Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern - PH
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Grundschule K. Greier & G. Ruedl Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Eine Untersuchung bei Tiroler Erstklässlern Zusammenfassung: Die vorliegende Studie untersuchte den Einfluss von Übergewicht und Adipositas auf die motorische Leistungsfähigkeit von Erstklässlern. In einer Querschnittsuntersuchung wurden aus zehn Tiroler Grundschulen (Österreich) 338 Einschulkinder mit einem durchschnittlichen Alter von 6,4 ± 0,5 Jahren rekrutiert. Von den untersuchten Schulkindern (179 ♂; 159 ♀) waren 7,7 % übergewichtig und 5,9 % adipös. Die Ergebnisse zeigen, dass Kinder mit Übergewicht oder Adipositas in den meisten konditionellen Bereichen eine signifikant schlechtere Fitness aufweisen (p<0,01). Da die motorische Leistungsfähigkeit bereits in dieser frühen Altersgruppe eine wichtige Gesundheitsressource darstellt, sollte einer umfassenden Prävention großes Augenmerk geschenkt werden. Für die Entwicklung dieser Risikogruppe sind daher gezielte Fördermaßnahmen erforderlich. Schlüsselwörter: Adipositas, Schulanfänger, Fitness, Kindergesundheit, Grundschule Einleitung Wenn auch die Übergewichtsprävalenz anhand einiger aktueller Studien regional einen stagnierenden oder gar rückläufigen Trend aufweist (Kreuser, Röttger, Gollhofer, Korsten-Reck & Kromeyer-Hauschild, 2014; Wabitsch, Moss & Kromeyer-Hauschild 2014), lässt sich doch in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend ein kontinuierlicher Anstieg von Übergewicht und Adipositas erkennen (Brettschneider, Naul, Bünemann & Hoffmann, 2006; Mensink, Schienkiewitz, Haftenberger, Lampert, Ziese & Scheidt-Nave, 2013). Besorgniserregend ist dabei vor allem die starke Zunahme im Kindes- und Jugendalter. So schätzt man in Österreich derzeit die Anzahl übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendlicher je nach Region bis zu 25 % (Elmadfa, 2012; Greier, 2014a). In Deutschland finden sich etwa 2 Millionen übergewichtige Kinder und Jugendliche, von denen wiederum etwa 800 000 adipös sind (Graf, 2008). Mit der Schlagzeile „EU childhood obesity out of control“ wurde bereits 2004 von der WHO der IOTF-Childhood Obesity Report (International Obesity Task Force) vorgestellt. In diesem Bericht wurde ein rapider Anstieg des Anteils übergewichtiger und adipöser Kinder in ganz Europa konstatiert und geschätzt, dass in Europa 14 Millionen Kinder übergewichtig sind (Kurth & Schaffrath-Rosario, 2007). Inzwischen ist in einigen europäischen Ländern die Übergewichtsprävalenz bei Kindern auf über 40 % angewachsen (WHO, 2014) und hat somit alarmierende Ausmaße erreicht. 22 bewegung und sport 4 | 2015 Da das Fettgewebe nicht nur als Energiespeicher wirkt, sondern auch als endokrin aktives Organ mit enger Verknüpfung zum Intermediärstoffwechsel, werden durch die vermehrte Körperfettmasse und die dadurch bedingten endokrin-metabolischen Störungen häufig Folgekrankheiten verursacht (Wirth, Wabitsch & Hauner, 2014). Es wird davon ausgegangen, dass in der EU etwa 20.000 Kinder und Jugendliche einen manifesten Typ 2 Diabetes und fast eine halbe Million eine Glukosetoleranzstörung aufweisen (Lobstein & Jackson-Leach, 2006). Bei adipösen Kindern und Jugendlichen wird das Vorliegen von mindestens drei Kriterien des metabolischen Syndroms (Hypertonie, zentrale Adipositas, erhöhte Blutzuckerspiegel und/oder Fettstoffwechselstörungen) auf etwa 25 % geschätzt (Graf, 2008). Neben gesundheitlichen Beeinträchtigungen kann aber Übergewicht auch zu emotionalen und sozialen Problemen führen. Diese sind oftmals mit Stigmatisierung und Isolation der betroffenen Kinder und Jugendlichen verbunden (Ziroli & Döring, 2003; Leyk et al., 2008). Zudem werden aus übergewichtigen und adipösen Kindern häufig auch übergewichtige und adipöse Erwachsene mit einem erhöhten Risiko für Folgekrankheiten. So untersuchte beispielsweise eine dänische Studie die langfristigen Auswirkungen von Übergewicht bei Kindern auf das Auftreten von koronarer Herzkrankheit im Erwachsenenalter. Danach steigt das Risiko, als Erwachsener an einer solchen Krankheit zu erkranken, linear mit der Höhe des BMI in der www.bewegungundsport.net Grundschule K. Greier & G. Ruedl: Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Kindheit (Baker, Olsen & Sørensen, 2007). Bei der Entwicklung von Übergewicht und Adipositas handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen. Neben einer genetischen Disposition und sozioökonomischen Faktoren spielen auch Fehlernährung und körperlicher Inaktivität eine bedeutende Rolle (Maffeis, 2000; Koletzko, Dokoupil & Knoppke, 2002; Hebebrand & Bös, 2005; Shrewsburry & Wardle, 2008). Was die Energiezufuhr anlangt, zeigen Studienergebnisse (Remer, Dimitriou & Kersting, 2002), dass diese sich seit den 1980er Jahren kaum verändert hat, während sich die tägliche Bewegungszeit stark reduzierte (Dordel, 2000; Bös, Opper & Woll, 2002). So konnte auch in der Kieler Adipositas-Präventionsstudie (KOPS) aufgezeigt werden, dass sich übergewichtige Kinder von normalgewichtigen Kindern mehr im Bewegungsverhalten als im Ernährungsverhalten unterscheiden (Czerwinski-Mast, Danielzik, Asbeck, Langnäse, Spethmann & Müller, 2003). Bewegungsmangel muss daher als ein Hauptrisikofaktor in der Entstehung von Übergewicht und Adipositas betrachtet werden. Verschiedene Studien (Reilly et al., 2004; Strong et al., 2005; Kettner et al. 2012) belegen, dass sich ein Großteil der Kinder und Jugendlichen, nach den Richtlinien der WHO (täglich mindestens 60 min. moderate bis intensive körperliche Belastung), nicht ausreichend bewegen. Eine mögliche Folge von Übergewicht und Adipositas stellen häufig auch motorische Defizite dar. Nationale und internationale Untersuchungen zeigen eine negative Korrelation des BMI und der körperlichen Fitness (Bar-Or et al. 1998; Bös et al., 2002; Chen et al., 2002; Graf et al., 2004; Hebebrand et al. 2005; Erkelenz, Schreiber, Kobel, Kettner, Drenowatz & Steinacker, 2014; Kreuser et al. 2014; Greier, 2014a; Greier et al. 2014). Es ist dabei aber noch unklar, ob übergewichtige Kinder und Jugendliche aufgrund des höheren Körpergewichts weniger aktiv sind und dadurch eine geringe motorische Fitness aufweisen oder ob geringe motorische Fähigkeiten zu Frustration und Inaktivität führen, was wiederum Übergewicht zur Folge hat (Kreuser et al., 2014). Motorische Leistungsfähigkeit und körperliche Aktivität gelten jedoch als wichtige Gesundheitsressourcen. Das Einschulen und der weitere Schulverlauf stellen hinsichtlich der Prägung des zukünftigen Bewegungsverhaltens ein bedeutendes und sensibles Zeitfenster dar. Das Grundschulalter ist somit eine entscheidende Phase für die Entwicklung der sportmotorischen Leistungsfähigkeit (Augste & Jaitner, 2010). Ziel der vorliegenden Untersuchung war es daher, den Zusammenhang zwischen Gewichtsstatus (BMI) und sportmotorischer Leistungsfähigkeit von Einschulkindern (Erstklässlern) im Bundesland Tirol (Österreich) zu erheben, wo bisher nur sehr wenige diesbezügliche Daten verfügbar sind. Es wurde von der Hypothese ausgegangen, dass Übergewicht und Adipositas mit verminderter motorischer Leistungsfähigkeit verbunden sind. Methodik Die vorliegende Erhebung von Gewichtsstatus und sportmotorischer Leistungsfähigkeit bei Erstklässlern wurde im Bundesland Tirol (Österreich) durchgeführt. Nach Information des Landesschulrates für Tirol besuchten 6616 Kinder im Unterrichtsjahr 2014/15 die erste Schulstufe. Aus den www.bewegungundsport.net Abb. 1: Übergewichtige und adipöse Kinder weisen meist eine geringere motorische Leistungsfähigkeit auf (Quelle: Fotolia) insgesamt 376 Grundschulen (GS) wurde eine Zufallsstichprobe von 10 GS gezogen. Die zufällig gezogenen GS wurden kontaktiert und um Teilnahme an der Untersuchung gebeten. Aus den ausgewählten GS konnten 338 Erstklässler rekrutiert werden. Die Eltern wurden brieflich verständigt und ihr schriftliches Einverständnis eingeholt. Die Untersuchung wurde vom Landesschulrat für Tirol und den Schulleiterinnen genehmigt. Studienprotokoll Die motorischen Tests fanden im Wintersemester 2014/15 (Oktober bis Dezember) während der regulären Schulzeiten in den Sporthallen oder Bewegungsräumen der GS statt. Zunächst wurden Körperhöhe und Gewicht in Sportkleidung ohne Schuhe (barfuß) gemessen. Die Messung der Körperhöhe erfolgte mit dem mobilen Stadiometer „SECA® 217“ (Seca; Deutschland) auf 0,1 cm genau und die Körpergewichtsmessung wurde mittels einer geeichten Körperwaage „GRUNDIG® 3710“ (Grundig AG; Deutschland) auf 0,1 kg genau durchgeführt. Basierend auf diesen Werten wurde nach dem BMI-Referenzsystem nach Kromeyer-Hauschild et al. (2001) der Body-Mass-Index (BMI, kg/m²) berechnet. Hiernach gelten Kinder als normalgewichtig, wenn ihr Gewicht zwischen der 10. und 90. Perzentile liegt. Kinder mit Werten unterhalb des 3. Perzentils werden als anorex, jene zwischen 3. und unterhalb des 10. Perzentils als untergewichtig eingestuft. Liegt das Gewicht zwischen 90. und 97. Perzentil gelten Kinder als übergewichtig und Werte über dem 97. Perzentil werden als adipös bezeichnet. Aufgrund geringer Fallzahlen in der Gewichtsgruppe „Anorexie“ wurden anorektische und untergewichtige Kinder zur BMI-Gruppe „Untergewichtig“ zusammengefasst. Testdurchführung Die motorische Leistungsfähigkeit wurde mit dem Deutschen Motorik Test (DMT 6-18) erfasst. Es handelt sich dabei um ein standardisiertes Testverfahren, das es ermöglicht die motorische Leistungsfähigkeit in den Bereichen bewegung und sport 4 | 2015 23 Grundschule K. Greier & G. Ruedl: Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Ausdauer, Kraft, Koordination und Beweglichkeit zu erfassen, zu beschreiben und einzuordnen (Bös, 2009). Nachfolgend die acht Testitems: 20-Meter-Sprint Die Aufgabe dient der Überprüfung der Aktionsschnelligkeit. Die Versuchspersonen müssen eine Strecke von 20 Meter in möglichst kurzer Zeit zurücklegen. Es wird auf 1/10 Sekunden genau gemessen. Balancieren rückwärts Der Test dient der Überprüfung der Koordination bei Präzisionsaufgaben. In jeweils zwei gültigen Versuchen muss die Versuchsperson rückwärts über einen 6 cm, 4,5 cm und 3 cm breiten Balken balancieren. Gezählt wird jeweils die Anzahl der Schritte, bis es zum Bodenkontakt kommt. Seitliches Hin- und Herspringen Die Aufgabe dient der Überprüfung der Koordination unter Zeitdruck bei Sprüngen. Die Aufgabe besteht darin, mit beiden Beinen gleichzeitig so schnell wie möglich innerhalb von 15 Sekunden seitlich über die Mittellinie eines 1,50 m × 0,50 m großen markierten Feldes hin- und herzuspringen. Gezählt werden die Bodenkontakte innerhalb der Markierungslinien. Sit-ups Die Aufgabe dient der Überprüfung der Kraftausdauer der Rumpfmuskulatur. Die Versuchsperson muss in 40 Sekunden so viele Sit-ups wie möglich absolvieren. Die Versuchsperson muss bei einem Sit-up aus liegender Position den Oberkörper aufrichten und mit beiden Ellenbogen beide Knie berühren. Liegestütz Überprüft wird die Kraftausdauer der oberen Extremitäten. Die Versuchsperson soll innerhalb von 40 Sekunden so viel Liegestütz wie möglich durchführen. In der Ausgangsposition liegt die Versuchsperson in Bauchlage und die Hände berühren sich auf dem Gesäß. Die Person drückt sich mit geradem Rücken in den Stütz. Anschließend wird eine Hand vom Boden gelöst und berührt die andere Hand. Danach wird wieder die Ausgangsposition eingenommen. Standweitsprung Die Aufgabe dient der Überprüfung der Schnellkraft bei Sprüngen (Sprungkraft). Gemessen wird die Entfernung von der Absprunglinie bis zur Ferse des hinteren Fußes bei der Landung. Rumpfbeuge Mit dieser Aufgabe wird die Rumpfbeweglichkeit ermittelt. Die Versuchsperson steht auf einer Langbank und beugt den Oberkörper langsam nach vorne ab. Die maximal erreichbare Dehnposition ist zwei Sekunden lang zu halten. Der Skalenwert wird an dem tiefsten Punkt, den die Fingerspitzen berühren, abgelesen. 6 Minuten Lauf Ziel dieser Messung ist die Bestimmung der aeroben Ausdauer beim Laufen. Die Versuchspersonen sollen das Volleyballfeld in sechs Minuten möglichst oft umlaufen. Gemessen werden die zurückgelegten Meter. Auswertung Für intervallskalierte Daten werden Mittelwert (MW) und Standardabweichung (SD) angeführt. Die Darstellung von Häufigkeiten erfolgt tabellarisch und anhand von Diagrammen. Über eine Z-Standardisierung wurde eine Summenscore für die acht Testaufgaben ermittelt. Die Prüfung des Summenscores auf Normalverteilung wurde mittels Kolmogorov-Smirnov Test und die Prüfung auf Varianzhomogenität mit dem Levene Test durchgeführt. Die Mittelwerte der vier Gewichtsgruppen wurden anhand einfaktorieller ANOVA auf Signifikanz überprüft. Das Signifikanzniveau wurde dabei auf 0,05 gesetzt. Die statistische Bearbeitung und Analyse der erhobenen Daten erfolgte mit dem Statistikprogramm SPSS 21.0 für Windows. Ergebnisse Insgesamt konnten die Daten von 338 Einschulkindern (♂ 179 / ♀159) ausgewertet werden. Das mittlere Alter betrug 6,45 ± 0,55 Jahre und der mittlere BMI 16,18 ± 2,07. Nach den verwendeten Referenzwerten waren von den 338 Schulkindern insgesamt 7,7 % (n = 26) übergewichtig und 5,9 % (n = 20) adipös (Tabelle 1). Tab. 1: Charakteristika des Probandenkollektivs (n=338) Merkmale Alter Geschlecht Größe (cm) Gewicht (kg) BMI MW SD Knaben n ( %) Mädchen n ( %) Gesamt n ( %) MW SD MW SD MW SD Untergewicht* 6,29 0,46 Normalgewicht 6,45 0,56 Übergewicht 6,47 0,51 Adipositas 6,55 0,51 Gesamt 6,45 0,55 10 (5,6) 142 (79,3) 13 (7,3) 14 (7,8) 179 (100) 8 (5,0) 132 (83,1) 13 (8,2) 6 (3,8) 159 (100) 18 (5,3) 274 (81,1) 26 (7,7) 20 (5,9) 338 (100) 122 0,62 19,91 2,45 13,31 0,45 122 0,57 23,67 3,16 15,75 1,19 126 0,71 30,51 3,42 18,94 0,71 126 0,80 34,21 4,31 21,32 1,08 123 0,59 24,61 4,63 16,18 2,07 * anoretische Kinder sind aufgrund der geringen Fallzahlen (n=4) der BMI Gruppe „Untergewicht“ zugeordnet 24 bewegung und sport 4 | 2015 www.bewegungundsport.net Grundschule K. Greier & G. Ruedl: Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Motorische Leistungsfähigkeit und BMIKlassifikationen Abb. 2: Gesamtscore (MW und SD) von männlichen und weiblichen Einschulkindern in Abhängigkeit von Gewichtsklassen (übergewichtige und adipöse Knaben und Mädchen unterscheiden sich signifikant von den normalgewichtigen Kindern; p<0,01). Der Gesamtscore (mittleren Z-Werte) des DMT (618) zeigte in dieser Untersuchung keine signifikanten Geschlechtsunterschiede (p > 0,2). Allerdings unterschieden sich die Leistungen der adipösen und übergewichtigen Kinder signifikant (p < 0,01) von den Normalgewichtigen. Zwischen untergewichtigen und normalgewichtigen sowie zwischen übergewichtigen und adipösen Kindern konnten keine signifikanten (p > 0,05) Leistungsunterschiede festgestellt werden (Abb. 2). Betrachtet man die Ergebnisse der einzelnen Testitems, so erzielten die Kinder der BMI-Gruppe-„Normalgewichtig“ bei den Tests „20m-Sprint“, „Balancieren rückwärts“, „Sit ups“ „und „6-min Lauf“ signifikant bessere Werte (p < 0,01) als ihre übergewichtigen Altersgenossen. Gegenüber den adipösen Kindern konnten die Normalgewichtigen zusätzlich noch beim „Standweitsprung“ und beim „Seitlichen Hin- und Herspringen“ signifikant bessere Ergebnisse erzielen. Bei den restlichen Testitems „Rumpfbeugen“, und „Liegestütz“ ließen die Ergebnisse jedoch keinen Unterschied zwischen den Gewichtsgruppen erkennen. Keiner der acht Einzeltests wies einen signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschied auf. Abbildung 3 zeigt, dass 58 % der normalgewichtigen Kinder überdurchschnittliche bzw. weit überdurchschnittliche Leistungen erzielten, während etwa 20 % der Übergewichtigen diese Beurteilung erreichten. Weit überdurchschnittliche Leistungen konnten von keinem adipöses Schulkind erzielt werden. Etwa jedes dritte adipöse Kind (33 %) erzielte lediglich weit unterdurchschnittliche bzw. unterdurchschnittliche motorische Leistungen. Abb. 3: Motorische Fähigkeitsbereiche (5-stufige Beurteilungsskala nach Bös et al. 2009) in Abhängigkeit vom Gewichtsstatus. 1=weit unterdurchschnittlich; 2=unterdurchschnittlich; 3=durchschnittlich; 4=überdurchschnittlich; 5=weit überdurchschnittlich Diskussion In der vorliegenden Untersuchung wurde bei 338 Tiroler Schulanfängern der Einfluss des BMI auf die motorische Leistungsfähigkeit überprüft. Es hat sich gezeigt, dass 7,7 % der untersuchten Erstklässler übergewichtig und 5,9 % adipös sind. Im weiteren Schulverlauf ist dann jedoch häufig mit einem Anstieg der Übergewichts- und Adipositasprävalenz zu rechnen (Bös & Brehm, 2004; Augste & Jaitner, 2010). Dies mag wahrscheinlich auch damit zusammenhängen, dass das „Schulleben“ von Schulstufe zu Schulstufe immer stärker strukturiert und mit längeren Sitzperioden verbunden ist. So stellten Bös et al. (2004) in ihrer Longitudinalstudie fest, dass sich bei Grundschulkindern die Adipositasprävalenz innerhalb von vier Jahren verdoppelte. Auch eine rezente Untersu- www.bewegungundsport.net chung von Greier (2014a) lässt den Schluss zu, dass es bei Grundschulkindern im Laufe der vier Schuljahre zu einer Zunahme von übergewichtigen und adipösen Kindern kommt. Er konnte bei neun bis zehnjährigen Schulkindern der vierten Schulstufe eine Übergewichtsprävalenz von 14 % und eine Adipositasprävalenz von 7 % beobachten. Augste et al. (2010) kamen in ihrer Studie bei Augsburger Schulkindern der dritten Schulstufe zu ähnlichen Ergebnissen. Um einem Anstieg der Übergewichtsprävalenz im weiteren Schulverlauf entgegenzuwirken wären gezielte Präventivmaßnahmen bereits in dieser frühen Lebensphase wichtig, da das Einschulen hinsichtlich der Prägung des zukünftigen Bewegungsverhaltens ein sensibles Zeitfenster darstellt. bewegung und sport 4 | 2015 25 Grundschule K. Greier & G. Ruedl: Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Die sportmotorische Leistungsfähigkeit von übergewichtigen und adipösen Grundschulkindern unterscheidet sich in den meisten konditionellen Bereichen signifikant von Normalgewichtigen. Die präsentierten Ergebnisse sind konsistent mit anderen Untersuchungen (Dordel, 2000; Bös et al., 2002; Graf et al., 2004; Kreuser et al., 2014), bei denen ebenfalls übergewichtige und adipöse Kinder deutlich schlechtere Werte erzielten. Werden die einzelnen Testitems des DMT 6-18 betrachtet, so zeigte sich, dass die BMI-Gruppen „Übergewichtig“ und „Adipös“ beim Beweglichkeitstest „Rumpfbeugen“ und beim Test „Liegestütz“ ähnliche Werte wie ihre normalgewichtigen Altersgenossen erzielten. Diese Beobachtung deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien, die auch zeigten, dass übergewichtige und adipöse Kinder bei Tests mit geringerer „Bewegungsdynamik“ gegenüber Normalgewichtigen nicht schlechter abschneiden müssen (Graf et al., 2007; Karppanen et al., 2012; Greier et al. 2014). „Aktivitäten“ mit geringerer Bewegungsdynamik sollten somit bei übergewichtigen und adipösen Kindern spielerisch für einen „Einstieg“ in ein sportlich-aktiveres Leben genutzt werden, was neben einer Fitnessverbesserung auch zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls führen könnte. Beurteilt man die motorischen Fähigkeitsbereiche der Erstklässler anhand einer normierten 5-stufigen Skala (Bös, 2009), so kann festgestellt werden, dass knapp 60 % der Normalgewichtigen und lediglich 20 % der Übergewichtigen überdurchschnittliche bzw. weit überdurchschnittliche Leistungen erzielten. Bei den Adipösen erzielte kein einziges Kind weit überdurchschnittliche Leistungen. 26 bewegung und sport 4 | 2015 Fazit Aufgrund der vorliegenden Befunde ist es naheliegend, dass besonders Kinder mit erhöhtem BMI frühzeitigen und gezielten Bewegungsförderungen zugeführt werden sollten um die motorische Fitness zu steigern. So konnte in mehreren Studien (Barnett et al. 2009; Greier, 2014b) beobachtet werden, dass es einen Zusammenhang zwischen Fitness und dem Bewegungsverhalten gibt und motorisch fittere Kinder später auch als Jugendliche und junge Erwachsene sportlich aktiver sind als weniger Fitte. Da die Grundlage für einen aktiven Lebensstil also bereits im frühen Kindesalter gelegt wird, und somit das Bewegungsverhalten im weiteren Lebenslauf positiv beeinflusst, stellen Schulen neben dem Elternhaus das ideale Setting für solche Bewegungsförderungen dar. Zu den Autoren Priv.-Doz. Dr. Klaus Greier Bewegungs- und Sporterziehung Private Pädagogische Hochschule (KPH-ES) Stams und Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck, 6422 Stams, Stiftshof 1 Kontakt: [email protected] Priv.-Doz. Dr. Gerhard Ruedl Institut für Sportwissenschaft der Universität Innsbruck, 6020 Innsbruck, Fürstenweg 185 Kontakt: [email protected] www.bewegungundsport.net Grundschule K. Greier & G. Ruedl: Motorische Fitness und BMI von Schulanfängern Literatur Augste, C. & Jaitner D. (2010). In der Grundschule warden die Weichen gestellt. Sportwissenschaft, 40, 244-253. Baker, J., Olsen, L. & Sørensen, T. (2007). Childhood body-mass index and the risk of coronary heart disease in adulthood. New England Journal of Medicine, 357, 2329–2337. Barnett, L., van Beurden, E, Morgan, P., Brooks, L. & Beard, J. (2009). Childhood motor skill proficiency as a predictor of adolescent physical activity. Journal of Adolescent Health, 44, 252-259. Bar-Or, O., Foreyt, J., Bouchard, C. et al. (1998). 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