Die Schule der Drachen

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Die Schule der Drachen
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DER SPIEGEL 5/2007 - 29. Januar 2007
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KUNSTTURNEN
Die Schule der Drachen
Von Maik Großekathöfer
In einer Gymnastikakademie im chinesischen Xiantao werden 120 Kinder zu Hochleistungsathleten
gedrillt. Die Trainer sind unbarmherzig, ihre rüden Methoden dienen einem erklärten Staatsziel: für
die Volksrepublik Sporthelden der Zukunft zu formen.
Sie weiß, dass es weh tun wird. Zhang Menghan liegt auf dem Rücken, den Blick an die Decke der Turnhalle
geheftet, über sich gesprungene Fensterscheiben und Stahlträger, von denen der Lack blättert. Gerade hat ein
Junge geschrien vor Schmerzen, und gleich muss sie dieselbe Übung hinter sich bringen. Wenn es doch nur
schon vorbei wäre.
KUNSTTURNEN: DIE SCHULE DER DRACHEN
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Menghan ist gerade sechs geworden,
sie trägt einen lilafarbenen Schlafanzug
mit Schneemännern drauf, grüne
Socken und gelbe Turnschuhe aus
Leinen. Sie beginnt zu zittern, vielleicht
vor Angst, vielleicht ist es die Kälte.
Trotzdem würde sie nie aufmucken. Das
gehört sich einfach nicht, nicht hier,
nicht in der Li-XiaoshuangGymnastikschule. An der Stirnwand der
Halle steht in roten chinesischen
Schriftzeichen: "Großer Eifer schafft Ruhm."
Es geht in der Schule darum, "chiku" zu lernen. Es geht um die Bereitschaft, Bitternis zu essen. Denn nur mit
Disziplin kann man zum "long" werden, zum Drachen, mutig, stark und weise. Sportlicher Erfolg gilt in China seit
der kommunistischen Revolution als Beweis für ein starkes Land, und die Schule produziert die Sieger der
Zukunft: Ihre Absolventen haben gut 300 Medaillen gewonnen bei internationalen und nationalen Wettkämpfen.
Menghans Trainer ist ein drahtiger Mann mit vernarbtem Gesicht. Er kniet sich jetzt neben das Mädchen.
Menghan schließt die Augen und holt tief Luft.
MEHR AUS DEM NEUEN SPIEGEL
Der Trainer packt ihr linkes Bein, drückt es auf die Matte und hebt das
rechte senkrecht in die Höhe, dann presst er es langsam in die andere
Richtung nach unten, an der rechten Schulter vorbei, am Ohr, ganz
langsam, bis Oberschenkel, Knie und Fuß den Boden berühren. Eine halbe
Minute muss Menghan so verharren, im umgekehrten Spagat, als hielten
Gummibänder ihren Körper zusammen und keine empfindlichen Sehnen. Sie
wimmert, ihr Mund bebt, Tränen kullern die Wangen runter.
Ihr Trainer befiehlt: "Sing!"
TITEL
Gnade für die Gnadenlosen
Darf der Staat die RAF-Mörder
freilassen?
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Menghan schluchzt. "Mach schon!", brüllt der Trainer. Menghan fängt an zu
singen, mit brüchiger Stimme: "Menschen aus Eisen weinen nicht. Sei stark,
damit der Lehrer dich liebt. Sei tapfer. Quäle dich. Gewinne Gold. Sei ein
Held. Dann wird dein Ruf die Welt erobern!"
Der Trainer lässt Menghan los, er verzieht das Gesicht. Es könnte ein
Lächeln sein. Menghan reckt stolz das Kinn, ein dünnes Mädchen an der
Grenze zum Untergewicht.
88 Verse umfasst der Katechismus der Gymnastikschule in Xiantao, einer
dreckigen, lauten Kleinstadt tief im Hinterland Chinas, zum Ufer des Yangtze
ist es nicht weit. Menghan hat Vers Nummer zwei gesungen, Nummer fünf
lautet: "Entschlossenheit lässt die Blume blühen. Wer zögert, der lernt nicht.
Der möge seine Sachen packen und gehen." Und Nummer 45 heißt: "Esst viel und übt hart. Vergießt Schweiß
und Blut in endlosem Training. Die chinesische Flagge weht über dem Olympiastadion."
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01.02.2007
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Quälen für 2016
In der Schule werden 120 Jungen und Mädchen von früh am Morgen bis spät in den Abend zu Kunstturnern
geschmiedet, sechs Tage die Woche, elf Monate im Jahr. 103 Kinder leben im Internat, 17 übernachten bei den
Eltern, der Tante, dem Opa. Die Schüler sind zwischen drei und neun Jahre alt, Talentspäher haben sie beim
"xuancai" entdeckt, bei der Materialauswahl. Oder sie wurden von Familien geschickt, in denen Töchter wenig
gelten und Söhne noch immer alles. Gymnastiktrainer haben sie ausgewählt, die spezialisiert sind auf
Elementarausbildung. Die Kinder kommen von überall her: aus Zhanjiang im Süden, aus Nanjing im Osten,
Chengdu im Westen und aus Tangshan im Norden.
Sie sind noch zu jung, um bei den nächsten Olympischen Spielen dabei zu sein, ihr Jahr könnte 2016 sein. Aber
schon im August 2008 in Peking wollen die Chinesen Platz eins im Medaillenspiegel erobern. 3200 Athleten
bereiten sich auf die Spiele vor, für jede Sportart gibt es ein Hauptteam und zwei Reservemannschaften. Es ist
wie bei einem Hai: Fällt ein Zahn aus, rückt ein neuer nach. Und die Turner sind eine Eliteeinheit. Der
Regierungsplan sieht vor, dass sie mindestens dreimal Gold holen. Zwei Titel könnte Yang Wei gewinnen, der
Weltmeister im Mehrkampf und am Barren. Auch er war Schüler in Xiantao.
Das Institut, in dem Chinas Nachwuchsturner geformt werden, versteckt sich
in einem blassblauen Betonklotz im Süden der Stadt, in einem engen Viertel
voller Garküchen und wirrer Basare. Es ist Mittwochmorgen, zehn vor sechs, ein
Tag wie alle Tage, es ist noch dunkel draußen, an der Straße bauen alte Frauen
ihre Marktstände vor vermüllten Hauseingängen auf. Sie verkaufen Aale,
Blumenkohl, Enten, Spinat. Es nieselt.
DER SPIEGEL
Zhang Menghan, das Mädchen im lila Pyjama, liegt noch im Bett, der Schlafsaal
befindet sich im dritten Stock. Im Flur stehen 100 Paar Schuhe, alle ordentlich
aufgereiht. An der Wäscheleine, die durch den Gang gespannt ist, trocknen
Handtücher und Unterhosen. Es stinkt bestialisch, für alle Schüler gibt es vier
Klorinnen, die nur einmal am Tag gespült werden.
Menghan teilt sich das Zimmer mit 16 Mädchen. Die Etagenbetten, die normalerweise an den Wänden stehen,
haben sie in der Mitte des Raums zusammengeschoben. Draußen sind es fünf Grad, aber es gibt in der Schule
keine Heizung, weil sie südlich des Gelben Flusses liegt und die Partei mal beschlossen hatte, dass man dort
keine Heizung braucht. Die Kinder rücken im Winter zusammen, um sich gegenseitig zu wärmen. Jeweils vier
Mädchen schlafen quer auf einer Doppelmatratze.
Breite Schultern, schmale Hüften
Es gibt noch ein Dogma an der Schule, es heißt: "Der goldene Phönix schlüpft aus einem ärmlichen Hühnernest."
Ein Hausmädchen weckt die Kinder um sechs, und nach dem Zähneputzen müssen sie raus zum Frühsport,
runter auf den Hof, durchs Treppenhaus, vorbei an tropfenden Rohren, Papierfetzen und Taubenscheiße. Der
Wind pfeift durch die Gitterfenster, das Mauerwerk schimmelt.
Menghan ist seit einem halben Jahr in Xiantao. Sie stammt aus Cangzhou, rund tausend Kilometer entfernt. Ihre
Mutter schneidet in Shenzhen Gummileisten für Kühlschränke, und ihr Vater ist nach Hongkong gezogen, er
verhökert Videorecorder im Elektronik-Discounter. Sie wussten nicht mehr, wohin mit ihrer Tochter. Im Mai
stellten sie Menghan dem Direktor in Xiantao vor, die Schule ist berühmt, es war einen Versuch wert.
Menghan hat breite Schultern, schmale Hüften, gerade Beine und symmetrische Gliedmaßen, die
Voraussetzungen waren schon mal gut. Sie musste laufen, 50 Meter in weniger als zwölf Sekunden. Sie musste
springen, weiter als 1,90 Meter. Eine Hand wurde geröntgt, um an den Wachstumsfugen festzustellen, wie groß
Menghan später wird. Keine 160 Zentimeter. Perfekt. Die Trainer fanden auch heraus, dass ihre Spannweite
größer ist als die Körperlänge. Ein Vorteil, wegen der Hebelwirkung.
Menghan bestand den Aufnahmetest, sie durfte bleiben, sie war nun eine von den "xin miao", von den neuen
Sprossen. Ihre Eltern zahlen 3000 Yuan pro Semester, das sind 296 Euro, viel Geld, aber dafür hat Menghan ein
Dach über dem Kopf und kriegt zu essen, man bringt ihr etwas Mathematik bei, Chinesisch, Englisch und
Naturwissenschaften. Sie trainiert gut vier Stunden am Tag. Menghan sagt, sie habe keine Freundin im Internat,
möchte ihr Leben aber mit niemandem tauschen, niemals. "Ich habe Glück", sagt sie, "ich kann ein Champion
werden."
Das Training am Morgen dauert eine Stunde. In Menghans Gruppe sind zwölf Kinder. Sie stärken die
Oberschenkel mit Kniebeugen, watscheln im Entengang über den Hof, marschieren im Stechschritt und machen
Liegestütze auf Schotter.
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Schließlich müssen sie dreimal fünf Minuten in einer Art Handstand stehen, mit den Fußspitzen an der
Hauswand. Als ein Mädchen entkräftet aufgibt, raunzt Zheng Shunsheng, der Trainer mit dem Narbengesicht:
"Mach weiter!" Aber das Mädchen kann nicht mehr. "Du Versagerin!", bellt Zheng. "Was willst du hier? Sollen
deine Eltern dich abholen?" Er boxt dem Mädchen gegen die Schulter, dass es auf den Asphalt stürzt.
Löffeln aus dem Blechnapf
Zheng fordert die Kinder auf, sich in einer Reihe aufzustellen wie Offiziere vor der Verbotenen Stadt. Hände an
die Hüften, linker Fuß vor, den Blick nach rechts, auf den Trainer. "Ihr habt auf mich zu hören", sagt er. "Wisst
ihr, wer mir nie gehorcht?" Zheng deutet mit langem Arm auf das erschöpfte Mädchen, und die übrigen Kinder
rufen seinen Namen: "Gao Yi!"
Menghan findet, eigentlich, dass ihre Mitschülerin zu Recht gedemütigt wurde. Sie sagt das beim Frühstück, für
das sie eine Viertelstunde Zeit hat. Es gibt Reissuppe mit Bohnen, die sie aus einem Blechnapf löffelt. Dazu ein
bisschen Brot. Essen ist hier nur Brennstoff, auf den Geschmack kommt es nicht an.
Menghan muss sich beeilen, immer muss sie sich beeilen. Sie hastet in den Unterricht. Sie hat vier Stunden und
sitzt in Anorak und Schlafanzug im Klassenzimmer, auf einem Holzhocker in der letzten Reihe. Neben der Tafel
hängt ein Schild mit der Aufschrift "Tägliches Training ist gesund". Die Chinesischlehrerin, eine mollige Frau in
Stöckelschuhen, kontrolliert die Hausaufgaben. Dann übt die Klasse Schriftzeichen, Lektion vier: "Auf dem
Spielplatz". Die Kinder schreiben nicht in Hefte, sondern ziehen die Zeichen mit dem Zeigefinger auf ihrem Pult
nach.
Es gibt keine zweite Chance
Im Büro des Direktors gibt es einen Schreibtisch, auf dem ein großes schwarzes Telefon steht. Tian Hua trägt
Tennissocken und Lederslipper, er raucht ziemlich viel. Ob er nicht meint, dass die Kinder auf seiner Schule zu
jung seien, das Training zu hart?
Tian denkt kurz nach. "Oooh", sagt er, "die Kinder stärken Körper und Geist. Die Amerikaner wären froh, wenn
sie so eine Akademie hätten." Tian redet wie ein Parteisekretär. "Wir registrieren aufmerksam, wie sich die
Kinder entwickeln."
Jedes Jahr prüfen die Trainer, ob ein Kind gehen muss, weil es zu schwach ist, zu weich oder zu faul. Es gibt
keine zweite Chance, nur wer bis zum Ende durchhält, darf von Medaillen träumen.
Um kurz nach halb zwölf, auf dem Weg zum Mittagessen, trifft Menghan einen Jungen mit Segelohren und
platter Nase. Er heißt Pan Yichao und kommt aus Xiantao. Vor fünf Jahren beobachtete ihn ein Trainer auf der
Straße beim Versteckspielen. Er war wendig, gelenkig und kräftig. Zwei Wochen später kam er hierher.
"Wie geht's?", fragt Menghan.
"Ganz gut", antwortet Yichao.
Es wird nicht viel miteinander geredet in der Schule, die Kinder lachen kaum, sie besitzen kein Spielzeug, keine
Kuscheltiere. Sie haben einen Waschbrettbauch.
Yichao ist acht und ein typisches Produkt der Ein-Kind-Politik: ein kleiner Monarch, der später seine Eltern
ernähren wird. Er ist ihr Heiligtum, auch wenn die Eltern im März nach Guangzhou gegangen sind, wo sie einen
Friseursalon aufgemacht haben. Yichao wohnt bei seiner Großmutter Youmei, sie ist 54. Er hat ein eigenes
Zimmer, schläft aber bei der Oma in der Kammer, weil er sich vor Ratten fürchtet.
Jeder hat einen Stock in der Hosentasche
Yichao eilt um die Ecke in ein Straßenrestaurant, der Schulfraß ist nichts für ihn. Er bestellt gebratene Nudeln
mit Sojasprossen. Yichao ist wählerisch beim Essen, aber ein guter Athlet. Es steht fest, dass er im Herbst ins
Provinzteam nach Wuhan versetzt wird.
Die nächste Trainingseinheit beginnt um halb drei, nach dem Mittagsschlaf. Die Turnhalle liegt im zweiten Stock,
die Luft ist kalt und riecht nach Schweiß. Es gibt jede Menge Barren und fünf Schwebebalken, aus den Matten
bröselt der Schaumstoff, das Leder der Seitpferde hat Risse. Eine der Sprossenwände ist aus Eisenstangen
zusammengeschweißt, die man vor 20 Jahren einer Werft abgeschwatzt hat.
An dieser Wand hängt Menghan. Zum Aufwärmen zieht sie 30-mal die gestreckten Beine an, bis sie fast den
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Kopf berühren. Yichao reibt sich die Hände mit Kreide ein, kurz darauf baumelt er im Schwebehang an den
Ringen. Man sieht Schüler, die auf den Händen durch die Halle laufen und dabei rhythmisch zählen: "Yi, er, yi,
er." Eins, zwei, eins, zwei. Andere laufen zur Flugrolle an, machen Strecksprünge oder schlagen Salti. Neun
Trainer schreiten durch die Halle, sie halten die Hände hinter dem Rücken verschränkt, jeder hat einen Stock in
der Hosentasche. Zheng, Menghans Trainer, ruft: "Tempo! Keine Müdigkeit!" Er klingt, als treibe er Kühe auf die
Weide.
Zheng ist 46, er war auch auf dem Internat, bis Ende der sechziger Jahre, er war ein talentierter Turner,
schaffte es aber nie in die Nationalmannschaft. Er arbeitete als Sportlehrer und drillte in Sashi die Bewaffnete
Volkspolizei. Seit vier Jahren ist er wieder in Xiantao. Zheng sagt, er sei sich noch nicht sicher, ob Menghan die
Ansprüche erfüllen wird. "Sie kann hart trainieren, härter als andere. Aber sie kommt aus dem Norden, und im
Norden essen die Kinder viel Weizen, viel Nudeln. Ihre Muskeln sind zu weich", sagt er. "Kinder aus dem Süden
essen mehr Reis, ihre Muskeln sind härter. Ich muss sehen, ob Menghan noch an Kraft zulegt."
Drachen jammern nicht
Menghans Gruppe trainiert Flickflacks. Zheng kneift einem Jungen in den Arm, weil er mal wieder zu früh in der
Hüfte eingeknickt ist. "Ein kleiner Schlag schadet nicht", sagt Zheng, "ich weiß, dass in Europa anders darüber
gedacht wird, aber ohne Strafe ist Training nicht effektvoll." Auch Menghan hat schon Hiebe bekommen. Sie
sagt, sie habe es jedes Mal verdient.
Menghan sitzt auf dem Boden, die Beine weit gespreizt, jeder Fuß liegt auf einem etwa 30 Zentimeter hohen
Kasten. Von hinten drückt Zheng ihr Gesicht auf die Matte, aber das reicht noch nicht. Zheng setzt sich auf
Menghans Rücken, er zwängt auch Brust und Unterleib auf den Boden, die Füße bleiben die ganze Zeit auf dem
Kasten. Menghan jammert nicht, sie ist ein "long", ein Drache.
Ein paar Jungen liegen im Kreis, ihre Beine stecken unter einer dicken Schaumstoffmatte, auf der ein Trainer
sitzt. Die Jungen machen Sit-ups. Ding Xiapeng hat diese Übung erfunden, der Schulgründer.
Ding hat 1960 begonnen, Bauernjungen aus Xiantao zu trainieren. In den Achtzigern war die Schule in einer
Wellblechhalle untergebracht, damals bildete Ding die Li-Zwillinge Xiaoshuang und Dashuang aus, sie übten auf
Stroh. Kurz vor seinem Tod erlebte Ding noch, wie die Brüder bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona
Gold, Silber und Bronze gewannen.
3000 Sportschulen, 400.000 Kinder
Nach knapp drei Stunden Schufterei sind Yichaos Handflächen aufgeplatzt, und Menghan stählt noch mal die
Bauchmuskeln. Danach lässt Zheng seine Gruppe antreten. "Auf Wiedersehen, Kinder", sagt er. "Laoshi zaijian",
antworten die Schüler, Lehrer, auf Wiedersehen.
Yichao wird von seiner Oma abgeholt. Sie setzen sich aufs Motorrad und knattern davon.
Beim Abendessen im Internat leckt Menghan den letzten Tropfen Sauce vom Teller, sie hat den ganzen Tag noch
nichts getrunken. Sie geht in ihren Schlafsaal, kramt ein Schulheft aus dem Schrank, legt es auf die Fensterbank
und macht im Stehen ihre Hausaufgaben.
Das Hausmädchen kommt, es trägt einen blauen Regenmantel und Gummistiefel. Die Kinder ziehen sich aus,
huschen nach und nach in den Duschraum, eine geflieste Zelle hinter dem Schlafsaal. Sie seifen sich ein, das
Hausmädchen schnappt sich einen Schlauch und bespritzt sie mit Wasser. Menghan trocknet sich ab, sie zieht
wieder denselben Schlafanzug an, den sie schon den ganzen Tag getragen hat.
Dann hat Menghan frei. Sie geht rüber ins Schlafzimmer nebenan, zu den gleichaltrigen Jungs. Sie hockt sich vor
den Fernseher, schlürft einen Joghurt und guckt einen Zeichentrickfilm.
Ungefähr 3000 Sportschulen gibt es in China, mit über 400.000 Kindern wie Menghan. Gut möglich, dass zehn
Schüler aus Xiantao am Ende des Sommersemesters den Sprung ins Provinzteam schaffen, den Vorhof der
Nationalmannschaft. Vor zwei Jahren waren es weniger, nur sechs. Menghans Chancen sind klein. Schafft sie es
nicht, steht sie mit nichts da, ein nutzloses Mädchen, ausgespuckt von einer unheimlichen Trainingsmaschinerie.
Um halb neun muss Menghan ins Bett. Sie zieht die Decke hoch bis an den Mund und schläft sofort ein.
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