1 Thomas Hafer Aufstellungsarbeit mit Symptomen Prinzipien

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1 Thomas Hafer Aufstellungsarbeit mit Symptomen Prinzipien
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Thomas Hafer
Aufstellungsarbeit mit Symptomen
Prinzipien
Definition Symptom
Als Symptom verstehe ich in der Aufstellungsarbeit ein Phänomen (oder eine
Gruppe von Phänomenen mit einer gemeinsamen Qualität), das
ƒ vom Klienten nicht gewollt ist
ƒ über längere Zeit stabil bleibt
ƒ und wie ein Zwang wirkt zu wiederholtem erleben, tun oder grübeln ohne
Ergebnis
Dies können sein
ƒ Körpersymptome
ƒ psychische Symptome
ƒ Muster von Gedanken oder Handlungen ohne Zielerreichung
Es gibt auch Krankheiten und Symptome, die anders zu verstehen und zu behandeln sind wie z.B. weitgehend somatisch bedingte Beschwerden durch
Infektionen, Knochenbrüche, Vergiftungen usw..
Leid ist nicht grundsätzlich gleichzusetzen mit einem Symptom. Es gibt reales,
angemessenes Leid, zum Beispiel den seelischen Schmerz über einen Verlust
oder den körperlichen Schmerz bei einer Verletzung. Es wäre unangemessen,
solches Leid durch eine Aufstellung unterbrechen oder mindern zu wollen.
Das Symptom hat einen unbewussten Sinn
In der Aufstellungsarbeit gehen wir davon aus, dass das Symptom ein unbewusstes Ziel, einen unbewussten Sinn hat. Durch das Symptom drängt ein
Problem in der Seele des Klienten zum Ausdruck. Der Klient wird zu einer fälligen
Einsicht, einem fälligen Vollzug, einem Schritt in Richtung Wachstum und
Reifung gezwungen. Das Symptom wird als Freund, als Unterstützer für persönliches Wachstum gesehen. Die Arbeit richtet sich nicht gegen das Symptom,
sondern geschieht in freundlichem Interesse für seinen unbewussten Sinn. Es
geht darum, das Ziel und den Sinn des Symptoms zu verstehen und den fälligen
Vollzug auf direkte, sehende und gesunde Weise zu finden, das heißt möglicherweise dann ohne den Umweg über das Symptom.
Symptome können, um ein paar Beispiele zu nennen, Ausdruck sein von
ƒ einer Lehre oder einem Mangel, wenn ein Klient seine Eltern nicht genommen
hat.
ƒ Oder sie können Ersatz sein für eine fällige Handlung oder Bewegung, wie z.B.
etwas Unabänderlichem zustimmen, einen Schmerz zulassen, jemanden als
zugehörig sehen, jemanden oder etwas würdigen, jemanden oder etwas loslassen, eine Entscheidung treffen, eine Schuld anerkennen.
ƒ Oder sie können eine unbewusste Nachfolge oder Übernahme phänomenologisch ähnlicher Symptome eines Anderen im System als heimlicher Ausdruck
von besonderer Liebe und Loyalität zu ihm sein.
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Heilung ist immer Selbstheilung
Wenn der Therapeut der Illusion verfällt, er könne das Symptom heilen oder
wegmachen, schwächt er sich, weil er sich überfordert und den Boden der Realität verliert. Und häufig wird die Seele des Klienten sich schließen, um sich vor
Übergriffen zu schützen.
In der Regel können wir davon ausgehen, dass die Seele heil werden will, eine
Bewegung zur Heilung finden will, den Fluss der Liebe, Lebensfreude und
Gesundheit will. Und darauf vertrauen, dass die Seele die Bewegung zur Heilung
selbst findet.
Das heißt nicht, dass der Klient, sein Ego, das Symptom heilt. Diese Hybris
würde den Klienten nur scheinbar stärken, ihn in Wirklichkeit aber überfordern
und schwächen.
Wichtig ist auch, zu sehen: Der Klient hat niemals Schuld am Symptom. Schuldgefühle über das Symptom und das Misslingen der „Selbstheilung“ haben immer
eine schwächende und zusätzlich belastende Wirkung. Krankheit muss immer
auch als Schicksal gesehen und genommen werden. Häufig ist eine wesentliche
hilfreiche Bewegung, dass der Klient sich vor dem Schicksal, gegebenenfalls
sogar vor dem Tod verneigt.
Phänomenologische Arbeit
Die phänomenologische Aufstellungsarbeit geschieht im Vertrauen darauf, dass
unter bestimmten Bedingungen die Seele selber eine Bewegung zur Heilung
findet. Es gibt in der Seele des Klienten eine wesentliche Wirklichkeit und eine
wesentliche fällige Bewegung, die bisher nicht gefunden werden konnte. Im
offenen Raum der Aufstellung findet die Seele oft erstaunlich leicht diese Wirklichkeit und die fällige Bewegung.
Im Wesentlichen müssen wir mit der Aufstellung nur
ƒ einen Raum halten, in dem die Phänomene und Bewegungen sich zeigen und
ans Licht kommen können
ƒ warten und der Bewegung Zeit lassen
ƒ alle Sinne öffnen und wahrnehmen
ƒ so präzise und das Wesentliche treffend wie möglich benennen, was wir wahrnehmen
ƒ und im richtigen Augenblick in der richtigen Weise handeln
Diese phänomenologische Arbeit geschieht ohne Absicht, ohne Druck, ohne
Kontrolle, aber auch ohne Angst und Rücksicht. Sie dient genau genommen ausschließlich dem Ziel, dass Wahrheit oder Realität ans Licht kommt. Die Bewegung
zur Heilung ist dann eine Folge des Sichtbar-Werdens von Realität.
Die phänomenologische Arbeit geschieht außerdem häufig über weite Strecken
im Nicht-Wissen. Manchmal ergeben sich sehr schnell Hypothesen, dann ist es
sinnvoll, diesem Impuls zu folgen und sie zu prüfen. Manchmal aber braucht es
den Mut, längere Zeit gleichsam im Dunkeln, ohne zu wissen, was als nächstes
zu tun ist, das Feld zu halten und zu lauschen im Vertrauen darauf, dass das
Wesentliche sich von sich aus zeigen wird.
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Vorgehensweisen - vor der Aufstellung
Anliegenklärung
Häufig ergibt sich aus der Benennung des Symptoms automatisch und auf
stimmige Weise das Anliegen, die Heilung oder Linderung des Symptoms.
Manchmal führt es den Prozess in die richtige Energie, sofort in Kontakt mit den
Phänomenen in der Ausstellung zu gehen und auf vorheriges Erörtern des
Anliegens und aller Gedanken und Interpretationen des Klienten zum Problem
völlig zu verzichten, weil diese eher zu Allgemeinplätzen statt zum Wesentlichen
führen würden.
Manchmal jedoch ist es hilfreich und wichtig, dass der Klient positiv benennt, was
anstelle des Symptoms in Zukunft in sein Leben treten soll. Welcher Zustand,
welche Fähigkeit, welches Handeln, welche Kommunikation? Hier kann die Wunderfrage hilfreich sein.
Auftragsklärung
Es gibt, einfach gesagt, im Klienten zwei Teile:
ƒ Ein Teil will ehrlich eine Lösung, die Heilung des Symptoms
ƒ Ein anderer Teil (seine seelische Verstrickung) will das Symptom für ein unbewusstes Ziel
Solange das Symptom besteht, ist der Teil, der das Symptom unbewusst will,
offensichtlich stärker. Wenn der Aufsteller ausschließlich im Auftrag des offensichtlich schwächeren Teils (der oft dramatisch nach Lösung schreit) arbeitet, ist
er hilflos.
Der Aufsteller sollte deswegen darauf achten:
ƒ Spüre ich den Auftrag der Seele, das Symptom zu verstehen?
ƒ Spüre ich die Bereitschaft beim Klienten, die Existenz und Stärke des eigenen
Anteils, der das Symptom will, zu sehen?
ƒ Fühle ich mich unabhängig, leicht und handlungsfähig oder bin ich irgendwie
gefangen als Teil des unbewussten Spiels?
ƒ Spüre ich starke Angst und Abwehr beim Klienten?
Zeigt sich bei der Prüfung dieser Fragen ein Problem, muss dies vorsichtig oder
manchmal auch sehr klar konfrontiert werden. Eine effektive Arbeit ist sonst
nicht möglich.
Manchmal ist es hilfreich, zu Beginn eine kleine Aufstellung zu machen: Ein
Stellvertreter für den Therapeuten, einer für den Klienten oder auch ein
Stellvertreter für den Teil des Klienten, der die Lösung will und ein Stellvertreter
für den Teil des Klienten, der das Symptom aufrechterhalten will. Werden auf
diese Weise diesbezügliche Probleme offensichtlich, kann der Klient sich
manchmal leichter öffnen und zum Beispiel einer Vereinbarung zustimmen, sich
einmal nur für die Dauer der Aufstellung auf die Hypothese einzulassen, es
könnte in ihm selbst einen Teil geben, der das Symptom will.
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Manchmal ergibt sich aus dieser Aufstellung unmittelbar der wesentliche Prozess.
Manchmal ist sie ein kleines Vorspiel und wird nach kurzer Zeit beendet. Dann
folgt, wenn eine Basis gefunden ist, weitere vorbereitende Arbeit oder die eigentliche Aufstellung.
Benennen und funktionales und systemisches Verstehen des Symptoms
Im Gespräch mit dem Klienten und im Stillen fragt der Aufsteller:
ƒ Wie fühlt sich das Symptom an? Wie äußert es sich? Was bringt es in die
Erscheinung?
ƒ Was ist das Wesentliche Verbindende an den verschiedenen gleichzeitig
auftretenden Symptomen?
ƒ Welche Handlung oder Bewegung vollzieht der Klient durch das Symptom
immer wieder? Welches Ergebnis, welcher Vollzug misslingt? In welchen
Zustand kommt der Klient durch das Symptom?
ƒ Welche Handlung oder Bewegung vollzieht der Klient durch das Symptom
unvollständig oder gar nicht? Welcher Vollzug wird gezielt vermieden? Was
wäre die normale Funktion des beeinträchtigten Organs?
ƒ Wer im System hat eine ähnliche Handlung/Situation erlitten, vollzogen oder
nicht vollziehen können?
Manche konkrete Symptome haben erfahrungsgemäß typischerweise mit
bestimmten systemischen Hintergründen zu tun. Manchmal entsteht beim
Aufsteller schon durch die Art des Symptoms oder durch die Untersuchung der
oben genannten Fragen eine Hypothese, die dann direkt in einer konkreten
Aufstellung geprüft werden kann. Wenn nicht, kommen z.B. folgende weitere
vorbereitende Schritte in Frage.
Spüren des Symptoms
Wenn das Symptom eher abstrakt und undeutlich ist, ist es hilfreich, den
Klienten zu bitten, konkret im Körper zu spüren und das Symptom anschaulich
zu beschreiben, seine genaue Stelle im Körper, seine Größe, Konsistenz, Farbe
usw.
Externes Symbol finden
Ist das Symptom quälend groß und nah, zum Beispiel ein starker Schmerz, ist es
hilfreich, ein außerhalb des Körpers und des Klienten existierendes Symbol zu
finden. Man kann zum Beispiel den Klienten bitten, einen kleinen Spaziergang zu
machen und in der Natur ein Blatt, einen Stein oder einen Zweig zu finden und
mitzubringen, der das Symptom symbolisiert.
Symptomtrance
Eine oft sehr hilfreiche Methode, mit der Funktion und dem Sinn eines Symptoms
in Kontakt zu kommen ist die geführte Symptomtrance.
ƒ Entspannung, Boden, Körper und Atem spüren
ƒ der Klient geht in der Vorstellung einen Weg durch Wiesen, in einen Wald, zu
einer Lichtung
ƒ er setzt sich dort still nieder, eventuell an einem kleinen Weiher oder Bach
ƒ es erscheint ein Wesen (das das Symptom symbolisiert)
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ƒ
ƒ
ƒ
der Klient gibt dem Symptom, was es braucht
der Klient verneigt sich zum Abschied vor dem Symptom
er geht den Weg zurück ins Hier und Jetzt
Zeigt sich das Symptom in einem positiven, angenehmen Bild, zum Beispiel einer
Blume oder einem freundlichen schönen Tier, wird bereits hier deutlich, dass der
unbewusste Sinn des Symptoms ein Ausdruck von Liebe und Loyalität ist.
Vorgehensweise bei der Aufstellung
Falls es bereits konkrete Hypothesen gibt, werden gezielt das komplette betreffende System oder die betreffenden Personen, Organe oder Figuren aufgestellt.
Falls nicht, kann mit der Aufstellung offen ohne Hypothese weiter geforscht
werden.
Handelt es sich vor allem um ein körperliches Symptom, kann ein besonderes
SySt-Format hilfreich sein, die Körperstrukturaufstellung. Focus, evtl. Ziel,
die beeinträchtigten Organe sowie weitere für deren eigentliche Funktion wichtige
Organe werden aufgestellt, alle Organe werden gewürdigt.
Oder, in der klassischen Symptomaufstellung werden einfach der Klient, das
Symptom und dann Schritt für Schritt weitere mögliche systemische
Hintergründe des Symptoms aufgestellt.
Das Symptom wird i.d.R. als freies Element aufgestellt, es darf sich von Anfang
an und während der gesamten Aufstellung frei bewegen. Oft ist es ein gutes
Zeichen, wenn das Symptom sich zurückzieht vom Klienten. Die Erfahrung hat
allerdings nicht bestätigt, dass in diesem Fall im Leben des Klienten tatsächlich
immer Heilung geschieht. Die Aufstellung sucht weniger eine konkrete äußere
Bewegung wie etwa den Rückzug des Symptoms, sondern eher ein den Klienten
berührendes Ans-Licht-Kommen der Funktion des Symptoms. Wenn das gefunden ist, zeigt sich manchmal, dass der Bann bereits gebrochen und ein zusätzlicher Vollzug lösender Sätze oder Rituale gar nicht mehr nötig ist.
Die Aufstellung wird Schritt für Schritt ausgehend vom Einfachsten aufgebaut.
1. Aufstellen von Klient und Symptom (oder Symptome)
ƒ Wie freundlich oder unfreundlich, wie nah, aktiv, gewichtig wirkt das
Symptom/die Symptome?
ƒ Wie belastet, geschwächt, in Angst, in Abwehr, resigniert oder aber wie
freundlich, kraftvoll, zugewandt, interessiert wirkt der Klient? Wirkt er
vielleicht geradezu selig mit dem Symptom?
ƒ Gibt es Bewegungen beim Klienten, auf die das Symptom verändert reagiert?
ƒ Was geschieht, wenn Klient und Symptom sich anschauen?
ƒ Haben Symptom und/oder Klient vielleicht deutliche Wahrnehmungen oder
Einfälle, worum es geht?
ƒ Findet sich vielleicht ohne weiteres Eingreifen eine beginnende Bewegung der
Seele hin zu Entspannung und Heilung?
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2. Aufstellen weiterer Systemmitglieder oder Systemteile
ƒ Mutter und Vater des Klienten oder ein Stellvertreter für die Herkunftsfamilie
des Vaters und ein Stellvertreter für die Herkunftsfamilie der Mutter
ƒ Frühere Partner
ƒ …
Muster systemischer Verstrickungsdynamiken als mögliche Hintergründe
für Symptome und Schritte zu ihrer Lösung
Jeder Mensch, jedes Symptom und jeder Moment ist individuell und verschieden
von jedem anderen. In der Aufstellungsarbeit suchen wir das wesentliche
Wirkliche und Fällige der seelischen Situation eines individuellen Menschen zu
einem bestimmten Zeitpunkt. Während der praktischen Aufstellungsarbeit
lauscht der Aufsteller offen, ohne Vorurteile und sucht das Wesentliche zu erfassen, so wie es sich selber zeigen will. Phänomenologische Aufstellungsarbeit ist
offene Wahrnehmung, nicht das Durcharbeiten einer Checkliste von Möglichkeiten.
Andererseits haben wir in der Aufstellungsarbeit allgemein gültige systemische
Gesetzmäßigkeiten, die Ordnungen der Liebe gefunden. Und es zeigen sich
allgemeine Muster von systemischen Verstrickungen, die entstehen, wenn durch
ein Ereignis im System oder die Haltung oder das Handeln von Menschen die
Seele des Systems eine traumatische Verletzung erleidet.
Die Wahrnehmung des Aufstellers ist schneller, präziser und gleichzeitig weiter,
wenn er Kenntnisse hat bezüglich dieser allgemeinen Muster von systemischen
Verstrickungen. Wir können vertraute Phänomene in der konkreten Situation
wesentlich leichter als unbekannte Phänomene erkennen. Deswegen ist es für die
Wahrnehmungskompetenz des Aufstellers notwendig, sich auch theoretisch
vertraut zu machen mit der Logik dieses systemischen Denkens, mit der Art und
Weise, wie wir in der Aufstellungsarbeit systemische Verstrickungen als Hintergründe für Symptome verstehen. Zusätzlich zum theoretischen Lernen ist für den
Aufbau der Wahrnehmungskompetenz viel Erfahrung in der Beobachtung von
Aufstellungsprozessen und der eigenen Wahrnehmung der hier in Rede stehenden Phänomene nötig.
Neben der Wahrnehmungskompetenz braucht der Aufsteller natürlich die Kompetenz, geeignete Schritte zu einer Lösung hin zu finden. Wie bei der Wahrnehmungskompetenz finden wir auch auf dem Feld der richtigen Schritte zur Lösung
von Verstrickungen dieses Spannungsverhältnis zwischen dem notwendigen
Einlassen auf das Nicht-Wissen und dem Finden des genau in diesem besonderen
Fall Richtigen einerseits und der inspirierenden und auch eine gewisse Sicherheit
gebenden Orientierung an allgemeinen Mustern andererseits.
Im Folgenden gebe ich einen Überblick über Muster von systemischen Verstrickungsdynamiken als mögliche Hintergründe für Symptome, die in Aufstellungsprozessen sichtbar werden und vielleicht gelöst werden können. Der Überblick
formuliert die Sichtweise der phänomenologisch- systemischen Aufstellungsarbeit. Andere psychologische Schulen, zum Beispiel die Tiefenpsychologie, haben
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natürlich andere Sichtweisen, die hier weitgehend unberücksichtigt bleiben,
obwohl viele Aufsteller auch z.B. tiefenpsychologisch oder konstruktivistischsystemisch verstandene Hintergründe für Symptome in ihre Arbeit integrieren.
Weder die Aufzählung der möglichen Hintergründe noch musterhafte Hinweise
auf möglicherweise fällige Schritte zu einer Lösung können vollständig sein. Dazu
ist seelisches Geschehen grundsätzlich zu kompliziert und individuell. Eine
wertvolle Inspiration zum Aufbau der Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz
des Aufstellers ist ein solcher Überblick sicherlich dennoch.
Dynamiken des Nicht-Nehmens der Eltern und der Anmaßung
ƒ Unterbrochene Hinbewegung, v.a. zu Mutter oder Vater durch
o Weggabe des Kindes zur Adoption
o Unbekannt bleiben des Vaters
o frühen Verlust von Mutter oder Vater
o eine andauernde Nicht-Zuwendungsfähigkeit bei Mutter und/oder
Vater, wenn diese ihrerseits einschneidende Verlusterfahrungen (siehe
unten Verlustdynamiken) und eine Nachfolgetendenz haben oder
traumatisiert oder anders schwer belastet sind
o ein frühes längeres Trennungsereignis, z.B. Krankenhausaufenthalt
ƒ Anmaßung in Form von Triangulierung, Klient als Partnerersatz für einen
Elternteil in Verbindung mit Verachtung des anderen Elternteils
ƒ Anmaßung in Form von Parentifizierung, Klient als Elternersatz für
vermeintlich oder tatsächlich schwache Eltern/Elternteil
In all diesen Fällen zeigt sich als Symptom zunächst und allgemein mehr oder
weniger auffällig ein Zustand von Lehre und Mangel an Lebenskraft und Lebensfreude.
Zudem ist die Bindungs- und Beziehungsfähigkeit beeinträchtigt, weil das innere
Bild von Beziehung von diesem Modell nicht erfüllender Beziehung und nicht
fließender Liebe zu den Eltern geprägt ist.
Diese Wirkung haben neben anderen spezifischen Folgen auch andere weiter
unten beschriebene Verstrickungsdynamiken wie Nachfolge und Übernahme,
Identifikation, Verlust und andere, sofern sie auf Mutter und oder Vater bezogen
sind. Lebenskraft und Lebensfreude sowie Beziehungsfähigkeit sind immer
beeinträchtigt, wenn die Liebe zu den Eltern verstrickt ist und nicht frei fließt.
Fühlt der Klient sich im Aufstellungsprozess gut gehalten und gelingt es ihm, sich
tief einzulassen, öffnen sich typischerweise nacheinander immer tiefere
Schichten der wirklichen Gefühle.
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Überheblichkeit und Verachtung, Gleichgültigkeit, „Ich brauch Dich nicht“
Wut, Ärger, Vorwurf „warum hast du…?“ …
tiefer Schmerz, Verzweiflung „Du hast mir so gefehlt“
tiefe Liebe und Sehnsucht
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Nachfolge- und Übernahme- Dynamiken
Verstrickte Liebe und Loyalität zu Mutter oder Vater oder einem Geschwister oder
einem Anderen im System
ƒ
ƒ
ƒ
Nachfolge-Tendenz in den Tod
Nachfolge in ein phänomenologisch ähnliches Schicksal, Gefahren suchen
oder Symptom. „Ich folge dir nach, Ich bin dir nah, Ich mache es wie du“
Übernahme einer Last, einer Pflicht, eines Schicksals, einer Krankheit oder
Symptoms. „Lieber ich als du.“
Identifikationsdynamiken mit Ausgeschlossenen
Unbewusste Identifikation mit einer ausgeschlossenen Person im System, z.B.
ƒ früh gestorbenes oder tot geborenes Kind
ƒ eigener leiblicher Vater (bei unterschobenem Kind)
ƒ leibliche Eltern (bei Adoption)
ƒ frühere Partner der Eltern
ƒ Kinder aus früheren oder späteren Beziehungen der Eltern
ƒ aus Vorwurf, Angst oder Habgier ausgeschlossene Personen
Unbewusste Wiederholung eines nicht gesehenen, d.h. ausgeschlossenen besonderen Schicksals oder besonderer Leistungen einer Person im System
Verlust-Dynamiken
ƒ Beim Klienten selbst nicht verschmerzte Verlusterfahrung z.B.
o eines Kindes
o von Mutter oder Vater
o eines Geschwisters oder eines anderen nahen Angehörigen
o der Heimat
o eines Hofes, einer Firma, eines Vermögens
o der Gesundheit, eines Organs, der Lebensqualität
o eines Weltbildes und Wertesystems (z.B. DDR)
o …
ƒ bei Vater oder Mutter des Klienten nicht verschmerzte Verlustdynamiken mit
der Folge einer Nicht-Zuwendung zum Kind, unterbrochene Hinbewegung
ƒ Ein Sonderfall ist der plötzliche Tod, jemand im System ist sehr plötzlich
gestorben, zum Beispiel durch Unfall. Es kann passieren, dass seine Seele
gebunden bleibt und ohne besondere Hilfe nicht versteht, dass sie gestorben
ist.
Sühnedynamiken
ƒ unbewusste Sühne für nicht anerkannte persönliche Schuld
ƒ Anmaßung wirkt in der Seele wie Schuld und kann unbewusst gesühnt werden
ƒ unbewusste Sühne für die übernommene Schuld eines anderen im System
ƒ ein Sonderfall ist ein nicht angemessen angeschautes abgetriebenes Kind,
hier kommt zur Sühnedynamik eine spezifische Verlustdynamik
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Deutlich zu unterscheiden von Schuld und Sühne im Sinne unbewusster
Selbstbestrafung durch ein Symptom sind Schuldgefühle und Selbstattacken,
denen keine wirkliche Schuld zu Grunde liegt.
Missbrauchsdynamik
Mutter ist ihrerseits verstrickt, zum Beispiel an einen Toten gebunden, und gibt
dem Partner seelisch und/oder sexuell nicht, was er braucht.
ƒ Vater (wenn selber verstrickt) greift blind nach der nächsten Frau, sieht nicht,
dass es die Tochter ist und es geschieht faktischer sexueller Missbrauch.
Oder aber Vater schützt die Tochter durch
ƒ
ƒ
ƒ
Wegschieben, Abwehren und Abwerten der Tochter
eine Geliebte nehmen
Trennung von Mutter
Oder aber die Missbrauchsdynamik verwirklicht sich an anderer Stelle im System,
durch einen Bruder, Nachbarn oder Onkel, die Tochter nimmt alles auf sich und
schützt auch den Vater.
Täter-Opfer-Dynamiken
ƒ Der Klient selber war Opfer eines Verbrechens und ist mit dem Täter
verbunden
ƒ Der Klient selber war Täter eines Verbrechens und ist mit dem Opfer verbunden
ƒ Mutter oder Vater oder Großeltern oder andere im System des Klienten waren
Opfer oder Täter eines Verbrechens
Dynamiken kollektiver Traumata
ƒ Holocaust, Kriegsverbrechen im zweiten Weltkrieg
ƒ Andere Kriege und Bürgerkriege
ƒ Sklaverei
ƒ …

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