliche zunehmend entleert," stellt
Hier schreibt einer, dem ist es mit der
Schmidhäuser in der Einleitung fest, Ihn
Mitverantwortung ernst. Davon lebt die
zu füllen - nilcht mit Luft, nicht mit
Demokratie.
Wer wirklich Anteil nehmen
Worten, sondern mit verantwortlichem
will, braucht Klarheit und Bewußtheit.
Wahrnehmen 'der Freiheit in eben den
Dies Buch kann dazu helfen, beide zu
genannten Bereichen -, darum geht es.
gewinnen. Wenn ein solcher· Ruf uns
Walter Dirks beginnt mit einer Analyse · nicht mehr erreichte? - aber nein, so
der l~tzten dreizehn Jahre, Erich Müller·korrumpiert sind wir noch nicht. H.O.M.
was die Jugend erwartet
I.
Gesd1idne überhaupt versteht, läßt ziemOrdnungen und nicht neben ihnen wirken
li?i sicher auf die Stellungnahme sehr zu lassen. Die Gefahr der Erziehung zum
Wer das Gespräch mit jungen Menschen
vieler Eltern schließen. Es ist hier nicht
Konformismus ist bei dieser Bemühung
wagt, muß es auf sich nehmen, daß er
von Neofasd1ismus oder Neonationalisebenso groß wie die der Erziehung zur
seine Erwartungen vielfach entttäuscht
mus
zu
reden,
sondern
eher
von
Unsogenannten Persönlichkeit, die sich von
sieht. Fruchtbar wird ein solches Gespräch
belehrten und Unbekehrten, von Unbeeiner sogenannten Masse distanzieren zu
für die Parmer erst in dem At1genblid,,
l~hrba;en un~ Unbekehrbaren, die ledigkönnen meint und ihre Mitmenschlichkeit
in dem beide ihre Enttäuschungen hinter
li~h emc Zeitlang ihre Meinung etwas
verfehlt. Innerhalb der Jugendverbände
sich lassen und das Gespräch so weit
diskreter äußerten als heute. Dazu komsind es vor allem zwei Gefahren, die
führen, daß ein wirkliches Engagement
men die Verwundungen durcli die Art
keineswegs gebannt sind: die der Verentsteht. Aber wünscht man dieses
und ~eise .der Entnazifizierung, das
kinderung und die des Funktionärstums.
Engagement ,wirklich? Ist das Interesse
Schweigen
vieler
Lehrer,
die
offiziellDa die Jugendverbände mehr oder wenider Gesellschaft an der Jugend nicht
doktrinäre Geschichtsbetrachtung in der
ger Erben der Jugendbewegung sind,
mehr oder weniger aussd1ließlich darauf
Ost-West-Frage und die Verharmlosung
trägt ihre Struktur vielfach deren Züge.
ausgerid1tet, für eine naht- und brud1d.es Problems de.r. Wiederbewaffnung zu
Soweit es sich um Gruppen von etwa 10lose Überführung in die als vorgegeben
e1~1er ~rage po.lmscher Zweckmäßigkeit.
bis 15- oder auch 16jährigen Jungen und
erklärten und verhältnismäßig feststehenDie Wirkung dieser Faktoren kann vielMädd1en handelt, ist dagegen nid1ts einden Traditionen und Ordmmgen geistiger,
fach i;ur als V ~rstodrnng gcgeniiber der
zuwenden. Die Erprobung in diesen Forwirtschaftlicher, politischer, kurz jeder
Gescli1chte bezeichnet werden. Daß sie
men bedeutet eine ausgesprochene LebensArt zu sorgen? Man könnte etwas bössich bei der Jugend ebenso zeigt wie bei
hilfe für viele junge Menschen. (Daß es
artig, aber nicht falsdi, da von reden, daß
einem großen Teil der Erwachsenen ist
bisher kaum. gelungen ist, Jungen und
die Jugend für unsere Gesellschaft im
kein W~m~er. Eine Stimme für viele '(aus
Mädchen zu erreiclien, die auf diese Forwesentlichen in der Frage, nad1 ihrem
d~r beis,i:nelhaften Leserzuschrift eines
men nidn anspred1en und die vielfad1
Heizwert interessant wird: man sucht
S1e~zcl111Jährigen zu Beiträgen einer evanzu den Besten gehören, ist eine Frage,
Brennmaterial, um das Feuer in den Dfen
der die Verbände nid1t länger ausweichen
der jeweiligen Ideologie, des Bildungs- geh.sd1en. Schülerzeitschrift zum Thema
„~Iitlcr m uns"): „Die Zeit ist noch niclit
können. Wer diese Menschen als nicht geideals oder Menschenbildes, der wirtreif zur ~eurteilung dieser Zeit des
meinschaftsfähig bezeidmet, weid1t nur·
schaftlichen Entwicklung oder des WohlD~itten
Reiches.
Man
kann
sich
erst
in
der Frage nach der wirklichel1 Substanz
standes, der jeweiligen Gesellsdiaftsordmi.nde~tens sed1zig Jahren ein einigermaßen
dessen aus, was sid1 heute alles unbesehen
nung und ihrer Sicherheit am Brennen zu
ob1elmves Urteil darüber bilden. Hier
und ungestraft als Gemeinschaft meint
halten. Man kann es au.:h weniger bösvon. Verantwortung und Pflicht eine>
bezeidmen zu ~önnen.)
artig, aber damit nicht richtiger, so sagen:
Christenmenschen zu sprechen und damit
Eine Gesellschaft, die um ihrer eigenen
Aber die genannten Formen stellen
zu versuchen, das, was hier geschehen ist
Zukunft willen sich der Jugend bemächleider innerhalb der Verbände oft noch
des
Dritten
Reiches
die
Beurteilung
tigt, verhindert damit , deren und ihre
mehr als Arbeitsformen, nämlich Reste
und die Veröffentlichung dieser Artikel
eigene wirkliche ,zukunft. Es scheint
einer jugendbewegten „Weltanschauung"
- zu rechtfertigen, wäre zu billig ... Wir
manchmal so, als opfere man lieber die
dar und werden also häufig über diese
Deutschen versud1en an allen Dingen
, Mensd1en um einer Ordnung willen, als
Altersgruppe hinaus verlängert. Damit
et"'.as auszusetzen, sogar an unserer Gedaß man um der Menschen willen die
umgreifen sie nid1t mehr, was das Leben
schid1te.
Aber
nehmen
wir
uns
ein
BeiWandlung einer Ordnung, ihr Ende und
der über 15- oder 16jährigen in weitem
an
den
Engländern.
Sie
heißen
alles
spiel
also gegebenenfalls den Beginn einer
Maße bestimmt: von den Sachfragen der
gut,
was
ihre
Geschichte
anbetrifft
neuen Ordnung zu ertragen bereit wäre.
Berufsausübung bis zur Begegnung mit
sie
kritisieren
niclit
und
fühlen
~~eh
Unter der Parole der Sicherheit geschieht
dem anderen Geschlecht. Also setzt hier
etwas Nationalbewußtsein." Man kann
dies in Ost und West nicht nur in politidie Abwanderung aus den Verbänden
eigentlich dazu nur mitBertBred1t(„Furcht
scher und wirtsdiaftlicher Dimension, sonein. Sie geschieht in eine Welt, von der
un~ Elend des Dritten Reiches") sagen:
dern ebenso weithin in der geistigen, der
innerhalb der Verbände kaum oder nicht
„Mit der Objektivität fängt es immer
erzieherischen und der kulturellen.
richtig die Rede war und zu deren
an." A;ber hier ist . mit Aufklärung, mit
Institutionen, Milieu und Erziehung
Meisterung innerhalb der bisherigen Algeduld1?em Unternd1ten solange nichts
tersstufe aud1 kaum Handgriffe gezeigt
auf diese Ordnungen hin haben mit der
zu erreiclien, als bestenfalls von eigenen
werden konnten. Gelänge es nun, diese
Jugend vielfach ein leichtes Spiel. Denn
F.ehlentscheidungen gesprochen, aber niclit
der allgemeine Wunsch der jungen MenAbwanderung dadurd1 zu stoppen oder
eigene Schuld bekannt wird uml also
überflüssig zu mad1en, . daß man aucli
schen, möglichst schnell erwachsen und
nid1t vergeben werden kann. Bei der
damit gleichberechtigt zu werden, kommt
für diese jungen Erwaclisenen geeignete
Antwort auf die Frage unserer Gesd1ichte
den Intentionen der Gesellschaft entgegen.
Formen der Geselligkeit findet, so wäre
fäll~ heute eine der tiefgreifenden EntEin großer Teil der, Jugend ist zum Konnid1t nur diesen Menschen, sondern auch
sd1e1dungen. Aber angesichts dieser Frage
formismus entschlossen. Die Erkenntnis
den Verbänden selbst cntsd1eidend geholorganisieren sicli in uns und unter unsefen. Das ist eine Frage des Niveaus, der
eigener Ohnmacht der Gesellsdiaft und
ren Augen die Unbußfertigkeit und der
ihren Ordnungen gegenüber fördert diese
Wille, einander niclit wirklich zu ver- ' Lebensnähe, des Ernstes und der Weite
Entwiddung. Aber noch stößt man sicli
der Jugendarbeit, die Frage danacli, ob
geben und jedes Engagem,ent zu untereine Zeitlang an diesen Ordnungen. Die
es den Verbänden um sid1 selbst oder
lassen. Wir können der Frage niclit länGründe dafür sind nicht nur entwid'um die Jugend geht. Solange aber das
ger au.swe_ichen, was .wir hier der Jugend
lungspsychologisch aufzuhellen, , sondern
Scliwergewicht der Arbeit 'der Verbände
sdrnld1g smd, das heißt, ob wir hier verliegen in der Erfahrung der Problematik
a!1twortlich handeln oder die Jugend an
dieser Ordnungen. Die jungen Mensclien
die Verhaltensweise des repräsentativen
erfahren zum Beispiel, daß Reden und
Schulnot
Durd1schnitts der Erwachsenen gewöhnen
Handeln der Personen, die ihnen gegenüber wollen.
Der
augenbliddid1e
Fehlbestand an
vielfach nur auf Grund der Ordnung und
II.
Klassenräumen beträgt in der Bundesder damit verbundenen Macht Autorität
Es war davon die Rede, daß sich die
republik noch immer etwa 22 000. Dieser
beanspruchen (und leider besitzen), ausJugend
niclit bruchlos in die Ordnungen
Fehlbestand würde bei Einführun!i des
einanderklaffen. Sie erfahren, daß die
der Gesellschaft einordnet, sondern sich
neunten Sdrnljahres, ·bei einer Herabset,Art und Weise, in der der sogenannte Ju. noch eine Zeitlang an ihnen .stößt. Hierzung der Schulklassenbelegung auf35 Scliügendscliutz gewahrt wird, häufig nur ein
an un~er anderem ist seinerzeit die Ju'ler und bei der Erweiterung des Volu- ,
Alibi für die Erwaclisenen bedeutet, ein
ge?dbewegung entstanden und gesclieitert.
mens der höheren Scliulen um 30 000 auf
Feigenblatt, das deren Blöße wenigstens
Die Ordnungen waren stärker. Der Jdca52 000 ansteigen. Der Fehlbedarf an
vor den Augen der Jugendliclien belismus der Jugend verpuffte mehr oder
Lehrern sämtlicher Schularten maclit zur
ded1:en soll. Sie erfahren, daß viele Menweniger nutzlos in dem Traum von einem
Zeit insgesamt etwa 7000 aus. Diese Zahl
sd1en der älteren Generation ausweid1en,
Jugendreicli. Den Rest haben zwei
würde bei Einführung des neunten
wenn nach der jüng~t vergangenen Epoclie
Weltkriege
zerstampft. , Festzustellen
Scliuljahres in der ganzen Bundesrepublik
der dcutsclien Geschiclite gefragt wird. ·
bleibt, daß verantwortliches Engagement
um zusätzlid1 rund 12 000 auf 19 000 anEs ist notwendig, dies Problem einmit jungen Mensd1en darauf zielen muß,
steigen. Die Scliulausgaben je Kopf der .
gehender zu schildern. Der'. ersdued1:ende
diesen Mensclien zu helfen, ihren Weg in
Bevölkerung betragen in den USA
Befund, daß nur ein ganz 'geringer Teil
die Ordnungen unserer Gesellschaft zu
93 Dollar, in der Bundesrepublik 16,5
der jungen. Generation diese Frage der, finden und ihre Kraft innerhalb dieser
Dollar.
·
1
l
bei Kindern und nicht bei jungen Erwachsenen liegt, können auch nicht genügend Anstrengungen gemad1t werden,
jungen Menschen zum Erwachsen-, zum
Mündigwerden zu verhelfen. Stattdessen
wird die Verkinderung derer, die in dem
genannten kritisd1en Stadium nicht abwandern, fortschreiten.
Die Gefahr des Funktionärstums hängt
eng hiermit zusammen. Sie ist durch den
jeder Gruppierung innewohnenden Drall
gegeben. Hier kann nur eine entschlossene
Wendung helfen, das Erwachsenwerden
dieser Mensmen zu riskieren und also
ihre Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu fördern. Apostaten sind oft
besser als Epigonen. Innerhalb der christlichen Jugendverbände ist die Züchtung von
Funktionären unter anderem daran erkennbar, daß man einen jungen Menschen kaum
dazu befähigt, eine Aussage über seinen
Glauben mit seinen eigenen Worten zu
mad1en. Wo nur Sprad1e Leben erweisen
kann, hört man die Stimme eines bestimmten „Meisters" oder den allgemeinkird1lid1en Jargon.
Innerhalb einer freiwilligen Gruppierung ist es verhältnismäßig leid1t, aus
der Ordnung auszusmeiden, an der man
sich stößt. Man geht eben in dem Augenblick, in dem die Reibung zu stark wird.
Was aber gesehieht, wenn an nid1t
freigewählten und allgemeinverbindlimen
Ordnungen gerüttelt wird? Man ist unzufrieden mit dieser Jugend. Und man
versucht die Ordnung wieder herzustellen.
Zwei Beispiele mögen das erläutern.
Die bedauerlicher- und bezeimnenderweise Halbstarkenkrawalle genannten
Versud1e, gegen eine Ordnung zu rebellieren, erregten zunämst einmal die Neugierde vor allem der Erwamsenen. (Bei
der Bonner NATO-Konferenz im Herbst
1957 wurde den ausländischen Gästen
von offizieller Seite eine Liste mit Vorschlägen für deren Amusement und Freizeitgestaltung ausgearbeitet: in ihr waren
aum Plätze vermerkt, an denen „Halbstarken-Treffen" stattfänden.) Als näd1stes wurde die Polizei erregt, die ja
sd1ließlich zur Aufrechterhaltung der
Ordnung da war und gegen die sich die
Provokationen der Randalierenden rimteten. Schließlid1 versuchte man, die
ganze Same durch Häuser der noch offeneren Tür unter jugendpflcgerisme Kontrolle 'zu bringen. Dies letzte ist wahrsmeinlich zur Zeit die einzige Möglichkeit, überhaupt. Aber eine Aktion, die
aus Überdruß an manipulierter Freiheit,
an entsd1ärfender Pädagogik, an Konformitätsdruck, an Ordnung überhaupt
entstanden ist, wird man durch weitere
Manipulationen, durm Vergrößerung des
Sandkastens, der als Spielplatz zugestanden wird, kaum beseitigen (vgl. Schelsky
in „deutsche jugend", 1957, Heft 10,
Seite 460 ff.). ·
daß sie nicht bereit war, auf liebgewordene und bewährte Arbeitshypothesen zu
verzichten. Inzwismen haben sim die alte
Ordnung und die Arbeitshypothese „Vaterland" insofern wieder durmgesetzt, als die
Besmwörung der politischen und militäric
smen Notwendigkeiten eine Aufarbeitung
unserer Geschidlte verhindern. Aufs
ganze haben sim die Stimmen durchgesetzt, die den Heidelberger Studententag smlimt eine „traurige Tagung"
nannten, die „den Wert des Vaterlandes"
für „den einzigen Wert" halten, „den
wir dem Bolsmewismus nom entgegenzustellen haben". Es wird wieder verkündet, daß Vaterlandsliebe eine religiöse
Pflicht sei (MdB. Bausch auf einer Tagung
des deutschen Saarbundes). Und die heute
18jährigen glauben dies zum Teil sd10n
wieder oder halten jedenfalls die Arbeitshypothese für notwendig oder zwedcmäßig. Der Student, der in Heidelberg
sagte, er werde Jür das Vaterland keinen
Finger krumm mad1en, weil es ihm um
nimts anderes gehe als um den Menschen,
der gerade durm dieses Vaterland borniert gemamt worden' sei, findet heute,
leider in ganz anderer Weise, als er gedacht hatte, schon wieder ein großes Betätigungsfeld vor. - In Stuttgart war
es das Ideal, dem die Studenten die
Skepsis vorzogen. Zwar hatte der Referent es durdrnus rimtig angefangen, in
dem er das Ideal, leimt entmythologisiert, als die Kraft bezeidmete, „die das
bloß Bestehende rid1tet und die Kräfte
der Überwindung mobilisiert". Aber die
Studenten maßen mit dem Maß der
Wirklimkeit und der redlichen Einsicht.
Sie waren allenfalls und nur mit Vorsicht
bereit, die Notwendigkeit von Leitbildern
zuzugestehen, von „Entwürfen, die über
das Gegebene hinausgehen" (vgl. Schmidhäuser, „Radius", Heft 3, 1957, S. 2).
Aber diese Leitbilder müssen sich als
glaubwürdig erweisen. Man weigert sid1,
zur Verehrung von Göttern anzutreten,
deren Kraft erloschen ist und an die
keiner mehr glaubt. Diese Zurückhaltung
mamt die Älteren befremden, und sie
mögen an ßernanos denken: „Das Fieber
der Jugend hält die iibrige Welt auf
normaler Temperatur. Wenn die Jugend
erkaltet, klappert die übrige Welt mit
den Zähnen" („Die großen Friedhöfe
unter dem Mond"). Das ist ganz gewiß
richtig - aber lohnt die heutige Wohltemperiertheit wirklim das Fieber der
Jugend? Und könnte Bcrnanos nid1t
ebenso sagen, es sei besser, die Welt eine
Weile mit den Zähnen klappern zu lassen,
als die Jugend lediglich zu deren Erwärmung zu verheizen oder wenigstens durm
Einimpfen von Idealen . auf erhöhter
Temperatur zu halten?
Was erwartet die Jugend? In Befragungen ist lediglim festzustellen, daß sie
mehr oder weniger das gleiche erwartet
wie die Erwachsenen. Unter der Jugend
mag der Prozentsatz derer, die sich nom
nicht zum Konformismus entsmlossen
Als zweites · Beispiel seien der dritte · haben, nod1 etwas größer sein als bei
und der vierte Deutsd1e Evangelisd1e Studen Erwamsenen, aber große Unterdententag (Heidelberg 1954 und Stuttgart smiede bestehen nimt. Ob dieser Befund
1957) genannt. In Heidelberg weigerten
den friiheren Generationen gegenüber neu
sim die Studenten, ein Vaterland als eine
ist oder ob nur die Enttäuschung darüber
verpflichtende Größe anzuerkennen. Sie neu ist, ist schwer zu sagen. Simer ist
· waren nicht einem Menschheitsgefühl undagel?en,. daß diese En~täuschu!1g _unberemt1gt ist, und zwar mdlt, weil die Juterlegen, sondern sie wollten zur Gegend doch besser wäre als ihr Ruf, sonsd1id1te ihres Volkes stehen. Darum weidern weil es falsch ist, zu meinen, daß
gerten sie sich, die Verpflimtung ~ür den
die Jugend so oder so sein müsse, daß
Mitmerischen durch eme Verpflimtung
sie ohne Ideale, ohne großartige Initiafür ein Vaterland zu überhöhen oder
tive usw: keine Jugend sei. „Jugend" ist
einzuengen od~r dieser. zn op~er1?-. Die
schließlich keine Weltansdrnuung, sondern
ältere Generation reagierte we1thm beeine Altersstufe, ein Durchgangsstadium.
fremdet. So entstand der fatale Eindrudc,
Was die Jugend erwartet, wird nur
im Engagement mit ihr offenbar. Dies
Engagement ist nid1t eine Angelegenheit
der Kompetenz, sondern der Verantwortlimkeit. Wenn dieJugend heute als Problem
ersmeint, dann ist die Lösung dieses
Problems nimt von der Vermehrung der
Planstellen von Jugendpflegern und Lehrern, nimt von reimhaltigeren Programmen der Jugendverbände abhängig, sondern davon, ob der Ruf nam verantwortlim handelnden Erwad1senen gehört
wird.
Das Problem der jugendlichen NonKonformisten kann vielleicht so umschrieben werden: Sie wollen erwamsen
werden, aber sie zögern, so zu werden
wie die Erwachsenen. Dabei sind sie
vorsichtig in der Bereitschaft, Leitbildern
zu folgen, obwohl sie auf Leitbilder warten. Sie sind vielen Enttäuschungen zum
Trotz bereit zu verantwortlid1er Mitarbeit, wo ihnen mcnschlid1e Substanz
und also überzeugende Autorität begegnet. '
Von daher ist· es zu verstehen, warum gerade diese Gruppe der Jugend Männer
und Frauen aus der Widerstandsbewegung im Hitlerreich als Leitbilder anerkennt. Sie lernt zu unterscheiden, von
welmen Menschen wir heute leben und
von weld1en nimt. Wie sie nam den
'Menschen sumt, von denen wir heute
leben, so sud1t sie aud1 nad1 Mensmen,
mit denen sie leben kann. Hier lebt nimt
mehr ein Mythos der Gemeinschaft, sondern hier erwad1t das Bewußtsein, als
Einzelner zerrieben zu werden. Hier erwacht das Bewußtsein, daß Menschen
nur als Mitmenschen, nur mit den anderen und also nicht auf ihre Kosten frei
sein können. (Den westlichen und östlimen Freiheitsparolen gegenüber sind sie
gleimermaßen taub.) Sie sind keine Gegner der Ordnung, wohl aber lehnen sie
sim gegen eine Ordnung auf, die sie nimt
ehrlim bejahen können. Dies gilt für
eine Kirmenordnung ebenso wie für die
Ordnungen unserer ,Gesellschaft.. Sie
wissen, daß sie diese Ordnungen nimt
verändern können. Aber 'sie haben die
Hoffnung nom nimt ganz aufgegeben,
daß verantwortlimen Erwachsenen diese
Tat gelingen könnte.
Diese Gruppen sind nidlt von großer
Zahl. Aber es könnte eine Art ßrudersmaft der Wachgewordenen daraus entstehen. Man kann ohne Mühe über sie
hinwegsehen. Man wird auch ohne· große
Mühe über sie hinweggehen können.
Wahrsmeinlich wird man das tun. Wahrsmeinlim wird dann aber aud1 eines
Namts ein Bedcmann zu uns Erwad1serien
kommen und uns fragen: „Smlafen Sie
gut, Herr Oberst? Können Sie eigentlim
leben, Herr Oberst?"
Jürgen Schroer
Mit freundlicher Zustimmrmg des KreuzVerlages dem auf Seite 6 rezensierten
Band „ Weiche Freiheit meinen wir?" entnommen.
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S.chriftleiter; Johannes Rau MdL„ Wuppertal·Barmen, Riiescheider Straße 14.
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